Claas-Hinrich Lammers Gunnar Eismann

Bin ich ein Narzisst?

Oder einfach nur sehr selbstbewusst?

herausgegeben von Wulf Bertram

Zum Herausgeber von »Wissen & Leben«:

Wulf Bertram, Dipl.-Psych. Dr. med, geb. in Soest/Westfalen, Studium der Psychologie, Medizin und Soziologie in Hamburg. Zunächst Klinischer Psychologe im Universitätskrankenhaus Hamburg Eppendorf, nach Staatsexamen und Promotion in Medizin Assistenzarzt in einem Sozialpsychiatrischen Dienst in der Provinz Arezzo/Toskana, danach psychiatrische Ausbildung in Kaufbeuren/Allgäu. 1986 wechselte er als Lektor für medizinische Lehrbücher ins Verlagswesen und wurde 1988 wissenschaftlicher Leiter des Schattauer Verlags in Stuttgart, 1992 dessen verlegerischer Geschäftsführer. Im gleichen Jahr gründete er zusammen mit Thure von Uexküll und medizinischen Fachkollegen die Akademie für Integrierte Medizin, deren Vorstand er seitdem angehört. Aus seiner Überzeugung heraus, dass Lernen ein Minimum an Spaß machen müsse und solides Wissen auch unterhaltsam vermittelt werden kann, konzipierte er 2009 die Taschenbuchreihe »Wissen & Leben«. Bertram hat eine Ausbildung in Gesprächs- und Verhaltenstherapie sowie in Psychodynamischer Psychotherapie und arbeitet neben seiner Verlagstätigkeit als Psychotherapeut in eigener Praxis.

 Für sein Lebenswerk, seine »wissenschaftlich fundierte Verlagstätigkeit im Sinne des Stiftungsgedankens«, wurde Bertram 2018 der renommierte Wissenschaftspreis der Margrit-Egnér-Stiftung verliehen, deren Ziel es ist, zu einer humaneren Welt beizutragen, in welcher der Mensch in seiner Ganzheitlichkeit im Mittelpunkt steht.

Impressum

Prof. Dr. med. Claas-Hinrich Lammers

Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Langenhorner Chaussee 560

22419 Hamburg

c.lammers@asklepios.com

Dr. med. Gunnar Eismann

Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Langenhorner Chaussee 560

22419 Hamburg

g.eismann@asklepios.com

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Besonderer Hinweis

Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Entwicklungsprozess, sodass alle Angaben, insbesondere zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren, immer nur dem Wissensstand zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches entsprechen können. Hinsichtlich der angegebenen Empfehlungen zur Therapie wurde die größtmögliche Sorgfalt beachtet. Gleichwohl werden die Benutzer aufgefordert, im Zweifelsfall einen Spezialisten zu konsultieren. Fragliche Unstimmigkeiten sollten bitte im allgemeinen Interesse dem Verlag mitgeteilt werden. Der Benutzer selbst bleibt verantwortlich für jede diagnostische oder therapeutische Applikation, Medikation und Dosierung.

Schattauer

www.schattauer.de

© 2019 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Bettina Herrmann, Stuttgart

unter Verwendung einer Abbildung von © Adobe Stock/Prazis Images

Lektorat: Dr. Stephanie Born, Stuttgart

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Printausgabe: ISBN 978-3-608-40024-3

E-Book: ISBN 978-3-608-19184-4 | PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-29160-5

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Eine Warnung anstatt eines Vorwortes

Liebe Leserin, lieber Leser,

Sie haben sich dieses Buch gekauft, um eine Antwort auf die Frage zu erhalten, was Narzissmus ist, woran man einen Narzissten bzw. eine Narzisstin erkennt, und ob Sie selbst womöglich narzisstisch sind. Und vermutlich wollen Sie hierzu einen Fragebogen an die Hand bekommen, nach dessen Ausfüllen Sie wissen, ob Sie normal oder narzisstisch sind. Ihr Wunsch, eine verlässliche Auskunft über den Unterschied zwischen Normalität und Narzissmus zu bekommen, entscheiden zu können, was narzisstisch und was normal ist, und wie es um Ihren eigenen Narzissmus bestellt ist, dieser Wunsch ist allzu verständlich. Doch wir werden in diesem Buch einige Mühe darauf verwenden, Sie von dieser Sicht der Dinge abzubringen, um Ihnen stattdessen zu zeigen, dass dieses Schwarz-Weiß-Denken nicht der richtige Weg ist, sich mit dem Thema Narzissmus zu beschäftigen. Wir werden Ihnen vielmehr von den großen Überschneidungen eines gesunden Selbstwertgefühls bzw. eines gesunden Narzissmus einerseits und problematischen narzisstischen Persönlichkeitseigenschaften andererseits berichten. Darüber hinaus werden wir ihnen aufzeigen, dass der Übergang vom gesunden Narzissmus zum problematischen Narzissmus bis hin zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung fließend ist. Wir werden folglich narzisstische Persönlichkeitseigenschaften auch nicht als grundsätzlich schlecht darstellen, sondern Ihnen verdeutlichen, wie sehr die Bewertung dieser Eigenschaften von der jeweiligen Ausprägung und den Auswirkungen auf Ihr Verhalten und Ihre Umwelt abhängig ist. Wir werden also Ihr Bedürfnis nach Klarheit bezüglich der Unterscheidung zwischen dem, was »noch normal«, und dem, was »schon gestört« ist, leider frustrieren müssen, denn eine solche Klarheit ist beim Thema Narzissmus nicht möglich, zumindest dann nicht, wenn man sich dem Thema ohne Polemik und ohne moralische Agenda nähert. Wenn Sie also bereit sind, sich auf eine etwas komplexere Sichtweise des Themas Narzissmus einzulassen, ohne dass wir Ihnen dabei das Lesen mit viel grauer Theorie erschweren werden, dann wird dieses Buch für Sie hoffentlich eine spannende und hilfreiche Lektüre sein.

Info

Wir werden Sie im Laufe der Lektüre immer wieder mit Fragen konfrontieren, welche Ihnen dabei helfen sollen, sich über Ihre narzisstischen Eigenschaften klar zu werden. Möglicherweise werden Sie einige dieser Fragen mit einem mehr oder weniger deutlichen Ja beantworten, andere hingegen nicht. Auf diese Weise möchten wir Sie dabei unterstützen, ein differenziertes und realistisches Bild Ihrer vermeintlich narzisstischen Merkmale zu erhalten.

Wir haben außerdem einen Test konzipiert, mit dessen Hilfe Sie selbst einschätzen können, wie stark Ihre narzisstischen Eigenschaften ausgeprägt sind. Diesen Test und ebenso alle weiteren Arbeitsmaterialien in diesem Buch finden Sie auch als Downloadmaterial zum Ausdrucken und Ausfüllen auf www.klett-cotta.de.

1 Einleitung

Dem Begriff des Narzissmus bzw. des Narzissten begegnet man überall, ob im Gespräch oder in den Medien, und jeder Mensch glaubt zu wissen, was gemeint ist, wenn von Narzissmus die Rede ist. In der Regel stellt man sich hierunter einen selbstverliebten, eitlen, arroganten, erfolgsbesessenen und egoistischen Menschen vor. Jede einzelne dieser Eigenschaften oder alle zusammen werden gemeinhin als narzisstisch bezeichnet.

Info

Wir wollen nicht zu viel vorwegnehmen, aber hier fängt das Problem schon an, denn ein Mensch kann sehr eitel sein, ohne dass er allein deswegen als narzisstisch zu bezeichnen wäre. Und auch das unbedingte Streben nach Erfolg reicht nicht aus, um von Narzissmus sprechen zu können.

In Beziehungskonflikten dient der Begriff oft als schlagkräftiges Argument, um den Partner als Ursache für Schwierigkeiten in der Beziehung dingfest zu machen: »Du bist so eingebildet und arrogant! Immer geht es nur um dich! Du hältst dich wohl für den Mittelpunkt der Welt! Du bist echt ein richtiger Narzisst!« Über private Beziehungskonflikte hinaus wird dieser Begriff oftmals leichtfertig zur Charakterisierung von Menschen verwendet, die sich selbstbewusst und selbstdarstellerisch verhalten. So wird über den unliebsamen Vorgesetzen hinter vorgehaltener Hand genauso geurteilt, er sei ein Narzisst, wie über den ehrgeizigen Kollegen, den man nicht mag. Und natürlich gelten Menschen als Narzissten, die im Licht der Öffentlichkeit stehen und für die man wenige Sympathien empfindet (zum Beispiel manche Politiker, Filmschauspieler oder Künstler).

Sehr beliebt ist heutzutage auch die pauschale Charakterisierung der modernen westlichen Gesellschaften als narzisstisch, da deren Selbstbezogenheit, Individualismus und Egoismus kaum noch Platz für Gemeinschaft und Zusammenhalt lasse (worüber man sicherlich trefflich diskutieren könnte, denn so einfach ist es leider nicht). Sinnbildlich für diese Kritik stehen hier insbesondere die modernen Medien wie Facebook, Instagram und Snapshot, die nur noch der Selbstdarstellung zu dienen scheinen.

Info

Die Meinung, dass es überwiegend narzisstische Menschen sind, die Facebook und Co. nutzen, oder dass diese sozialen Medien zu einer deutlichen Zunahme des Narzissmus führen, leuchtet zwar unmittelbar ein, ist jedoch durch wissenschaftliche Studien nicht belegt. Und auch für die Meinung, dass die Gesellschaft allgemein immer narzisstischer geworden sei, konnten wissenschaftliche Studien bislang keinen zwingenden Beleg finden.

Führt man sich die eben genannten Beispiele des Gebrauchs bzw. Missbrauchs des Begriffs Narzissmus vor Augen und denkt man daran, in welchem Rahmen und Tonfall dieser verwendet wird, dann scheint Narzissmus etwas durch und durch Negatives zu sein, eine denkbar schlechte Charaktereigenschaft, die es zu kritisieren und zu bekämpfen gilt. Oder haben Sie schon einmal gehört, wie jemand über einen anderen Menschen bewundernd gesagt hat: »Der ist aber wirklich sehr narzisstisch!«, so wie man sagt: »Der ist aber wirklich sehr strebsam/kreativ/mutig!«?

Info

Wir sprechen in diesem Buch und in unseren Beispielen immer wieder von Männern, da diese häufiger narzisstische Eigenschaften aufweisen als Frauen. Dennoch können auch Frauen deutliche und durchaus problematische narzisstische Persönlichkeitseigenschaften aufweisen. Aus Gründen der Übersichtlichkeit und besseren Lesbarkeit verwenden wir aber durchgehend die männliche Form.

So weit, so gut. Um diese Meinung bestätigt zu bekommen, hätten Sie sich dieses Buch aber nicht kaufen müssen, denn dass Narzissmus zu den weniger vorteilhaften Eigenschaften mancher Menschen gehört, werden Sie sicherlich schon oft gelesen und gehört haben. Warum also halten Sie dieses Buch in der Hand? Nun, vielleicht sehen Sie sich mit dem Vorwurf Ihrer Partnerin konfrontiert, dass Ihre Beziehungskonflikte auf Ihren angeblichen Narzissmus zurückzuführen sind? Oder Sie haben Schwierigkeiten im Beruf, etwa Streitigkeiten mit Vorgesetzten und Mitarbeitern, die Ihnen zu verstehen geben, dass Sie nicht teamfähig, arrogant und eben ein Narzisst sind? Vorstellbar wäre auch, dass Sie Auseinandersetzungen mit Ihren Freunden haben, weil Sie immer im Mittelpunkt stehen wollen, weil alles sich immer nur um Sie drehen muss. Wie auch immer, für Sie steht der Begriff des Narzissmus im Raum und zwar in Bezug auf Ihre Person. Und Sie haben beschlossen, der Sache endlich auf den Grund zu gehen, denn wer will schon diesen Vorwurf auf sich sitzen lassen (vielleicht gibt es solche Menschen, aber die hätten sich dieses Buch bestimmt nicht gekauft!).

Nun gibt es eine Flut von populären Büchern, welche sich mit dem Thema Narzissmus beschäftigen. Jedoch sind diese Bücher nicht für möglicherweise Betroffene geschrieben, sondern eher für Partnerinnen und Angehörige narzisstischer Menschen, weshalb sie dieses Thema verständlicherweise eher in einer negativen und verurteilenden Art und Weise behandeln. Populäre Bücher zu diesem Thema haben gewöhnlich Titel wie »Hilfe, mein Partner ist ein Narzisst«, »Wie schleichendes Gift: Narzisstischen Missbrauch in Beziehungen überleben und heilen« oder »Wie befreie ich mich von einem Narzissten?«.

Info

Das Problem an Büchern, die sich kritisch mit dem Zusammenleben mit einem narzisstischen Partner auseinandersetzen, ist nicht, dass man diesen Darstellungen keinen Glauben schenken dürfe. Im Gegenteil, wenn der Partner wirklich starke narzisstische Eigenschaften hat, dann ist das Zusammenleben mit ihm bestenfalls enttäuschend und schlimmstenfalls einfach nur furchtbar. Nein, das Problem liegt darin, dass die Leser und Leserinnen nach dem Lesen eines solchen Buches ihre eigene Beziehungsproblematik viel zu rasch im vermeintlichen Narzissmus ihres Partners bzw. ihrer Partnerin begründet sehen: »Wir haben Probleme, weil Du ein Narzisst bist!« Doch diese Ansicht ist eine allzu vereinfachte und häufig nicht hilfreiche Lösung für partnerschaftliche Probleme.

Doch diese Bücher sind nicht gerade hilfreich, wenn man selbst vielleicht ein narzisstischer Mensch ist, denn konfrontiert mit den Inhalten dieser Bücher würden die meisten über die ersten Seiten kaum hinauskommen. Diese Lücke, das Fehlen eines Buches für Betroffene, wollen wir schließen, weshalb wir auch nicht einseitig in das Horn der Narzissmuskritik stoßen werden. Es ist ein Ratgeber für (vermeintlich) narzisstische Menschen, die sich mit der Frage auseinandersetzen wollen, welche ihrer Eigenschaften als narzisstisch zu betrachten sind und welche Probleme hieraus für sie und die Menschen in ihrer Umgebung entstehen. Dass Menschen durchaus solche narzisstischen Eigenschaften haben können, die für ihre Umwelt eine Qual sind (und letzten Endes auch für die Betroffenen selbst), setzen wir dabei als selbstverständlich voraus.

Sie wollen also verstehen, was Narzissmus eigentlich ist, und ob Sie ein Narzisst sind. Mit dieser Einstellung sind Sie schon einen wesentlichen Schritt weiter als viele andere Menschen mit allzu offensichtlichen narzisstischen Eigenschaften, welche jedoch diese Tatsache weit von sich weisen würden. Hochgradig narzisstische Menschen haben nämlich leider häufig kein Interesse, sich selbstkritisch zu hinterfragen, geschweige denn an ihren problematischen Verhaltensweisen zu arbeiten. Außerdem beherrschen sie die Kunst, Probleme jeglicher Art nicht bei sich, sondern bei anderen Menschen zu sehen, und sind davon überzeugt, selbst ihr bester Ratgeber zu sein.

Bevor wir jedoch beginnen, Sie durch das Labyrinth des Narzissmus zu führen, möchten wir Ihnen vorab einige wichtige und grundsätzliche Informationen als roten Faden an die Hand geben, die wir im weiteren Verlauf dieses Buches natürlich noch ausführlicher diskutieren werden.

Narzissmus ist nicht gleich Narzissmus

Das Problem mit dem Begriff des Narzissmus fängt schon mit seiner unterschiedlichen Verwendung in der Wissenschaft an. Zum einen wird in der Psychiatrie und der klinischen Psychologie von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung gesprochen. Dabei handelt es sich um Patienten, deren narzisstische Eigenschaften man als Ausdruck einer Störung bzw. als krankhaft begreift. Zum anderen wird der Begriff aber von der Persönlichkeitspsychologie verwendet, welche sich mit der Beschreibung und Erforschung der Persönlichkeitseigenschaften von gesunden Menschen beschäftigt, sodass Narzissmus hier nichts mit einer Störung bzw. Krankheit zu tun hat. Vielmehr werden hierunter bestimmte Eigenschaften zusammengefasst, welche dem Streben nach Selbstwert dienen (was in einem bestimmten Ausmaß normal und gesund ist). Also ist Narzissmus zum einen ein Krankheitsbegriff und zum anderen ein Begriff zur Beschreibung weit verbreiteter und normaler Persönlichkeitseigenschaften. Wir bitten Sie, sich diesen Unterschied bewusst zu machen, da er entscheidend für die weiteren Inhalte dieses Buches ist!

Es gibt eigentlich keinen Narzissmus

Der Begriff des Narzissmus ist irreführend, da er eine klare Unterscheidung zwischen »Normalität« und »Narzissmus« und damit zwischen »Richtig« und »Falsch«, zwischen »Gut« und »Schlecht« nahelegt. Auch wenn wir uns alle gerne klare und eindeutige Antworten auf unsere Fragen und ebensolche Lösungen für unsere Probleme wünschen, so ist dieser Wunsch beim Thema Narzissmus leider nicht zu erfüllen. Jeder Mensch hat nämlich Persönlichkeitseigenschaften, die man als narzisstisch bezeichnen kann, der eine mehr und der andere weniger. Und bis zu einer bestimmten Ausprägung gehören diese zum Bereich des Normalen, denn sie sind der Ausdruck eines gesunden Strebens nach Selbstwert. So haben wir zum Beispiel alle das Bedürfnis, von anderen Menschen beachtet und geschätzt zu werden, wir wollen von anderen Menschen als interessant und kompetent gesehen werden, und wir wollen immer wieder einmal im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. All das gehört zu unseren normalen Erlebnis- und Verhaltensweisen, die in einer gewissen Ausprägung für uns und unser Selbstwertgefühl von Vorteil sind.

Info

Wir verwenden in diesem Buch selten den Begriff des Narzissmus, denn dieser suggeriert etwas Krankhaftes. Vielmehr werden wir, wo immer es geht, von narzisstischen Eigenschaften sprechen, welche sowohl gesund als auch problematisch sein können. Das macht das Lesen dieses Buches etwas schwieriger, dient aber der Sache.

So wichtig und gesund normale narzisstische Persönlichkeitseigenschaften sind, so können diese aber ab einer gewissen Ausprägung sowohl für den betreffenden Menschen als auch für dessen Umwelt problematisch und belastend werden (in der Regel zunächst eher für die Umwelt). Aber auch diese Ausprägung muss häufig noch als normal betrachtet werden, gleichwohl sie Probleme verursacht. Nur in ihrer Extremausprägung darf man von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung sprechen. Unterhalb dieses Störungsbereiches haben die betreffenden Menschen bzw. deren Umwelt einfach nur ein Problem mit und durch ihre Persönlichkeitseigenschaften, so wie ein ausgeprägt schüchterner Mensch auch nicht krank ist, obgleich seine Schüchternheit für ihn und vielleicht auch seine Umwelt mit Problemen einhergeht.

Kein Mensch ist ein Narzisst!

Nicht nur im Alltagsgebrauch, sondern auch in der Fachliteratur wird immer wieder von dem »Narzissten« gesprochen. Wir haben diesen Begriff zwar für den Titel dieses Buches übernommen (natürlich um Ihr Interesse zu wecken …), doch wollen wir ihn im Folgenden nicht weiter verwenden. Kein Mensch »ist« nämlich ein Narzisst, sondern ein Mensch hat mehr oder weniger narzisstische Eigenschaften, weshalb der Begriff als Charakterisierung für einen Menschen und seine gesamte Person schlichtweg falsch ist. Der Ausruf »Das ist ein Narzisst!« reduziert einen Menschen darüber hinaus auf einige wenige negative Eigenschaften und bedeutet im Umkehrschluss, dass dieser Mensch zum Beispiel nicht liebevoll, fürsorglich oder ein guter Freund sein kann, denn er ist ja ein »Narzisst«. Wir werden in diesem Buch deshalb nicht von dem »Narzissten« sprechen, sondern von problematischen narzisstischen Eigenschaften. Sie sollten sich deswegen nicht die Frage stellen: »Bin ich ein Narzisst?«, sondern sich vielmehr Folgendes fragen: »Wie stark ausgeprägt und wie problematisch sind meine narzisstischen Eigenschaften?«

Narzisstische Eigenschaften sind nicht grundsätzlich negativ

Auch wenn die Begriffe Narzissmus bzw. narzisstische Eigenschaften in unseren Ohren negativ klingen, so sind die entsprechenden Eigenschaften bis zu einer gewissen Ausprägung positiv, denn sie helfen uns psychisch stabil, erfolgreich und auch beziehungsfähig zu sein. Man kann auch von einem gesunden Selbstbewusstsein bzw. Selbstwertgefühl sprechen. Sich durchsetzen zu können, gegenüber anderen Menschen die eigenen Stärken und Erfolge zu zeigen, ehrgeizig zu sein, auch mal im Mittelpunkt stehen zu wollen und vieles mehr ist häufig von Vorteil für einen Menschen. Und solange dies nicht auf Kosten anderer Menschen geschieht, ist diese Art, seinen Selbstwert zu steigern, kaum zu kritisieren. Man kann aus diesem Grund also durchaus von einem gesunden Narzissmus sprechen.

2 Was sind narzisstische Persönlichkeitseigenschaften?

In diesem Kapitel wollen wir Ihnen erklären, was sich hinter dem Begriff des Narzissmus bzw. den narzisstischen Persönlichkeitseigenschaften verbirgt. Wie Sie sehen werden, kann man hierunter verschieden stark ausgeprägte gesunde, aber auch problematische oder gar krankhafte Formen des Strebens nach Selbstwert verstehen. Lassen Sie uns mit dem gesunden Streben nach Selbstwert beginnen.

Das gesunde Selbstwertgefühl