MEDEA
Die verlorene Tochter – vom Mythos zu Logos
© 2019 Bernhard Gerstenkorn
Autor: Bernhard Gerstenkorn
Umschlag, Illustration: Bernhard Gerstenkorn
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44,
22359 Hamburg
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ISBN Paperback: 978-3-7482-8928-9
ISBN Hardcover: 978-3-7482-8929-6
ISBN E-Book: 978-3-7482-8930-2
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort
1. Der Mythos
Von der olympischen Hochzeitsfeier zur Odyssee
Von der Odyssee zum Argonautenepos
Vom Argonautenepos zu Euripides
2. Mythenbildung
Ein Vulkanausbruch schreibt Geschichte
Das kollektive Unbewusste
Nichtlokalität des Bewusstseins
Mythen- vs. Legendenbildung
Erlebnis der Nichtlokalität
Vom Mythos zur Religion
Das Umfeld der Mythenbildung
Wie ist Medea zu deuten?
3. Medeas Heimat
Körper, Geist und Seele
Der eine Wille
Logos, die erste Ursache
4. Medeas Verhängnis
Die Abwärtsspirale, 1. Drehung: kognitive Dissonanz
2. und 3. Drehung: Schuld und Angst vor Logos
4. Drehung: Bindung an das Verhängnis
Die Geschichte wiederholt sich
Wirkungen in der Gegenwart
5. Die Natur des Verhängnisses
Die Spaltung des Geistes
Die Dynamik der unbewussten Schuld
Selbstbestrafung
Flucht aus der Gegenwart
Kolossale Blindheit
6. Medeas Kinder
Die Büchse der Pandora
Die Apokalypse ist vertagt
Medeas Kinder Atlantis und Lemurien
Sind wir Medeas letztes Kind?
Alles nur Fassade
7. Der Mythos endet
Elysisches Bewusstsein
Modellbildung
Die zwei Spuren des Lebens
8. Wege zu Logos
Kenneth Wapnick und sein spiritueller Lehrer
Ludwig van Beethoven
Die Verbindung mit jener anderen Welt
Die Umsetzung
9. Harte Fakten
Sklave des Gehirns
Das Drehbuch ist geschrieben
Der Spielraum der Handlungsfreiheit
Unser Leben in der Matrix
Vom Widerstand auszusteigen
Wahre Vergebung
Außerirdischen ergeht es genauso
Die Lösung des Dilemmas
Die Schöpfungsgeschichte des 21. Jahrhunderts
Die Heimkehr
Literatur
Vorwort
Im Radio wurde ausführlich über Neuinszenierungen von Medea-Opern berichtet. Medea? Kam mir irgendwie bekannt vor. Ich holte mir eine Zeitschrift mit Themen aus der griechischen Antike hervor und las einen Artikel über Platons Schulung zu Unabhängigkeit und Demokratie. Euripides soll in seiner Tragödie Medea mit einem „Sohn des Erechtheus“ angeblich Platon gemeint haben. Erechtheus ist ein mythischer Unabhängigkeitskämpfer und auf der Akropolis in Athen ist ihm zu Ehren mit dem Erechtheion ein eigener Tempel gewidmet. Ich wollte es genauer wissen, beschaffte mir Euripides Medea und las die Tragödie. Das Bühnenstück kam mir ziemlich primitiv vor. Deshalb hatte es mich nicht weiter erstaunt, dass Euripides im Tragödien-Wettstreit im Jahre 431 v. Chr. den letzten Rang belegte. Das Stück mag viele Anspielungen auf das Zeitgeschehen enthalten haben, aber selbst dies hatte das Premierenpublikum offenbar nicht zu überzeugen vermocht. Man könnte sogar eine leichte Xenophobie heraushören, da Medea als Ausländerin, als Fremde und Barbarin dargestellt ist. Doch Medea ließ mich nicht mehr los. Der hervorragende Wikipedia-Eintrag gab mir eine Gesamtschau auf Medea. Eines Tages kam mir der Gedanke, dass es sich bei Medea um eine frühere Variante der Geschichte des verlorenen Sohnes handelt, dass sie eine Metapher für unsere kollektive Geschichte ist. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich die Idee mit mir herumgetragen, etwas darüber zu schreiben, um die Zusammenhänge zu ergründen.
Zwischenzeitlich habe ich verschiedene Biografien und populäre Bücher gelesen, die sich in irgendeiner Form mit Geschichte befassen. Dabei ist mir aufgefallen, dass wenn die Autoren ihr Fachgebiet verlassen, um von ihm auf das große Ganze zu schließen, es sehr spekulativ wird und die Objektivität durch das vom jeweiligen Autor vertretene Denksystem begrenzt ist. Vielen Wissenschaftlern ist gemeinsam, dass ihre Sichtweise durch ein evolutionär begründetes Menschheitsbild geprägt ist. Empirisch bestens belegte Befunde aus der Psychologie, die ein viel differenzierteres Menschheitsbild nahelegen würden, bleiben dabei auf der Strecke oder werden falsch wiedergegeben. Auf einem evolutionären Menschheitsbild abgestützte Publikationen zeugen deshalb vereinzelt von mehr oder weniger großer Naivität, weil das konflikthafte, destruktive Potential der menschlichen Psyche übergangen wird, geschweige denn die Ursache dahinter beleuchtet wird.
Laut Yuval Noah Harari wird das Phänomen der kognitiven Dissonanz zwar oft als psychische Störung verstanden, doch in Wirklichkeit handle es sich um eine lebenswichtige Angelegenheit, da sie die Würze jeder Kultur ausmache.1 Rein formal ist kognitive Dissonanz keine psychische Störung, sondern eine empirisch breit abgestützte Theorie aus der Sozialpsychologie. In Hararis Argumentationen schimmert zeitweilig eine starke Affinität zu östlichen Philosophien durch, wie beispielsweise dem Buddhismus. Auf die Frage, ob er sich selbst als Buddhist sieht, antwortet er: „Nein, sicherlich nicht offiziell. Die Praxis der Meditation ist eine buddhistische Tradition. Aber über die Jahre wurde aus Buddhismus eine Religion mit eigener Mythologie, Geschichten und Problemen. Ich akzeptiere das Gesamtpaket nicht, sondern nehme mir das heraus, was ich brauche.“2 Eine zentrale buddhistische Praxis liegt im Versuch, das Urteilen aufzugeben. Im Urteilen scheint neben den Begierden die Ursache von allem Leiden zu liegen, das mittels ausdauernder Meditation aufgelöst werden soll. Das Urteilen ist auch die Ursache hinter der kognitiven Dissonanz. Sie hat sich als zentrale Theorie im Entschlüsseln des Medea-Mythos erwiesen und zeigt auf, wie unser individuelles wie kollektives Verhängnis beschaffen ist. Inhaltlich hatte Harari also unbeabsichtigt recht, kognitive Dissonanz mit einer psychischen Störung in Beziehung zu setzen, zur Würze jeder Kultur mag sie jedoch nur beitragen, wenn die dahinterliegende Ursache verschleiert bleibt. Ein grundlegendes Verständnis der mit kognitiver Dissonanz einhergehenden psychischen Prozesse und ein damit im Einklang befindendes metaphysisches Modell wird uns zeigen, wie wir mit einer einfachen und wirkungsvollen geistigen Praxis kognitive Dissonanz auflösen können.
Bislang war es mir jeweils möglich, alle wissenschaftlichen Befunde mit dem hergeleiteten Modell in Übereinstimmung zu bringen. Wenn das nicht erfolgreich war, dann deshalb, weil wir über die Medien, die Presse und wissenschaftlichen Publikationen oft nicht die eigentlichen Messdaten präsentiert bekommen haben, sondern nur eine Interpretation der Messresultate. Forscher verfolgen in ihren Untersuchungen ein bestimmtes Ziel und dementsprechend werden Daten oft in einer Weise präsentiert und gedeutet, dass sie das gewünschte Resultat aufzeigen. Dazu trägt sicherlich auch bei, dass in der Forschung großer Erfolgsdruck herrscht und möglichst spektakuläre Resultate angestrebt werden, oder der finanzielle Anreiz der Forschung Ergebnisse in eine bestimmte Richtung begünstigen. Mein Blick auf diese Dinge wurde während des Psychologie-Studiums an der Universität Zürich im Nebenfach Sozial- und Präventivmedizin geschärft. Ein weiterer zu berücksichtigender Aspekt liegt darin, dass Wissenschaftler auch nur Menschen sind und dazu tendieren, an liebgewonnenen Theorien lange festzuhalten, auch wenn neue Befunde dagegen sprechen. Anstatt sich an die Bildung neuer Modelle zu machen, werden die bestehenden mit teilweise spekulativen Elementen erweitert. Als Beispiel sei die dunkle Materie erwähnt, welche die Kosmologie benötigt, um die bestehenden Modelle mit den Beobachtungen in Übereinstimmung zu bringen. Aus den eigenen Reihen werden immer mehr Stimmen laut, die es für durchaus möglich halten, dass sich die theoretische Physik in eine Sackgasse verrannt hat. Gegenwärtig läuft die Suche nach dunkler Materie resp. dunkler Energie mit dem Teilchenbeschleuniger LHC am Forschungszentrum CERN in Genf .
All dies zusammengenommen hat mich bewogen, im Rahmen der Entschlüsselung des Medea-Mythos unsere gesamte kollektive Geschichte auszubreiten. Vielfach greife ich auf Überlieferungen aus der griechischen Antike zurück. Diese Quellen sind mit mehr oder weniger Unsicherheit behaftet. Was die Datierung betrifft, fördert die laufende Forschung gelegentlich neue Anhaltspunkte zutage. Es ist gut möglich, dass wir ein verzerrtes Bild der Antike haben, weil viel Material verloren ging und unsere Vorstellungen durch diejenigen Artefakte geprägt sind, die den Weg in unsere Zeit gefunden haben. Deutlich zeigt sich dies beispielsweise am Stand der technischen Entwicklung, welche durch die Erforschung des Mechanismus von Antikythera in einem neuen Licht erscheint. Auf der anderen Seite ist davon Abstand zu nehmen, die guten alten Zeiten zu idealisieren, denn objektiv betrachtet leben wir heute zumindest im westlichen Kulturraum in der besten aller Welten. Die metaphysische Deutung der Medea mag uns vor Augen führen, dass sich die Geschichte mehrmals wiederholt hat, dass wir jetzt aber erstmals vor der Möglichkeit stehen, aus der Wiederholung auszubrechen und in eine neue Epoche einzutreten.
1 Harari, Geschichte, 174 (siehe Literatur: Autor, Werk, Seite/Vers/Absatz)
2 Neue Zürcher Zeitung, NZZ am Sonntag, 29.9.2018