Stürme, Schiffbruch, Kannibalen: die abenteuerliche Geschichte eines Weltumseglers,
die niemand so erzählen kann wie Raoul Schrott
Was für ein Abenteuer! Der Hannes aus Aachen kam als erster einmal ganz um die Welt.
Vor 500 Jahren brach er mit Magellans Flotte zu den Gewürzinseln auf. Und damit ins
völlig Ungewisse. Meutereien. Schiffbrüche. Kämpfe, Menschenfresserei — nur um an
Nelken zu kommen. Am Ende kehrte bloß ein einziges Schiff zurück. Nur 18 Seeleute
überlebten, unter ihnen »Juan Aleman«. Dass er noch ein zweites und sogar drittes
Mal zur Weltumsegelung aufbrach, ist alles, was man von ihm weiß. Raoul Schrott ist
dieser Nebenfigur der Weltgeschichte hinterhergereist: Schwelgerisch und voll geradezu
fühlbarer Details schenkt er seinem Simplicissimus auf hoher See ein ganzes Leben.
Raoul Schrott
Eine Geschichte des Windes
oder
Von dem deutschen Kanonier der erstmals die Welt umrundete und dann ein zweites und ein drittes Mal
Carl Hanser Verlag
Dies ist eine Geschichte des Windes.
Ich dachte immer, sie müsse von jemandem handeln, der bereits all die Namen der Haupt= und Nebenwinde kennt, ihre Richtungen auf jener papiernen Rose, die Seefahrer den ›Stern des Meeres‹ nennen. Doch wird sie nun erzählt werden von einem, welcher noch nichts davon weiss.
Und der sodann erfährt, wie ihn der Tagwind in den Garten Eden weht.
Von ihm halten die historischen Archive Spaniens nur wenig mehr als den Namen und eine Herkunft fest. In deren vergilbten Verzeichnissen wird er mal als ›Hanse‹, mal als ›Anes‹ oder ›Juan Aleman de Aquisgran‹ angeführt, Sohn von ›Juan Panhulo y Sofya‹.
Aus Verzeichnissen der damaligen Buchhalter geht darüber hinaus einzig hervor, dass er im Jahre 1519 als Kanonier auf der Victoria, einem der Schiffe Magellans, angeheuert wurde, um 1525 dann auf der Gehaltsliste von de Loaísas’ Besatzung als Konnetabel — Kapitän der Artillerie — aufzutauchen und im Jahre 1542 erneut bei der unter Villalobos ausgeschickten Expedition.
In den hernach über diese erstaunlichen Unternehmungen vorgelegten und bald überall in Europa sich im Umlauf befindlichen Berichten hat er kein einziges Mal Erwähnung gefunden. Dennoch zählte er nicht nur zu den achtzehn Heimkehrern der ersten Umsegelung der Erde: er war auch der allererste Mensch, der sie gleich zweimal umrundete, um darauf zu seiner dritten Weltfahrt aufzubrechen.
Das ist alles, was von diesem Hannes dem Deutschen aus Aachen überliefert ist. Alles andere ist die Wahrheit einer Geschichte gegenüber der Geschichte.
Es ist dies die Zeit, in der Nachnamen nur Geburtsorte oder Berufe bezeichnen und in der jedwede Zugehörigkeit zu einem Herrschaftsgebiet rein nominell gilt; ein Landstrich mag gut den Habsburgern und ihrem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation unterstehen — doch ob jetzt am Sitz des Kaisers zu Innsbruck, in Flandern oder irgendwo im Limburgischen: die Grenze von jemandes Heimat bestimmt da noch allein der Glockenschlag einer Kirche und wie weit er ringsum zu vernehmen ist.
Derart verrät uns der Name von Hannes’ Vater dessen Herkunft aus einem Dorf, zwei Tagesmärsche von der freien Reichsstadt entfernt, welche als Aquae Granni, Aken oder Aachen bekannt ist: Panheel an der Maas.
Dieses besteht aus einigen Gehöften rings um die Kirche des Heiligen Stephanus, inmitten des sandigen Bodens der Geest, durch welche der Fluss sich in Schleifen und breiten Schlingen windet, die Felder zumeist umschlossen von Wallhecken, die dort ›Knicks‹ genannt werden, sei es, weil man winters die Zweige der Bäume und Sträucher knickt, auf dass sie umso dichter zusammenwachsen, oder weil sie den ewigen Wind brechen, der dieses flache Land harkt.
Es sind dies Jahre kleinerer Sintfluten, die den von der Johannes=Apokalypse prophezeiten Untergang zur Mitte des Jahrtausends allerorts durch sommers über die Ufer tretende Ströme zu erfüllen scheinen. Dabei überschwemmen sie auch die Äcker von Hannes’ Vater und vernichten jedesmal die gesamte Ernte, sodass dieser sich schliesslich gezwungen sieht, den ärmlichen Hof aufzugeben und sich in den unweit Aachens gelegenen Minen zu verdingen, um die Familie über Wasser zu halten.
Dort wird Galmei abgebaut, ein Zinkerz, das Panhelus’ Vater aus Gängen bricht oder Gruben holt, in denen es sich verwittert findet zu Mulm. Mit Kupfer legiert, ergibt es jenes Messing, das die Stadt hat berühmt werden lassen ›bis an das Ende der Welt‹. In fingerdicke Platten gegossen und zu dünnen Blechen verhämmert, wird das goldgelbe Metall dann zu Feuerböcken und Wasserbecken verarbeitet, zu ziselierten Schüsseln, Schalen, Löffel=, Messer= und Gabelgriffen, Nadeln und Vogelkäfigen, zu Wärmpfannen, Stöfchen und Lichtputzscheren, Lampen und Leuchtern.
Panhelus’ Stammhalter dagegen, der noch keine vierzehn Jahr zählende Hannes, ist zunächst in der Stadt bei einer der altehrwürdigsten Zünfte untergekommen, den Webern, welche den Koggen der Hanse auch das Segeltuch liefern. Allein, das Gewerbe befindet sich im Niedergang seit Antwerpen sich damit hervortut, und für den Jungen ist diese Weiberarbeit am Webstuhl nichts, dafür sind auch seine Hände zu grob, wie er meint. So verschlägt es ihn alsbald in eine Giesserei, doch ohne Kettbäumen, Schussfäden und Schützen — auch ›Schiffchen‹ genannt — am Ende zu entgehen.
Die örtlichen Kupferlager längst erschöpft, wird dies Erz nun in satten Mengen von weit her eingehandelt, um die grosse Nachfrage an dem Aachener Messing befriedigen zu können. Es kommt über die Maas von Antwerpen, aus dem Harz, dem Thüringer Wald, gar aus Tirol, und wird jeden Tag am Stadttor angesagt und im Kupferhof abgewogen. Die Gussmeister haben deshalb auch begonnen, daraus Bronze herzustellen, denn aufs Legieren von Metallen verstehen sie sich mittlerweile auf das Beste — sie sind ihren, bei der Schmelze sich offenbarenden alchemistischen Geheimnissen auf die Spur gekommen, ja, all den Eigenheiten ihrer Mischungen und den Eigenschaften der Temperaturen.
Und so werden in Aachen nun Glocken zusammen mit Feuerwaffen hergestellt, Pistolen wie Kanonen, welche bis in das kaiserliche Innsbruck verliefert werden, da einzig deren Luftschläge den drohenden Untergang abzuwenden versprechen, der sich in den Donnersteinen ankündigt, die aus heiterem Himmel einschlagen, durch die Geburt zweiköpfiger Kälber und bei manchen auf Händen und Beinen in blutenden Wundmalen.
Zu Anfang ist dies eine Geschichte von Feuer und Erde; das Wasser wartet noch, und die Luft bleibt weiter unergründlich.
Der Hannes ist nur einer von dreien, welche dem Kupfermeister zur Hand gehen: da ist auch der Geselle Georg, Bruder eines tirolischen Kupferhändlers, der allhier das Schmelzen erlernen soll, und der Hans, ein zweiter Lehrling, den die mit Erz beladenen Fuhrwerke aus dem Thüringischen hergebracht haben. Sie helfen zuerst, die ›falsche Kanone‹ aus Holz zu drechseln und glatt zu polieren, um darauf Wachs aufzutragen, das der Meister verziert, so kunstvoll er es vermag. Darüber ziehen sie das Lehmhemd, indem sie mit einem Pinsel den geschlämmten, mit Ziegelmehl und Kälberhaaren versetzten Ton auftupfen und die dicke Spindel über glühenden Holzkohlen drehen, damit der trocknen kann, das Wachs ausrinnt und einen Abdruck in dem Erd=Kleid hinterlässt, worauf sie die nächste von zehn feinen Schichten aufstippen: was eine ganze Nacht lang dauert, denn dabei darf es zu keinen Unterbrechungen kommen. Um diese dünne Hülle wird danach grober, mit Pferdemist und Strohhäckseln vermengter Lehm gepackt, dick und fest genug, um dem Druck des flüssigen Metalls standzuhalten, welches der Meister indessen in einem Ofen anzurichten begonnen hat. Hierauf wird die Spindel herausgezogen und in das nun hohle Hemd eine ebenfalls mit Lehm überzogene Stange gehängt, so, dass sie darin zu schweben scheint — als Seele, um welche sich dann das Innere des Kanonenlaufes bilden wird.
Den ganzen Tag über siedet und kocht das Metall schon in seinem Schmelztiegel aus britannischem Stein — allein der Meister weiss, wann es bereit ist und wann er dem Kupfer Zinn beigeben muss samt etwas Galmei und Blei, in einer Mischung, deren Rezept er vor Gesell und Lehrlingen geheim hält. Diese aufglühende Masse zu bohlen (das heisst, mit der Fichtenstange umzurühren und aufsteigende Gase dann abzufackeln) ist das, was die drei Jungen am liebsten tun — das Zauberische dieses Schauspiels jagt ihnen Schauder über den Rücken, und wer unerschrocken der höllischen Glut sich zu nähern traut, der gilt als Mann.
Alles bereit, beten sie nun ein Vaterunser und harren der Schläge vom Kirchturm, auf dass sich deren Macht auch auf das Metall übertrage. Dann sticht der Meister seinen Ofen an, und die weissglühende Bronze kriecht langsam und von unten her in dem Lehmhemd hinauf, eine feurige und dennoch beinahe flammenlose Masse, welche sich träge um die Eisenstange schlängelt und alle Unreinheiten, Schlacken und Luftblasen herausdrückt: es ist dies die gefährlichste Arbeit, denn dabei hat er sich einst den linken Arm bis auf die Knochen verbrannt. Danach bleibt bloss Geduld, bis die Bronze erkaltet zu dem niemandem recht erklärlichen Wunder — warum nämlich weiches Kupfer und Zinn sich miteinander so erhärten, dass sie darauf widerzuhallen vermögen, ob im dumpfen Dröhnen eines Glockenschlags oder dem eines Kanonenschusses.
Ob das Werk wahrhaftig gelungen ist, zeigt sich aber noch nicht an dem, was hernach, die Stange wieder herausgezogen, unter dem abgeschlagenen Mantel zum Vorschein gelangt — es erweist sich zunächst allein an der Beschaffenheit der Späne beim sorgfältigen Ausbohren und dem Ausfeilen des Kanonenlaufes, welchen man den ›Flug‹ nennt, wie er sich rings um die hohle ›Seele‹ hochzieht, weil auch der Mensch erst innen ausgeschliffen und geschmirgelt werden muss, damit das Schwarzpulver des christlichen Glaubens die Kugel des Göttlichen in himmlische Höhen zu schicken vermag. Doch auch dann ist noch ungewiss, ob der Körper davon nicht zersprengt wird — weshalb die ersten drei Schüsse aus einer frisch gezogenen Kanone stets dem Meister selber überlassen werden, die Schaulustigen sich in Sicherheit bringend, sobald er seine brennende Lunte an den Lauf legt.
Inwieweit wir uns in den Dingen, die wir schaffen, wiederfinden oder diese sich in uns und welches Bild der Welt sich darin zeigt, das interessiert unsere drei freilich kaum. Auch ist ihre Welt noch eine feste und gefügte, wo alles und jeder seinen Platz hat — wiewohl einige bereits angesichts der anschwellenden Wasser an den Bau einer Arche denken oder zumindest an immer höhere Schutzwälle und Türme.
Darum begeistert die drei Jungen weniger die Geschützgiesserei im Hinterhof als das damit verbundene Amt eines Büchsenschützen, seiner Besoldung wegen und seines Ansehens, gewiss — aber noch weitaus mehr, als er mit seinen Kugeln Breschen in dicke Mauern zu sprengen vermag, deren Auswirkungen sie zwar ebenfalls noch nicht so recht zu erfassen vermögen, doch der Knall, der Knall, der hat es ihnen angetan!
Denn da allein die Giesser ihr Geschütz wirklich kennen, es zu bedienen wissen und sagen können, wieviel an Pulver und wieviele Schüsse es aushält, werden sie als Kanoniere sehr geschätzt: darauf hoffen die drei in ihrer inbrünstigen Jugend, anders als der Kupfermeister, der alte Griesgram, welcher die Läufte der Zeiten zur Genüge miterlebt hat. Und die werden nun einmal von den Formen der Erde und des Feuers bestimmt, predigt er, und von all den Waffen, welche der Mensch daraus herstellt — ungeachtet dessen, dass ihn am Ende allein sein Grab erwartet, eine Grube, schmal wie jene in der Mine, in der sein Vater sich zu Tode arbeitet, wie Hannes glaubt.
Doch kommt seit jüngstem das Wasser hinzu, im Schlechten wie auch im Guten. So hat man eben die Kunde erhalten, dass sich jenseits des Meers eine Neue Welt befinden soll, welche Rettung vor dem drohenden Untergang der Alten verheisst, wenngleich sie unerreichbar scheint.
Und dazu hat ein hiesiger Kupferhändler, welcher in Antwerpen dem ›Aachener Haus‹ vorsteht, bei seinen letzten Lieferungen gerade seltene Gewürze mitgesandt, welche die Portugiesen von irgendwo jenseits des Ozeans herbeigeschafft haben: Blütenstände, ihrer Nagelform wegen ›Nelken‹ genannt, sowie die Muskatnüsse, die dem Brei, der den Jungen Tag für Tag vorgesetzt wird, einen eigentümlichen, wohlmundenden Geschmack verleihen würden, so sie sich deren Erwerb zu leisten vermöchten — woran aber nicht zu denken ist, da sie mit Gold aufgewogen werden.
Sechzehn Jahre alt geworden, übernimmt Hannes Wachten an der Stadtmauer, für welche die Bürgerfamilien selber zu sorgen oder jemanden abzustellen haben. Da der Wall aber vom Salvator=, Lous= oder vom Weingartsberg aus allzuleicht von feindlicher Artillerie beschossen werden kann, hat man zu seiner Befestigung einige Geschütze auf die wichtigsten Stadttürme geschafft, für deren Schiessbedarf die Pulvermühlen jährlich eine bestimmte Menge Schwarzpulver abliefern müssen, die Wachgänger vom Artillerie=Kapitän kontrolliert, ob sie denn auch das Nötige an Kraut und Lot, soll heissen Zunder und Blei, bei sich trügen.
Für seine Mühewaltung kann der junge Hannes im Sommer vier und im Winter fünf Mark beanspruchen, was der verarmten Familie willkommen ist, ihm jedoch schier nicht enden wollende Tage und Nächte beschert, um da nach einem Feind Ausschau zu halten, welcher sich hinter dem Horizont versteckt — ob Burgunder oder rebellische Seeländer, ist schwer zu sagen, die Alarmglocke kann er jedenfalls nie anschlagen.
Grösste Lust und Zeitvertreib bereitet ihm jedoch das Bedienen der Geschütze, die man samstags übungshalber abfeuert, mit den Steinkugeln einer Bombarde auf ein leeres Fass oder mit dem Schrapnell einer Feldschlange auf die Karnickel alsda zielend. Er übt sich mit der Ladeschaufel (welche aus Kupfer ist, damit sie nicht Funken schlägt), Pulver durch den Flug in die Pulverkammer einzudrehen, mit der Setzstange die Kugel auf den Stossboden zu rammen, mit den Borsten des Wischers die Seele von Pulverrückständen zu reinigen und mit dem Pfriem die vom Pulver verkrusteten Zündlöcher zu durchstechen: ein Büchsenmeister, ja, das möchte er schon einmal werden! Vorerst jedoch darf er bloss die Kugeln wieder zum neuerlichen Gebrauch vom Acker einsammeln.
Was verschaffen einem solche Geräte nicht alles an Freude, indem sie — wie auch jeder vom Geschützmeister abgefeuerte Schuss — eine eigenartige Magie besitzen und ihre Handhabung ihm eine mächtige Meisterschaft über die Welt verspricht, welche das Bumm, Bumm stets zu bekräftigen scheint, ohne dass sich Gedanken an gewisse Verantwortlichkeiten irgendwie aufdrängen würden. Derart bringt es unser Hannes bald zu einigem Geschick in dieser Kunst — die Jugend lernt schnell. Und der etwas ältere Georg sowie der jüngere Hans machen es ihm natürlich nach; sie befeuern einander.
Das haben sie auch nötig, denn die Büchsenmeisterei ist kein einfaches Gewerbe. Für ihre anstehende Prüfung müssen sie beweisen, dass sie die Kunst beherrschen, wie weiland der Doctor Berthold Schwarz das Pulver herzustellen und es hernach alchemistisch zu verfeinern, ohne dabei in die Luft zu fliegen. Überdies müssen sie fähig sein, Granaten zu packen und die richtigen Projektile gegen Bohlen, Mauern oder Menschen auszuwählen, die jeweiligen Kanonen dementsprechend zu laden, zu zielen, in nützbarem Zustand zu halten, ohne dass sie von schlechtem Wetter und dem Salpeter angegriffen werden, sie mit Pferdegespannen zu transportieren, auf dem Schlachtfeld zu manövrieren und dortselbst eilig nachzuladen.
Dies zu lernen, bedarf es nicht nur einiges an Gehirnschmalz, sondern der Gulden, die sie sich vom Mund absparen, um für Pulver und Munition der Übungsschüsse samt einem Lohn für den Büchsenmeister aufzukommen, einem rechten Falotten, welcher behauptet, die Stadt käme nicht für die Ausbildung von drei Fremden auf; es habe zu genügen, dass sie ihnen die Geschütze zur Verfügung stelle — seine Zeit und Kenntnisse aber wolle er bezahlt sehen, sonst sähe es für ihre Innungsprüfung schlecht aus.
Der Georg tut sich damit leicht, der kriegt das Geld dafür ja von zuhause und hat darum die Prüfung ebenso schnell in der Tasche, wie es aus seinem Beutel in jenen des Büchsenmeisters wandern kann. Den Hannes und den Hans jedoch, die lässt dieser gierige Sack für sich schuften, wodurch sie alles doppelt und dreifach lernen — was ihnen gewiss nicht schadet. Wobei der Hans sich nicht als der Klügste erweist, sich dafür aber in die Materia verbeisst wie ein Hund in seinen Knochen.
Ihrem Kupfermeister jedoch wird dies bald einmal zuviel, der braucht sie zum Guss und schreitet so schliesslich ein, auf dass sie sich wieder ehrlicher Arbeit zuwenden: denn die ganze Schiesserei ist ihm sehr zuwider, die ist nur etwas für Landsknechte und anderes Gesindel.
Hans, das ist jener ›Anes Bargen‹, ›Juan Vargue‹ oder ›Maestre Otans‹ aus ›Mivri‹ oder ›Mebr‹, Sohn von Berge und Elisabeth aus dem thüringischen Mebritz also, der später einmal in den Listen der Casa de Contractación als Geschützmeister der Concepción, eines Begleitschiffs Magellans, aufgeführt werden wird: er zählte ebenfalls zu dem Häuflein, das die unter unvorstellbaren Beschwernissen erfolgte und drei endlos lange Jahre dauernde Weltumsegelung überstand, ohne dass ihm von dem Handelshaus des Indienrates der dafür ausständige Sold am Ende noch ausgehändigt werden musste.
Und der Georg ist jener ›Jorge Aleman de Estric‹ — der Deutsche aus Österreich —, welchen unser Kanonier Hannes auf einem anderen Schiff von Magellans Flotte noch eine Weile als Artillerie=Kapitän über sich stehen haben wird.
Georg ist es auch, der beide auf Umwegen in die spanischen Lande bringen wird. Denn als er genügend gelernt und seinem Meister all die Geheimnisse abgeschaut zu haben glaubt, macht er sich auf, zurück in die Heimat, in Begleitung von Hans und Hannes, was nun nicht lang erklärt zu werden braucht: Abenteuerlust spricht für sich — und zurückgehalten wurden sie von ihren Familien nicht; für die hätten sie nur ein weiteres, am Tisch zu sättigendes Maul dargestellt.
Zuhause ist für Georg Schwaz — die Münzpräge und Bergwerksstadt der Fugger, die den unterm Goldenen Dachl residierenden Kaiser Maximilian bevorschussen, um an den Zinsen und den allerorts durch Grundbesitz abgelösten Bürgschaften reich zu werden. Und zuhause, das ist für ihn auch sein älterer Bruder, der Löffler Peter, welcher nunmehr in Innsbruck — dank des durch fortwährende Heereszüge des Habsburgers sich steigernden Bedarfs an Kriegsgerät — eine Büchsengiesserei zu gründen vermag.
In ihr gelangen Georgs Kenntnisse zum Einsatz, insbesondere die vom Meister in Aachen abgekupferte Technik, die Läufe nicht waagrecht, sondern aufrecht im Boden eingegraben zu giessen, weil sich derart die Bronze am unteren Ende rund um die Pulverkammer verdichtet, was den Kanonen eine höhere Festigkeit, grössere Durchschlagskraft und mehr Tragweite verleiht.
Diese Neuerung macht sie so begehrt, dass Maximilian sein Heer damit bestückt und ihn, den Löffler Peter, in Erweisung kaiserlicher Wertschätzung, welche aber leider nicht in Talern ausfällt, adelt, sodass er seine Gusshütte nunmehr ›Schloss Büchsenhausen‹ nennen darf.
Georg jedoch, der wird von Maximilian zu seinem Enkel Karl geschickt, der jetzt über die Spanier zu regieren hat, weshalb auch ihm solch neumodische Kanonen angefertigt werden sollen. Damit sie ihm dabei zur Hand gehen, nimmt er Hannes und Hans auf diese Überlandreise in die Fremde mit — ohne zu ahnen, dass sie alle zusammen alsbald auf den Besoldungslisten spanischer Schiffe unter ihre Namen ein Kreuz setzen werden und sich somit, obgleich selbst des Schreibens unkundig, in die Geschichte und darüber auch in diese Historie eintragen.
Dabei stellt es eine bemerkenswerte Ironie dar, dass es dem Löffler Peter dereinst mit seinem Enkel ebenso ergehen sollte wie dem alten Kupfermeister zu Aachen mit seinem Gesellen — denn auch der ging ihm durch, um darauf die Geheimnisse des Löffler’schen Gusses an die Engländer zu verkaufen und dortselbst Kanonen in Serie zu giessen, welche es den Briten später erlaubten, die spanische Armada aus sicherem Abstand auf den Meeresboden zu schicken. Doch das wäre, wenn, bei anderer Gelegenheit zu erzählen.
Schilderungen der historischen Kulisse, vor welcher ein Portugiese unter der Flagge der Spanier eine Umrundung der Erde anstrebte, die finden sich in vielen Büchern. Ihre Hintergründe lassen sich dennoch bloss mit sehr groben Strichen konturieren, weil sie so umständlich sind wie diese Sätze, mit denen der damalige Geist der Zeit sich auszudrücken bestrebt ist: wobei uns zunächst die nach wie vor unvollständige, auf dieses Bühnenbild gemalte Weltkarte interessiert.
Der Umriss Afrikas ist zwar gezeichnet, nachdem der Portugiese Bartolomeu Dias 1487 das Ende dieses Kontinents entdeckte und weitere Portugiesen unter Vasco da Gama zehn Jahre später weiter nach Indien gelangten. Darauf errichteten diese Anno 1512 auch auf den Molukken einen ersten Stützpunkt, um den Fernhandel mit dem begehrten ›ostindischem Gold‹ — den nur da wachsenden Gewürznelken und nach Moschus riechenden Nüssen — den arabischen Seefahrern zu entreissen, welche sie bislang nach Venedig weiterverkauft hatten, über jenen Hafen Muskat, über den sie bei uns bekannt wurden.
Vom Westen hingegen, zu dem Portugals Erznachbarn ihre Schiffe auszuschicken sich jetzt gedrängt sahen (mangels rechter seemännischer Erfahrung oft unter nicht=spanischen Kapitänen), kennt man seit 1492 nur einen Küstenstrich und davor die
zur ›Karibik‹ verballhornten kannibalischen Inseln. Alsda dachte Columbus noch, in Indien gelandet zu sein — bis dieses sich nach weiteren entsandten Expeditionen als der Saum eines sich offenbar bis zum Südpol erstreckenden Kontinents erwies, welcher seinen Namen einem gleichfalls unter falscher Flagge segelnden Italiener, Amerigo Vespucci, verdankt.
Doch ob das wirkliche Indien der untergehenden Sonne folgend zu erreichen war, blieb weiterhin ebenso unklar wie der eigentliche Umfang dieser Erde — der Osten noch nicht mit dem Westen zusammentreffend und dazwischen eine bald grössere, bald kleinere Leere, in der manche das Paradies verschollen glaubten.
Dass der spanische Konquistador Vasco Nuñez de Balboa nach seinem Fussmarsch durch Mittelamerika im Jahre 1513 hinter der Küste erstmals den Ozean erblickte, machte die Dimensionen der Welt auch nicht klarer. Als Juan Diaz de Solis jedoch 1516 im Süden Amerikas, im Land des Feuerholzes — Brazilio Regio — die Mündung eines ›süssen Meeres‹ entdeckte, wurde dieser Weg in die hintere Hälfte der Erde zumindest denkbar, um auch Spanien an das ›ostindische Gold‹ kommen zu lassen.
Nein, die Welt liess sich noch nicht umfassen, trotz all der Atlanten und Mappae Mundi — was jedoch die Kartographen nicht daran hinderte, sie auf ihren Globen schon vorwegzunehmen (darunter viele deutsche, als wollten sie ihre Binnenlage durch das Entdeckerische, oft auch bloss Erfinderische von solchen Übersichten wettmachen). Trotzdem hatten sie die beiden Erznachbarn Portugal und Spanien im Jahre 1493 in zwei gleich grosse Hoheitsgebiete dividiert, so als gehöre ihnen schon jetzt die ganze Welt.
Zum Schiedsrichter aufgerufen, hatte der Papst die letztlich nur angenommene,
indessen immer noch unbewiesene Kugelgestalt der Erde für sie entzweigeteilt — entlang eines Meridians, welcher mitten durch den Atlantik verlief, nirgendwo bekanntes Land berührend, eine Grenze, welche er hundert Leugen (das heisst: einhundert Stunden Fussmarsch) westlich der Kapverdischen Inseln ansetzte. Doch auf den hartnäckig vorgebrachten Appell des portugiesischen Königs hin (der aufgrund seiner neuen indischen Besitzungen weitaus mehr Kirchensteuer an Rom ablieferte als der spanische Kaiser) wurde diese Línea de Demarcación schon im Jahr danach um weitere 270 Leugen in Richtung Westen verschoben: was Portugal erlaubte, auch einen Teil des unterdessen entdeckten Landes Brasil für sich zu beanspruchen. Diese Verschiebungen bedeuteten jedoch andererseits, dass all das, was die Portugiesen somit im Westen gewannen, sie wohl oder übel im entsprechenden Verhältnis im Osten wieder an die Spanier abgeben mussten.
Und da tritt jetzt Fernâo de Magalhães — von den Spaniern ›Magellan‹ genannt, sich in den Ohren unserer deutschen Kanoniere jedoch wie ›Mägäle‹ anhörend — mit seinem hinkenden Gang von der Seite auf die Bühne, zu einer Aufführung am Hofe von Valladolid, zu der unsere drei, noch etwas einfältigen Kanoniere ebensowenig eingelassen werden wie gemeines Volk: weshalb auf den Rängen und Balkonen dies Theaters nebst dem Kaiser nur einige Höflinge und Beamte sowie ein Kosmograph und ein Astrologe ihre Plätze eingenommen haben.
Dies wird wohl das letzte Kapitel bleiben, in dem wir uns mit der Weltgeschichte zu befassen haben; ihr Schnürboden ist zuwenig durchschaubar, die Maschinerie zu kompliziert, jeder Handkonterzug zu versteckt, als dass wir für diese Historie das Menschliche so recht ins Licht setzen könnten, obgleich es unzweifelhaft hie und da zum Vorschein kommt. Es mag sich zwar als Hofballett und Maskenspiel in aller Formalität präsentieren, doch werden auch so die wohlgesetzten Schritte und die Bücklinge vor dem Kaiser von verletztem wie verletzendem Stolz geleitet, vom Streben nach Ehre und Besitz: was sonst brächte einen adeligen Portugiesen nunmehr dazu, vor dem gerade mal achtzehnjährigen Habsburger Karl zu knien, welcher noch kein Jahr über Spanien regiert, ohne der Sprache mächtig zu sein, und darum mit seinem flämischen Hofstaat scheel als Fremder angesehen wird, um ihm den Zugang zu einer Hälfte der Erde zu versprechen, in der die Sonne verkehrt herum am Himmel stünde, auf dass dieser dann sagen könne, dass sie in seinem Reich nie unterginge?
Magalhães hatte in jungen Jahren keine unwesentliche Rolle bei der Eroberung indischer Lande gespielt, sieben lange Jahre Wagemut und taktisches Geschick bei allerlei Gefechten bewiesen, sich zu den Malayen vorkämpfend und beinahe zu den Gewürzinseln selbst — bis dorthin schaffte es allein sein Vetter Serrão —, um, einmal zurückgekehrt, sich danach auch bei der portugiesischen Besetzung der marokkanischen Küste heldenhaft zu schlagen (anders vermochte man sich, dem verarmten Landadel von Porto entstammend, ja keinen Namen zu machen) und dabei von einem vermaledeiten maurischen Krummsäbel an der Hüfte rechts so schwer verwundet zu werden, dass er das Glück hatte, seitdem nur zu lahmen, und das Unglück, ob seiner Tapferkeit den Neid seines Generals hervorzurufen. Der entledigte sich des stets etwas aufsässigen Waghalses mit der Unterstellung, jener habe sich zur eigenen Bereicherung mit den Mauren hundsgemein gemacht — worauf Magalhães unehrenhaft aus dem Heer entlassen wurde: eine Verachtung seiner Person wie eine Missachtung aller errungenen Verdienste sondergleichen, welche wettzumachen ihm nichts anderes einfiel, als dem portugiesischen König den Vorschlag zu unterbreiten, nun eine Expedition zu den Molukken anzuführen, wo sein Waffenbruder Serrão (dem er schon in Indien einmal das Leben gerettet) mittlerweile mit einem Häuflein Aufrechter auf beinah verlorenem Posten festsässe. Denen wolle er nun nicht auf der unnötig langen Route rund um Afrika und Asien, sondern auf dem weit kürzeren Weg gen Westen die nötige Verstärkung bringen — worauf man ob der militärischen Anmassungen dieses dubiosen Emporkömmlings ebenso in Hohnlachen ausbrach wie ob der als irrwitzig erscheinenden Vorstellung, man könne die geschlossen von Norden nach Süden sich erstreckende Küstenlinie jenseits des Atlantiks mir nichts, dir nichts einfach durchsegeln.
Doch Magalhães gab nicht auf; es ging ihm um die Ehre, die alles war, was er hatte, und wiewohl er wusste, dass er damit zum Landesverräter würde, beruhigte er sich und seine Gewissensbisse dadurch, sich in den Dienst einer noch höheren Autorität stellen zu können, indem er für Gott und den Papst allerorts die Heiden bekehrte. So wurde er im Jahr darauf bei dem spanischen Kaiser vorstellig, besser vorbereitet als zuvor und auf jeden nur erdenklichen Einwand eine Antwort in der Hinterhand: Zum Ersten den Brief seines Vetters Francisco Serrão von den Inseln der Gewürze, in dem ihm dieser schilderte, dass er sich auf seinem Aussenposten umzingelt sehe von Muslimen, ohne Hilfe von Portugal zu erhalten — weshalb eine jede recht käme, selbst die spanische, umsomehr, als der Längengrad, auf dem seine Molukken lägen, itzo durch spanisches Gebiet verliefe, dessen sei er sich ganz gewiss. Zum Zweiten — und da trat ein alter Freund aus der Heimat vor, ein Astrologe, welcher berichtete —, dass entgegen den viel zu groben seemännischen Einschätzungen von Längengraden diese weit besser durch Messungen der Schiffsgeschwindigkeit zu berechnen seien, hielte man sich dazu an die Abweichung der Kompassnadel vom wahren Norden: und ja — seine Formeln bestätigten durchaus die Richtigkeit von Serrãos Angaben. Zum Dritten referierte sein spanischer Amtsbruder, der Kosmograph San Martin, welcher vordem bereits an einer Expedition in das Land Brasil teilgenommen hatte, dass seine im Verlauf dieser Seereise gen Westen stetig gemachten Beobachtungen der sich verändernden Konstellationen der Planeten und des Mondes ein Solches
gleichfalls nahelegten — was aber leider weit über die Verständigkeit Kaiser Karls und seiner anwesenden Würdenträger hinwegging. Weshalb Magalhães viertens ein Hilfsmittel hervorholte, das dann allen einsichtig war: nämlich einen Globus des deutschen Kartographen Johannes Schöner, welcher darauf — unter Berufung auf die alten griechischen Gelehrten und den ihre Welt umfliessenden Okeanos — zwischen dem äussersten Süden Südamerikas und dem Eis rings um den Südpol eine gedachte und darum schiffbare Passage offen gelassen hatte; sowie eine Karte von Schöners portugiesischem Lehrmeister Jorge Reinel. Die entschlug sich zwar aus sachlicher Lauterkeit solcher philosophischer Spekulationen — zeigte jedoch auf der Grundlage von dessen Berechnungen des Erdradius’ völlig unzweideutig, dass jener päpstliche Meridian, der den Atlantik im Westen teilte, die Gewürz= Inseln des Ostens in das spanische Hoheitsgebiet rücken würde.
Man drehte am Globus, auf dem all die Wunder der Welt eingezeichnet schienen, und entrollte die Karte, die jenseits der Grenze alles den Vorstellungen offenliess: der anwesende Kardinal war dafür (denn egal ob diese missionarische Expedition gelang oder scheiterte, beidesmal würden dem HErrn neue Seelen anempfohlen), der Faktor des Handelshauses für Indien auch (da unter dem meridionalen Strich für ihn nur schwarze Zahlen zu erwarten wären, denn gleich, wie weit die Schiffe in das Unbekannte vordrängen, er erhielte seine Mittel dazu aus dem Schatzhaus). Was den unerfahrenen Kaiser allerdings mehr als zögern liess, das war der Fugger, der sich hinter seiner Schulter räusperte — es war eben alles eine Frage des Kredits, des materiellen wie des geistigen, und ob beide Zins abwürfen, das war ungewiss.
Und so steht er nun da, Fernão de Magalhães, und schaut diese blutjunge Majestät erwartungsvoll an, die Ungestaltheit seines schmalen, wie ein Keil bis zu dem spitz herabhängenden Unterkiefer zulaufenden Gesichtes (dessen Hässlichkeit Karl I. eine Aura des Unnahbaren und Einsamen verleiht) über der eigenen Begeisterung nicht mehr gewahrend, ihm bloss in seine hellen Augen starrend, mit einem Blick, der ihn auffordert, sein wahres Ich zu zeigen, von Mann zu Mann, was den Kaiser unangenehm berührt, doch zugleich seltsam erfüllt, ganz so, als würde er miteins
wahrhaftig wahrgenommen, und ihn doch schwanken lässt, ob er an seiner längst vorgefassten Ablehnung eines solch irrwitzigen Vorhabens weiter festhalten solle, da er mit der Zustimmung (als der ersten eigenen Handlung seiner Regentschaft) im Falle eines Misslingens dieser Expedition auch noch das letzte Ansehen verlöre. Es ist ein entscheidender Augenblick, das erkennt Magalhães und tut das Einzige, was ihm einfällt — nämlich ein dünnes und an den Seiten abgegriffenes Heftchen aus seinem Wams zu ziehen und daraus vorzulesen. Er weiss, es ist das Richtige, ohne zu begreifen, woher die Eingebung kommt, diesem deutschen Kaiser jetzt das Deutsch der ersten Sätze dieser Copia der Newen Zeytung auss Presill=Land einfach vorzutragen, ohne mit seinem weichen Portugiesisch zu der Aussprache solcher zischenden und kropfigen Wörter auch nur im Geringsten fähig zu sein, sodass ihn alle ob seines gräulichen Akzentes etwas baff angaffen, um daraufhin in erheitertes Lachen auszubrechen — bis auf Kaiser Karl, der es als das erkennt, was es ist, eine eigentümliche Respektsbekundung, die erste wirklich ernsthafte, die er am Hof bislang erfahren hat —, und der Fugger dem Magalhães dieses Heft dann aus der Hand nimmt und es erstaunt betrachtet (da in seiner Heimatstadt Augsburg gedruckt, ohne dass es ihm zur Kenntnis gelangt wäre), zunächst still darin blätternd, um darauf für Karl laut weiterzulesen, der jetzt erstmals auch alles zu verstehen vermag, und den Bericht einer geheimgehaltenen Expedition der Portugiesen Anno 1512 über den ihnen zustehenden Teil von Brasil hinaus danach den Umstehenden zu übersetzen, weil da die Rede ist von einer Passage in Richtung Westen. Was jedoch letztlich den Ausschlag gibt, ist der Umstand, dass damit die ganze Welt Kunde davon hatte, dass Portugiesen widerrechtlich in Spaniens Hälfte der Erde vorgedrungen waren, was es nun gelte zu vergelten — darüber erregt man sich sosehr, dass der vielversprechende Wortlaut des Berichts zum Anlass wird, die als verletzt gesehene Ehre durch Entsendung einer Armada von fünf Schiffen unter dem kaiserlichen Banner des Heiligen Römischen Reiches wieder herzustellen, obwohl sich bereits da in wenigen Zeilen festgehalten findet, wie es einem dabei ergehen kann:
Item wisset, dass am zwölften Tage des Monats October Schiffe aus Presill-Land hier sind angekommen, denen es an Viktualien gebrach — bewaffnet und gerüstet von Nuno Manuel, Cristobal de Haro und anderen. Es waren zwei Schiffe, welche die Erlaubnis des Königs von Portugal hatten, Presill-Land zu erkunden und zu beschreiben. Und sie haben dies Land sechs, sieben Hundert Meilen weit describiert, von dem man bislang kein Vorwissen gehabt hat. Und als sie kamen auf Höhe des Cabo de Bona Speranza und noch ein Grad weiter südlich — nämlich auf 40 Grad —, haben sie Presill gefunden, mit einem spitzen Kap oder einem Ort, der ins Meer hinausreicht. Sie haben selbiges umfahren und herausgefunden, dass das Meer dort gleich liegt wie in Europa, nämlich zwischen dem Aufgang der Sonne im Osten und ihrem Untergang im Westen. Als sie etwa sechzig Meilen um das Kap herum waren, haben sie auf der anderen Seite auch Land gesehen, so wie wenn einer durch die Strasse von Gibraltar fährt und dann das Land der Berber sieht. Und nachdem sie das Kap ganz umrundet hatten, sind sie nach Nordwesten gefahren — dort jedoch sind Ungewitter gross geworden und ist auch ein Wind gewesen, dass sie nicht weiter haben segeln können. So haben sie von Norden wieder herab auf die andere Seite der Küste von Presill fahren müssen. Und der Pilot — das ist: der Schiffführer — glaubt, dass es von diesem Cabo de Presill nicht einmal sechs Hundert Meilen gen Molukka sei, und er vermeint in kurzer Zeit durch solchen Weg von Lisbona gen Molukka zu fahren und wiederkommen zu können, um dem König von Portugal ein grosses Schiff voller Spezereien zu bringen.
Die Gemälde dieser Epoche setzen allein den Christus in Öl, Figuren aus der Bibel und Adelige; bunte Bilder von Menschen hingegen werden nur von Bänkelsängern und Puppenspielern gemalt, um am Marktplatz mit ihren Tafeln und Leinwänden Nachrichten zu kolportieren und Moritaten zu illustrieren, Lieder, die vom Lärm und Schrecken des Lebens, von gar schaurigen Mord=, aber auch von Moraltaten erzählen.
Uns zeigen sie nun Vorder= und Hinterkastelle, ihre schwarzen Geschützpforten, das leuchtende Gelb der rundbauchigen Rümpfe und die glänzenden weissen Segel jener fünf Karacken, die am jenseitigen Flussufer liegen, dem Seehafen von Sevilla, und auf dem breiten Sandstrand diesseits, dem sogenannten Arenal am Stadtwall, alles Gut, mit dem sie ausgerüstet werden: ein Labyrinth von Pökelfässern, Rüben= und Getreidesäcken, Hühnerkäfigen, Tau= und Tuchrollen, Brettern und Holz zur allfälligen Reparatur sowie Kisten voll unterschiedlichster Sachen und Dinge, während zuhinterst im Baratillo zugleich unsere drei Kanoniere am Werken sind.
Ah, die Obrigen! Oder wie man zu Aachen schimpft: Au Huur! Denn deren Tun und Treiben geht hier wie dort hinter verschlossenen Türen vor sich; vernehmbar werden davon bloss Gerüchte und laute Befehle, die einen irgendwohin beordern: doch selbiges gilt auch für die Gilden und die Zünfte, deren Körperschaften einen nicht so ohne weiteres willkommen heissen würden, noch viel weniger als Fremde, ungeachtet höchster Empfehlungsschreiben. Das erfuhren sie alsbald in Valladolid, wo man sie aussen vor hielt, denn mit all den Neuerungen, die einzubringen Georg, Hans und Hannes aufgetragen worden waren, wollte die höfische Büchsengiesserei rein gar nichts anfangen, da sie stets das Alterprobte in Frage stellen — wer lässt sich schon gern auf unnötige Wagnisse ein, ausser diese Glücksritter, die man nunmehr mit einer aus aller Herren Länder zusammengewürfelten Mannschaft an den Rand der Erde schickt, wo wahrscheinlich ein unermesslicher Abgrund droht, in welchen all diese Portugiesen mit ihrem italienischen, französischen, griechischen, irischen, englischen, flämischen, deutschen Lumpenpack samt all den Wassern des Ozeans doch stürzen sollen, hinab in die Hölle (wer da als rechtschaffener Spanier mitzieht, der mache besser Frieden mit Gott, denn der muss etwas auf dem Kerbholz haben, dass er Heim und Herd, Haus und Hof, Kind, Frau und Kegel den Rücken kehrt): weshalb man die Gelegenheit ergriff und die drei kurzerhand nach Sevilla schickte, damit sie dort ihre Scheissbüchsen für die Schiffe dieses deutschen Scheiss=Kaisers in die Erde gössen, auf dass sie ihnen da höchstselbst um die Ohren fliegen mögen.
So haben die drei jetzt bei Meister Andrés ein Quartier bezogen, einem Engländer aus Bristol, der hier eine Sevillanerin geheiratet hat und in einer der engen Gassen des Baratillo eine Gusshütte betreibt, wo längst alle Hände damit beschäftigt sind, die über 100 Feldschlangen, Falkonen und Falkonetten herzustellen, die an Deck der Schiffe installiert werden sollen, während unsre Kanoniere den Auftrag haben, zehn Bombarden sowie drei grosse Mauerbrecher zu giessen, die im Hinterkastell angebracht werden. Sie pfuschen ihm nicht ins Handwerk, und er hat keine Zeit, es bei ihnen zu tun — sie fertigen Hinterlader, Meister Andrés leichte Vorderlader, und mit der Verständigung zwischen ihnen hat’s auch sprachlich noch grosse Not, weshalb sie selber mit der Schwierigkeit fertig werden, wie den heftigen Rückstoss ihrer schweren Geschütze auf den gar dünnen Planken des Innendecks auffangen. Der Mebritzer löst das, indem er die Blocklafetten mit Schwanzriegeln verlängert, deren Breite den Schub bremst und ihn über die Planken verteilt (eine gute Idee — die sich jedoch als hinderlich erweisen wird, weil die verqueren Lafettenschwänze fast die gesamte Deckbreite verstellen). Für grosse Änderungen bleibt kaum Zeit, denn es sind noch ausreichend Vorräte unterschiedlichster Eisenkugeln zu giessen, das Pulver ist zu prüfen, und zudem müssen die Kanonen eingeschossen werden — wofür man sie bei der Puerta de la Carne, dem Metzger=Tor, hinausrollt, wo sich buntes Volk versammelt, um die Kugeln auf dem trägen Guadalquivir einschlagen, ja vielleicht gar die Läufe explodieren zu sehen. Doch ist ihm ein solches Spektakel nicht vergönnt; es muss sich mit den hoch aufspritzenden Fontänen zufriedengeben,
ob deren es in lautes Gejohle ausbricht, weil diese miterlebte Fernwirkung beinahe Göttliches an sich hat.
Andere Fernwirkungen erfahren unsere Kanoniere am eigenen Leib. So werden sie jetzt den einzelnen Schiffen zugeteilt — Georg wird Artillerie=Kapitän der Victoria und hat Hannes und einen Franzosen unter sich; der Mebritzer Hans (der indes Hannes durch seine verbohrte Art gezeigt hat, dass es nicht darum geht, wo man seinen Most holt, sondern dass man mit Bartel, Stemmeisen sowie Vorlegstange umzugehen lernen muss und dabei wissen, dass man das saure Brot im Schweiss seines Angesichts isst — wofür Hannes noch eine allzu leichtfertige Natur bezeugt), der Mebritzer Hans also wird auf Georgs Vorschlag hin zum Artillerie=Kapitän der Concepción ernannt, wo er zwei gar unerfahrene Flamen unter sich stehen hat, denen er die ordentliche deutsche Schiesskunst beibringen soll. Und der Meister Andrés, der kommt auf das Flaggschiff des Magalhães, die Trinidad, auf welche er zwei der Lehrlinge mitnimmt, um seine anderen Gesellen auf die noch grössere San Antonio und die nur für Erkundungsfahrten vorgesehene Karavelle Santiago zu schicken. Es sind die Finger des Schicksals, welche da, zwar noch unsichtbar, jedoch bereits eingriffig, mit ihnen spielen, im Guten ebenso wie im Schlechten: denn von den Schiffen, denen sie nun zugeteilt werden, wird eines, die Santiago, Schiffbruch erleiden, und ein anderes, die San Antonio, vorzeitig zurückkehren, während den Büchsenschützen der übrigen Schiffe, je nachdem, welchen Kurs diese einschlagen, in den Verkettungen der Ereignisse ein oft erbärmlicher Tod beschieden ist, ob von Gottes oder eines Menschen Hand. Die sind oft weniger voneinander auseinanderzuhalten als die rechte und die linke — was die Antwort auf die quälende Frage nach dem Los jedes Einzelnen, und inwieweit er es selbst zu bestimmen vermag, verunmöglicht: zu unabsehbar ist alles, als dass man sich dagegen wappnen könnte. Wer dies jedoch verabsäumt, der liefert sich ihm halt ungeschützt aus, ohne dass ihn dabei wirklich eine Schuld träfe — denn wie sich gegen etwas rüsten, das im Dunkeln wirkt?
Da ist etwa Magalhães, dem portugiesische Spione nach dem Leben trachten, ohne dass ihnen der nächtliche Anschlag in der Ecke einer Gasse auch gelingt, weil ein erfahrener Kämpfer wie er nicht so einfach ins Messer läuft; dafür aber
hat er wiederum durch seine Spione eine gerade gedruckte Karte aus Portugal zugespielt bekommen, welche die jüngsten Berichte über den Süden Amerikas bereits berücksichtigt und die Erde nunmehr von einem Kreis von Kontinenten umschlossen sieht, in dem sich vielleicht irgendwo unten ein Durchstich findet: was ihn in seinem Vorhaben bestärkt. Weiters ist da Magalhães’ Jugendfreund, der Astrologe Rui Faleiro, der sein ewig zwischen Höhenflug und Höllensturz wechselndes Temperament dem magnetischen Einfluss des Mondes zuschreibt, welcher die Säfte des Leibes manchmal mehr, manchmal weniger an sich ziehe — was jedoch bloss bewirkt, dass die auf Magalhães neidischen Spanier am Hofe ihn glaubhaft als geistig umnachtet ausgeben können, um dann an seiner Stelle Juan de Cartagena (den unehelichen Sohn eines Bischofs, der im Indienrat viel zu sagen hat) als Kapitän der San Antonio einzusetzen. Und dieser beginnt bald, Magalhães zu hintertreiben, wo er kann — was in der Folge fast zum vorzeitigen und unrühmlichen Scheitern der Expedition führte.