SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
Die Lutherzitate sind, wenn nicht anders angegeben, nach der im Quellenverzeichnis ausgewiesenen Ausgabe von Johann Georg Walch. Die Rechtschreibung wurde wegen der Lesbarkeit an manchen Stellen der heutigen angepasst.
ISBN 978-3-7751-7452-7 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-5825-1 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: Satz & Medien Wieser, Stolberg
© der deutschen Ausgabe 2019 SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
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Originally published in English under the title: Martin Luther: The Man Who Rediscovered God and Changed the World.
All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form.
This edition published by arrangement with Viking, an imprint of Penguin Publishing Group, a division of Penguin Random House LLC.
Die Bibelverse sind folgender Ausgabe entnommen:
Die Bibel. Nach Martin Luthers Übersetzung. Revidiert 2017, © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.
Übersetzung: Dr. Friedemann Lux
Lektorat: Marcus Beier
Fachlektorat: Prof. Dr. Wolfgang E. Heinrichs
Umschlaggestaltung: Kathrin Spiegelberg, Weil im Schönbuch
Titelbild: akg-images
Satz: Satz & Medien Wieser, Stolberg
Dieses Buch ist meinen Freunden Markus Spieker
und Dr. Gregory Alan Thornbury gewidmet.
Über den Autor
Geleitwort
Vorwort
Karte
Zeittafel
Einleitung | Pastor, Rebell, Prophet, Mönch
Kapitel 1 | Jenseits der Legenden
Kapitel 2 | Ein Blitz schlägt ein
Kapitel 3 | Die große Veränderung
Kapitel 4 | Ein Mönch in Wittenberg
Kapitel 5 | Der Heilige Geist in der Toilette
Kapitel 6 | Der Ball kommt ins Rollen – die Thesen
Kapitel 7 | Der Augsburger Reichstag
Kapitel 8 | Die Leipziger Disputation
Kapitel 9 | Die Bulle gegen Luther
Kapitel 10 | Der Wormser Reichstag
Kapitel 11 | Ein Feind des Reiches
Kapitel 12 | Die Wartburg
Kapitel 13 | Es riecht nach Revolution
Kapitel 14 | Zurück nach Wittenberg
Kapitel 15 | Monster, Nonnen und Märtyrer
Kapitel 16 | Fanatismus und Gewalt
Kapitel 17 | Liebe und Ehe
Kapitel 18 | Vom freien Willen bis zur Musik
Kapitel 19 | Die Pest und die Anfechtungen kommen zurück
Kapitel 20 | Die Reformation wird erwachsen
Kapitel 21 | Begegnungen mit dem Tod
Kapitel 22 | »Wir sind Bettler, das ist wahr.«
Epilog | Der Mann, der die Zukunft schuf
Anhang | Friedrichs Traum
Anmerkungen
Fußnoten
Bibliografie
Bildteil 1
Bildteil 2
Bildquellen
Index
Leseempfehlungen
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ERIC METAXAS (Jg. 1963) hat deutsche Wurzeln, studierte in Yale und arbeitet als renommierter Journalist (New York Times, CNN u. a.), Moderator einer eigenen Fernsehshow, Dozent und Autor. Seine Biografien über William Wilberforce und Dietrich Bonhoeffer sind New-York-Times- Bestseller und hoch ausgezeichnet. Seine Bücher wurden in 25 Sprachen übersetzt. Er lebt in New York City.
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Noch eine Lutherbiografie? Gibt es davon nicht schon genug? Tatsächlich sind bereits viele Bücher erschienen, die Leben und Werk des großen Reformators würdigen, vermehrt natürlich anlässlich des 500. Jahrestag seines wirklichen oder vermeintlichen Thesenanschlags am 31. Oktober 1517. Ist damit nicht alles Wissenswerte vermittelt, alles Aufschlussreiche gesagt?
Es lässt sich nun nicht bestreiten, dass jede Sicht auf den wohl berühmtesten aller Deutschen seinen je eigenen Blickwinkel einnimmt, der von einem bestimmten Interesse geleitet ist. Ist Luther für die einen der maßgebliche Theologe, der das Evangelium neu entdeckte und die Kirche auf ihre Grundlagen zurückführte, so sehen andere, freilich heute seltener, ihn als unbeugsamen Spalter oder gar Häretiker, der die Einheit der Kirche zerbrach. Für die einen, historisch fragenden, ist er ein »Rebell«, der in einer »Zeit des Umbruchs« (H. Schilling) lebte, die er natürlich auch selbst mit gestaltete, prägte und vorantrieb. Für andere, die den Akzent auf die Theologie legen, ist Luther ein Neu- oder auch nur Wiederentdecker der von Gott geschenkten Freiheit (J. Köhler), der sich »[…] nicht einfach als das Produkt der gesellschaftlichen Bedingungen, aus denen er herkam, deuten« lasse. Damit tritt Martin Brecht (in Bd. 1, S. 18), der Verfasser der wohl detailliertesten, dreibändigen Lutherbiografie, einem psychoanalytischen Interpretationsansatz (Erik H. Erikson) entgegen, der Luthers Widerstand und reformistischen Durchbruch aus einer Auflehnungshaltung gegen die väterliche Autorität auffasst. Luther kann so für die Theologie als Überwinder sowohl der mittelalterlichen Scholastik wie der Mystik fruchtbar gemacht werden, als Brückenbauer und Wegbahner traditioneller christlicher Wahrheiten in eine neue Zeit. Neuere Ansätze, wie die von unserem Autor neben Brecht herangezogenen Biografien, wissen sich gleichfalls einem historisch anthropologischen Ansatz verpflichtet. Sie akzentuieren seine mentale Verortung in der Welt des ausgehenden Mittelalters (Heiko A. Oberman) und verdeutlichen in einer postmodernen Fragestellung sein Gefühlsleben, das nach der Einheit von Körper und Geist sucht – die sexuellen Bedürfnisse eingeschlossen (Lyndal Roper). Nicht selten werden theologische und politisch-historische Deutungen gegenübergestellt.
War Luther nun »Heiliger oder Rebell« (M. Meisner) oder von beidem etwas? Was macht seine Größe aus? Oder war er eher ein überschätzter Querdenker? In jedem Fall war er ein Medienstar, ein »Brand«, ein Markenzeichen, dessen Popularität bzw. Wirkung, wie der britische Historiker Andrew Pettegree (Die Marke Luther) uns aufklärt, sich auch von der Ökonomie, der neuen, innovativen Buchdrucktechnologie her erklären ließe. Ob als »Lehrer«, wie ihn die lutherische Orthodoxie gerne sah, ob als »Seelsorger«, wie der Pietismus ihn interpretierte, ob, wie aus der Sicht der rationalistischen Aufklärung, ein Pionier des Vernunftgedankens oder auch, nach der Auslegung der DDR-Wissenschaft, ein »Mann des Volkes«1 – Luther gilt als Vordenker von Ideen bzw. Impulsen, die sich bis in die Gegenwart hinein verfolgen ließen, als Pionier einer neuen Zeit. Seine Wirkungsgeschichte ließe sich in vielen Bereichen verfolgen, der Politik, Sprache, Bildung, Philosophie, Schulwesen, Musik, Literatur, Nationsbildung, individueller Freiheit u. v. m.
Was nun die Akzentsetzung Metaxas' im vorliegenden Band betrifft, so entdeckt er – vor dem Hintergrund der bisherigen Lutherforschung – in seiner Betrachtung den Luther, der den Durchbruch zu etwas grundlegend Neuem geschafft hat: den modernen Menschen mit neuen »Ideen des Pluralismus, der Religionsfreiheit und der Selbstverwaltung«. Freilich wird auch Metaxas dieses von ihm so euphorisch in seiner Einleitung gemalte Bild im Laufe seiner Untersuchung ergänzen. Stützt er sich doch auch selbst auf Literatur, wie speziell auf die des bereits erwähnten Heiko A. Oberman, die das mittelalterliche Weltbild des Reformators, sein Verhaftetsein in der alten Welt betont. Doch es geht dem Autor darum, den Luther zu zeigen, der für den heutigen Menschen beachtenswert ist. Er richtet den Fokus auf die Durchbruchserfahrung eines Menschen, der mit Gott, seinen Mitmenschen und nicht zuletzt mit sich selbst ringt, wie kaum ein zweiter über seinen eigenen Horizont hinausgreift und dadurch Neuland entdeckt. Ob Luther tatsächlich die Ideale vorgedacht hat, auf die, wie Metaxas meint, sich die US-amerikanische Unabhängigkeitserklärung beziehen konnte, kann differenziert betrachtet werden. Vielleicht hat er aber doch, wie der Theologe Fr. W. Graf formuliert, autoritätskritische Haltungen provoziert.2
Metaxas erschließt mit einem im besten Sinne staunenden Lutherbild die Genialität des Reformators neu. So ergänzt er die differenzierende, deutsche theologische Wissenschaft. Er geht nicht von außen an Luther heran und beleuchtet ihn kritisch, wie es ein eher distanzierter Wissenschaftler tun würde. Er schildert nicht nur als außenstehender Erzähler, sondern er schlüpft, wenigstens zum Teil, in die erzählte Perspektive hinein und gibt Kommentare ab – hier und da bewusst provokant zugespitzt –, aber eher aus der Sicht der handelnden Akteure. Natürlich verschwimmen so die Grenzen der Erzählperspektiven manchmal etwas, aber es ist ein gelungenes Stilmittel, um die Gedanken, Gefühle und Motive der Personen zu verdeutlichen und quasi Einblicke in ihre Welt zu vermitteln, den Leser sozusagen wie in einen gut gedrehten Film in die Zeit selbst hineinzuversetzen. So bereichert der Autor die Lutherforschung um eine gelungene neue Deutung. Diese Nähe zu der Person des Reformators macht Metaxas' Buch zu einer lesenswerten, spannenden Lektüre.
Dies ist umso mehr der Fall, da der Übersetzer, Dr. Friedemann Lux, es verstanden hat, die englische Sprache in ein überaus flüssiges Deutsch zu fassen, überdies die im Original nicht immer vollständigen Quellen zu eruieren und mit mir gemeinsam die ein oder andere sachliche Unstimmigkeit zu klären, ohne den vom Autor intendierten Sinn zu beeinträchtigen. Ihm, sowie den Lektoren Annalena Pabst und Marcus Beier, darf ich an dieser Stelle für ihre kompetente Arbeit und die gute Kooperation danken.
Wolfgang E. Heinrichs
April 2019
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Man kann eine Zeit danach beurteilen, welche Helden sie verehrt. Luther gilt bei uns als große historische Persönlichkeit. Aber zum Vorbild taugt er den meisten Deutschen doch nicht. Zum fünfhundertsten Jahrestag seines Thesenanschlags wurde ihm artig gehuldigt, aber meistens mit akademischer Zurückhaltung. Vielen Lobrednern spürte man das Unwohlsein darüber ab, eines Mannes zu gedenken, der Sprüche geklopft hatte wie: »Falsche Prediger sind ärger als Jungfrauenschänder.«
Das unterscheidet Luther von modernen Kirchenprominenten und Politik-Influencern: dass er Popularität nicht mit Wirksamkeit verwechselte und immer mit einem Bein auf dem Scheiterhaufen stand.
Genau das macht ihn aber auch ein halbes Jahrtausend später noch modern. Auch deshalb, weil sich seine und unsere Zeit so ähnlich sind. Damals wie heute weisen wirtschaftliche, technische, soziale Umbrüche in eine ungewisse Zukunft. Es braucht Menschen wie Martin Luther, die dafür sorgen, dass zumindest der innere Kompass richtig eingestellt ist. Nicht von ungefähr liegt der Beginn der Reformation auf halber Strecke zwischen zwei revolutionären Entdeckungen. 1492 landete Kolumbus in Amerika, und 1543 erschien im Todesjahr von Kopernikus dessen Studie darüber, dass die Erde sich um die Sonne drehte. Die neue Sicht auf die Welt und auf den Kosmos ging, dafür sorgte Luther, einher mit einer neuen Sicht auf Gott. Heute sind es die Globalisierung und Digitalisierung, die unser Wirklichkeitsverständnis mehr denn je seit dem frühen 16. Jahrhundert umkrempeln. Und es gibt Anlass zur Hoffnung, dass sich wie in der frühen Neuzeit auch geistliche Aufbrüche ereignen werden.
Zum Glück ist das Reformationsjubiläum noch lange nicht vorbei und das Luther-Gedenken weiter aktuell. Die 95 Thesen waren schließlich nur der Anfang einer immer größer werdenden Bewegung. 1519 legte Luther mit der öffentliche Aussage »Konzile können sich irren« nach. 1520 sagte er dem klerikalen Apparat den Kampf an, mit drei der einflussreichsten Schriften der Weltgeschichte: An den christlichen Adel deutscher Nationen, Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche, Von der Freiheit eines Kirchenmenschen. 1521 behauptete er sich auf dem Reichstag in Worms. 1522 übersetzte er das Neue Testament. 1523 verteilte er an die Gläubigen in Wittenberg beim Abendmahl erstmals Brot und Wein. 1525 heiratete er Katharina von Bora und demonstrierte damit, dass die Reformation alle Bereiche des Lebens umfasste.
Anders als sein hochgebildeter, aber zaghafter Zeitgenosse Erasmus von Rotterdam ging Luther aufs Ganze, machte Ernst, wählte das Risiko. Seine Haltung bewies sich am Widerstand. Auch gegen die Versuchung, sich selbst zum Titanen zu stilisieren. Sein literarisches Testament ist der Satz »Wir sind Bettler, das ist wahr«, den er kurz vor seinem Tod zu Papier brachte. Bei ihm paarten sich geniale Begabungen als Liederdichter, Schriftsteller und Prediger mit tiefer Demut. Das macht ihn, mehr noch als den stolzen Leonardo da Vinci, zum echten Renaissance-Menschen.
Vor allem zeichnete ihn eine Begabung aus, die Jesus selbst als Charakteristikum eines Jüngers definiert hat: die Freundschaftsfähigkeit. Luther war nicht nur ein Mann großer Worte, sondern auch enger Freundschaften: mit seinem Mentor Johann von Staupitz, seinen Mitstreitern Philipp Melanchthon, Justus Jonas, Nikolaus Amsdorf, Johannes Bugenhagen, Lucas Cranach und seiner eigenen Frau Katharina, die er zärtlich »Herr Käthe« nannte. Luther gibt uns deshalb nicht nur die vertikale Richtung vor, die zum Frieden und zur Gemeinschaft mit Gott, sondern auch die horizontale, die zu vertrauensvollen und glückhaften Beziehungen.
Luther ist der Mann für unsere Zeit.
Und Eric Metaxas ist der Mann, seine Geschichte zu erzählen. So detailreich, spannungsgeladen und tiefschürfend wie mit seinem Blockbuster-Bestseller Bonhoeffer, der Lebensgeschichte eines wahren Luther-Erben. Was Eric Metaxas neben seinem Erzähltalent und seinem historischen Spürsinn qualifiziert, ist seine eigene Biografie. Mütterlicherseits kommt seine Familie aus dem Herzland der Reformation, dem Altenburger Land. Hier wirkte einer der engsten Vertrauten von Luther, Georg Spalatin. Bei Metaxas sind es gerade die Beziehungen Luthers, die großen Raum einnehmen. Der Reformator, der uns in diesem Buch begegnet, ist ein Mann, der liebt und verachtet, der kämpft und schwitzt, vulkanisch in seinem Temperament, feinsinnig in seiner theologischen Argumentation. Metaxas zeigt Luther von neuen Seiten und taucht sein Leben in neues Licht. Wer weiß schon, dass fast zwölfhundert Jahre vor Luthers Auftritt beim Wormser Reichstag sein Namensgeber Sankt Martin, der spätere Bischof von Tours, ebenfalls in Worms seinen Militärdienst quittierte und sich vom Soldaten des römischen Kaisers zum Soldaten Christi wandelte? Und wer hat schon etwas von der »Falschen Anna« gehört, einer bizarren Hochstaplerin, die Luthers Weg nach Rom kreuzte?
Dieses Buch über den Mann, der Gott neu entdeckte, nimmt auch uns mit auf eine Entdeckungsreise. Ich wünsche allen Lesern, dass diese Expedition nicht mit Luthers Tod 1546 endet, sondern in die Gegenwart führt. Schließlich sind Menschen, die für die Wahrheit einstehen, auch im 21. Jahrhundert herausgefordert. Nicht wie Luther vom Ablasshändler Tetzel, von Papst Leo X. und Kaiser Karl V., sondern von einem gestaltlosen Widersacher, der sich hinter Formulierungen wie »Mehrheitsmeinung« oder »Mainstream« verschanzt.
Luther hat vorgemacht, wie man sich dagegen behaupten kann.
Das macht ihn zum echten Helden.
Markus Spieker
Mai 2019
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1483 Luther wird am 10. November in Eisleben geboren und am folgenden Tag getauft. Er ist das älteste von vermutlich acht Kindern seiner Eltern Johannes »Hans« Ludher und Margarethe Ludher (geb. Lindemann).
1484 Als er etwa 6 Monate alt ist, ziehen Luthers Eltern nach Mansfeld um, wo sie für den Rest ihres Lebens wohnen und alle ihre Kinder aufziehen werden.
1490 Martin geht in Eisenach zur Schule.
1496–97 Er besucht ein Jahr lang die Schule in Magdeburg.
1501 Geht an die Universität Erfurt.
1505 Beginnt sein Studium der Jurisprudenz in Erfurt.
1505 Gelobt am 2. Juli während eines Unwetters bei dem Ort Stotternheim, ein Mönch zu werden. Tritt kurz darauf in das Augustinerkloster in Erfurt ein.
1506 Luther lernt Johannes von Staupitz kennen.
1507 Wird ordiniert und zelebriert vor seinen Eltern und anderen Zeugen seine erste Messe.
1508 Im Herbst schickt Staupitz Luther für ein Jahr nach Wittenberg.
1509 In Wittenberg erlangt Luther seinen ersten theologischen Grad, den Baccalaureus biblicus.
1510–11 Pilgerreise (zu Fuß) nach Rom.
1511 Staupitz schickt Luther in das Kloster in Wittenberg, der Stadt, die für den Rest seines Lebens der Mittelpunkt seines Wirkens sein wird.
1512 Unter einem Birnbaum überredet Staupitz Luther dazu, zu promovieren. Luther wird Doktor der Theologie.
1513–17 Luther hält Vorlesungen über die Psalmen, den Römer-, Galater- und Hebräerbrief und legt damit das exegetische Fundament für alles Folgende.
1517 Luther veröffentlicht seine 95 Thesen (der Überlieferung nach am 31. Oktober) und schickt sie als Brief an Erzbischof Albrecht in Magdeburg.
1518 Heidelberger Disputation (April). Melanchthon kommt nach Wittenberg.
1518 Im Oktober reist Luther zum Reichstag in Augsburg und erscheint vor dem päpstlichen Legaten Kardinal Cajetan.
1519 Leipziger Disputation mit Johannes Eck (Juli).
1520 Luther verfasst seine drei einflussreichen Schriften An den christlichen Adel deutscher Nation, Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche und Von der Freiheit eines Christenmenschen.
1520 Papst Leo X. schreibt die Bulle Exsurge Domine und gibt Luther 60 Tage, um in Rom zu erscheinen und sich den Häresievorwürfen zu stellen.
1521 Nach den 60 Tagen wird Luther von Leo X. exkommuniziert. Luther verbrennt die Bannbulle und andere päpstliche Schriften.
1521 Luther erscheint vor dem Reichstag in Worms (April).
1521 Nachdem Luther vom Kaiser als Häretiker für vogelfrei erklärt worden ist, lässt Friedrich der Weise ihn (im Mai) »entführen« und auf die Wartburg bringen, wo er zehn Monate lang inkognito bleibt.
1521 Im Dezember reist Luther heimlich auf einen kurzen Besuch nach Wittenberg. Cranach malt ein Porträt von ihm als »Junker Georg«.
1522 Auf der Wartburg übersetzt Luther in elf Wochen das gesamte Neue Testament ins Deutsche. Im März kehrt er nach Wittenberg zurück. Dort hält er seine acht Invokavit-Predigten, korrigiert übereifrige Entwicklungen, die Karlstadt und Zwilling in seiner Abwesenheit begonnen hatten, und übernimmt wieder die Führung der Reformation in Wittenberg.
1523 Luthers deutsches Neues Testament erscheint (Februar).
1525 Bauernkrieg. Tod Thomas Müntzers.
1525 Luther heiratet Katharina von Bora (Juni). Karlstadts Familie kommt nach Wittenberg. Luther schreibt sein Vom unfreien Willen.
1526 Luthers erster Sohn, Johannes »Hans« Luther, wird geboren.
1527 Tochter Elisabeth wird geboren (Dezember).
1528 Elisabeth stirbt (August).
1529 Mai: Eine zweite Tochter wird geboren, Magdalena (Lenchen). Oktober: Marburger Religionsgespräch.
1530 Reichstag in Augsburg. Luther weilt während des Reichstags in der Feste Coburg.
1531 Geburt von Martin junior (November).
1533 Geburt von Paul (Januar).
1542 Luthers jetzt 13-jährige Tochter Lenchen erkrankt schwer. Sie stirbt am 20. September in den Armen ihres Vaters.
1546 Luther reist mit seinen drei Söhnen nach Eisleben, wo er am 14. oder 15. Februar seine letzte Predigt hält. Stirbt am 18. Februar und wird in Wittenberg begraben.
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Pastor, Rebell, Prophet, Mönch
Im Jahre 1934 verwirklichte ein afroamerikanischer Pastor aus Georgia (USA) seinen großen Traum und fuhr mit dem Schiff über den Atlantik, durch die Straße von Gibraltar und durch das ganze Mittelmeer bis zum Heiligen Land. Nach dieser Pilgerreise besuchte er Berlin, um an einer internationalen Konferenz baptistischer Pastoren teilzunehmen. Dieser Pastor hieß Michael King. Und was er dort in Deutschland über den Reformator Martin Luther erfuhr, machte einen solchen Eindruck auf ihn, dass er etwas höchst Ungewöhnliches tat: Er beschloss, das Andenken dieses großen Mannes dadurch zu ehren, dass er seinen eigenen Namen – Michael King – zu Martin Luther King änderte. Sein fünf Jahre alter Sohn hieß ebenfalls Michael und bis an sein Lebensende nannten seine nächsten Verwandten ihn weiter Mike. Aber nicht lange nachdem sein Vater seinen eigenen Namen geändert hatte, beschloss er, auch den Namen seines Jungen zu ändern. Somit wurde aus Michael King Junior dann Martin Luther King Junior.
Diese Namensänderung von Vater und Sohn ist nur ein Beispiel dafür, wie weit der Einfluss Martin Luthers bis heute reicht. Luthers Schriften und Taten haben die Landschaft der modernen Welt derart geprägt, dass sich viele Dinge, die für uns heute selbstverständlich sind, geradewegs bis auf ihn, das schrullige Genie von Wittenberg, zurückverfolgen lassen.
So war zum Beispiel die so durch und durch »moderne« Idee, dass ein Individuum persönliche Verantwortung zuallererst vor sich selbst und vor Gott hat und nicht so sehr vor irgendeiner Institution, z. B. Kirche oder Staat, vor Luther ähnlich undenkbar wie Farbe in einer schwarz-weißen Welt. Auch der ähnlich moderne Begriff des »Volkes«, einschließlich des daraus hervortretenden demokratischen Impulses, wurde durch Luther aus der Taufe gehoben oder zumindest mit einer Stimme versehen. Auch die noch neueren Ideen des Pluralismus, der Religionsfreiheit und der Selbstverwaltung haben das Haus der Geschichte durch die Tür betreten, die Luther zu der Zukunft hin öffnete, in der wir heute leben. Obwohl seine eigentlichen Ideen noch weit von heutigen Vorstellungen entfernt waren, hat er doch die entscheidenden Anstöße gegeben und hat mit seinem Denken den Weg für unsere heutigen Werte gebahnt.
Es sind vor allem zwei Schlüsselereignisse, die alles andere ins Rollen brachten, und für die Luther bekannt geworden ist. Das erste war das Anschlagen seiner 95 Thesen an die große Holztür der Schlosskirche zu Wittenberg, in denen er die damals grassierende Praxis des Ablasshandels geißelte. Das zweite war sein standhafter Mut auf dem Reichstag zu Worms im Jahre 1521. Dort, vor Karl V., dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, und den versammelten deutschen Fürsten und Edlen sowie – vielleicht noch wichtiger – vor dem Vertreter des Papstes, Thomas Cajetan, bekannte Luther sich unerschrocken zu seiner Sache und tat den Ausspruch, der ihn mit einem Mal aus der Welt des Mittelalters in die der Moderne katapultierte. Mit seiner Erklärung, dass er Gottes Gericht mehr fürchtete als das Gericht all der Mächtigen in jenem Saal, elektrisierte er die Welt. Wie konnte jemand – und dann noch ein bloßer Mönch – es wagen, einen Unterschied zwischen den Mächtigen und Gott zu machen? Waren sie nicht seit jeher die Stimme Gottes und des Staates gewesen? Doch Luther trotzte ihnen, demütig und mutig zugleich. Es war eine Wasserscheide in der Weltgeschichte, und diejenigen von uns, die in der westlichen Kultur wohnen, leben seit Luther auf der anderen Seite.
Die Folgen krempelten die Landschaft der abendländischen Kultur so radikal um, dass sie schier nicht mehr wiederzuerkennen war. Luther wurde, ohne es selbst zu ahnen, zum Herold einer neuen Welt, in welcher die altgewohnten Grenzen des Zulässigen für immer aufgebrochen waren. Plötzlich hatte der Einzelne nicht nur die Freiheit und die Möglichkeit, selbstständig zu denken, sondern trug auch die Last der entsprechenden Verantwortung vor Gott.
Im Grunde ist das Allererstaunlichste an Luthers Geschichte aber, dass sie überhaupt passierte. Martin Luther war weder dazu geboren, noch drängte er sich danach, mit päpstlichen Windmühlenflügeln zu kämpfen. Bis ungefähr 1520 war er ein treuer Streiter für die Kirche wie kaum ein anderer. Er wollte Rom so gerne helfen, dem Schicksal zu entgehen, das es dann schließlich ereilte. Es ist eine extreme Ironie der Geschichte – so extrem, dass man versucht ist, an Ödipus zu denken –, dass er der Mann wurde, der gerade das herbeiführte, was er hatte verhindern wollen. Wie seine Geschichte zeigt, war es ein tragikomisches Zusammentreffen von Faktoren und Kräften, was jenen Orkan über den europäischen Kontinent fegen ließ, der das hervorbrachte, was wir heute die Reformation und die Zukunft nennen. Man fragt sich, was alles nicht gekommen wäre, hätte Papst Leo X. ein Gespür für das Historische des Augenblicks gehabt und die Forderungen dieses deutschen Mönches ernster genommen. Es war die schier unerklärliche Starrsinnigkeit Roms, die Luther zu immer kühneren öffentlichen Äußerungen und Positionen trieb, bis kein Kompromiss mehr möglich war und er sich auf einem Weg befand, den man – und die Diskussion darüber wird wohl nie zu Ende sein – je nachdem entweder als häretisch und als Katastrophe für die Kirche oder als die ruhmreiche Rückkehr zur rechten Lehre betrachten kann. Aber egal, wie man ihn beurteilt – Martin Luther war eine der zentralen Figuren, die eine unwiderrufliche Spaltung der Welt, wie wir sie heute kennen, forcierte.
Dichtung und Wahrheit
Luthers Ruhm wuchs zu seinen Lebzeiten in einem solchen Tempo, dass der Schwung selbst durch seinen Tod nicht weniger wurde. Man kann sagen, dass das Magma seiner Berühmtheit gerann zu einem heiligen Vulkangestein – so sehr, dass vieles von dem, was die Welt über ihn zu »wissen« glaubt, so nie stattgefunden hat, wie einige der bekanntesten »Fakten« über sein Leben zeigen. Erstens – so heißt es – wurde er in eine arme Familie hineingeboren, als Sohn eines einfachen Bergarbeiters, der unter bescheidensten, beengten Verhältnissen aufwuchs. Zweitens waren die Erziehungsmethoden seines ungehobelten Vaters so brutal, dass sie seine Seele verrenkten, bis er Gott, den himmlischen Vater, als einen ähnlichen Sadisten betrachtete, den man mit immer neuen frommen Demutsübungen zu besänftigen hatte – so man ihm nicht besser ganz aus dem Weg ging. Drittens war es buchstäblich ein Blitz vom Himmel, der den übernervösen 21-Jährigen vor lauter Angst ein Mönchsgelübde hervorstoßen ließ, das ihm noch nie zuvor in den Sinn gekommen war, aber an das er sich für den Rest seines Lebens gebunden fühlte und ihn schnurstracks ins Kloster führte. Viertens hat ihn, als er Rom besuchte, die ganze Gottlosigkeit dieser Stadt derart schockiert, dass er sich schwor, die weichlich-dekadente italienische Kirche zu zerstören und nach seinem eigenen kompromisslos-rechtschaffenen deutschen Bild umzugestalten. Fünftens – so heißt es – begann er dieses lebenslange Projekt, indem er seine Vorwürfe gegen Rom trotzig an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg nagelte, um dem vor Angst zitternden Papst zu zeigen, dass sein dekadentes Treiben gewogen und für zu leicht befunden worden war. Sechstens: Nach seinem großen Auftritt auf dem Reichstag in Worms, als er sagte: »Hier stehe ich! Ich kann nicht anders!«, floh er auf die Wartburg, wo er sich mit dem Teufel persönlich anlegte und dabei mindestens einmal vor lauter Zorn ein Tintenfass gegen den »altbösen Feind« schleuderte, der es wagte, in seinem Zimmer zu erscheinen. Als Beweis für diese Begegnung, prangte lange Zeit ein Tintenfleck an der Wand, das angeblich von dem Tintenfass stammte. Leider ist dieser »Beweis« heute nicht mehr zu sehen. Und siebtens: Die Nonne, die Luther heiratete, wurde in einem großen Fass, in dem man Heringe transportiert hatte, aus ihrem Kloster herausgeschmuggelt. Genauer gesagt, haben sich alle zwölf Nonnen, die das Kloster verlassen wollten, in Heringsfässern versteckt und so, als Fracht eines Wagens getarnt, die Freiheit erreicht.
All diese Dinge sind unzählige Male erzählt worden und werden vielleicht in diesem Augenblick erneut erzählt, auf Führungen an Lutherstätten in Deutschland, auf Deutsch und in anderen Sprachen. Sie stehen auch in ansonsten exzellenten Büchern über Luther und finden sich im Internet in Artikeln und Blogs. Doch keine einzige dieser sieben Begebenheiten ist wahr. Sie sind samt und sonders romantische Hinzufügungen zu den eigentlichen Tatsachen, die sich im Laufe der Jahre immer mehr verfestigten, bis sie quasi in Stein gemeißelt waren. Und nun sind sie nahezu unverrückbare Teile eines Lutherbildes, das inzwischen ein halbes Jahrtausend überdauert hat. Die frommen Legenden des George-Washington-Biografen, Parson Weems, die den ersten US-Präsidenten Kirschbäume fällen und Silberdollars über den Potomac River werfen ließen, hielten sich etwa 150 Jahre lang; diese falschen Details über Luther haben sich mehr als drei Mal so lang gehalten und ihre kulturellen Wurzeln sind entsprechend tiefer. Es ist meine Hoffnung, dass das, was ich in diesem Buch schreibe, einen bescheidenen Beitrag zu ihrer Entwurzelung liefern wird.
Der verrückte Luther
Bei Luther ist nicht nur der Einfluss, den er auf den Lauf der Geschichte nahm, außergewöhnlich. Nicht minder außergewöhnlich sind sein Charakter und sein Verhalten, die ja zu jenen epochalen Ereignissen führten. Diese Eigenschaften waren Luther nicht angeboren, sondern zeigten sich völlig unerwartet und erst nach und nach in den Jahren ab 1517. Wie lässt sich diese Veränderung von Luthers Persönlichkeit nach der Veröffentlichung seiner Thesen erklären? Wie kann die Geschichte den verbissen-superfrommen Mönch, der Luther in seinen jungen Jahren war, unter einen Hut bringen mit dem kühnen, mutigen, manchmal regelrecht lauten Reformator der späteren Jahre, der sich für keinen Witz und keine Beleidigung zu schade war? Wie wurde aus einem überernsten Geistlichen ein Mann, dessen grober Humor noch heute nicht immer etwas für die Zartbesaiteten ist? Die Verwandlung Luthers geschah nicht so schnell wie bei Paulus auf der Straße nach Damaskus, aber sie ist offensichtlich und ein sehr wichtiges Element seiner Geschichte. Was immer da geschehen war, der Mann war wie neugeboren und ein solcher unermüdlicher Trommler für dieses Neue und diese Freiheit und Freude, dass nicht wenige ihn für verrückt oder gar besessen hielten.
Die kurze Antwort auf diese Frage – und der Grund dafür, warum Luthers Geschichte so einzigartig ist – lautet: Luther war davon überzeugt, nach einer ungeheuer anstrengenden, ja quälenden Suche endlich durch die Gnade Gottes das gefunden zu haben, wonach sich seit dem Garten Eden jedes Menschenherz sehnte. Er hatte den inneren Schlüssel gefunden, der der ganzen Welt die Höhen des Himmels aufschloss. Das große Grundproblem der Menschen war ja gewesen, wie man den unendlichen Abgrund zwischen ihnen – den unvollkommenen Sündern – und einem vollkommenen, heiligen Gott überbrücken konnte; den Abgrund zwischen Himmel und Erde, zwischen Leben und Tod. Und Luthers Entdeckung bestand darin, dass dieses Problem vor 1.500 Jahren von dem lange zuvor verheißenen Messias der Juden gelöst worden war. Es war eigentlich nicht so sehr eine Entdeckung, sondern vielmehr eine Wiederentdeckung, und sie war im Grunde ganz einfach: Jeder konnte durch einen schlichten Akt des Glaubens Gottes Diagnose und einzige Lösung dieses Problems annehmen. Ab diesem Moment war das Problem für immer gelöst. Nachdem es jahrhundertelang durch die Wüste gewandert war, konnte Gottes Volk diesem neuen Mose in das verheißene Land folgen.
Und Luther entdeckte noch mehr: dass es völlig absurd war, etwas anderes zu tun, als sich diese Erkenntnis in kindlichem Vertrauen zu eigen zu machen; denn es war schlicht nicht möglich, das, was Gott da getan hatte, durch irgendwelche eigenen Leistungen zu ergänzen. Wer sich auf einen solchen Holzweg begab, versperrte sich selbst die Tür zu Gottes Gnade. Und so steckte Luther wie ein Wilder – aber einer, der begriffen hatte, dass er eine ungeheure Erkenntnis offenbart bekommen und einen kostbaren Schatz gehoben hatte – jede Sekunde und alle Energie seines restlichen Lebens in die Verbreitung dieser weltverändernden Entdeckung. Er tat dies mit großer Furchtlosigkeit – nicht, weil er von Natur aus mutig gewesen wäre, sondern weil seine Entdeckung ihm auch gezeigt hatte, dass selbst der Tod total und endgültig besiegt war, ja dass dies sogar im Mittelpunkt seiner Botschaft stand.
Alles in allem kann man sagen, dass die Geschichte Martin Luthers so spannend ist wie kaum eine andere in der Geschichte der Menschheit. Daher sollte es uns nicht wundern, dass ihre Dramatik bis in unsere Gegenwart hineinreicht. Wie kam es, dass Martin Luther diese beste aller frohen Botschaften wiederentdeckte, und wie verbreitete er sie für den Rest seines Lebens in der großen weiten Welt? Das ist die Geschichte, die Sie jetzt lesen werden.
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Jenseits der Legenden
Man weiß nicht so recht, wie man die Geschichte von Martin Luther anfangen soll. Es ist die außergewöhnliche Geschichte eines außergewöhnlichen Menschen. Aber gleich zu Beginn stolpert man über zwei Rätsel, die beide gleichermaßen einen glatten Anfang unmöglich machen. Das eine ist kalendarischer Art, und das zweite ist so merkwürdig, dass man sich unwillkürlich fragt, ob das ein bloßer Zufall sein kann.
Das erste, das kalendarische Problem ist, dass wir heute zwar viel mehr über Martin Luther wissen als über jede andere Person aus seiner Zeit und Berge an Dokumenten über ihn besitzen, aber dass wir bei einer der simpelsten Tatsachen über sein Leben passen müssen: bei seinem Geburtsjahr. Klar ist, dass er am 10. November geboren wurde, ja sogar – wenn wir seiner Mutter glauben können – um welche Uhrzeit: um kurz nach Mitternacht. Aber in welchem Jahr?
Luther selbst meinte, dass er wahrscheinlich 1484 geboren sei. Seine Mutter war sich unsicher. Kirchenbücher, in denen man nachsehen könnte, gab es noch nicht. Schließlich setzte sich Philipp Melanchthon durch, der das Geburtsjahr auf 1483 festlegte. Da seine Indizien die meisten Lutherforscher überzeugen konnten, soll dieses Datum auch für dieses Buch gelten.
Das zweite Rätsel ist von einer ganz anderen Art. Wir wissen, dass am 11. November, also einen Tag nach seiner Geburt, das Neugeborene, warm eingepackt, die hundert Meter von seinem Zuhause in die majestätische Peter-und-Pauls-Kirche getragen wurde, um dort durch die Taufe dem Rachen des ewigen Feuers entrissen zu werden. Da der 11. November der Martinstag war – der Gedenktag des heiligen Martin von Tours –, gab man dem Kind den Namen des Heiligen, was damals gängige Praxis war. Aber was Luthers Eltern noch nicht ahnen konnten: Im Leben dieses Heiligen gab es ein Detail, das in dem Leben dieses frisch getauften Kindes eines Tages auf eine geradezu unheimliche und scheinbar prophetische Art eine Parallele finden würde.
St. Martin lebte im 4. Jahrhundert nach Christus. Er wurde im heutigen Ungarn geboren, wuchs im heutigen Pavia in Italien auf und verbrachte den Großteil seines Erwachsenenlebens in Frankreich; alle drei Regionen gehörten damals zum Römischen Reich. Er wurde, gegen den Willen seines Vaters, schon in jungen Jahren Christ und ging in die römische Armee. Eines Tages – er war gerade in Borbetomagus, dem späteren Worms, stationiert – wurde der künftige Heilige in eine Schlacht abkommandiert. Doch Martin, der zutiefst davon überzeugt war, dass Blutvergießen nicht mit seinem christlichen Glauben vereinbar war, erklärte: »Ich bin ein Soldat Christi. Ich kann nicht kämpfen.«1 Man steckte den Befehlsverweigerer als Feigling in den Karzer, worauf er sich anbot, freiwillig unbewaffnet an die Front zu gehen, denn er hatte keine Angst davor zu sterben, sondern lediglich davor, jemand anderen zu töten. Die Schlacht fand schließlich gar nicht statt und Martin wurde aus dem Militär entlassen, um kurz darauf Mönch zu werden. Nun, aus dem römischen Borbetomagus, wo dieser erste Martin unter Einsatz seines Lebens als Christ dem Römischen Reich trotzte und seinen Weg zum Heiligen begann, war elf Jahrhunderte später das deutsche Worms geworden, und jetzt trat dort der zweite Martin, wieder aus christlicher Glaubensüberzeugung heraus, dem »Heiligen Römischen Reich« entgegen. So knüpfte sich bereits am zweiten Tag seines Lebens ein Band, das den kleinen Martin Luther sowohl mit der fernen geschichtlichen Vergangenheit als auch mit seiner eigenen historischen Zukunft verknüpfte.
Die Welt, in die Luther hineingeboren wurde, hatte sich seit vielen Jahrhunderten nicht wesentlich verändert; einige Wandlungsprozesse hatten zwar bereits begonnen, aber steckten allenfalls noch in den Kinderschuhen. Es war eine Welt, die durch die unendlichen Weiten des Ozeans von dem Riesenkontinent getrennt war, den wir heute als Amerika kennen. Christoph Kolumbus schipperte als Händler die Küste von Westafrika entlang und hatte keinen Schimmer, dass er binnen eines Jahrzehnts mit drei Karavellen den Sprung über den Atlantik wagen würde. Die Druckerpresse war erst vor etwa vierzig Jahren von Johannes Gutenberg erfunden worden, und obwohl das Schisma von 1054 schon lange die Ost- von der Westkirche trennte, konnte sich niemand auch nur im Traum vorstellen, dass das Riesenuniversum der heiligen katholischen Kirche mit dem Papst an der Spitze eines Tages so stark unter Beschuss käme, der es für immer zerreißen würde.
Martin Luther wurde im letzten Jahr des Pontifikats von Sixtus IV. geboren, einem von sechs Renaissance-Päpsten, die so unfähig und skandalös agierten, dass man fast den Eindruck haben konnte, dass dieses Sextett seine gesammelte Dekadenz und Korruption in einen Pappdrachen steckte, diesen gut sichtbar an einen Baum hing und darauf einen Augustinermönch aufforderte, ihn mit einer Schleuder zu zerfetzen.2 Bis auf den Namen, den seine Eltern ihm gegeben hatten, gab es in Martin Luthers Kindheit und noch in seinen jungen Erwachsenenjahren rein garnichts, was irgendjemanden hätte ahnen lassen können, was für einen erstaunlichen Gang sein Leben nehmen würde.
Bevor wir das Binsenkästchen, in dem der kleine Martin liegt, aus dem Schilf holen3 und mit der Geschichte fortfahren, sollten wir noch erwähnen, dass Martin Luther ursprünglich nicht »Luther« hieß, sondern »Ludher« oder »Luder«. Er hat seinen Namen später geändert – wann und warum wissen wir nicht genau; vermutlich tat er es aber, weil es zu dieser Zeit zum guten Ton gehörte, Namen ins Lateinische oder Griechische zu ändern. Seine Eltern übernahmen den neuen Namen »Luther« schließlich auch für sich – wahrscheinlich wegen der wachsenden Berühmtheit ihres Sohnes, vielleicht aber auch, weil das Wort »Luder« gewisse unattraktive Assoziationen hatte, die sie gerne dem Reich der historischen Fußnoten überließen.4
Eine der größten Herausforderungen beim Erzählen der Geschichte von Martin Luther besteht darin, ihn freizuschaufeln von all den Legenden, Mythen und Storys, die sich in den letzten fünf Jahrhunderten um ihn angesammelt haben. Der erste Mythos, an dem Luther selbst bisweilen strickte, ist die arme Herkunft Martin Luthers – dass sein Vater ein einfacher Bergarbeiter war und seine Mutter aus noch bescheideneren Verhältnissen kam und wahrscheinlich eine dubiose Badestubenmagd gewesen war. Erst neuere archäologische Entdeckungen haben uns in die Lage versetzt, die hartnäckige Mär von Luthers bescheidener Herkunft zu den Akten zu legen.
Tatsache ist, dass sein Vater – sein Name war Johannes, sein Rufname Hans – ein intelligenter und tatkräftiger Mann war. Er arbeitete in der Tat im Bergbau, aber er war mitnichten ein einfacher Tagelöhner, sondern ein ehrgeiziger und erfolgreicher Unternehmer. Er besaß mehrere Schmelzhütten und zog mit seiner jungen Frau nach Eisleben, um die reichen Kupferadern auszubeuten, die unter den Wäldern der Region verliefen. Seine Frau Margarethe kam aus der gutbürgerlichen, geachteten und nicht unvermögenden Familie Lindemann im Raum Eisenach; ein Verwandter von ihr wurde 1497 Bürgermeister von Eisenach. Zwei von Martins Vettern (die Söhne des ältesten Bruders seiner Mutter) wurden Männer von Rang und Namen. Der eine wurde ein Doktor der Jurisprudenz und kurfürstlicher Rat in Sachsen, der andere studierte in Leipzig, Frankfurt und Bologna und wurde der Leibarzt des Kurfürsten Friedrich des Weisen. Zuweilen hat er auch Luther selbst behandelt. In seinen letzten Lebensjahren lehrte er Medizin an der Universität von Wittenberg, der Stadt, in der Luther wohnte. Die bescheidene Herkunft der Eltern Luthers, insbesondere seiner Mutter, ist ein typisches Beispiel für die manchmal irreführenden »Heiligenbiografien« über Luther, die nach seinem Tod entstanden.
Wir können wohl davon ausgehen, dass die wohlbetuchte Familie Lindemann Hans Ludher das Geld lieh, das er als Startkapitel in der risikoreichen Kupferhüttenbranche benötigte. Er wusste, dass es nicht leicht werden würde, das Vertrauen, das seine großzügigen Schwiegereltern da in ihn setzten, nicht zu enttäuschen, und es war tatsächlich nicht leicht. Er arbeitete sehr hart und erwartete zweifellos, dass sein Sohn Martin sich in seine Zukunftspläne einfügen würde. Der Junge war mehr als hell, und Hans hatte vor, ihm die bestmögliche Schulbildung angedeihen zu lassen, damit er als Jurist Karriere machen konnte.
Wir können auch davon ausgehen, dass die Luthers weder frommer noch weniger fromm waren als andere Menschen ihrer Zeit und ihrer sozialen Schicht – mit anderen Worten: Sie nahmen Gott und die Kirche sehr ernst. Fast mit Sicherheit gab es in ihrem Haus einen Heiligenschrein für St. Anna, die zwar nicht nach der Bibel, aber nach der kirchlichen Tradition die Mutter Marias war und die als Schutzheilige der Bergleute galt – Letzteres deswegen, weil aus ihrem Leib zwei »Edelsteine« von unermesslichem Wert gekommen waren: erst Maria und dann indirekt, aus Marias Leib, Jesus. Was für eine bessere Schutzheilige konnte es geben für die Menschen, die selbst in der Erde nach Schätzen suchten?5
Was die Archäologen sagen
Als wahrer Glücksfall für die Luther-Forschung erwiesen sich neuere archäologische Ausgrabungen in Mansfeld, wo Luther vom Säuglingsalter (sechs Monate) bis zu seiner Einschulung in Magdeburg wohnte. Unter anderem ergab eine 2003 begonnene Ausgrabung, dass das kleine, schlichte Haus in Mansfeld, das jahrhundertelang als das Elternhaus des kleinen Martin galt, nur ein Drittel des tatsächlichen Wohnhauses der Familie ausmachte, was Luthers eigene spätere Aussage, er sei der Sohn von »Bauern« und »armen Bergleuten« gewesen, als typisch lutherische Mischung aus Bescheidenheit und Übertreibung entlarvt. Anders als die Legenden aus fünf Jahrhunderten es wollen, wuchs er vielmehr in einem bemerkenswert gut ausgestatteten Haus auf. Wie gut, zeigt eine weitere Ausgrabung aus dem Jahr 2008, bei der »ein bis dato unbekannter ausgemauerter Kellerraum«6 aus Luthers Kindheitstagen freigelegt wurde, der solch eine Fülle und Vielfalt von häuslichem Abfall enthielt, dass man ihn als eine Goldgrube an Informationen über den damaligen Alltag der Familie betrachten muss. Dass Martin und die Seinen die hier aufgefundenen Gegenstände vor fünfhundert Jahren in den Händen gehalten und benutzt haben, kommt einer Offenbarung gleich und bestätigt, dass dies nicht die bescheidene Wohnstätte armer Leute vom unteren Ende der Gesellschaft war, sondern das Haus einer ehrbaren, etablierten Familie, die zu den führenden der Stadt gehörte.
Die Auswertung der gut 7.000 in dem Keller ausgegrabenen Tierknochen ergab, dass der Fleischkonsum der Familie Luther zu 60 Prozent aus Schweinefleisch bestand, und zwar überwiegend von »jungen, gerade erwachsenen Tieren«7, deren Fleisch teurer war als das älterer, weniger aromatisch schmeckender Tiere. 30 Prozent der Knochen stammten von Schafen und Ziegen und die übrigen 10 Prozent von Rindern. Weiter fand man 2.000 Knochen von Hausgeflügel, vor allem von Gänsen, deren Fleisch ebenfalls relativ teuer war. Dazu kamen »oftmals junge Hühner, gelegentlich Enten und Tauben«. Einige der Gänseknochen waren durch eingebohrte Löcher zu Vogelpfeifen umfunktioniert worden, mit denen man kleine Singvögel anlockte, die damals in Deutschland ebenfalls auf dem Speiseplan standen. Dann schließlich die Fischgräten: Sie ergaben, dass im Hause Luther an Süßwasserfischen »Karpfen, Brassen, Plötze, Rapfen, Hecht, Zander, Flussbarsch und Aal« verzehrt wurden. An Salzwasserfischen gab es »Hering, Dorsch und Scholle«, die in Salz eingelegt oder getrocknet nach Mansfeld kamen.
Doch noch bezeichnender waren die in dem Keller gefundenen Küchenutensilien, darunter mehrere Grapen – irdene Dreibeintöpfe, die man direkt in das Herdfeuer stellte. Es gab auch Fragmente der sehr viel selteneren metallenen Variante dieser Töpfe. Diese waren damals so wertvoll, dass sie oft in Testamenten eigens erwähnt wurden. Man fand auch Scherben von sogenannten Igelgefäßen, die nur bei festlichen Anlässen zum Einsatz kamen; dazu kamen »Stangengläser, Noppengläser und Rippenbecher«8. Auch die Messergriffe und vieles andere bezeugen, dass es sich hier um einen Haushalt mit dem Wohlstand der oberen Mittelschicht handelt.
Die Archäologen fanden auch viele der Spielzeuge, mit denen Martin und seine drei Brüder gespielt haben dürften. Unter anderem fanden sie sieben Murmeln von unregelmäßiger Form, was darauf schließen lässt, dass sie wahrscheinlich selbst gefertigt und im Herd von Mutter Luther gebrannt waren. Ein »Fingerknochen eines Rindes« wies unten ein gebohrtes Loch auf, das wahrscheinlich mit flüssigem Blei gefüllt worden war, um so einen standfesten Kegel zu erhalten. Mehrere solcher Kegel wurden in eine Reihe gestellt und als Kegelspielen verwendet.3 Es gab auch einen »Pfeifvogel« (also eine Vogelpfeife), »den man mit Wasser füllte, um so trillernde Laute zu erzeugen«. Doch der vielleicht spektakulärste Fund ist »die Miniaturausführung einer Armbrustnuss, also dem entscheidenden Teil des Abzuges einer mittelalterlichen Armbrustwaffe«.9 Sie stammte offenbar von einer Spielzeugarmbrust, die Martin und seinen Brüdern gehörte. Daher müssen wir heute die vielen Lutherbilder in unserem kollektiven kulturellen Gedächtnis durch das Bild des kleinen Martin ergänzen, der mit seiner Spielzeugarmbrust hinter seinen Brüdern herrennt. Kaum denkbar, dass der »Sohn armer Eltern« ein so ausgefallenes und teures Spielzeug besessen hat.
Besonders mysteriös an diesem großen Abfallfund ist die große Zahl wertvoller Gegenstände, die mit den weniger wertvollen vermischt sind. Es ist natürlich normal, dass man Knochen und Gräten wegwirft. Aber warum, um alles in der Welt, sollte man Messingschnallen und -knöpfe, eine bestickte Geldbörse an einem Ledergürtel, ja sogar Silbermünzen entsorgen? Eine mögliche Erklärung hat mit der Pestepidemie zu tun, die 1505, als Luther gerade gegen den Willen seines Vaters Mönch geworden war, Mansfeld wieder einmal heimsuchte. Man nimmt heute an, dass zwei von Martins Brüdern dieser Pest zum Opfer fielen.10 Damals rieten die Ärzte dazu, alle Kleider und das Bettzeug von Pesttoten zu verbrennen, und es ist gut möglich, dass beim Ausräumen der Zimmer der Verstorbenen verschiedene wertvollere Gegenstände aus Versehen mit weggeworfen wurden, was diesen ansonsten sehr merkwürdigen Fund erklären würde.
Luthers Verhältnis zu seinem Vater
Eine andere Legende, die sich wie eine Klette an die Geschichte Luthers geheftet hat, ist die, dass sein Vater in seiner Erziehung ein solcher Tyrann war, dass sein Sohn schließlich gegen alles, was Vater hieß, aufbegehrte – einschließlich des himmlischen Vaters. Nun kann kein Zweifel bestehen, dass Hans Luther seinem Jungen die Ohren langzog, wenn die Situation dies erforderte, aber die körperliche Züchtigung von Kindern war damals, wie zu praktisch allen Zeiten und in allen Kulturen in der Geschichte der Welt, absolut üblich, und sie als etwas Besonderes und Hochbedeutsames zu betrachten, verrät einen Mangel an historischen Kenntnissen. Hätte sie allgemein die Auswirkungen, die so oft behauptet werden, die Welt wäre voll von lauter Luthers. Natürlich lässt sich hierüber nur spekulieren, weil nur wenig detaillierte Ausführungen dazu vorliegen. Aber nach allem, was wir wissen, entsprach Luthers Erziehung dem, was damals üblich war, und von abnormen Verhältnissen könnte man höchstens dann reden, wenn Vater Luther seinen Sohn ohne Schläge erzogen hätte. Einmal schlug er ihn so heftig, dass der kleine Martin seinen Vater (ob nun aus Angst oder Wut) eine ganze Zeit lang mied. Aber auch dies war damals nichts Außergewöhnliches, und Herr Luther war nicht der Einzige, der manchmal streng war. Der ältere Luther erinnerte sich, dass seine Mutter ihn einmal schlug, bis das Blut kam. Sein »Verbrechen«: Er hatte eine Nuss stibitzt.
Doch die beharrliche Mär von Luthers überstrengem Vater entstammt fast gänzlich der erstmals 1958 erschienenen Lutherbiografie Der junge Mann Luther von dem Psychoanalytiker Erik H. Erikson, der behauptete, dass es Luthers Verschmelzung eines strengen Richtergottes mit seinem eigenen Vater war, die unweigerlich und ungewollt zu der ödipalen Krise führte, die die Einheit des abendländischen Christentums für immer zerriss. Eriksons These hat in der Lutherforschung jahrzehntelang für Verwirrung gesorgt, aber es gibt keinen Grund, diese verquere Freud'sche Theorie als mehr zu betrachten als eine historische Kuriosität im Stile der Erziehungsratgeberbücher des Bestsellerautors Benjamin Spock aus den 1950er- und 1960er-Jahren. Dass das Buch 1958 von Margaret Mead und Reinhold Niebuhr hoch gelobt wurde, vervollständigt dieses peinliche Klischee aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Tatsache ist, dass wir viel mehr Material über Luthers emotionales und geistiges Leben zur Verfügung haben als über irgendeinen seiner Zeitgenossen, wie z. B. Vasco da Gama oder Heinrich VIII. Daher findet jeder, der mit »neuen Erkenntnissen« über Luther das nächste pseudowissenschaftliche Denkmal errichten will, einen reich gedeckten Tisch vor, an dem er sich bedienen kann.