Vom 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart
Mit 66 Abbildungen
Diese Publikation wurde durch die Donation von Prof. Dr. Maria Beatrice Bindschedler, die Schweizerische Vereinigung für Militärgeschichte und Militärwissenschaften, die Metrohmstiftung, die Bibliothek am Guisanplatz und die Paul Schiller Stiftung unterstützt. Die Militärakademie/ETHZ legte den Grundstein.
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Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Design und Umbruch: Stephan Cuber, diaphan gestaltung, Bern
Bildbearbeitung: Widmer & Fluri, Zürich
ISBN 978-3-280-06125-1
eISBN 978-3-280-09081-7
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.
Vorwort
Einleitung
1Die Miliz der Alten Eidgenossenschaft: Vom ersten Exerzierreglement zur Niederlage gegen Napoleon 1615–1798
Einleitung
Wandel und Problemlagen der Milizstreitkräfte der eidgenössischen Orte
Die personelle Alimentierung und Versorgung der Milizverbände
Milizverbände und Solddiensttruppen: Zugewinn und Belastungen
Führung der örtlichen Kontingente – kantonaler und eidgenössischer Zuzug – eidgenössische Defensionalordnungen
Bewaffnung und Ausrüstung – Fortifikationen und städtischer Schanzenbau
Artillerie und Kavallerie
Uniformierung
Reglementierung der Gefechtstechnik und Formalisierung der Ausbildung
Der Zweite Villmergerkrieg 1712 als Modernisierungstest
Ausrüstungs- und Ausbildungsstand im ausgehenden 18. Jahrhundert
2Modernisierung durch Zentralisierung: Auf dem Weg zur nationalen Armee 1798–1874
Einleitung und Kontextualisierung
Militärpolitik: Zentralisierung als Heilmittel aller Defizite
Personelle Alimentierung der Milizverbände
Wandel der Kampfführung und Waffentechnologie: Adaption an die Revolutionen des Gefechtsfeldes im 19. Jahrhundert
Ausbildung von Soldaten, Offizieren und Formationen
Ausbildung der Wehrpflichtsoldaten
Ausbildung der Offiziere für Truppe und Stäbe
Formationsausbildung der kantonalen Kontingente
Einheiten und Truppenkörper – Armeeeinteilung und Organisation der Stäbe
Militärdiskurse und Militärdebatten: Kriegsführung und Nation – Kriegsdeutung und Staatsexistenz
Geplante Strategie: Erfassung des militärisch nutzbaren Raumes und Landesverteidigungspläne
Eidgenössische Aufgebote und Mobilmachungen
Eidgenössisches Aufgebot 1815
Eidgenössische Aufgebote 1830–1845
Auflösung des Sonderbundes 1847: Aufspaltung und Krieg der Bundeskontingente/Kantonaltruppen gegeneinander
Eidgenössische Teilmobilmachung während des Neuenburger Konfliktes 1856/57
Eidgenössische Teilmobilmachung während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71
3Gefechtsfeld-, Technik-, und Erziehungsrevolution: Richtungsstreit im Offizierskorps und Aufstieg Ulrich Willes 1874–1914
Militärdiskurse und Militärdebatten
Militärpolitik 1874–1914: Grenzen der radikal-freisinnigen Zentralisierungspolitik, Aufwertung der militärischen Expertise und aufkeimende linke Opposition
Wandel von Kampfführung, Waffentechnologie und strategisch-operativem Vorgehen
Bestandesentwicklung und personelle Alimentierung der Milizverbände
Ausbildung von Soldaten, Offizieren und Formationen
Organisation der Armeeführung, Stäbe und Truppen
Aufgebote und Einsätze: Interventionen und Ordnungsdienste
4Die erste Generalmobilmachung: Neutralitätsschutz-Dienst, militärtechnologischer Terrainverlust und politischer Prestigeverlust 1914–1918
Strategische Grundlagen, Lagebeurteilung, Generalmobilmachung und Armeestellungen
Zusammenarbeit mit Streitkräften der Nachbarländer
Generalswahl
Mobilmachungsablauf
Mobilmachungsaufstellung, Bezug und Veränderungen der Armeestellung
Aspekte des Aktivdienstes 1914/1918
Ablösungs- und Neutralitätsschutzdienst
Bewaffnung und Munition
Dienst- und Ausbildungsbetrieb – Verhältnis zwischen Offizieren und Mannschaften
Öffentlichkeit und Presse
Abweichende operativ-taktische Vorstellungen des Generalstabschefs, des Unterstabschefs und des Oberbefehlshabers
Geborgte Kriegserfahrung: Offiziersmissionen auf Kriegsschauplätze
Oberstenaffäre: Nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit den Mittelmächten
Militärische Zusammenarbeit mit Frankreich: Schweizerische Unterstützung der Eventualplanung «H(élvetie)»
Ordnungsdienst-Einsätze und Planungen: Aufstandsbekämpfung 1915–1918
Der Landesgeneralstreik vom November 1918
Die Schweizer Armee am Ende des Ersten Weltkrieges
5Das Ringen um den Anschluss: Die Modernisierung der Kampfmittel und die Grenzen der Aufrüstung 1919–1939
Militärdiskurse und Militärdebatten
Wandel der Kampfverfahren und der Waffentechnologie
Felddienst 27: Die versuchte Synthese von Taktik und soldatischer Erziehung
Ansätze zu operativen Konzepten
Ausbildung im Zeichen der Kontinuität der Wille-Schule
Militärpolitik der Zwischenkriegszeit: Die Rückkehr der Linken zur Armee
Personelle Alimentierung der Truppenverbände und Bestandesentwicklung
Organisation der Armeeführung, der Truppen und Stäbe
Aufgebote und Einsätze: Nochmals Ordnungsdienste in Zürich/Basel 1919 und Genf 1932
6Der Krieg kommt zu früh: Verlust der modernen Kriegführungsfähigkeit und die Notlösung des Alpenreduits 1939–1945
Vor Kriegsausbruch
Zustand der Schweizer Armee
Armeeführung und Nachrichtendienst
Operative Planungen
Zusammenarbeit mit Drittmächten
Nach Kriegsausbruch
Kriegsmobilmachung und Generalswahl
Mobilmachungsaufstellung und Bezug der Aare-Limmatstellung
Nach der Niederlage Frankreichs
Operative Angriffsstudien der Wehrmacht gegen die Schweiz
Bedrohungswahrnehmung, Ernüchterung und die Suche nach Widerstandsmöglichkeiten
Frontisten-Untersuchung, die Denkschrift Däniker und die Ausschaltung des Korpskommandanten Wille
Der Offiziersbund: eine Offiziersverschwörung
Strategie und Bezug des Reduits
Entstehung und Konsensfindung
Aufruf zum militärischen Widerstand General Guisans am Rütli-Rapport vom 25. Juli 1940
Kampfweise und Ausstattung
Problemlagen und flankierende Massnahmen
Einschätzung des Reduitentschlusses
Auszug aus dem Reduit und Kriegsende
Planungen und Problemlagen
Die Ausarbeitung des Operations-Befehls Nr. 18 – Fall West im Jahre 1944
Aufmarsch aus dem Reduit nach den alliierten Invasionen in der Normandie und in Südfrankreich
Armeereform-Bewegung und Bericht über den Aktivdienst
7Kampf um das Erbe Ulrich Willes: Operativer Sieg durch mobile Kampfführung oder Feindabhaltung durch hinhaltenden Widerstand? 1945–1966
Militärdiskurse im Widerstreit: Armeereformer gegen Wille-Schüler
Adaption an den Wandel der Kampfführung und der Waffentechnologie
Truppenordnung 51/Taktische Führung 51
Mirage-Affäre und die Genesis der Konzeption 66
Reform der Führungs- und Ausbildungsverhältnisse
Personelle Alimentierung der Verbände und Bestandesentwicklung
Organisation der Armeeführung, Stäbe und Truppen
Armeeführung
Organisation der Truppen: Truppenordnung 1951 und 1961
Ausbildung von Soldaten, Offizieren und Formationen
Militärpolitik: Konsens unter zunehmendem Störfeuer
Abbauversuche am Militärbudget und Antiatomwaffen-Bewegung
Politische Dimensionen des Konzeptionsstreites und der Mirage-Affäre
Aufgebote und Einsätze: Bewegung gegen Kraftwerk Ursern, Aprikosenkrawall im Wallis und Konferenzbewachungen
8Den totalen Krieg unter atomaren Bedingungen führen: Militärische Abwehr, Gesamtverteidigung und die Vision der Abschaffung der Armee 1966–1994
Entwicklung des Militärdiskurses: Durch Kriegsgenügen und Gesamtverteidigung zur Dissuasion
Entwicklung von Kampfführung und Kampfmitteln
Fortgesetzte Opposition der «operativen Sieger» 1966–1972
Kampf um die Raumverteidigung: Kontroversen um die Steigerung von Mobilität und Feuerkraft 1973–1984
Das Ende der Konzeption 66: Zunehmende Kritik, schwindende Kontextelemente und militärtechnologische Aushebelung 1985–1994
Die operativen Befehle der Armee 61: Von den Bereitschafts- und Kampfbefehlen PRONTO und THEOPHIL zu den Grunddispositiven JANUS und ZEUS
Gesamtverteidigung und ihr Verhältnis zur Armee
Politischer Kampf um die Armee: Angriffsversuche und Abwehrerfolge
Kasernenbewegung der Soldatenkomitees, Militärpolitik der SPS und Abschaffungsbewegung
Linke Militärpolitik: Vom Konsens über Distanzierung und Dissens zur Liquidierung der Armee im Dienste des Weltfriedens
Verdichtung plebiszitärer Entscheide zwischen versuchtem Populismus und Utopismus
Streitobjekte der Militärpolitik: Militärbudget und Rüstungsvorhaben
Ausbildung und Führung unter Druck
Das Ringen um die Verbesserung der Ausbildung
Von der imperativen zur kommunikativen Führung
Bestandesentwicklung 1961–1994: Vom Überbestand zur fehlenden Division
Organisation der Armeeführung, Stäbe und Truppen
Aufgebote und Einsätze 1966–1994: Von der Flughafen- zur Konferenzbewachung
9Die Milizarmee in der Postmoderne: Eine Staatsbürger-Armee auf der Suche nach ihrem Platz im Feld globaler Gewaltbedrohungen 1995–2017
Armee 95
Kontext und Anstoss
Das Armeereform-Projekt als Medienthema
Die «Eckwerte» im Zusammenhang und der Sinn der Multifunktionalität
Opposition gegen das Armeereform-Projekt
Der Nebenauftrag «Friedensförderung»
Der Nebenauftrag «Existenzsicherung»
Die Kampfdoktrin «Dynamische Raumverteidigung» und der Hauptauftrag «Kriegsverhinderung und Verteidigung»
Armee XXI
Problemfelder und militärisch-politischer Kontext
Ausbildungsniveau
Bestandesniveau
Finanzierungsniveau
Einleitung eines Strategieschöpfungsprozesses mit einem «Bericht für strategische Fragen»
Wandel des Aktionsmodus der Armee
Zweck der Armee
Aktivierung: Vom Aufgebot zur differenzierten, teilprofessionellen Einsatzbereitschaft
Wandel Aktionsinstrument und Aktionsform: Vom Kampfinstrument zur Sicherheitsreserve- und prospektiv zu entwickelnden Kampfinstrument
Kooperation / Interoperabilität / Modularität
Organisationsform der Armeeführung
Die Ausgestaltung der Armeeaufträge in der Armee XXI im Reglement «Operative Führung»
Debatte, Opposition und Referendum gegen die Armee XXI
Die Armeereform, die keine sein wollte: Der Entwicklungsschritt 2008/2011
Kontext und Anstoss
Der Inhalt der Entwicklungsschritt-Botschaft
Opposition und Kritik
Parlamentarischer Widerstand
WEA: Die weiterentwickelte Armee 2017
Reformruinen rufen die nächste Reform
Der Armeebericht 2010
Ausarbeitung einer Botschaft zur Weiterentwicklung der Armee
Parlamentarische Behandlung des Armeeberichtes und der Botschaft zur WEA
Die Strukturen der weiterentwickelten Armee
Kritik, Opposition und Widerstand gegen die Weiterentwicklung der Armee
10Drei Baustellen der Schweizer Armee nach vier Reformen: Verteidigungsbegriff, Rüstungsfinanzierung und Bestandesentwicklung
Baustelle Verteidigungsbegriff: Streit um einen Verfassungsauftrag der Schweizer Armee
«Verteidigung» in den Reglementen der Operativen und Taktischen Führung 17
Baustelle Rüstungsfinanzierung: Von den Friedensdividenden der 1990er Jahre zu den Ersatzinvestitionen der 2020er Jahre
Unterfinanzierung der Armee XXI
Rüstungsvorhaben 1968–2004
Masterplanung: Eine Überlebende aus dem «Planungsstab der Armee 04–10»
Rüstungsvorhaben 2005–2018
Von «Nutzungsenden» und «finanzieller Verträglichkeit»
Baustelle Bestandesentwicklung: Vom Überbestand zum Unterbestand
Armee XXI: Bestandesreduktion auf 220000
WEA: Bestandesreduktion auf 140000
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Anhang
Verzeichnis der Hauptbeschaffungslisten Waffensysteme der Schweizer Armee
Verzeichnis der Bestandeslisten
Militärbudget und Materialbeschaffung
Abkürzungen
Register
Bildnachweis
Zürich, Herbst 1971. Ich stehe vor dem Schaufenster der Buchhandlung Orell Füssli und mein Blick ist auf einen stattlichen Band gerichtet: «Die Konzeption der schweizerischen Landesverteidigung 1815–1966» von Oberstkorpskommandant z. D. Alfred Ernst. Ich bin Korporal und staune: Die Schweizer Armee hat eine «Konzeption». Seit 1815. Und ich habe in 253 Diensttagen nichts darüber erfahren. Dieses Buch liess mich für Jahrzehnte nicht in Ruhe. Ich studierte Geschichte, genauer Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und beschäftigte mich anschliessend lange Jahre mit der Sozial- und Militärgeschichte der Schweizer Armee in verschiedenen Projekten an verschiedenen Orten: Arbeitskreis Generalstabsgeschichte, Universität Zürich, Militärakademie/ETHZ. Die Absicht, die Geschichte der Schweizer Armee zwischen 1815 und 1966, aber auch vor 1815 und nach 1966 zu schreiben, blieb bestehen. Die «Geschichte der Schweizer Armee. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart» hätte längst erscheinen müssen. Einst geplant als Begleitlektüre meiner Vorlesung zur schweizerischen Militärgeschichte an der ETH, reichte die Zeit nicht, neben den Lehrverpflichtungen an der Universität Zürich und an der Militärakademie/ETHZ die notwendigen vertiefenden Recherchen vorzunehmen, um verfestigte Interpretationsbilder auf verbreiterter Quellenbasis zu hinterfragen und neu zu konturieren. Zudem erweiterte sich der Gegenstand dieses historiographischen Unternehmens fortwährend: Auf die tiefgreifende, alles umstürzende Restrukturierung der Schweizer Armee unter dem Label «Armee XXI» im Jahre 2004 folgte, noch bevor diese beendet war, unter dem deutungsbedürftigen Label «Entwicklungsschritt 08/11» ein weiterer Eingriff, um 2010 gleich in die Phase der andauernden «Weiterentwicklung der Armee» überzugehen, die 2017 einen vorübergehenden Abschluss fand. Es war mir ein Anliegen, diese turbulenten, seit 1989 anhaltenden Jahre des Umbaus der Schweizer Armee miteinzubeziehen und den Horizont für die Zukunft zu öffnen.
Inzwischen kündigten sich zahlreiche historiographische Projekte zum hundertsten Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges an: Publikationen zur Gesellschaftsgeschichte des Ersten Weltkrieg, insbesondere aber auch zur Militärgeschichte. Auch zur Geschichte der kriegsverschonten Schweiz erschienen zahlreiche Werke, zu denen ich Beiträge verfasste. Zwei Tagungen zur internationalen Militärgeschichte des Ersten Weltkrieges (An der Front und hinter der Front) und zur Geschichte der Schweizer Armee während des Aktivdienstes 14/18 (Am Rande des Sturms. Das Schweizer Militär im Ersten Weltkrieg) absorbierten meine Zeit. Und dann folgte noch die historiographische Herausforderung «Landesgeneralstreik 1918» als Höhepunkt an Diversion vom Projekt «Geschichte der Schweizer Armee». Das Jahr 2019 brachte endlich die Entlastung, um den Abschluss dieses Langzeitprojektes ins Auge zu fassen. Ein Projekt, das nicht ohne die Langezeitunterstützung und die Langzeitgeduld meiner Partnerin Anita Ulrich möglich gewesen wäre und nur mit einem Langzeitdank abgegolten werden kann. Mein Dank geht ebenso an meine DoktorandInnen, LizentiandInnen und Studierenden, die in Seminaren und Kolloquien, zahlreichen Dissertationen und Abschlussarbeiten wertvolle Vorarbeiten geleistet haben. Herauszuheben ist hier Jörg Tuor, der als Senior-Student meine Vorlesungen besuchte und mir in zahlreichen systematischen Recherchen zur Seite gestanden ist. Ein besonderer Dank geht an mein Lektorenteam: Anita Ulrich, Peter Muff, Regula Schmid, David Rieder, Michael Olsansky, Marco Sigg, Hansruedi Fuhrer, Peter Mertens und Peter Braun sowie an meinen special advisor in allen Fragen der Ausstattung und Bilddarstellung der kantonalen und eidgenössischen Miliz des 18. und 19. Jahrhunderts, Jürg A. Meier. Was Kanonen, Haubitzen und Minenwerfer betraf, leistete Henri Habegger Unterstützungsfeuer, was Panzer und Panzerabwehr anbelangte, Peter Muff. Was Masterplanung und Militärausgaben betrifft, unterstützten mich verschiedene Dienststellen des Armeestabes. Die Fertigstellung der Arbeit wäre nicht möglich gewesen ohne die vorzügliche Arbeit der Redaktionsassistentin Raffaela Pfaff. Ihnen allen gilt mein grosser Dank. Ein Dank, der auch an die Militärakademie/ETHZ, die Schweizerische Vereinigung für Militärgeschichte, die Bibliothek am Guisanplatz, die Metrohm-Stiftung, die Stiftung «Zum Delphin» und die Paul Schiller Stiftung geht, die mit ihren grosszügigen Druckkostenzuschüssen das Erscheinen dieses Werkes möglich gemacht haben.
Zürich im Juni 2019 |
Rudolf Jaun |
«Swiss Army lautet in den USA die Umschreibung für etwas in sich Widersprüchliches, so etwas wie Schwarzer Schnee.»1 Mit dieser Aussage interpretierte Heinrich Oswald, Manager und Armeereformer, im Januar 1991 das Unverständnis amerikanischer Konzernchefs für die Absicht ihrer schweizerischen Executives, sich in Zentral- und Generalstabschulen der Schweizer Armee weiterzubilden und Führungspositionen in einer Milizarmee zu übernehmen. Für die Chefs der US-Multis konnte es sich bei ihren schweizerischen Executives nur um «irregulars» handeln, die es den «regulars», den echten, regulären militärischen Profis, gleichtun wollten und damit einer Organisation angehören mussten, die etwas «in sich Widersprüchliches» in sich trägt. So wenig freundlich diese Aussage aufgefasst werden muss, bringt sie etwas auf den Punkt, was die Schweizer Armee seit ihren Anfängen prägt. Es handelt sich um den unablässigen Versuch einer Staatsbürger- und Milizarmee, in der Bewaffnung und Kampfweise den führenden europäischen Armeen zu folgen und ihre Milizsoldaten und Milizoffiziere entsprechend auszubilden. Die eigene Diensterfahrung, die Teilnahme an zahlreichen Abstimmungen zu Militärfragen und die wissenschaftliche Neugierde haben mich bewogen, die Problemfelder, die die longue durée (lange Dauer) der Entwicklung der schweizerischen Staatsbürger-Armee begleiteten, aufzuarbeiten. Eine problemorientierte Darstellung der Geschichte der Schweizer Armee kann nicht ohne erkenntnisleitendes Konzept, lediglich im Spiegel der Verlautbarungen, Selbstdarstellungen und Entscheide der Armeeführung, des Bundesrates, des Bundesparlamentes, der Lobbyisten und Militärvereine geschrieben werden.2
Die Darstellung der Entwicklung der Schweizer Armee soll deshalb in den Kontext der europäischen Streitkräftebildung, Waffenentwicklung und Kampfverfahren gestellt werden. Die Entwicklung der europäischen Streitkräfte war seit dem frühen 16. Jahrhundert durch die technologische Weiterentwicklung und den zunehmend organisierten, trainierten und geführten Einsatz von Feuerwaffen gekennzeichnet. Eine Entwicklung, die die spätmittelalterlichen-frühneuzeitlichen Streitkräfte der Alten Eidgenossenschaft aufs Empfindlichste treffen musste und das Ende der alteidgenössischen Kampfführung mit ihren massiven Kriegerhaufen zur Folge hatte. Diese Entwicklung führte zu einem jahrhundertelangen Adaptionsprozess an die Bewaffnung und Kampfweise der Streitkräfte der führenden Mächte Europas und der Welt, der sich die schweizerischen Streitkräfte immerfort anzupassen suchten.3
Dieser Befund legt es nahe, für die Darstellung der Entwicklung der schweizerischen Miliz-Streitkräfte ein Entwicklungs- und Periodisierungsmodell des militärischen Wandels herbeizuziehen, das sowohl die grossen Zäsuren als auch die langdauernden Veränderungen der militärischen Kampfinstrumente erfasst. Im Kontext des Endes des Kalten Krieges und der zunehmenden Digitalisierung der Kriegführung wurde in der militärgeschichtlichen Forschung ein Streitkräfte-Entwicklungsmodell erarbeitet, das für die Darstellung der Geschichte der Schweizer Armee im 19. und 20. Jahrhundert als hilfreich erscheint. Dieses Streitkräfte-Entwicklungsmodell geht von der Entstehung moderner, standardisierter Kampfverbände und formalisierter Kampfweisen zu Beginn des 17. Jahrhunderts und der Digitalisierung und Dynamisierung der Kampfweise am Ende des 20. Jahrhunderts aus. Dabei erfasst es nicht nur diese beiden grundlegenden Wandlungsprozesse als «Militärrevolutionen», sondern auch die dazwischenliegenden fundamentalen Veränderungen der Streitkräftebildung und Kampfweisen als Wandlungsperioden.4 Als Kennzeichen dieser Militärrevolutionen beziehungsweise Wandlungsperioden erscheint einerseits eine Erhöhung des Grades der Ressourcenmobilisierungs-Kapazität, andererseits eine quantitative und qualitative Optimierung der Feuerwaffenwirkung durch taktische und operative Veränderungen des personellen und materiellen Mitteleinsatzes. Diese Modellierung erlaubt, folgende sechs Militärrevolutionen beziehungsweise militärische Wandlungsperioden zu unterscheiden:
Erste Militärrevolution/Wandlungsperiode: Die Bildung von formalisierten Truppenverbänden, die Standardisierung der Kampfausbildung (Einzel- und Formationsdrill) und der Kampfführung (Treffen- und Linearaufstellung) sowie die damit verbundene Ausbildung von formellen Kaderpositionen (Unteroffiziere und Offiziere) förderten sowohl die Ausbildung einer stetigen, standardisierten und zentralen Staatsbürokratie als auch die Modernisierung der Finanz- und Steueradministration. Die Ausbildung des modernen bürokratischen Militärs mit seinem erhöhten Finanzbedarf und die Entwicklung der modernen Staatsverwaltung bedingten sich gegenseitig und machten die zunehmende Innovation von technisch verbesserten Feuerwaffen bei der Truppe möglich. Diese, auch Oranische Reformen genannte Erste Militärrevolution setzte in Holland um 1600 ein und wurde in den folgenden Jahren insbesondere in Schweden und Frankreich aufgenommen und weiterentwickelt, um sich alsbald – noch vor Ausbruch des Dreissigjährigen Krieges 1618 – in ganz Europa durchzusetzen.5
Zweite Militärrevolution/Wandlungsperiode: Die Französische Revolution 1789 war der Ausgangspunkt zur Bildung nationaler Heere auf der Grundlage von «Citoyen-Soldats», die mittels Wehrpflicht rekrutiert werden konnten. Dies erlaubte erstmals die Bildung von billigen, national motivierten Massenheeren. Zusammen mit wenigen technischen Innovationen wie standardisierter und pferdegezogener Feldartillerie ermöglichte diese kostengünstige Bereitstellung grosser Truppenbestände die Revolutionierung der Kampfführung. Neben dem Einsatz von Linienformationen und Schützenschwärmen konnte mittels verlustreicher Kolonnenangriffe und konzentriertem Artilleriefeuer der taktische Erfolg erkauft werden. Napoleon sollte ein Meister dieser Vorgehensweise werden, die auf operativer Ebene die Möglichkeit der Vernichtung (Kampfunfähigkeitsmachung) des Gegners eröffnete. Die Bildung von kostengünstigen Massenheeren erlaubte die Formierung selbständiger Armeedivisionen und deren Zusammenfassung in Armeekorps, was wiederum den getrennten Aufmarsch über weite Distanzen und den Einsatz auf mehreren Schlachtfeldern ermöglichte. Die Zweite Militärrevolution führte zur napoleonischen Impulskriegsführung und zur europaweiten Anpassung der Truppenrekrutierung, der Kampforganisation und der Kampfverfahren auf taktischer, operativer und strategischer Ebene.6
Dritte Militärrevolution/Wandlungsperiode: Eine fundamentale technische Invention (Hinterladungsverschluss), die Industrialisierung der wirtschaftlichen Produktion sowie das Bevölkerungswachstum der europäischen Nationen waren die grundlegenden Faktoren der Dritten Wandlungsperiode. Diese drei Faktoren veranlassten eine erneute Veränderung des Gefechtsfeldes. Die Hinterladung und weitere Verbesserungen der Handfeuerwaffen (Magazin-Repetiergewehr, Maschinengewehr und rauchfreies Pulver) führten zu einer Vermehrfachung der Waffenwirkung und damit zu einer schrittweisen Auflösung geschlossener Linien- und Kolonnenformationen auf dem Gefechtsfeld. Die Gefechtseinheit musste vom Bataillon zur Kompanie verschoben und im Kampf in lichte Schützenlinien aufgelöst oder eingegraben werden. Weitere technische Innovationen veränderten den Truppenaufmarsch und die Versorgung (Eisenbahn), die Führung auf strategischer und operativer Ebene sowie das Schiessen der Artillerie (Telegraph, Telefon und Funk).
Die Industrialisierung förderte das Bevölkerungswachstum und damit die weitere Ausdehnung der Heeresstärken sowie die massenhafte genormte Produktion von Waffen, Ersatzteilen und Versorgungsgütern. Während des Ersten Weltkrieges sollten diese Faktoren bis zur militärischen Disfunktionalität zum Tragen kommen und den Krieg letztlich entscheiden.7
Vierte Militärrevolution/Wandlungsperiode: Der Erste Weltkrieg bildete das Scharnier zwischen Dritter und Vierter Militärrevolution. Die enorm gesteigerte Waffenwirkung und die Ressourcenmobilisierungs-Kapazität bildeten die Grundlage für den langandauernden, statischen Grabenkrieg ohne militärische Entscheidung. Die Versuche, den Grabenkrieg zu überwinden und vom Einbruch in die gegnerischen Stellungen zum Durchbruch und zur Entscheidung zu kommen, führten auf taktischer und operativer Ebene zur Vierten Militärrevolution. Auf taktischer Ebene ermöglichten die Stosstrupp-, Infiltrations- und Stützpunktverfahren sowie der massierte Einsatz der Artillerie sowohl den Kampf der verbundenen Waffen, als auch den zerstreuten Kampf aus der Tiefe. Die Weiterentwicklung der Motorisierung und Mechanisierung der Bodentruppen sowie der Luftkriegsmittel legten die Grundlagen für die Entwicklung kombinierter operativer Verfahren mit grosser räumlicher Tiefe (deep battle). Bomberflotten ermöglichten den Bomberkrieg, Unterseeboote eine neue Art der Seekriegsführung. Die Entstehung totalitärer, kommunistischer und faschistischer Staaten und Gesellschaften sollte die Favorisierung des Einsatzes von massierten Panzerverbänden, vor allem aber die totale Kriegführung unter Mobilisierung aller materiellen, mentalen und ideologischen Ressourcen ermöglichen. Die Vierte Wandlungsperiode war die Potenzierung der Zweiten und Dritten Militärrevolution, die ganze Gesellschaften zu Kriegsgesellschaften machte.8
Fünfte Militärrevolution/Wandlungsperiode: Auch das dominante Merkmal der Fünften Militärrevolution kam ereignisgeschichtlich schon in der vorangegangenen Wandlungsperiode erstmals zum Tragen: die Atombombe. Die Ausbreitung und der Aufbau nuklearer Waffenbestände auf strategischer, operativer und taktischer Ebene sollten alle Streitkräfte in Europa – nicht nur die Atommächte, die mit der Entwicklung von Nuklearstrategien der Eskalation, der Abschreckung und Dissuasion konfrontiert waren – vor neue Problemlagen stellen. Dies galt auch für Streitkräfte wie die Schweizer Milizarmee, die sich die Option der Beschaffung atomarer Waffen lange Zeit ohne Realisierungschancen offenhielt. Die Möglichkeit eines konventionellen Krieges mit Massenstreitkräften blieb, gerade um der atomaren Eskalation zu entgehen, offen und führte zu einer durchgehenden Motorisierung und Mechanisierung der Landstreitkräfte sowie zur Beschaffung von Kampfjets bei den Luftstreitkräften. Auf der anderen Seite bahnte sich die Zweiteilung der Kriegführung in symmetrische und asymmetrische Kampfführung im Rahmen der Dekolonisierungs- und Befreiungskriege an. Die Bekämpfung von Befreiungs- und Revolutionsbewegungen, die verschiedene Prinzipien der Guerilla- und der Terrorkriegsführung entwickelten, führte zur Ausbildung von «Counterinsurgency»-Kampfverfahren, die unter anderem der Anwendung des Helikopters zum Durchbruch verhalfen, aber auch zur Entwicklung und Anwendung von Präzisionsmunition und der Bildung von Spezialeinheiten beitrugen.
Die Asymmetrisierung der Kriegführung, die sich zum primären Kennzeichen der Sechsten Militärrevolution entwickelte, erhielt durch die beginnende Digitalisierung der Kommunikationsmittel und der Konzipierung von AirLandBattle-Ansätzen einen weiteren Akzent.
Ein weiteres prägendes Merkmal der Fünften Militärrevolution war die Medialisierung und Psychologisierung der Kriegführung, die im Rahmen des Kalten Krieges eine Fortsetzung der vorangehenden Entwicklungsperiode fand.9
Sechste Militärrevolution/Wandlungsperiode: Obwohl die Entwicklungen keineswegs abgeschlossen sind, erscheint die beschleunigte Asymmetrisierung der Kriegführung nach dem Ende des Kalten Krieges zum Markenzeichen dieses noch offenen Prozesses zu werden. Die zunehmende digitale Vernetzung aller Aufklärungs-, Kommunikations- und Waffenwirkungssysteme führte zum US-amerikanischen Konzept einer «Revolution in Military Affairs», das davon ausging, einen beliebigen Gegner durch die asymmetrische Überlegenheit der technologischen Mittel, die Informationshoheit und die präzise Gewaltinterventionen zu dominieren und auszuspielen. Dieses Konzept der Stärke wird jedoch durch Konzepte der Schwäche (Klein- und Bandenkrieg, Terror etc.) konterkariert und hat die Suche nach Counterinsurgency-Ansätzen, die die Gegner mit nichtmilitärischen Mitteln vom Kampf abhalten möchten, verstärkt.10
Die Leitidee, militärischen Wandel zu fassen, erscheint gerade für die spezifische Entwicklung der Schweizer Milizarmee erkenntnisfördernd zu sein. Dies bedingt jedoch, dass dieser Wandel im Kontext der schweizerischen politischen und gesellschaftlich-wirtschaftlichen Randbedingungen untersucht wird. Aus diesem Grund wurden, ausser für die Perioden der Generalmobilmachung von 1914/1918 und 1939/1945 und die Reformperiode 1989–2017, die chronologisch angeordneten Kapitel nach Sachbereichen strukturiert, die die skizzierten Strukturelemente der Streitkräfteentwicklung in systematischer Weise behandeln: 1. Die Militärdiskurse und Militärdebatten, die das militärische Denken zu den militärischen Mitteln, Kampfverfahren und Zielen prägten; 2. Die Militärpolitik, die grundlegende Entscheide zur Ausgestaltung der Dienstpflicht, der Rüstung und Armeeorganisation fällte; 3. Die Gestaltung des Wandels der Kampfführung und Waffentechnologie als Kern der Weiterentwicklung der Armee entlang den militärischen Wandlungsperioden; 4. Die Ausbildung von Soldaten, Offizieren und Formationen, um die angestrebte Kampfführung zu realisieren; 5. Die Bestandesentwicklung und die Alimentierung der Formationen mit Mannschaften und Kadern als zentrales Element der Ausstattung der Armee mit Personalressourcen; 6. Die Organisation der Armeeführung und der Stäbe und Truppen im Kontext des föderativen Staatsaufbaus der Schweiz; 7. Die Aufgebote und Einsätze der Armee in den Friedensperioden vor, zwischen und nach den Aktivdienstaufgeboten der beiden Weltkriege.
Die zentralen Fragestellungen dieser Studie lauten hiermit: Welche Aussageformationen lagen dem militärischen Denken und den militärischen Debatten zu Grunde? Wie reagierte die schweizerische Militärpolitik auf die Herausforderungen der Streitkräfteentwicklung in den verschiedenen militärischen Wandlungsperioden und auf die potentiellen und manifesten Bedrohungen? Wo wurden die Schwergewichte der Rüstungsbeschaffung gelegt? Mit welchem Waffen- und Ausrüstungsarsenal versuchte die Schweizer Milizarmee einem Gegner mit welcher operativen Zielsetzung auf welche Weise entgegenzutreten und den Kampf zu führen? Wie wurde das der Wehrpflicht unterworfene nationale Männerpotential für die Alimentierung des Armeebestandes genutzt und wie wurde mit den Schwankungen der Geburtenzahlen umgegangen? Wie wurde die Armeeführung organisiert und die Truppenverbände und Stäbe im Hinblick auf das strategische und operative Kampfverfahren aufgebaut und gegliedert? In welchen Zusammenhängen wurde die Armee aufgeboten und wie kam sie zum Einsatz?
Die militärgeschichtliche Forschung zur Schweizer Armee hat in den letzten beiden Jahrzehnten aufgezeigt, dass sich seit der napoleonischen Wandlungsperiode in den Debatten um die Gestaltung und Ausrichtung der Armee verschiedene Denkrichtungen feststellen lassen, die sich durch spezifische Aussagemuster, beziehungsweise Diskurse auszeichneten.11 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sind nicht nur verschieden Militärdiskurse feststellbar, sondern auch verschiedene Offiziersgruppierungen, die sich von diesen Aussagemuster anleiten liessen und diese in den Auseinandersetzungen um die Gestaltung der Ausbildung und Bewaffnung der Armee aktivierten. Diese Gruppierungen werden zeitgenössisch und historiographisch als «Neue» beziehungsweise «Nationale Richtung» bezeichnet. Während sich die «Neue Richtung» als Wille-Schule nicht nur in ihren grundlegenden Aussagemustern, sondern auch als Gruppierung erhalten hat, sind zwischen der «Nationalen Richtung» und der Gruppe der «Reformer» nach 1945 keine personellen Kontinuitäten fassbar. Infolgedessen verbietet sich eine personelle Zurechnung sowie die Interpolation direkter Kontinuitäten, auch wenn eine grosse Anzahl Aussagemuster dies vermuten liessen. Die Richtung der Reformer entwickelte sich vielmehr aus der Denkrichtung der Wille-Schüler heraus.12
Vor dem Hintergrund dieser Vorüberlegungen wird die Darstellung der «Geschichte der Schweizer Armee seit dem 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart» in die folgende Kapitelabfolge gegliedert:
1. Die Miliz der Alten Eidgenossenschaft und die Solddienstregimenter in fremdem Dienst: Vom ersten Exerzierreglement zur Niederlage gegen Napoleon 1615–1798
Obwohl die Prinzipien der Ersten Militärrevolution sowohl in den reichen Städteorten der Alten Eidgenossenschaft (Bern, Zürich etc.) wie auch bei den seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stehenden Solddienstregimentern mit Erfolg umgesetzt wurden, gibt es mit Ausnahme einiger Solddienstregimenter kaum neuere Literatur zu den kantonalen Milizverbänden, die einen höchst unterschiedlichen Entwicklungsgrad aufwiesen und sich vielmals erst im Laufe des 18. Jahrhunderts die Organisations- und Kampfprinzipien der Ersten Militärrevolution zu eigen machten.13
2. Modernisierung durch Zentralisierung: Auf dem Weg zur nationalen Armee 1798–1874
Die fundamentale Neugestaltung der eidgenössischen Truppenkörper nach napoleonischen Prinzipien und die partielle Zentralisierung des eidgenössischen Militärs begannen unter dem politischen Regime der Helvetik und der Mediation, wurden unter der Restauration und Regeneration fortgesetzt und erlebten nach der Bundesstaatsgründung von 1848 auf der Ebene der Verwaltung mit der erstmaligen Bildung eines Militärministeriums (Eidgenössisches Militärdepartement) einen ersten Abschluss. Der Wandel des Gefechtsfeldes (Dritte Militärrevolution) machte jedoch tiefgreifende Massnahmen bei der Truppenrekrutierung und Ausbildung notwendig und führte zur ersten Armeereform in den 1860er Jahren sowie zur gänzlichen Zentralisierung jeglicher Militärausbildung mit der Bundesverfassungsrevision von 1874.14
3. Gefechtsfeld-, Technik- und Erziehungsrevolution: Richtungsstreit im Offizierskorps und der Aufstieg Ulrich Willes 1874–1914
Die ganz wesentlich durch eine technische Verbesserung der Feuerwaffen induzierte und durch die industrielle Kriegsgüterproduktion gekennzeichnete Dritte Wandlungsperiode zog eine tiefgreifende Veränderung der Kampfverfahren auf dem Gefechtsfeld nach sich: Sie zeigte die Grenzen der traditionellen Exerzierausbildung eidgenössischer Milizen auf. Dies war die Stunde Ulrich Willes, der diese Problematik mit einer nach preussisch-deutschen Vorbildern gestalteten Erziehung der Milizsoldaten und -offiziere zu begegnen suchte und diesen so viel Disziplin und autoritäre Adresse zu vermitteln trachtete, dass sie auf dem revolutionierten Gefechtsfeld zu bestehen vermochten. Dieser Schule des «neuen Geistes» erwuchs indes eminenter Widerstand und es kam erstmals zu evidenten Richtungsbildungen im schweizerischen Offizierskorps. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg gewann die Richtung des neuen Geistes um Ulrich Wille die Oberhand über die nationale Richtung um Oberst Hugo Hungerbühler.15
4. Die erste Generalmobilmachung: Neutralitätsschutz-Dienst, militärtechnologischer Terrain- und politischer Prestigeverlust 1914–1918
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges provozierte die erstmalige Generalmobilmachung der gesamten Schweizer Armee. Alle Mobilmachungen zuvor waren Teilmobilmachungen einzelner kantonaler Kontingente gewesen. Dieser erste grosse Aktivdienst der Schweizer Armee gestaltete sich als Neutralitätsschutzdienst sich ablösender Truppenverbände, bis im November 1918 nochmals eine grössere Anzahl Truppen zum Ordnungsdienst aufgeboten wurde. Das massive Truppenaufgebot löste einen von den Gewerkschaften und der Sozialdemokratischen Partei ausgerufenen Generalstreik aus, der aber innert Tagen abgebrochen wurde.
Für die Schweizer Armee bedeutete der Aktivdienst von 1914–1918 einen langwierigen Auszehrungsprozess: Der Neutralitätsschutzdienst zog gravierende Probleme der Truppenmoral nach sich, die durch ein obsoletes Militärstrafgesetzbuch verschärft wurden und dem General täglich mehrere Begnadigungsgesuche bescherten. Erstmals zeigte sich auch politisch eine ernst zu nehmende Opposition gegen die Schweizer Armee.
Obwohl der Ausbildungsstand durch scharfen Erziehungsdrill etwas angehoben werden konnte, stellten die auf den Kampffeldern des Ersten Weltkrieges entwickelten neuen Gefechtsformen eine enorme Herausforderung für die Ausbildung der schweizerischen Truppen dar. Am Ende des Ersten Weltkrieges war die Rüstung der Schweizer Armee um Jahre zurückgeworfen: Sie konnte erst Ende der 1930er Jahre ansatzweise erneuert, erst nach dem Zweiten Weltkrieg teilweise kompensiert werden.16
5. Das Ringen um den Anschluss: Die Modernisierung der Kampfmittel und die Grenzen der Aufrüstung 1919–1939