Delia Muñoz

Tigermädchen

Die Nacht ist ihr Element

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titel

Widmung

Teil I

PROLOG

1 DAS LAND DER NACHT

2 BEGABUNGEN

3 NÄCHTLICHE KRIMINALFÄLLE

4 TAUSCHHANDEL

5 DAS ELFTE GEBOT

6 DAS MÄDCHEN IN SCHWARZ

7 DER LEGENDÄRE TAG DES RENNENS

8 VERRÜCKT ODER SUIZIDAL?

9 TOTALE MONDFINSTERNIS

Teil II

10 WIE MAN EIN TIGERMÄDCHEN GEHEIM HÄLT

11 DAS TIER DER NACHT

12 IHR HABT SIE

13 CHAOS IM CAFÉ

14 GIB NICHT AUF

15 SCHLIMME ERINNERUNGEN

16 DIE DUNKLE RETTERIN

17 VERFOLGUNGSJAGD

18 PENDELUHREN UND ANDERE ANTIQUITÄTEN

19 EIN NEUER PLAN

20 DREI ZU NEUN

21 EINBRUCH IN EIN HOCHSICHERHEITSGEBÄUDE

TEIL III

22 VORURTEILE

23 DIE NINJAKÄMPFERIN

24 NOCH MEHR GEHEIMNISSE

25 DAS ZEICHEN DER CATAARA

26 VERRAT

27 FALL ALS TIGER

28 NUR WENIGE WORTE

29 AUTORITÄTSPERSONEN

30 DOPPELLEBEN

EPILOG

WÖRTERBUCH

DANKSAGUNG

Impressum neobooks

Widmung





FÜR MEINE SCHWESTER LORENA MEINE FREUNDIN FIONA S.

AUFGEBEN IST EINFACH. WEITERKÄMPFEN NICHT.

DOCH WER MACHT SICH DAS LEBEN SCHON EINFACH?


Teil I





Ihr habt keine Ahnung, wer ich wirklich bin.

Denn niemand hier ist das, was er zu sein vorgibt.

Melanie.

PROLOG





Sie hatte viele Namen. Das Mädchen in Schwarz, die dunkle Retterin oder das Tier der Nacht.

Ein schwarzer Wagen fuhr um die Ecke in eine dunkle Gasse. Lautlos glitt er immer weiter hinein und niemand bemerkte das kleine, gefesselte Mädchen, das hinten auf dem Rücksitz lag. Die Straßenlaternen waren kaputt oder spendeten nur noch spärlich Licht.

Doch jetzt spähte eine dunkle Gestalt um die Ecke. Sie war vollkommen schwarz gekleidet und hatte dunkles Haar. Dass es stockfinster war, behinderte das Mädchen in Schwarz nicht im Geringsten. Sie erkannte das Auto auf Anhieb und bog zielstrebig in die Gasse ein. Während sie die Straße hinuntereilte, griff sie in ihre schwarzen Stiefel und hielt im nächsten Moment ein Messer in der Hand. Sie blieb stehen. Mit leicht zusammengekniffenen Augen zielte sie mit dem Messer auf die Reifen des Autos, warf es mit aller Kraft und die Klinge schnitt die Reifen entzwei. Offenbar hatte er nicht gerade die neuesten Reifen, dachte das Mädchen in Schwarz erfreut, denn es dauerte nicht lange und die Luft entwich, sodass das Auto zwangsläufig anhalten musste. Die dunkle Retterin eilte auf das Fahrzeug zu, ließ die schwarze, vordere Autotür mit ihren Fähigkeiten dichter werden und öffnete gleichzeitig die hintere. Ein junges Mädchen mit blasser Haut und ebenso dunklem Haar wie ihrem eigenen starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an. Das Mädchen in Schwarz nahm sie fest bei der Hand und zog sie aus dem Auto. Mit dem Messer schnitt sie die Fesseln auf und stieß das Mädchen in die nächste Ecke, eine Sekunde, bevor die vordere Autotür aufging und ein vor Zorn rauchender Mann ausstieg.

Das junge Mädchen in der Ecke wimmerte. Die dunkle Retterin sah den Mann verächtlich an. Automatisch wurden die Schatten um sie herum dichter, was es dem Mann erschwerte, sie in der Dunkelheit zu sehen. Doch das Mädchen in Schwarz konnte in der Nacht so gut sehen wie eine Eule, eine Gabe, deren Grund sie bis heute noch nicht erfasst hatte. Der Mann verzog wutschnaubend das Gesicht zu einer hässlichen Grimasse und holte mit der Faust aus. Dafür, dass er nichts sah, zielte er überraschend gut, doch die dunkle Retterin wich ihm geschickt aus, verlagerte ihr Gewicht auf den linken Fuß und kickte ihm mit dem rechten effizient in den Magen. Er krümmte sich, was ihn jedoch nicht davon abhielt, nach ihr zu greifen, sie mit unerwarteter Kraft zu packen und gegen das Auto zu stoßen. Das Mädchen in Schwarz stieß sich vom Auto ab, drehte sich halb um die eigene Achse und nutzte den Schwung, um dem Typen in das behaarte Gesicht zu schlagen. Er stolperte ein paar Schritte nach hinten in das Licht einer altersschwachen Laterne. Die dunkle Retterin knurrte wütend, stellte sich in den Schatten des Baumes daneben und verschmolz mit der Dunkelheit. Der Mann schaute eine Weile lang verdutzt vor sich hin und kniff seine Schweinsäuglein zusammen. Dann trat er einen Schritt nach vorne, aus dem Lichtkegel der Straßenlaterne heraus - direkt in die Knie des Mädchens in Schwarz. Sie packte ihn am Kragen, schleuderte ihn herum und er krachte in sein Auto.

„Miststück!“

„Freut mich, hast du auch einen Nachnamen?“, antwortete die dunkle Retterin gekonnt.

„Wer bist du? Wie heißt du?“, wollte er wissen. Sein Atem stank nach Alkohol.

Das Mädchen in Schwarz grinste. „Du kannst mich „deinen Untergang“ nennen, wenn du willst.“ Sie überlegte kurz. „Oder so, wie es die Zeitung tut.“ Sie hob erwartungsvoll die Augenbrauen.

Der Mann knurrte. „Und wie heißt du wirklich?“

Das Mädchen zuckte die Schultern. Passiv registrierte sie, wie seine Hand zu seinem Gürtel glitt und er sie, um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck bemüht, direkt anstarrte. Sie kickte ihm gegen das Kinn und er sackte ohnmächtig zusammen.

„Dummheit“, murmelte die dunkle Retterin fast schon amüsiert. Da kam ihr das junge Mädchen wieder in den Sinn. Rasch eilte sie zu der Ecke zwischen den zwei Häusern, wo sich das Mädchen versteckt hielt. Es zitterte am ganzen Körper und hatte die Arme um sich geschlungen. Mitfühlend lächelte das Mädchen in Schwarz die Kleine an und streckte ihr die Hand entgegen. Vorsichtig umfasste die Kleine die angebotene Hand und die dunkle Retterin zog sie hoch.

„Kommst du allein nach Hause?“, fragte das Mädchen in Schwarz.

Die Kleine nickte benommen und die dunkle Retterin bemerkte, wie sie sich die Handgelenke rieb; dort, wo die Fesseln gesessen hatten, waren rote Abdrücke zu sehen.

„D-danke“, stotterte das Mädchen, ehe es sich umdrehte und davonrannte.

Die dunkle Retterin blickte ihm nach und musste sich zusammenreißen, um ihm nicht hinterherzurennen und es in den Arm zu nehmen. Denn sie wusste genau, wie es war, vergewaltigt zu werden. Und dieses Mädchen erinnerte sie mehr als jedes andere an sich selbst. Stattdessen trat sie in den nächsten Schatten, verschmolz mit ihm und war verschwunden.

„Ein Miststück!“

„Blödes Gör!“

„Bloß ein Mädchen!“

„Pah! Ein fieses Stück!“

Ein Mann stellte die Bierflasche nachdrücklich auf den Tisch vor sich und rülpste. „Sie sieht aus wie ein junges, hübsches Mädchen. Doch das täuscht gewaltig! Sie haut dich so klein!“ Er drückte Daumen und Zeigefinger aufeinander und hielt den anderen die Hand vor die Nase.

Ein paar nickten zustimmend, doch einer schüttelte den Kopf. „Quatsch, sie kann doch nicht überall sein!“

Sein Nachbar lachte betrunken. „Ha! Dieses Weib ist schwarz wie die Nacht! Keine Ahnung, ob sie überhaupt ein Mensch ist.“

„Hast du sie noch nie getroffen?“, fragte der andere Nachbar des Zweifelnden.

Der junge Mann schüttelte den Kopf.

Sein Sitznachbar lachte humorlos. „Na, dann sei mal froh, Junge, und bete.“

Der Mann gegenüber lehnte sich geheimnistuerisch nach vorne und den anderen schlug seine Bierfahne entgegen. „Bei Vollmond, da verwandelt sie sich in ein rabenschwarzes Tier!“, raunte er. Und keiner der Anwesenden lachte.

Auch die Zeitung hatte immer etwas zu berichten. Doch wer sie wirklich war, das wusste niemand. Man nannte sie bloß das Mädchen in Schwarz, die dunkle Retterin oder das Tier in der Nacht.

1 DAS LAND DER NACHT





Es war Nacht.

Melanie ließ ihren Blick über die Stadt zu ihren Füßen gleiten. Sie stand auf dem Balkon, die Uhr auf ihrem Schreibtisch zeigte drei Uhr nachts an. Obwohl sie nur vier Stunden geschlafen hatte, war sie hellwach. Denn sie brauchte nicht mehr Schlaf; das war etwas, was sie von den anderen Menschen unterschied.

Doch nicht nur das war anders an Melanie. Sie konnte in der Dunkelheit genauso gut sehen wie tagsüber. So beobachtete sie, wie ein Auto in die Straße einbog und wie der Mond am Nachthimmel langsam sank. Sie sah, wie Jugendliche in Gruppen durch die Straßen gingen und wie hier und da eine Katze vorbeihuschte. Der Wind ließ sie in ihrem Pyjama frösteln und wehte ihr um die Ohren. Nachdenklich kaute sie auf ihrer Unterlippe herum. Heute war ihr letzter Tag an der Schule, bevor die Sommerferien begannen und sie die Schule wechseln würde. Danach würde sie auf ein College gehen – das war hier üblich. Über den Schulwechsel war sie überhaupt nicht traurig, denn in ihrer Klasse war sie gelinde gesagt ziemlich unbeliebt gewesen. Aber heute fuhren auch ihre Eltern nach Island, wo sie die nächsten zwei Monate verbringen würden. Melanies Mutter war Journalistin, ihr Vater Fotograf. So waren sie gemeinsam Chefredakteure der Zeitung „TierWoche“, die sich vornehmlich mit Tierberichten ihre Beliebtheit sicherte. Jede Woche kam eine neue Ausgabe heraus, beispielsweise mit Berichten über einwöchige Beobachtungen des Verhaltens eines Tieres. Aber auch lustige Anekdoten, wie vor zwei Wochen, als ein Eichhörnchen in ein Haus „eingebrochen“ war und den Vorratsschrank ausgeräumt hatte, fanden sich darin. Die Besitzer waren ganz durch den Wind gewesen und hatten Anzeige erstattet - gegen ein Eichhörnchen. Solche Dinge landeten dann in der TierWoche

Die einzige Ausnahme, die ihre Eltern machten, war, dass sie zuzüglich zu den Tieren noch über die dunkle Retterin schrieben. Sie sei so mutig, sagten sie, dass sie einfach darüber berichten müssten. Außerdem wurde sie der Zeitung bei Vollmond ja gerecht, wenn sie sich angeblich in ein Tier verwandelte.

Melanie seufzte. In Island wollten sie über Pferde schreiben. Ein großer Pferdezüchter hatte ihnen für knapp zwei Monate erlaubt, bei ihm zu wohnen. Doch Melanie durfte nicht mit, sie blieb allein zu Hause, da sie sich weigerte, zu ihrer altmodischen Tante zu gehen. Sie warf einen Blick in ihr Zimmer. Die Uhr zeigte 04:30 Uhr an, Melanie war nun schon seit einer Weile auf dem Balkon und beobachtete die kühle Nacht. Jetzt schlich sie, so leise es ihre Pantoffeln erlaubten, in ihr Zimmer zurück und erledigte ihre Hausaufgaben, bis der Wecker um 06:30 Uhr klingelte. Melanie legte ihr Heft beiseite, in das sie schreiben musste, was sie in welchen Fächern gelernt hatte. Eine kindische Aufgabe, wie sie fand. Sie schaltete das Licht an, obwohl sie es nicht brauchte, und packte die Schulsachen zusammen, ein allerletztes Mal für eine lange Zeit. Dann ging sie duschen, um danach in ihre gewohnte Kleidung zu schlüpfen; eine schwarze, enge Jeans, ein gleichfarbiges T-Shirt und einen bequemen, ebenfalls dunklen Hoodie. Sie zog rasch ihren Gürtel mit den silbernen, spitzen Steinen durch die Gürtelschlaufen und streifte sich mehrere Lederarmbänder übers linke Handgelenk sowie ein Nietenarmband über das rechte. Dann stellte sie sich vor den Spiegel, um sich die pechschwarzen Haare zu bürsten. Sie hatte sich längst daran gewöhnt, dass sie links in ihrem Haar eine circa zwei Zentimeter breite pinke Strähne hatte, die sich nicht färben ließ. Auch, dass Melanie pinke Augen hatte, verwirrte sie nicht länger. Dafür umrahmte sie ihre katzenartigen Augen mit einem dicken, schwarzen Eyelinerstrich und trug Wimperntusche auf. Die Lippen malte sie knallrot an, bloß ihre blasse Haut überschminkte sie nicht. Dann polterte sie, die Schultasche um die Schulter gehängt, die Treppe hinunter und gesellte sich zu ihren Eltern in die Küche. Melanie liebte ihre Eltern heiß und innig und sie vertrauten sich beinahe alles an. Alle drei waren froh darüber, dass sich die kleine Familie trotz Melanies Teenageralter immer noch gut verstand, wie Melanies Eltern häufig betonten. In der Küche schenkte sich Melanie eine Tasse Kaffee ein, rührte darin herum, obwohl sie bloß Milch hinzugefügt hatte, und lugte ihrem Vater über die Schulter. Ihr Blick blieb an seiner Zeitung hängen, während ihr Vater sich umdrehte.

„Guten Morgen, wie fühlt sich der letzte Schultag an?“ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. Melanie lachte. „Gut, wäre nur noch besser, wenn die Schule ganz ausfallen würde.“

Melanies Mutter drehte sich ebenfalls um und umarmte sie, was echt ein Kunststück war, da beide Kaffeetassen in den Händen hielten. „Na komm, heute ist nicht mal richtiger Unterricht“, munterte sie ihre Tochter auf.

Melanie grinste nur und nahm einen Schluck vom Kaffee. Dann fiel ihr Blick auf die zweite Zeitung auf dem Küchentisch und sie riss erstaunt die Augen auf. Mit dem Löffel deutete sie auf die Schlagzeile. „Sie wurde gesichtet?“

Ihre Eltern nickten, sie wussten sofort, von was sie sprach. Die Schlagzeile der Zeitung lautete:

Die dunkle Retterin offenbart ihr Gesicht.

„Ja, ein Opfer konnte im Schein der Straßenlaterne ihr Gesicht erkennen. Anscheinend handelt es sich um eine Asiatin.“ Melanies Vater reichte ihr die Zeitung, in der ein gestelltes Foto zu sehen war. Das Mädchen, das mit entschlossenem Blick in die Ferne starrte, hatte eine braune Hautfarbe, dunkle Augen und schwarzes Haar.

„Seltsam“, bemerkte Melanie. „Bisher hat sie ihr Gesicht immer verdeckt gehalten.“

Melanies Mutter kaute auf ihrer Unterlippe herum, eine Eigenschaft, die Melanie von ihr geerbt hatte. „Ich denke, man will auch gar nicht wissen, wer sie ist. Denn wenn man wüsste, wer sie ist, müsste man sie verhaften, doch keiner hier will das.“

„Aber man weiß doch nicht, wer sie ist, oder? Ich meine, es gibt viele Asiaten hier“, warf Melanie verwirrt ein.

Ihr Vater nickte. „Das stimmt. Und ich denke auch nicht, dass man mehr herausfindet. Denn bestimmt wird sie jetzt vorsichtiger sein.“ Melanie nickte nachdenklich.

„Was bringt ihr darüber in eurer Zeitung?“

Ihre Eltern sahen sich an. „Das wissen wir noch nicht.“

Melanie nippte an ihrem Kaffee und schaute verständnisvoll nickend auf die Uhr. „Ich muss bald gehen.“

„Okay, dein Vater und ich gehen auch bald los. Wir sehen uns lange nicht mehr, Melanie.“ Die Stimme ihrer Mutter war geknickt in Anbetracht des Abschieds von ihrer Tochter.

Melanie schaute ihre Eltern schwermütig an und stellte die Tasse beiseite, um die beiden in den Arm zu nehmen. Sie drückte sie fest an sich und schloss kurz die Augen. „Ich werde euch vermissen. Und ruft mich unbedingt an! Ich möchte wissen, wie die Pferde aussehen.“

Ihre Eltern lachten. „Ganz bestimmt. Wir lieben dich, mein Schatz.“ Ihre Mutter drückte ihr einen Kuss aufs Haar.

„Und sei vorsichtig, ja?“, bat ihr Vater. Dann grinste er frech. „Du hast dich schon wie eine Mutter angehört!“

Melanie lachte und boxte ihm scherzhaft in die Rippen. „Ach was!“, protestierte sie.

Die Zeit, bis Melanie in die Schule musste, ging viel zu schnell vorbei. Sie küsste ihre Eltern noch ein letztes Mal zum Abschied, wünschte ihnen viel Erfolg und ging schweren Herzens in die Schule.

Melanie machte sich so klein wie möglich. In ihrer Schule wurden alle, die pinke Augen hatten, heruntergemacht. Und da das genau genommen nur Melanie betraf, war sie das Opfer.

Sie saß auf ihrem gewohnten Platz ganz hinten im Klassenzimmer und starrte die schwarze Tafel am anderen Ende des Raumes an. Die Wände des Klassenzimmers waren weiß gestrichen, die Tische reihenweise angeordnet und an der Wand hing außer dem Stundenplan kein einziges Bild, nicht mal Plakate der Schüler wurden aufgehängt. Alles in allem war es hier genauso unfreundlich gestaltet, wie die Stimmung war, und von Wohlfühlen war keine Rede. Gerade beschrieb eine Tussi vor Melanie ihrer Kollegin eine nicht vorhandene weitere Freundin. Ganz klar, um Melanie zu ärgern.

„Sie hatte blonde Haare und pinke ... äh ... ich meine natürlich blaue Augen.“ Ihre Freundin lachte dröhnend und unmädchenhaft über den grottenschlechten Witz.

„Weißt du, ich würde mich nicht blicken lassen!“, meinte sie.

Melanie, die ganz darauf konzentriert war, den beiden nicht an die Gurgel zu springen, weil sie sonst Ärger bekommen hätte, bemerkte nicht, wie die Freundin der beiden Miss-Wir-sind-so-lustig-Tussen mit einem Schwamm hinter sie getreten war. Als der erste Tropfen Seifenwasser auf ihre Haare fiel, fuhr sie erschrocken zusammen, sprang über ihre Stuhllehne und packte das Mädchen am Hals. Dieses schaute sie entsetzt an und ließ den Schwamm fallen, der ein paar Meter weiter links landete. Eine Sekunde später ließ Melanie sie erschrocken los und ging schwer atmend ein paar Schritte zurück. Sie hatte ganz reflexartig gehandelt, doch sie wäre auch zu mehr in der Lage gewesen. Es war ihr aber noch nie passiert, dass sie derart die Fassung verloren und ein Mädchen angegriffen hatte; wahrscheinlich reichte es ihr an ihrem letzten Schultag einfach. Aber sich zu entschuldigen, war eine schlechte Idee, deshalb kniff sie verächtlich ihre großen Augen zusammen und sah die drei Tussen an, die sie aus offenen Mündern anstarrten.

„Ich kannte mal jemanden, der hatte braune Augen.“ Sie sah das Mädchen, das vorhin über die blauen Augen erzählt hatte, nachdrücklich an. „Aber seltsamerweise wechselte das ziemlich schnell zu Blau, als er mich ins Wasser werfen wollte.“ Sie schnaubte. „Also lasst mich gefälligst in Ruhe!“ Sie setzte sich an ihren Platz, wohl wissend, dass ihr Spruch genauso schlecht war wie der der anderen. Natürlich hielt das niemanden davon ab, weiter über sie zu lästern.

Ein Junge vor ihr drehte sich um. „Ach ja, ist er über seine Füße gestolpert?“

Das ist ja fast schon humorvoll!

Sie antwortete nicht.

„Weshalb trägst du denn diese bescheuerten Kontaktlinsen?“

Melanie zwang sich, nicht auch noch ihm die Fresse zu polieren. „Das sind keine Kontaktlinsen“, sagte sie möglichst gelassen. Egal, welche Antwort sie gab, es war immer die falsche.

Der Junge hob die Brauen. „Ach ja, du bist ja eine Missgeburt.“ Lachend drehte er sich wieder nach vorne.

Doch nicht humorvoll.

Zum Glück kam in diesem Moment die Biologie- und Klassenlehrerin ins Zimmer, die es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, zu spät zu kommen. Sie blickte ihre Schüler an, die allesamt in einer Du-hast-mirgar-nichts-zu-sagen-Haltung in ihren Stühlen saßen. Melanie schaute sich rasch im Zimmer um und stellte verwundert fest, dass tatsächlich alle eine eigene Taktik entwickelt hatten, in der Schule nicht aufzufallen und desinteressiert auf den Stühlen zu fläzen. Wenigstens etwas lernt man in der Schule.

„Gerade hinsetzen!“, herrschte die Lehrerin ihre Schüler an.

Von allen Lehrern mochte Melanie diese am liebsten. Nicht, weil sie so wahnsinnig sympathisch war, sondern weil die meisten Schüler Angst vor ihr hatten. Dann ließen ihre Mitschüler sie wenigstens eine Weile lang in Ruhe.

„Heute ist euer letzter Tag. Letzte Woche habe ich eine Umfrage gemacht, was ihr heute gerne machen würdet. Da es gewisse Einschränkungen gibt, habe ich Folgendes entschieden.“ Sie schob sich die Brille höher auf die Nase. „Nachdem ihr mir die Hefte zurückgegeben habt, werden wir über ein aktuelles Thema sprechen.“

Die Klasse stieß entsetzte Laute aus und Melanie runzelte die Stirn. Momentan war nichts in den Nachrichten präsent, über das man groß reden konnte, und das Wetter war mit aktuell bestimmt nicht gemeint. Sie musste sich wohl überraschen lassen.

Doch die Lehrerin strich trotz der abwehrenden Reaktionen bloß ihre altmodische Bluse glatt und ging in der Klasse herum, um die Hefte einzusammeln.

Als Melanie ihres abgab, flüsterte jemand: „Bestimmt hast du den ganzen Abend damit verbracht zu schreiben, dass du gelernt hast, dass es keine pinken Augen gibt.“

Melanie warf ihr Haar über die Schulter und flüsterte zurück: „Es war um vier Uhr morgens.“

Der Junge blickte ein wenig verwirrt drein.

Melanie drehte sich wieder nach vorne, weil sie schon den Blick der Lehrerin auf sich spürte. Wie sie die Schule und diese Leute hasste. Konnten diese Idioten sie nicht einfach ignorieren? Das vier Uhr morgens war zwar in diesem Fall eine etwas lockere Wahrheit gewesen, aber an manchen Tagen traf das tatsächlich zu.

Die Lehrerin schrieb in großen Lettern den Begriff „Die dunkle Retterin“ an die Tafel. Lächelnd drehte sie sich zu den Schülern um, die ihr mit offenen Mündern entgegenblickten.

Das hatte sie mit „aktuell“ gemeint?

„Was kennt ihr noch für Begriffe für dieses Mädchen?“ Ihr Blick glitt durch die Brille über die Schüler und blieb schlussendlich an Melanie haften, obwohl diese sich große Mühe gab, ihrem Blick auszuweichen. „Melanie?“

Melanie sah erschrocken hoch. „Äh, das Mädchen in Schwarz“, antwortete sie zögernd und spielte nervös mit ihren Armbändern herum, die Gedanken bei der TierWoche und ihren Eltern.

„Genau!“, sagte die Lehrerin erfreut, als habe Melanie gerade im Kopf eine ellenlange Gleichung gelöst. Eifrig schrieb sie es an die Tafel und Melanie sah wieder aus dem Fenster. Tatsächlich gab es schlimmere Themen als dieses, aber sie wollte im Moment nur noch aus dieser Schule raus und nie wieder zurückkehren. Sie bekam noch mit, wie ein Junge sagte, manchmal würde sie das Tier der Nacht genannt werden. Darauf reagierte die Lehrerin ebenso beschwingt wie bei Melanie. Wahrscheinlich dachte auch sie schon die ganze Zeit an die Ferien und konnte sich die Laune nicht verderben lassen. Geschichten zufolge fuhr sie jeden Sommer ans Meer, was Melanie überhaupt nicht verstehen konnte – ihr persönlich gefielen keine Strandferien, genauso wenig wie ihren Eltern.

Als Melanie nach einer Weile wieder einen Blick auf die Tafel warf, realisierte sie, dass der Unterricht vorangeschritten war, auch wenn sie nichts davon mitbekommen hatte. An der Tafel standen nun mehrere Stichworte zum Verhalten des Mädchens in Schwarz und was für eine Person sie wohl war. Melanie presste genervt die Lippen aufeinander. Wieso war es denn so wichtig herauszufinden, wer dieses Mädchen war? Warum konnte die Menschheit kein Geheimnis geheim bleiben lassen? Ohne dass sie es richtig merkte, hatte sie die Hand gehoben.

„Ja, Melanie? Was möchtest du dazu sagen?“ Der Blick der Lehrerin durchbohrte sie.

Hören Sie auf, mit mir zu reden, als sei ich ein Kleinkind!

„Ich habe eine Frage“, stellte sie klar und schaute stur nach vorne. „Wieso wollen wir jetzt herausfinden, wer sie ist? Warum ist das so wichtig?“

Die Lehrerin schob verdutzt ihre Brille höher und einige aus der Klasse stöhnten übertrieben laut.

„Was die immer für Fragen stellt“, murmelte der Junge hinter Melanie. „Nun ja, immerhin ist sie ja ein großes Thema in der Zeitung“, antwortete Melanies Klassenlehrerin pikiert und ein wenig aus dem Konzept gebracht. „Das ist doch ein lockeres Thema für den letzten

Tag, findest du nicht?“

Melanie verdrehte die Augen. Das war ja wohl keine ausschlaggebende Antwort gewesen.

„Hm, findest du nicht?“, äffte eine Schülerin die Lehrerin nach und Melanie spürte den Blick des Mädchens im Rücken. Sie straffte die Schultern, setzte ein Lächeln auf und erwiderte an die Lehrerin gewandt: „Doch, das ist es.“

Die Pausenglocke klingelte und erlöste Melanie aus ihrer ungemütlichen Situation. Erleichtert sprang sie auf, voller Vorfreude auf ein paar ungestörte Minuten für sich allein. Alle anderen stürmten aus dem Klassenzimmer, möglichst weit weg von der Lehrerin, und hinterließen ein Chaos aus Stühlen, Tischen und Stiften. Melanie, die lässig und froh über die Unterbrechung hinausschlenderte, bemerkte das Bein natürlich nicht, das ihr jemand stellte. Sie stolperte darüber und stützte sich gerade noch rechtzeitig an der Wand ab. Wütend knurrte sie den Jungen an und lief weiter, doch ihr Herz schlug ein wenig schneller. Dann hörte sie plötzlich eine Stimme wispern: „Mal sehen, wer ein blaues Auge kriegt.“

Melanie wirbelte herum und wich reflexartig der Faust aus, die direkt auf ihr Gesicht zielte. Der Junge von vorhin wollte sich offenbar unbedingt prügeln. Melanie seufzte. Es wäre kein Problem, den Gang dunkel werden zu lassen, den Idioten k. o. zu schlagen und wegzugehen, doch leider wären die Lehrer nicht erfreut darüber. Und sie konnte von Glück reden, dass die Tussi bisher noch nicht gepetzt hatte. Also packte sie seinen Arm und verdrehte ihn auf seinem Rücken. Auch wenn das nicht viel besser als eine handfeste Prügelei war, war es wenigstens nicht so einfach nachweisbar wie eine Beule.

„Hör mir zu“, zischte sie ihm ins Ohr. „Ich könnte dich nach der Schule grün und blau schlagen. Aber wenn du mich hier auch nur einmal anrührst, petze ich.“

„Drohst du mir etwa?“, fragte der Junge scheinheilig.

Melanies Magen verkrampfte sich. „Nein. Ich warne dich bloß vor.“

Sie ließ ihren Blick durch den Gang schweifen, bis sie eine dunkle Nische hinter einem Spind gefunden hatte. Blitzschnell ließ sie den Jungen los und huschte in die Ecke. Sie spreizte die Finger und die Schatten wurden dunkler. Jetzt konnte sie niemand mehr sehen. In der Tat schaute sich der Junge verwundert und mit einem dämlichen Gesichtsausdruck um. Melanie zwang sich, nicht zu lachen. Dann entschied der Junge sich dafür, sich den Arm zu reiben und seinen Kumpels hinterherzurennen.

Melanie atmete erleichtert aus.

Der Tag wurde nicht besser und Melanie ersehnte das Ende der Schule mit jeder Sekunde mehr herbei. Mit einem Bleistift kritzelte sie gedankenverloren auf ihrem Blatt herum und blendete die blöden Sprüche aus, die ihre Mitschüler bei jeder Gelegenheit flüsterten, obwohl sie gewöhnlich Respekt vor der Klassenlehrerin hatten. Die Lehrerin zeigte ihnen nun doch eine Komödie, die eine der Tussen mitgenommen hatte; ein paar Schüler konnten sie dazu überreden, dass sie nun genug über die dunkle Retterin wussten. Da Komödien ganz und gar nicht Melanies Genre waren, hörte sie nur mit halbem Ohr zu.

Da ertönte die erlösende Schulglocke. Noch nie hatte Melanie das scheußliche Klingeln als so erleichternd empfunden wie an diesem Tag. Sie sprang von ihrem Stuhl hoch, packte den Bleistift ein und warf das Bild in den Mülleimer. Ohne auf den „Ist das ein Tiger? Sieht aus wie ‘ne Katze“-Kommentar einzugehen, verabschiedete sich als erstes von der Lehrerin.

„Ferien! Nie mehr an diese blöde Schule!“, versuchte sie, ihrem Gehirn begreiflich zu machen, dass es sich freuen sollte. Ohne es zu merken, war sie auf dem Schulhof angekommen und schritt zielstrebig auf den Ausgang zu. Die Sonne schien ihr warm ins Gesicht, wie um sie daran zu erinnern, dass nun endlich die ersehnten Ferien anstanden. An der Ausgangstür standen ein paar Mädchen, die sich mit Tränen in den Augen umarmten und Melanie nicht mal bemerkten, als sie sich an ihnen vorbeidrängte. Doch sie fühlte sich freier als je zuvor in den letzten vier Jahren. Nun konnte sie neu anfangen.

Melanie schaute seufzend in den Kühlschrank. Außer einer halben Flasche Wasser, etwas Milch und Käse war nichts zu sehen. Damit kam sie nicht weit. Sie schloss die Tür wieder und machte sich auf die Suche nach dem Geld, das ihre Mutter ihr hingelegt hatte, damit sie in den Ferien einkaufen gehen konnte. Als sie es fand, steckte sie es in die hintere Hosentasche. Sie schnappte sich die Lederjacke von ihrem Bett, für den Fall, dass es kühl wurde, und joggte aus dem Haus.

Nach 20 Minuten kam sie an zwei Abzweigungen, eine führte direkt in die Stadt und somit zum Lebensmittelgeschäft. Die andere war eine eher zwielichtige Straße, welche die meisten mieden. Kaum war sie in die erste Straße eingebogen, kam sie an einem Obdachlosen vorbei, der einen Stoffhut vor sich gelegt hatte und mit wachsamen Augen die Straße musterte. Sie warf ihm einen mitleidigen Blick zu und blieb einen Moment an seinen Augen hängen, die aus einem unerklärlichen Grund total faszinierend waren.

„Ich würde nicht hier durchgehen“, sagte der Mann auf einmal.

Melanie schaute ihn verwirrt an und deutete auf die Straße. „Du meinst hier?“

Der Obdachlose nickte. „Da vorne ist eine Baustelle, die schicken dich zurück.“

„Aha“, sagte Melanie zweifelnd. Der Mann war ja wohl komisch. Mit „die“ waren wohl die Bauarbeiter gemeint. Sie lauschte. Tatsächlich hörte sie den Lärm eines Presslufthammers aus der Ferne. „Na, dann, äh ... danke.“ Sie wusste nicht recht, was sie sagen sollte, deshalb drehte sie sich bloß um und bog in die zweite, zwielichtige Straße ein, die über einen Umweg ebenfalls in die Stadt führte.

Melanie vermutete, dass es für andere Leute in dieser Gasse dunkler sein würde; die Häuser waren hoch und schlossen die Sonnenstrahlen beinahe vollständig aus. Überall lag Müll herum; Bierdosen, Weinflaschen, kaputte Reifen und anderes, undefinierbares Zeug. Die Häuser standen dicht beieinander und waren heruntergekommen, keines sah bewohnt aus. Melanie hüpfte angeekelt über eine Coladose hinweg und erhaschte einen Blick in das nächste Haus, dessen Tür kaum noch in den Angeln hing. Der Teppich war zerrissen, die Fenster eingeschlagen und die Lampe wackelte bedrohlich.

Rasch lief Melanie weiter - und wäre beinahe zur Salzsäule erstarrt. Vor ihr sah sie die Silhouette von drei jungen Männern, die allesamt halbleere Glasflaschen in der Hand hatten und nebeneinander hergehend die Gasse versperrten. Locker näherten sie sich ihr und redeten dabei laut, aber unverständlich miteinander.

Muss das sein?, dachte Melanie genervt. Sie hatte nicht vorgehabt, jetzt zwielichtigen Typen zu begegnen, und so wie diese sie betrachteten, würden sie kaum kommentarlos an ihr vorbeigehen. Möglichst lässig lief Melanie weiter und zog unauffällig die Lederjacke zu. Es war nicht so, dass sie sich vor Schlägereien drückte, denn diese Typen waren bestimmt nicht zum Quatschen aufgelegt, aber sie zog es vor, gegen nur einen Gegner auf einmal zu kämpfen. Sie schüttelte sich ihre Haare über die Schulter und warf dabei einen unauffälligen Blick nach hinten. Aus der Richtung kamen noch mehr Typen auf sie zu, sie zählte ebenfalls drei.

Mist! Was wollen die von mir?

Umdrehen war nun keine Alternative mehr. Sie blickte wieder nach vorne und entdeckte ein Messer in der Hand des einen Mannes. Den musste sie als Ersten kriegen. Die anderen schienen unbewaffnet. Wenn sie also das Messer hätte und in den Schatten der Häuser kommen könnte, wäre das machbar. Ihre eigenen Waffen würde sie lieber nicht benutzen, erst als letzte Möglichkeit, deshalb ließ sie diese dort, wo sie versteckt waren. Sie scheute sich trotz häufiger Übung, gleich ein Messer zu ziehen. Rasch scannte sie die Häuser ab - dort warf eines einen langen Schatten! Ihr Blick wanderte weiter. Die Männer hatten sie entdeckt und liefen zielstrebig auf sie zu. Ihre letzte Hoffnung, dass sie kein Interesse an einer Schlägerei hatten, schwand.

Als die Männer kaum noch zehn Schritte von ihr entfernt waren, bückte sich Melanie, als würde sie sich den Schuh zubinden wollen. Ein wenig hinderlich für ihre Tarnung war jedoch, dass ihre schwarzen Stiefeletten keine Bändel hatten. Sie beobachtete den Schatten der Männer und schaute zwischen ihren Beinen hindurch nach hinten. Die hinter ihr würde noch eine Weile brauchen, doch die Gruppe, die direkt auf sie zukam, war nun laut den Schatten kaum einen Meter vor ihr angekommen.

Gewandt wie eine Katze sprang Melanie hoch, warf sich auf den Mann, der sich links von ihr befand, verdrehte ihm die Hand und entwand ihm das Messer. Noch bevor er den Mund zum Schrei öffnen konnte, rammte Melanie ihm ihr Knie in den Bauch und er sackte nach hinten. Sie ergriff das Messer fester und wirbelte zu den anderen herum.

Der eine rannte die wenigen Schritte auf sie zu und wollte ihr ins Gesicht schlagen, eine vollkommen bescheuerte Taktik, wie Melanie fand. Sie packte seine Faust, zog ihn an sich und warf gleichzeitig den Kopf nach vorne – direkt unter sein Kinn. Sein Kopf wurde nach hinten geschleudert, er stieß einen erstaunten Laut aus und wurde ohnmächtig.

Melanie nahm eine Bewegung hinter ihr wahr. Sie duckte sich, stach mit dem Messer hinter sich und befand sich plötzlich in den starken Armen des dritten Mannes. Er legte ihr den Arm um den Hals und drückte zu. Melanie schnappte nach Luft und schleuderte ihren Kopf zurück. Der Mann wich aus. Sie holte mit dem Ellbogen aus und drückte ihn in seine Rippen. Der Griff um ihren Hals lockerte sich kurz. Genug Zeit, um das Messer in ihrer rechten Hand umzudrehen und in sein Bein zu stecken.

Der Mann jaulte auf und ließ sie los. Melanie drehte sich schwungvoll um und schlug ihm die Faust ins Gesicht, bevor er zu Boden ging.

Jetzt waren jedoch die nächsten Drei angekommen und umzingelten sie. Melanie sprang auf den einen zu, ritzte ihm die Brust auf und kickte in derselben Bewegung dem Danebenstehenden ihren Absatz zwischen die Beine. In Kauerhaltung sah Melanie zu dem dritten Mann, ohne zu bemerken, dass einer der ersten wieder zur Besinnung kam. Der Mann holte aus, wollte nach ihr treten, doch Melanie warf sich nach hinten, rollte sich ab und griff nach seinen beiden Händen. Sie zog seinen Körper zu sich heran und wollte ihm zwischen die Beine kicken. Er wich ihr aus, drehte sich weg und verdrehte sich selbst die Arme. Melanie verkniff sich ein Lachen und riss stärker an den Armen, um sie dann urplötzlich loszulassen. Stolpernd hielt er sich an ihr fest und sie gingen beide zu Boden. Melanie befreite ihren Arm aus seiner Umklammerung und verletzte ihn mit dem Messer an der Schulter. Er stöhnte und ließ sie los. Sie sprang auf, sah den Typen hinter ihr zu spät und rannte direkt in seine ihr auf Magenhöhe entgegengestreckte Faust hinein. Während sie sich krümmte, nutzte der Typ den Moment, um sie nach hinten zu stoßen. Sie stolperte und fiel auf den Hintern. Er trat nach ihr und voller Schrecken registrierte sie, dass drei weitere langsam zu Besinnung kamen. Sie wich seinem nächsten Tritt aus, rollte sich über die Schulter ab und kickte ihm dabei zwischen die Beine. Rasch sprang sie hoch, stellte ihm ein Bein und stieß ihn darüber zu Boden. Doch sie merkte nicht, dass ein anderer Angreifer von hinten auf sie zukam; auf einmal spürte sie die Arme um ihren Bauch, die sie festhielten. Sie trat um sich, versuchte, ihn mit dem Messer zu erwischen, doch er wich gekonnt aus. Sie drängte ihn zurück, spürte, wie er an der Wand ankam und drückte dagegen. Dann warf sie den Kopf nach hinten und er ließ sie schlaff los. Sie ließ von ihm ab, rannte auf einen anderen Mann zu, der gerade aufstand, riss ihn an der Schulter herum und warf ihn über die Hüfte. Er schlug drei Meter weiter weg auf dem Boden auf und rührte sich nicht mehr.

Jemand stand vor ihr, schon wieder einer der Typen. Des Kampfes müde versetzte sie ihm einen sauberen Kinnhaken und er sackte zusammen. Zum Glück konnte sie besser boxen als diese Jungs.

Jemand stahl ihr das Messer aus der Hand. Melanie fluchte, drehte sich um, kickte dem Typen zwischen die Beine und das Messer flog in hohem Bogen durch die Luft. Links von ihr regte sich ein Junge, der bald wieder erwachen würde, und Melanie rannte schnell in die entgegengesetzte Richtung davon. Da flog ein Messer von vorne direkt auf sie zu. Einer der Angreifer war wieder zu sich gekommen und hatte es aufgefangen, doch jetzt wirbelte es auf Melanies Schulter zu und sie wich zu langsam aus. Das Messer stach in ihre Schulter und ein brennender Schmerz schoss durch ihren rechten Arm. Sie spürte Blut aus der Wunde sickern und kniff vor Schmerz kurz die Augen zusammen.

„Jetzt nicht aufgeben!“, ermahnte sie sich selbst.

Doch sie rannte immer langsamer und die Schritte des Typen hinter ihr wurden immer schneller. Sie machte einen rechten Haken in einen Schatten hinein und ließ ihn hastig dunkler werden. Der Junge war einen Moment lang abgelenkt.

Plötzlich sah sie eine hektische Bewegung neben sich. Wie aus dem Nichts rannte ein großer Junge auf ihren Angreifer zu, schlug ihm die Faust ins Gesicht und riss ihn mit einer überraschenden Eleganz zu Boden. Dann drehte er sich um und starrte direkt in den Schatten, in dem Melanie stand. Sie verschmolz mit der Dunkelheit und befahl ihr, dass sie sie verstecken sollte. Sie wusste nicht recht, ob sie ihm vertrauen konnte, schließlich war es möglich, dass er bloß so tat, als würde er ihr helfen.

Sie betrachtete den Jungen genauer. Er hatte schokoladenbraune Haut und süße schwarze Zapfenlocken. Er trug ein Muskel-Shirt, welches die Sicht auf ausgesprochen gut trainierte Muskeln freigab. Vom Aussehen her könnte er Latino sein und Melanie schätzte, dass er etwa zehn Zentimeter größer war als sie.

Jetzt kam er langsam näher an sie heran. Seine tiefe Stimme klang leicht belustigt, als er sie ansprach. „Keine Angst, ich tu dir nichts.“

Melanie war sich nicht ganz sicher, ob er einen Akzent hatte, jedenfalls rollte er das R von dir. Von der Körperhaltung her wirkte er aber nicht bedrohlich, weshalb sie den Schatten zögernd erlaubte, sie freizugeben. Als sie aus der Dunkelheit trat, musterte er sie von oben bis unten. Sie musste es ihm hoch anrechnen, dass sein Blick nur ganz kurz an ihren Augen hängenblieb, ohne dass er einen Kommentar dazu abgab oder nachfragte. Unbehaglich fuhr sich Melanie durchs Haar, ihre Schulter schmerzte dabei. „Woher bist du gekommen?“, fragte sie vorsichtig. „Warum hast du mir geholfen?“

Die Fragen schienen ihn durcheinanderzubringen, er überlegte eine Weile, bis er antwortete: „Ich finde sechs gegen eine ein bisschen unfair. Erst recht bewaffnete Männer gegen unbewaffnete Frauen.“

Na ja, ganz so unbewaffnet auch wieder nicht …

Melanie hoffte, dass sie nicht errötete, als er sie „Frau“ nannte. Wieder konnte sie nicht genau bestimmen, ob er nun tatsächlich einen Akzent hatte, und beschloss, von nun an darauf zu achten.

„Du hast dich aber echt gut geschlagen, kämpfst du öfter?“, fragte er nach.

Ja, jetzt war sie sich sicher. Er rollte ausnahmslos alle R und hatte klarerweise einen Akzent - aber was für einen?

„Ich, äh ... drücke mich nicht vor Schlägereien.“ Sie zögerte. „Ich war in verschiedenen Kursen.“

Karate, Selbstverteidigung, Judo, Boxen und noch mehr ...

Er nickte anerkennend. „Verrätst du mir auch deine Namen?“

„Wenn du mir sagst, was für einen Akzent du hast“, antwortete sie frech, bevor sie es sich anders überlegen konnte.

Er lachte leise und ein Schauer lief über ihren Rücken. „Spanisch.“

Sie lächelte zurück. „Ich heiße Melanie.“

„Daniel.“

Gerade als das Schweigen unangenehm zu werden drohte, deutete Daniel auf Melanies rechten Arm. „Das müssen wir verarzten.“

Die Schulter hatte sie ganz vergessen, doch als sie nun daran dachte, pochte der Schmerz wieder durch ihren Arm. Sie warf einen Blick auf ihre Schulter; die Jacke war zerfetzt, Blut tropfte aus einer hässlichen, ausgefransten Wunde und tränkte das Leder des Ärmels. Sie zog vorsichtig das Messer aus der Schulter und verbot sich, vor Schmerz aufzustöhnen. Behutsam zog sie die Jacke und den Hoodie aus und hängte beides über ihren Arm.

„Ich schau zu Hause, was ich habe“, meinte sie mit zusammengebissenen Zähnen und versuchte, den brennenden Schmerz auszublenden.

Daniel sah sie einen Moment lang irritiert an, dann schaute er nochmals die Wunde an. Melanie merkte, dass sein Blick über ihre Armmuskeln glitt, die sie sich im Laufe der Jahre antrainiert hatte. In der Tat war es ungewöhnlich für ein 16-jähriges Mädchen, richtig muskulöse Arme und Beine zu besitzen. Doch aus verschiedenen Gründen hielt sie es für angebracht, ein wenig zu lernen, wie man sich wehrte.

„Ich könnte es auch hier behandeln, das wäre näher, vermute ich mal“, wandte er ein.

Melanie sah sich stirnrunzelnd in der Gasse um. „Hier?“, wiederholte sie. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass es hier vertrauenswürdige Arzneimittel gab.

„Nicht direkt hier“, widersprach Daniel. „Im Land der Nacht.“

2 BEGABUNGEN





Melanie verkniff sich ein Lachen. „Tut mir leid, Daniel, es gibt kein Land der Nacht.“

Daniel grinste auch. „Natürlich. Du weißt nur nichts davon.“

Sie hob die Augenbrauen. „Ich höre?“

Er runzelte verwirrt die Stirn. Dann schien er zu begreifen, was sie meinte. „Sieh mal: Du hast pinke Augen, oder?“

Melanie schaute ihn perplex an. So hatte das noch niemand zur Sprache gebracht. „Ja ... Aber das sind keine Kontaktlinsen.“ Sie bestand darauf, dass sie nicht absichtlich mit ihrer pinken Augenfarbe herumlief.

Daniels Mundwinkel hoben sich, was die Grübchen auf seinen Wangen sichtbar werden ließ. „Eben. Und vorhin bist du mit die Schatten hier verschmolzen. Ich denke, das ist etwas ungewöhnlich.“

Melanie erstarrte wütend. „Also ist das Land der Nacht ein anderer

Name für die Klapsmühle?“

Daniel war nun total verwirrt. „Äh, Klapsmühle?“

„Ähm, ich meine Irrenanstalt.“

„Ach so!“ Daniel lachte leicht nervös. „Nein, das ist keine Irrenanstalt. Es ist eine Ort, wo viele Nachkommen der Cataara hingehen.“

Melanie erstarrte zum zweiten Mal während ihrer Unterhaltung. Cartara war ihr zweiter Vorname, doch das hatte sie noch nie jemandem gesagt, geschweige denn diesem Daniel.

„Nachkommen der Cartara?“, fragte sie alarmiert nach.

„Cataara, ja.“ Er legte den Kopf schief. „Schon mal was davon gehört?“, hakte er nach.

„Nein“, log Melanie. „Ist bloß ein komischer Name.“

Er blickte wieder zu ihrer Wunde. „Kann ich dich nicht erst dorthin bringen, verarzten und auf dem Weg erklären, was das ist?“

„Okay.“ Melanie zuckte die Schultern und stöhnte, als ihre Wunde erneut zu bluten begann. Das wäre vielleicht echt eine gute Idee.

Daniel überbrückte die Distanz zwischen ihnen mit zwei großen Schritten, nahm sie behutsam am Arm und führte sie die Gasse entlang. Tatsächlich war sie etwas wackelig auf den Beinen, was sie darauf schob, dass sie außer einem Kaffee noch nichts zu sich genommen hatte.

Melanies Blick blieb, als sie Daniel genauer mustern wollte, bereits an seinen muskulösen Oberarmen hängen. Auf seiner Haut waren Narben zu sehen, teilweise verheilt, manche noch frisch. Jetzt stellte sie fest, dass er fast einen Kopf größer war als sie. Daniel ging einen guten Schritt von Melanie entfernt die Gasse entlang und sie musste zugeben, dass er damit einen angemessenen Sicherheitsabstand wahrte, was viele der anderen Jungs, die sie kannte, nicht konnten.

„Hier rein.“ Daniel führte sie ausgerechnet in das heruntergekommene Haus, in welches sie vorhin kurz reingeschaut hatte. Obwohl Melanie eigentlich skeptisch sein, oder besser noch, schreiend davonlaufen sollte, siegte die Neugier, da Daniel außer seinem Gerede über ein Land der Nacht ziemlich normal auf sie wirkte. Er brachte sie durch die fast vollständig zerfallene Ruine des Hauses in ein heruntergekommenes Zimmer und öffnete das tief liegende Fenster, durch das das Sonnenlicht ins Zimmer flutete. Er kletterte hinaus und hielt ihr die Hand hin, um ihr zu helfen.

Ein richtiger Gentleman.

Durch einen zugewucherten Garten hinter dem Haus führte er sie in einen Wald hinein und steuerte auf einen Kiesweg zu.

„Wohin bringst du mich jetzt?“ War das etwa der Weg zu einem Land, das nicht einmal existierte?

Langsam begann Daniel zu erzählen. „Cataara war eine Mädchen, das in die Mittelalter gelebt hat. Sie ist elternlos aufgewachsen und hatte aus einem unerklärlichen Grund eine Gabe. Sie konnte mit Tieren sprechen und bei Vollmond eine Tiergestalt annehmen und der Nacht sagen, wann sie kommen und gehen sollte. Sie empfand das als normal, weil niemand ihr sagte, dass das ungewöhnlich war. Also hat sie ihre Fähigkeiten immer weiter verbessert, bis sie einmal einen Tiger kennenlernte, in den sie sich verliebte.“ Melanie prustete los.

Daniel warf ihr einen Blick zu. „Was ist?“

„Sie hat sich in einen Tiger verliebt?“, fragte sie lachend. Das war zu absurd.

„Ja, sie konnte mit dem Tiger sprechen.“

Melanie biss die Zähne aufeinander, um mit dem Lachen aufzuhören. Als sie nun über seine letzten Sätze nachdachte, fiel ihr auf, dass Daniel manche Artikel- oder Fallfehler machte.

„Okay, erzähl weiter.“ Jetzt waren sie am Rand des Waldes angekommen, hier erstreckte sich eine Stadt. Verwundert zog Melanie die Augenbrauen zusammen und nahm sich vor, nach Daniels Erklärung zu fragen, wo hier eine Stadt herkam. Doch zuerst wollte sie diese seltsame Geschichte zu Ende hören, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob sie ihm das Ganze abkaufte.

„Als das die Menschen in die Dorf, in dem sie wohnte, erfuhren, wollten sie alles unternehmen, damit sie sich in jemand anderen verliebte. Doch das funktionierte nicht. Da wurde sie von einem Typen vergewaltigt, von dem sie ein Kind bekam. Doch um dem Dorf zu zeigen, dass sie sich nicht von ihnen unterkriegen ließ, zeugte sie in Tigergestalt ebenfalls ein Kind mit dem Tiger. Dieses Kind nannte man Tigermädchen. Denn es konnte sich in einen Tiger verwandeln. Das andere Kind hatte ebenfalls Gaben, so wie alle Nachkommen der beiden. Das Mädchen hat beide Kinder in einem heiligen Wasserfall gebadet, deshalb nennt man sie jetzt Cataara, weil Katara Wasserfall bedeutet. Die erste Kind war übrigens ein Junge, das Tigermädchen eine Mädchen. Und die haben sich, wie alle Menschen, fortgepflanzt. Diejenigen, die von Cataara abstammen, nennt man Naimet. Und das Land der Nacht wiederum ist eben ein Ort, wo viele Naimet hingehen. Genaugenommen ist es bloß ein große Stadt, aber Stadt der Nacht klingt ja wohl bescheuert.“

Melanie nickte. „Und wieso Nacht?“

„Weil sich Cataara bloß in die Nacht ihrer Kräfte bedienen konnte.“

Melanie kaute auf ihrer Unterlippe herum. „Und wie findet ihr diese Naimet?“

„Meistens finden sie uns, weil es viele Eingänge gibt. Automatisch fühlen sie sich bei Vollmond zu diesen Orte hingezogen und dann geht einer von uns schauen, ob wer gekommen ist.“

„Aber Vollmond ist erst in zwei Tagen“, wandte Melanie ein. Automatisch nahm sie an, dass sie auch eine Naimet war – sofern sie Daniel Glauben schenken konnte.

Erstaunt schaute Daniel sie an. „Stimmt, ich ging auch nicht deshalb schauen. Ehrlich gesagt, war es rein intuitiv.“

„Ach so.“ Melanie spielte an ihrer Jacke herum, die sie sich über den Arm gelegt hatte. Bevor sie sich überlegen konnte, was sie noch sagen sollte, ergriff Daniel wieder das Wort.

„Cataara hat übrigens eine Regel erschaffen, die ziemlich wichtig ist“, begann er und betrachtete Melanie aufmerksam. „Man darf niemanden ungestraft töten, wenn es nicht absolut nötig ist.“

Melanie lachte verhalten. „Das ist auch hier eine Regel“, bemerkte sie trocken. Sogar strenger – auch wenn es ‚nötig‘ war, durfte man niemanden umbringen!

Daniel grinste. „Yo sé. Aber hier kommst du ins Gefängnis. Wenn man im Land der Nacht einfach so zum Spaß jemanden tötet, ohne dass man beispielsweise selbst in Gefahr schwebt, dann kriegt man so eine Mal irgendwo an die Körper, wie eine Art magische Tätowierung. Na ja, und das ist so verpönt, dass das keiner möchte. Man hat keine solchen Tätowierungen, das ist einfach so. Außerdem, wenn das ein Polizist sieht, kommt man nicht ganz so einfach weg – und da ist Gefängnis noch viel besser.“ Daniel zuckte mit den Schultern.

Melanie verstand zwar nicht so genau, wie sich dieses System so sehr von den Gesetzen in jedem anderen normalen Land unterschied, aber sie vermutete, dass so eine Mördermarkierung tatsächlich sehr schlecht ankam, wenn Cataara höchstpersönlich diese Regelung eingeführt hatte. Melanie kniff die Augen zusammen und vertrieb den Gedanken an Morde und unrealistische Sagen. Stattdessen sah sie sich interessiert um.

Sie waren mitten in der Stadt angekommen, wo im Moment wenige Leute unterwegs waren. Außer, dass nur selten mal ein Auto in eine Straße einbog und die Leute eine ungewöhnliche Ausstrahlung hatten, schien sich das Land der Nacht kaum von anderen Städten zu unterscheiden. Neugierig sah sie zu Daniel hinauf.

„Wohin gehen wir?“

Daniel deutete nach links auf ein weißes, längliches Haus. Daneben standen noch andere Häuser, alle groß und schlicht gehalten. Es sah aus, als ob sie alle zueinander gehörten, und vereinzelt sah man Teenager und Jugendliche, die aus den Gebäuden spazierten. „Hier rein, erst mal.“ „Okay ... Und nachher?“ Passiv rieb sie sich die schmerzende Schulter.

„Dann kannst du entscheiden, ob du hierbleiben willst oder wieder nach Hause gehst, als sei nichts geschehen.“