Cover

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, September 2019

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Covergestaltung any.way, Walter Hellmann

Coverabbildung Carla Brno/bobsairport

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

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ISBN 978-3-644-00017-9

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

ISBN 978-3-644-00017-9

Dieses Buch ist H.P. gewidmet

und all jenen, die anderen von ihrer Erfahrung,

Kraft und Hoffnung abgegeben haben.

» … ich machte ihr Vorwürfe,

als hätten tatsächlich ihre

Gebete diese Veränderung herbeigeführt.

Was habe ich dir getan, daß du mich

zum Leben verdammt hast?«

Graham Greene, ›Das Ende einer Affäre‹

In der Greyhound-Station Oakland waren alle Menschen Zwerge, und sie schubsten und drängelten, um in den Bus zu gelangen, ja schoben sich sogar an den beiden Nonnen vorbei, die vor ihnen dagewesen waren. Als die beiden Nonnen sich hingesetzt hatten, lächelten sie Miranda und Baby Ellen freundlich zu und spielten Kuckuck hinter ihren Fingern. Aber Jamie spürte, daß sie ihr Make-up zu dick, ihre Hosen zu eng fanden. Sie wußten, daß sie gerade ihren Mann verließ, und glaubten bestimmt, sie würde über kurz oder lang auf dem Strich landen. Sie hätte ihnen gern gesagt, was los war, aber mit Katholiken kann man ja nicht reden. Die kleinere Nonne hielt eine leuchtende Schnittrose fest in beiden Händen.

Jamie saß am Fenster, sah hinaus und rauchte eine Kool. Noch immer drängten sich Menschen an der Bustür, Menschen, die sie hoffentlich nie kennenzulernen brauchte – sie kämpften mit verstümmelten Gepäckstücken und Papiertüten, und so, wie sie damit umgingen, hätte man meinen können, sie enthielten die Gründe einer jeden bereuten Tat und die Rechtfertigung aller ihrer Wunden. Ein Schwarzer im Tweedanzug, einen Strohhut auf dem Kopf, hielt ein Schild für seine abreisenden Verwandten in die Höhe: »Die SONNE soll in FINSTERNIS und der MOND in BLUT verwandelt werden« (Joel 3,4). Unter den gegebenen Umständen fühlte Jamie sich diesem Fremden nahe.

Gegen drei Uhr morgens gingen Jamies Augen auf.

Jamie schob die Worte des Kindes von sich weg, voller Angst vor der Finsternis, in die der Bus hineinraste, erschrocken, daß sie so schnell von ihrem neuen Leben verschluckt wurde, ja daß es sie womöglich blitzartig verdauen und am anderen Ende in Gestalt einer alten Frau wieder ausspucken würde, die sich vor lauter Benommenheit nicht einmal mehr fragen könnte, wo ihre Jugend geblieben war. Ein paarmal bat sie Miranda, still zu sein, schließlich schliefen das Baby und alle anderen im Bus, außer dem Fahrer, wie sie hoffte – aber Miranda stupste alle paar Sekunden Baby Ellen mit dem Fuß an, weil sie spielen wollte, mitten in Nevada, mitten in der Nacht. »Randy«, sagte Jamie. »Ich bin todmüde, Schätzchen. Bitte weck doch Baby Ellen nicht auf.«

Miranda saß auf ihren Händen und stellte sich schlafend, wobei sie heimlich Baby Ellen mit dem Fuß anstieß.

»Nimm deinen Fuß da weg, Schätzchen«, sagte Jamie zu ihr.

»Ich mach keinen Spaß. Nimm jetzt deinen Fuß weg.«

Miranda stellte sich taub und schlafend, reagierte nicht, tat so, als zucke ihr Fuß nur im Traum.

»Nimm – deinen – Fuuß – da weg«, flüsterte Jamie wütend, packte sie am Knöchel und schob ihn weg. »Benimm dich jetzt. Oder ich sag dem Fahrer Bescheid, und der setzt dich vor die Tür, der schmeißt dich aus dem Bus raus, und dann stehst du da, mitten in der Wüste. Mitten im Dunkeln, bei den Schlangen. Hörst du?« Erneut stieß sie Mirandas Fuß weg. »Mach mir

Sie starrte haßerfüllt auf Mirandas geschlossene Augen, bis sie merkte, daß das Kind eingeschlafen war. Die Schwere des Zorns wich der Schwerelosigkeit ihrer Angst, während der Bus in den Schlund hinabsegelte, den die Scheinwerfer bildeten. Sie legte die Hand vors Gesicht und weinte.

Kurz darauf schlief sie ein und träumte von einem Mann, der in einer Giftwolke ertrank. Sie wachte auf und fragte sich, was das gewesen war – ein Traum von ihrem Mann, oder was? – ein Traum von der Vergangenheit, ein Traum von der Zukunft?

 

Baby Ellen wollte nicht aufhören zu brüllen.

Jamie hielt sie im Arm, suchte mit der freien Hand unter dem Sitz nach der Reisetasche und in der Reisetasche nach Baby Ellens Orangensaft. »Da da da da da«, sagte sie zu Baby Ellen.

»Bald hab ich ein Bettchen für dich mit ner Schnur, da können wir deine Spieldose dranhängen, und wenn es Zeit ist zum Schlafen, dann kommen Mama und Miranda zu dir und singen dir was vor, ah, hier ist dein Orangensaft, Gott sei Dank, da da da da da, kleines Baby Ellen, oh, ist das aber ein guter Orangensaft, so ein feiner Orangensaft, so ein feiner, ernsthafter Blick, oh, siehst du die schöne Sonne? Siehst du die Sonne da, Baby Ellen? Das ist bloß ein klitzekleines Stück von der Sonne, aber bald wird Baby Ellen die ganze Sonne sehen, und dann ist der Morgen da, für Baby Ellen und für Mama und für Miranda Sue.« Sie wünschte, sie könnte das Baby einfach ersticken. Niemand würde etwas merken. Oakland lag vier Tage hinter ihnen.

Sie flößte Baby Ellen den Orangensaft ein und schaute zu, wie die Sonne sich über die toten Maisfelder Indianas in den Blick schob. Das Licht, das über die zugefrorenen Teiche und die

Von Oakland und allem, was als nächstes passieren würde, abgeschnitten, konnte sie es kaum ertragen, den Bus weiterfahren zu lassen, und dachte, wenn er zum Frühstück anhält, steig ich aus und tausch meine Fahrkarte gegen einen Platz im nächsten Bus nach Haus, und tschüs, schöne Reise noch, all ihr Leute hier im Greyhound-Land. Er würde überglücklich sein, sie zu sehen, dessen war sie sich sicher. Was würde sie sagen? Zahnbürste vergessen, dachte sie und lächelte. Handtasche vergessen. Lunch liegen lassen. Der Mann mit den Fahrkarten würde sie auslachen, daß sie auf halber Strecke umkehren wollte. Hat Ihnen wohl so gut gefallen, daß Sie die Tour gleich noch mal machen wollen, was? sagte der Mann. Ja, ich muß

 

Drei Reihen hinter ihr, auf der anderen Seite des Gangs, saßen die beiden Nonnen und murmelten, vom Frühstück schläfrig geworden, vor sich hin. Jamie beobachtete sie heimlich, und da wurde ihr klar, daß sie beteten; die kleinere Nonne hatte die leuchtende Schnittrose, die sie in Oakland in der Hand gehalten hatte, gegen einen dunklen Rosenkranz eingetauscht. Jamie überlegte, ob Nonnen wohl jeden Tag nach dem Frühstück beten mußten. Dachten sie, so, jetzt bete ich, und hatten sie dabei ein Bild von Gottes Angesicht im Kopf, mit seinem weißen Bart, und sahen ihn bedächtig nicken, während er ihrem Latein lauschte? Und wenn Beten ihr Beruf war, hatten sie dann auch mal Urlaub? Sie schaute zu Miranda hin, die mit einem Buntstift breite, gleichmäßige Striche über ein Frauengesicht in der Illustrierten People malte, und fragte sich, ob ihr kleines Mädchen wohl jemals Nonne werden und eine schwarzweiße Haube auf ihrem langen Haar tragen würde. Aber Miranda war gar nicht katholisch. In Oakland waren sie eigentlich gar nichts Richtiges gewesen, in Westvirginia dagegen, vor ihrem Umzug, immerhin Taufscheinbaptisten. In Kalifornien konnte man nicht so Feuer und Flamme für seinen Glauben sein, denn da

In Kalifornien gab es alte Frauen mit einem komischen Blick, die überzeugt waren, daß das Ende der Welt unmittelbar bevorstehe oder daß schon bald Außerirdische zum Jüngsten Gericht auf der Erde landen würden. Man konnte wählen zwischen Venusbewohnern, Marsmenschen, Jesus Christus oder Leuten aus Indien mit zwölf Armen und blauer Haut. Sodom und Gomorrha hatte eine von einem Raumschiff abgeworfene Atombombe zerstört.

Jamie hörte lautes Schnarchen von der kleineren Nonne, die doch beten sollte. Aber Gott hatte das alles ohnehin schon oft genug gehört und machte sich nicht die Mühe, sie zu wecken. Von irgendwoher war die leuchtende Rose wieder aufgetaucht, die sie im Schlaf mit beiden Händen erdrosselte.

 

Der Mann hinter ihnen hielt sie, das spürte Jamie, für eine, die auf Abenteuer aus war. Aber er war ein netter Kerl mit einem freundlichen Grinsen und einem tätowierten Seepferdchen auf dem linken Arm, das Miranda faszinierte. »Das hat mir König Neptun geschenkt«, erzählte er ihr, zwinkerte Jamie zu und rollte seinen Jackenärmel wieder herunter, und das war alles, was er über seine Tätowierung verriet.

Im Lauf des Vormittags bezog Miranda ihn immer mehr in ihr Treiben ein, und am Nachmittag waren sie bereits dicke Freunde geworden. In seiner Airline-Tasche hatte er vier Dosen Bier, von denen er Jamie eine anbot. Trotz all dem Gedrängel und Geschubse und der ganzen Respektlosigkeit gegenüber

Außerdem hatte er einen bleistiftdünnen Schnurrbart, den sie einfach eklig fand. Ein bißchen Schaum blieb kurz daran hängen, dann leckte er ihn ab. »Ich steig in kein Flugzeug«, sagte er. »Wird mir immer speiübel drin, sogar in den Langstreckendingern. Erst war ich per Anhalter unterwegs, aber da bin ich fast erfroren.« Er schüttelte seine Bierdose und knackte mit einer raschen Handbewegung den Aluminiumverschluß.

»Also fahr ich jetzt Bus. Wie Sie ja wohl selber sehn können«, sagte er.

»Die meiste Zeit kann ich überhaupt nix selber sehn.« Sie deutete mit ihrem Stroh’s-Bier auf die Sitzreihe vor ihnen, wo Miranda und Baby Ellen eingenickt waren. »Vierundzwanzig Stunden am Tag auf die beiden aufpassen – da würde ja wohl jeder halb blind werden.« Stroh’s war, wie sie gerade bemerkte, das Wort Shorts rückwärts geschrieben. Sie hatte noch nie von diesem Bier gehört.

»Bin unterwegs nach Pittsburgh, um mir n paar schöne Tage zu machen. Wie in den alten Zeiten«, sagte der Mann. »Hab n bißchen Kohle zusammengekratzt, aber außer für Wein, Weib und Gesang geb ich nix aus. Deshalb bin ich auch getrampt.«

»Mannomann«, sagte Jamie, »vierundzwanzig Stunden am Tag, und das jeden einzelnen Tag im Jahr.«

»Tja. Ja, so ist das wohl«, sagte der Mann.

»Bis Miranda achtzehn ist. Dann ist Ellen – was, zwölf? Nee,

»Da haben Sie noch ganz schön was vor sich«, sagte der Mann.

»Das können Sie laut sagen. Und danach ist man ne vertrocknete alte Schachtel, und wenn einen jemand fragt: Was haben Sie eigentlich die ganzen Jahre gemacht?, hat man keine Ahnung, was man sagen soll. Wie n Einsiedler. Oder ne Nonne.«

»Sie sollten mal ne Nacht freimachen nächsten Samstag«, sagte der Mann.

Sie überlegte, worauf er hinauswollte, und sah ihn an. Er war um die Vierzig, vielleicht etwas jünger. Sein Haar war lockig, noch nicht allzu dünn, aber am Ansatz schon ein wenig gelichtet. Unter seinem Western-Jackett, das aussah, als wäre es für einen Cowboy-Bandleader entworfen, trug er ein weißes T-Shirt. Er klemmte sich nun die Bierdose zwischen die Knie und zog die Jacke aus, so daß sie die Schrift auf dem Hemd lesen konnte: »Harrah’s-Vegas«. Als er mit dem Daumen seine Panoramasonnenbrille wieder den Nasenrücken hochschob, ging der Ärmel mit, und auf seinem Trizeps kam eine Tätowierung zum Vorschein, ein einzelner nackter Busen, um den sich kelchförmig zwei losgelöste Hände legten. »Lassen Sie mich raten. Ich möchte wetten, Sie heißen Louise.«

»Daneben. Ich heiße Jamie.« Sie spähte in den Rückspiegel, um nach dem Fahrer zu schauen, und fragte sich, ob er wohl auch die obszöne Tätowierung auf dem Oberarm des Mannes gesehen hatte, mit dem sie hier plötzlich Seite an Seite saß. Aber sie glaubte, bloß das Ohr des Fahrers zu erkennen, höchstens noch ein Stück von seiner Mütze.

»Nervös wegen dem Fahrer? Der kann nix sehn, Jamie.« Der Mann nahm einen Schluck von seinem Bier, ohne sich zu dukken, um zu verbergen, was er tat. »Der sieht gar nix.«

»Ich war selber mal Busfahrer. Man kann bloß sehen, ob einer auf seinem Platz sitzt oder nicht. Und das auch nur bei manchen Plätzen. Aber ob die da hinten Bier trinken oder Brause, ob sie schlafen oder wach sind und was sie sonst noch treiben, das weiß man nicht.«

Sie sahen Stromleitungen in wilder Berg - und – Tal – Fahrt an sich vorbeisausen, über Telefonmasten hinweg, die in schnurgeraden Reihen auf den bepflanzten Feldern standen – seit sie in Ohio waren, ein weniger seltener Anblick – und sich vor dem Horizont wie Fächer ausbreiteten, die jedesmal, wenn sie daran vorüberfuhren, schlagartig zuklappten. Der Himmel war nach Sonnenaufgang grau geworden, und die Hügel stemmten sich gegen seine Last; dicht darunter kreisten im Gleitflug ein paar Wintervögel. »Let the boy rock and roll«, sang sie vor sich hin. Auch der Mann summte eine Melodie, in die er dann und wann ein zischelndes Pfeifen einschob.

»Nee. Nee. No, Sir«, sagte der Mann und öffnete mit einem lauten Knall die nächste Dose Bier. Sie sah ihn an, aber er redete nicht weiter, und so wandte sie ihre Augen wieder den Feldern zu, die neben ihnen davonjagten. »Nee, Jamie, das sieht wirklich niemand«, sagte er plötzlich und küßte sie auf die Wange.

Sie schluckte ihr Bier runter. »He – laß das!«

»Laß was?«

»Ich bin verheiratet!«

»Wo ist dein Mann?«

»Zu Hause.«

»Und wo ist das?«

»Zu Hause halt. An der nächsten Station. Er ist in Cincinnati.«

»Dieser Bus fährt aber nicht nach Cincinnati.«

»Dann holt er uns eben in Cleveland ab.«

» Na ja«, sagte Jamie, »ich mußte ihn verlassen.«

»Nun werden wir langsam ehrlich.«

»Ehrlich währt am längsten.«

»Nimm doch noch n Bier, ehe ich alles allein austrinke.«

»Du hast mir noch nicht mal gesagt, wie du heißt.«

»Bill heiß ich. Bill Houston. Deiner Kleinen da hab ich’s schon verraten, ich dachte, du hättest es gehört.« Er nahm ihre Hand.

»He, ich will das nicht«, sagte sie. »Grad im Augenblick nicht. Jetzt mach mal halblang, okay?«

»Oh – jaja, geht klar«, sagte er. »Schon gut. He – hier. Ich hab da was, damit schmeckt das Bier wie Champagner.« Unauffällig förderte er aus seiner Reisetasche eine Flasche Bourbon zutage, griff nach Jamies Handgelenk, kippte ihr etwas davon ins Bier.

»Das gibt ihm n bißchen Farbe. Is n sogenannter Tieflader.« Er tippte sich mit dem Zeigefinger an die Nase, rollte mit den Augen und ließ seine Zunge aus dem Mundwinkel hängen. Ziemlich blöd, aber Jamie mußte trotzdem lachen.

Während sie an ihrer Dose nippte, unterhielten sie sich darüber, wie vergänglich die Zeiten waren, wie wandelbar die Landschaften, wie konfus die Leute in hohen Positionen, wie unpersönlich die Highways. Der Bus trug sie aus der Wolkenbank, die über dem westlichen Ohio lag, hinaus in reineres Licht, wo alte Schneefelder gleißend auf der Erde der Berghänge brannten. Bald hatten sie das Bier ausgetrunken. In den Dosen war nur noch Bourbon. »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben«, sagte Bill Houston. »Ich war dreimal verheiratet.«

»Das hab ich selber nie kapiert. Nach dem ersten Mal hab ich mir geschworen, wenn du wieder so was vorhast, dann erinner dich an das, was du grade erlebt hast. Daraufhin hab ich mir das da machen lassen.« Er zeigte ihr eine Tätowierung in der Armbeuge, ein winziges weibliches Satansgesicht und darunter das Motto: Denk an Annie. »Hat mir nicht viel genützt. Drei Monate später war ich wieder verheiratet, diesmal mit ner großen Dicken. Die erste war klein und dünn, also hab ich bei der nächsten drauf geachtet, daß sie groß und dick war, sozusagen zur Abwechslung.«

»Abwechslung ist wichtig.«

»Ja, genau. Abwechslung ist wichtig.«

»Aber Verläßlichkeit ist auch nicht übel.«

»Die dritte, die ich geheiratet hab, war verläßlich. Ich konnt’s gar nicht glauben, so verläßlich war die, bis sie mich eines Tages aus heiterem Himmel gefragt hat: Wie hieß eigentlich deine erste Frau? Annie, sag ich, und sie: Ach ja, Annie, und weiter? Ich sag: Annie Klein! Wieso fragst du? Einfach so. Aha. Und fünf Minuten später will sie wissen, wie meine nächste Frau geheißen hat. Hab ich ihr natürlich auch erzählt, und zufällig hatte die nun den gleichen Mädchennamen wie sie. Hast du mich deshalb genommen? fragt sie da. Was soll das denn, hab ich gesagt, wieso kommst du mir plötzlich mit diesem Scheiß – Tschuldigung. Okay, sagt sie, ich bin Ehefrau Nummer drei, und die Roberts ist Nummer zwei, aber gegen die Nummer eins, Liebling, bin ich wohl gar nichts. Am nächsten Tag war sie beim Anwalt. Einfach so, aus heiterem Himmel. Ich sag noch, he! Du bist die Nummer eins! Du bist die Nummer eins! Aber sie geht schnurstracks zum Anwalt. Merkwürdige Lady.«

Jamie sagte: »Bist du in ner Band oder so?«

»Ich? In ner Combo?« Er nahm einen Schluck aus seiner Dose,

»Die hab ich mal gebraucht gekauft«, sagte er. »Da muß ich wohl ziemlich fertig gewesen sein. Egal, Scheiß drauf. Immerhin paßt sie nicht schlecht. Kennst du n paar Witze?«

»Witze«, sagte Jamie langsam, als gebrauche sie das Wort zum ersten Mal.

»Ja, du weißt schon. Witze. Hahaha.«

» Na klar«, sagte Jamie.

Ein Schwindelgefühl bohrte sich in ihren Kopf und verzog sich wieder. Sie spürte, wie der tote Rauch von zehntausend Zigaretten die Luft verkrustete. Da draußen im gleißenden Licht würde ihnen der Winter in die Lungen stechen, doch hier drinnen trugen sie ein ewig stickiges Zwielicht und, jeder für sich, ihre Erschöpfung mit sich herum. Sie wußte nicht, ob sie gerade aufwachte oder verrückt wurde.

Und Bill Houston sagte: »Wie kommt es, daß den Polen die Eiswürfel ausgegangen sind?«

»Ist das jetzt n Witz?« fragte sie.

Er war gereizt. »Jaa.«

»Okay – wie kommt es, daß den Polen die Eiswürfel ausgegangen sind?«

»Moment mal. Moment. Fragst du mich das jetzt?«

»Scheint so. Die Antwort kenn ich jedenfalls nicht, da kannst du Gift drauf nehmen. Weißt du, was wir jetzt brauchen?« sagte sie. »Eiswürfel.« Sie hatte das Gefühl, daß sie womöglich ein bißchen zu laut lachte.

»He, die Unterhaltung bringt mir langsam richtig Spaß«, sagte er emphatisch. Vor lauter Gefühlsduseligkeit klang seine Stimme ganz belegt.

»Also noch mal: Wieso gibt’s in Polen keine Eiswürfel?«

»Weil sie ausgegangen sind. So weit waren wir doch schon.«

»Nö, eigentlich nicht.« Sie ließ ihren Blick hinaus nach Ohio wandern. Ihre Stimmung schaltete auf Leerlauf. »Es ist bloß so, daß ich einiges von diesem Scheidungskram demnächst selber durchmache.«

»Darfst du nicht zu nah an dich ranlassen. Du stellst dich einfach hin, und egal, was die andern sagen, du sagst immer bloß ja. Dauert nicht lange, und du bist geschieden. Fühlt sich auch nicht viel anders an.«

»Das stell ich mir eigentlich anders vor«, sagte sie.

»Weiß nicht«, meinte er. »Bei mir war’s nicht so. Na ja, nach ner Weile war allerdings das Verheiratetsein für mich ungewohnter als das Geschiedensein.«

»Dazu kommt’s bei mir garantiert nicht. Ich bleib von jetzt an allein.«

»Ja, sag dir das nur immer wieder vor, genau wie ich.«

»Wirst schon sehn. Einmal ist genug. Son Kerl, der sich rumtreibt und fremdgeht, den brauchst du nicht noch mal. Aus. Ende. Vielen Dank.«

»Na ja, gehört schon ne Menge Willenskraft dazu, die ganze Zeit beim selben Fabrikat zu bleiben, ohne jede Abwechslung.«

»Ich bin ja auch beim selben Fabrikat geblieben! Ist mir nicht schwergefallen! Aber dann ist er drei Nächte weggeblieben, und da hab ich gesagt, das war’s. Drei Nächte, das sind genau drei Nächte zuviel, hab ich ihm gesagt. Hab dann auch ziemlich schnell rausgefunden, bei wem er war und wie oft und so weiter. Ich hab ihm gesagt, mich verarschst du nicht so leicht. Und so isses auch. He!« Sie schaute angestrengt geradeaus und versuchte, ihren Blick auf die Dinge in ihrer Nähe scharf zu stellen.

»Wirk ich, als wär ich besoffen?«

Ohne sich eigentlich bewußt dafür oder dagegen entschieden zu haben, war sie auf einmal mit Bill übereingekommen, einen Tag in Pittsburgh zu bleiben und sich mit ihm zusammen die Stadt anzuschauen, ehe sie nach Hershey weiterfuhr, wo sie bei ihrer Schwägerin unterkriechen wollte. Aber kam Hershey nicht vor Pittsburgh? Oder zumindest die Station, wo sie umsteigen mußten, wenn sie nach Hershey wollten? Er wußte es nicht. Sie auch nicht, und es kümmerte sie einen Dreck. Sie saß jetzt seit fünf Tagen in diesem Bus, und nichts konnte ihr gleichgültiger sein. Sollte doch ihre Schwägerin den ganzen Tag und die ganze Nacht am Busbahnhof warten, sollte doch Hershey, Pennsylvania, noch einen Tag länger auf sie warten – schließlich hatte sie schon fünf Tage auf Hershey, Pennsylvania, gewartet.

Sie habe sogar überlegt, sich umzubringen, beichtete sie ihm, mit Sarah Miller, ihrer besten Freundin, die auf derselben High– School in Westvirginia gewesen war. Mit ihr habe sie besprochen, daß sie es genauso wie Marilyn Monroe machen würde. Sie würde den Wohnwagen blitzblank putzen und was Schönes anziehen, vielleicht ihr schwarzes Negligé. Dann würde sie den Revolver von Sarahs Ex-Mann nehmen, und Sarah müßte aufbleiben, bis sie den Schuß hörte, und horchen, ob die Kinder aufwachten. Sie würde sich mitten in den Eingang stellen, damit er sie sofort fand, wenn er spät in der Nacht nach Hause kam, nachdem er fremdgegangen war, auf dem Boden ausgestreckt würde sie daliegen, wie eine dunkle Stoffpuppe,

Aber weißt du, mit wem er es getrieben hat, Bill? Willst du wissen, mit wem? Mit Sarah. Meiner Sarah – dieselbe High-School vor sechs Jahren, dieselbe Klasse, dieselbe kalifornische Wohnwagensiedlung und jetzt auch noch derselbe Liebhaber, alles haargenau dasselbe. Sarah Miller. In der dritten Nacht hatte sie es nämlich einfach nicht mehr ausgehalten, wie er mit ihr umsprang, keine Sekunde länger. Sie war zu Sarah rübergeschlichen, um sich den Revolver zu holen, und da war er, stahl sich gerade aus Sarahs Wohnwagen, um nach Hause zu gehen, und in der Stille quietschte die Tür dermaßen laut, daß sie glaubte, sie wäre es, die da kreischte, Bill, und er sah es, und sie sah es, und Sarah, die in ihrem Schlüpfer in der Tür stand, sah es auch, also wußten sie alle drei, daß die anderen Bescheid wußten, was hier los war. Falls jemand ne Ahnung hat, wie man mit so ner Situation umgeht, soll er mal im Fernsehen auftreten, bei Johnny Carson oder so, und ne Million dafür kassieren. Also war sie abgehauen. Was gab’s da groß zu reden? Bloß noch die Sachen packen, sich möglichst nicht in die Augen gucken und still sein, ganz still, auch wenn Sarah irgendwann kam und an die Tür klopfen wollte, aber wieder wegging, ehe sie sich dazu aufraffen konnte, zweimal sogar; und um halb zehn war dann das Taxi zum Greyhound da, zum neuen Leben; und sie hatte ihn stehenlassen, in der Küche, eine halbe Grapefruit in der Hand.

Alle sahen zu, wie sie an Bill Houstons obszön dekorierter Schulter weinte.

Sie ging nach hinten zur Toilette, um sich zu übergeben. Erst versuchte sie noch Haltung zu bewahren, doch dann stolperte

Und verdammt noch mal, hatte sie nicht ein Recht zu heulen, so wie die Kinder sie wahnsinnig machten, fünf volle Tage in einem Bus, wo das Land hinter den Fenstern vorbeizog wie ein Film? Laß mich gefälligst heulen, oder geh zurück in dein Kloster, du mit der Rose zwischen den Zähnen. Ich kotz hier hin, wenn ich will, ich kotz überhaupt hin, wo ich will, Schätzchen. Ja, lächel ruhig, ich seh doch, was du denkst, die gottverdammte weiße Linie geht mitten durch mich durch, jedesmal wenn ich die Augen zumache, fünf Tage hier in diesem Bus. Na los, lächel. Ich seh doch, du mußt dich zwingen, zu lächeln und immer weiter zu lächeln mit deinem komischen Klosterhut, alle sehn doch, daß du wütend wirst wie jeder andere auch, Nonne oder nicht. Fünf Tage in diesem stinkenden Bus, wie lange bist du hier schon drin? Dein ganzes Leben ist ein Bus dein Kloster ist ein Bus du treibst es mit Priestern und Hausmeistern ich hab alles über dich gelesen auf den medizinischen Seiten der Zeitungen, Lady. Hochmut kommt davor, ich weiß das, Hochmut kommt vor dem Fall, ich brauch nur Flügel, Herr: dann würde ich zusammen mit meinem Hochmut abhauen, und niemand hätte mir mehr was zu sagen, schon gar keine Nonne. Du meinst, ich hab Probleme? Zuckerpüppchen Herzblatt Engel, du hast mehr Probleme damit, dir zu überlegen, was du mit der

 

Die vier Motels, die Jamie bisher erlebt hatte, waren alle Flachbauten gewesen. Sie hatten nicht den Mumm gehabt, sich mitten im verstopften Pittsburgh zu sechs Stockwerken zu bekennen, sondern sich einfach neben Swimmingpools gefläzt, die den Staub vorbeifahrender Autos auffingen, und Jamie war es egal, ob das Hotel Magellan ein mieses Hotel war, bevölkert von Flüchtigen, ausgestattet mit zernarbten, abgewohnten Teppichböden und Betten, die nach Kummer rochen. Es war ein Hotel, das war das Wichtigste, und es lag nur sieben Straßen entfernt vom Goldenen Triangle mit seinen hohen Bauten, die aussahen, als würden sie jeden Moment von der Erde abheben. Es ging bergauf mit ihr. Dabei war es erst sechzehn Tage her, daß sie ihren Mann verlassen hatte. Sie fand, es wäre ganz schön, wenn sie ein Auto hätten.

»Ein Auto«, sagte Bill Houston. Er stand vor der Badezimmertür, ein Handtuch um die Hüften auf dem Rücken eine gigantische, nackte schwarzhaarige Frau; die hatte er aus Singapur, aus der Zeit, als er dort mit der Navy war. Er hatte Navy-Tätowierungen und Knast-Tätowierungen, und man sah sofort, welche woher stammten, weil die von der Navy bunt und richtig schön, die aus dem Knast dagegen zu undeutlichen schwarzen Flecken verschmiert waren, wie Dreck. Er hatte den Mund offen und den Kopf auf eine Weise vorgereckt, die besagte, daß Jamie lieber nicht mehr davon reden sollte, ein Auto zu kaufen.

»Aber warum nicht?« sagte sie. Sie malte sich vergnügliche

»Jede Menge Busse.« Miranda zerrte Baby Ellen durchs Zimmer und rief: »Guck ma! Baby Ellen kann laufen!« Jamie rettete das Baby und legte es aufs Bett.

»Was denn für eins?« fragte Bill Houston. »N Chevy vielleicht oder was?«

»N Chevy wär gut. N Chevy wär toll, oder n Ford. Oder was du gern hättest, Bill.« Immerhin war es sein Geld.

Er nahm das Handtuch von den Hüften und fing an, sich die Haare trocken zu rubbeln. »Ach ja? Na, dann hab ich ne Überraschung für dich«, sagte er, und sie fragte, was denn für eine, aber er wollte es ihr nicht verraten. Er setzte sich aufs Bett zu Baby Ellen, die angestrengt den Kopf hob, so daß ihr Hals zitterte, und ihn unsicher anstarrte. Bill Houston stierte ausdruckslos zurück. Aus einem Nachbarzimmer drang einen Augenblick lang das laute Geplärr des Fernsehers, das gleich darauf in ein leises Gemurmel überging. Ein Häufchen Speichelblasen erschien zwischen Baby Ellens gespitzten Lippen. »Sie sieht immer aus, als hätte sie endlich irgendwas ganz Wichtiges kapiert«, sagte Bill Houston. »Aber dann sabbert sie sich doch bloß wieder von oben bis unten voll.« Er stand auf und blickte abwesend im Zimmer umher. »Ich hab ungefähr noch zweihundert übrig, das ist die Überraschung«, sagte er.

»Oh«, sagte Jamie. »Das ist ja nicht grad n Vermögen.«

Bill Houston kramte in der Kommode nach Anziehsachen.

»Also, zweihundert Eier, dafür kriegst du vielleicht n Teil von nem halbwegs anständigen Wagen. Oder du gehst zu sonem Schleimscheißer wie denen im Fernsehen und läßt dir ne Schrottkarre andrehen, die dich endgültig ruiniert.« Er zog

»Oh.« Sie setzte sich aufs Bett. Es tat ihr schon leid, überhaupt davon angefangen zu haben.

»Aber du könntest für das Geld auch was zu essen besorgen, falls du zu den Leuten gehörst, die ab und zu mal Hunger haben«, fuhr er fort. »Hast du manchmal Hunger?«

»Ich hab Hunger«, sagte Miranda.

»Du bist still. Mit dir red ich jetzt gar nicht. Du hast dein Mittagessen vor ner halben Stunde gehabt.«

»Psst, Liebling«, sagte Jamie zu Miranda. Sie streckte die Hand nach dem Kind aus, vielleicht, um es in den Arm zu nehmen oder ihm die Haare zu flechten. »Okay. Was hast du heute noch so alles vor?« fragte sie Bill Houston leichthin.

»Wechsel jetzt bloß nicht das Thema«, sagte er. »Ich hatte zweitausenddreihundert. Zweihundert hab ich noch. Und ich würd wirklich gern mal eines wissen – wo zum Teufel ist das alles geblieben?« Er zog den Bauch ein und zurrte den Gürtel fest.

Natürlich war Pittsburgh kälter und öder als Oakland, aber schmutziger war es nicht. Was dieser Stadt im Gegensatz zu Oakland fehlte, war ein Himmel. Am Tag sah es hier aus, als wäre die Sonne mit alten Zeitungen überklebt, und nach Einbruch der Dunkelheit endete das Universum zwei Meter über der höchsten Straßenlampe. In Pittsburgh gab es keine Morgenröte und keine Sonnenuntergänge; es gab kein Firmament, an dem sie hätten erscheinen können.

An diesem Abend waren die Geschäfte in der Irvine Street noch offen. Sie warfen immerhin so viel Licht auf die Bürgersteige, daß Jamie beinahe Farben unterscheiden und den Leuten Freuden und Sorgen vom Gesicht ablesen konnte. Sie versuchte, es in vollen Zügen zu genießen: Wußte sie doch, daß die

Fratzenhafte Wasserspeier ragten überall aus den Mauern hervor. Sie gingen unter den Straßenlaternen, zwischen den Lichtkegeln der Scheinwerfer, den Bürgersteig entlang, und Jamie brüllte, um den Verkehrslärm zu übertönen: »Ist mir doch egal, ob es weit weg ist. Laß uns einfach hinfahren. Ich war auch noch nie in Philadelphia. Ich war überhaupt noch nirgends, verdammt.«

»Also wenn du mich fragst«, sagte Bill Houston, »Philadelphia hat rein gar nichts zu bieten.«

»Na, die Freiheitsglocke ist doch wohl was. Oder willst du mir erzählen, daß die nix ist, bloß weil sie in Philadelphia ist und du behauptest, daß Philadelphia nix zu bieten hat?«

»Die Freiheitsglocke ist nix, was man machen kann. Nicht mal was, worüber man reden kann. Red von was anderm.«

»Aber es ist gar nicht so weit bis Philly«, sagte sie. »Und was ist mit unsern Gründervätern?«

Er begann schneller zu gehen, ein Fremder für diese Frau, die jetzt, links von ihm, ein wenig zurückblieb. »Ich würde gern mal das Washington-Monument sehn, das labert nicht so blöd rum. Und ist schön groß. Oder die vier Riesengesichter, die sie aus nem Berg rausgehauen haben. Aber das ist beides weder in Pittsburgh noch in Philly. Das einzige, was es in diesem Staat gibt, ist die Freiheitsglocke – und das ist bloß ne Glocke, kapiert? Eine Glocke.«

»Weit ist es aber nicht«, sagte Jamie noch einmal. »Ich würde so gern mit dir hinfahren und sie mir angucken. Ist wirklich nicht weit. Und es wär patriotisch.«

»Patriotisch war ich schon sechs Jahre in der Scheiß-Navy«, sagte er und krallte die Finger in sein purpurrotes Cowboyhemd.

»Egal, ich find’s viel zu weit weg. Es wär einfach verrückt.«

Eine Weile liefen sie schweigend weiter, dann fragte sie: »He, wieviel hast du denn jetzt überhaupt noch?« – beiläufig, aber auch atemlos, aus der Puste vom schnellen Gehen.

»Ich glaub, hier spielt heute irgendwo ne gute Countryband«, sagte er. »Mann, ich würd gern mal Waylon Jennings sehn. Im Knast hab ich Johnny Cash gesehn, aber Waylon noch nie.«

»Also, vielleicht sollten wir da nicht grad heute abend hingehn«, sagte sie. »Vielleicht sollten wir uns die Band lieber für nen anderen Abend aufheben, hm? Was hältst du davon?«

»Wovon? Was halt ich wovon?«

»Daß wir uns Waylon für nen andern Abend aufheben, Bill?«

»Ich hab gar nicht gesagt, daß Waylon hier spielt. Meinst du etwa, Waylon Jennings würde in einer dieser Pißbuden spielen? Streng mal dein Gehirn an.«

»Ich meinte ja bloß, du hast doch nicht mehr allzuviel übrig, oder? Hast du vorhin das Hotel bezahlt? Ich dachte, du hättest bez-«

»Ach so. Für jeden Tag einzeln?«

»Das Wichtigste, was du jetzt tun kannst«, sagte er, »ist den Mund halten.«

»Oh. Äh – okay.« Sie wandte den Blick von seinen wippenden Schultern und sah zur Straße. Ich verderb uns grad den Abend.

»Ich glaub, ich hab noch hundertzehn. So was um den Dreh«, sagte Bill Houston.

»Aha«, sagte sie und bemühte sich, zu ihm aufzuschließen, um ihm ins Gesicht zu sehen. »Dann gehn wir vielleicht jetzt nach Hause«, sagte sie. »Wenn dir das lieber ist – also mir ist es recht. Wir müssen ja nicht jeden Abend rumziehn.«

»Nein. Komm, wir gehn noch mal eben kurz hier rein. Und dann nehmen wir den Bus und fahrn zu diesem andern Laden, von dem ich dir erzählt hab.« Plötzlich war er guter Laune. »Nun komm schon! Meinst du etwa, man kann sich mit hundertzehn Piepen in der Tasche keinen schönen Abend machen? Nach Ihnen, treten Sie ein, kleines Fräulein, wir schaukeln das schon.«

Sie machten noch in einigen anderen Kneipen Station; Bill Houston trank viel, und Jamie beobachtete ihn aufmerksam, als versuchte sie, hinter ein Geheimnis zu kommen; nur selten trank sie mit. Sie glaubte, vor Müdigkeit gleich zusammenzubrechen, aber Bill Houston schien jeden Gedanken an das Hotel Magellan verdrängt zu haben. »Hier ist es! Danach haben wir die ganze Zeit gesucht!« sagte er und zeigte auf den Eingang zum Tally Ho Budweiser King of Beers. Im Fenster blinkte ein Neonschild: BUD – BUD – BUD. »Hier bleiben wir.«

»He, Moment mal – das ist nicht das, von dem du erzählt hast.« Sie blieb stehen. »Hier spielt ja nicht mal ne Band oder so. Die haben bloß Budweiser Bier, das ist alles. Wahrscheinlich gibt’s hier nicht mal ne Bar.«

»Du kennst den Schuppen doch gar nicht«, sagte sie.

»Das ist ne schöne Kneipe«, sagte er.

»Da warst du doch noch nie drin.«