Das Buch
Wir leben in einer Welt, in der die Politik des lauten Mannes Gehör findet, in dem der Neoliberalismus die politischen Parteien ausgehöhlt hat und Großunternehmen die Demokratie unterlaufen. Die einfachen Wähler fühlen sich hilflos und lassen ihrer Wut immer öfter in populistischen Aktionen freien Lauf. Gleichzeitig verlieren herkömmliche politische Diskussionsformen ihre Relevanz, weil Leser sich zunehmend online informieren. In seiner kurzen, zugespitzten Polemik, argumentiert der linke Songwriter und Aktivist Billy Bragg, dass Verantwortlichkeit das Gegenmittel zum Autoritarismus und der einzige Weg zur Freiheit ist.
Der Autor
Billy Bragg ist seit Anfang der 80er-Jahre als unermüdlicher Songwriter und politischer Aktivist im Einsatz. Der Guardian bezeichnete ihn als »das perfekte Venn-Diagramm zwischen dem Politischen und dem Persönlichen«. Mit »A New England« schrieb er einen der Klassiker der britischen Musikgeschichte, zahlreiche seiner Alben erreichten die vorderen Chartpositionen. Seine Themen reichen von Liebesballaden über traditionelle Arbeiterlieder bis hin zu Protestliedern zu aktuellen politischen Ereignissen.
Billy Bragg
Die drei
Dimensionen der Freiheit
Aus dem Englischen
von Tino Hanekamp
Wilhelm Heyne Verlag
München
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel THE THREE DIMENSIONS OF FREEDOM bei Faber & Faber Ltd, London
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Copyright © 2019 by Billy Bragg
Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Loel Zwecker
Lektorat: Markus Naegele
Covergestaltung und Illustration: © Johannes Wiebel | punchdesign, München
Herstellung: Udo Brenner
Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN: 978-3-641-25746-0
V001
Wenn du ein Star bist, lassen sie es dich machen.
Du kannst alles machen.
– Donald Trump
Triffst du einen mächtigen Menschen, stelle ihm fünf Fragen: »Welche Macht hast du bekommen? Von wem hast du sie bekommen? In wessen Interesse übst du sie aus? Wem gegenüber bist du verantwortlich? Und wie können wir dich wieder loswerden?«
– Tony Benn
Einleitung
Nie zuvor hatten wir Menschen so viel Macht wie heute. Die Technik ermöglicht es uns, über Kontinente hinweg miteinander zu reden, dabei unser Gegenüber zu sehen und mit der Berührung eines Bildschirms eine Unzahl an Informationen abzurufen. Ihr verdanken wir eine Plattform, über die wir unsere Meinungen verbreiten können. Das Versprechen, dass die Welt auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten werden kann – vorausgesetzt, man ist willens, seine persönlichen Daten und Vorlieben preiszugeben –, ist der neue Gesellschaftsvertrag.
Freiheit wurde neu verpackt als das Recht auf Wahlfreiheit, aber eine wirkliche Wahl – in Bezug auf Wohnverhältnisse, den Arbeitsplatz oder an der Wahlurne – ist nur schwer zu haben. Während der Kapitalismus einen Überfluss an Vernetzungsmöglichkeiten geliefert hat, sind die Möglichkeiten des Einzelnen, die eigene wirtschaftliche Situation selbst zu gestalten, in den vergangenen Jahrzehnten verringert worden. Dieser Mangel an Handlungsfähigkeit hat zu der Welle populistischer Wut geführt, die sich in den westlichen Demokratien ausbreitet. Wähler, die einst verlässlich moderate Kandidaten unterstützt haben, sind nun von der Idee besessen, »Kontrolle zurückzuerlangen«.
Ist der Fortschritt rasant, können die Veränderungen, die er mit sich bringt, ebenso destruktiv wie emanzipatorisch wirken. »Disruption» mag ein Buzzword für Tech-Start-ups sein, für Geringverdiener jedoch hat es eine bedrohlichere Bedeutung. Neue Technologien haben dazu beigetragen, die Debatte zu öffnen, der Diskurs wurde der Kontrolle von Gatekeepern auf nationaler Ebene entzogen. Sie haben aber auch die Polarisierung verstärkt.
Über die sozialen Netzwerke können wir rund um die Uhr unsere Meinung öffentlich machen und bekommen eine Ahnung davon, welche neuen Freiheiten das bedeuten kann. Wenn wir aber ein Klima des Parteiischen vermeiden wollen und uns etwas anderes als einen andauernden latenten Kriegszustand wünschen, müssen wir zuerst erkennen, dass Liberalität nur eine eindimensionale Vorstellung von Freiheit bietet.
Die Möglichkeit zu sagen, was immer man denkt, zu wem und wann man will, ohne Rücksicht auf Wahrheit oder Verantwortlichkeit, garantiert nicht, dass der Einzelne frei ist. Wenn dem so wäre, dürfte Donald Trump als strahlendes Paradebeispiel für die Freiheit gelten. Während viele Menschen diese beiden Begriffe synonym verwenden, ist der Twitter-Feed des Präsidenten eine tägliche Mahnung, dass Liberalität und Freiheit nicht dasselbe sind.
Liberalität wird geschätzt, weil sie es uns ermöglicht, zu denken, reden und handeln, wie wir wollen. Sie ist das Fundament der Freiheit. Es sind jedoch noch weitere Dimensionen erforderlich, um dieses Recht für die vielen zu sichern und es vor den Mächtigen zu schützen. Wenn deine Liberalität mehr sein soll als nur eine Art Privileg, musst du auch allen anderen das Recht zuerkennen, zu denken, reden und handeln, wie sie wollen, und es bewahren. Ohne gleichwertigen Respekt für die Rechte der anderen wird aus Liberalität nichts mehr als eine Erlaubnis.
Gleichheit verschafft der Freiheit eine zweite Dimension, indem sie von allen verlangt, die Rechte, die sie für sich selbst in Anspruch nehmen, auch allen anderen zu gewähren.
Doch so wie Redefreiheit allein nicht genügt, um Freiheit zu definieren, garantiert auch Gleichheit nicht, dass ein Mensch über Handlungsfähigkeit in Bezug auf seine Lebenssituation verfügt. Die Geschichte hat gezeigt, dass Gleichberechtigung zu Verhältnissen führen kann, die Gemeinschaften als gleich erklären, aber separieren, indem die neu Befreiten einer Kampagne bewusster Marginalisierung zum Opfer fallen.
Wenn wir wirklich frei sein sollen, müssen Liberalität und Gleichheit um eine dritte Dimension erweitert werden: Verantwortlichkeit. Während Liberalität den Einzelnen ermächtigt und Gleichheit nach Gegenseitigkeit verlangt, verbindet Verantwortlichkeit diese beiden Aspekte miteinander, um ein Umfeld zu schaffen, in dem Freiheit nicht länger von Verantwortung getrennt ist.
Diese dritte Dimension ist entscheidend, wenn wir für wirkliche Handlungsfähigkeit sorgen wollen. Liberalität gibt der Freiheit einen Fokus, Gleichheit gibt ihr den Rahmen, aber erst Verantwortlichkeit gibt ihr den Biss. Moral ist, nachdem sie sich als mangelhaftes Mittel zur Zügelung gieriger Banker und unehrlicher Präsidenten erwiesen hat, nicht länger in der Lage, die Schwachen vor den Starken zu schützen. Der Stachel der Scham sticht die Mächtigen nicht mehr. Verantwortlichkeit bietet uns einen Drehpunkt, um das Kräfteverhältnis neu zu kalibrieren.
Im Laufe der letzten fünf Jahrzehnte hat die Globalisierung der Weltwirtschaft die Kraft der Demokratie und ihrer Regulierungsmechanismen geschwächt. Das hatte unter anderem zur Folge, dass immenser Wohlstand über jenen Menschen ausgeschüttet wurde, die im Finanzsektor arbeiten, während sich viele Menschen in der Realwirtschaft mit Ungleichheit und Ausgrenzung konfrontiert sahen.
Konzerne haben den demokratischen Prozess gekapert und machen es Bürgern zusehends schwerer, für Reformen zu stimmen, die dafür sorgen, dass die Wirtschaft für alle funktioniert. Wahlsysteme liefern Resultate, die nicht die Entscheidung der Mehrheit widerspiegeln; das große Geld verdreht die Meinung. Und in Zeiten, in denen künstliche Intelligenz eine immer wichtigere Rolle in unserem Leben spielt, werfen Entscheidungen, die von Algorithmen getroffen werden, die Frage auf, wo die Verantwortlichkeit in der digitalen Welt liegt.
Die Menschen sind wütend. Es hat sich gezeigt, dass der Neoliberalismus nicht dazu in der Lage ist, ihnen den Lebensstandard zu ermöglichen, den ihre Eltern in der Nachkriegszeit genossen haben: die Sicherheit eines angemessenen Einkommens; einen Job fürs Leben; ein bezahlbares Zuhause; und das Gefühl, eine strahlende Zukunft zu haben. Ist es also überraschend, dass sich Wähler, denen immer nur mehr der immer gleichen wirtschaftsliberalen Lösungen angeboten werden, für einen Typen entscheiden, der einfach nur verspricht, alles wieder großartig zu machen?
Der Autoritarismus ist im Aufwind. Demagogen benutzen den Begriff »Fake News«, um die Gesellschaft zu spalten und von Kritik abzulenken. In der fiebrigen Atmosphäre, die einen so großen Teil des Online-Diskurses infiziert, triumphiert die Meinung über Fakten, und die Wahrheit ist kaum mehr als deine jeweilige Sichtweise an jedem beliebigen Tag. Als Folge dessen wurde Freiheit von ihrer Funktion eines universellen Prinzips entkoppelt, das den Einzelnen schützt. Stattdessen wird sie von jenen als Feigenblatt benutzt, die nach der Lizenz zur Täuschung und zum Missbrauch trachten.
Der Schlüssel für die Bewältigung dieser Probleme ist Verantwortlichkeit: erstens als Mittel, um die Handlungsfähigkeit des Einzelnen wieder herzustellen, und zweitens als Gegengift gegen die Macht von Autoritären und Algorithmen.
Wir leben in einem Zeitalter der Wut. Viele Menschen haben das Gefühl, dass ihre Stimmen von entfernten Eliten ignoriert werden, die nicht mehr bereit sind, für ihre Handlungen Verantwortung zu übernehmen. Dass es so weit kommen konnte, war kein Versehen. Es ist die Kulmination von jahrzehntelangen reaktionären Bestrebungen, die Demokratie zu neutralisieren und jene auszugrenzen, die die drei Dimension der Freiheit einfordern: Liberalität, Gleichheit und Verantwortlichkeit.
1. Liberalität
Einige Leute sagen, dass wir innehalten
und über Globalisierung diskutieren müssen.
Man kann genauso gut darüber diskutieren,
ob der Herbst auf den Sommer folgen soll.
– Tony Blair