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Titel

SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-7751-7465-7 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5930-2 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book: Satz & Medien Wieser, Stolberg

© der deutschen Ausgabe 2019 SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de · E-Mail: info@scm-haenssler.de

Originally published in English under the title: The Winds of God
© 1994 by Gilbert Morris
Published by Tyndale House Publishers, Inc.

Übersetzung: Laura Zimmermann
Umschlaggestaltung: Jan Henkel, www.janhenkel.com
WAPPEN: Adler: © Potapov Alexander / shutterstock.com,
Schild: pashabo © Valdis Skudre / shutterstock.com;
HINTERGRUND: Schiff: © Elina Pasok / shutterstock.com,
Soldat am Meer: © Nik Keevil / Trevillion Images
Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg

Inhalt

Über den Autor

Geschichtlicher Überblick

I | Maria die Blutige 1553–1558

1 | Dunkle Wolken

2 | Eine Warnung zur rechten Zeit

3 | Königin Jane

4 | Ein Ehemann für Maria

5 | Bis dass der Tod uns scheidet

6 | »Ich werde in unserem Sohn weiterleben!«

7 | Ein schwacher Schrei

II | Die junge Königin Elisabeth 1568–1577

8 | Das zehnte Jahr

9 | Eine zweite »Königin Maria«

10 | Heimkehr von der See

11 | Das Kriegsschiff

12 | Ein neues Mitglied des Hofstaats

13 | Ein Besuch von der Königin

III | Allison 1580–1585

14 | Die Heimkehr des Seefahrers

15 | Die Schlinge des Fallenstellers

16 | Allison

17 | Der heilige Stand der Ehe

18 | So leichten Schrittes ging sie aus der Welt

19 | Gefangen!

20 | Ein sicherer Hafen

IV | Armada! 1586–1588

21 | Die spanische Dame

22 | Der Tod einer Königin

23 | Ein sonderbarer Engländer

24 | Die Armada sticht in See

25 | Der Sturm Gottes

26 | Der Herr auf Wakefield

Mehr über Wakefield in Band 3
»Der Schlüssel der Weisheit«

1 | Die Letzte der Tudor

Leseempfehlungen

Über den Autor

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GILBERT MORRIS (1929–2016) war Pastor, Englisch-Professor und Bestsellerautor.

Mit seiner Frau und seinen drei Kindern lebte er in Alabama, USA.

Geschichtlicher Überblick

England unter dem Haus Tudor


1553–1558: Maria Tudor

1553–1558

Maria Tudor, auch »Maria die Katholische« (1516–1558), eine Tochter aus der ersten Ehe Heinrichs VIII. Unter ihr erfolgt der Versuch der Rekatholisierung Englands mit grausamen Verfolgungen der Protestanten. Man nennt die Königin deshalb »Bloody Mary« (Maria die Blutige).

1554  

Heiratsvertrag zwischen Maria und Philipp, dem Sohn Karls V. und künftigen Philipp II. von Spanien.

1558

Tod Marias. Die aus der Ehe Heinrichs VIII. und Anne Boleyn stammende Tochter besteigt den Thron.



1558–1603: Elisabeth I. (1533–1603)

1559  

Die englische Staatskirche wird gesetzlich wiederhergestellt.

1568

Maria Stuart wird auf der Flucht aus Schottland gefangengenommen.

1570

Der Papst exkommuniziert Königin Elisabeth.

1587

Krieg in Spanien.
8. Februar Hinrichtung Maria Stuarts.

1588

Englischer Seesieg über die spanische Armada im Ärmelkanal.

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I

Maria die Blutige
1553–1558

1

Dunkle Wolken

»Ihr seid doch wohl keine Hexe, Mistress Holly?«

Miss Blanche Holly blinzelte vor Staunen, ihre schönen Augen wirkten bedrohlich, als sie ihrem Tanzpartner eine scharfe Entgegnung zuwarf. »Eine Hexe, Mr Wakefield? Wie könnt Ihr es wagen, so etwas anzudeuten!«

Die hochgewachsene junge Frau, deren Hände wie angeschmiedet in William Wakefields Händen lagen, versuchte sich zu befreien, brachte es aber nicht zustande. »Lasst mich los!«, flüsterte sie zornig, während sie sich nach allen Seiten umsah. Sie bot ein reizvolles Bild mit ihren blitzenden dunklen Augen und ihren fest zusammengepressten, üppigen Lippen. Als sie merkte, dass ihr Gastgeber und zwei seiner Söhne sie beobachteten, zwang sie sich augenblicklich zu einem Lächeln und tanzte weiter.

William Wakefield war um nichts größer als diese junge Frau, daher konnte er ihr geradewegs in die Augen schauen. »Ich stelle diese Frage nur, Mistress Holly, weil ich mir mein Verhalten anders nicht erklären kann.« Wakefield war ein schlanker junger Mann von zwanzig Jahren, und seine schwarze Kleidung bot einen perfekten Hintergrund für sein rotes Haar. Er hatte blaugraue Augen, ein scharf geschnittenes Kinn und war alles in allem recht gut aussehend.

»Ich habe keine Ahnung, was Ihr damit andeuten wollt, Sir!«

»Nun, ich meine einfach«, sagte der junge Wakefield, auf den Lippen ein Lächeln, »kein Mann würde sich beim ersten Treffen so sehr zu einer Frau hingezogen fühlen, es sei denn, er wäre närrisch … oder behext.«

Die strengen Lippen der jungen Frau verloren ein wenig an Spannung und zogen sich in den Winkeln fast unmerklich nach oben. Natürlich hatte sie bemerkt, dass Mr William Wakefield sie seit ihrer ersten Begegnung vor weniger als zwei Stunden kaum noch aus den Augen gelassen hatte! Und um ehrlich zu sein, hatte sie durchaus ihr Vergnügen an seinem offenkundigen Interesse gehabt, aber das durfte sie ihn nicht merken lassen. Er war ohnehin schon unverschämt genug!

Sie hob das Kinn ein wenig an und sagte so streng, wie es ihr nur gelingen wollte: »Dann, Sir, muss ich Euch vorschlagen, dass Ihr Euch eilends ins Irrenhaus Bedlam begebt, denn da ich keine Hexe bin, müsst Ihr nach Euren eigenen Worten vollkommen närrisch sein.«

»Ja, Mistress Holly, das fürchte ich auch. Heute ist Vollmond, und es ist eine bekannte Tatsache, dass junge Männer unter seinem Strahl nicht selten dem Wahnsinn verfallen.« Er zog sie näher an sich, während sie tanzten, und drückte ihre Hand. Als sie sich wehrte, schüttelte er den Kopf. »Nein, zieht Euch nicht zurück. Wenn der Mond mich tatsächlich zum Wahnsinn treibt, wer weiß, was ich Schreckliches tun könnte, wenn Ihr Euch mir entziehen wollt!«

Blanche Holly amüsierte sich über Wakefields Kapriolen. Er war, soviel sie wusste, der Sohn von Sir Myles Wakefield, einem der angesehensten Edelleute in England. Er ist reich, er ist hübsch – und er ist noch zu haben, dachte sie plötzlich. Was konnte eine junge Frau von einem Bewerber noch mehr erwarten!

Als er seine liebliche Beute zögern sah, nutzte Will Wakefield die Gunst der Stunde. Er hielt Blanche noch fester und sagte: »Ich glaube, dieser Wahnsinn wird immer ärger. Ich glaube, das Einzige, was mir noch helfen kann, ist eine Kutschenfahrt.« Das Lachen blinkte in seinen offenen blauen Augen, und er nickte, als müsste er sich selbst Mut zusprechen. »Ja, ich glaube, das könnte mir meine geistige Gesundheit wiedergeben. Der schöne, alte, silberne Mond und eine liebliche Dame an meiner Seite –«

»Mir scheint, Ihr werdet belästigt, Mistress Holly!«

Wakefield wandte sich rasch um und sah einen hochgewachsenen Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, der ihn aus kalten grauen Augen anstarrte. Bevor die junge Frau noch ein Wort hervorbrachte, sagte Wakefield kurz angebunden: »Sir, wir kommen sehr gut ohne Eure Hilfe zurecht. Entfernt Euch.« Dann wandte er dem Eindringling verächtlich den Rücken zu und sagte: »Nun, Mistress –«

Aber er brachte den Satz nicht zu Ende, denn er wurde abrupt unterbrochen, als eine starke Hand seine Schulter packte und ihn grob zur Seite stieß. Wakefield hielt sich mühsam im Gleichgewicht und starrte in die unverschämten Augen des Angreifers.

Der Mann lächelte ihn lässig an und sagte: »Es wäre wohl am besten, wenn Ihr mein Haus verlassen wolltet. Ihr passt nicht in die Gesellschaft von Gentlemen.«

»Bitte –!«, sagte Blanche rasch und sah sich nach allen Seiten nach den Tanzpaaren um, die allmählich bemerkten, was vor sich ging. »Keine Szene!«

Wakefield starrte den hochgewachsenen Mann an, der ihm gegenüberstand. Seine Nerven vibrierten vor Zorn. Aber auch ihm war bewusst, dass viele im Raum ihn eindringlich anstarrten, und er zwang sich, in ruhigem und gedämpftem Ton zu sprechen. »Euer Haus, Sir? Meines Wissens ist dies das Haus des Herzogs von Northumberland.«

»Und ich bin sein ältester Sohn, wie Miss Blanche Euch bestätigen kann.« Ein hämisches Lächeln verzerrte die Lippen des Mannes. »Ich brauche nicht nach Eurem Namen zu fragen, denn Ihr werdet Euch hier nicht lange aufhalten!«

»Jack Dudley, das ist nun wirklich ungehörig!«, sagte Blanche scharf. Sie reckte den Kopf hoch, und ein helles Erröten peinlicher Verlegenheit färbte ihre Wangen. »Ich versichere Euch, dass Mr Wakefield mich in keiner Weise belästigt hat!«

Dudley hob leicht die Augenbrauen, als zweifelte er an ihrer Ehrlichkeit. »Ich schätze Eure Bemühungen, Euch als freundlich zu erweisen, Mistress Holly. Allerdings fühle ich mich von ihm belästigt.« Er wandte sich mit herablassendem Ausdruck wieder an Will. »Wer hat Euch zu dieser Gesellschaft eingeladen, wenn ich fragen darf?« Sein Blick glitt über Wakefields einfachen schwarzen Anzug, und er fragte: »Und was seid Ihr überhaupt, Mann? Eine Art Pfarrer?«

Bevor Will noch antworten konnte, meldete sich eine tiefe Stimme hinter ihnen zu Wort. »Jack, gibt es hier Ärger?« Er sah sich um und entdeckte einen zierlichen Mann von nicht einmal durchschnittlicher Größe, der durch den Saal auf sie zugekommen war und nur knapp einen Meter von ihnen entfernt anhielt. Er hatte sehr schöne Augen, braun und glänzend – aber merkwürdig ausdruckslos, wie Kastanien. »Ich muss doch nicht annehmen, dass du unsere Gäste beleidigst, oder?«

Betroffen von den Worten des Mannes, stotterte Jack eine Antwort. »Nun, ich –«

Der zierliche Mann schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab und wandte den Blick Will zu. »Mr Wakefield, wenn ich nicht irre?«

»Ja, ich bin William Wakefield.« Augenblicklich war Will bewusst, dass dieser Mann sein Gastgeber war, Herzog John Dudley – vermutlich der zweitmächtigste Mann in England. Er wusste, dass manche sogar so weit gingen zu sagen, der Herzog sei der mächtigste überhaupt, denn er hatte mehr Einfluss auf den jungen König Edward als irgendein anderer.

Der Herzog lächelte. »Das dachte ich mir. Ich bin sehr froh, dass Euer Vater meine Einladung angenommen hat, Euch heute Abend in unser Haus zu bringen.« Er warf seinem Sohn einen vernichtenden Blick zu und sagte brüsk: »Ich glaube, das genügt dir als Antwort, Jack. Du kannst dich jetzt zurückziehen.«

Jack Dudley war es nicht gewohnt, zurechtgewiesen zu werden; es gab nicht viele Leute, die das gegenüber dem ältesten Sohn des Herzogs von Northumberland gewagt hätten. Zorn stieg in ihm auf, und sein Gesicht rötete sich, aber er gab keine Antwort. Er warf Will jedoch einen hasserfüllten Blick zu, ehe er auf dem Absatz kehrtmachte und in steifer Haltung mit hoch erhobenem Kopf davonschritt.

»Ihr müsst meinen Sohn entschuldigen«, sagte Dudley lächelnd. »Er ist krankhaft eifersüchtig auf jeden Mann, den Miss Blanche mit Zuneigung betrachtet.« Er warf Blanche ein Lächeln zu, und sie errötete aufs Reizendste. »Ich hoffe doch, Ihr werdet Jack nicht böse sein, meine Liebe.«

»Gewiss nicht, nein, Mylord«, gab sie zu.

»Gut, gut. Ich hoffe, das gilt auch für Euch, Mr Wakefield. Wir müssen Nachsicht mit der Leidenschaft haben, wenn sie einem so bezaubernden Objekt gilt, nicht war?«

Will blickte Blanche in die Augen und lächelte. »Ja, Sir, gewiss.«

»Nun, und ist auch Euer Vater hier?«

»Nein, Sir, aber er bat mich, hier auf ihn zu warten, deshalb nehme ich an, dass er in Kürze hier auftauchen wird.«

»Ah, das ist großartig! Wenn er hier ankommt, sagt ihm bitte, er möge zu mir kommen, – und seid so freundlich, ihn zu begleiten, wenn ich bitten darf. Nun dürft Ihr dieser Dame weiterhin Eure Aufmerksamkeiten erweisen.«

Einen Augenblick verharrte das Paar in Schweigen, während sie dem Herzog nachsahen, dann sagte Blanche in gedämpftem Ton: »Wir sollten lieber weitertanzen, Sir.«

»Ja«, sagte Will und nickte. »Wir haben die anderen Gäste lange genug unterhalten.« Sie bewegten sich in den Mustern des Tanzes. Beide waren von dem Zusammenstoß ein wenig betroffen. Will versuchte, sich zu amüsieren und sich auf seine graziöse Partnerin zu konzentrieren, aber der Auftritt mit dem Sohn des Hauses hatte ihm den Abend verdorben. Blanche schwieg, und schließlich fragte Will in steifem Ton: »Der Sohn des Herzogs verehrt Euch, nicht wahr?«

Sie warf ihm einen ausdruckslosen Blick zu. »Er ›verehrt‹ eine beträchtliche Anzahl junger Damen, Sir.«

Die Antwort klang scharf, und Will zögerte nicht mit der Antwort. »Ich entschuldige mich für mein Verhalten, Mistress.« Seine glatte Stirn krauste sich plötzlich, und er schüttelte in leiser Verwirrung den Kopf. »Ich … ich mache mich gewöhnlich nicht so zum Narren wegen einer Dame.«

»Macht Euch keine Gedanken deshalb, Mr Wakefield. Jack ist grenzenlos verwöhnt. Früher oder später verdirbt er es sich mit jedem.«

»Das freut mich zu hören. Aber dennoch, – ich muss Euch versichern, das ist wirklich das erste Mal in meinem Leben, dass ich versucht habe, eine junge Dame zu vereinnahmen.«

»Dann seid Ihr also wirklich ein Pfarrer – zu heilig, um Euch mit jungen Frauen abzugeben?« Ihre Augen funkelten humorvoll, und er sah, dass sie den unerfreulichen Zwischenfall aus ihren Gedanken verbannt hatte. Ihm wurde klar, dass sie ruhiger als er selbst gewesen war, und er bewunderte und beneidete sie dafür. »Ich erkläre mich in einem Punkt der Anklage für schuldig, und im anderen für unschuldig.«

»Lasst mich raten! Ihr seid kein Pfarrer, aber Ihr habt Bedenken, mit jungen Damen umzugehen.«

»Völlig falsch geraten!«, sagte er und wirbelte sie im Takt der Musik in einer graziösen Drehung herum. »Ich bin tatsächlich Pfarrer – auf eine gewisse Art jedenfalls –, und ich finde den Umgang mit jungen Damen nicht im Geringsten bedenklich.«

»Ihr tanzt zu gut, um ein Geistlicher zu sein.« Blanche lächelte ihn an. »Ich glaube nicht, dass ein tanzender Fuß und ein betendes Knie am selben Bein wachsen können.«

Er lachte und freute sich über den Schalk in ihrer Stimme und ihren Augen. »Meine Lehrer in Cambridge hätten dazu Amen gesagt! Aber ich sage Euch die Wahrheit, meine Dame, ich bin tatsächlich Geistlicher.« Er sah ihren ungläubigen Blick und machte sich daran, sie mit einigen seiner Eskapaden in Cambridge zu unterhalten, jener vornehmen Universität, von der man ihn beinahe verwiesen hätte.

Blanche lauschte amüsiert. Wakefield war ein guter Geschichtenerzähler und zu einer gewissen Selbstironie fähig, denn er machte sich in allen seinen Geschichten in erster Linie über sich selbst lustig.

Sie bewegten sich durch einen gewaltigen, massiv gebauten Raum, dessen Wände mit farbenfrohen Gemälden geschmückt waren. Sie zeigten die Könige und Fürsten der Christenheit, alle in die Kostüme ihrer Zeitepoche gekleidet und in dem jeweils stimmigen historischen und geografischen Umfeld. Tische und Schränke aus seltenen Hölzern, kunstvoll gefertigt und geschnitzt und verziert, schimmerten unter den vielen Lampen und Kerzen, die den Raum erhellten. Einige der größten Tische waren übermäßig mit Speisen bedeckt, und die reich geschmückten Geschirre aus Silber und Gold schienen in einem warmen Glanz zu erglühen.

Will nahm die Umgebung mit einem zustimmenden Blick in sich auf. »Ein grandioser Saal, nicht wahr? Genug Gold und Silber, um ein zweites Cambridge zu erbauen.« Er warf dem Herzog einen Blick zu und fügte hinzu: »Aber der Geschmack des Herzogs geht nicht in diese Richtung, nicht wahr?«

»Was meint Ihr, Mr Wakefield?«

»Man redet davon, er gäbe ein Vermögen für seine Privatarmee aus.«

»Ich habe einige seiner Truppen gesehen«, sagte Blanche und nickte. »Sie sind besser ausgebildet als die Truppen des Königs, so habe ich es jedenfalls gehört.« Sie sah sich im Raum um und schüttelte den Kopf. »Der Herzog ist aus kleinen Anfängen hoch aufgestiegen. Ihr kennt doch seine Geschichte, oder?«

»Nur zu einem geringen Teil.« In Wirklichkeit wusste Will viel besser Bescheid, aber er wollte Blanche vom Tanzboden wegholen. »Warum sehen wir uns nicht ein wenig im Haus um, Mistress Holly? Meine geistliche Kleidung passt nicht zum Tanz.«

»Ihr tanzt sehr gut für einen Geistlichen.« Sie lächelte ihn an, dann neigte sie leicht den Kopf, und die beiden verließen den Tanzboden. Während sie durch das Haus wanderten, stellte Wakefield erstaunt fest, dass der üppige Zierat des Ballsaals sich in jedem anderen Raum wiederholte. Es gab fünf Innenhöfe, in denen Wasserspiele plätscherten. Will und Blanche durchschritten einen davon und spazierten durch ein Labyrinth von Räumen und Suiten und Empfangszimmern. Sie bemerkten die üppigen Draperien, die Samtvorhänge und die Gemälde und Porträts, die überall hingen. Will hielt einmal inne und berührte sanft einen Vorhang. »Dies ist zart genug, um einer Königin als Schleier zu dienen!«

»Ja, das stimmt.« Er sah Blanche interessiert an, denn sie wirkte unbeeindruckt. Dann erinnerte er sie daran, vom Aufstieg Herzog Dudleys zu erzählen, und sie tat es, während sie weitergingen. »Er stammt aus kleinen Verhältnissen«, sagte sie, »und so ist er der erste Engländer, der keinen Tropfen königliches Blut in sich hat und doch ein Herzog wurde …« Sie sprach davon, wie Dudley durch seine Reitkünste die Aufmerksamkeit des Königs auf sich gezogen hatte und wie er es auf dem Schlachtfeld durch seine ausgezeichneten militärischen Fähigkeiten zum Kommandanten gebracht hatte. »Als Heinrich VIII. starb, schaltete er die Onkel des Knabenkönigs, Edward, aus und machte sich zum Ratgeber des Königs.«

»Hat er wirklich so viel Einfluss auf den jungen König, wie man behauptet?«

»Ja, es scheint so. Und er machte sich zum Herzog von Northumberland.«

Sie blieben neben einem hohen Schrank stehen, dessen Laden offen standen und den Blick freigaben auf Münzen, Juwelen und Kuriositäten, die aus Gold und Silber gefertigt und mit Juwelen in allen Größen und Formen verziert waren. Will sah die unbezahlbaren Schätze an und sagte plötzlich: »Sie glitzern, aber es ist keine Wärme darin, nicht wahr? Seht Euch diese Diamanten an, sie sind wie Eis!«

Blanche warf ihm einen Seitenblick zu, als finde sie Gefallen an seiner Bemerkung. »Ja, sie sind kalt«, antwortete sie mit einem Kopfnicken. »Aber Männer sind imstande, um ihretwillen zu töten.«

»Frauen auch«, gab er zurück, aber er dachte daran, dass ihre schönen dunklen Augen und weichen Wangen schöner waren als all die Juwelen, die in den Schaukästen glitzerten. Er wollte schon eine Bemerkung machen, aber etwas bewog ihn, den Mund zu halten. Er hätte nicht erklären können, woher das Gefühl kam, aber er war beinahe überzeugt, dass er es hier mit einer jungen Frau zu tun hatte, der solche Reden nichts bedeuteten. Er betrachtete einen Augenblick lang eindringlich ihr Gesicht. »Euch liegt nicht viel an Komplimenten, Mistress«

»Zu viele davon sind hohl und leer«, antwortete sie leise, aber ihm schien, dass Überraschung in ihren Augen auffunkelte, weil er in so kurzer Zeit so viel über sie herausgefunden hatte. »Mir liegt nichts an diesen höfischen Liebesspielen, die heute so beliebt sind. Sie sind scharfsinnig ausgeklügelt, aber unter den blumigen Phrasen stinken sie nach Lust.«

»Aber –«

»Schockiere ich Euch, Mr Wakefield?«

Er nickte langsam. »Um die Wahrheit zu sagen, ja. Ich muss zugeben, dass Ehrlichkeit mich immer ein wenig schockiert. Sie ist ein seltenes Juwel in unserer Welt.« Er deutete mit einer Handbewegung auf die Rubine und Diamanten. »Weitaus seltener, will es mir scheinen, als dieser Schnickschnack da.« Er betrachtete sie genauer. Ich war so versunken in den Anblick ihrer Schönheit, dass ich die edle Frau darunter vollkommen übersehen habe. Laut sagte er: »Ich will Euch trotzdem ein Kompliment machen, obwohl Ihr für dergleichen nichts übrighabt. Mistress, Ihr seid eine junge Frau mit ungewöhnlich viel Verstand und Geistesschärfe.«

Ein Lächeln blühte auf ihrem Gesicht auf, so strahlend, dass er sich ein wenig geblendet fühlte, und sie antwortete: »Danke, Mr Wakefield. Solche Komplimente schätze ich durchaus.«

Sie wandten sich von dem Schrank ab und kehrten in den großen Saal zurück, in dem die Tänzer sich zur Musik bewegten. Will sah sich um und entdeckte einen Neuankömmling in der Gesellschaft. »Da ist mein Vater. Ich möchte, dass Ihr ihn kennenlernt.« Sie drängten sich durch die Menge, bis Will einen älteren Mann am Arm berührte und sagte: »Sir, dies ist Mistress Blanche Holly. Mistress, mein Vater, Sir Myles Wakefield.«

Der Gentleman wandte sich Blanche zu, und sie blickte in ein Paar durchdringender blaugrauer Augen. Sir Myles lächelte galant. »Sehr erfreut, Euch kennenzulernen, Mistress Holly.«

Blanche murmelte eine kurze Antwort und bemerkte dabei, dass der Vater noch besser aussah als der Sohn. Sir Myles Wakefield war über sechs Fuß groß und trotz seiner sechsundvierzig Jahre noch muskulös und sportlich. Er hatte kastanienbraunes Haar, das in einer Spitze in die Stirn wuchs, und kühne Augen in einem viereckigen Gesicht. Er hatte eine kurze Nase, breite bewegliche Lippen und ein kampflustiges Kinn. Er scheint ein sehr gutherziger Mann zu sein, dachte die junge Frau, dann riss sie sich zusammen und sagte laut: »Oh! Ich hätte es beinahe vergessen. Der Herzog möchte Euch sprechen, Sir Myles. Und Will.«

»Ja, das stimmt, Vater.«

»Nun, dann komm mit, Will«, antwortete Myles. »Es ist niemals klug, einen Herzog warten zu lassen. Vor allem diesen hier.«

Will nickte, dann wandte er sich widerwillig Blanche zu. »Nur der Herzog kann mich von Eurer Seite reißen, Mistress Holly. Aber ich werde Euch gewiss wiedersehen.«

Myles beobachtete überrascht, wie sein Sohn sanft die Hand der jungen Frau ergriff, sie an die Lippen hob und küsste. Er bemerkte voll Interesse das zarte Rosa, das ihre Wangen bei diesem Vorgang färbte, und als sie sich abwandte und davonging, hob er fragend eine Augenbraue. »Nun, Will, hast du bei deinen Studien in Cambridge auch gelernt, wie man die Damen bezaubert?« Wills Gesicht überzog sich mit flammender Röte, und Myles lachte und klopfte ihm auf die Schulter. »Mach dir nichts draus, Junge. Sie scheint eine sehr nette junge Frau zu sein.«

»Ich mag sie sehr, Sir.« Will sah, wie sein Vater die Augenbrauen ein wenig hochzog, hob aber trotzig das Kinn. »Ich habe vor, sie näher kennenzulernen.«

»Oh?« Myles betrachtete seinen ältesten Sohn aufmerksamer als zuvor, denn zum ersten Mal hatte er ein Anzeichen dafür entdeckt, dass der junge Mann Interesse daran hatte, jungen Frauen nachzustellen. Offenbar hatte er zuletzt doch eine gefunden, die er beeindrucken wollte. »Ja, natürlich, sieh zu, dass du sie näher kennenlernst, wenn das dein Herzenswunsch ist. Allerdings erst, nachdem wir unseren Gastgeber aufgesucht und herausgefunden haben, was er von uns will.«

Während sich die beiden auf die Suche nach dem Herzog machten, fragte Will seinen Vater: »Warum hat der Herzog uns hierher eingeladen, Vater? Ich wusste gar nicht, dass du ihn kennst.«

»Ich kenne ihn im Grunde auch gar nicht.« Myles zuckte die Achseln. Er hielt inne und sprach leise mit einem der Diener, der sie aus der Halle führte. Während sie dem Mann folgten, fuhr Myles fort. Dabei sprach er in gedämpftem Ton, sodass der Bedienstete ihn nicht verstehen konnte. »Ich bin dem Herzog zweimal begegnet. Aber bislang war ich seiner Aufmerksamkeit nicht wert, denke ich.«

»Was könnte er nur von dir wollen?«

Sie erreichten eine massive Tür, gerade als Will die Frage stellte. Der Diener klopfte, wartete mit lauschend geneigtem Kopf, dann öffnete er die Tür und wandte sich ihnen zu. »Bitte tretet ein.«

Myles und Will gingen durch den Vorraum und fanden sich in einem Raum von wenigen Quadratmetern wieder. Zwei der Wände waren dicht mit Büchern und Landkarten bedeckt. Der Herzog hatte an einem massiven Schreibtisch gesessen, erhob sich aber augenblicklich und kam ihnen mit ausgestreckter Hand entgegen. »Ah, Sir Myles, – ich freue mich, Euch zu sehen. Euren Sohn habe ich bereits kennengelernt.« Er lächelte Will an und schüttelte traurig den Kopf. »Ein Hitzkopf. Beinahe hätte er sich mit meinem Jack wegen einer hübschen Frau geprügelt.«

Myles warf seinem Sohn einen interessierten Blick zu. »Oh? Davon habe ich noch gar nichts gehört.«

Der Herzog lachte und fuhr mit seiner weißen Hand durch die Luft. »Nun ja, wir Väter dürfen nicht zu hart mit den jungen Leuten umgehen. Mit zwanzig waren wir vermutlich auch nicht anders – ich jedenfalls nicht!« Er schritt zu einem Tisch, auf dem Flaschen mit verschiedenen Arten von Alkohol das Licht des massiven Kronleuchters auffingen. Der Herzog unterhielt sich über die Schulter hinweg mit ihnen, während er Drinks einschenkte. »Setzt Euch und wir wollen ein stilles Gläschen miteinander trinken. Einander kennenlernen.«

Während der nächsten halben Stunde waren die Wakefields wie betäubt vom Witz und der Intelligenz des Herzogs von Northumberland. Er hatte lange Zeit im innersten Kreis der hohen Ratsversammlungen Englands gesessen und warf mit großen Namen herum, als handelte es sich um Normalsterbliche.

Will saß da, fast benommen von der lebendigen Intelligenz des Mannes. Kein Wunder, dass er es so weit gebracht hat! Ich hatte keine Ahnung, dass ein einzelner Mensch so viel wissen kann!

Myles lauschte aufmerksam, während er winzige Schlückchen von seinem Drink nahm. Er hatte den Herzog schon früher sprechen gehört, wenn auch nicht in so intimem Rahmen. Er wusste, dass der Mann einen brillanten Verstand hatte, aber das war nur natürlich. Man erreichte eine so bedeutende Stellung schließlich nicht, wenn man ein Dummkopf war. Aber das bestätigte Myles nur einmal mehr, dass der Herzog sie mit einer bestimmten Absicht eingeladen hatte.

Schließlich kam der Herzog auch darauf zu sprechen. »Es tut mir leid, Euch sagen zu müssen, dass der König krank ist – sehr krank sogar!«

Myles schüttelte traurig den Kopf. »Er ist niemals sehr kräftig gewesen, nicht wahr, Sir?«

»Nein, nicht einmal als Kind.« Dudley ließ die bernsteinfarbene Flüssigkeit in seinem Glas langsam kreisen und starrte hinein, als enthielte sie eine bedeutsame Wahrheit. Sein Gesicht war zart, fast weiblich, aber seine Kraft sprach aus den festen Lippen und dem durchdringenden Blick, mit dem er nun das Paar vor ihm betrachtete. »König Edward hatte niemals die körperliche Kraft seines Vaters. Ihr wisst ja, wie Heinrich VIII. war – ein Bulle von einem Mann!«

»Elisabeth ist das einzige seiner Kinder, das diese Vitalität von ihm geerbt hat!« Wakefield sprach leise, seine Augen forschten im Gesicht des Herzogs – und es erschien ihm, dass er einen Riss in der gefassten Haltung des Mannes bemerkte.

»Wollte Gott, dass Edward sie geerbt hätte, nicht diese Brut einer Hexe!«

Will war schockiert, als er ihn Elisabeth so nennen hörte. Er hatte das Gerücht gehört, Anne Boleyn, Prinzessin Elisabeths Mutter, sei eine Hexe gewesen, aber das hatte ihn nicht auf den Hass vorbereitet, der in den Augen des Herzogs aufflammte. Der junge Wakefield warf seinem Vater einen Blick zu und meinte, dass er ebenfalls den stummen Gefühlsausbruch des Herzogs bemerkt hatte, als er ihn Elisabeth bei ihrem Namen nennen hörte.

Mit einem tiefen Atemzug fand der Herzog zu seiner ruhigen Gelassenheit zurück. »Nun ja, daran lässt sich nichts ändern.« Er zuckte die Achseln, dann lehnte er sich in seinem Sessel zurück und begann von den inneren Angelegenheiten Englands zu sprechen, wobei er eins nach dem anderen die Probleme aufzählte, die der Nation zu schaffen machten. Nach zehn Minuten klang es, als sei er müde.

»Nun, die Zukunft ist uns verborgen«, sagte er, dann wandte er seine merkwürdigen Augen Myles zu. Will ignorierte er geradezu. »Die schlimmste Krise in der Geschichte Englands ist vielleicht nur noch Stunden von uns entfernt, Sir Myles«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »In der Zeit zwischen dem Tod eines Monarchen und der Krönung eines anderen ist der Staat in Gefahr. Eine Gefahr« – er flüsterte beinahe – »für uns alle.«

»Es stimmt, wir leben in schweren Zeiten, Mylord«, stimmte Myles Wakefield ihm zu. Dann fing er den stechenden Blick des Herzogs auf und fügte hinzu: »Gott wird uns beistehen, wenn wir seiner Wahrheit treu bleiben.«

Der Herzog von Northumberland schien bei dieser Bemerkung zu erstarren. »Gott wird uns beistehen«, wiederholte er, »wenn wir seiner Wahrheit treu bleiben.« Seine Lippen bewegten sich kaum, als er sprach, und dann fragte er im Flüsterton: »Aber was ist Wahrheit? Das ist die Frage, die Pilatus an Jesus Christus stellte, nicht wahr?« Er hob den Kopf, und ein gequälter Zug zeigte sich auf seinem Gesicht, als er fortfuhr. »Aber Pilatus erhielt keine Antwort, nicht wahr? Nicht einmal von Christus. Die Wahrheit ist wohl ein Fisch, der nicht leicht zu fangen ist, nicht wahr?«

»Jede Tugend ist schwer zu fangen, Mylord, aber wenn wir unsere Netze feinmaschig genug machen, werden wir Erfolg haben.«

»Ah, sehr gut! Wirklich sehr gut!« Der Herzog erhob sich, und die beiden anderen Männer, die merkten, dass sie entlassen waren, erhoben sich mit ihm. »Man kennt Euch als einen Mann der Tat – und einen ehrlichen Mann«, sagte er plötzlich zu Myles. »In den Tagen, die jetzt über uns kommen werden, brauche ich solche Männer.« Er hielt inne, als wäge er seine Worte ab. »Lasst mich wissen, Sir, kann ich auf Euch zählen?«

Myles spürte die Macht, die von dem Mann ausging, und merkte, dass hinter der Frage mehr als das Offenkundige steckte. »Ich bin sicher, dass die Wakefields immer aufseiten der Wahrheit stehen werden.«

»Ah! Das wollte ich hören!« Der Herzog streckte die Hand aus, drückte Myles’ Hand mit herzlichem Griff und wandte sich dann Will zu. »Kommt oft hierher, junger Mann. Freundet Euch mit meinen Söhnen an – o ja, ich weiß, Jack kann ein schrecklicher Langweiler sein, aber er ist ein guter Junge. Dieses Land wird junge Männer wie Euch und Jack brauchen.«

Mit diesen Worten führte er sie aus dem Zimmer und schloss die Tür nachdrücklich hinter ihnen. Will fasste seinen Vater am Arm und drehte ihn um, sodass sie einander ins Gesicht sahen. »Was sollte das nun eigentlich bedeuten?«, fragte er. »Er hat kein Wort davon gesagt, was er eigentlich wollte.«

Myles schüttelte den Kopf. »Doch, das hat er, Will.«

»Nun, ich jedenfalls habe es nicht gehört!«

Das Gesicht des älteren Wakefield war plötzlich angespannt. »Er sagte, wir müssen entweder für ihn oder gegen ihn sein.«

»Worin?« Will schüttelte verdutzt den Kopf. »Was wird geschehen?«

»König Edward wird sterben«, sagte Myles langsam. »Und wenn das geschieht, wird es Krieg geben.«

»Krieg um die Herrschaft in England?«

»Ja, Will. Um die Herrschaft in England.«

Will dachte scharf nach. »Auf wessen Seite wird der Herzog stehen, Sir? Sicherlich auf Elisabeths Seite! Er würde niemals für Maria eintreten. Er hasst die Katholiken, habe ich gehört.«

»Ja, das tut er, und es scheint eine logische Annahme, dass der Herzog für Elisabeth eintreten wird, aber …« Myles unterbrach sich und schüttelte den Kopf. »Lass uns diesen Ort verlassen, Will. Mir gefällt es hier nicht.«

Während sie sich zur Abreise bereit machten, versuchte Will einen Blick auf Blanche zu werfen, sah sie aber nirgends. Als sie in der Kutsche saßen, sagte er niedergeschlagen: »Ich weiß nicht einmal, wo ich sie finden könnte!«

»Wen?«

»Nun, Blanche Holly natürlich!« Er warf seinem Vater einen überraschten Blick zu, dann sagte er: »Du weißt doch, ich habe mich immer über die armen Narren lustig gemacht, die sich Hals über Kopf in eine Frau verlieben!« Er lachte einfältig. »Und jetzt ist es mir selbst so ergangen!«

Myles entspannte sich und lehnte den Kopf zurück. Er schloss die Augen und schien in Schlaf zu sinken – aber nach einigen Augenblicken murmelte er: »Sohn, denk nicht an eine Eheschließung.«

»Warum nicht? Du und Mutter, ihr seid doch beständig hinter mir her, ich sollte mir ein nettes Mädchen suchen, das ich heiraten kann, und euch Enkelkinder schenken.«

Das war eine Art Familienwitz, aber diesmal lachte Myles Wakefield nicht. Er sah Will gerade in die Augen und sagte: »Es gibt eine Zeit zum Heiraten und eine Zeit, sich der Ehe zu enthalten. Wie es zurzeit um England steht, braucht ein Mann seine ganze Kraft, um die kommenden Tage zu überleben. Warte noch eine Weile, Will. Dann kannst du heiraten.«

Die Kutsche holperte weiter. Will saß schweigend da und durchlebte in Gedanken noch einmal die Ereignisse des Abends. Er dachte an den seidigen Schimmer auf Blanche Hollys Wangen und den feuchten Glanz ihrer dunklen Augen. Sie zog ihn an, wie keine Frau ihn je zuvor angezogen hatte, und er wusste, dass er sie wiedersehen musste. Dann blickte er wiederum seinen Vater an, der plötzlich alt und beinahe kraftlos wirkte.

Er ist nur müde. Morgen wird es ihm wieder gut gehen. Will war so sehr an die zuverlässige Kraft seines Vaters gewöhnt, dass es ihm unmöglich schien, sich eine Welt ohne diesen vorzustellen. Aber während die Kutsche über die Pflastersteine rumpelte, überkam ihn ein plötzlicher düsterer Gedanke – ein Gedanke an die Vergänglichkeit aller Dinge. Aber da er noch jung war, schüttelte er diesen mühelos ab; dann lehnte er sich zurück und dachte daran, welch wundervollen Hintergrund Blanches glatter, runder Hals für die schlichte Perlenkette geboten hatte.

2

Eine Warnung
zur rechten Zeit

Der größte der Karpfen schwamm majestätisch durch das grüne Wasser nach oben. Er war beinahe 45 Zentimeter lang. Als die Nachmittagssonne seine ausgefransten Flossen berührte, schien er einen weiß glühenden Glanz auszustrahlen. Er schwebte lässig knapp unter der Oberfläche und formte sein Maul zu einem O. Es sah aus, als meditierte er über die Natur seiner wässrigen Welt. Die geringeren Bürger dieses Kosmos, den der große Fischteich bildete, drängten sich am Boden zusammen, unbestimmte schattige Formen, die geisterhaft in den schlammigen Tiefen dahintrieben.

»Ich wünschte, ich hätte keine anderen Sorgen als du!«

Die Sprecherin war eine junge Frau von zwanzig Jahren, die auf den Felsbrocken am Rand des Fischteiches saß. Dieselbe Sonne, die den Karpfen aufleuchten ließ, berührte ihr Haar und verwandelte es in eine Funken sprühende rote Krone – so fein wie Seide. Ihr Gesicht war schmal und spitz, fast wie das eines Fuchses. Ihre Augen waren von einem blassen Blaugrün, und Leute, die sie gut kannten, sagten, wenn ihre Augen blau seien, sei alles in Ordnung, – aber hütet euch vor Prinzessin Elisabeth, wenn ihre Augen in blassgrünem Feuer auflodern!

Der Klang ihrer eigenen Stimme schien die junge Frau aufzuschrecken, denn sie warf einen jähen Blick auf die schwere Eisentür in der Mauer, die das Haus und die Gartenanlagen umgab. Einen Augenblick lang verhielt sie sich vollkommen still, nur die losen Strähnchen ihres Haars flatterten. Ihre Haltung hatte etwas von der Vorsicht eines Wilds an sich, hatte Ähnlichkeit mit einem Reh, das erstarrend und angespannt auf das Geräusch eines Feindes lauscht, der sich an sein Versteck anschleicht.

Sie könnten heute schon kommen – und ich kann mich nirgends in ganz England verstecken!

Auf ihrer hohen Stirn, glatt wie Alabaster, zeichneten sich drei feine Furchen ab, aber sie blinzelte, und mit einer für sie charakteristischen blitzschnellen Bewegung beugte sie sich vor und hob ein Stöckchen auf. Sie fasste dieses und stieß es jäh in den Teich. Dann lachte sie, als der plötzliche Stups den Karpfen so erschreckte, dass er einen Purzelbaum schlug. »Hab ich dich erwischt!«, rief sie, »lass dir das eine Lehre sein!«

Sie beugte sich vor und spähte in die Tiefen des großen Teichs hinunter. Sie strengte ihre Augen an, um den Fisch zu sehen, aber er hatte sich hinter einem der großen Steine am Boden des Beckens verkrochen. Sie warf das Stöckchen mit einer zornigen Geste beiseite und sprach den Fisch von Neuem an: »Warum versteckst du dich, du Feigling? Du bist der größte Fisch im ganzen Teich! Schande über dich! Wenn ich der größte Fisch in meiner Welt würde, wäre ich kein solcher Feigling!«

Elisabeth neigte zu jähem Stimmungswechsel, und ihr Gelächter brach ganz plötzlich los – ein herzhafter Klang, der viele an ihren Vater, König Heinrich VIII., erinnerte. Heinrich hatte seiner Tochter Maria seine mächtige Stimme vererbt, Elisabeth sein Lachen und sein Durchhaltevermögen, aber seinem Sohn Edward fast gar nichts. Keiner der drei war mit dem mächtigen, kraftvollen Körper des Vaters geboren worden. Elisabeth hatte die schlanke, aber wohlgerundete Gestalt ihrer Mutter geerbt – dieselbe Gestalt, die Heinrich dazu getrieben hatte, sich von seiner Frau Catherine scheiden zu lassen, damit er sie besitzen konnte.

Gute fünf Minuten lang saß Elisabeth da und starrte in die Tiefen des Teiches. In ihrem Kopf jagten sich die Gedanken, ihr Körper verharrte reglos. Der riesige Karpfen vergaß seine Furcht, tauchte hinter den Steinen auf und schwebte von Neuem zur Oberfläche des Wassers empor. Seine vorquellendes Auge betrachtete die Gestalt der jungen Frau, aber da sie sich nicht rührte, empfand sein Fischherz keine Furcht. Er erlaubte der Bewegung des Wassers, mit seinen ausgefransten Flossen zu spielen – Anzeichen hohen Alters, wie Elisabeth annahm.

Mit gedämpfter Stimme flüsterte sie: »Vater Fisch, du bist sehr alt, nicht wahr?« Es war eine ihrer Gewohnheiten, dass sie sich ein Pferd oder einen Hund als Gesprächspartner suchte – irgendein Wesen, das ihre Worte nicht gegen sie verwenden konnte. Sie war im Schatten der Gefahr aufgewachsen; und das hatte sie gelehrt, ihre Zunge zu hüten. Von Natur aus war sie eine gesprächige junge Frau und sehnte sich danach, sich auszusprechen, wann immer ihr danach zumute war, aber unter gewissen Umständen konnte das den Tod bedeuten. So verbrachte sie viel Zeit allein, mit Spazierengehen oder Ausreiten, und teilte die Gedanken, die sie vor keinem menschlichen Wesen aussprechen konnte, mit ihrem Pferd oder mit dem Hund, der ihr auf den Fersen folgte.

Sie betrachtete den Fisch nachdenklich. »Als meine Mutter noch am Leben und voller Schönheit war, da hast du schon genau dasselbe getan, was du jetzt tust – du bist herumgeschwommen und hast Brotkrumen gefressen.« Sie brach ein Bröckchen von dem Stück harten Brotes ab, das sie mitgebracht hatte, um die Fische zu füttern, warf es ins Wasser und beobachtete, wie die Kreise sich über die Oberfläche verbreiteten. Sie nickte dem Fisch zu, als er darauf zuschwamm. »Du bist so sicher in deiner Welt! Der Tag, an dem meine Mutter auf dem Block starb – der war für dich wie alle anderen Tage auch, nicht wahr?«

Sie hatte schon vor langer Zeit die Einzelheiten von Anne Boleyns Tod den Leuten abgequält, die Augenzeugen gewesen waren. Nur zu wissen, dass ihre Mutter gestorben war, aber nicht, warum oder wie, hatte ihr Albträume beschert. Sie war überzeugt gewesen, dass sie die Schrecken loswerden konnte, wenn sie alle Einzelheiten erfuhr, dann konnte ihre Fantasie nicht diese schattenhaften und grausamen Bilder herbeizaubern und sie damit quälen. Sir Myles Wakefield, ihr Freund, hatte schließlich Verständnis dafür gehabt und ihr die Einzelheiten erzählt.

»Als sie erfuhr, dass sie sterben musste«, hatte Sir Myles gesagt, »da sagte sie, wenn der König es erlaubte, so wollte sie wie die französischen Adeligen enthauptet werden, mit einem Schwert und nicht wie die englischen mit einem Beil.« Elisabeth starrte in das schlammige Wasser. Sie hatte Sir Myles Stimme beinahe so im Ohr, wie sie damals geklungen hatte, als er schließlich ihren Bitten nachgegeben hatte. »Es gab keinen solchen Scharfrichter in England, also musste die Hinrichtung verschoben werden, bis man einen aus Frankreich geholt hatte. Man sagt, sie schlief in dieser Donnerstagnacht nur wenig. Sie konnte in der Ferne das Hämmern hören, als das Schafott gezimmert wurde.

Am nächsten Morgen wartete der Henker bereits, als der oberste Beschließer des Towers erschien, gefolgt von Eurer Mutter. Sie trug ein wunderschönes Nachthemd aus schwerem grauen Damast, mit Pelz verbrämt, unter dem ein scharlachrotes Mieder aufleuchtete. Sie hatte diese Kleidung gewählt, weil sie den Nacken bloß ließ. Man hatte ihr eine große Summe Geld gegeben, um es als Almosen unter der Menge zu verteilen. ›Ich bin nicht hier‹, sagte sie schlicht, ›um euch zu predigen, sondern um zu sterben. Betet für den König, denn er ist ein guter Mann und hat mich so gut behandelt, wie er nur konnte.‹ Dann nahm sie ihre mit Perlen bestickte Haube ab und enthüllte, dass ihr Haar kunstvoll aufgesteckt war, um den Scharfrichter nicht zu behindern.

›Betet für mich‹, sagte sie, dann kniete sie nieder, während eine der Hofdamen ihr die Augen verband. Die Zeit war noch nicht vergangen, die man braucht, um ein Vaterunser zu sprechen, da beugte sie den Kopf, murmelte mit gedämpfter Stimme: ›Gott, erbarme dich meiner Seele‹. Der Henker trat vor und zielte – und mit einem einzigen Schlag war sein Werk getan.«

Einen Augenblick lang schien es Elisabeth, dass sie das Zischen dieses Schwertes hören konnte – und sie erhob sich rasch und schritt rund um den Teich, die Augen voller Qual. Einen Augenblick später holte sie tief Atem, dann setzte sie sich wieder auf die Felsen und zwang sich, den Fisch in ruhigem Ton anzusprechen.

»Nachdem er meine Mutter hatte hinrichten lassen«, flüsterte sie, »erschien mein Vater in Gelb gekleidet, mit einer Feder an der Mütze, und zehn Tage später war er mit Johanna Seymour verheiratet.« Sie hob einen Stein auf, wog ihn in der Hand, blickte den Fisch an, dann zuckte sie die Achseln und warf den Stein wieder zu Boden. »Sie war die Frau, die er am liebsten hatte – immer unterwürfig. Aber sie starb achtzehn Monate später, alter Fisch.« Sie neigte den Kopf zur Seite, beugte sich vor und fragte: »Was hast du an dem Tag getan, an dem meine Mutter starb? Ich nehme an, du hast nichts weiter getan, als herumzuschwimmen und Brot zu fressen.«

Das Geräusch eines Reiters in schnellem Trab drang an ihr scharfes Ohr, und wieder schien sie zu erstarren. Sie witterte geradezu die Gefahr in der Luft. Als sie das Pferd anhalten hörte, flüsterte sie: »Nun liegt Edward VI., das Kind, bei dessen Geburt Johanna Seymour starb, selbst im Sterben – und was wirst du tun, Elisabeth Tudor?«

Als die Tür in der Mauer aufgestoßen wurde, stand sie auf und sprach von Neuem, als redete sie mit sich selbst: »Was werde ich tun –?«

Immer noch auf dem Pferderücken jagte der Reiter durchs Tor. Als sie sah, wer es war, überschwemmte eine Welle der Erleichterung die junge Frau. Ein einzelner Atemstoß drang über ihre Lippen, und eine Sekunde lang verspürte sie eine Schwäche, die sie schwanken ließ. Sie ging recht ungeduldig mit Schwäche um, sei es ihre eigene oder die anderer Leute, also stieß sie das Kinn vor und rief: »Sir Myles – hierher!«

Myles Wakefield folgte augenblicklich dem Klang der weichen Stimme. Als er Elisabeth sah, lächelte er und sprang mit einer leichten, lässigen Bewegung vom Pferd. Er warf die Zügel einem Knecht zu und murmelte: »Füttere das Pferd gut, ja? Es war ein harter Ritt.« Dann wandte er sich um und schritt über den Hof, ein hochgewachsener, kraftvoller Mann mit einer ungewöhnlichen Eleganz in seinen Bewegungen. Er ergriff Elisabeths Hand, küsste sie und lächelte dann. »Ausnahmsweise finde ich Euch nicht über Euren Büchern. Habt Ihr damit aufgehört?«

Elisabeths schmales Gesicht ließ deutlich die Freude erkennen, die sie über Wakefields unerwarteten Besuch empfand. Sie lächelte, und ihre Augen funkelten, als sie sprach. »Ich würde lieber in Menschen lesen als in Büchern! Nun, Sir, setzt Euch zu mir und lasst mich in Eurem Gesicht lesen.«

Myles setzte sich neben sie und ließ sich necken. Er wusste, unter welch schwerem Druck diese junge Frau schon seit Jahren stand. Er war ein viel beschäftigter Mann, aber es war seine Pflicht gewesen – und seine Freude –, sein Bestes zu tun, um ein wenig Leichtherzigkeit in ihr Leben zu bringen. Als sie jetzt rasch zu sprechen begann, wobei ihre Gedanken wie Bienen durcheinandersummten, dachte er: Ich glaube nicht, dass es eine Frau in ganz England gibt, die ihr gleichkommt! Sie hat Heinrichs Verstand und starken Willen geerbt und die Schönheit ihrer Mutter.

Elisabeth sah etwas über Wakefields Gesicht huschen und verlangte zu wissen: »Nun, welcher Gedanke ist Euch gerade gekommen? Ihr habt ein allzu ehrliches Gesicht, Sir Myles! Ihr müsst lernen, Eure Gedanken zu verbergen, denn unser England ist kein Ort für einen ehrlichen Mann.«

»Das möchte ich denn doch nicht denken, Elisabeth.«

»Nur in einer Welt, in der alle ehrlich sind, kann es auch der Einzelne sein«, stellte Elisabeth mit Entschiedenheit fest. »Wahrhaftig, Myles, ich kann die ehrlichen Männer und Frauen, die ich je kennengelernt habe, an dieser Hand abzählen!« Sie hob ihre schlanke, wohlgeformte Hand in die Höhe, und Zorn malte sich auf ihrem Gesicht. »Ehre und Wahrheit bringen uns nur auf den Block – oder noch Schlimmeres. War es nicht so mit Eurem guten Freund William Tyndale?«

»Ja, aber er hätte es nicht anders haben wollen.« Myles dachte an die Tage, die er mit Tyndale verbracht hatte, dem großen Gelehrten, und ein Lächeln huschte über seine Lippen. »Er schwor, er würde dafür sorgen, dass jeder Pflüger in England die Bibel in seiner eigenen Sprache würde lesen können – und er erreichte sein Ziel.«

»Und um welchen Preis? Er ist tot, auf dem Scheiterhaufen verbrannt!«

»Wir alle müssen sterben, Elisabeth«, ermahnte Wakefield sie sanft. »Wichtig ist nur die Sache, für die wir sterben.«

Elisabeth starrte Wakefield mit halb geschlossenen Augen an. »Ihr glaubt das allen Ernstes, nicht wahr?«

»Ja, das tue ich.«

»Irgendwie glaubt Ihr auch, dass letzten Endes das Böse eine Niederlage erleiden und die Gerechtigkeit siegen wird?«

»Ja, das glaube ich auch.«

»Warum?«

»Weil, wie ich annehme, Gottes Wort uns dieses Versprechen gibt. Es wäre unerträglich, zu irgendeinem anderen Schluss zu kommen.«

Die beiden saßen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und ein paar Augenblicke lang herrschte Schweigen zwischen ihnen. Myles erinnerte sich, dass er schon vor Jahren solche Gespräche mit Elisabeth geführt hatte. Sie war gemeinsam mit ihrer Schwester Maria für unehelich erklärt worden, und für beide junge Frauen war das Leben hart gewesen. Maria hatte sich niemals beklagt, aber Elisabeth war schon als Kind von forderndem Charakter gewesen, erinnerte sich Myles, als er ihr ins Gesicht sah. Sie wollte immer über die Dinge Bescheid wissen – und die meisten Dinge, die sie wissen wollte, können nicht erklärt werden.

Elisabeth seufzte stürmisch, dann streckte sie mit einem ihrer seltenen Beweise von Zuneigung die Hand aus und ergriff Myles’ Hand, die sie innig drückte. »Ihr tut mir gut, Sir Myles Wakefield!«, rief sie mit seltsamem Nachdruck aus. »Seit ich ein Kind war, war ich immer von Leuten umgeben, die mich benutzen wollten – und von solchen, die mich vernichten wollten. Aber Ihr wart immer da – um mich zu lieben.« Sie warf ihm einen verlorenen Blick zu und fügte hinzu: »Ich bringe das Wort Liebe kaum über die Lippen. Ich habe so wenig davon erfahren!«

Myles hatte sie noch nie so offen von sich selbst sprechen gehört. »Was ich an Ergebenheit und Treue habe, Prinzessin«, sagte er ruhig, »steht Euch zur Verfügung, wie schon Eurer Mutter.«

Tränen traten in Elisabeths Augen, und sie zog rasch ihre Hand aus der seinen. Sie hasste es zu weinen, und hatte seit Jahren nicht mehr unter den Augen eines Mannes geweint. »Ich weine wie eine Närrin!«

»Nein, gewiss nicht. Ihr weint um Eure Mutter, wie ich selbst es getan habe.«

»Erzählt mir von ihr, Myles. Ich höre so viele Geschichten über sie – wie schrecklich sie mit den Männern umging.«

»Lügen! Alles Lügen! Glaubt kein Wort davon!«

»Seid Ihr ehrlich, oder versucht Ihr mich nur in meinem Kummer zu trösten?«

»Nein, nie im Leben!« Myles suchte nach den richtigen Worten, um diese seltsame junge Frau zu trösten. »Königin Anne war auf ihre Art eine liebevolle Frau – aber einige Leute missverstanden das und hielten es für etwas anderes.« Er sprach in tiefem Ernst; erzählte ihr von der Zeit, als er ein junger Mann gewesen war und tiefe Bewunderung für Anne Boleyn empfunden hatte. Schließlich schüttelte er traurig den Kopf. »Sie war freundlich zu mir, Elisabeth, und ich war damals ein Niemand. Sie hatte ein ungezügeltes Temperament – eine Eigenschaft, die sie Euch vererbt hat –, aber sie ließ es mich kaum merken.« Er zögerte, dann fügte er hinzu: »Euer Vater war derjenige, der untreu war. Er brauchte eine Entschuldigung, um sich von Eurer Mutter scheiden zu lassen, und seine Untergebenen fabulierten sie. Wie ich gesagt habe: Eure Mutter war manchmal allzu offenherzig, allzu kühn in ihrer Ausdrucksweise und ihrem Auftreten, und das machten sie sich zunutze. Sie fälschten Beweise, um Anne wegen Ehebruchs zu verurteilen – ich weiß es! Eure Mutter liebte Euren Vater!«

Eine lange Zeit saßen sie da. Wakefields Worte überschwemmten Elisabeth wie ein beruhigender Regen. Sie setzte ihr Vertrauen in seine Ehrlichkeit, wie sie es bei keinem anderen Mann in England