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Print ISBN 978-3-415-06579-6
E-ISBN 978-3-415-06581-9

© 2019 Richard Boorberg Verlag

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

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Inhalt

Vorwort

Danksagung

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

I. Extremismus als kriminologischer Forschungsgegenstand

1. Extremismus und Terrorismus als gegenwärtiges und zukünftiges Sicherheitsproblem

2. Die Sicherheitsarchitektur in Deutschland

3. Herausforderungen für die Polizei

4. Aufgabe der Kriminologie

4.1 Methoden der Kriminologie

4.2 Zum Umgang mit Statistiken

5. Zusammenfassung

II. Begriffe, Abgrenzungen und Überschneidungen

1. Populismus

2. Radikalismus

3. Extremismus

4. Terrorismus

5. Rassismus

6. Faschismus

7. Fundamentalismus

8. Fanatismus

9. Abgrenzung Terroranschlag und Amoklauf

III. Rechtsextremismus

1. Deutscher Rechtsextremismus

1.1 Historie und Phänomenologie

1.2 Aktuelle Entwicklungen

2. Gruppen, Szenen und Örtlichkeiten

2.1 Parteien

2.1.1 NPD

2.1.2 „Die Rechte“

2.1.3 Der III. Weg

2.1.4 Pro NRW

2.2 Bürger- und Protestbewegungen

2.2.1 PEGIDA

2.2.2 Verdachtsfall: Identitäre Bewegung Deutschland (IBD)

2.2.3 Neue Rechte

2.3 Sonstige gewalttätige Gruppierungen

2.3.1 Combat 18

2.3.2 Autonome Nationalisten (AN)

2.3.3 Oldschool-Society (OSS)

2.3.4 Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU)

3. Ausländischer Rechtsextremismus

3.1 Internationale rechtsextreme Bündnisse

3.2 Die Grauen Wölfe (Bozkurtlar/Ülkücü-Bewegung)

4. Zusammenfassung

IV. Phänomen Reichsbürger und Selbstverwalter

1. Historie und Phänomenologie

2. Aktuelle Entwicklungen

3. Handlungsempfehlungen im Umgang mit Reichsbürgern in Behörden

4. Zusammenfassung

V. Linksextremismus

1. Deutscher Linksextremismus

1.1 Historie und Phänomenologie

1.2 Aktuelle Entwicklungen

2. Gruppen, Szenen und Örtlichkeiten

2.1 Parteien

2.1.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP)

2.1.2 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)

2.2 Bündnisse

2.2.1 Antifaschistische Bündnisse

2.2.2 Autonome

2.3 Sonstige Organisationen

2.3.1 Die „Rote Hilfe“

3. Internationaler und ausländischer Linksextremismus

3.1 Das Phänomen (Bl)Occupy-Bewegung

3.2 Linksextremismus in Europa

3.3 Die PKK und die DHKP-C

4. Zusammenfassung

VI. Islamismus

1. Phänomenologie und Historie

1.1 Islamismus als religiöser Extremismus

1.2 Abgrenzung Islam und Islamismus

1.3 Islamistische Regimes

1.4 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG)

1.5 Hizmet- oder Gülen-Bewegung

1.6 Salafismus

2. Gruppen, Szenen und Örtlichkeiten

2.1 Gewaltverhalten

2.2 Entwicklungen und Gefahrenpotentiale

3. Zusammenfassung

VII. Weitere extremistische Gruppen

1. Scientology

2. Öko-Extremismus

3. Zusammenfassung

VIII. Vergleichende Analysen

1. Antisemitismus

1.1 Rechtsextremismus und Antisemitismus

1.2 Linksextremismus und Antisemitismus

1.3 Islamischer Antisemitismus

2. Viktimologie

2.1 Folgen für unmittelbare und mittelbare Opfer

2.2 Polizeiarbeit mit Opfern extremistischer und terroristischer Gewalt

2.3 Schäden durch Extremismus und Terrorismus

3. Strategie und Taktik im Extremismus/Terrorismus

3.1 Individuelle und gruppendynamische Rekrutierungsstrategien

3.2 Narrative

3.3 Provokation und Kriegserklärung

3.4 Androhen von Handlungen

3.5 Gewalttaten

3.6 Angst und Chaos

4. Propaganda

4.1 Propaganda der Tat

4.2 Stilmittel von Propaganda

4.3 Wirkung von Gewaltpropaganda

5. Rekrutierungsmedien

5.1 Linksextremistische Mediennutzung

5.2 Rechtsextremistische Mediennutzung

5.3 Islamistische Mediennutzung

6. Radikalisierung

6.1 Forschungsstand und wissenschaftliche Ansätze

6.1.1 Faktoren der Radikalisierung

6.1.1.1 Radikalisierung und Jugend

6.1.1.2 Radikalisierung und Geschlecht

6.1.1.3 Orte der Radikalisierung

6.1.2 Argumentation und Rechtfertigung

6.2 Typologien und Profile

6.2.1 Generelle Kriterien für Tätertypologien:

6.2.2 Radikalisierungstypen

7. Wechselwirkungen und Kooperationspotentiale

8. Zusammenfassung

IX. Intervention und Gegenmaßnahmen

1. Kriminal- und Extremismusprävention

1.1 Primäre Prävention

1.2 Sekundäre Prävention

1.3 Tertiäre Prävention und Deradikalisierung

1.4 Extremismusprävention auf dem Prüfstand

2. Kriminalprognose

2.1 Prognosearten

2.2 Kriminalitätsvorhersage (Predictive Policing)

2.3 Einstufung und Gefährdungsbewertung

2.4 Früherkennung

3. Einsatz-, Ermittlungs- und Bekämpfungsstrategien

3.1 Erkennen von Attentätern

3.2 Bewältigung der Einsatzlagen BOS

3.3 Ermittlungen unter Zunahme der Kriminologischen Einzelfallanalyse (KEA)

3.4 Ermittlungen in sozialen Netzwerken

3.5 Bekämpfungsfokus Finanzierung

3.5.1 Finanzierungsbedarf

3.5.2 Finanzierungsstrategien

3.5.3 Finanzierungsbekämpfung

3.6 Bewertung: Chancen und Grenzen polizeilicher Arbeit

X. Schlusskapitel

1. Ausblick

1.1 Kriminologische Forschungsbedarfe

1.2 Kriminalpolitische und gesellschaftliche Ansätze

2. Fazit

XI. Personen- und Stichwortverzeichnis

XII. Quellenverzeichnis

Extremismus und Radikalisierung

Kriminologisches Handbuch zur aktuellen Sicherheitslage

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Fachhochschule für öffentliche Verwaltung
Nordrhein-Westfalen
Außenstelle Mülheim a. d. R.

 

 

 

 

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gewidmet

all denen, die täglich dafür arbeiten,

um uns zu schützen

Vorwort

„Die größte wissenschaftliche Tragödie:

Wenn eine häßliche Tatsache eine schöne Theorie ermordet.“

Thomas Henry Huxley (1825 – 1895)

Politischer und religiöser Extremismus sind in den letzten Jahren zu Kernproblemen der deutschen Sicherheitsbehörden geworden. Während sich die Phänomene vor allem unterscheiden und auch gegenseitig bekämpfen, ist ihnen gemein, dass sie sich vor allem über Anti-Haltungen definieren: Extremisten sind in erster Linie dagegen. Gegen Ausländer, gegen Globalisierung, gegen westliche Werte, etc. Aus dieser Antihaltung entwickeln sich der Wille zum Protest und vor allem der Wille zur Beseitigung alles dessen, was als falsch verstanden wird. Die Beseitigung muss jeweils konsequent und komplett sein. Entsprechend sind alle Mittel erlaubt.

Allen extremistischen Bestrebungen ist gemein, dass sie sich gegen den Staat und gegen demokratische Grundprinzipien richten. Insbesondere der Gleichheitsgrundsatz wird von sämtlichen extremistischen Strömungen abgelehnt und die eigene ideologische Ausrichtung über die bestehenden Rechte des Gegenübers gestellt. Terroristen gehen noch einen Schritt weiter und stellen das eigene Leben unter ihre Ideologie und sind nicht nur bereit, ihr ganzes Handeln danach auszurichten, sondern mitunter auch ihr Leben dafür zu opfern. Der vernichtende Hass, die grenzenlose Brutalität und der Umstand, dass sich sogar junge Menschen, teilweise schon im Kindesalter, solchen Ideologien verschreiben, wirft die Frage nach Gründen für diese Entwicklung auf.

Journalisten1, Psychologen, Soziologen, Ethnologen, Pädagogen, Verhaltens- und Konfliktforscher mühen sich, Phänomene von Extremismus und Terrorismus zu ergründen und Gegenstrategien zu finden. Was sind die Ursachen? Armut oder Überfluss? Zu strenge oder zu lasche Erziehung? Zu viel oder zu wenig Religion? Was ist mit psychologischen Aspekten? Kann fanatische Gewalt seine Ursache in einem Krankheitsbild haben? Und wie soll man den Terrorismus bekämpfen? Mit präventiven Maßnahmen, mit mehr Toleranz und Zugeständnissen oder mit strengeren Gesetzen und repressiven Strategien? Mit offenen oder überwachten Grenzen? Mit Bildung und Erziehung oder harten Sanktionen und Ausweisung?

Die Ursachen von Kriminalitätsformen zu erforschen und die Phänomene interdisziplinär darzustellen, ist originäre Aufgabe der Kriminologie, unter Hinzunahme der erforderlichen Geistes-, Rechts- und Naturwissenschaften. Tatsächlich war Extremismus in der deutschen Kriminologie bislang jedoch kein Schwerpunkt, hingegen ist die Dimension politikwissenschaftlicher, soziologischer und journalistischer Literatur zu Extremismus und Terrorismus unübersehbar. Der Kriminologe Hans-Joachim Schneider sieht diesen Umstand u. a. darin begründet, dass auf Ideologien basierte Kriminalität von Kriminologen als zu spekulativ und zu abhängig vom jeweiligen Staatssystem betrachtet wird.2 Gleichzeitig stellen Extremismus und Terrorismus Kriminalitätsfelder dar, in denen nahezu alle Straftaten verwirklicht werden. Und gerade komplexe Kriminalitätsgefüge verdienen eine fächerübergreifende Betrachtung.

Vorliegendes Handbuch befasst sich entsprechend mit Extremismus und Terrorismus aus kriminologischer und damit interdisziplinärer Perspektive. Es richtet sich in erster Linie an die Angehörigen von Sicherheitsbehörden (Polizei, Verfassungsschutz, Zoll, aber auch der Bundeswehr) sowie deren Anwärter und Studenten, die sich mit der umfassenden Materie Extremismus in Deutschland auseinandersetzen müssen. Zudem soll es fachlich Interessierten einen Überblick über die aktuelle Situation in Deutschland sowie geschichtliche und gegenwärtige Entwicklungen bieten und grundlegendes Wissen zur Einschätzung von Bedrohungspotentialen vor Ort vermitteln. Dabei handelt es sich aufgrund der dynamischen Entwicklungen um eine gegenwärtige Bestandsaufnahme, die sich in den jeweiligen extremistischen Bereichen sehr schnell anders darstellen kann. Insbesondere die genannten Zahlen verändern und entwickeln sich freilich im Laufe der Zeit.

Werke zu Terrorismus und Extremismus existieren mehr oder weniger aktuell und aus sämtlichen wissenschaftlichen Perspektiven heraus. Meistens liegt der Schwerpunkt auf Extremismus, einer Form des Extremismus oder auf Terrorismus. Ziel des vorliegenden Buches ist es, aus Perspektive der Kriminologie einen fundierten thematischen Überblick zu bieten und eine Basis zu schaffen, die weniger theoriefokussiert, sondern phänomenbezogen ist. Mit dieser Art wissenschaftlicher Erkenntnis soll ein Verständnis der Themenkomplexe Terrorismus und Extremismus ermöglicht werden, das im praktischen Umgang mit deren Akteuren und Strukturen hilfreich ist. Um gegenwärtige Erscheinungen von Extremismus und Terrorismus zu begreifen, müssen ihre Ursprünge, Historien und Entwicklungen verstanden werden. Entsprechend erfolgen Darstellungen und Analysen an zahlreichen Beispielen. Um ein schnelles Nachschlagen zu erleichtern, haben wir bewusst die Form eines Handbuches verwendet. Um das Verständnis auch für komplexere Sachverhalte zu erleichtern, wurden häufiger Modelle und Vergleichstabellen erstellt.

Gerade Terrorismus und Extremismus stehen als politische und gesellschaftsrelevante Themen im öffentlichen Fokus, werden jedoch zuweilen auf Basis von Meinungen behandelt. Jeder Polizist, Journalist und auch jeder Wissenschaftler entwickelt ebenfalls eine eigene Meinung, die durch eigene Erlebnisse, Medienberichte, Gespräche im eigenen soziokulturellen Umfeld und durch diverse Erfahrungen geprägt wird. 100 %ige Objektivität kann niemand gewährleisten. Ein kriminologischer Zugang ermöglicht jedoch eine sachliche und wissensbasierte Annäherung. Gerade diese ist für Angehörige von Sicherheitsbehörden und besonders für seine Anwärter in Ausbildung und Studium unabdingbar. Und auch im Berufsleben kann eine wissenschaftliche Perspektive für eine notwendige Distanz sorgen, die aufgrund aktueller und akuter Entwicklungen nicht immer möglich ist. Auch um diese Distanz zu erzeugen, kann der vorliegende Band hoffentlich einen Beitrag leisten.

Mülheim an der Ruhr im Mai 2019

Dorothee Dienstbühl

Danksagung

Für die vorzügliche Betreuung, seine Geduld und den entspannten Umgang mit zeitlichen Engpässen danke ich ganz besonders Herrn Hans-Jörn Bury vom Richard Boorberg Verlag.

Zu einem fertigen Buch tragen aber nur selten Autor und Verlag allein bei.

Zu diesem Buch hat besonders die Arbeit von Frau Sigrid Herrmann-Marschall beigetragen. Ihr Fachwissen, insbesondere zu islamistischen Szenen und Akteuren in Deutschland, ist beispiellos. Zunächst war das Buch als gemeinsames Projekt geplant. Da sie als Szene-Kennerin entsprechend gefragt ist, konnte sie die letzten Monate nicht die Zeit dafür aufbringen, stand mir aber stets für alle Fragen zur Seite. Ihr Blog3 sei an dieser Stelle jedem empfohlen, der sich aktuell und detailliert über diese Thematik informieren möchte.

Ein ganz besonderer Dank gebührt meinem Mann Stephen Nickel, der mir mit Fachkompetenz, Rat und Tat zur Seite gestanden hat. Ein ganz herzlicher Dank für seine kollegiale und freundschaftliche Hilfe geht an Herrn Prof. Dr. Stefan Piasecki, der insbesondere bei dem Forschungsüberblick fachkundig und souverän durch den Literaturdschungel geführt hat. Herzlich bedanken möchte ich mich an dieser Stelle auch bei Frau Nadja Sommer, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Fortschritte der Arbeit in Augenschein zu nehmen und Impulse aus sozialen Behörden für die Thematik zu geben. Weiter möchte ich mich bei Herrn Regierungsdirektor Dr. Andreas Schwegel (LKA Niedersachsen) bedanken, dessen Freundschaft und stetiger Impuls ursächlich für die Entstehung so vieler Publikationen und nicht zuletzt meines Forschungsschwerpunktes war. Für seine Expertise und Ideen zum Aufbau danke ich zudem Herrn KOK André Balthasar. Für sehr praktische Hinweise und den unkomplizierten Austausch bedanke ich mich herzlich bei Frau POK’in Tania Kambouri und Herrn Burak Yilmaz (HeRoes Duisburg).

Zudem bedanke ich mich bei all den Polizeibeamten, mit denen ich mich in den unterschiedlichsten Seminaren austauschen konnte (v. a. an der Bundespolizeiakademie in Lübeck, bei der Bereitschaftspolizei Niedersachsen, im Schloss Gimborn mit Polizisten aus diversen Ländern, Verbindungsbeamten aus NRW und Niedersachsen und vielen weiteren).

Auch möchte ich mich bei meinen Mülheimer Bachelorstudenten des Studienganges PVD an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW bedanken, bei denen ich Kriminologie unterrichtet habe, nämlich die Kurse MH 15/01, 15/02, 15/03 und 15/04, MH 16/01, 16/02, 16/54 und 16/55, MH 17/01, 17/02, 17/03, 17/04 und 17/58 sowie den Teilnehmern des Proseminars Extremismus in den EJ 2016 und 2017 am Standort Mülheim an der Ruhr. In all den Kursstunden mit ihnen sind die ein oder anderen Einfälle für das Buch entstanden – oder aber im Geiste wieder gestrichen worden, wenn ich feststellen musste, dass ich damit dann doch den Rahmen des Buches sprengen würde.

Abkürzungsverzeichnis

a. a. O.

am angegebenen Ort

Abb.

Abbildung

Abs.

Absatz

AJK

Arbeitskreis Junger Kriminologen

ALN

Aliança Libertadora Nacional

AK

Arbeitskreis

Allg. M.

allgemeine Meinung

Alt.

Alternativ

APO

Außerparlamentarische Opposition

APuZ

Aus Politik und Zeitgeschichte

AQAP

Al Qaida Arabian Peninsula

Art.

Artikel

AZ

Aktenzeichen

BAMF

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

BAO

Besondere Aufbauorganisation

Bd.

Band

BDK

Bund Deutscher Kriminalbeamter

BePo

Bereitschaftspolizei

BfV

Bundesamt für Verfassungsschutz

BGBl

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHSt

Entscheidungen des Bundesgerichthofes in Strafsachen (amtliche Sammlung) (zitiert nach Band und Seite)

BGS

Bundesgrenzschutz

BGSG

Bundesgrenzschutzgesetz

BKA

Bundeskriminalamt

BKAG

Bundeskriminalamtgesetz

BMFSFJ

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

BMI

Bundesministerium des Innern

BMVg

Bundesministerium der Verteidigung

BND

Bundesnachrichtendienst

BNS

Bund Nationaler Studenten

BOS

Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben

BPA

Bundespresseamt

BPol

Bundespolizei

BPolG

Bundespolizeigesetz

BR

Brigate Rosso

BRAO

Bundesrechtsanwaltsordnung

BSI

Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik

BtMG

Betäubungsmittelgesetz

BT-Drucks.

Bundestagsdrucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BWH

Bewährungshelfer

CIA

Central Intelligence Agency

DDR

Deutsche Demokratische Republik

DFF

Dunkelfeldforschung

DGST

Direction générale de la surveillance du territoire (Marokkanischer Geheimdienst)

d. h.

das heißt

DITIB

Diyanet İşleri Türk İslam Birliği (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.)

DPolG

Deutsche Polizeigewerkschaft

DVJ

Deutscher Journalisten-Verband

Ebd.

Ebenda

EGGVG

Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz

EMRK

Europäische Menschenrechtskommission

EOKS

Ermittlungsgruppe Organisierte Kriminalität und Steuerhinterziehung

ETA

Euskadi Ta Askatasuna

EU

Europäische Union

EuG

Gericht der Europäischen Union

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EVG

Europäische Verteidigungsgemeinschaft

EZB/ECB

Europäische Zentralbank/European Central Bank

FATF

Financial Action Task Force on Money Laundering

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FBI

Federal Bureau of Investigation

FDGO

Freiheitlich Demokratische Grundordnung

FLN

Front de Liberation Nationale

FN

Fußnote

FR

Frankfurter Rundschau

FS

Festschrift

GAR

Gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus/terrorismus

GAFI

Groupe d’Action Financière

GBA

Generalbundesanwalt

GdP

Gewerkschaft der Polizei

GG

Grundgesetz

GMBI

Gesetzes- und Ministerialblatt

GSG 9

Grenzschutzgruppe 9

GTAZ

Gemeinsames Terroristisches Abwehrzentrum

GETZ

Gemeinsames Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum

GwBekErgG

Geldwäschebekämpfungsergänzungsgesetz

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

GWG

Geldwäschegesetz

HG

Häusliche Gewalt

HK

Heckler & Koch

HoGeSa

Hooligans gegen Salafisten

HSA

Hauptschulabschluss

i. d. F.

in der Fassung

IDKO

Identifikationskommission

IHH

Internationale Humanitäre Hilfsorganisation

IIRO

International Islamic Relief Organisation

IJU

Islamische Jihad Union

IMK

Innenministerkonferenz

IRD

Islamic Relief Deutschland

IStGH

Internationaler Strafgerichtshof

i. S. (d.)

im Sinne (des)

i. V. (m.)

in Verbindung (mit)

i. w. S.

im weitesten Sinne

Jhd.

Jahrhundert

Jg.

Jahrgang

JGG

Jugendgerichtsgesetz

JGH

Jugendgerichtshilfe

JVA

Justizvollzugsanstalt

KBZ

Kriminalitätsbelastungszahl (Zahl der ermittelten Tatverdächtigen pro 100.000 Einwohner)

KDD

Kriminaldauerdienst

KFN

Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen (Hannover)

KgIntTE

Koordinierungsgruppe Internationaler Terrorismus

KronzG

Kronzeugengesetz

KZfSS

Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (zitiert nach Jahr und Seite)

LIC

Low Intensity Conflict

MEK

Mobiles Einsatzkommando

MIK

Ministerium für Inneres und Kommunales (NRW)

MGWMS

Motorisierung, Geld, Waffen, Munition, Sprengstoff (Logistikformel der RAF)

m.W.v.

mit Wirkung vom

NATO

North Atlantic Treaty Organisation

NCTC

National Counter Terrorism Center

NGO

Non-Governmental Organizations

NGvP

Die Reichsbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen

NIAS

Nachrichtendienstliche Informations- und Analysestelle

NIM

Niedersächsisches Innenministerium

NJM

Niedersächsisches Justizministerium

NCAZ

Nationales Cyber-Abwehrzentrum

n. ö.

nichtöffentlich (Quellenangabe)

NRO

Nichtregierungsorganisation

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht (nach Jahr und Seite)

NSU

Nationalsozialistischer Untergrund

OAA

Ohne Autorenangabe

OC/OK

Organized Crime/Organisierte Kriminalität

OECD

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

OEF

Operation Enduring Freedom

OLAS

Organización Latinoamericana de Solidaridad

OLG

Oberlandesgericht

oOA

ohne Ortsangabe

OrgKG

Gesetz zur Bekämpfung von Organisierter Kriminalität

PDV

Polizeidienstvorschrift

Pegida

Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes

PEP

Passersatzpapiere

PFLP

Popular Front for the Liberation of Palestine

PIAS

Polizeiliche Informations- und Analysestelle

PIOS

Personen, Institutionen, Objekte, Sachen

PKK

Partıya Karkeren Kurdistan

PKS

Polizeiliche Kriminalstatistik

PLO

Palestinian Liberation Organization

PMK

Politisch Motivierte Kriminalität

PolG

Polizeigesetz

PPK

Polizeipistole Kriminal

PTAZ

Polizeiliches Terrorismus- und Extremismus-Abwehrzentrum

PVB

Polizeivollzugsbeamte

PD

Polizeidirektion

PVD

Polizeivollzugsdienst

RAF

Rote Armee Fraktion

RSA

Realschulabschluss

RZ

Revolutionäre Zellen

SEK

Sondereinsatzkommando

SiKo

Sicherheitskonferenz

sog.

sogenannte(-s, -r)

SRP

Sozialistische Reichspartei

StA

Staatsanwaltschaft

Stasi

Staatssicherheit

Stat. Bundesamt

Statistisches Bundesamt

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozessordnung

StrÄndG

Strafrechtsänderungsgesetz

StrRG

Strafrechtreformgesetz

StrVz

Strafvollzug

StVStat

Strafverfolgungsstatistik

SZ

Süddeutsche Zeitung

taz

Die Tageszeitung

TBG

Terrorismusbekämpfungsgesetz

TBEG

Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz

TE

Terrorismus

TerrorBekG

Terrorismusbekämpfungsgesetz

TOA

Täter-Opfer-Ausgleich

TOC

Transnational Organized Crime

TV

Tatverdächtiger

TVBZ

Tatverdächtigen-Belastungszahl

UdSSR

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken

u.H.

unter Hinweis

UK

United Kingdom

UN

United Nations

UNO

United Nations Organisation

UNODC

United Nations Office on Drugs and Crime

u. U.

unter Umständen

u.v.m.

und vieles mehr

VDS

Vorratsdatenspeicherung

vgl.

vergleiche

VIKZ

Verband der Islamischen Kulturzentren e.V.

vors.

vorsätzlich

WED

Wohnungseinbruchdiebstahl

WTC

World Trade Center

z. B.

zum Beispiel

zit. (in/nach)

zitiert

ZMD

Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1:

Darstellung der deutschen Sicherheitsbehörden

Abbildung 2:

Aufgaben und Spannungsfelder der Polizei

Abbildung 3:

Kriminalwissenschaften

Abbildung 4:

Hellfeld/Dunkelfeld

Abbildung 5:

Darstellung Rekrutierung

Abbildung 6:

Darstellung Wirkung Gewaltpropaganda im Internet

Abbildung 7:

Phasenmodell der Push- und Pullfaktoren zur Online-Rekrutierung

Abbildung 8:

Idealisiertes Modell Rekrutierung

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1:

Verhältnis Polizei / Wissenschaft

Tabelle 2:

Tat- und Handlungsebene

Tabelle 3:

Straf- und Gewalttaten im Bereich Hasskriminalität 2016 und 2017

Tabelle 4:

Vergleich Populismus – Radikalismus – Extremismus – Terrorismus

Tabelle 5:

Einstellung und Verhalten im Rechtsextremismus

Tabelle 6:

Opferinteressen und Polizeiarbeit

Tabelle 7:

Strategie und Taktik im Terrorismus / Extremismus

Tabelle 8:

Geplante und ungeplante Gewalttaten

Tabelle 9:

Merkmale von Extremismus nach Art und Personengruppe

Tabelle 10:

Präventionsmatrix

Tabelle 11:

Maßnahmen gegen Extremismus nach Art und Akteuren

Tabelle 12:

Maßnahmen nach Unterscheidungskriterien

Tabelle 13:

Ziele und Indikatoren nach Tatphasen

Tabelle 14:

Stadien der Suizidalität

Tabelle 15:

Waffen und Verletzungen nach Anschlagsart

Tabelle 16:

Einschätzung BOS nach Einsatzlage

Tabelle 17:

Bereiche nach Zuständigkeit

Tabelle 18:

Kriminologische Einzelfallanalyse (KEA)

I. Extremismus als kriminologischer Forschungsgegenstand

„Die Bekämpfung des Verbrechens setzt voraus die Kenntnisse
der Ursachen des Verbrechens und die Wirkung der Strafe.“

Franz von Liszt4

Da Terrorismus und Extremismus sehr komplexe Phänomene sind, betreffen sie sämtliche Bereiche der deutschen Sicherheitspolitik. Nachfolgend werden zunächst aktuelle Probleme und Aufkommen von Extremismus und Terrorismus in jüngster Zeit dargestellt. Anschließend werden Eckpfeiler der föderalen Sicherheitsarchitektur erläutert und die besondere Herausforderung für Polizeibeamte in den unterschiedlichsten Einsatzbereichen aufgezeigt. In diesem Zusammenhang wird darauf aufbauend die Kriminologie als praxisorientierte Wissenschaft vorgestellt, die gerade in diesen Aspekten Hilfestellung für die unterschiedlichen Bereiche der sicherheitsbehördlichen und insbesondere der polizeilichen Arbeit bieten kann. Da die Dimension von Kriminalität und auch von extremistischer Kriminalität nach quantitativen Gesichtspunkten bewertet wird, schließt dieses einführende Kapitel mit den Spezifika von Erfassung und Statistik ab.

1. Extremismus und Terrorismus als gegenwärtiges und zukünftiges Sicherheitsproblem

In den vergangenen Jahren haben sich extremistische Bestrebungen in Deutschland sowohl in den Personenzahlen als auch in ihren Strategien entwickelt. Teilweise wurden Kooperationen gebildet, teilweise wurden Splittungen von Szenen oder auch Transformationsprozesse beobachtet. Gegenwärtig vergeht kein Tag ohne Meldungen über Gewalt und Kriminalität durch extremistische Akteure im In- und Ausland. Nachfolgend werden aktuelle Vorkommnisse der drei großen Extremismusfelder Linksextremismus, Rechtsextremismus und Islamismus in Schlaglichtern dargestellt.

Während Linksextremismus in der öffentlichen Wahrnehmung häufig eher als weniger relevantes Problem betrachtet wird, sind die dadurch verursachten Schäden enorm. Und tatsächlich ist politisch links motivierter Extremismus in ganz Europa sowohl mit steigender Tendenz, als auch in einer Zunahme der Gewaltbereitschaft präsent und zeigt besorgniserregende Ausmaße. So bewarfen am 1. Mai 2017 linksextreme Autonome französische Polizisten in Paris am Rande der Mai-Kundgebungen mit Molotowcocktails. Einer der Beamten erlitt schwere Verbrennungen im Gesicht, ein anderer an seiner Hand.5 Die Bilder von Polizisten in Flammen gingen um die Welt und schockierten die Öffentlichkeit. Doch solche brutalen Angriffe gegen Polizeibeamte finden schon seit Jahren in Deutschland statt.

2015 beispielsweise protestierten linksextreme Aktivisten unter dem Demonstrations-Kollektiv Blockupy gegen die Eröffnung der neuen EZB-Zentrale in Frankfurt und dokumentierten dabei eindrucksvoll ihre Zerstörungswut. Insbesondere Polizeibeamte wurden zur Zielscheibe ihrer Gewalt. Nach polizeilicher Bilanz wurden 150 Polizeibeamte verletzt (davon zwei schwer) und 62 Polizeifahrzeuge beschädigt, sieben durch Brandanschläge völlig zerstört.6 Es wurden 26 Strafverfahren eingeleitet, davon drei wegen gefährlicher Körperverletzung. Neben Personen aus dem gesamten Bundesgebiet war eine hohe Anzahl von Aktivisten aus dem europäischen Ausland nach Frankfurt angereist – insbesondere aus Italien, Frankreich, Griechenland, den Niederlanden und Belgien. Doch die Gewalt in Frankfurt wurde spätestens während des 12. G20-Gipfels7 am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg völlig in den Schatten gestellt. Ca. 31.000 Polizisten aus ganz Deutschland waren zum Schutz der Veranstaltung und den Teilnehmern aus der internationalen Spitzenpolitik im Einsatz. Zehntausende Demonstranten protestierten mehrheitlich friedlich gegen den Gipfel und deren politische Inhalte. Durch Ausschreitungen, Sachbeschädigungen, Plünderungen und gezielte Angriffe gegen Polizisten durch Linksextremisten wurden hunderte Personen verletzt. Laut Erklärung des Hamburger Senats wurden ca. 400 Polizeibeamte während des Gipfels verletzt, in 182 Fällen durch Reizgas.8 In der Silvesternacht 2017/18 wurden vor allem in Leipzig Polizeieinsatzkräfte durch Linksextremisten attackiert. Etwa 1.000 Menschen hatten sich gegen Mitternacht am Connewitzer Kreuz, einem Brennpunt linksmotivierter Gewalt, versammelt. Schnell kam es zu Vandalismus, Brennsätzen in Mülltonnen und einem Brand im Leipziger Haus des Jugendrechts9. Anrückende Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr wurden attackiert. Einen Tag später bekannte sich ein linkes Aktionsbündnis zu dem „Neujahrsgruß“, das auf diese Art und Weise seinen Protest gegen „Bullen und Staatsanwälte“ sowie die gegenwärtige Politik und einem allgemeinen Rechtsruck zum Ausdruck habe bringen wollen.10 Am 28. August 2018 stürmten vermummte Autonome das Büro des Referatsleiters im Berliner Justizsenat und bedrohten diesen.11 Dies sind nur Beispiele für die Gewaltkultur von Linksextremisten, die vorzugsweise „anlassbezogen“ und exzessiv zelebriert wird. Zudem legen Vertreter solcher Szenen Listen mit Namen von Rechtsextremen und vermeintlichen Rechtsradikalen und politischen Gegnern, aber beispielsweise auch Polizisten an, gegen die „Aktionen“ gerichtet werden.12 Auch systematische Brandanschläge gegen Züge und Signalanlagen der Deutschen Bahn werden als linksextreme Gewaltakte eingeschätzt, die nicht nur Menschenleben gefährden, sondern auch enorme Kosten verursachen. Die durch Brandanschläge vom 19. August 2017 auf zwei ICE-Strecken bei Berlin verursachten Schäden wurden fast dreimal so hoch eingeschätzt, wie die nach dem G20-Gipfel in Hamburg.13 Nach neuesten Erkenntnissen der Deutschen Bahn waren bundesweit 442 Züge im Fern-, Nah- und Güterverkehr betroffen, was die Umleitung von 173 Zügen und insgesamt 14.625 Minuten Verspätungen zur Folge hatte. Es kam zu 22 Zugausfällen und 137 Teilausfällen im Bahnbetrieb.14 Im September 2018 wurden auf der Bahnstrecke zwischen Duisburg und Düsseldorf Kabelschächte entlang der Strecke geöffnet und die Signalkabel zerstört. Dadurch kam es zwei Tage zu erheblichen Störungen im Zugverkehr in Nordrhein-Westfalen. Auf Indymedia.org bekannten sich „namenlose abschiebegegner“ zu der Tat, die von der Polizei als linksextremistisch motiviert eingestuft wurde.15

Doch auch Rechtsextremismus war und bleibt ein Problem. Gerade im Zuge der Flüchtlingskrise bekommen rechte Ideologien Zuspruch. Ab Ende August 2018 wurde Chemnitz zum Ort ausgetragener Gewalt einer gut vernetzten rechtsextremen Szene, die Bürgerproteste nach dem Tötungsdelikt an einem Menschen und zwei Schwerverletzte durch zwei mit Messern bewaffnete Asylbewerber für sich beanspruchten.16 Die angespannte Situation in der Stadt, die durch Übergriffe und Hetze Rechtsextremer einerseits und einer fühlbaren Gewaltkriminalität durch Asylbewerber andererseits gekennzeichnet war, entlud sich und sorgte für ein nicht nur bundesweites, sondern internationales Medienecho. Auch die Polizei wurde kritisiert, da sie rechte Gewalttäter habe agieren lassen, zudem wurde der Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Haupttäter mit allen persönlichen Angaben durch einen Justizbeamten an die Öffentlichkeit herausgegeben.17 Doch nicht nur in Chemnitz, insgesamt ist eine latente Radikalisierung des gesellschaftlichen Diskurses zwischen Asylbefürwortern und Asylgegnern wahrnehmbar. Grenzen zwischen Kritik an der Flüchtlingspolitik einerseits und Feindschaft gegenüber Fremden verschwimmen dabei zunehmend und Rechtsextremismus wird in Zeiten von Flüchtlingskrise und Zuwanderung zu einem Dauerthema. 2016 wurden 907 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte durch das BKA registriert, 2017 waren es 286 Angriffe.18 Vor allem Einrichtungen, die noch in Fertigstellung waren, waren im Fokus von Rechtsextremisten, um sie unbewohnbar zu machen und so den Einzug der geflüchteten Menschen zu verhindern. Im Jahr 2016 wurden zudem 12 versuchte Tötungsdelikte mit fremdenfeindlichem Hintergrund festgestellt.19 Bereits in den Jahren zuvor bildeten sich neue Gruppen und Bündnisse, die sich von lokalen Bewegungen, wie beispielsweise Pro Köln und Pro Mainz, abheben und die auch auf Landes- und Bundesebene agieren; so die Bürgerbewegung Pro NRW, die bundesweiten Pro-Bewegungen zugeordnet wird.20 Ein weiteres Beispiel stellte das Aktionsbündnis HoGeSa21 dar, bei deren gewalttätigen Agitation auch die Polizei in den Fokus geriet. Oder das rechtspolitische Demonstrationsbündnis „Pegida“22, das sich 2014 in Dresden gegründet hat und in diversen Städten Ableger bilden konnte. Das Spektrum der Teilnehmer reicht von Personen, die aktuellen Entwicklungen in Deutschland ängstlich gegenüber stehen, bis hin zu eindeutig rechtsextremen Anhängern. Aufmärsche und Demonstrationen rechter Anhänger nehmen zu und werden in dreierlei Hinsicht zum Sicherheitsrisiko: Erstens werben sie auf diese Weise um weitere Anhänger, zweitens sind sie Grund für bzw. geraten häufig in gewalttätige Konflikte mit Gegendemonstranten und drittens werden sie damit zu einem wachsenden Gefährdungspotential für Polizisten.

Die Parteienlandschaft zeigt sich unruhig. Während über Ambitionen und Einordnung der AfD (Alternative für Deutschland) diskutiert wird und die Partei nacheinander in sämtliche Landesparlamente sowie bei der Bundestagswahl 2017 in den deutschen Bundestag eingezogen ist, scheiterte zum zweiten Mal das Verbotsverfahren23 gegen die NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands). Wäre die NPD verboten worden, hätten die neonazistische Partei „Die Rechte“ und „Der III. Weg“ bereit gestanden, um Neonazis politisch zu vertreten.24 Abseits von Bestrebungen, die den Weg in den öffentlichen Raum suchen, gibt es auch solche, die schon deutlich länger existieren und jahrelang vom Großteil der Bevölkerung unentdeckt blieben. Ein erschreckendes Beispiel dafür ist der Nationalsozialistische Untergrund (NSU). Die neonazistische Terrororganisation wurde Ende der 1990er Jahre gegründet und erst im November 2011 mit dem Suizid der zwei führenden Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt25 der Öffentlichkeit bekannt. Im Mai 2013 wurde der Prozess gegen das dritte Mitglied Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte eröffnet.26 Das Trio soll mindestens neun Menschen aus Fremdenhass ermordet haben.2728, Der Prozess gilt in seiner Dauer von fünf Jahren und 437 Hauptverhandlungstagen als einer der längsten in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die Kosten des Gerichtsprozesses liegen im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Im Januar 2019 musste die erstaunte Öffentlichkeit feststellen, dass es Anhänger des amerikanisch-rechtsextremen Ku-Klux-Klan auch in Deutschland gibt.