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About ZERO TO THREE

 

ZERO TO THREE works to ensure all babies and toddlers benefit from the family and community connections critical to their well-being and development. Since 1977, we have advanced the proven power of nurturing relationships by transforming the science of early childhood into helpful resources, practical tools, and responsive policies for millions of parents, professionals and policymakers.

 

Der Übersetzer

 

Prof. Dr. med. Alexander von Gontard ist Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg.

ZERO TO THREE

DC:0–5

Diagnostische Klassifikation seelischer Gesundheit und Entwicklungsstörungen der frühen Kindheit

Übersetzt und mit einem Vorwort von Alexander von Gontard

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Diese Publikation wurde aus dem Englischen übersetzt. Da eine derartige Übersetzung stets mit Schwierigkeiten verbunden ist, können weder die Herausgeber noch die Autoren die vollständige Richtigkeit der übersetzten Texte gewährleisten.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

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This is a translation of »DC:0-5TM. Diagnostic Classification of Mental Health and Developmental Disorders of Infancy and Early Childhood.« Originally published in the United States by ZERO TO THREE: National Center for Infants, Toddlers and Families. Copyright © 2016 ZERO TO THREE

1. Auflage 2019

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-035155-4

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-035156-1

epub:    ISBN 978-3-17-035157-8

mobi:    ISBN 978-3-17-035158-5

Inhalt

 

 

 

  1. Vorwort zur deutschen Übersetzung
  2. Vorwort
  3. Danksagung
  4. Einleitung
  5. Achse I: Klinische Störungen
  6. 1 Neurobiologische Entwicklungsstörungen (Störungen der neuronalen und mentalen Entwicklung)
  7. 1.1 Autismus-Spektrum-Störung
  8. 1.2 Frühe Atypische Autismus-Spektrum-Störung
  9. 1.3 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
  10. 1.4 Überaktivitätsstörung des Kleinkindalters
  11. 1.5 Globale Entwicklungsverzögerung
  12. 1.6 Störung der Sprachentwicklung
  13. 1.7 Entwicklungsbezogene Koordinationsstörung (EKS)
  14. 1.8 Andere neurobiologische Entwicklungsstörungen der frühen Kindheit
  15. 2 Sensorische Verarbeitungsstörungen
  16. 2.1 Sensorische Überreaktivitätsstörung
  17. 2.2 Sensorische Unterreaktivitätsstörung
  18. 2.3 Andere sensorische Verarbeitungsstörungen
  19. 3 Angststörungen
  20. 3.1 Störung mit Trennungsangst
  21. 3.2 Soziale Angststörung (Soziale Phobie)
  22. 3.3 Generalisierte Angststörung
  23. 3.4 Allgemeine Aspekte zu allen Angststörungen
  24. 3.5 Selektiver Mutismus
  25. 3.6 Störung mit Inhibition gegenüber Neuem
  26. 3.7 Andere Angststörungen der frühen Kindheit
  27. 4 Affektive Störungen
  28. 4.1 Depressive Störung der frühen Kindheit
  29. 4.2 Dysregulierte Ärger- und Aggressionsstörung der frühen Kindheit
  30. 4.3 Andere affektive Störung der frühen Kindheit
  31. 5 Zwangsstörungen und verwandte Störungen
  32. 5.1 Zwangsstörung
  33. 5.2 Tourette-Störung
  34. 5.3 Motorische oder vokale Tic-Störung
  35. 5.4 Trichotillomanie
  36. 5.5 Pathologisches Hautzupfen der frühen Kindheit (Dermatotillomanie)
  37. 5.6 Andere Zwangsstörungen und verwandte Störungen
  38. 6 Schlafstörungen
  39. 6.1 Einschlafstörung
  40. 6.2 Durchschlafstörung
  41. 6.3 Partielle Aufwachstörung
  42. 6.4 Albträume der frühen Kindheit
  43. 7 Essstörungen der Kindheit
  44. 7.1 Essstörung mit Überessen
  45. 7.2 Essstörung mit Einschränkung der Nahrungsaufnahme
  46. 7.3 Atypische Essstörung
  47. 8 Schreistörung der frühen Kindheit
  48. 8.1 Exzessive Schreistörung
  49. 8.2 Andere Schlaf-, Ess- und Schreistörungen der frühen Kindheit
  50. 9 Trauma-, Belastungs- und Deprivationsstörungen
  51. 9.1 Posttraumatische Belastungsstörung
  52. 9.2 Anpassungsstörung
  53. 9.3 Komplizierte Trauerstörung der frühen Kindheit
  54. 9.4 Reaktive Bindungsstörung
  55. 9.5 Soziale Bindungsstörung mit Enthemmung
  56. 9.6 Andere Trauma-, Belastungs- und Deprivationsstörung der frühen Kindheit
  57. 10 Beziehungsstörungen
  58. 10.1 Spezifische Beziehungsstörung der frühen Kindheit
  59. Achse II: Beziehungskontext
  60. 11 Beziehungskontext
  61. 11.1 A. Adaptation der Beziehung zwischen Bezugspersonen und dem jungen Kind
  62. 11.2 B. Versorgende Umgebung und Adaptation des jungen Kindes
  63. Achse III: Körperliche Gesundheit und Krankheiten
  64. 12 Körperliche Gesundheit und Krankheiten
  65. Achse IV: Psychosoziale Stressoren
  66. 13 Psychosoziale Stressoren
  67. 13.1 Die »Checkliste der psychosozialen und Umweltstressoren« für das betroffene junge Kind
  68. Achse V: Entwicklungskompetenzen
  69. 14 Entwicklungskompetenzen
  70. 14.1 Tabelle zur Einschätzung der Entwicklungskompetenzen
  71. Anhang
  72. Anhang A.1: Entwicklungsmeilensteine und Kompetenzeinschätzungen
  73. Anhang A. 2: Literatur
  74. Anhang B: Der Revisionsprozess und die Aktualisierung der DC: 0–3R
  75. Anhang C: Taskforce der ZERO TO THREE-Diagnostischen Klassifikation (DC: 0–3) und deren Revision (DC: 0–3R)
  76. Glossar
  77. Literatur
  78. Stichwortverzeichnis

Vorwort zur deutschen Übersetzung

 

 

 

Jetzt liegt sie vor, die deutsche Übersetzung des DC: 0–5 Klassifikationssystems zu psychischen Störungen bei jungen Kindern von Geburt bis zum Alter von fünf Jahren, wie es der Titel ausgedrückt! Ohne Zweifel ist es das beste und umfassendste Klassifikationssystem zur Diagnosestellung in dieser Altersgruppe, das derzeitig zur Verfügung steht.

Die Vorgeschichte dieses wichtigen Unterfangens ist in der Einleitung sowie im Anhang des Manuals ausführlich geschildert und soll deshalb hier nur kurz zusammengefasst werden. Im Jahr 1994 erschien die erste Version als DC: 0–3, d. h. für die Altersgruppe von 0–3 Jahren. Diese erste Version wurde damals von Frau Professor Dr. Dunitz-Scheer und Herrn Professor Dr. Scheer aus Graz mit ihren Mitarbeitern sehr gut übersetzt, erschien 1999 und wurde zu einem wichtigen Meilenstein für die Diagnostik junger Kinder in deutschsprachigen Ländern. Die gelungene Revision der DC: 0–3R erschien 2005 und wurde leider nicht ins Deutsche übersetzt. Dennoch war sie wiederum wegweisend und diente als Grundlage der deutschen AWMF-Leitlinien zu »Psychischen Störungen bei Säuglingen, Klein-und Vorschulkindern«. Somit ist es ein ausgesprochen erfreulicher Schritt, dass nach fast 20 Jahren wieder eine aktuelle deutsche Version erscheint und damit allen interessierten Fachleuten zugänglich ist.

Die diagnostische Klassifikation wurde von der Zero to three-Organisation herausgegeben. Es handelt sich dabei um eine Organisation mit dem Ziel, die seelische Gesundheit junger Kinder in Klinik und Wissenschaft zu fördern. Sie wurde 1977 als nationale, Non-Profit-Organisation von multiprofessionellen Fachleuten für psychische Belange von Säuglingen und Kleinkindern in den Vereinigten Staaten gegründet. Eines ihrer vielen Projekte ist die Entwicklung dieses Klassifikationssystems für junge Kinder, das international weit verbreitet ist. Das Ziel dabei war es, eine international akzeptierte Grundlage zur einheitlichen Diagnosestellung von psychischen Störungen mit klar definierten Begriffen zu schaffen, die den klinischen und wissenschaftlichen Austausch erleichtern und fördern können. Auch sollte sie als Grundlage für weitere Studien dienen können.

Wozu wird die DC: 0–5 benötigt?

Dazu gibt es verschiedene Gründe: zum einen sind psychische Störungen bei jungen Kindern genauso häufig wie bei Schulkindern und Jugendlichen. Nach vielen Studien sind 10% bis 15% aller jungen Kinder von psychischen Störungen mit klinischer Relevanz und Beeinträchtigung betroffen. Der zweite Grund ist, dass diese Störungen vielgestaltig sind und auch in diesem Alter exakt diagnostiziert und behandelt werden können. Weiterhin unterliegen psychische Störungen einer Entwicklungsdynamik und weisen eine alterstypische Symptomatik auf, die nicht sensibel genug von den ICD-10- und DSM-5-Klassifikationen erfasst werden. Und schließlich ist das junge Kind noch viel intensiver als ältere Kinder und Jugendliche in einem Beziehungskontext eingebunden: Die Beziehung zu seinen Bezugspersonen muss deshalb viel detaillierter berücksichtigt werden als zu einem späteren Alter. Alle diese Aspekte werden bei der DC: 0–5 hervorragend berücksichtigt.

Was ist die DC: 0–5?

Die DC: 0–5 ist ein Klassifikationssystem, das in Ergänzung mit der ICD-10 und/oder der DSM-5 verwendet werden sollte; d. h. es ersetzt die klassischen Systeme nicht.

Obwohl viele Verhaltenssymptome dimensional verteilt sind, lassen sich Syndrome mit spezifischen Verhaltenssymptomen nach Häufigkeit, Intensität, Verlauf und Beeinträchtigung empirischen Untersuchungen identifizieren. Diese kategorialen Diagnosen werden in der DC: 0–5 definiert und ermöglichen klinisch wichtige Weichenstellungen, nämlich ob eine Intervention notwendig ist, ob nur eine Beratung ausreicht oder eine Behandlung in Betracht gezogen werden sollte. Von daher haben kategoriale Diagnosen eine hohe klinische Relevanz, indem sie klinisch relevante Fälle von subklinischen Symptomen unterscheiden.

Die Autoren der DC: 0–5 betonen, dass eine ausführliche Diagnostik immer die Grundlage einer Diagnosestellung darstellt. Erst nach einer sorgfältigen Abklärung ist es möglich, überhaupt eine Diagnose zu stellen. Sie betonen auch, dass eine Diagnosestellung an sich für weitere Entscheidungen nicht ausreicht und wollen deshalb einem mechanistischen Vorgehen vorbeugen. Die Diagnose ist ein wichtiger Baustein in der sogenannten Fallformulierung (im Englischen: »Formulation«), ein Begriff, der im Deutschen nicht so gebräuchlich ist, aber vom Inhalt her in der klinischen Praxis selbstverständlich sein sollte. Mit der Diagnose werden weitere Informationen zusammengetragen, erste Hypothesen aufgrund verschiedener Modelle aufgestellt und eine differenzielle Therapieindikation gestellt. In einfachen Worten ausgedrückt: Auf der Basis der Diagnose und eines fundierten Verständnisses des Falls wird entschieden, welche Therapieform in welcher Intensität, in welchem Setting für dieses Kind in dieser Familie zu dem jetzigen Zeitpunkt am wirksamsten und geeignetsten ist.

Die DC: 0–5 ist natürlich kein Lehrbuch, sondern ein Klassifikationssystem. Um die aktuellen wissenschaftlichen Grundlagen und ihre klinische Umsetzung zu erfahren, darf auf aktuelle Lehrbücher verwiesen werden, zum Beispiel auf das englischsprachige Lehrbuch von Luby (2017) oder das Lehrbuch von von Gontard (2018), das die DC: 0–5 und die neuen Leitlinien berücksichtigt.

Warum ist eine multiaxiale Klassifikation so wichtig?

Schon vor mehreren Jahrzehnten hat man erkannt, dass psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen so komplex sind, dass sie nicht mit einer einzigen Diagnose erfasst werden können, wie es in der somatischen Medizin zum Teil der Fall sein kann. Von daher wurden verschiedene Achsen bzw. Ebenen aufgrund empirischer Forschung und klinischen Konsens beschrieben, die sich nicht überschneiden, aber entscheidend zur Erfassung psychischer Störungen beitragen. Das bekannteste multiaxiale Klassifikationssystem ist die MAS der ICD-10. Auf der ersten Achse der MAS werden psychische Störungen oder Syndrome beschrieben und klassifiziert.

Auch die DC: 0–5 sieht verschiedene Achsen vor, die sich von der MAS der ICD-10 allerdings deutlich unterscheiden. Mit Abstand am wichtigsten ist die Achse I, die wie die MAS die psychischen Kernstörungen definiert. Welche weiteren Achsen in welchem Umfang verwendet werden, obliegt den jeweiligen klinischen Entscheidungen, Bedingungen und Möglichkeiten. Auf die erste Achse sollte aber niemals verzichtet werden!

Welche Veränderungen sind in der DC: 0–5 (im Vergleich zur Vorgängerversion DC: 0–3R) vorgenommen worden?

Zum einen wurde das Altersspektrum von 0–3 Jahren auf 0–5 Jahren erweitert, was sehr sinnvoll ist. Auch die AWMF-Leitlinien fassen ganz analog das gesamte Vorschulalter bis zur Einschulung zusammen. Viele Störungen können in diesem Zeitraum persistieren und in allen Altersgruppen, d. h. bei Säuglingen, Kleinkindern und Kindern bis zum Schuleintritt vorhanden sein. Psychische Störungen im Altersabschnitt von 0–5 Jahren sind sich untereinander ähnlicher als bei älteren Kindern und Jugendlichen. D. h. es macht entwicklungspsychopathologisch Sinn, die Störungen des Säuglings-, des Kleinkind- und des Vorschulalters zusammen zu betrachten.

Zum weiteren wurde deutlich, dass manche Störungen nicht nach einem asymptomatischen Verlauf plötzlich von einem Tag zum anderen zu einem definierten Alter beginnen. Stattdessen gibt es Vorläuferstörungen, die schon früher, zum Teil mit leicht unterschiedlicher Symptomatik beginnen und durch deren Diagnose eine frühe Intervention ermöglicht wird. Beispiele hierfür sind die »Überaktivitätsstörung des Kleinkindalters«, die im Alter von 2–3 Jahren genau vor Beginn einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diagnostiziert werden kann. Wie der Name es ausdrückt, steht die motorische Überaktivität und nicht das Aufmerksamkeitsdefizit im Vordergrund. Ganz ähnlich beschreibt die »Frühe atypische Autismus-Spektrum-Störung« erste autistische Symptome, die in der Altersspanne von 9 bis 36 Monaten auftreten können, bevor eine volle Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung möglich ist.

Weiterhin wurde die »Spezifische Beziehungsstörung der frühen Kindheit« als eine Störung der Achse I in die DC: 0–5 aufgenommen. Dies ist ein absolutes Novum, nämlich, dass eine Störung zwischen zwei Menschen einen ähnlichen Stellenwert erhält wie andere, Kind immanente Störungen. Wie die Autoren aufzeigen, ist es für die Stellung dieser Diagnose erforderlich, dass das Kind eine deutliche psychische Störung nur im Rahmen einer speziellen Beziehung zeigt – aber nicht übergreifend in allen Kontexten. Auch sollte angemerkt werden, dass diese Diagnose ein Versagen der versorgenden Beziehung mit erheblicher, akuter Gefährdung des Kindes andeutet. Andere, leichtere Irritationen der Beziehung wurden auf der Beziehungsachse II kodiert.

Ferner ist zu begrüßen, dass die DC: 0–5 viele aus DSM-5 und ICD-10 bekannte Störungen (wie zum Beispiel den selektiven Mutismus oder Zwangsstörungen) aufgenommen und mit detaillierten Kriterien für junge Kinder versehen hat. Der klinische Blick wird somit auch auf diese, möglicherweise in der Vergangenheit übersehene Störungen gelenkt. Zum anderen wurden viele neue Störungen definiert, die nochmals die Vielgestalt der möglichen Problembereiche – und auch die Notwendigkeit einer exakten Diagnostik – unterstreichen. So ist es zum Beispiel sehr wichtig, dass die übermäßige Nahrungsaufnahme und Beschäftigung mit dem Essen durch die Diagnose der »Störung des Überessens« gewürdigt wird, da die früh beginnende Adipositas, die im Vergleich zu früheren Jahren zugenommen hat, mit langfristigen gesundheitlichen Risiken verbunden ist.

Welche Aspekte fehlen bzw. welche Änderungen sind weniger positiv bei der DC: 0–5?

Zum einen hat die DC: 0–5, wie oben erwähnt, viele neue Störungen integriert, aber gleichzeitig viele häufige Störungen im Vorschulalter vernachlässigt. Dies betrifft vor allem die externalisierenden Störungen des Sozialverhaltens. Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem Verhalten (ODD) ist an vielen Kliniken eine der Hauptvorstellungsgründe bei jungen Kindern, da sie im Kindergarten und Zuhause durch ihr verweigerndes Verhalten auffällig werden. Die häufige Komorbidität von ODD und ADHS ist mit erheblichen Entwicklungsrisiken verbunden. Daneben kommt auch bei jungen Kindern das Vollbild einer Störung des Sozialverhaltens mit schweren Normverletzungen vor. Es wäre sehr hilfreich, wenn auch für diese häufigen Störungen altersangepasste Kriterien vorliegen würden.

Manche Störungen wurden unverständlicherweise gestrichen. Zum Beispiel wurde die spezifische Phobie, d. h. die umschriebene Furcht vor Objekten, in der DC: 0–3R noch detailliert beschrieben – bei der DC: 0–5 fehlt sie vollkommen. Gerade bei dieser häufigen Störung ist das nicht nachvollziehbar.

Auch der Differenzierungsgrad von Essstörungen mit sechs umschriebenen Subtypen war in der DC: 0–3R größer als in der DC: 0–5. Die praktisch wertvollen Unterscheidungen der Essstörungen waren über viele Jahre therapieleitend. Sie wurden in der DC: 0–5 zu zwei Störungen zusammengefasst, der »Essstörung mit Einschränkung der Nahrungsaufnahme« und der »Atypischen Essstörung«. Dieses Sammelsurium von verschiedenen Essstörungen und -symptomen trägt nicht zu einer Differenzierung bei, die in der Praxis und Klinik gleichwohl für eine gezielte Therapie erforderlich wäre.

Auch wurde bei den Beziehungsstörungen auf die qualitative Einschätzung verzichtet. Während unter der DC: 0–5 eine spezifische Beziehungsstörung der frühen Kindheit durch beziehungsabhängige kindliche Verhaltensauffälligkeiten definiert wird, ist nicht mehr ersichtlich, in welcher Form die Beziehung gestört ist. Bei der DC: 0–3R waren noch folgende Beziehungsstörungen vorgegeben: die überinvolvierte, unterinvolvierte, ängstlich-angespannte, ärgerlich-ablehnende, verbal, körperlich und sexuell misshandelnde Beziehungsstörung. Diese Unterscheidungen machten Sinn, da zum Beispiel die unterinvolvierte Beziehungsstörung nicht nur am häufigsten war, sondern besonders mit elterlicher Depression assoziiert war. Man versteht nicht, warum wieder therapieleitende, bewährte Konzepte aufgegeben wurden.

Zuletzt wurden die Kodierungen (Ziffern) der DC: 0–3R in der DC: 0–5 gestrichen, was zur Dokumentation und für wissenschaftliche Untersuchungen sehr hilfreich war.

Wie kann die DC: 0–5 in Europa verwendet werden?

Die Autoren der DC: 0–5 stammen bis auf wenige Ausnahmen aus den Vereinigten Staaten. Die Versorgungssituation in den USA unterscheidet sich wesentlich von der in vielen europäischen Staaten. Der Zugang zum Gesundheitssystem ist nicht nur regional in den einzelnen Bundesstaaten unterschiedlich, sondern zudem gibt es keine einheitliche Krankenversicherung für alle Familien, sodass es zu deutlichen ökonomisch bedingten Diskrepanzen und Ungleichheiten bei der Krankenversorgung kommt.

In Deutschland findet sich ein weites Versorgungsangebot von Kinder- und Jugendärzten, Kinder- und Jugendpsychiatern, Ambulanzen, Kliniken, Tageskliniken, sozialpädiatrischen Zentren, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Frühe Hilfen, Frühförderstufen und Jugendhilfe, sowie weitere assoziierte Therapeuten. Auch hier gibt es weiterhin eine Unterversorgung gerade bezüglich psychischer Störungen junger Kinder, aber in den letzten Jahren gab es sehr viele positive Entwicklungen.

Auch sind in Europa die MAS der ICD-10 (oder vergleichbare multiaxiale Klassifikationssysteme) eingeführt und zum Beispiel zu Dokumentations- und Abrechnungszwecken vorgeschrieben. Von daher war es wichtig, in Form eigener Leitlinien einen interdisziplinären Konsens zu entwickeln. Die deutschen AWMF-Leitlinien beruhen deshalb auf den Empfehlungen der DC: 0–3R wie auch der ICD-10. Die DC: 0–5 war bei der Verabschiedung der Leitlinien noch nicht erschienen. Es war der ausdrückliche Wunsch der Entwickler der Leitlinien, dass sie in verschiedenen Settings und von verschiedenen Berufsgruppen verwendet werden können. Auch sind in vielen klinischen Bereichen die zeitlichen Ressourcen beschränkt, sodass zum Beispiel die von der DC: 0–5 empfohlene und für 3-5 Stunden mit Sicherheit optimale Abklärung für viele Kinder nicht geleistet werden kann.

Von daher wurde eine umsetzbare Basisdiagnostik beschrieben, die auf vier unverzichtbare Säulen beruht: die Anamnese, der psychopathologische Befund (d. h. die Erfassung der derzeitig beobachtbaren Verhaltenssymptome), die Interaktionsdiagnostik und ein körperlicher Befund. Die Notwendigkeit einer pädiatrischen internistisch-neurologischen Untersuchung jedes Kindes kann nicht häufig genug betont werden, da viele somatische Begleitstörungen gerade in diesem Lebensabschnitt vorkommen und erkannt werden müssen. Diese Basisdiagnostik kann durch strukturierte, standardisierte Instrumente wie Fragebögen, Entwicklung- und Intelligenztests ergänzt werden, wenn indiziert.

Da die ICD-10 so breit in Europa eingeführt ist, wurde empfohlen, dass in jedem Fall eine Diagnose der psychischen Störung, wie auch komorbide Störungen sowohl nach ICD-10 und/oder nach der DC: 0–3R (bzw. jetzt der DC: 0–5) gestellt werden soll. Zusätzlich muss in jedem Fall eine Beziehungsstörung erfasst bzw. ausgeschlossen werden.

Wie alle weiteren Achsen verwendet werden, liegt im Ermessen der jeweiligen Einrichtung bzw. der verantwortlichen Fachperson. In unserer Klinik, zum Beispiel, verwenden wir auch weiterhin bei jungen Kindern alle sechs Achsen der MAS der ICD-10. Die Achse I der DC: 0–5 wird auch in jedem Fall berücksichtigt, wenn sie zutrifft. Dies bedeutet, dass manche Kinder sowohl eine ICD-10- als auch eine DC: 0–5-Diagnose erhalten; manche haben nur eine ICD-10- und manche nur eine DC: 0–5-Diagnose ihrer primären psychischen Störung.

Dabei fällt auf, dass manche Störungen der Achse I der DC: 0–5 eigentlich zu der zweiten Achse der MAS gehören (d. h. den Teilleistungsstörungen der Sprache und Motorik) und manche sogar zu der dritten Achse (d. h. dem kognitiven Niveau wie bei der globalen Entwicklungsverzögerung). Von daher ist es sinnvoll, die bewusst von den AWMF-Leitlinien nicht festgelegten Achsen II-V der DC: 0–5 (bzw. damals der DC: 0–3R) örtlich einheitlich zu regeln. Manche dieser Achsen sind mit Sicherheit sinnvoll, aber in einem vollen Ambulanz- oder Praxisalltag zeitlich nicht umzusetzen. Manche Achsen sind auch nicht validiert, wie zum Beispiel die Achse II (der Beziehungskontext). Dagegen wirken manche Materialien der DC: 0–5 sehr sinnvoll, wie zum Beispiel das Entwicklungsgitter im Anhang C der DC: 0–5.

Zusammengefasst ist das Kernstück der DC: 0–5 die Achse I, die inzwischen wie oben erwähnt auch die spezifische Beziehungsstörung integriert hat. Auf die Achse I sollte deshalb, wie schon erwähnt, niemals verzichtet werden!

Welche Unklarheiten fanden sich bei der Übersetzung?

Als Übersetzer ist man mit einem vorgegebenen Text konfrontiert, der in eine andere Sprache übertragen werden muss. Als Kenner der eigentlich klaren englischen Sprache war ich erstaunt, wie umständlich, verschachtelt und zum Teil gestelzt gerade die einführenden und abschließenden Texte geschrieben waren. Man hatte das Gefühl, als ob sich die Autoren besonders gewählt ausdrücken oder sich besonders absichern wollten. Von daher habe mir ich die Freiheit genommen, lange Sätze in mehrere kleine zu unterteilen, zu straffen und zu kondensieren, ohne den Inhalt dabei zu verändern. Ich hoffe, dass dadurch ein wesentlich lesbarerer Text entstanden ist.

So weit wie möglich habe ich versucht, die Begriffe der deutschen Übersetzung der DSM-5 zu verwenden, an die sich die DC: 0–5 anlehnt. Bei vielen DSM-5-Begriffen war es sinnvoll, bei manchen machte es keinen Sinn. Folgende Begriffe sollen deshalb genauer erläutert werden:

•  »Neurodevelopmental disorders«: Es gibt kein deutschsprachiges Pendant für diese wichtige Gruppe von Störungen. Von der DSM-5 wurde der Begriff »Störung der neuronalen und mentalen Entwicklung« vorgeschlagen, was für den klinischen Alltag einfach zu ungenau und umständlich ist, da es nicht nur um Neurone und Kognitionen geht. Bei diesen früh beginnenden, persistierenden anlagebedingten Störungen des zentralen Nervensystems mit einer deutlichen genetischen Komponente habe ich deshalb einfach den Begriff »neurobiologische Entwicklungsstörungen« gewählt.

•  Zu den unnötigen Wiederholungen der DC: 0–5 gehört es, von »Infant/young child« zu sprechen. Selbstverständlich geht es in diesem Manual um Kinder im Alter von 0–5 Jahren, d. h. auch um Säuglinge. Von daher habe ich kurz den Begriff »junges Kind« gewählt, wenn die gesamte Altersspanne gemeint war. Wenn speziell auf Säuglinge oder auf Kleinkinder hingewiesen wurde, habe ich das entsprechend vermerkt. Um die Diagnosekriterien prägnanter zu gestalten, habe ich meistens nur den Begriff »Kind« verwendet.

•  »Caregiver«, d. h. die versorgende Person des Kindes, wurde durchgängig als »Bezugsperson« übersetzt.

•  Schwierig war auch die Übersetzung des Begriffes »Distress«, der sehr viel mehr impliziert als das Wort Belastung im Deutschen. Emotionales Leid und psychischer Druck sind angedeutet, sodass ich jeweils die beiden Begriffe »Leid und Stress« hierfür gewählt habe.

•  Die »Disinhibited social engagement disorder« wurde von der deutschen DSM-5-Übersetzung als »Soziale Beziehungsstörung mit Enthemmung« übersetzt. Bewusst habe ich den Begriff »Soziale Bindungsstörung mit Enthemmung« gewählt, um keine Verwechslungen mit der spezifischen Beziehungsstörung der frühen Kindheit aufkommen zu lassen. Diese neue Kategorie ist so wichtig, dass sie begrifflich von anderen Störungen abgegrenzt werden sollte.

•  Ferner spricht DC: 0–5 wiederholt von Verzögerungen, obwohl Störungen gemeint sind. Die Unterscheidung ist wichtig, da der Begriff Verzögerung impliziert, dass Kinder bei einem oder mehreren Entwicklungsaspekten normal entwickelnden Kindern hinterherhinken, sie aber irgendwann aufholen werden. Dies ist leider oft nicht der Fall und die Diskrepanzen werden weiterhin vorhanden sein. Dennoch habe ich mich entschlossen, auch weiterhin wie die DC: 0–5 von Verzögerung zu sprechen, obwohl eigentlich eine Störung gemeint ist.

•  Die Berücksichtigung der kulturellen Werte des Kindes und seiner Familie spielt in der DC: 0–5 eine große Rolle. Ich habe in der Übersetzung immer den ethnischen Hintergrund erwähnt, aber auf Hinweise zur Rasse verzichtet, die mir nicht angemessen erschienen.

•  Zur besseren Übersicht wurden die Kapitel in der deutschen Übersetzung durchnummeriert.

•  Ferner wurde zur einheitlichen Gestaltung und besseren Verständnis die Vorbemerkungen bei den Schlaf-, Ess- und Schreistörungen in der deutschen Übersetzung wiederholt aufgeführt (im englischen Original nur ein Mal).

•  Zum Schluss habe ich alle Querverweise überprüft und Flüchtigkeitsfehler ohne spezielle Hinweise korrigiert.

Danksagung

Zu allererst möchte ich mich bei den Autoren der DC: 0–5 bedanken, dass sie uns so ein wichtiges und grundlegendes Werk zur Verfügung gestellt haben. Der Organisation Zero to three ist zu danken, dass sie uns die Übersetzungsgenehmigung ins Deutsche erteilt haben.

Mein Dank gebührt Herrn Dr. Ruprecht Poensgen, der die Bedeutung der DC: 0–5 sofort erkannt, die deutsche Übersetzung aktiv unterstützt, die Rechte organisiert und für eine zügige Veröffentlichung im W. Kohlhammer Verlag gesorgt hat.

Zuletzt möchte ich der Universität des Saarlandes danken, durch die ich im Rahmen eines Forschungssemesters diese Übersetzungsarbeit rasch abschließen konnte.

Ich hoffe sehr, dass dieses Manual in den nächsten Jahren breit in verschiedenen Kontexten eingesetzt wird und zur psychischen Gesundheit junger Kinder und ihrer Familien beitragen wird.

Saarbrücken, Mai 2019

Alexander von Gontard

Literatur

 

Luby JL (Hrsg.) (2017). Handbook of preschool mental health – development, disorders, and treatment (2.Auflage). New York: The Guilford Press.

von Gontard A, Möhler E, Bindt C (2015). Leitlinien zu psychischen Störungen im Säuglings-, Kleinkind- und Vorschulalter (S2k), AWMF Nr.: 028/041, online.

von Gontard A (2018). Psychische Störungen bei Säuglingen, Klein- und Vorschulkindern. Stuttgart: W. Kohlhammer Verlag.

ZERO TO THREE (2005). Diagnostic classification of mental health and developmental disorders of infancy and childhood: Revised edition (DC:0–3R). Washington D.C.: ZERO TO THREE Press.

ZERO TO THREE (2016). Diagnostic classification of mental health and developmental disorders of infancy and childhood: Revised edition (DC:0–5). Washington D.C.: ZERO TO THREE Press.

ZERO TO THREE (1994). Diagnostic classification: 0–3. Diagnostic classification of mental health and developmental disorders of infancy and early childhood. Arlington: National Center for Clinical Infant Programs.

ZERO TO THREE (1999). Diagnostische Klassifikation: 0–3. Seelische Gesundheit und entwicklungsbedingte Störungen bei Säuglingen und Kleinkindern. Wien, New York: Springer.

Vorwort

 

 

 

Die DC: 0–5: Diagnostische Klassifikation seelischer Gesundheit und Entwicklungsstörungen der frühen Kindheit ist eine begrüßenswerte und lange erwartete Anleitung zur Diagnose von psychischen Störungen der frühen Kindheit. Anwender werden erkennen, dass es das zurzeit aktuellste Wissen aus Wissenschaft, klinischer Praxis und zur frühen Kindheitsentwicklung berücksichtigt. Warum ist es ›lange erwartet‹? Als der Vorsitzende des vorherigen DC: 0–3R-Klassifikationssystems, das es ersetzt, kann ich diese Aussage (d. h. ›lange erwartet‹) mit Überzeugung unterstreichen, da unser Wissen zur Erkennung und Behandlung von Störungen der frühesten Kindheit mit großer Geschwindigkeit zunimmt und eine größere Überarbeitung notwendig wurde. Aus diesem Grund sollte die Einleitung zu der DC: 0–5 unbedingt gelesen werden, die die Entwicklung des diagnostischen Klassifikationssystems als Antwort auf neue Erfordernisse, wie auch seine Weiterentwicklung aufzeigt.

Der Leser wird größere Veränderungen entdecken, die nicht nur die Erkennung von neuen evidenzbasierten Syndromen betreffen, sondern auch die erforderliche Erweiterung der Altersspanne auf 3–5 Jahren. Weiterhin findet sich eine zunehmende Betonung des Kontextes der diagnostischen Klassifikation, der so wichtig für die Entwicklung der frühen Kindheit ist. Dies hat die Mitarbeiter der DC: 0–5 dazu bewogen, das multiaxiale System beizubehalten, um die klinischen Diagnosen der Achse I zu ergänzen. Zusätzlich zu dem Beziehungskontext der Achse II umfassen diese die Kontexte die körperliche Gesundheit, psychosoziale Stressoren und die Entwicklungskompetenzen (Achsen II–V).

Eine weitere erwähnenswerte Veränderung bezieht sich auf die Bedeutung der frühen Beziehungen zu Bezugspersonen. Überzeugende neue wissenschaftliche Evidenz zeigt, dass Bindungen im Säuglings- und frühen Kleinkindalter und deren Störungen sich spezifisch in einzelnen Beziehungen äußern. Dies rechtfertigt die Aufnahme der spezifischen Beziehungsstörung als eine klinische Störung der Achse I. Zusätzlich wurde der Abschnitt zum Beziehungskontext der Achse II deutlich erweitert. Sie betont, dass »das Verständnis des Beziehungskontexts bei jeder Abklärung von Säuglingen und jungen Kindern eingeschlossen werden sollte«. Demzufolge wird ein dreistufiges Bewertungsschema (»Stärke«, »keine Sorge« oder »Sorge«) für die Beziehungsqualität für eine oder mehrere Beziehungen (Teil A) und für die weitere versorgende Umgebung (Teil B) zur Verfügung gestellt. Die Beurteilung des Umgebungskontextes wurde entwickelt, um den Einfluss von Ko-Elternschaft, Geschwistern oder anderen wichtigen Beziehungen bei der Entwicklung des Kindes zu verstehen.

In diesem Vorwort ist es wichtig sich zu vergegenwärtigen, was eine diagnostische Klassifikation beinhaltet und was nicht. Diagnostische Klassifikation dient professioneller Kommunikation, basierend auf dem Wissen aus Forschung und klinischer Praxis zu psychischen Störungen. Sie ist eine deskriptive Beschreibung von Syndromen und Symptomen, die Belastungen und Funktionseinschränkungen nach sich ziehen. Ein System der diagnostischen Klassifikation ist kein »Lehrbuch«, und erst recht ist es keine »Bibel« für Kliniker und andere Fachleute, wie es manchmal dargestellt wird. Wie alle Kliniker wissen, klassifizieren sie Störungen, nicht Individuen. In Bezug auf einzelne Personen ist es die Hauptaufgabe des Klinikers, ein diagnostisches Klassifikationssystem als einen wichtigen Schritt in dem weiteren Prozess der Fallformulierung zu verwenden. Dies umfasst die Anwendung des Wissens der Störungsklassifikation bei einem sich entwickelnden Individuum in seinen spezifischen Lebenszusammenhängen. Es beinhaltet auch die Formulierung der Notwendigkeit einer weiteren Abklärung (oder auch nicht) und die Therapieplanung für weitere Interventionen (oder auch nicht). Die Diagnostik umfasst eine sorgfältige Anamnese mit den versorgenden Personen, direkte Beobachtungen, klinisches Einfühlungsvermögen und ganzheitliche Einschätzungen der Verhaltensmuster und Erfahrungen des Kindes. Obwohl die DC: 0–5 im Vergleich zu anderen Klassifikationssystemen noch weitere Hinweise zur Abklärung von Kontexten in ihren Achsen II–V zur Verfügung stellt, stellt sie keine Leitlinie oder Manual für klinische Fallformulierungen dar.

Es war nicht beabsichtigt, dass die DC:0–5 mit anderen diagnostischen Klassifikationen des Diagnostischen und statistischen Manuals psychischer Störungen (DSM-5; American Psychiatric Association, 2013) oder der Internationalen Klassifikation von Krankheiten(ICD-10; Weltgesundheitsorganisation, 1992) konkurriert. Sie wurde entwickelt, da die derzeitigen Versionen der DSM-5 und ICD-10 nicht adäquat die Syndrome der frühen Kindheit erfassen – Syndrome, die in der klinischen Praxis vorkommen und die dringende Aufmerksamkeit und Präventionsmaßnahmen erfordern. Obwohl bei manchen Störungen der frühen Kindheit die Pathogenese und Ätiologie bekannt sind, ist dies bei anderen Syndromen nicht der Fall. Dennoch benötigen auch diese Syndrome Interventionen und weitere Forschung. Auch ist es wichtig sich daran zu erinnern, dass die zunehmende Forschungslage zeigt, dass frühe adaptive Erfahrungen sowie ihre Störungen und Widrigkeiten einen deutlichen Entwicklungseinfluss über die gesamte Lebensspanne haben. Zusätzlich wird die Ergänzung der DC: 0–5 zu der DSM-5 und der ICD-10 durch entsprechende Verknüpfungen betont. Es ist zu wünschen, dass dadurch in der Zukunft Störungen des Säuglingsalters und der frühen Kindheit innerhalb der DSM- und ICD-Systeme eingeschlossen werden.

Wie erwähnt, entwickelt sich das Wissen zur diagnostischen Klassifikation der frühen Kindheit weiter. Die DC: 0–5 hat wesentliche Änderungen vollzogen, die diese Entwicklungen widerspiegeln. Entsprechend finden sich neue Komplexitäten, neue Kriterien, neue Termini und neue Fragestellungen. Derzeitige Verwender der DC: 0–3R mögen sich fragen, welche zusätzliche Ressourcen verfügbar sind zum Verständnis und zur Umsetzung der DC: 0–5. Es ist hilfreich zu wissen, dass die ZERO TO THREE-Webseite, www.zerotothree.org, eine wichtige Ressource ist und für weitere Informationen hinzugezogen werden kann.

Robert N. Emde, MD

Professor für Psychiatrie, Emeritus, University of Colorado School of Medicine

Danksagung

 

 

 

Die Taskforce der Revision der diagnostischen Klassifikation (kurz: Taskforce) dankt Spezialisten zur seelischen Gesundheit in der frühen Kindheit weltweit für ihre Unterstützung, ihre Informationen und Rückmeldungen während der vielen Stadien des Revisionsprozesses. Mehr als zehn Jahre nach der Publikation der Diagnostischen Klassifikation seelischer Gesundheit und Entwicklungsstörungen in der frühen Kindheit, revidierte Ausgabe (DC: 0–3R; ZERO TO THREE, 2005) haben uns Hunderte von Einzelpersonen und viele Gruppen wichtige Ratschläge gegeben, die ihre fundierte Erfahrung widerspiegeln. Alle Beteiligten waren hoch engagiert, die klinische Arbeit mit jungen Kindern und ihren Familien durch eine Aktualisierung der diagnostischen Klassifikation zu verbessern, indem sie aktuelle und evidenzbasierte Kriterien vorschlugen. Wir blicken durch das Engagement dieser Gemeinschaft auf eine hoffnungsvolle Zukunft für vulnerable junge Kinder und ihre Familien weltweit.

Wir sind Einzelpersonen (890 Spezialisten aus sechs Kontinenten) extrem dankbar, die auf die DC: 0–3R Revisionsumfragen im Jahr 2013 geantwortet haben. Die Beteiligten umfassten Kliniker aus einer Vielzahl von Fachrichtungen, sowie Wissenschaftler und Organisatoren im Bereich der frühen Kindheit. Sowohl im Mai 2015 als auch im Oktober 2015 veröffentlichten wir die vorgeschlagenen Revisionen der diagnostischen Kriterien mit der Bitte um Rückmeldung. Wir veranstalteten auch Foren an den ZERO TO THREE-Trainingsinstituten in den Jahren 2013 und 2015 sowie beim Kongress der World Association of Infant Mental Health in Edinburgh, Schottland, in 2017. Wir sind allen sehr dankbar, die uns hervorragende Rückmeldungen gegeben haben.

Besonders möchten wir allen Personen danken, die als Berater der Taskforce gedient haben. Sie haben Literaturübersichten durchgeführt und entscheidende Rückmeldungen gegeben. Wir sind deshalb Kimberly Carpenter, Lauren Franz, Sherika Hill, Kathryn Humphreys, Ivy Giserman Kiss, Shirley Poyau und Timothy Soto dankbar.

Mehrere Einzelpersonen verdienen besondere Anerkennung für ihre konstruktiven Beiträge während des gesamten Prozesses. Ihre außerordentlich wertvolle Rückmeldung haben unsere Bemühungen entscheidend beeinflusst. Wir sind deshalb sehr dankbar: Thomas Anders, Marianne Barton, Zeynep Biringen, Karen Burstein, Irene Chatoor, Roseanne Clark, Anette Copa, Robert Emde, Gil Foley, Janna Hack, Kathleen Hipke, Barbara Howard, Lucy Hudson, Maria Kroupina, Julia Larrieu, Claire Lerner, Connie Lillas, Karlen Lyons-Ruth, James McHale, Lucy Miller, Pia Risholm Mothander, Angela Narayan, Ruth Paris, Jen Perfetti, Julie Ribaudo, Michelle Sarche, Michael Scheeringa, Rebecca Shahmoon-Shanouk, Arieeta Slade, Richard Stedman, Raymond Sturner, Linda Tuchman-Ginsberg, Suzie Tortora, Lauren Wakschlag, Rachel Bryant Waugh, Serena Wieder, Catherine Wright und Paula Zeanah.

Ohne die Unterstützung von ZERO TO THREE, deren Direktor Matthew Melmed und deren Exekutivkomitee, wäre die DC: 0–5: Diagnostische Klassifikation der seelischen Gesundheit und Entwicklungsstörungen der frühen Kindheit (DC: 0–5) nie entstanden.

Wir schulden großen Dank der ehemaligen Taskforce, die die DC: 0–3R (unter dem Vorsitz von Robert Emde) revidiert hat und der ursprünglichen Taskforce, die erstmals die Diagnostische Klassifikation seelischer Gesundheit und Entwicklungsstörungen der frühen Kindheit (DC: 0–3; ZERO TO THREE, 1994; unter dem gemeinsamen Vorsitz von Stanley Greenspan und Serena Wieder) veröffentlicht hat. Den Mitgliedern dieser Gruppen wird ausdrücklich im Anhang C gedankt. Die DC: 0–5 ist ein Produkt und ein Vermächtnis ihrer Pionierarbeit.

Zuletzt möchten wir allen jungen Kindern und ihren Familien danken, die uns so viel beigebracht haben.

Taskforce zur Revision der diagnostischen Klassifikation:

Charles H. Zeanah

Alice Carter

Julie Cohen

Helen Egger

Mary Margret Gleason

Miri Keren

Alicia Lieberman

Kathleen Mulrooney

Cindy Oser

Robert Emde, Sonderberater

Einleitung

 

 

 

Die DC: 0–5: Diagnostische Klassifikation seelischer Gesundheit und Entwicklungsstörungen der frühen Kindheit (DC: 0–5) ist Ausdruck der Bemühung, die vorherigen nosologischen Versionen von Störung der frühen Kindheit zu aktualisieren und zu ergänzen. Diese Vorgängerversionen waren die Diagnostische Klassifikation seelischer Gesundheit und Entwicklungsstörungen der frühen Kindheit (DC: 0–3; ZERO TO THREE, 1994) und die Diagnostische Klassifikation seelischer Gesundheit und Entwicklungsstörungen der frühen Kindheit, revidierte Ausgabe (DC: 0–3R; ZERO TO THREE, 2005). Die Revisionstaskforce zur diagnostischen Klassifikation der ZERO TO THREE (kurz: Taskforce) verbrachte mehr als drei Jahre für diese Neuauflage. Das Manual auf den neuesten Stand zu bringen stellte einen akribischen Prozess dar, der die zunehmende empirische Evidenz sowie die theoretischen und klinischen Fortschritte berücksichtigte. Andere Nosologien zur seelischen Gesundheit und Entwicklungsstörungen sind vorhanden, einschließlich das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen (5. Aufl.; DSM-5, American Psychiatric Association, 2013) und die Internationale Klassifikation von Krankheiten(10. Aufl.; ICD-10; World Health Organization, 1992). Dennoch sind keine dieser beiden Alternativen optimal für klinische Definitionen von Störungen der frühen Kindheit geeignet.

Es besteht kein Zweifel daran, dass die empirischen Grundlagen zu Störungen der frühen Kindheit dem Wissen zu Störungen bei älteren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen hinterherhinken. Dennoch wurde eine zunehmende Zahl von Studien bei jungen Kindern durchgeführt, einschließlich epidemiologischer und Langzeitstudien. Die Taskforce hat sich intensiv auf diese empirischen Grundlagen bezogen, als sie diese Nosologie vorbereitete. Natürlich unterscheidet sich die empirische Basis von einer Störung zur anderen, wie es bei allen anderen Nosologien auch der Fall ist.

Zusätzlich wurde klinische Erfahrung integriert, um die Kriterien zu formulieren und zu verfeinern. Nachdem 20.000 Kliniker weltweit zur DC: 0–3R im Jahr 2013 befragt wurden, erhielt die Taskforce 890 ausgefüllte Fragebögen von Klinikern aus sechs Kontinenten zurück mit umfangreichen Kommentaren zu den Störungen und ihren Achsen. Weiterhin wurden vorläufige Kriterien der Störungen im Mai 2015 auf der Website der ZERO TO THREE veröffentlicht. Im Oktober 2015 wurde um weitere Eingaben zu diesen frühen Entwürfen gebeten. Die klinische Erfahrung der Mitglieder der Taskforce wurde ebenfalls bei der Formulierung den Störungsdefinitionen der DC: 0–5 berücksichtigt.

Wir gingen an unsere Aufgabe atheoretisch mit dem Ziel heran, deskriptive Kriterien zur Verfügung zu stellen, die auf Reliabilität und Validität überprüft werden konnten. Dadurch wurde die Notwendigkeit von empirisch nicht bestätigten Folgerungen und Attributionen minimiert, die über die klinische Beobachtung hinausgingen. Wir waren uns einig, dass alle Aspekte der Nosologie, selbst der multiaxiale Zugang nochmals überprüft werden sollten, bevor sie eingeschlossen werden konnten. Wegen der besonderen Bedeutung des Kontextes für die Entwicklung von jungen Kindern wurden alle fünf Achsen der DC: 0–3 und der DC: 0–3R beibehalten, obwohl sie umfassend revidiert und aktualisiert wurden. Achse I definiert zwar die Störungen an sich, aber jede Achse trägt zur klinischen Formulierung bei.

Wir bitten zu beachten, dass wir hohen Respekt vor jedem Säugling, jedem Kleinkind und jedem jungen Kind haben. Aus Gründen der Kürze wird der Begriff Säugling/junges Kind im gesamten Buch verwendet (in der deutschen Ausgabe, kurz: junges Kind oder nur Kind).

Eine Zusammenfassung der Veränderungen von DC: 0–3R zu DC: 0–5

Nach den anfänglichen Übersichten der Literatur, neuen Ergebnissen, klinischen Beiträgen und Diskussionen der Taskforce wurde klar, dass die Revision der DC: 0–3R umfassend sein würde. Viele der Unterschiede der DC: 0–5 (im Vergleich zur DC:0–3R) spezifizieren und klären die Kriterien für die Kategorien der Achse I. Mehrere neue Störungen wurden in der Achse I aufgenommen, während andere Störungen der DC: 0–3R ausgeschlossen wurden. Die Veränderungen der DC: 0–5 umfassen folgende Aspekte:

•  Die neue Auflage enthält Störungen bei jungen Kindern bis zum Alter von fünf Jahren; der neue Titel DC: 0–5 spiegelt diese Veränderungen wider.

•  Die Taskforce hat sich bemüht, die Störungen umfassender zu definieren, anstatt auf andere Nosologien zu verweisen. So wurden weitere, bekannte Störungen der frühen Kindheit aufgenommen, wie Autismus-Spektrum-Störungen und Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen.

•  Die Störungen in Gruppen mit ähnlicher Symptomatik werden auf Achse I zusammengefasst.

•  Jede Störung enthält einen diagnostischen Algorithmus, der erläutert, wie die Kriterien verwendet werden sollten – mit dem Ziel, die Interraterreliabilität zu erhöhen.

•  Altersbegrenzungen und Kriterien zur Dauer wurden, wenn passend, aufgenommen.

•  Fast jede Störung enthält einen Textabschnitt, der beschreibt, was derzeitig zu klinischen Symptomen, Verlauf und anderen Zusammenhängen bekannt ist.

•  Um tatsächliche Störungen von vorübergehenden Verhaltensweisen oder individuellen Unterschieden zu differenzieren, enthält jede Störung Leid, Stress und funktionelle Beeinträchtigung als weitere diagnostische Kriterien.

•  Die DC: 0–5 definiert die Kriterien für mehrere neue Störungen, einschließlich die Frühe atypische Autismus-Spektrum-Störung, die Störung mit Inhibition gegenüber Neuem, die Dysregulierte Ärger- und Aggressionsstörung der frühen Kindheit und die spezifische Beziehungsstörung der frühen Kindheit.

•  Ein neuerer Abschnitt über Sensorische Verarbeitungsstörungen wurde hinzugefügt und enthält die Sensorische Überreaktivitäts-, die Sensorische Unterreaktivitäts- und Andere Störungen der Sensorischen Verarbeitung.

www.zerotothree.org/dc05resources