Willkommen im LOTUS HOUSE!
Als die langjährige Yogalehrerin Mila Mercado an einem neuartigen Kurs teilnehmen soll, ahnt sie noch nicht, dass der selbstbewusste und attraktive Neuling Atlas Powers ihr mehr beibringen wird, als nur eine sehr kontroverse und erotische Art des Yoga. Zwischen den beiden entbrennt eine göttliche Lust, die alles um sie herum in Brand setzt. Eine Lust, der sie nicht widerstehen können ...
Roman
Aus dem Amerikanischen
von
Lucia Sommer
Ullstein
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Deutsche Erstausgabe im Ullstein Taschenbuch
1. Auflage Juli 2019
Copyright © für die deutsche Ausgabe
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019
Copyright © by Waterhouse Press 2018
Published by arrangement with Waterhouse Press LLC
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
Devine Desire. A Lotus House novel, erschienen bei
Waterhouse Press LLC
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Titelabbildung: FinePic®, München
Autorenfoto: © Melissa McKinley Photography
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Alle Rechte vorbehalten.
ISBN 978‑3-8437-2067-0
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Für meine Schwester Michele Moulyn.
Wenn es auf dieser Welt jemanden gibt,
der den Wert von Entschlossenheit,
Willen und Aufopferungsbereitschaft
kennt … dann bist das du.
Du bist ein großartiges Vorbild dafür,
was es heißt, hart zu arbeiten.
In Dankbarkeit und Liebe, dies ist für dich.
Solarplexus-Chakra
Der offizielle Sanskritname für das dritte Chakra oder das Solarplexus-Chakra ist Manipura. Es sitzt in der oberen Bauchhöhle. Durch die Stärkung unserer Körperenergie-Balance wird das dritte Chakra zum Zentrum unserer Vitalität und Gesundheit.
»Mila, oh Gott, das ist ja unglaublich!«, keuchte Moe und hielt sich eine zarte Hand vor die vollen Lippen. »Lily wird begeistert sein! Danke, das ist so toll, dass du das machst!«
Ich verdrehte die Augen. »Moe, hör auf. Du bist meine beste Freundin, und Lily ist praktisch meine Nichte. Natürlich malt Tante Mimi ihr ein schönes Wandbild. Wer denn sonst?« Ich sah sie mit hochgezogener Augenbraue an, um klarzumachen, dass ich es ernst meinte.
Moe, kurz für »Monet«, war chinesisch-amerikanischer Abstammung und wahnsinnig hübsch. Die Frau war das genaue Ebenbild von Lucy Liu. Sie hatte lange schwarze Haare, die ihr kaskadenartig über den Rücken fielen und kurz über ihrem Hintern den oberen Rand ihrer weißen Caprihose streiften. Sie saß im Schneidersitz auf dem Boden und betrachtete mein Werk.
Ein paar mehr Blätter in der oberen rechten Ecke und noch ein paar Striche an der Brücke, und der verwunschene Fantasiegarten, der die gesamte Wand des Zimmers meiner dreijährigen Quasi-Nichte bedeckte, wäre fertig. Seit Moes hässlicher Scheidung hatte ich sehr viel mehr Zeit bei ihr verbracht, als eigentlich gut war, aber wenn meine beste Freundin mich brauchte, dann war ich zur Stelle. Außerdem würde sie für mich genauso alles tun. Ich hatte jahrelang meine Fähigkeit perfektioniert, alles selbst zu erledigen. Solange ich weiterhin zehn Vinyasa-Flow-Stunden die Woche unterrichtete, verdiente ich mit meiner Arbeit im Village Yoga Center im Grunde genommen auch genug Geld. Doch nachdem sie jetzt einen neuen Lehrer angestellt hatten, der wohl eine »neue Sichtweise« mitbrachte, gab mir das etwas zu denken.
Sollte ich vielleicht auch an anderen Orten unterrichten? Vielleicht mein eigenes Studio eröffnen?
Oder widersprach das den Zielen, die ich mir für meine Kunst gesetzt hatte?
Seufzend betrachtete ich Lilys Wand. Ich wusste, dass ich eine gute Künstlerin war. Sogar besser als die meisten. Talent war es nicht, was mir fehlte. Sondern Zeit. Zusätzlich zur Arbeit im Yogastudio unterrichtete ich an den Wochenenden einen Brunch-Malkurs, den ich nach meiner besten Freundin »Monet & Mimosen« genannt hatte. Sie fand es clever. Der Nebenjob brachte eindeutig das Extrageld ein, mit dem ich die Malutensilien und meine Stromrechnung bezahlte.
»Was hat eigentlich die La Luz Gallery in Oakland gesagt? Machen sie jetzt eine Ausstellung mit dir?«, fragte Moe, den Blick immer noch auf das Wandbild gerichtet.
Ich atmete langsam ein und zupfte an den Teppichfransen. »Meine Arbeit gefällt ihnen. Sehr sogar.«
Sie warf ihre Haare über die Schulter und sah mich an. Ich konnte es nicht ausstehen, wenn ihre schwarzen Augen so funkelten, als wüsste sie ganz genau, was ich sagen wollte, noch bevor ich es aussprach. Moe war schon immer sehr intuitiv gewesen. Besonders wenn es um mich ging.
Ich schnalzte mit der Zunge und tippte mit dem Pinsel auf meine Lippen. Der beißende Geruch von Farbe kitzelte die empfindliche Haut in meiner Nase. Ich nieste. »Du weißt, was sie gesagt haben, Moe. Wir hatten dieses Gespräch schon öfter.«
Sie wandte ihren Blick ab. Die Geste reichte. Ich presste die Lippen zusammen und dachte an all die Gründe, warum ich dieses Gespräch nicht weiter fortführen sollte.
»Mila. Du musst dir für deine Kunst mehr Zeit nehmen.«
Stöhnend ließ ich mich zurück auf den flauschigen Teppich fallen. »Sie haben gesagt, ich hab nicht genug Bilder für eine Ausstellung. Ich brauche mindestens fünfundzwanzig, es sei denn, ich würde die Ausstellung mit drei anderen zusammen machen wollen. Mit zehn Werken pro Nase.«
Sie schürzte die Lippen. »Na ja, das wäre doch eine Option. Ich meine, wenn du Geld verdienen willst, musst du ein paar Bilder verkaufen. Auch wenn ich weiß, dass das nicht das ist, wovon du träumst.«
Das Gewicht von meinem »Traum« lastete wie ein Amboss auf meiner Brust und stach mir die Rippen ins Herz. Wenn ich mich genug konzentrierte, konnte ich mir sogar das leise Knacken jedes einzelnen Knochens vorstellen, während mein Traum mich von außen nach innen zerstörte.
»Nein, ist es nicht. Andererseits, wer sagt denn, dass man alles auf einmal haben muss? Vielleicht muss man sich Träume auch Stück für Stück erarbeiten. Wie eine Leiter hochklettern. Man kann nicht einfach nach oben springen. Man muss sich schon anstrengen. Stimmt’s?«
Moe legte sich neben mich auf den Teppich und stützte ihren Kopf auf einer Hand ab. »Wie lange kennen wir uns schon, Mila?«
Ich verdrehte die Augen. »Äh, seit der Highschool. Ich war in der Neunten, du in der Zwölften.«
»Also beinah zehn Jahre«, fasste sie zusammen.
Ich lächelte. Moe, die Therapeutin, war immer so genau. Ich hatte den Verdacht, sie würde noch anfangen, mich wie ihre Patienten einer Psychoanalyse zu unterziehen. Eine Frau zur besten Freundin zu haben, die jede Facette deines Gehirns analysieren konnte, war nicht immer ideal. Normalerweise beschränkte sie das Auseinandernehmen meines Gehirns auf ein Minimum. Heute schien allerdings keiner dieser Tage zu sein. »Moe …«, warnte ich sie.
Sie wedelte mit der Hand vor ihrem Gesicht rum. »Nein, nein. Lass mich ausreden.«
»Okay, schieß los, Dr. Holland. Lass dein Psychogelaber raus. Mach mich fertig! Gib alles!« Ich legte den Kopf schräg.
Moe grinste. Oje, da konnte ich mich ja auf was gefasst machen.
»Für mich sieht das so aus, als hättest du in letzter Zeit versucht, dich mit lauter Sachen zu beschäftigen, die dich möglichst davon abhalten sollten, neue Bilder zu schaffen.«
»Im Ernst?«, fragte ich spöttisch. »Das ist dein Eindruck? Moe, du weißt, dass ich arbeiten muss. Ich habe ein Maul zu stopfen. Meins! Und Rechnungen zu bezahlen. Und dann sind da noch diese ganzen verdammten Abbuchungen jeden Monat.«
Sie seufzte tief. »Du machst mich noch wahnsinnig. Ich habe dich oft genug gefragt, ob du nicht hier einziehen willst. Seit Kyle weg ist …« Moe verzog das Gesicht und schluckte, bevor sie weitersprach. »Na ja, hier sind doch nur Lily und ich. Du weißt, wie sehr Lily sich freuen würde, wenn Tante Mimi öfter hier wäre. Und die Dreifach-Garage wäre ein ideales Atelier.«
Ich murmelte: »Moe, ich bin nicht dein Wohltätigkeitsprojekt.«
Sie sprang auf, als hätte eine Schlange sie in den Hintern gebissen. »Natürlich nicht! Aber du hast die letzten drei Wochenenden deine Freizeit damit verbracht, ein Wandgemälde für Lily zu malen. Ich würde dir gern etwas zurückgeben.«
Ich schnaubte vor Lachen. »Ja, genau. Du kannst mich dafür gern zum Essen und ins Kino einladen, Moe, aber ein Wandgemälde gibt mir nicht das Recht, mietfrei bei dir zu wohnen!«
Ihre Lippen waren nur noch eine dünne weiße Linie. Oje, sie war sauer auf mich. Das passierte mir gerne mal, dass ich die Leute verstimmte. Moe allerdings würde es mit ihrer respekt- und taktvollen Art wegstecken. Ihre Freundlichkeit war angeboren, es war ein Wesenszug, den man nicht erlernen konnte. Moe war einfach gut, durch und durch. Wahrscheinlich liebte ich sie deshalb so sehr. Sie war in vielen Eigenschaften so ganz anders als ich. Und sie gab mir ein Ziel, auf das ich hinarbeiten konnte. Nicht, dass ich so nicht schon genug gehabt hätte.
»Wie auch immer, ich fände es toll, wenn du hier wohnen würdest. Das Haus ist groß genug für eine sechsköpfige Familie. Kyle und ich wollten möglichst viele Kinder, aber dann, na ja, den Rest kennst du.«
»Ja, stimmt. Da fällt mir wieder ein … Wo ist noch mal die Axt? Draußen im Schuppen? Ich muss noch etwas Holz hacken.«
Moe packte mich am Arm. »Ich weiß, du hasst ihn. Ich auch, aber Gewalt ist keine Lösung.«
»Wirklich? Mit ein bisschen Gewalt würde ich mich gerade viel besser fühlen.« Ich grinste sie an.
Moe lachte. »Denk einfach noch mal drüber nach, ob du nicht doch bei uns einziehen magst, ja? Ich würde dich auch Miete zahlen lassen. Sagen wir … zweihundert Dollar.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ein Zimmer plus Nebenkosten und Atelier sind sehr viel mehr wert als zweihundert.«
Sie verengte die Augen zu wütenden Schlitzen. Moe hasste es, über Geld zu reden. Nachdem ihr Mann sie auf unverzeihliche Weise beschissen hatte, hatte er noch die Dreistigkeit besessen, bei der Richterin Unterhalt einzufordern. Was eine rundum schlechte Idee war. Moe war mit mehr als der Hälfte der Menschen am Gericht befreundet.
Moe führte nämlich nicht nur eine sehr erfolgreiche Privatpraxis für Psychotherapie, sondern arbeitete auch als Gerichtsmediatorin. Die Richterinnen und die meisten Anwälte liebten sie und hätten niemals zugelassen, dass sie von ihrem Ex dermaßen verarscht wird. Abgesehen von ihrem eigenen Erfolg war Moe die Alleinerbin des Millionenvermögens der Hollands. Als einzige Blutsverwandte hatte sie alles aus dem Import-und-Export-Geschäft ihrer Großeltern geerbt. Auch wenn die meisten Menschen, die wir kannten, niemals auf die Idee kämen, dass sie so reich war. Sie protzte nicht mit ihrem Vermögen.
»Geld ist für mich kein Thema.« Ihr Ton war ausdruckslos.
»Ich weiß, aber für mich ist es eins. Danke trotzdem für das Angebot.« Ich stand auf und fing an aufzuräumen. Ich wollte das Thema einfach beenden.
»Versprich mir nur, dass du drüber nachdenkst. Es wäre mir echt lieber, du wärst hier bei uns und würdest uns Gesellschaft leisten, als dass du dich totarbeitest. Du brauchst deine Energie viel dringender für deine Kunst.«
»Moe, ich liebe Yoga. Ich arbeite mich nicht tot.«
Sie legte den Kopf schief. »Nein, aber zehn Yogastunden die Woche, plus jedes Wochenende betrunkene Alkoholikerinnen im Malen unterrichten und nebenbei noch deine eigenen Projekte malen kommen dem schon nahe. Wenn du hier wohnen würdest, müsstest du die Wochenenden nicht für die Arbeit opfern, sondern könntest sie für deine Kunst nutzen. Denk drüber nach. Du weißt doch, dass ich nicht aufgeben werde, bis du irgendwann zustimmst.«
Ich ging auf sie zu, schlang die Arme um sie und zog sie an mich. Sie duftete wie stets nach frischem Jasmin direkt vom Strauch. Wahrscheinlich war es ihre Bodylotion, aber in all den Jahren, die wir schon befreundet waren, hatte ich sie nie danach gefragt. Ich hatte immer nur die Vertrautheit ihres Dufts genossen.
»Versprochen. Und mach ein Video von Lily, wenn sie ihr Zimmer zum ersten Mal sieht, ja? Du musst es mir sofort schicken.«
Sie lächelte. »Aber klar. Sie wird total begeistert sein. Sie ist ganz besessen von dem Buch Der geheime Garten und davon, wie die Kinder in ihre eigene Welt entfliehen. Ich finde es großartig, dass sie ganz von allein darauf gekommen ist, dass das etwas Besonderes ist. Und was du für sie getan hast …« Moe schniefte, und ihre Augen schimmerten verdächtig.
Oh nein! Sie war kurz davor zu weinen. »Keine Tränen! Nein, denk ja nicht dran! Wenn du weinst, weine ich auch.« Ich schüttelte den Kopf und fuhr mir mit den Händen durch die schulterlangen Haare. »Lass es einfach.«
Moe schniefte noch mehr, zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und putzte sich die Nase. Trugen alle Mütter so was mit sich herum? Seltsam.
»Ich weiß, ich weiß. Aber nach der Scheidung … und die Tatsache, dass er nichts mehr mit Lily zu tun haben will, nur weil sie nicht sein biologisches Kind ist … Ich bin einfach …« Eine Träne kullerte ihr über die Wange. Ich wischte sie mit dem Daumen weg.
»Er ist ein Arschloch, Moe, und letztendlich wird ihn sein Karma heimsuchen. Das weißt du doch. Und sie auch.« Ich musste noch nicht mal den Namen sagen. Wir wussten beide sehr genau, wer sie war.
Moe nickte, tupfte sich Augen und Nase noch mal mit dem Taschentuch ab und steckte es wieder ein. »Okay. Dann mal los, mach dich für deinen Kurs bereit. Ich räume hier noch schnell auf, bevor ich Lily von der Krabbelgruppe abhole. Wünsch mir Glück!«
Ich warf mir die Tasche über die Schulter. »Nicht nötig. Lily liebt ihre Mommy, und sie wird ihr Zimmer lieben. Bald mal wieder zusammen abendessen?«, fragte ich auf dem Weg nach draußen.
»Unbedingt. Bis zum Mond und wieder zurück?«, fragte sie.
»Bis zum Mond und wieder zurück.«
»Du willst was unterrichten?«, fragte Jewel, und ihre Gesichtszüge überließen nichts der Fantasie.
»Erklär doch noch mal, wie das funktionieren soll, ohne dass wir wegen sexueller Belästigung oder unsittlichen Verhaltens in der Öffentlichkeit angeklagt werden«, sagte Crystal ruhig. Sie war Miteigentümerin des Studios und die Vernünftigere von den beiden.
Ich ging in dem kleinen Büro meines neuen Arbeitgebers, dem Village Yoga Center, auf und ab. »Ich weiß, es ist ein ziemlich radikales und neues Konzept, das erst mal etwas schwierig zu verstehen ist.«
Crystal lachte. Jewel sah mich spöttisch an.
»Okay, die Teilnehmenden müssten vorher unterschreiben, dass sie das Studio von der Haftung wegen sexueller Kommentare, unanständigen Verhaltens und so weiter entbinden. Ich würde mich vor jeder Stunde persönlich um die Unterschriften kümmern.«
Jewel runzelte die Stirn. »Ich weiß nur nicht, ob wir diesen Weg beschreiten wollen. Ich meine, das ist schon ziemlich ausgefallen, sogar für die Yoga-Community, und wir sind wahrscheinlich das aufgeschlossenste von allen körperlich und spirituell arbeitenden Studios.«
Ich zeigte auf Jewel. »Du hast absolut recht. Dieser Kurs nimmt den Teilnehmenden alle Zweifel und erlaubt ihnen, auf eine befreiende und erlösende Weise in sich zu gehen, die nicht nur körperlich, sondern auch spirituell ist.«
Crystal lachte. »Das glaube ich gern. Und du hast diese Art von Yoga schon mal gemacht? In New York?«
Ich nickte und lehnte mich gegen das Verkaufsregal mit den Yoga-DVDs und Meditations-CDs. »Ich habe es letzten Sommer unter einem Guru erlernt. Anfangs sind die Teilnehmenden noch etwas befangen, aber diejenigen, die es durch die erste Stunde schaffen, bleiben dabei. Die Erfahrung ist einfach einzigartig. Alle Schichten ablegen, die uns runterziehen, ist, wie die eigene Erlösung zu finden.«
Jewel schürzte die Lippen. »Ich weiß nicht, Atlas. Was denkst du, Crystal? Ist Lotus House bereit für etwas so Hippes?«
Crystal holte tief Luft. »Wie wäre es, wenn wir es für ein paar Wochen ausprobieren? Sagen wir vier Wochen? Wenn unsere Mitglieder es auf dem Stundenplan sehen, sich anmelden und begeistert sind, können wir in Verlängerung gehen und noch mehr Stunden anbieten. Einverstanden?«
Ich hätte über den Tisch springen und sie knutschen können. Wenn sie nicht diese »Alle meine Angestellten sind meine Schäflein«-Art an sich gehabt hätte, hätte ich’s gemacht.
»Acht Wochen. Ich brauche mindestens acht Wochen, um den Kurs zum Laufen zu bekommen. Dash hat mir erzählt, dass seine Tantra-Yoga-Workshops Monate gebraucht haben, bis sie richtig angenommen wurden, und jetzt sind sie immer ausgebucht, und es gibt sogar eine Warteliste. Ich weiß, es ist nur eine Stunde pro Woche, aber ich muss erst mal Werbung machen, das Interesse wecken. Ich dachte, wir könnten einen Flyer am Empfang auslegen. Ich könnte einen entwerfen.«
Jewel und Crystal saßen schweigend da und sahen mich an. Die beiden waren optisch komplette Gegensätze. Crystal mit ihren langen goldenen Haaren und den klaren blauen Augen wirkte wie ein Engel, und sie hatte das sanfteste Lächeln, das ich je gesehen hatte. Jewel dagegen hatte leuchtend rote Locken, und ihre Haut war so blass wie eine Süßwasserperle. Ihre Augenfarbe war durch die schwarz gerahmte Brille schwer zu erkennen.
Während ich darauf wartete, dass sie etwas sagten, hätte ich schwören können, die entfernten Geräusche aus der Yogastunde den Gang hinunter zu hören. Verdammt, ich konnte mein eigenes Ein- und Ausatmen hören wie durch ein Megafon.
»Ich würde sagen, sechs Wochen«, schlug Crystal vor.
»Einverstanden«, sagte Jewel. »Aber du musst das Konzept zum Laufen bringen.«
Ich schlug die Hände zusammen. »Ihr werdet es nicht bereuen.«
Die beiden Frauen sahen sich an und lächelten. »Das hoffe ich«, sagte Crystal.
»Also, wie ist dein Plan?« Jewel stützte die Ellbogen auf den Tisch und legte den Kopf schief.
Jetzt, da ich wusste, dass sie dem neuen Kurs mindestens sechs Wochen lang eine Chance geben würden, setzte ich mich aufs Zweiersofa. »Nun, ich werde damit anfangen, alle hier Unterrichtenden zu bitten, in den ersten Wochen an wenigstens einer der Stunden teilzunehmen. Ich denke, wenn die Studiogäste sehen, dass ihre Trainerinnen und Trainer, Menschen, denen sie vertrauen, auch mitmachen, bringen sie vielleicht auch den Mut auf. Und ich hoffe natürlich, dass die anderen Unterrichtenden selbst so begeistert sind, dass sie in ihren Kursen davon erzählen.«
Jewel runzelte die Stirn. »Das ist ganz schön viel verlangt. Wie du ja weißt, zahlen wir am Anfang pauschal zwanzig Dollar pro Unterrichtsstunde, egal, ob eine oder dreißig Leute daran teilnehmen. Aber ab fünf Teilnehmenden gibt es pro Person zwei Dollar mehr. Das heißt, wenn die Person zu deinem statt zum Kurs der anderen Trainer geht, bekommst du das zusätzliche Geld.«
Ich atmete lang und heiß aus. »Verstehe. Das ergibt natürlich Sinn, aber trotzdem. Ich würde anderen genauso helfen, einen neuen Kurs zu etablieren. Und die Trainerinnen und Trainer hier scheinen auch alle sehr hilfsbereit zu sein.« Während ich das sagte, musste ich sofort an die eine hitzköpfige Frau denken – Mila Mercado, deren bloße Existenz mein Blut auf die bestmögliche Weise in Wallung brachte. Aber sie war mit Sicherheit ein harter Knochen. »Ich hoffe, dass sie sich darauf einlassen und ich im Gegenzug in meinen Stunden Werbung für ihre Kurse machen kann.«
»Also gut. Dann mach deine Hausaufgaben, und bereite dich vor. Mein Mann wird den neuen Kurs auf den Stundenplan setzen«, sagte Crystal. »Bis heute Abend brauchen wir per E-Mail eine Kursbeschreibung. Und überarbeite bitte einen unserer Disclaimer, und schick uns den zum Gegenlesen und Absegnen.«
Ich machte mir im Handy Notizen, damit ich nichts vergaß. Am Abend hatte ich noch einen Auftritt. Ich müsste all diese Punkte erledigen, sobald ich gegangen war, damit ich anschließend zum Soundcheck in den Club konnte. Und am nächsten Morgen musste ich gleich eine Hot-Vinyasa-Flow-Stunde geben. Der Abend würde lang werden, aber die zusätzliche Arbeit würde sich lohnen, wenn ich das neue Konzept damit zum Laufen brachte.
»Ich danke euch. Wirklich. Ich weiß, die Idee ist ziemlich außergewöhnlich, aber tief in mir spüre ich, dass die Leute begeistert sein und ihren Freundinnen und Kollegen von ihren Erfahrungen berichten werden. Lotus House wird einen ganzen Haufen neuer Stammgäste gewinnen! Bei den jungen Leuten vom College kommt das Konzept bestimmt auch super an, und ihr habt doch immer nach neuen Ideen gesucht, die für Yoga zu gewinnen. Das hier … das wird großartig!«
Crystal lächelte, und Jewel stand auf und streckte mir die Hand entgegen. »Wir zählen auf dich.«
Wie ein Verrückter grinsend schüttelte ich ihr die Hand. »Ich werde es wahr machen. Vertraut mir.«
Da stand Crystal auf, kam um den Tisch und umarmte mich. »Vertrauen ist alles, was man im Leben braucht.«
Damit hatte sie verdammt recht. Ich hatte das Gefühl, in meinen achtundzwanzig Jahren auf diesem Planeten bisher die ganze Zeit nur darauf gehofft und dafür gebetet zu haben, dass irgendetwas passierte. Dies war das erste Mal, dass ich meine Kreativität für etwas Magisches nutzte. Leider würde mein Auftritt nicht so werden, wie ich es mir erhofft hatte, trotz der zehn Jahre, die ich jetzt schon versucht hatte, mir im Meer von namenlosen Künstlern einen Namen zu machen.
Die Musikindustrie war wirklich hart. Ich war schon so oft kurz davor gewesen, einen Plattenvertrag angeboten zu bekommen, dass ich es an beiden Händen und Füßen abzählen konnte. Und da waren die vielen Absageschreiben von unzähligen Produzenten, die mir mitteilten, dass meine Stimme gut funktionierte und die Texte hervorragend waren, dem Gesamtpaket aber etwas fehlte, noch nicht mitgezählt. Ich hatte immer noch nicht herausgefunden, was das »gewisse Etwas« ausmachte, aber ich wollte meinen Traum unbedingt verwirklichen. Ich würde niemals aufhören, ihn zu verfolgen, bis eines Tages meine Leidenschaft zu meinem Job geworden wäre. Fürs Erste war Yoga für mich nicht nur eine Möglichkeit, Geld zu verdienen, sondern auch zu mir selbst zu finden. Yoga half mir, alles nach innen zu holen, wo die Dinge simpel, einfach, ausgeglichen waren. Jetzt musste ich genau diesen Zen-Spot nur noch in meine Musik übertragen.
Eins nach dem anderen. Das sagte mir mein Freund Dash ständig. Ihn würde ich als Erstes bitten, an meinem Kurs teilzunehmen. Vielleicht würde er noch Amber überreden und sie ihre beste Freundin Genevieve, die Hatha und Prenatal Yoga unterrichtete. Obwohl sie gerade erst ein Kind bekommen hatte. Allerdings würde dann vielleicht auch ihr Mann, der berühmte Baseballspieler, mitkommen. Wenn er an dem Kurs teilnehmen würde, kämen die Frauen garantiert in Scharen.
Ja. Das war es. Ich nahm mir vor, Dash und seiner Frau von meiner Idee zu erzählen und sie darum zu bitten, ihre Freunde zu informieren. Es würde sich alles fügen. Ich konnte das. Und sobald der Laden lief und mein Einkommen sicher war, würde ich mich um das »gewisse Etwas« kümmern, das ich meinem Gesamtpaket noch hinzufügen musste. Ich zog an dem Schlüssel, den ich als Glücksbringer an einer Kette um den Hals trug. Der Schlüssel war das Letzte, was mein Vater mir gegeben hatte, bevor er Mom und mich vor zwanzig Jahren verlassen hatte. Ich wusste immer noch nicht, zu welchem Schloss der Schlüssel passte, aber ich nahm an, dass sich die Antwort, wie bei so vielem, eines Tages von selbst ergeben würde.
»Danke sehr! Danke, dass ihr mir die Chance gebt. Ich werde hart arbeiten, um den Kurs zu einem Erfolg zu machen. Versprochen.«
Ich öffnete die Bürotür und lief direkt in Mila hinein.
»Hey, Hottie!« Ich betrachtete das kleine mexikanisch-amerikanische Energiepaket, angefangen bei ihren braunen, schulterlangen Haaren bis zu ihren frechen Brüsten. Sie hatte die Mädels in einem engen schwarzen Sport-BH versteckt. Ihr Bauch war nackt und zeigte einen skandalös breiten Streifen zimtfarbener Haut, zu dem ich mich am liebsten herabgebeugt und ihn geküsst hätte. Ich wusste einfach, dass sie nach dem süßesten Honig schmecken würde. Ihre knielange schwarze Yogahose saß ziemlich tief, ein ganzes Stück unterm Bauchnabel, und mir lief das Wasser im Mund zusammen. Die Hose sah aus wie aufgemalt und überließ absolut nichts der Fantasie. Dank sei dem Herrn für die Erfindung der Sportkleidung für Frauen.
»Lockenkopf«, antwortete sie ausdruckslos.
Ich fuhr mir durch die Haare. Fasziniert sah sie mich mit ihren karamellfarbenen Augen an. Zumindest hoffte ich, dass es Faszination war. Kurz öffnete sie den Mund und leckte sich mit der rosa Zunge über die Unterlippe. Die sexuelle Anziehung zwischen uns war in diesem Moment so stark, geradezu magnetisch, dass mir beinah das Herz stehen blieb. Am liebsten hätte ich die Wildkatze gegen die Wand gegenüber der Bürotür zurückgedrängt und sie hier und jetzt geküsst. Aber so etwas würde ich nicht tun. Ich konnte wegen so etwas nicht nur gefeuert werden, sie könnte mir auch eine scheuern. Nicht unbedingt die beste Art, eine Frau kennenzulernen, auch wenn ich in meinen späten Teeniejahren, als ich wild und total außer Kontrolle war, von Frauen Schlimmeres als Ohrfeigen eingesteckt hatte.
Sie stützte die Hände auf ihre runden Hüften. »Hast du genug gesehen?«
Die Frau hatte einen unglaublichen Körper. Winzig, aber perfekt gebaut. Sie hatte kleine, hoch sitzende Brüste, die groß genug waren, um die Mitte meiner Handfläche auszufüllen. Ihre frechen Titten waren aber nicht das Beste an ihr. Das Beste war eindeutig ihr Hintern. Stramm, in der Form eines perfekten Herzens und mit genug Polster, dass ich sofort hätte hineinbeißen können. Kräftig. Um sie zu markieren. Verdammt, ich stand schon immer auf Ärsche, und diese Frau würde mich noch in die Knie zwingen, um die Backen ihres göttlichen Hinterns zu verehren.
Ich strich mir mit dem Daumen über die Unterlippe, während ich den Kopf schief legte und sie bewunderte. »Vielleicht könntest du dich noch umdrehen?«
»Schwein«, murmelte sie und drängte sich an mir vorbei.
Dafür, dass sie nur so ein Zwerg war, war sie stark wie ein Ochse. »Hmm … von hinten sogar noch besser. Da lenkt der plappernde Mund auch nicht so ab.«
Schnaubend warf sie die Haare zurück und sah mich mit laserscharfem Blick an. »Willst du es hier?« Sie zeigte mit dem Daumen über die Schulter auf die zwei Frauen, die seltsamerweise absolut still geworden waren. In dem Moment, als ich Mila gesehen hatte, hatte ich meinen Namen wie auch die Tatsache vergessen, immer noch vor der offenen Bürotür zu stehen.
Ich antwortete, ohne nachzudenken. »Ich würde dich überall wollen.« Dreist, aber die Wahrheit. Sie war mein wahr gewordener feuchter Traum.
»Du widerst mich an«, knurrte sie mit zusammengebissenen Zähnen, die ihre Wangenknochen hervortreten ließen.
»Du liebst es doch.«
»Absolut nicht!«, rief sie aufgebracht, aber ihre steifen Nippel, der angestrengte Atem und die geweiteten Pupillen sagten etwas anderes.
»Das wirst du aber.« Ich grinste, und dann sah ich zu Crystal und Jewel. »Danke noch mal! Ich melde mich heute Abend.«
Crystal winkte, und Jewel verschränkte die Arme. Crystal, hatte man mir gesagt, liebte die Liebe und freute sich wahrscheinlich über die Show. Was Jewel anging, musste ich vielleicht aufpassen. Ich wusste nicht genug über sie, um einzuschätzen, ob sie mir Ärger machen könnte. Das würde die Zeit sagen.
»Bis zum nächsten Mal, Wildkatze«, stichelte ich, während ich zur Studiotür hinausging, ohne auf ihre Antwort zu warten. Was auch immer sie möglicherweise gesagt hätte, es wäre großartig gewesen.
Mich mit dieser so leicht reizbaren Frau zu streiten, würde der Höhepunkt eines jeden Tages sein. Ich musste mehr Zeit im Yogastudio einplanen und ihre Kurse besuchen. Operation Hottie würde diese Woche noch beginnen.
Als ich hinaus in die kalifornische Sonne trat, lief in meinem Kopf der Titelsong von Mission: Impossible.