IBN NAQIYA
Moscheen, Wein und
böse Geister
Die zehn Verwandlungen des
Bettlers al-Yaschkuri
Erstmals aus dem Arabischen übertragen,
eingeleitet und erläutert von Stefan Wild
C.H.Beck
Neue Orientalische Bibliothek
Die «Verwandlungen» des Ibn Naqiya (1020–1092) sind ein ungehobener Schatz der arabischen Literatur. Nur durch Glück hat sich eine einzige Handschrift der anstößigen, alle Konventionen aufs Korn nehmenden Erzählungen über die Jahrhunderte erhalten. Erstmals aus dem Arabischen übersetzt, entfalten die Geschichten auch für heutige Leser ihren subversiven Charme.
Bagdad war im 11. Jahrhundert vielleicht die wichtigste, sicher aber die interessanteste Stadt der Welt, bevölkert von Theologen, Philosophen und Freigeistern, Künstlern und Kaufleuten, Söldnern und Banditen. In diesem Milieu spielen die zehn zwischen Derbheit, Posse und Raffinement changierenden Episoden des Bagdader Schriftstellers Ibn Naqiya. In ihrem Mittelpunkt steht der listenreiche al-Yaschkuri, der sich mithilfe seines Sprachwitzes, seiner Verschlagenheit und seiner stets neuen Verwandlungen in einer unwirtlichen Welt durchschlägt. Verkleidet als Bettler oder Prediger, als frommer Moscheebesucher, Gelehrter oder Prophet zieht er durch die Lande und meistert pfiffig und unverschämt die Herausforderungen des (Über-)Lebens.
«Stefan Wild bringt eines der schillerndsten Werke der klassischen arabischen Dichtkunst in federleichtes Deutsch und führt zugleich wie nebenher in eine Kultur ein, die beispielhaft fromm und empörend frivol sein konnte – am selben Ort, zur selben Zeit, im selben Buch.» Navid Kermani
Stefan Wild, Professor em. für Semitische Philologie und Islamwissenschaft an der Universität Bonn, gehört zu den besten Kennern der klassischen arabischen Literatur. Für sein wissenschaftliches Lebenswerk wurde er mit dem Preis der Helga und Edzard Reuter-Stiftung ausgezeichnet.
VORWORT
EINLEITUNG – Ibn Naqiya und seine Zeit
1. Der Schauplatz: Bagdad im elften Jahrhundert
2. Der Verfasser: Ibn Naqiya
Das Buch der Perlen über die Vergleiche im Koran
Das Buch Thaʿlab
3. Das Genre der Makamen
Standreden gegen die Mächtigen
Hamadhani, Hariri und Harizi
Europäische Nachbildungen der Makamen des Hariri
4. Ibn Naqiyas Makamen und ihre Themen
Subversive Kunst
Der Skandaldichter Abu Nuwas als Vorbild
Lob des Weins
Schmähungen und Gegenschmähungen
Sexualität und Homoerotik
Toleranz der Ambiguität
Verbotene Musik
Neuzeitliche Makamen-Kritik an Ibn Naqiya und seinem Vorgänger
5. Überlieferung und Übersetzung
IBN NAQIYA – Die Verwandlungen
Vorwort des Ibn Naqiya
Die erste Verwandlung des Ibn Naqiya
Die Eidechsen-Makame
Die zweite Verwandlung des Ibn Naqiya
Die Grabräuber-Makame
Die dritte Verwandlung des Ibn Naqiya
Die Moscheen-Makame
Die vierte Verwandlung des Ibn Naqiya
Die Bagdad-Makame
Die fünfte Verwandlung des Ibn Naqiya
Die Herbst-Makame
Die sechste Verwandlung des Ibn Naqiya
Die Materialisten-Makame
Die siebte Verwandlung des Ibn Naqiya
Die Dichter-Makame
Die achte Verwandlung des Ibn Naqiya
Die Dschinnen-Makame
Die neunte Verwandlung des Ibn Naqiya
Die Wein-Makame
Die zehnte und letzte Verwandlung des Ibn Naqiya
Die Propheten-Makame
ANMERKUNGEN ZUR EINLEITUNG
LITERATUR
Klassische arabische Werke
Sekundärliteratur
Für Gerlind
Die «Verwandlungen» des Bagdader Theologen, Poeten und Schriftstellers Ibn Naqiya (1020–1092) sind ein bisher nahe-zu ungehobener Schatz der arabischen Literatur der Vormoderne. Es sind zehn kurze, zwischen Derbheit, Posse und Raffinement changierende Episoden oder Verwandlungen, zusammengehalten durch ihren Bagdader Hintergrund und durch knittelversähnliche arabische Poetik. Ich habe versucht, diesen Schatz einem heutigen deutschsprachigen Publikum nahezubringen, ohne es dabei mit Anmerkungen arabistischer oder islamwissenschaftlicher Art zu überfrachten. Daher habe ich auch die Punkte, Striche und Häkchen der arabistischen Umschrift im Hauptteil weitgehend weggelassen. Im Anhang sind sie dagegen zu finden.
Ein anonymer Zeitgenosse des Ibn Naqiya kritisierte eine dieser Verwandlungen, indem er an den Rand des einzig erhaltenen arabischen Manuskripts schrieb: «Der Verfasser hat nichts erwähnt, was zur Sprachwissenschaft oder zur feinen Bildung gerechnet werden könnte. Er zeigt so allerdings nur den Mangel an wahrer Bildung.» Diesem Verdikt möchte der Verfasser dieser Übersetzung etwa tausend Jahre später freundlich, aber entschieden entgegentreten.
Ohne die besondere Hilfe und weitgehende Unterstützung von Mohammed Al-Hashash und Jens Bakker hätte ich die Übersetzung der Verwandlungen, die sich über fünfundzwanzig Jahre hinzog, niemals zu Ende bringen können. Ihnen beiden gilt mein besonderer Dank.
Wichtig in vielerlei Hinsicht waren mir weiter: Thomas Bauer, Hinrich Biesterfeldt, Hartmut Bobzin, Frank Griffel, Birgitt Hoffmann, Angelika von der Lahr, Martina Müller-Wiener, Judith Pfeiffer, Gerhard Väth und Daniel H. Wild.
Mein Dank gilt darüber hinaus dem überragenden Lektorat von Ulrich Nolte.
Stefan Wild
Ibn Naqiya und seine Zeit
Bagdad war seit dem Jahr 750 die Hauptstadt eines riesigen muslimischen Reiches mit dem Kalifen als Mittelpunkt der islamischen Welt – zumindest dem Anspruch nach. Die byzantinische und die arabische Wissenschaftskultur waren, was Philosophie, Medizin, Mathematik, aber auch «Geheimwissenschaften» wie Alchemie (ein arabisches Lehnwort) und Astrologie betraf, derjenigen Westeuropas zu dieser Zeit turmhoch überlegen.[1] Arabische und syrische Christen hatten bereits im zehnten Jahrhundert fast den gesamten Aristoteles aus dem Griechischen über eine syrisch-aramäische Zwischenübersetzung ins Arabische übertragen.[2] Die Bagdader Bibliotheken stellten damals alles in den Schatten, was in den vergleichsweise provinziellen europäischen Klosterbibliotheken zu finden war.
Der Einfluss griechischer Kultur ging in Bagdad sehr weit: Der Kalif al-Mahdi (reg. 775–785) ließ die Topoi des Aristoteles ins Arabische übersetzen. Dieses griechische Werk mit seinem Augenmerk auf dialektischer Rhetorik und Disput beeinflusste die arabische Theologie und Philosophie seit dem achten Jahrhundert. Dem Kalifen al-Maʾmun (reg. 812–833) erschien Aristoteles sogar im Traum – und der Herrscher ließ sich von ihm in griechischer Weisheit unterrichten. Unter al-Maʾmuns Kalifat wurde 832 in Bagdad ein «Haus der Weisheit» errichtet; der Kalif ließ an seinem Hof Dialoge zwischen Muslimen und Christen zu. Kein Papst hätte zu dieser Zeit in Rom einen Muslim zu Wort kommen lassen.
Als Ibn Naqiya im Jahr 1020 in Bagdad geboren wurde, hatte die Stadt allerdings schon viel vom Glanz der früheren Zeit verloren. Die im elften Jahrhundert in Bagdad residierenden Kalifen beherrschten von ihrer Hauptstadt aus schon lange nicht mehr das ganze islamische Reich zwischen Andalusien und dem zentralasiatischen Grenzfluss Oxus, das längst zersplittert war. Doch das sunnitische Kalifat bestand noch: Im Geburtsjahr des Ibn Naqiya hieß der Nachfolger des Propheten Mohammed, der sich den Beinamen «Schatten Gottes auf Erden» geben durfte, al-Qadir billah – «der durch Gott Mächtige» (991–1031). Aber selbst in der unmittelbaren Nachbarschaft des Kalifen herrschten von dynastischen Streitigkeiten getriebene politische Kasten. Der Kalif selbst galt mehr und mehr als Inhaber eines rein repräsentativen Amtes ohne militärische und politische Macht. Ibn Naqiya erlebte als Fünfunddreißigjähriger (um 1055), wie türkische Seldschuken – eigentlich Sunniten – sich dem schiitischen Gegenkalifen in Kairo andienten, um Bagdad zu beherrschen. In den Freitagspredigten wurde für kurze Zeit nicht mehr der Name des sunnitischen Herrschers von der Kanzel gerufen, sondern der seines schiitischen Widersachers. Zudem machten bewaffnete Gruppen, die in den historischen Quellen oft als kurdische Banditen bezeichnet werden, ganze Bagdader Stadtviertel dauerhaft unsicher.
Bagdad blieb dennoch eine Stadt der Wissenschaft. Hier wurde mit dem Wesir Nizamulmulk (er starb 1092, im selben Jahr wie Ibn Naqiya) einer der bedeutendsten muslimischen Staatstheoretiker seiner Zeit gefeiert. Bekannt wurde er unter anderem, weil die nach ihm benannte Nizamiyya-Schule das berühmteste theologische Zentrum des sunnitischen Islams war und weil es ihm gelang, den arabischen Philosophen und Theologen al-Ghazali (1056–1111),[3] den «Algazel» des lateinischen Mittelalters, hierherzuholen. Al-Ghazali hatte einige Zeit im iranischen Isfahan gelehrt und war von dort im Juli 1091 nach Bagdad übergesiedelt. Als hochangesehener Gelehrter trat er hier die Stelle als Haupt der Nizamiyya-Schule an und wurde zu ihrem bedeutendsten Lehrer. Sein weit verbreitetes arabisches Werk Die Wiederbelebung der Religionswissenschaften sollte ein Weckruf sein. Es galt und gilt nach dem Koran vielen Sunniten bis heute als wichtigstes theologisches Gesamtwerk über den sunnitischen Islam. Al-Ghazali distanziert sich darin von allen schiitischen oder materialistischen Bestrebungen. Noch schroffer weist er diejenigen arabischen Philosophen zurecht, die sich für Aristoteles, Plato, Sokrates und andere «hochtönende griechische Philosophen», wie er sie abfällig nennt, interessieren.
Neben den Theologen gab es in Bagdad zahlreiche gelehrte Zirkel, die ein gerütteltes Maß an religiöser Freisinnigkeit pflegten. In verschiedenen Zirkeln wurde vom Kaufmann bis zum Kalifen zwar auch, aber keineswegs nur strenggläubig Theologisches besprochen. Ibn Naqiya ist ein Beispiel dafür. Es ist sehr wohl möglich, dass er als Korangelehrter in seinem letzten Lebensjahr al-Ghazali in Bagdad begegnet ist. Sehr unwahrscheinlich ist, dass Ibn Naqiya von ihm und seinen Schriften gar nichts gewusst haben soll. Leider gibt es dafür jedoch keine Belege.
Unter dem Namen «Algazel» wurde al-Ghazali in lateinischer Übersetzung auch der Pariser Schule bekannt. Etwa zwei Jahrhunderte später setzte sich Thomas von Aquin (gest. 1274) mit ihm auseinander und schrieb sein Buch Über die Vernunft des Glaubens (De ratione fidei) als eine Verteidigung des christlichen Glaubens gegen den Islam. Thomas’ bedeutende Schrift Summa gegen die Heiden (Summa contra gentiles) war ein für christliche Missionare gedachtes philosophisches Handbuch zur Missionierung der Muslime in Spanien und Nordafrika. Neben den philosophisch-theologischen Werken des Ghazali wurden später auch die philosophischen Thesen des ebenso berühmten Ibn Rushd (latinisiert «Averroes», geb. 1126 in Cordoba, gest. 1198 in Marrakesch), eines erbitterten Widersachers des Ghazali, in Europa bekannt. An der Pariser Universität erfreute dieser sich so großer Beliebtheit, dass der «lateinische Averroismus» 1277 als heidnisch verboten wurde.[4]