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Die Hauptbeteiligten

Charlotte

eine Giraffenfrau voller Sehnsucht

Dominik

steht auf gut aussehende Fußballer

Eva

offizielle Ehefrau von Marcus Schneider

Finn

Rolfs cooler Sohn

Friede

Rolfs Bruder

Gisela

einsame Witwe mit Fußballabneigung

Gustav

genannt Schmidtchen Schleicher und obskures Subjekt der Begierde

Heinrich

ein Rentner voller Selbstgerechtigkeit

Ingrid

eine Haushaltshilfe ohne Skrupel

Jaqueline

12-jähriges Nachbarkind von Tilly mit großem Sachverstand

Jens

ein Totengräber zwischen den Fronten

Julia

Finns Freundin

Klemens

Baggerfahrer, wortkarg, aber mit Tiefgang

Madame Tussaud

Königspudel von Dominik mit unheilvoller Ahnung

Madeleine

Giselas erwachsene Enkelin, der harten Wirklichkeit ausgeliefert

Marcus Schneider

schwarz-gelber Stürmer

Marie

Jens’ Exfreundin, die sich Melody nennt, aber gern Eurydike wäre

Norbert

Ingrids Ehemann, noch skrupelloser

Rolf

ein besorgter Vater und Fan der Schwarz-Gelben

Tilly

Dominiks Tante mit heimlichem Faible für Sexvideos

Udo

Madeleines schlagkräftiger Freund

Ulla

gute Freundin von Gisela und Fußballbesessene

Zippy

entflogener Wellensittich mit Seltenheitswert

00:00 – 01:00

Der Sohn kann nicht schlafen

Winfried Thamm

„Und am Freitach abends früh inne Falle, fit wie die Äffchen, heißt dat Motto. Ihr müsst die schwindelich spiel’n, die Klötze vonne Oberstadt. Die sind groß und breit, aber lahm wie ’ne Schildkröte. Nich’ bis inne Puppen im Park rumknutschen un’ strubbelich saufen. Noch Fragen?“, hatte ihr Trainer beim letzten Training noch gemahnt.

Jetzt war es nach zwölf und er schlief immer noch nicht. Er starrte die dunkle Zimmerdecke an und wartete auf das nächste Auto. Dann wanderten immer die Scheinwerferlichter als helle Fenster-Vierecke durch sein Zimmer. Erst schmale Streifen, die dann zu breiten Lichtfeldern wuchsen und hinter dem Ikearegal zu verschwinden schienen. Das Dunkel danach war noch schwärzer und er fühlte sich wie ein Held, einsam und stark, in einem abgerockten Motel im weiten Niemandsland, irgendwo im Mittelwesten der Vereinigten Staaten, mit einem Schießeisen neben sich, auf seinen Mörder wartend. So ähnlich hatte er es einmal in einem Film gesehen. Das gefiel ihm.

Er hieß Finn, war sechzehn und konnte nicht einschlafen. Da kam ja auch alles auf einmal: um elf sein Spiel beim FC Lütgendortmund gegen die Oberstädter Spielvereinigung. Allein das Wort „Spielvereinigung“ war schon daneben. Die waren alle auf dem Gymnasium, hatten reiche Väter, mindestens drei Paar Fußballschuhe und die Nasen ziemlich weit oben. Es ging um nichts als die Ehre. Also um alles. Er ging zur Gesamtschule, wie die meisten aus seiner Mannschaft. Finn war Torwart. Er hatte ein bisschen Angst vor dem Ascheplatz. Die Hitze der letzten Tage hatte den Boden ausgedörrt und festgebacken, wie Beton. Er würde sich polstern müssen wie ein Michelin-Männchen. Denn ein ängstlicher Torwart ist immer ein schlechter Torwart.

Sein Vater Rolf konnte zu seinem Spiel nicht mitkommen. Das war auch gut so. Väter mischen sich gerne mal ins Spiel ihrer Söhne. Da war sein Vater keine Ausnahme. Und nichts fand Finn peinlicher als das. Rolf musste ins Geschäft, hatte einen kleinen Laden an der Ecke, zusammen mit Onkel Friedel: Obst, Gemüse, Lebensmittel, abends bis neun als Kiosk offen, damit sie über die Runden kamen, mit Bier, Chips, Zigaretten, Jägermeister und dem, was man im Supermarkt vergessen hatte; und mit sehr nackten Frauen in Heften unterm Ladentisch. Sein Vater wusste nicht, dass Finn das wusste. Er hatte eins, unterm Bett.

Rolf hatte sich bemüht, sich richtig angestrengt, und zwar früh genug und es hatte geklappt, hingehauen, funktioniert. Er hatte sie: zwei Karten, für ihn und seinen Sohn. Für das Spiel der Spiele: Schwarz-Gelb Dortmund gegen Blau-Weiß Gelsenkirchen, um halb vier, Heimspiel. Sie würden den Laden heute früher schließen, in der Stadt zusammen eine Pizza essen und dann zum Stadion fahren, er mit seinem Vater. Die Vorfreude formte seine Züge zu einem breiten Lächeln, ließ die Augen in der Dunkelheit funkeln. An Schlaf war nicht zu denken. Gut, dass er Torwart war und nicht so viel Kondition brauchte. Wenn sie gewinnen, sind sie Deutscher Meister, seine Helden in Schwarz-Gelb. Wenn sie versagen und Bayern gewinnt, war’s das. Knapp daneben ist auch vorbei. Vollpfosten. Aber das durfte nicht passieren. Finn ging in Gedanken noch einmal die Aufstellung durch. Die Abwehr stand, im Sturm fehlte die erste Spitze und die Blau-Weißen hatten den besten Torhüter der Welt. Aber so nah waren sie lange nicht mehr dran gewesen, an der Schale. Die machen heute den Sack zu, bestimmt, hoffte Finn.

Und dann war da noch Julia. Wie kann eine Frau von heute nur Julia heißen. Er hieß ja auch nicht Romeo. Doch für sie würde er sich sofort umtaufen lassen. Er würde sich vor allen zum Narren, zur Lachnummer machen lassen, einen Clown nach dem anderen frühstücken, wenn es ihr nur gefiele. Doch da stand sie nicht drauf. Sie war cool und das wäre voll daneben, out-of-brain, totpeinlich; ein extrem vollkrasses No-go, absolut. So sprach Finn gern, denn das war cool, so cool wie sie. Sie gingen miteinander, schon seit drei Wochen. Seine Kumpel machten schweinische Witze und waren picklig vor Neid. Sie waren Hand in Hand und Arm in Arm, wo sie gingen und standen und saßen, konnten nicht voneinander lassen. Sie küssten sich, auch so richtig, wenn alle dabei waren. Und sie fassten sich an, fast überall, wenn keiner dabei war. Selten genug.

Waren sie mit den anderen zusammen und redeten miteinander, waren sie unbeholfen. Die richtigen Worte fehlten noch, für so viel Gefühl. Und sie wollten ja cool sein. Da sagt man nicht viel, besonders nichts Ehrliches. Oft sagten sie ‚geil‘, doch selten meinten sie es so, redeten über Klamotten, Computerspiele und Downloads der angesagten Bands, peinlich darauf bedacht, ja nicht die falschen cool zu finden. Sie hörten Songs über den gleichen MP3-Player, jeder einen Phone-Knopf im Ohr, ein Zeichen größter Intimität. Waren sie allein, erlebten sie sich anders. Da kamen die Worte, die sie sonst suchten, manchmal, nicht immer. Die Sätze und Geschichten über ihr junges Leben, ihre Familien, ihre Wünsche und Pläne und Träumereien kamen in Bewegung, begannen zu fließen und nahmen sie mit in ihre ganz eigene Sehnsucht nach der Welt der Erwachsenen und nach dem Erleben von Liebe, Drama und Wahnsinn, nach den Abenteuern, die noch auf sie warteten. Wenn es so war, spürte Finn, was das hieß: Glück. Und es sollte nie aufhören.

Bei solch einer Begegnung erzählte er Julia einmal von seiner Mutter. Keinem Anderen hatte er mehr über sie erzählt, als dass sie gestorben sei. Julia gestand er, dass er versuchte nicht an sie zu denken. Meistens ging das ganz gut, in letzter Zeit. Aber als sie vor fünf Jahren so qualvoll vom Krebs gefressen worden war, hatte er nicht gewusst, wohin mit seinem Schmerz. Er hatte Wut daraus gemacht, weil er diese besser kannte als den Schmerz. Manchmal hatte er durchgedreht, getobt, sein Zimmer verwüstet und den Vater angeschrien: „Warum ist sie einfach so abgehauen, einfach so weg!“ Rolf hat ihn dann in die Arme genommen, beruhigt und selbst gezittert vor Trauer. In dieser Zeit hatte er manchmal nachts ins Bett gemacht. Dann war er zusammen mit seinem Vater einmal in der Woche zur Therapie gegangen. Frau Dr. Rose hatte ihnen Hausaufgaben aufgegeben, beiden, Finn und Rolf. Sie sollten alles aufschreiben, was sie wussten, über das Leben mit seiner Mutter und wie sie es gefunden und was sie gefühlt hatten. Oft hatte das sehr weh getan, doch letztlich geholfen. Das hatte sie zusammengeschmiedet, Vater und Sohn.

Als Finn all das Julia an einem dieser glücklichen Nachmittage erzählt hatte, hatte sie weinen müssen. „Das tut mir so leid, oh mein Gott“, hatte sie geschluchzt und ihn an schlechte amerikanische Filme erinnert. „Da hast du schon richtigen Schmerz erlebt und ich kenne das nur aus dem Fernsehen.“ Finn hatte weggeschaut, so hatte er sich für sie geschämt, für seine kleine dumme Freundin Julia. Nach einer Weile hatte sie ihn in den Arm genommen und alles war wieder gut gewesen, fast.

Das sind absolut die falschen Gedanken, wenn man einschlafen will, um morgen fit wie ein Äffchen zu sein, dachte er und musste grinsen.

Er kramte das Pornoheft unter dem Bett hervor und schaltete die Leselampe an. Am besten gefiel ihm „Melody“, sie war so ernst und so schön, diese tiefgründigen Augen und diese glanzroten Lippen, halb geöffnet, mit dem Hauch eines Lächelns. Für ihren Körper brauchte sie einen Waffenschein. Das, was sie da mit diesem Chromstab zwischen ihren gespreizten Beinen tat, passte gar nicht zu ihrer geheimnisvollen Aura, machte Finn aber an, manchmal, heute eher nicht. Dies hier und seine Sehnsucht nach Julia gehörten nicht zusammen, waren getrennte Welten. Schnell packte er das Heft wieder weg und löschte das Licht. Er spürte die Scham auf seinen Wangen, drehte sich weg in das Kissen.

So flossen seine Gedanken und Bilder durch ihn hindurch, nahmen ihn mit in den Schlaf und spülten ihn wieder an den Rand des unbewussten Stromes, nur um ihn wieder in einen neuen Traumwirbel zu spülen:

Finn steht auf der Torlinie und macht sich für den Elfmeter bereit. Die Sturmspitze der Blau-Weißen legt sich den Ball zurecht. Um ihn herum das riesige Oval der Tribünen des Stadions bis zum Horizont, ausverkauft. Achtzigtausend Augenpaare sind auf ihn gerichtet. Es ist so still, als habe jemand den Ton abgedreht. Schräg hinter dem Schützen steht Schneider, Marcus Schneider, sein Idol. Er lächelt ihm zu und zeigt den Daumen nach oben. Der Stürmer der Blau-Weißen läuft an, holt aus zum Schuss, ein kurzes Zögern, Finn wartet, sieht ihm in die Augen. Dann der Schuss, das Leder, im Bogen geschlenzt, will ins rechte Eck, Finns Beine ein Katapult, schleudert ihn im riesigen Satz, im Katzensprung, im Flug mit gedehntem Körper und gestreckten Armen zum Ball. Und mit den Fingerspitzen der linken Hand streift er die Kugel und lenkt sie hauchzart über das Aluminium. Ein Orkan bricht los. Das Stadion brennt. Die Schwarz-Gelben stürzen auf ihn zu, als erster Marcus Schneider. Im wilden Knäuel der Begeisterung fallen sie übereinander und über ihn her, den Helden von Schwarz-Gelb Dortmund. Schneider drückt ihn fest an sich, küsst ihn auf den Hals, auf die Wange und auf den Mund. Küsst ihn feucht und genüsslich, küsst ihn wie sonst nur Julia. Finn wehrt sich drückt ihn weg, will nur weg, schreit: „Hau ab, du Sau!“ Schneider schaut ihn an, ruft: „Aber Finn, Finn …“

„… Finn, Finn, wach auf!“

Als er die Augen öffnete, saß sein Vater an seinem Bett und sah ihn fragend an. „Du hast geschrien. War es wieder so ein Albtraum? Hast du wieder von Mutter geträumt?“ Rolf sah ihn besorgt an.

„Albtraum ja, aber nicht von Mutter.

01:00 – 02:00

Eingesperrt

Silvana Richter

Madame Tussaud lag auf dem Bett und lauschte, den Blick starr auf die Tür geheftet − festgetackert sozusagen. Sie wagte kaum zu blinzeln, aus Angst, den Moment zu verpassen, in dem sich die Klinke nach unten bewegt. „Die hypnotisiert wieder die Tür“, würde diese Frau sagen, bei der Dominik sie manchmal ablieferte und die er Tante Tilly nannte. Eine grässliche Alte, die immer wollte, dass sie sich zu ihr auf die Couch legte, sobald Dominik ihr einen Kuss auf die Schnauze gab und zur Tür hinaus verschwand. Widerwillig, aber ohne Knurren, ertrug Madame Tussaud dann die Umarmungen, die ihr fast die Luft abschnürten, oder das Gewuschel durch ihre Locken und das rhythmische Patschen auf den Kopf, als wäre der ein Tennisball. Wenn sie mal nach draußen gingen, dann immer nur einmal die Straße rauf und runter. Und sobald sie etwas Interessantes entdeckte und stehen blieb, zerrte Tante Tilly sie augenblicklich weiter. Sie hasste diese Tillytage. Lediglich die Schokodinger, die ihr die Frau vorsetzte, machten das ganze erträglich. Und Jacqueline natürlich, die nebenan wohnte und rüberkam, wenn sie durfte. Dann war schon mal ein längerer Spaziergang drin oder sie vergnügten sich mit einem Spiel. Mit ihr klappte auch die Verständigung besser als mit dieser Tante, die sich so komisch bewegte und nicht so recht zu durchschauen war. Wenn Dominik sie dorthin brachte, fragte sie sich, warum er sie so bestrafte und die Angst, dass er nicht mehr zurückkam, überfiel sie jedes Mal aufs Neue. Dann quälte sie die Erinnerung an die Tage, an denen sie sehnsüchtig jedem Zweibeiner ihre Schnauze durch die Gitterstäbe entgegenschoben hatte. Der, der jeden Tag das Futter brachte und mit einem Wasserstrahl den Boden säuberte, kümmerte sich nicht weiter um sie oder die anderen. Aber es kamen auch solche, die nur einmal, dann aber langsam, von Käfig zu Käfigen schritten. Die musste man beeindrucken. Allerdings war das Wie unklar und jeder um sie herum versuchte es auf eine andere Art. Was für ein Getöse! Was für ein Rennen, Springen und Hecheln. Was für eine Enttäuschung, wenn man wieder nicht zu denen gehörte, die rausgeholt wurden. Nein, nie wieder wollte sie dahin zurück!

Madame Tussaud atmete einen Seufzer nach dem anderen aus. Schließlich senkte sie den Kopf aufs Kissen, beobachtete aber weiter die Tür. Manchmal ließ sie sich öffnen, wenn man dagegen drückte … ob sie es erneut probieren sollte? Oder sollte sie Krach machen? Damit hatte sie schon öfter Erfolg gehabt. Tante Tilly drohte dann zwar mit der zusammengerollten Zeitung und Dominik schimpfte. Aber immer noch besser als allein und eingesperrt zu sein. Sie startete einen halbherzigen Versuch. Das Wimmern versickerte nutzlos im Kissen − die Tür rührte sich nicht. Madame Tussaud musste all ihre Selbstbeherrschung zusammennehmen, um nicht vor Wut das Bettzeug zu zerfetzen, zumal plötzlich wieder diese schaurigen Geräusche aus dem Nebenraum kamen. Irgendetwas stimmte nicht. Und diese Hitze war auch nicht normal! Machte einen völlig schwindelig. Wie konnte Dominik sie hier einsperren? Sie würde verdursten, wenn er sich nicht bald um sie kümmerte. Dabei hatte der Tag so schön angefangen. Direkt nach dem Frühstück war er mit ihr im Auto losgefahren. Sie hatte vorne sitzen dürfen, wo die Fenster heruntergekurbelt waren, sodass sie den Kopf in den Fahrtwind recken konnte. Das liebte sie! Noch mehr als das allerdings liebte sie, was sie dann sah, als sie anhielten. Wasser, viel Wasser … ein See! Sie hatte vor Aufregung gar nicht stillhalten können, war aus dem Auto gesprungen, kaum dass er die Tür aufgemacht hatte. Wusch −hinein, dass es spritzte und die Menschen in der Nähe quiekten. Yippie-yi-yo-ki-yay … den Bauch kühlen, Stöckchen fischen, nach Steinen tauchen, planschen, toben, Tropfen aus dem Fell schütteln, sich im Ufersand wälzen und wusch … mit Anlauf alles wieder von vorn. Sie war ständig rein und raus, rein und raus, zuerst allein, dann mit Dominik, später mit Kindern, hin und her, rauf und runter, rein und raus. Pfützen, Bäche, Teiche, ganz egal, Hauptsache nass! Und wenn dann noch Vögel darin schwammen … wow! Das war das Beste überhaupt. Manchmal kam sie ganz nah an sie heran, wenn der Wind günstig stand oder Büsche Deckung boten. Aber Dominik erlaubte nicht, dass sie sich einen packte. Da konnte er richtig böse werden. Schimpfte, drohte. Einmal hatte er ihr sogar den Vogel abgenommen und sie geschlagen. Menschen … waren schwer zu verstehen. Und Manieren besaßen sie auch keine. Selbst die Kleinen oder ängstlichen starrten einem unverfroren in die Augen, und obwohl man sich nicht kannte, steuerten sie schnurstracks auf einen zu. Höflich den Blick abwenden oder im Bogen einer Begegnung ausweichen war ihnen völlig fremd. Man musste sie ständig im Auge behalten, um herauszufinden, was sie von einem wollten, was sie als nächstes vorhatten. Zum Beispiel der Mann, bei dem sie zuerst gelebt hatte, wollte, dass sie Vögel fing. Wenn er ihr das Kommando gab, musste sie loslaufen und die Beute aufscheuchen und holen. Das hatte Spaß gemacht, auch wenn das Fressen miserabel war. Bis zu dem Tag, an dem der Mann sie zu einem Baum führte, einen Strick über einen Ast warf und sie daran aufhängte. „Ende der Jagdsaison!“, hatte er gebrummt und war davon gestapft. Keine Ahnung, wie sie von dort in das Haus mit den vielen Käfigen und anderen Hunden gekommen war. Es hatte sie auch nicht interessiert. Wozu auch? Die Dinge waren geschehen, gestern war gestern, was zählte, war heute. Und an einem dieser Heute-Tage war ER aufgetaucht: Dominik – war von Käfig zu Käfig gegangen, hatte mal hier geguckt, mal dort, war zu ihrem Verschlag zurückgekehrt, stehen geblieben, in die Hocke gegangen. Im Nachbarkäfig hatte sich der Podencorüde gegen das Gitter geworfen und nicht mehr aufgehört zu bellen. Sie dagegen hatte sich manierlich hingesetzt und eine Pfote gehoben.

„He, schau mal Marcus“, hatte er zu dem Mann gerufen, der am Ende des Gangs der englischen Bulldogge eine Grimasse schnitt. „Heute ist unser Jahrestag … der richtige Zeitpunkt, eine Familie zu gründen! Was hältst du von diesem Baby hier?“ Marcus war mit den Händen in den Hosentaschen herangeschlendert, hatte zuerst auf Madame Tussaud herab gestarrt, dann auf Dominik.

„Ein Pudel? Ist nicht dein Ernst …!“

„Wieso? Die sind doch cool!“

„Man, das sind voll die typischen Seniorenhunde, langweilig, dumm, arrogant, hysterisch, verweichlicht − und obendrein noch blöd frisiert.“

„Von Frisur kann bei dem hier ja keine Rede sein … völlig verfilzt, das Fell. Außerdem hatten meine Großeltern in der Gaststätte auch einen Königspudel!“

„Sag ich doch, Seniorenhund.“

Madame Tussaud spürte, dass ihr jemand gegenüber hockte, dessen Interesse an ihr auf sehr fragilen Füßen stand. Jetzt konnte nur noch ein kluger Kopf und Kreativität helfen. Also warf sie sich auf den Rücken − mit einer Demutsgeste war man immer auf der sicheren Seite und man gewann Zeit. Und einer plötzlichen Eingebung folgend, sprang sie auf, suchte auf ihrem Lager nach dem einzigen Spielzeug, das sie besaß und warf es schwungvoll in die Luft. Der Lappen, ein ehemals blau-weiß-gestreiftes T-Shirt, landete genau auf dem Häufchen, das schon seit geraumer Zeit die Fliegen anzog und Ergebnis ihres kargen Reis- und Wassermahls war. Ende − die Trophäe war ruiniert! Enttäuscht schaute sie über die Schulter zu den beiden Männern. Doch die schienen sich prächtig zu amüsieren.

„Jau“, brüllte Marcus und lachte, „Schalke ist mal wieder voll in der Scheiße gelandet!“

Was in einem Tierasyl ganz normal ist, zieht in einer Wohnung strafende Konsequenzen nach sich. Diese Lektion hatte Madame Tussaud schnell gelernt. Sie hüpfte vom Bett, versuchte erneut, die Tür aufzudrücken. Nun war es nicht nur der Durst, der sie quälte. Sie musste raus. Ganz raus. Ganz dringend! Sie schnüffelte den Spalt zwischen Tür und Boden ab. Aber die Geruchsmoleküle zeigten keinerlei Veränderung an. Sie trippelte zurück, entdeckte eine Unterhose unter dem Bett, deren kraftvoller, aber verblassender Duft darauf schließen ließ, dass sie schon eine Weile dort lag. Madame Tussaud packte sie und schüttelte sie tot. Doch statt mit dem Spiel fortzufahren, ließ sie den Stoff fallen. Mit gesenktem Kopf stand sie eine Weile da, die rosa Zunge aus dem Maul hängend, an der Spitze formte sich ein Tropfen Speichel. Sie hechelte. Es war einfach zu heiß, immer noch, obwohl es schon lange dunkel war. Gestern war es auch heiß gewesen. Trotzdem hatte Dominik sie nicht angebrüllt, noch nicht mal, als sie seine Hand ableckte, an der noch ein wenig Fleischsaft klebte. Warum also heute? Nein, also wirklich! Sie wollte jetzt da rein, sofort! Wollte runter auf die Straße. Wollte trinken. Wollte gestreichelt werden. Wollte spielen. Wollte dabei sein, wie immer, auf dem Sofa neben Dominik, neben Marcus. Den mochte sie. Der brachte ihr immer etwas mit. Und jetzt war er da nebenan und sie konnte nicht zu ihm. Seine Stimme war deutlich zu hören, wenn auch mit einem anderen Klang. Nicht so sanft, nicht so freundlich wie sonst. Sie horchte. Was war denn da bloß los? Sie spürte eine Spannung in der Luft, die sie nervös machte. Eine Spannung, die nichts Gutes versprach. Eine Spannung, die von gut nach schlecht gesprungen war in dem Augenblick, als Marcus in die Wohnung getreten war.

Markustage erkannte sie, lange bevor er tatsächlich erschien. Wegen der feinen Veränderungen, die sie dann schon morgens registrieren konnte. Das waren die Tage, an denen Dominik kurz vor dem Aufstehen besonders gut roch …, männlich, glücklich. So wie heute, doch dann …

Ein dumpfer Knall an der Fensterscheibe ließ Madame Tussaud zusammenfahren. Die Tür zum Balkon stand ein Stück offen. Auf dem Boden davor sah sie im Schein der Straßenlaterne etwas liegen. Etwas, dass hin und wieder zuckte. Sie zwängte den Kopf durch den Türspalt. Schnüffelte. Dieser Geruch … Federn, Talg, Milben. Ein Kribbeln schoss ihr in die Glieder. Sie machte einen langen Hals, schob ihren Körper weiter nach vorn, die Tür schwang auf. Ihre Nase verweilte dicht über einem gelb-schwarzen Federknäuel. Ein Vogel! Ihr Herzschlag legte an Tempo zu. Na komm, beweg dich, hüpf auf die Beine, flattere ein bisschen rum, dann macht es mehr Spaß … na los! Sie stupste den Vogel an. Ein Auge öffnete sich, starrte sie an. Madame Tussaud hob erwartungsvoll die Pfote, spannte die Kiefer. Ja, jetzt …!

Hinter ihr flog die Zimmertür auf. Sie fuhr herum und duckte sich, als Dominik auf sie zustürmte. Doch der beachtete sie gar nicht, riss stattdessen etwas unter dem Bett hervor und lief wieder hinaus. Madame Tussaud zögerte einen Moment, blickte zurück auf die blanke Stelle, wo eben noch die Beute lag, beeilte sich dann aber, hinter Dominik her durch die Tür zu kommen.

Die Luft im Nachbarzimmer stank. Sie stank nach Tabak und Alkohol. Aber vor allem stank sie nach Angst und Wut.

„Hier“, schrie Dominik. „Und was mach ich jetzt damit? Das kann ich dann ja wohl alles einstampfen.“ Er schmiss einen Packen Papier auf den Boden.

„Was ist das?“

„Kannst du immer noch kein Englisch? Steht doch da: „New in Town – Purple Puddle Pub“ –sollte eine Überraschung werden. Ha, ha, aber so gut wie deine knallt die natürlich nicht, gratuliere!“

„Du willst eine Kneipe aufmachen? In London? Was ist das denn für eine schwachsinnige Idee? Da ist doch alles voller …”

„Mensch, lies doch weiter! Nicht für Menschen! Für Hunde. Boxer-Bier, Welpen-Milchshakes, Fish-and-Chips-Knochen, Vitamindrinks für läufige Hündinnen, Biokost für übergewichtige Rüden, Kuttel-Leckerlies, Blut-Smoothies …. Engländer sind Exzentriker. Die lieben so was. Ich hab mir schon zig Rezepte überlegt, alle an Madame ausprobiert.“

Madame Tussaud hatte sich vor Marcus hingelegt und auf den Rücken gedreht, damit er sie an ihrer Lieblingsstelle kraulen konnte.

„Mein Gott!“, schrie er so laut, dass sie erschrocken aufsprang und dabei an den rollbaren Couchtisch stieß. „Die blutet ja am Bauch!“

Madame Tussaud schaute verwirrt von Markus zu Dominik, der die Hände vors Gesicht schlug und schluchzte. Gerade, als sie einen Schritt auf ihn zu machte, um den Grund seines merkwürdigen Verhaltens zu ergründen … ein neues Spiel? … stieg ihr ein verführerischer Duft in die Nase. Direkt vor ihr lagen ein paar von den Nüssen, die Dominik ihr gegeben hatte, bevor Markus aufgetaucht war. Sie mussten bei ihrem Zusammenstoß mit dem Couchtisch dort vom Teller gerollt sein. Eilig verschlang sie eine nach der anderen, bevor ein anderer sie ihr streitig machen konnte.

„Das ist Lebensmittelfarbe“, hörte sie Dominiks Stimme über sich. „Das sollte doch der Clou sein: Madame als pinkfarbener Pudel mit Servierhäubchen und Spitzenschürze. Ich musste doch testen, welche Farbe das Fell annimmt.“

Madame Tussaud hatte weiträumig den Boden abgesucht, aber blitzschnell reagiert, als Markus sich eine Handvoll der Nüsse vom Teller nahm: hatte sich vor ihm in Position gebracht, sich hingesetzt, dabei aufgerichtet, die Vorderpfoten auf Brusthöhe angewinkelt, die Augenlider blinzelnd verengt … und Voilà! Mit diesem Trick hatte sie Markus das Leckerliewerfen beigebracht. Klappte immer, auch diesmal. Eine Nuss für sie, eine für ihn, eine für sie, eine …

„Dominik, sei doch vernünftig …“, Madame Tussaud öffnete erwartungsvoll das Maul, doch Marcus beugte sich plötzlich vor und spuckte direkt vor ihr auf den Boden. He, das war ja wie in ihrer Welpenzeit, als Mama für sie und die Geschwister immer das Futter hervorwürgte. Vor Aufregung vergaß sie ganz, dass sie eigentlich Durst hatte und dringend raus musste.

Markus wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. „Sag mal … was hast du denn da für ein ätzendes Zeug gekauft?“

„Schmeckt dir nicht? Schade aber auch!“

Madame Tussaud bemerkte, dass Dominiks Stimme gefährlich zufrieden klang.

„Das ist eine von meinen Kreationen für den Pink Puddle … selbst gesammelte Schafsköttel in Käsepanade und der absolute Renner bei sämtlichen Hunden der Umgebung.“

02:00 – 03:00

Dominik

Heike Wulf

Das war das Ende. Er hatte es in seinen Augen gesehen. Ganz deutlich.

Dominik nahm noch ein Glas Schampus. Einen schönen Abend – eine schöne Nacht wollte er mit ihm verbringen − und jetzt − jetzt war alles vorbei. Tränen schoben sich in seine Augen. Er wischte sie weg.

Madame Tussaud sah ihn erwartungsvoll an, winselte und wedelte. Tänzelte vor ihm her. Mit einem Seufzer nahm er sich die Hundeleine, schnappte sich eine Jacke und ging hinaus in Richtung Bolmke.

Madame Tussaud blieb an jeder Müllhalde stehen, die in den letzten Wochen ein nicht ertragbares Ausmaß angenommen hatten, und steckte ihren Riecher hinein. Dominik zog sie angewidert weg. Seit die blöde Müllabfuhr streikte, war es unerträglich geworden. Und dann diese Hitze. Echt widerlich. Das waren schon fast italienische Verhältnisse.

Italien. Er seufzte. Alles, was er dachte, alle Erinnerung liefen wie ein Wasserstrom in eine Richtung: Marcus.

Letzten Sommer hatten sie sich ein Haus am Meer gemietet, gerade mal 20 Kilometer von Rom entfernt. Marcus hatte sich, um ganz sicher zu gehen, die Haare auf einen Zentimeter kürzen lassen und blondiert. Fantastisch hatte er ausgesehen und mit seiner Armani-Sonnenbrille hatte ihn niemand erkannt. Sie konnten völlig normal, wie ein Liebespaar, miteinander umgehen. Keine Reporter, keine Angst. Außer einmal, da hatte ein kleiner italienischer Junge ein paar Fotos von ihnen beiden gemacht. Sie lagen nackt auf einem schwarz-gelben Handtuch und Madame Tussaud neben ihnen mit einem Fan-Käppi auf. Sie hatten zufällig mitbekommen, dass der Junge Fotos machte. Marcus war zu ihm gegangen und hatte ihm für die Kamera den dreifachen Preis geboten. Der hatte erst ungläubig geschaut, dann aber glücklich eingewilligt.

Es waren zwei traumhafte Wochen gewesen.

Aber jetzt war es vorüber. Ihre Beziehung – ihre Liebe beendet. Marcus würde nicht zurückkommen.

Dabei hatten sie sich bis jetzt so gut arrangiert.

Sicherlich, er war nicht glücklich darüber gewesen, dass sie sich nicht zusammen in der Öffentlichkeit zeigen konnten, aber er hatte es ja von Anfang an gewusst und respektiert. Für Marcus wäre es das Ende der Kariere gewesen. Aber später, danach, wollte er sich outen.

Es war klar, dass das alles ein Ende haben würde.

Genauso wie die getürkte Hochzeit mit Eva. Vermittelt! Wie lächerlich.

In Hamburg gab es doch tatsächlich ein Vermittlungsinstitut für schwule Fußballer. Er hatte einen Lachanfall bekommen, als Marcus ihm das erste Mal davon erzählt hatte.

Jetzt war ihm nur noch nach Heulen zumute.

Er setzte sich auf eine Bank. Es war stockdunkel und er fühlte er sich unwohl. Aber immerhin stank es hier im Wald nicht mehr so.

Madame Tussaud hatte er gleich zu Beginn des Waldes von der Leine gelassen und nun war sie nicht mehr zu sehen. Wo streunte sie nur herum?

Er rief sie mehrmals und endlich kam sie angerannt und sprang ihm gleich auf den Schoß. Normalerweise scheuchte er sie weg, wenn sie mit schlammigen Pfoten ankam, heute war es ihm egal.

Er knuddelte sein Gesicht in ihr weiches Fell und schluchzte: „Marcus, ach Marcus. Du bist mein Leben. Alles hab ich für dich aufgegeben. Alles. Meine Existenz, meine Freunde, meine Identität. Und du? Du verlässt mich.“

Er dachte an ihre erste Begegnung in Essen im El Brasil. Marcus hatte eine Maske aufgehabt. Oft ein Zeichen dafür, dass jemand dahinter steckte, der es sich nicht erlauben konnte, erkannt zu werden. Das „Brasil“ war ein exklusiver Laden. Hier kam nicht jeder rein.

Marcus hatte sich umgeschaut, Dominik gesehen und war gezielt auf ihn zugegangen. Erst hatten sie sich zusammen einen Film angesehen und aneinander rumgespielt − später waren sie in ein Separee verschwunden. Marcus hatte irgendwann seine Maske abgezogen und Dominik hatte es kaum fassen können. Marcus Schneider, Stürmer bei Schwarz-Gelb, Ausnahmetalent und … schwul.

Danach haben sie sich regelmäßig dort getroffen. Nach ein paar Monaten hatte Marcus ihm eine Wohnung in Dortmund gekauft. Angemeldet war sie auf Eva. Die Schein-Ehefrau von Marcus.

Er vergrub sein Gesicht noch tiefer in das Fell seines Pudels und weinte.

Als er wieder hochsah, entdeckte er einen schwarz-gelben Vogel, der sich neben ihm auf der Bank niederließ. Er sah genauer hin.

Hatte er jetzt Halluzinationen? Der sah aus wie ein Wellensittich. Aber die waren doch eigentlich nur gelb-grün. Es gab keine schwarz-gelben Wellensittiche. Zumindest hatte er noch nie einen gesehen. Er scheuchte ihn weg. Schwarz-gelb – er konnte es nicht mehr sehen.

Er musste daran denken, dass Marcus ihm Geld angeboten hatte. Als ob er eine Nutte wäre. Das hatte ihn am meisten verletzt.

120 Jahre war seine Kneipe im Familienbesitz gewesen. 120 Jahre. Seine Mutter sprach kein Wort mehr mit ihm, seine Geschwister hatten sich von ihm abgewandt. Sein Vater würde ihn umbringen, wenn er noch lebte.

Dominik hatte alles verkauft, um mit ihm nach Chelsea zu gehen. Und danach vielleicht auch noch nach Frankreich oder Spanien. Überallhin wäre er ihm gefolgt. Marcus war die Liebe seines Lebens.

Ohne ihn hatte sein Leben keinen Wert mehr.

„Es ist zu gefährlich in London. Es gibt so viele Paparazzi dort. Die Reporter sind dort anders. Denk an Lady Di. Wir können kein Risiko eingehen. Ich bin geliefert, wenn das raus kommt. Es ist aus. Endgültig.“

„Ich warte auf dich“, hatte er geschrien. „Ich hab alles für dich aufgegeben. Ich liebe dich!“

„Es geht nicht. Schluss. Aus. Vorbei!“, hatte Marcus kühl geantwortet.

„Ich hab meine Koffer schon gepackt – den Flug gebucht. Letztens hab ich mir im Internet ein paar zum Verkauf stehende Pubs angesehen. Ich hab schon einem Namen für den Laden: Purple Poodle. Und Madame Tussaud werde ich dann rosa färben. Das wird fantastisch. Die Engländer sind genau das richtige Volk dafür. Die sind so abgefahren. Bitte Marcus. Bitte!“

Er hatte ihn angefleht, geheult, geschrien. Aber Marcus hatte ihn mitleidig angeschaut.

„Brauchst du Geld? Ist es das?“

Er hatte ihn fassungslos angesehen. Dann war Marcus gegangen. Nicht mal die Tür hatte er hinter sich zugemacht. Er war verloren. Marcus hat ihn gedemütigt − verletzt.

„Das wirst du büßen, Marcus, das wirst du mir büßen und wenn es das Letzte ist, was ich auf dieser Welt tun werde!“, hatte er hinter ihm her geschrien.

Aber wie?

Er band Madame Tussaud die Leine um und sie folgte ihm widerspenstig.

Heute Morgen würde er Madame Tussaud bei seiner Tante abgeben. Sie war die Einzige aus seiner Familie, die noch mit ihm sprach. Auf dem Weg konnte er auch noch die Videos in der 24-Std.-Videothek abgeben.

„Stadt der Engel“, bestimmt zwanzigmal hatte er ihn sich schon angeschaut und „Ghost Rider“, das war ein Motorrad-Stuntman, der seine Seele verkauft und in der Gestalt eines feurigen Dämons durch die Nacht jagt. Ein cooler Film. Und auf Nicholas Cage fuhr er ab. Er hatte Ähnlichkeit mit Marcus. Seine Seele würde er jetzt auch verkaufen, wenn er wüsste, wie er sich rächen könnte. Aber ihm würde schon etwas einfallen.

03:00 – 04:00

Heinrich macht sich Gedanken

Achim Albrecht

Es ist nichts Tolles daran, wenn man aus Herne kommt. Es ist auch nichts Tolles daran, wenn man Heinrich heißt. Toll wird es erst dann, wenn man um 03:02 Uhr in einer fahlgrün gekachelten Toilettenzelle sitzt und sich dem Diktat seiner Prostata ergibt, die stillvergnügt vor sich hin wuchert und den Urin in winzige Tropfen portioniert, während der Harndrang eine volle Blase signalisiert. Voll um 23:11 Uhr, voll um 00:28 Uhr, voll um 01:56 Uhr, voll rund um die Uhr.