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Buch

Los Angeles 2014: Die ungestüme Tess Heiden, die als Patientin in der Psychiatrie einsitzt, erhält ein verlockendes Angebot. Wenn sie sich von einer im Geheimen operierenden Agentur anheuern lässt, kommt sie frei. Doch Tess ahnt nicht, dass dieses Angebot ein riskantes One-Way-Ticket ist. Denn das Geschäft der T.I.M.E Agency ist es, durch die Zeit zu reisen, und zwar von einer Raumstation im Jahr 2469 aus. Um als Agentin tödliche Missionen überleben zu können, muss Tess die brutalsten Tests bestehen. Doch niemand ist härter, gerissener und stärker als Agentin Heiden. Dann erfährt sie, dass die T.I.M.E Agency ein Geheimnis vor ihr verbirgt, und Tess setzt alles daran, es zu lüften …

Autor

Nach seinem Studium der Filmwissenschaft entwickelte Christophe Lambert mehrere Kurzfilme und arbeitete für das Fernsehen. Außerdem hat er sich in seinem Heimatland Frankreich als Buchautor einen Namen gemacht und über ein Dutzend Romane verfasst, unter anderem im Jugendbuchbereich, aber auch in der Erwachsenenunterhaltung. Die Inspiration für seine Stoffe findet Lambert oft in den visionären Filmen seiner Jugend. Heute lehrt er an einer Pariser Schule im Bereich Audiovisuelle Kommunikation.

Christophe Lambert

T.I.M.E Stories

Jagd durch die Zeit

Roman

Deutsch von Karen Gerwig

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »T.I.M.E Stories. Le dossier Heiden« bei Bragelonne, Paris.

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Copyright der Originalausgabe © 2019 Space Cowboys. Alle Rechte vorbehalten.

© Bragelonne 2019

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Agentur EDITIO DIALOG, Lille (www.editio-dialog.com)

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2019 by Penhaligon in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Carina Heer

T.I.M.E Stories ist ein Spiel von Manuel Rozoy,

herausgegeben von Space Cowboys

Umschlaggestaltung: Isabelle Hirtz, Inkcraft nach einer Vorlage

von Bragelonne, Paris

Titelbild: Pascal Quidault

BL · Herstellung: sam

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-25638-8
V001

www.penhaligon.de

TEIL 1

Kapitel 1

23. Januar 2014

Die Limousine verlässt Los Angeles und sein Geschäftsviertel mit den starren Türmen unter einem schmutzigtrüben Himmel. Nach einer knappen Stunde Fahrt biegt der Wagen in einen Feldweg ein, der sich durch einen Canyon schlängelt wie ein trockenes Flussbett. Die Zufahrt zu diesem Schotterweg befindet sich dreihundert Meter südlich der Autobahn, verborgen hinter Gestrüpp. Kein Hinweisschild. Nichts. Man kann unmöglich zufällig darüberstolpern. Wer hier abbiegt, weiß, wohin er will.

Im Auto spricht niemand. Weder der Chauffeur à la »Men in Black«, mit Sonnenbrille auf der Nase und den Händen fest am Lenkrad, noch der Fahrgast auf der Rückbank, graue Schläfen, ein Schlipsträger, dessen Anzug vermutlich ein Vermögen gekostet hat. Man hört nur das leise Brummen der Klimaanlage und das samtige Schnurren des Motors. Der Fahrstil des Chauffeurs ist rund, entspannt fließend. Die Stoßdämpfer mildern die Schlaglöcher mühelos ab.

Die Limousine kommt in Sichtweite einer grünen Oase, einer regelrechten Enklave in der kargen Landschaft. Hinter einem Zaun erhebt sich ein großes, zweistöckiges Gebäude. Der Rasen ist sorgfältig gepflegt. Das Lispeln der automatischen Sprinkleranlage verrät das. Am Absperrgitter hängt ein Schild: »Psychiatrisches Institut Fatelmeyer, Privatgelände«.

Das Institut wirkt fast wie eine mexikanische Hacienda: ockerfarben gestrichene Mauern, umgeben von Bäumen. Es gibt sogar ein paar Palmen. Eine beinahe schon paradiesische Kulisse … wenn man von den Gittern vor den Fenstern absieht.

Der Chauffeur weist sich bei einem Wachmann mit Namensschild aus, dann fährt er langsam weiter und hält vor dem Eingang.

Auf der Eingangstreppe wartet ein Mann. Es ist Maximilien Fatelmeyer, der Leiter des Instituts. Er ist über fünfzig, mit schütterem Haar, und offenbar verzweifelt bemüht, sich mittels Höhensonne und Haartransplantaten flott zu halten. Er kämpft tapfer gegen den Untergang an – doch sein Schiff steht kurz vor dem Kentern. Fatelmeyer wartet, bis der Chauffeur seinem Gast die Tür geöffnet hat, dann kommt er mit einem breiten, fast schon unterwürfigen Lächeln näher.

»Mister Rusk, es ist mir eine Ehre. Und ein Vergnügen.«

»Das Vergnügen ist ganz meinerseits«, erwidert der Anzugträger.

Sein Gesichtsausdruck, wenn auch nicht offen feindselig, zeigt keine Spur von Liebenswürdigkeit. Händeschütteln. Der Direktor ist aufgeregt. Als private Einrichtung ist sein Institut nicht von staatlichen Zuschüssen abhängig, aber den Besuch einer so wichtigen Persönlichkeit sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Victor Rusk ist seit 2009 der Sonderberater des Gesundheitsministeriums. Er hat bereits zwei Regierungsumbildungen überstanden. Man munkelt, er sei nicht aus dem Sattel zu werfen.

»Folgen Sie mir bitte.«

Die beiden Männer durchqueren den Innenhof, den ein Brunnen ziert, und betreten ein Foyer, wo – Temperaturschock – die voll aufgedrehte Klimaanlage mit der Backofenhitze der Wüste kontrastiert.

In der Nähe des Empfangs ist ein Büfett aufgebaut worden.

»Darf ich Ihnen eine Erfrischung anbieten?«

»Danke, aber ich habe nur wenig Zeit. Ich würde die Patientin gern so schnell wie möglich sehen.«

»Sehr gern. Die Zimmer der, sagen wir, ernsteren Fälle befinden sich im zweiten Stock.«

Peinliches Schweigen im Aufzug. Auch jetzt spricht Sonderberater Rusk nicht mehr als nötig – in diesem Fall: nichts.

Gedämpftes Klingeln. Türöffnung. Die beiden treten in einen Flur, der mit dem einladenden Außenbereich nichts mehr gemeinsam hat. Mauern von eisiger Nacktheit, dreckiger Linoleumboden. Es gibt nur ein Fenster, und das am anderen Ende: ein helles Rechteck am Ende des Tunnels, den die beiden nun entlanggehen. Die Türen links und rechts sind aus Metall, in einem Olivgrün gestrichen, das zu einer anderen Zeit vielleicht einmal an ein militärisches Kaki erinnert hat. Fatelmeyer bleibt vor der zweiten Tür stehen.

»Hier ist es.«

Rusk drückt das Auge gegen den Türspion. Durch das Fischaugen-Objektiv kann man das komplette Zimmer sehen, was angesichts des kleinen Raums keine Kunst ist. Ein Waschbecken aus rostfreiem Stahl. Ein Tisch. Ein Stuhl. Ein Schrank mit Vorhängeschloss. In einer der oberen Ecken hängt ein Fernseher, auf dem Zeichentrickfilme laufen. Die junge, rothaarige Frau auf dem fest vernieteten Bett schaltet sich träge durch die Sender. Sie trägt eine Art blauen Pyjama, der rau und hart aussieht und ihr viel zu groß ist.

»Tess Heiden«, teilt der Direktor mit.

Rusk wendet sich ihm zu.

»Ich möchte mit Miss Heiden sprechen. Unter vier Augen, wenn Sie erlauben. Können Sie das ermöglichen?«

»Dieses Versuchsprogramm, das Sie am Telefon erwähnt haben – darum geht es, ja?«

»Genau.«

»Ich wüsste gern ein wenig mehr, wenn das möglich ist.«

»Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, tut mir leid.«

Fatelmeyer wirkt wie ein kleiner Junge, dem man etwas wenig appetitlich Aussehendes zu essen angeboten hat.

»Es ist nämlich so … juristisch gesehen bin ich für diese Patientin verantwortlich.«

»Die Regierung wird Ihnen ein Entlastungsschreiben ausstellen. Das alles hier ist vollkommen legal. Was Ihre jährlichen Steuern angeht, werde ich sehen, was ich tun kann. Einrichtungen wie Ihre stehen unter zu hohem steuerlichem Druck, das ist mir bewusst. Ich halte mein Wort, Mister Fatelmeyer. Wenn Sie mir diesen Gefallen tun, werden Sie es nicht bereuen.«

Das Gesicht des Direktors entspannt sich.

»Sehr schön … Aber passen Sie auf. Sie kann manchmal …« Er sucht nach einem passenden Wort.

»Explosiv sein?«, versucht es Rusk.

Sein Gesprächspartner nickt zustimmend.

»Ja, das meine ich.«

Das Treffen findet in Fatelmeyers Büro statt. Schöne polierte Holzmöbel. Handgeknüpfte Navajo-Teppiche. Regale voll dicker Handbücher und Enzyklopädien und viele Diplome an den Wänden. Licht fällt durch ein großes Fenster von der Seite herein. Ein Ventilator verrührt träge die Luft unter der Decke, aber seine Funktion ist eher dekorativer als praktischer Natur, denn wie der Rest des Instituts ist natürlich auch das Büro klimatisiert.

Rusk setzt sich auf den Stuhl des Direktors. Mit einer Lesebrille auf der Nase wischt er sich nachlässig durch die Seiten auf seinem Tablet. Er trägt einen diskreten Ring mit tiefrot schimmerndem Stein an der rechten Hand, passend zum bordeauxroten Einstecktuch, das aus seiner Jacketttasche ragt. Als sich die Tür öffnet, hebt er den Blick nicht von seinem Display.

»Sie soll sich setzen, dann lassen Sie uns bitte allein.«

Fatelmeyer kommt Rusks Bitte nach. Er schätzt es nicht besonders, auf die Rolle des Lakais reduziert zu werden, aber wenn dafür eine Steuererleichterung herausspringt, kann er – ohne mit der Wimper zu zucken – die eine oder andere Kröte schlucken.

Die Tür schließt sich wieder. Die beiden sind allein.

Rusk liest aus einer Akte vor:

»Tess Heiden, zwanzig Jahre alt, 1993 geboren. Schwierige Kindheit. Die Mutter drogensüchtig. Mehrere Aufenthalte in psychiatrischen Einrichtungen, genau wie Sie. Vater unbekannt … Im Alter von acht Jahren kamen Sie in eine Pflegefamilie, zu den Heidens, die Sie zwei Jahre später offiziell adoptierten, trotz Ihres, sagen wir … labilen Verhaltens. Ihre Adoptiveltern starben 2010 bei einem Verkehrsunfall …«

Keine Reaktion bei der hartnäckig schweigenden jungen Frau. Rusk fährt fort:

»Fan von Comics, Serien und anderen Albernheiten. Ein ›Geek‹, so sagt man ja wohl, nicht wahr? Von allen Schulen geflogen, die Sie besucht haben … Zweimal abgehauen. Nach dem Tod Ihrer Adoptiveltern waren Sie anderthalb Jahre obdachlos. Konsum weicher Drogen: Marihuana und Alkohol. Taschendiebstahl. Eine Verhaftung wegen …«

»Ist gut, ich kenne mein Leben, danke.«

Sie spricht mit der rauen Stimme einer Raucherin. Rusk legt eine Kunstpause ein und geruht schließlich doch, sie anzusehen. Eine schöne junge Frau, das lässt sich nicht leugnen. Nicht üppig, aber gut proportioniert, wenigstens soweit es das zu große Pyjamaoberteil erkennen lässt. Die roten Haare umrahmen ein Gesicht mit letzten Anflügen kindlicher Pausbäckigkeit. Die Lippen sind voll. Die Nase gerade und schmal. Und dann ist da dieser Blick aus kobaltblauen Augen, der ihn gerade mit der Schärfe eines Lasers scannt.

»Ich fahre fort«, erklärt Rusk kühl. »Sie sind intelligent. Den Vermerken hier nach sogar sehr intelligent. IQ von 150. Fotografisches oder eidetisches Gedächtnis: Sie können sich alles, was Sie sehen oder lesen, in Rekordzeit merken. Stimmt das alles?«

Tess rutscht auf ihrem Stuhl herum.

»Wollen Sie eine Vorführung à la Sherlock Holmes?«

Sie konzentriert sich wie ein Operettenfakir, den Kopf gesenkt, die Augen geschlossen, den Zeigefinger an den Nasenrücken gelegt.

»Angeber-Anzug, kleiner Ring, manikürte Fingernägel, und dann diese Art, am Ende jedes Wortschwalls leicht mit der Stimme nach oben zu gehen … Ich würde sagen, Sie sind eine Schwuchtel. Irre ich mich?«

»Sehr lustig. Vielleicht haben Sie Ihren Humor von Papa geerbt, das werden wir wohl nie erfahren … Anscheinend hat Ihnen Mama dagegen den Großteil ihrer Neurosen vererbt: Gewaltausbrüche, Dysphorie, selbstverletzendes Verhalten, eine Borderline-Persönlichkeit. Ein Selbstmordversuch … wegen dieser unbedeutenden Probleme sind Sie ja wohl hier, nicht wahr?«

»Verpissen Sie sich.«

»Empfohlene Behandlung: Psychotherapie mit begleitenden Serotonin-Wiederaufnahmehemmern. Ich lese hier, Sie haben gemeinnützige Arbeit geleistet und dabei Ihren Betreuer angegriffen?«

»Er hat es drauf angelegt.«

Rusk nickt.

»Hm, hm …«

Er nimmt seine Brille ab und mustert Tess streng.

»Und Ihr Sportlehrer, als Sie fünfzehn waren? Ihr Klassenkamerad im Biologieunterricht? Diese Kassiererin bei McDonald’s letztes Jahr? Die haben es alle drauf angelegt?«

»Genau.«

»Sie werden schnell wütend, was?«

»Sie sind ein Fuchs.«

Schweigen. Rusk schiebt mit einem tiefen Seufzen seinen Stuhl zurück.

»Was sollen wir nur mit Ihnen machen, Miss Heiden?«

»Das sollten Sie mir sagen, oder nicht? Was genau wollen Sie von mir? Was soll dieses Treffen?«

Rusk steht auf und marschiert zum Fenster, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Er betrachtet die Palmen und den friedlich dahinplätschernden Brunnen im Innenhof. Tess sieht ihn jetzt im Profil. Er lässt keine Gefühlsregung erkennen.

»Der Gesundheitsminister hat mich beauftragt, eine Reihe von Tests durchzuführen, um Leute wie Sie einstufen und klassifizieren zu können …«

»›Leute wie mich‹? Wozu?«

Rusk dreht nur den Kopf, ohne den Oberkörper zu bewegen: »Aus Forschungsgründen, natürlich.«

Er versucht nicht einmal, den Zynismus in seinem Lächeln zu verbergen.

»Hören Sie auf mit dem Scheiß!«, knurrt die junge Frau.

Diesmal dreht sich Rusk ganz um.

»Sie stimmen zu, ein bis zwei Monate lang einen oder zwei Tage die Woche zu mir zu kommen, und im Gegenzug wird die Justiz in diesem Land in ihrer unendlichen Güte den größten Teil Ihrer Fehltritte vergessen … Sie haben es damals in diesem McDonald’s nicht dabei belassen, eine Kassiererin anzugreifen, wenn ich mich recht erinnere? Eine kaputte Fensterscheibe, außerdem eine Fritteuse, eine elektrische Werbetafel … Und wenn Sie sich motiviert zeigen, kooperativ, können wir Ihnen vielleicht sogar, wer weiß, einen Neuanfang anbieten. Sie wissen ja, wie der Dichter sagt: ›Nur wer riskiert, zu weit zu gehen, kann herausfinden, wie weit er gehen kann‹ …«

»Sind Sie sicher, dass Sie fürs Gesundheitsministerium arbeiten? Abgesehen von der Dichterei, hört sich Ihr Geschwafel eher nach CIA oder FBI an …«

Der Mann im Dreiteiler antwortet nicht, die Lippen maskenhaft zu seinem leicht perfiden Lächeln verzogen.

»Und Ihre bescheuerten Tests, woraus bestehen die?«

»Das bleibt eine Überraschung. Würde ich es Ihnen jetzt sagen, wo bliebe dann der Spaß?«

»Muss ich mich sofort entscheiden?«

»Das wäre gut, ja.«

Tess hebt langsam die Hand, die sie zur Faust geballt hat – bis auf den stolz gereckten Mittelfinger.

»Verstehe«, sagt Rusk.

Er sammelt sein Tablet ein und geht zur Tür.

»Letzten Endes sind Sie vielleicht doch nicht so intelligent. Unsere Auswertungssysteme machen auch mal Fehler, das kommt vor. Viel Glück weiterhin, Miss Heiden.«

Rusk ist beinahe über die Türschwelle, als Tess barsch ruft: »Warten Sie!«

Der Sonderberater dreht sich mit interessiertem Gesichtsausdruck langsam um. Die junge Frau zieht eine Schnute wie ein schmollendes Kleinkind, was sie aber nicht hindert hervorzustoßen: »Der Stein an Ihrem Ringfinger ist ein Edelstein. Ein Granat. Das Symbol der Studentenverbindung Theta Tau, was auch das bordeauxfarbene Einstecktuch erklären würde. Ihr Akzent stammt aus dem Süden. Ich tippe auf Alabama. Vielleicht Tennessee. Aber er ist eigenartig, undefiniert. Sie waren an einer der Ivy-League-Unis, wie alle Eliten des Landes. Gesundheitsministerium? Ich würde sagen: Harvard, wegen seines Fachbereichs für Gesundheitswesen. Und Ihr kleines Zitat geht auch in die Richtung: T. S. Eliot. Der war auch in Harvard, stimmt’s?«

»Stimmt.«

»Soll ich weitermachen?«

Rusk versucht sein Möglichstes, um seine Verblüffung zu verbergen, aber es gelingt ihm nicht ganz.

»Das ist nicht nötig. Sie haben mich überzeugt, Miss Heiden.«

Tess atmet tief ein und verzieht das Gesicht.

»Wo muss ich unterschreiben?«

Rusk zieht einen Eingabestift aus der Innentasche und hält der jungen Frau das Tablet hin: »Hier.«

Und Tess unterschreibt. Wir befinden uns im 21. Jahrhundert: Das Blut als Tinte unter dem faustischen Pakt ist inzwischen durch Pixel ersetzt worden.

Kapitel 2

Eine Woche später

Tess hat ihre Klamotten wiederbekommen (die Jeans, die Doc Martens, die Bikerjacke, das T-Shirt mit dem Smiley mit dem Blutstropfen – ein Watchmen-Zitat), und ein Wagen hat sie vorm Institut abgeholt. Sie betrachtet die triste Landschaft, die vor den getönten Scheiben vorbeizieht: Kakteen, Felsen, dürre Sträucher … Der Wagen verlässt den Canyon, fährt auf den Highway 111, überquert eine Brücke über einen eher seichten Fluss. Tess merkt sich den Weg. Der kann noch nützlich werden. Sie sitzt allein auf dem Rücksitz, und der Fahrer ist nicht gesprächig. Das ist ihr allerdings egal. Soll er doch sein kleines Spielchen spielen, wenn es ihm Spaß macht. Sie kann problemlos tagelang schweigen. Das Gute: Man hat ihr keine Handschellen angelegt und auch sonst keine Fesseln. Weniger gut: Die Türen sind automatisch verriegelt.

Tess denkt an all die Jahre auf der Straße mit ihrer Mutter, dem Ex-Junkie, paranoid, überzeugt, dass sie verfolgt wird, überwacht, immer lauernd auf rätselhafte Zeichen, unwiderlegbare Beweise einer großen Verschwörung. Dieses Werbebanner da, das enthält eine versteckte Botschaft! Diese 33er-Schallplatte, die muss man nur rückwärts laufen lassen, dann weiß man, wer Kennedy in Dallas ermordet hat! Jenes Kreuzworträtsel, der Schlüssel zum modernen Nachrichtendienst! Diese Fernsehserie mit Zombies, die beruht auf wahren Begebenheiten, was die Öffentlichkeit aber nicht weiß, weil die Medien nicht darüber berichten … Eine große Verschwörung, na gut, aber angezettelt von wem? Den Illuminaten? Den kleinen grünen Männchen? Einem multinationalen Konsortium im Auftrag der Freimaurer? Man weiß es nicht.

Jahre in Wohnwagen oder Bungalow-Siedlungen, billig hingeklatschte Käffer, eines ein Klon der anderen. Und dann die Parade der »Stiefväter«. Keiner hat es lange ausgehalten mit Mama Zerstörung, und doch fanden sich ganz schöne Knaller in dem Haufen: satanistische Biker, Typen, die von Großkalibern durchlöchert worden waren und es überlebt hatten, vom Irakkrieg traumatisierte Veteranen, Pseudo-Guerilleros und fanatische Che-Anhänger … Tess fragt sich oft, ob ihr echter Vater in diese Galerie von Durchgeknallten gepasst hätte. Ihre Mutter hat nie über ihn gesprochen. Tess hat den Verdacht, dass sie selbst nicht hundertprozentig sicher ist, wer er war, und von diesem Gedanken wird ihr jedes Mal schlecht.

War er wie die anderen? Verrückt nach Schusswaffen?

Denn das ist die Gemeinsamkeit, der rote Faden, der all diese Kerle miteinander verbindet, als hätte ihre Mutter ein krankes Bedürfnis, beschützt zu werden. Aber wovor? Vor wem?

Der Wagen fährt in eine ausgestorbene Vorstadt. Kein Schwein unterwegs. Dafür Ratten, die an den Mauern entlanghuschen. Das Wohngebiet ist schon seit Ewigkeiten verlassen. Man erkennt es deutlich am Unkraut, das in den Rissen auf der Straße wächst. An den eingeschlagenen Scheiben, die manchmal mit Pappkarton überklebt sind. An den Straßenlaternen, deren Lampen jemand mit Steinen eingeworfen hat. Viele Lagerhäuser. Das Auto hält vor einem davon. Der Chauffeur benutzt eine Fernbedienung, und das schwere Metalltor hebt sich langsam knarrend und quietschend.

»Was ist das hier?«, fragt Tess. »Universal Exports?«

Um die Stichelei zu kapieren, muss man James Bond kennen, was bei dem Fahrer offenbar nicht der Fall ist. Nicht das kleinste Lächeln. Nada.

Der Wagen fährt an einen Ort, wie sie ihn noch nie gesehen hat. Mehrere BMW und Mercedes parken am Rand in Reih und Glied aufgereiht. Die Mitte des Hangars bildet ein ausgedehntes Großraumbüro, bevölkert von einer in ihre Arbeit vertieften Fauna. Dutzende Männer und Frauen kleben vor ihren Computern, tippen oder telefonieren. Die Tische, die Stühle sind alle aus demselben farblosen altweißen Plastik gegossen. In einer Ecke thront eine Kaffeemaschine. An Säulen befestigte Bildschirme zeigen ohne Ausnahme CNN. Das kalte Dauerlicht stammt von Neonröhren. Baugerüste ziehen sich bis zur Decke hinauf, und Arbeiter schweißen dort oben etwas in einem Funkenregen.

Sie verschweigen uns alles, sie sagen uns nichts …

Vielleicht war Mama Paranoia ja doch nicht so irre?

»Was ist das hier für eine Scheiße?«, murmelt Tess vor sich hin.

Sie ahnt schon, dass ihr unerschütterlich schweigender Anstandswauwau auch diesmal nicht antworten wird. Er steigt aus und öffnet ihr die Wagentür.

»Folgen Sie mir bitte.«

Tess gehorcht. Im Gehen schaut sie sich noch aufmerksamer um, versucht, sich so viele Einzelheiten wie möglich zu merken.

Keine Soldaten. Keine Wachleute. All diese Leute wirken wie ganz normale Büroangestellte. Rechts entdeckt die junge Frau hinter dem Parkplatz etwas, das nach einem Pausenraum für Sportliche aussieht: Laufband, Trainingsgeräte … Daneben eine Reihe abgeteilter Räume, nach oben offene Bürowaben. Wer auch immer hinter diesen Fertigbauwänden sitzt, kann vor Blicken geschützt arbeiten (oder tun, wonach ihm sonst so ist). Der Fahrer klopft an eine der Wabentüren.

»Herein.«

Es ist die Stimme von Victor Rusk.

Der Fahrer tritt zurück, um Tess vorbeizulassen, dann schließt er hinter ihr die Tür.

Rusk sitzt an einem Schreibtisch, vor sich Notizen, einen Bericht oder Gott weiß was.

»Setzen Sie sich.«

Tess tut, was man ihr sagt.

»Können Sie mir sagen, wo ich hier bin?«

»In einer Außenstelle des Büros des Gesundheitsministers. Wir sind gerade umgezogen. Wir bauen noch um, wie Sie gesehen haben werden.«

»Büro des Gesundheitsministers, ja klar! Halten Sie mich für bescheuert? Das hier sieht aus wie ein geheimer Stützpunkt, eine Antiterrorzelle oder was weiß ich!«

»Sie dürfen denken, was Sie möchten, das ist mir völlig egal. Ich mache meine Arbeit, mehr nicht.«

Er reicht der jungen Frau ein Tablet.

»Füllen Sie bitte zunächst diesen Fragebogen aus.«

Tess überfliegt die erste Zeile. Da steht: »Ich finde ein verletztes Tier. Ich erlöse es von seinem Leid. Richtig oder falsch?« Zweite Zeile: »Ich beobachte gern meine Nachbarn durchs Fenster. Richtig oder falsch?«

»Was ist das für ein Mist?«, platzt Tess heraus. »Wollen Sie wissen, ob ich eine Replikantin bin?«

»Dieser ›Mist‹, wie Sie es nennen, ist unser Standardvorgehen.«

»›Ich habe schon mal im Nachttisch meiner Eltern gewühlt. Richtig oder falsch?‹ Was geht Sie das an?«

»Ich schreibe die Fragen nicht, Miss Heiden. Wollen Sie ins Institut zurückkehren? Im Moment ist dort gerade Gruppentherapie, glaube ich? Professor Fatelmeyer sagte mir, Sie lieben die kleine Donnerstagssitzung. ›Die anonymen Irren‹, wie Sie es nennen.«

Tess greift sich wütend einen Eingabestift, der auf dem Schreibtisch liegt, und macht sich ans Ausfüllen des Fragebogens, seufzt alle zwei Zeilen oder lacht kurz auf, fast wie ein Kläffen. »Ich arbeite gern unter Druck. Richtig oder falsch?«, »Ich bin immer pünktlich. Richtig oder falsch?«, »Die Leute gehen von selbst auf mich zu. Richtig oder falsch?«, »Manchmal bereue ich Dinge. Richtig oder falsch?«, »Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich Dinge in meinem Leben verändern. Richtig oder falsch?« und so weiter, und so weiter.

Währenddessen würdigt Rusk seinen Gast keines Blickes. Schweigsam, konzentriert scrollt er auf seinem eigenen Tablet einen Text durch und unterstreicht ab und zu Abschnitte.

Eine Stunde später gibt ihm Tess den Fragebogen zurück.

»Fertig«, knurrt sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Besonders gefallen hat mir der Abschnitt über Masturbation.«

Rusk drückt auf eine Art in seinen Schreibtisch eingebaute Sprechanlage: »Schicken Sie mir Mallory rein.«

Im selben Moment erscheint ein Mann im weißen Kittel, mickrig, kahl, wie ein Vogeljunges, das aus dem Nest gefallen ist.

»Doktor Mallory kümmert sich um den medizinischen Teil. Er übernimmt ab hier.«

Tess folgt Mallory in eine komplett abgeschlossene und offenbar schalldichte Wabe. Der Doktor setzt sich in eine Glaskabine und setzt Kopfhörer auf.

»Was soll ich Ihnen vorsingen?«, versucht sie es mit trockenem Humor.

Nicht einmal ein Lächeln als Antwort.

»Wir werden Ihnen Signale in verschiedenen Frequenzen vorspielen«, erklärt Mallory. »Ungefähr alle vier Sekunden eines. Heben Sie die Hand auf der Seite, von wo Sie den Ton hören oder zu hören glauben.«

Erstes Piepsen links … links … noch mal links … eine tiefe Frequenz rechts … eine sehr viel höhere links.

»Hab ich’s bis jetzt richtig?«, murrt die junge Frau.

Keine Antwort. Mallory macht sich seelenruhig Notizen.

Nach dem Hörtest geht es in die Sporthalle.

Tess zieht ihre Lederjacke aus. Sie bekommt Sensoren mit Gummisaugern an den Armen, der Stirn, der Brust befestigt. Heimtrainer, Laufband, nicht zu vergessen die modernen Folterbänke, die Krafttrainingsgeräte: Es wird nichts ausgelassen. Das schmächtige Kerlchen im weißen Kittel notiert weiterhin kommentarlos die Werte und Leistungen.

»Die medizinische Untersuchung ist beendet«, erklärt er nach dem letzten Belastungstest.

»Kann ich duschen gehen?«

»Nein.«

»Na toll.«

Tess wischt sich mit einem Handtuch den Nacken ab, trocknet sich das Haar und die Achselhöhlen, dann zieht sie murrend ihre Lederjacke wieder an.

»Und aufs Klo darf ich auch nicht?«

Sie muss eigentlich nicht dringend, aber sie ist neugierig. Und methodisch. Mallory bringt sie in eine Kabine von der Art »Dixiklo«. Kein Fenster. Als Fluchtweg scheidet es aus. Nach einer kurzen Inspektion der Örtlichkeiten zieht Tess die Spülung, ohne überhaupt die Hose heruntergezogen zu haben.

Als sie wieder herauskommt, fragt sie beiläufig: »Wie geht’s weiter im Programm? Lassen Sie mich raten: Ich werde in ein Labyrinth gesteckt, und wenn ich den Ausgang schnell genug finde, bekomme ich ein Stück Käse.«

»Psychologische Tests.«

»Noch mal? Und was war dann der beknackte Fragebogen?«

Mallory übergibt Tess an eine Frau in den Fünfzigern, ebenfalls im weißen Kittel, Typ strenge Biologielehrerin. Auf ihrem Namensschild steht »Dr. Dobbs«. Doktor Dobbs setzt Tess in eine weitere Wabe aus cremeweißem Plastik, dann zeigt sie ihr eine Reihe von kleinen Karten mit abstrakten Zeichnungen, die die Probandin (die Patientin? das Versuchskaninchen?) kommentieren soll.

»Das könnte … (kurze Denkpause) … das Bat-Signal sein, aber … wenn es heruntergetropft wäre.«

Zweite Karte: »Homer Simpson. Mit weit geöffnetem Mund, um einen Donut einzuwerfen.«

Drittens: »Ein brennender TIE-Jäger.«

Tess hat beschlossen, in ihrem Lieblingsbereich zu bleiben: der Popkultur. Doktor Dobbs wirft ihr einen finsteren Blick zu, sie ist sichtlich gereizt, was die junge Geek ermuntert, dabei zu bleiben.

Dreiundzwanzig Anspielungen später geht es endlich zur nächsten Etappe weiter: Tess findet sich in einem kleinen Saal mit einem Beamer wieder. Sie setzt sich in einen ausladenden Sessel direkt vor der Leinwand.

»Privatvorführung? Ist ja super! Wo ist das Popcorn?«

Keine Antwort, zumindest nicht sofort. Zehn Sekunden später ertönt eine unpersönliche Stimme (eine Aufnahme?) aus einer Lautsprecherbox und leiert:

»Sie werden eine Reihe von Bildern sehen. Drücken Sie auf die Knöpfe auf den Armlehnen, um uns Ihre Reaktionen durchzugeben. Grün = angenehm. Weiß = neutral. Rot = unangenehm.«

Erstes Bild: ein Foto von George W. Bush. Rot, sofort.

Danach folgt eine illustre Mischung aus bunt zusammengewürfelten Dingen: ein Wald, ein Gebirgsbach, eine Mutter und ihr Kind, die amerikanische Flagge, ein Sonnenuntergang, die Chinesische Mauer, Thor (der Comic-Held – da sofort grün), eine Schlange, die ein Nagetier verschluckt, ein erigiertes Glied, eine Kundgebung, ein Bombenangriff, ein saftiges Steak, ein Segelschiff, Marilyn Monroe, die brennenden Zwillingstürme, schäumendes Bier, der Grand Canyon, ein abgemagertes Kind, Josef Stalin …

Zwischenzeitlich wird das Tempo schneller, bis die Bilder zu einem undeutlichen Durcheinander verschwimmen. Dann wird es wieder langsamer.

Wie lange dauert dieser seltsame Diavortrag? Keine Ahnung. Tess ist wie hypnotisiert. Als endlich das Licht wieder angeht, holt ein Typ sie ab, um sie zum großen Manitu Rusk zurückzubringen, der sie mit verschränkten Armen vor seiner privaten Bürowabe erwartet.

»Sie haben niemanden verprügelt?«, empfängt er sie. »Ich bin beinahe enttäuscht.«

»Das lässt sich noch einrichten«, knurrt Tess.

»Nächstes Mal vielleicht? Für heute sind wir fertig.«

»Schon?«

»Anscheinend kommen Sie langsam auf den Geschmack.«

»He, das habe ich nicht gesagt …«

Rusk lässt sich zu einem Lächeln hinreißen, aber eher raubtierhaft als wohlwollend.

»Wir sehen uns nächste Woche, Miss Heiden?«

Kapitel 3

Jeden Donnerstag wiederholt sich das Ritual: Ein Wagen sammelt Tess ein und fährt sie ins Reich des Zauberers von Oz. Es folgt ein halber Tag voll verschiedener Tests, manche davon befremdlich.

Die junge Frau würde es nicht einmal unter Folter zugeben, aber sie kann diesem Zirkus immer mehr abgewinnen. Diese ganze Inszenierung wäre einer B-Movie-Serie würdig. Außerdem entkommt sie dank dieser Ausflüge ab und zu dem Knast. Denn es handelt sich natürlich um einen Knast, auch wenn Professor Fatelmeyer schon an Tess’ erstem Tag im Institut in einer endlosen Rede das Gegenteil behauptet hat: »Hier ist nichts verpflichtend. Dies hier ist weder ein Gefängnis noch eine Besserungsanstalt.« Danach hat er von gegenseitigem Vertrauen gesprochen, von schnellen Fortschritten, und seine tiefe und klare Stimme unterstrich diese Schlüsselwörter künstlich.

Schwachsinn!

Tess denkt an die vergitterten Fenster, den hartnäckigen Geschmack der Medikamente, der ein dringendes Bedürfnis auslöst, sich die Zähne zu putzen. An manchen Tagen machen die Drogen sie so dumpf, dass sie das Gefühl hat, in einem Tagtraum zu leben. Mit einem brutalen Erwachen ab und zu. Wie damals, als sie dem Fettsack ihr Essenstablett ins Gesicht geknallt hat. »Ich habe dir noch meine Spezialsoße dazugetan«, hatte der Kerl gesagt, als er ihr irgendein gekochtes sehniges Stück Fleisch auf den Teller geklatscht hatte, und dabei vor dem Teller eine masturbierende Handbewegung gemacht. Ein echter Scheißkerl, der sie bis zu diesem Moment jeden Mittag ernsthaft belästigt hatte, aber immer leise, völlig unbemerkt. Diesmal hat er sich dafür ein Tablett in der Fresse gefangen, und wenn man sie nicht zurückgehalten hätte, wäre Tess über den Tresen gesprungen, um das Ganze mit Fußtritten zu Ende zu bringen. Wenn die junge Frau rotsieht, dann im wahrsten Sinne des Wortes. Das ist bei ihr wie den Trickfilm-Figuren, wenn sie in besonders scharfe Peperoni beißen. »Ay Caramba, Señor Pussycat!« Das Rot steigt ihr ins Gehirn, proportional zur Temperatur ihres inneren Thermometers, und – Bumm! – explodiert sie. Die Folge dieses Ausbruchs: eine Verwarnung für den Angestellten und eine Woche Einzelhaft für die Patientin, die man als zu labil einstuft. Aber wenigstens hält sich der Fettsack seit dem Zwischenfall zurück. Er hat seine Lektion gelernt.

Tess fragt sich, was nach der Testphase passieren wird. Egal, was Rusk sagt, diese ganze Geschichte stinkt förmlich nach Geheimdienst. Sie sieht sich schon als Mata Hari des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Mit gut bezahlten Überstunden. Die Kohle zählt. Nur Leute, die zu viel davon haben, behaupten etwas anderes. Tess hat es in ihrer Kindheit an zu vielem gefehlt. Immer dieselben Klamotten tragen, bis sie vor Dreck von selbst stehen, das kennt sie. Mehrmals in der Woche eine Mahlzeit auslassen zu müssen, das kam auch vor. Das Schlimmste waren die missbilligenden oder mitleidigen Blicke der Mädchen mit stinkreichen Vätern. Sie hatte damals gute Lust, ihnen eine zu kleben, und manchmal tat sie das auch.

Tess schließt die Augen. Sie stellt sich ihr zukünftiges Leben vor. Sie sieht sich zwischen zwei Missionen an einem Strand: Palmen, Liegestühle und Cocktails. Ein Traumleben. Ein sicheres Bankkonto auf den Caymans.

In welchem Alter geht man eigentlich als Geheimagentin in Rente?

Inzwischen sind sie am Ziel angekommen, und Tess steigt aus, jetzt voll auf Adrenalin.

»Also, wie sieht das Tagesprogramm aus?«, schleudert sie dem selbstredend völlig ungerührten Rusk entgegen.

Am liebsten mag sie die Escape Rooms. Man steckt sie in eine der Zellen voller versteckter Gegenstände, mit Möbeln mit doppeltem Boden, mit Geheimtüren. Niemand knackt Codes wie sie, setzt Puzzles in Blitzgeschwindigkeit zusammen, entdeckt das Detail, das in einer zu symmetrischen Raumgestaltung nicht passt, oder durchschaut, im Gegenteil, eine künstlich geschaffene Unordnung. Die großen Vorteile eines fotografischen Gedächtnisses. Außerdem mag sie die falschen Tatorte: von innen abgeschlossene Zimmer, der perfekte Mord. Sie analysiert die (unechten) Blutspritzer, die Lage des (genauso unechten) Opfers, dann zieht sie ihre Schlüsse daraus … fast immer richtig. Einmal, ein einziges Mal, hat sie sich reinlegen lassen und ist nicht auf den korrekten Tathergang gekommen. Der Tote war eigentlich keiner: Ein Insekt exotischer Herkunft hatte den auf dem Boden seines Zimmers ausgestreckten Mann in eine Katalepsie versetzt, die dem Tod ähnelt (kein Puls, keine Atmung, nicht einmal mehr schwach). Tess hatte den neuen togolesischen Einreisestempel im Pass des Opfers bemerkt, genau wie den geöffneten, aber nicht geleerten Koffer. Um die Ursache des Komas zu verstehen, hätte sie aber den Gesundheitspass unter den sorgfältig gefalteten Kleidern kontrollieren und auf der Seite mit den Allergien nachsehen müssen. Was sie nicht getan hat. Der Schuldige (ein exotisches Insekt mit unaussprechlichem Namen) hatte sich wohl während des Fluges im Koffer versteckt. Ein ungelöster Fall von zehn, das ist ein guter Schnitt. Vor allem, da sie die Lösung des Rätsels jedes Mal in weniger als einer Viertelstunde finden muss. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Rusk trägt ein leichtes Lächeln zur Schau, was normalerweise nichts Gutes verheißt.

»Heute testen wir Ihre sozialen Anpassungsfähigkeiten.«

»Hä?«

»Wir schauen, ob Sie eine Rolle spielen können. Aber vorher müssen wir uns um Ihr Äußeres kümmern. Tut mir leid, wenn ich das so direkt sage, aber Sie sehen nicht wirklich toll aus.«

»Na, danke.«

»Ich darf Ihnen Ihren ›Umstyling-Coach‹ Helen Scott vorstellen.«

Eine kleine, aber ziemlich streng aussehende Frau nähert sich. Graues Kostüm, klassisch. Diskretes Make-up. Vor Fantasie sprühend wirkt sie schon mal nicht.

»Ich gefalle mir so, wie ich bin«, murrt Tess.

»Der Grunge-Look war in den Neunzigerjahren Mode, Sie sind zwanzig Jahre hinterher, meine Kleine«, wirft ihr Miss Scott statt einer Vorrede hin.

»Sie können mich mal!«

»Lassen Sie mich raten: Ich wette, Sie haben mindestens eine Tätowierung.«

Tess reibt sich instinktiv das rechte Handgelenk, dort, wo ihr Kumpel Benny ihr eine hübsche schwarze Krake tätowiert hat.

»Hm, wusste ich es doch.«

Tess verzieht mürrisch das Gesicht. Sie hat noch keinem Mitglied von Rusks Team eine geklebt, aber es passiert so schnell, dass einem die Hand ausrutscht.

»Folgen Sie mir!«, befiehlt Miss Scott.

»Wohin?«

»Wir gehen shoppen. Nur wir Mädels. Es wird Ihnen gefallen.«

Tess steigt mit ihrer Anstandsdame in den Wagen. Richtung Beverly Hills. Die beiden Frauen sitzen auf der Rückbank. Helen Scott reicht Tess ein Tablet.

»Ein bisschen Lektüre …«

Die junge Frau runzelt die Stirn.

»Eine Personalakte?«

»Heute Abend werden Sie an einer Cocktailparty bei Mister Rusk teilnehmen. Sie werden die Rolle seiner Nichte übernehmen. Alle Infos stehen hier.«

»Sind Sie irre?«

»Sie haben den Nachmittag Zeit, um die Akte auswendig zu lernen. Das ist mehr als genug für jemanden wie Sie, wenn Ihr schmeichelhafter Ruf gerechtfertigt ist.«

»Aber …«

»Ich rate Ihnen, mit der Fragerei aufzuhören und sofort anzufangen zu lernen.«

Tess schluckt hinunter, was eigentlich unbedingt noch herauswollte, und vertieft sich in das Dokument. Es ist viel Text, den sie an sich vorbeiziehen lässt, nachdem sie ihn mental abfotografiert hat, aber auch zahlreiche Fotos (von ihren »Eltern«, ihren »Freunden«, den Orten, an denen sie angeblich aufgewachsen ist) … Die Nichte von Victor Rusk ist neunzehn Jahre alt. Sie ist Papa und Mama nach Europa gefolgt, wo sie die letzten acht Jahre gelebt hat: einige Zeit in Italien, dann in einem Internat für junge Mädchen aus gutem Hause in der Schweiz. Ihr Vater arbeitet in der Lebensmittelbranche. Er ist Ingenieur. Die Mutter betreibt einen Onlineshop für Konzeptkunst. Musik- und Klamottengeschmack, Ex-Freunde, Freundinnen und Freunde, engste Vertraute, alles ist sorgfältig in Kategorien geordnet.

»Ich heiße also Fiona Volpe?«

»Genau.«

»Wenn ich vom Nachnamen ausgehe, bin ich die Tochter der Schwester von Rusk, nicht seines Bruders?«

»Ja.«

»Meine angebliche Mutter, existiert die wirklich?«

»Nicht nur die existiert, auch Sie selbst. Die echte Fiona Volpe tummelt sich gerade mit ihren Eltern in Gstaad in der Schweiz auf den Skipisten. In unserer Geschichte haben Sie Ihre Eltern angefleht, eine Woche nach Los Angeles zu Ihrem Onkel kommen zu dürfen, um hier Ihre Freunde aus der Kindheit zu treffen … und shoppen zu gehen.«

Tess reibt sich die Nase. Sie wirkt beunruhigt.

»Und wenn einer der Gäste der Cocktailparty im Internet nach mir sucht?«

»Es gibt im Web kein einziges Foto von Fiona. Ihre Eltern sind radikale Gegner der sozialen Medien. Sie hat keine Facebook-Seite, keinen Instagram-Account oder sonst etwas in der Art.«

Tess nickt. »Verstehe.«

Der Wagen hält auf dem Rodeo Drive, und los geht es mit einem Remake von Pretty Woman. Erster Stopp: der Friseur. Tess wird von einem Bataillon eifriger junger Frauen, die Helen Scott aufs Wort gehorchen, frisiert und manikürt.

»Nein, hier stufiger, ja, genau so …«

Die Umstyling-Expertin formt mit den Händen einen Bilderrahmen, durch den sie das Gesicht ihres Schützlings betrachtet, neigt den Kopf, den Mund unschlüssig verzogen, mustert sie von vorn, im Profil, bevor sie ihr die Frisur zerzaust.

»Man muss die ganze Struktur auflösen … Sie könnten wirklich schöne Haare haben, aber Sie pflegen sie zu wenig!«

Zeitweise kommt sich Tess vor wie ein Pudel beim Hundefriseur. Sie lässt es über sich ergehen.

Ein geheimer Teil von ihr, der eitle und oberflächliche, hat gar nicht unbedingt etwas gegen diesen ganzen Zirkus. Man könnte fast sagen, es macht ihr Spaß. Sie studiert ihren Umstyling-Coach, wie man ein seltenes und beunruhigendes Tier beobachtet.

Sie schaut gern dabei zu, wie dieses zierliche Persönchen seine Umwelt herumkommandiert wie ein Feldwebel.

»Nein, kein Nagellack, das ist vulgär. Denken Sie doch mal zwei Sekunden nach, Kleines!«

Danach folgt die Runde durch die Luxusboutiquen: zuerst die Schuhe. Sehr elegante Pumps.

»Machen Sie mal ein paar Schritte, damit wir mal sehen«, seufzt Miss Scott.

Tess gehorcht. Die Expertin macht ein Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.

»Das müssen Sie noch üben.«

Danach das Kleid. Schwarzes Satin, enganliegend, mit Spitze. Natürlich rückenfrei.

»Das steht Ihnen gut«, beschließt Miss Scott.

»Ein Kompliment?«, spottet Tess. »Du meine Güte, gleich schneit es noch!«

Die junge Frau betrachtet sich im Spiegel, und ihr gefällt, was sie da sieht. Eine Prinzessin, das schon, aber keine Disney-Prinzessin. Eine aufsässige, ein bisschen Goth.

Schließlich noch der Schmuck. Lange vergoldete Halskette, passendes Armband (das das Tattoo verstecken soll) und Ohrringe. Ein gewagterer Ring. Verchromtes Metall. Der kleine Bruch mit dem zu braven Rest des Schmucks. Die Mischung ist erstaunlich gut.

Beladen mit Tüten großer Marken, steigt Tess wieder in ihren Wagen mit Chauffeur. Helen Scott schaut auf ihre Armbanduhr (Cartier, was sonst).

»Siebzehn Uhr. Wir haben noch zwei Stunden, um Sie fertig zu machen.«

Victor Rusks Haus beziehungsweise vielmehr eine grandiose Villa steht nördlich von Malibu, auf der Kante eines steil abfallenden kleinen Felsens.

Wird gut bezahlt, so eine graue Eminenz eines Ministers, sinniert Tess, als sie aus dem Auto steigt.

Auf den ersten Blick wirkt das Gebäude, als schwebte es über dem Abgrund. Es zeigt harte Kanten im Stil von Frank Lloyd Wright und viele Glasflächen, durch die man sicher einen atemberaubenden Blick auf den Strand und den Pazifik hat. Links in der Ferne zeichnet sich das Riesenrad vom Santa Monica Pier ab. Aus dieser Entfernung wirkt es nicht größer als ein Hamsterrad.

Die Vortreppe des Hauses besteht aus Kalkschiefer. Tess bewundert die fein und kunstvoll gearbeiteten schmiedeeisernen Jugendstil-Gartenmöbel. Der Mann, der die Hecken schneidet, scheint ein Latino zu sein, genau wie der, der den Rasen wässert. Mexikanische Einwanderer (illegal oder nicht) halten Kalifornien schon seit mehreren Generationen am Laufen. Ach, Überraschung, die Hausangestellte, die Tess und Helen Scott in den Salon führt, sieht asiatisch aus.

»Guten Tag«, sagt die Style-Expertin. »Ist alles vorbereitet?«

»Ja, Madam, folgen Sie mir bitte.«

In einem Zimmer im ersten Stock ist eine Art improvisierte Maske eingerichtet worden. Tess ist beeindruckt von dem großen Bett mit Baldachin und Pfosten mit balinesischer Figurenschnitzerei. Beim Rest meint man, im Theater gelandet zu sein: der Paravent, hinter dem man sich umziehen kann, ein von Glühbirnen umrahmter Spiegel, ein Sammelsurium an Puder, Cremes und allen möglichen Schönheitsmitteln. Eine Frau mit androgynem Look nimmt letzte kleine Änderungen an dem neuen Kleid vor, während sich Helen Scott persönlich um Tess’ Make-up kümmert. Es werden mehrere Lippenstifte ausprobiert, bevor die Wahl auf einen karminroten Ton fällt, nicht zu knallig, dazu kommen Rouge und Wimperntusche.

Miss Scott tritt einen Schritt zurück. Sie mustert ihre Kreation mit analytischem Blick, gnadenlos, das Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger.

»Wir müssen die Augen noch mehr betonen«, entscheidet sie. »Sie haben durchaus ein paar Vorzüge, die können wir auch nutzen.«

»Zu gütig«, knirscht Tess.

Sie geht im Geiste noch einmal ihre Biografie durch (na ja, die von Fiona Volpe), während ihr Umstyling-Coach sie umkreist und sie mit ihrem Handy fotografiert.

»Stehen Sie auf … Schauen Sie mich an, ja, genau so … Der Gang … Na los, gehen Sie ein paar Schritte … Achten Sie auf die Knie, du meine Güte! Sie gehen wie eine Ente, das verdirbt alles!«

Diese Pumps, was für eine beschissene Falle für bescheuerte Weiber! Na gut, sie sind umwerfend schön, aber es grenzt an ein Wunder, wenn Tess den Abend ohne verstauchten Knöchel übersteht.

»Gehen Sie im Kopf in Zeitlupe. Sie müssen sich selbstbewusst bewegen, aber nicht zu hastig … Genau, so ist es besser.«

»Wer kommt heute Abend? Bekannte Leute?«

»Wenn Sie mit ›bekannte Leute‹ Persönlichkeiten aus dem Showbusiness und den Medien meinen, werden Sie enttäuscht sein. Es kommen Ärzte, Honoratioren, hohe Staatsbeamte … Wir erwarten weder Skandale noch einen Staatsstreich. Halten Sie sich bedeckt, dann müsste alles gut ablaufen. Sie sind eine fleißige junge Frau, die gut in der Schule war und sich deshalb Urlaub bei ihrem Onkel in Amerika verdient hat, in der ›Stadt der Engel‹.«

Tess legt das Tablet auf die Frisierkommode.

»Ist diese Fiona Volpe genauso doof, wie es ihre Akte vermuten lässt?«

»Sie sollen nicht über sie urteilen, sondern ihre Rolle spielen. Sie müssen in ihre Haut schlüpfen, die Welt um sich herum mit ihren Augen sehen.« Tess nickt.

»Ihre Lieblings-Eissorte?«, fragt Miss Scott ohne Vorwarnung.

»Zitrone.«

»Mögen Sie Ihren Vater lieber oder Ihre Mutter?«

»Meinen Vater. Meine Mutter ist sehr narzisstisch und hört sich furchtbar gerne selbst reden.«

»Ihre sexuellen Erfahrungen?«

»Ein bisschen Fummeln in den Ferien mit einem Surflehrer, aber dabei ist es geblieben. Ich habe mich noch nicht getraut, meine Eltern um die Pille zu bitten, und zu viel Schiss, geschwängert zu werden.«

Helen Scott hebt zustimmend das Kinn.

»Sehr schön, Sie scheinen gut vorbereitet zu sein.«

»Wenn ich es richtig verstanden habe, laufe ich heute Abend nicht Gefahr, jemandem über den Weg zu laufen, der die kleine Fiona kennt? Warum muss ich dann so persönliche Angaben lernen?«

»Ich sage es Ihnen noch einmal: Sie müssen mit der Rolle verschmelzen, alle Aspekte der zu verkörpernden Persönlichkeit zu fassen bekommen.«

Tess seufzt.

»Ich nehme an, sie raucht nicht, die kleine Zicke?«

»Wenn es nicht in der Akte vermerkt ist, heißt das, sie raucht nicht.«

»Nicht mal heimlich? Ich würde schon mal gern auf der Terrasse eine rauchen gehen.«

Helen Scott scheint in Gedanken das Für und Wider abzuwägen.

»Keine Zigarette, aber Sie dürfen eine Pause machen. Sie haben es sich verdient.«

»Danke.«

»Zehn Minuten, nicht mehr«, fügt die Expertin hinzu, als Tess an ihr vorbeigeht.

Die junge Frau tritt auf die Terrasse hinaus, die aussieht wie die hängenden Gärten von Babylon. Sie umfasst mit beiden Händen das Geländer und inhaliert die jodhaltige Luft. Mit einem Mal erfüllt sie ein Gefühl von Freiheit. Vor ihr erstreckt sich der unendliche Ozean. Eine Meeresbrise von der offenen See streichelt ihre Stirn und verweht ein paar rote Strähnen. Sie lässt den Blick über die blauen Fluten schweifen. Die schaumgesäumten Wellen branden mit der Regelmäßigkeit eines Metronoms an den Strand. Die Sonne hat zum Untergehen angesetzt und zeichnet goldene Borten an die Wolken, die langsam über den Himmel ziehen.

Tess schließt die Augen. Sie hat sich seit Jahren nicht mehr so gut gefühlt.

Als sie sie wieder öffnet, entdeckt sie Victor Rusk in einem Smoking neben sich. Sie hat ihn nicht bemerkt, seine Schritte sind vom Geräusch des ständigen Rauschens der Brandung übertönt worden, ebenso von dem dicken Teppich im Zimmer. Er betrachtet seine »Nichte« zufrieden.

»Ihre gute Fee hat hervorragende Arbeit geleistet«, urteilt er mit Kennermiene.

»Und ich kehre ins Institut zurück, bevor die Uhr zwölfmal geschlagen hat, sonst verwandelt sich der Wagen in einen Kürbis, so ist es doch, oder?«

»Sie haben es erfasst.«

Tess zieht eine Grimasse. Sie hat keinerlei Lust, zu Fatelmeyer zurückzukehren.

»Wie soll ich Sie übrigens nennen? ›Liebstes Onkelchen‹?«

»›Mein Onkel‹ genügt.«

Tess wendet sich ab, um wieder auf den Ozean zu blicken, in die Zukunft.

»Wollen Sie mir wirklich nicht sagen, was mit mir passieren wird, wenn die Tests beendet sind?«

»Üben Sie sich in Geduld, meine Liebe.«

»Bis jetzt habe ich alles gut gemacht, oder nicht? Wie ein tapferer kleiner Soldat.«

»Ihre Ergebnisse sind stimmig.«

»Stimmig, das ist alles?«

»Mehr als korrekt … aber das steigt Ihnen jetzt nicht zu Kopf, ja?«

Rusk wirft einen Blick auf die Uhr.

»Achtzehn Uhr fünfzig … Machen Sie sich bereit. Unsere Gäste werden jeden Moment hier sein.«