Nicole Heuer-Warmbold

Ein Ende des Krieges

Mandura - Die Anfänge V

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titel

Ein Ende des Krieges

Prolog

Kapitel 1 – Verdrängung

Kapitel 2 – Wut

Kapitel 3 – Akzeptanz

Kapitel 4 – alte und neue Klagen

Kapitel 5 – Begehren

Kapitel 6 – Altlasten

Kapitel 7 – In Erwartung

Kapitel 8 – Zank, Streit & Liebe

Kapitel 9 – Dinge, die noch zu erledigen …

Kapitel 10 – Der letzte Zug

Kapitel 11 – Im Tal

Kapitel 12 – Vor den Toren

Kapitel 13 – Blick in den Abgrund

Kapitel 14 – Lasst die Spiele beginnen

Kapitel 15 – Belagerung

Kapitel 16 – Opfergang

Kapitel 17 – Im Kessel

Kapitel 18 – Der nächste König

Kapitel 19 – Bringt die Katapulte in Stellung!

Kapitel 20 – Feuer am Himmel

Kapitel 21 – Des getöteten Königs Hunde

Kapitel 22 – Seines Bruders Schwert

Kapitel 23 – Brief an Iba

Impressum neobooks

Ein Ende des Krieges





Mandura – Die Anfänge V




Prolog


Verträumt sah Roderick den Schneeflocken zu, wie sie sich trudelnd und taumelnd ihren unzähligen Brüdern und Schwestern in der weißen Weite hinter dem Fenster zugesellten – vielleicht eine Pferdeweide, vielleicht ein großer Garten –, gänzlich unberührt von den Sorgen und Nöten der Menschen, ihrem Wirken, ihrem Scheitern, und alles unter sich begruben. Zuweilen erhaschte er eine andere Bewegung in der zunehmenden Dunkelheit, schneller, zielgerichteter, und redete sich ein, es wären keine Wölfe oder anderes Raubgetier.

Doch in dieses formidable Gebäude, das Anwesen des Statthalters von Kirjat, mit seinen festen Mauern und starken Türen, mit seinen prasselnden Kaminfeuern, den farbenfrohen Wandbehängen und Bildern und Gemälden, üppigen Teppichen, den so bequemen Polstermöbeln, gelangten sie sicher nicht hinein.

Der Statthalter, zugleich Kommandant der Grenztruppen, Hauptmann Berit Remassey, war ein kluger, höflicher, mitunter etwas streng wirkender ruhiger Mann, nicht so übermäßig groß wie viele Manduraner. Sein Humpeln fiel kaum mehr auf, sein verletztes Knie und selbst seine gebrochene Schulter würden folgenlos heilen, den Arm bewegte er schon wieder recht geschmeidig. Roderick hatte ihn vorhin noch in seinen privaten Räumen aufgesucht, er mochte den Mann, und dieser hatte sich einmal mehr gewissenhaft nach dem Befinden der Frau erkundigt. Mara, der Magierin, die nach den Geschehnissen in Birkenhain: dem Tod ihres Mannes, der völligen Zerstörung des Ortes und dem anschließenden, mörderischen Kampf gegen die Ostländer, verletzt und immer mal wieder bewusstlos nebenan in dem abgeschiedenen Schlafgemach lag. Wohlbehütet, denn Meister Sakar ließ außer Gretta und deren Tochter – und diesem Gardehauptmann Ivorek, der Sakar schlicht ignorierte und sich selbst wohl als Maras Wächter ansah – niemanden zu der jungen Frau.

Für Gretta und ihre Zwillinge war es, anders als für die Mehrzahl der noch verbliebenen Einwohner Birkenhains, nie eine Frage gewesen, den Ort und die Ruinen ihres einstigen Zuhauses zu verlassen. Die Pflege und Obhut der jungen Frau, bei der Gretta und Toni ihm und Sakar aber lediglich zur Hand gingen, gab ihnen einen willkommenen zusätzlichen Grund.

Hauptmann Remassey hatte ebenfalls davon gesprochen, seine Kinder in die Hauptstadt zu schicken, obgleich die Gefahr durch ostländische Truppen für Kirjat jetzt recht gering schien. Außerdem war Domallen ja noch mit drei, vier Gardeeinheiten vor Ort, genau wusste Rod es nicht.

„Ich will auch heilen können, so wie du.“

Blinzelnd sah Rod auf das schlaksige Kind … das junge Mädchen in der Tür des Salons und richtete sich in dem bequemen Sessel auf; manchmal verwechselte er Toni tatsächlich mit ihrem Bruder Tom, der sprach allerdings noch weniger als seine Zwillingsschwester. Hatte der Duft der Speisen sie hergelockt?

„Ach ja?“ Irritiert, einen Moment verwirrt von ihren Worten deutete er zum Tisch, dem kleinen abendlichen Imbiss vor sich. „Bedien dich.“

Sichtlich widerstrebend kam das Mädchen – es war nicht wirklich hübsch, zu groß, zu knochig – ins Zimmer, kein Schlafzimmer, sondern ein reiner Wohnraum, behaglich und angenehm warm dank des Feuers im Kamin.

„Die Frau schläft“, das Mädchen setzte sich schließlich auf die Kante eines üppig gepolsterten Sessels. „Was muss ich tun?“

Rod schob dem Mädchen eine Tasse zu, schenkte Tee ein. „Lernen, lernen und noch mehr lernen, dein ganzes Leben lang, denn du weißt niemals genug.“

Das Mädchen, Toni, schnupperte misstrauisch an dem Tee, bevor sie vorsichtig nippte. „Bin nicht dumm.“

Vielleicht ein wenig … beschränkt, langsam, doch das konnte Rod nicht ernsthaft beurteilen, das Mädchen verhielt sich seltsam.

„Das habe ich auch nicht behauptet.“ Er trank seinerseits einen Schluck, bemüht, Toni nicht auffällig zu mustern. „Woher weißt du, dass sie schläft?“

„Hörst du … wie sie atmet, ganz ruhig, tief. Willst auch schlafen.“

„Ja“, er lachte ungewollt. „Es ist gut, wenn sie schläft. Ich weiß nicht genau, wie das hier geregelt ist, mit dem Studium der Heilkunde.“

„Im Tempel. In große Stadt, Samala Elis.“

„Das wäre wohl ein Weg“, musste er zugeben. Nur konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass der Tempel… Rod verzog das Gesicht, zuckte die Achseln.

„Was?“ Toni sah ihn erbost an. „Ich gehe nach Samala Elis!“

„Wir alle, du, deine Mutter, dein Bruder, die Frau...“ Warum nannte er Mara nicht beim Namen, hatte er so große Angst vor ihr? Sie war doch nicht schuld an seinen Alpträumen, sie hatte ihn verschont! Und doch hörte er jede Nacht wieder und wieder ihre Frage: Willst du sterben? Fragte sich, ob er … Was hätte es denn geändert, wenn er geblieben und ausgeharrt hätte, der Hauptmann, ihr Mann, war zu dem Zeitpunkt bereits tot. Es hätte nichts geändert. „… noch einige andere. In den nächsten Tagen.“


(637. Tag, Winteranfang)

Kapitel 1 – Verdrängung


Reik hätte zu ihr gehen sollen. Wenn nicht sofort, so doch am zweiten, dritten Tag, auf Berits Anwesen in Kirjat. Während dicht der Schnee fiel, der eisige Wind um die Ecken, über die Dächer pfiff. Hätte sich in diese ruhige, abgedunkelte Kammer begeben sollen, die Luft schon etwas abgestanden, ein wenig säuerlich, alle anderen Anwesenden wegschicken und sich zu ihr, Gènaija, legen. Sie fest in seine Arme schließen, das Gesicht in ihren zerwühlten, verschwitzten Locken vergraben, derweil sie sich schluchzend an ihn klammerte, und endlos weinen, untröstlich, heiser schreiend, denn Davian war tot.

Er tat es nicht. Der zweite große Fehler seines Lebens.

Reik hätte zu ihr gehen sollen, gemeinsam mit ihr trauern, Trost spenden, wo es doch keinen Trost gab. Aber er hatte es nicht getan.

Und jetzt? Lungerte, lauern wäre die passendere Beschreibung, er ihr hier auf dem dunklen Gang auf und hoffte, sie würde kommen. Dabei wusste sie ja, wo er sich aufhielt, was er tat, er konnte sie gar nicht überraschen. Falls sie es tatsächlich wusste, er hatte das nie hinterfragt. Und er wünschte sich ... Nein, er sehnte sich nach ihr, ihrer bloßen Gegenwart, selbst wenn sie mies gelaunt und mürrisch und wortkarg... Nur ihre Nähe, ihr Geruch und das Gefühl, sie in seinen Armen zu halten, sie fest an sich zu pressen, und alles andere würde dann... Er träumte.

Glaubte, etwas zu hören, vielleicht ihre leichten Schritte, zögernd, und lehnte sich an die Wand, die Arme vor der Brust verschränkt. Sah nicht mehr als einen Schemen, ihre Silhouette in der Dunkelheit, am entfernten Ende des Ganges.

„Wartest du etwa auf mich?“

Schon sein ganzes Leben, das wusste sie. „Aye.“

Eine Bewegung, ein undeutlicher Laut, vielleicht zuckte sie die Achseln. Kam nicht näher. „Was willst du? Was erwartest du denn, was ich ...“

Alles. „Nichts.“ Er überwand die Distanz und stand ganz nah vor ihr, zu nah. Roch sie, hörte ihren leisen Atem und hob die Hand. „Gènaija, Kleines...“

Wieder dieser Laut, unterdrücktes Schluchzen vermengt mit spöttischem Schnauben, und er zog sie an sich, küsste sie unbeherrscht. „Ich weiß, ich bin... Ich habe das Feuer entzündet, vorm Tempel.“

„Natürlich, du bist der Winterkönig.“ Sie drängte sich an ihn. „Der Jäger, das ist deine Nacht.“

„Aye...“, er beugte den Kopf und biss ihr in den Hals, seine Hände fuhren über ihren Oberkörper, zerrten ihr gierig das Hemd ... „Nicht hier.“

„Nicht?“ Erneut dieser Spott, eine gewisse Härte in ihrer Stimme, es war reizvoll. Ein bisschen herausfordernd.

„Nein.“ Eilig zog er sie den Gang entlang, schob sie durch eine Tür, das Zimmer womöglich noch dunkler, düsterer, alle Fensterläden verschlossen, kein Feuer im Kamin, irgendwo stand ein breites, bequemes Bett. Doch er fand in seiner Ungeduld nicht einmal das Sofa, zerrte ihr die Kleidung vom Leib, riss sie zu Boden, zumindest auf einen dicken, üppigen Teppich, und ließ seine Hände liebkosend über ihre nackte Haut gleiten, küsste sie, wieder und wieder. „All deine Tränen, all dein Schmerz gehören mir.“ Er wusste nicht, warum er das sagte, es war... Er war der Jäger. „Aber ich will auch dein Lachen. Deine Liebe.“

„Meinen Körper?“

„Der gehört mir!“ Er drängte sich rüde zwischen ihre Schenkel, drängte sich stöhnend in sie. Sie gehörte ihm, war sein, und er liebte sie. Wollte nichts anderes, sein Leben lang.

Ihr Seufzen, „Aye, mein König.“

Und nichts davon geschah, denn er ging nicht zu ihr, lauerte ihr nicht auf den dunklen Gängen des Palastes auf. Noch nicht einmal in der Nacht der Wintersonnenwende, seiner Nacht.


* * *


Als hätte Rod es nicht geahnt, nun hatte er sie auf dem Hals: Gretta und ihre Kinder. Er musste sich um sie kümmern, wenigstens für eine vernünftige Unterkunft sorgen. Denn Geld für einen Neuanfang oder gar das Leben in der manduranischen Hauptstadt, in der es ohnehin von Soldaten, Geflüchteten, Vertriebenen und Glücklosen nur so wimmelte, hatten die drei nämlich nicht. Es war so mühsam, mit Gretta zu diskutieren, die mit den Zwillingen, jedenfalls mit Toni, ständig in seiner Nähe zu weilen schien; er mochte nicht zu direkt, gar grob werden, sie hörte aber auch nicht richtig zu, sie wollte ihn offenbar nicht verstehen.

„Ich bin mir ziemlich sicher, Meister Sakar benötigt keine … ähm, Haushälterin. Der Mann wohnt im Palast, Gretta, er ist genau wie Meister Liz-Rasul, wie wir alle ein geschätzter Gast seiner Majestät und wird dort mit allem Nötigen versorgt.“

„Ein wenig Ordnung und Fürsorge von weiblicher Hand wäre vielleicht gar nicht verkehrt“, mischte sich Meister Dibistin unerwartet ein, der im großen Wohnraum mit Toni geplaudert, sogar gescherzt hatte. „Bis die Familie etwas anderes gefunden hat, und Platz ist hier doch genug, Roderick“, der Alte winkte ihn nachdrücklich näher, senkte die Stimme. „Du sprichst die Kleine nicht auf die Geschehnisse im Sommer an, hörst du?“, Dibistin klang ernst und überaus eindringlich. „Stattdessen bringst du sie zu deiner Heilerin, dieser Nadka, vielleicht weiß die … Nun, vielleicht kann sie das Kind fürs erste im Tempel unterbringen, es irgendwie beschäftigen. Die Mädchen beginnen wohl frühestens mit sechzehn ihre Ausbildung.“

„Im Tempel?“, fragte Rod skeptisch. „Ich kann mir nicht vorstellen…“

„Die Kleine ist mitnichten dumm, nur erschreckend ungebildet. Und verstört, zutiefst verstört.“

Von den Geschehnissen im Sommer, als die feindlichen Soldaten das erste Mal nach Birkenhain kamen, das Dorf heimsuchten? Rod wollte es wirklich nicht wissen.


* * *


Renka hätte die ganze Zeit weinen können, immer nur weinen. Es war so furchtbar, so entsetzlich traurig. Unfassbar. Sie würde nie wieder sein Grinsen sehen oder seine Stimme hören, diese barsche… Ihr kamen schon wieder die Tränen und sie biss sich hastig auf die Lippen, sie sollte nicht weinen. Mara weinte auch nicht, nie. Jedenfalls hatte Renka sie nicht ein einziges Mal weinen sehen, seit… Seit es geschehen war, seit Hauptmann Davian umgekommen war.

Es war schlimm, wirklich schlimm, sie wusste überhaupt nicht, was sie tun sollte. Wenn sie Mara doch nur irgendwie helfen könnte, irgendetwas machen. Sie fühlte sich so hilflos. Einmal, es war schon etliche Tage her, war sie zu Lor gegangen, den kleinen Jungen hatte sie bei Iska gelassen, aber Lor hatte auch keinen Rat für sie, Lor hatte auch nur geweint. Dabei kannte die Davian gar nicht so gut, hatte sie zumindest gesagt, nur von früher. Lor hatte versprochen, mal vorbeizukommen, hatte das dann sogar gemacht; Mara hatte kein Wort mit ihr gewechselt.

Mara sprach nicht, mit keinem. Hockte stumm im Arbeitszimmer – dort schlief sie offenbar auch, wenn sie denn nächtens in der Festung war –, die Beine auf den Sessel gezogen, und starrte regungslos aus dem Fenster. Sie reagierte nicht, wenn jemand zu ihr kam, sie ansprach, überhaupt nicht, als wäre sie … gar nicht da. Es war erschreckend, sie so zu sehen, es war zum Verzweifeln, am liebsten hätte sie Mara gepackt und gründlich geschüttelt, irgendwas, sie fest in den Arm genommen. Aber sie traute sich nicht.

Renka hatte gehört, nur Gerüchte, was in Birkenhain passiert war, sie hatte Mara ins Gesicht, in die Augen gesehen, als diese zurückkehrte, und war erschrocken zurückgezuckt. Und das war fast am schlimmsten, dass sie jetzt Angst hatte vor dieser wundervollen, wunderschönen bleichen Frau.

Irgendjemand sollte etwas tun. Wo waren denn diese großen, starken, tapferen Männer, sie ließen sie allein. Feiglinge, alle miteinander.


* * *


Finster starrte Lennart in sein Glas. Was tat er hier in dieser schäbigen Kaschemme, so gut war das Bier nun auch nicht? Was tat er überhaupt in diesem kalten, harten Land Mandura? Für was riskierte er denn sein Leben, ein bisschen Abenteuer und Aufregung und die vage Aussicht, vielleicht einmal … Eine rosige, strahlend goldene Zukunft erschien ihm momentan sehr, sehr fern und entsetzlich unwirklich.

Er trank einen weiteren Schluck und betrachtete dabei flüchtig die liederlich gekleidete Rothaarige, die unweit von ihm am Tresen saß, nicht das erste Mal. Er wusste natürlich … war nicht der einzige, der sie mehr oder minder unauffällig beobachtete. Drei Kerle, alles andere als nüchtern, sie hatten sich wohl inzwischen genug Mut angesoffen, näherten sich ihr grienend und feixend. Aber er war schlicht schneller. „Darf ich Euch noch ein Bier spendieren?“

„Du wieder…“ Sie sah nicht einmal auf, in seine Richtung. „Noch eins un‘ ich kotz dir vor die Füße.“

„Vor die Füße ist schon in Ordnung“, er bestellte zwei Gläser Branntwein.

„Branntwein is‘ in Ordnung“, nuschelte sie und warf ihm einen Blick zu, grinste nicht. Ihre Augen waren gerötet, ihr Haar … ihre Locken wirr und zerdrückt, seit vielen Tagen ungekämmt. „Geht schneller, hat er gesagt, un‘ is‘ billiger.“

„Vermutlich“, er nickte, rückte ihr nicht noch näher. Er roch sie, ihren Schweiß, ihren Körpergeruch, und fragte sich, wie lange… Es störte ihn nicht wirklich, im Gegenteil, er hätte zu gern den Geschmack ihrer Haut gekostet; nach Leid, nach Schmerz. Hätte sie zu gern geküsst, doch nicht hier, nicht… In der Dunkelheit, der Düsternis und Verlorenheit der Nacht, wenn sie das einzige war …

Sie wandte ihm das Gesicht zu, einen kurzen Moment erschreckend klar und gegenwärtig, bevor sie beinah vom Stuhl fiel, als sie aufzustehen versuchte. Eilig hielt er sie fest, presste sie viel zu heftig, viel zu gierig an sich. „Nicht!“

„Nich?“

„Geh nicht weg. Hier … im ‚Anker‘ soll es Zimmer geben“, bemerkte er wie nebenher.

„Aye …“

Ein Wort, fast gehaucht, geflüstert, und er stand in Flammen, hätte sie… Aber er musste sie festhalten, da sie kaum stehen konnte, schwankte. Sich an ihn lehnte. „Versprich dir nichts …“

„Nein.“ Nur die Welt, die Ewigkeit, diese eine Nacht. Wieder spürte er ihren Blick auf sich, als kenne sie jeden seiner Gedanken, und küsste sie hastig auf die Schläfe. Schaffte sie aus dem Schankraum und die elend enge, dunkle Hintertreppe hinauf, den Weg kannte er inzwischen. Auch das kleine, bedrückend niedrige Zimmer, in dem es muffig roch, selbst wenn man das Fenster weit aufriss … Aber es war ohnehin zu kalt.


* * *


Tessa beobachtete angespannt ihren Bruder, der wie getrieben durch die königlichen Wohnräume wanderte, rastlos, die Miene finster. „Reik? Ich hatte gefragt…“

„Wie es ihr geht?“ Abrupt wandte er sich zu ihr um, wie ein gereiztes Raubtier, das zuschnappte. „Was glaubst du, wie es ihr geht?! Beschissen, halb wahnsinnig vor Trauer und Schmerz, sie weiß doch gar nicht mehr…“ Er fuhr sich über das Gesicht, atmete einige Male tief durch und setzte sich neben sie, griff nach ihrer Hand. „Und sie lässt niemanden an sich heran, sie reagiert nicht, antwortet nicht, redet nicht. Aber ich kann sie doch nicht zwingen. Ich weiß nicht mehr weiter, Tessa, ich weiß nicht, was ich noch tun soll, wie ich ihr helfen kann. Ich verstehe und teile ihre Trauer, Davian war … Scheiße, er war mein Freund! Nicht allein mein bester Mann, mein wichtigster Hauptmann, er war mein Freund.“

„Obwohl er doch…“

„Ja.“ Eindringlich blickte er ihr ins Gesicht, fast schon herausfordernd, aber so war er, immer gewesen, und seitdem er Winterkönig war noch viel mehr. „Obwohl er sie geheiratet hat. Die Frau, die ich liebe. Seltsam, nicht?“

„Reik …“

Resigniert schüttelte er den Kopf. „Sein Tod wird immer zwischen uns stehen, es wird nie wieder… Sie wird mir das für alle Zeiten vorwerfen, sie wird mir das nicht verzeihen, niemals.“

„Aber du bist doch nicht…“

„Schuld? Ich bin verantwortlich für den Tod ihres Mannes, Tessa, ich bin Heerführer. Verantwortlich für den Tod eines jeden Soldaten, der für mi… für Mandura kämpft.“ Er presste die Lippen zusammen. „Und manchmal ist es zu viel, ist es zu verdammt nah.“

Sacht legte sie die Arme um ihn, lehnte den Kopf an seinen. Hörte ihn unterdrückt schluchzen. „Ich kann nicht einmal zu ihr gehen, Tessa, ich kann nicht… Nicht einmal mit ihr reden, verdammt noch mal. Ich befehlige Zehntausende, ein ganzes Land in diesem verfluchten Krieg, aber sie kann ich nicht… Schöne Scheiße, hm?“ Mit tränenfeuchtem Gesicht sah er auf, so verletzlich, so unglücklich, sie musste ihn einfach küssen. Erst nur auf die Wangen, doch dann auch auf den Mund. Kein sehr schwesterlicher Kuss, den er erwiderte.

Verlegen, mit glühend rotem Kopf ließ sie ihn erschrocken los. Ihre Knie zitterten, sie fühlte sich verwirrt, schwach vor … „Tut mir leid, ich, ich…“

„Entschuldige dich nicht, Tessa, nicht dafür.“ Seine Augen glitzerten. „Kleine Schwester.“


* * *


Kein Vogelgezwitscher, kein Sonnenschein, nur mehr Schnee und noch lange keine frühlingshaft milde Luft. Die Stimmung in der Stadt gedrückt, trotzdem die Manduraner die Gefechte in und um Birkenhain für sich entschieden hatten. Doch der Erfolg war teuer, allzu teuer erkauft worden.

Abwesend rieb Sakar sich den Arm, die Verletzung war alt, der Bruch längst verheilt, und wartete geduldig. Auf seine Tochter. Er war sich nicht sicher, ob sie seiner Aufforderung, Einladung, nachkommen würde. Sie trauerte, auf die schlechtmöglichste Art, aber wer war er, darüber zu urteilen. Bloß ihr Vater, der sie gar nicht richtig kannte, erst diese wenigen Monate mit ihr… in ihrer Nähe verbracht hatte. Derweil in diesem Land, so kalt und ihm so fremd, Krieg herrschte. Und doch hatte er hier nicht allein seine Tochter, sondern mit Réa vielleicht eine Partnerin, sein kleines, privates Glück gefunden. Vielleicht, ja, vielleicht; er hoffte, träumte, achtete nicht auf seine Umgebung.

„Wieso hier?“

Er ließ sich seine Überraschung, seinen Schreck über Maras liederliches, ja schlampiges Aussehen nicht anmerken, als diese humpelnd, das linke Bein schonend, an seinen Tisch trat. „Du sagtest mal, es gefiele dir hier. Und in den Unterkünften im Palast…“, er zögerte, drückte sich vor einer klaren Aussage, „wollte ich dich aus vielerlei Gründen nicht aufsuchen.“

Mara zog bloß die Augenbrauen hoch und griff zu dem Glas, das der Wirt kommentarlos vor sie gestellt hatte, trank bedächtig. „Wozu dieses Treffen? Du willst mir sicher nicht beim Trinken zusehen.“

„Oder dabei, wie du…“ Er biss sich auf die Lippen, er sollte das nicht, nicht auch noch auf ihre feindselige Art und ihr provokantes Verhalten eingehen. Hose und mehr noch ihr Hemd, das mehr enthüllte, als ihm behagte, waren dreckig und zerrissen. Er berührte sacht ihr Handgelenk. „Möchtest du was essen?“

Mara entzog ihm, ziemlich hastig, ihre Hand, schüttelte den Kopf. „Lass.“

„Weshalb ich mit dir reden, weshalb wir zwei dringend miteinander reden sollten“, versuchte Sakar es erneut und griff nun mit beiden Händen nach ihrer Hand, barg sie fest in seinen. „Mara, was du … Deine Trauer, um deinen Mann, eure Liebe, euer gemeinsames Leben, das… ist nur zu verständlich, das kann jeder nachvollziehen. Doch was du… Du hast, dort, eine Stufe der Magie erklommen, die dich auf immer ein Stückweit von allen anderen Menschen trennen wird, fürchte ich, diese Kluft kannst du, kann auch kein anderer je gänzlich überwinden.“

„Du versuchst es aber?“ Sie hob leicht ihre Hand an, und er griff nicht noch fester zu. Blickte ihr in die Augen. „Ich danke dir, dass du es nicht getan hast. Dass du nicht… die ewige Nacht nicht hast anbrechen lassen.“

Sie zuckte die Achseln, ihr Blick abwesend, kalt und weit, weit fort. „Irgendwann erschien es so viel leichter … einfacher, nur immer weiter zu machen.“ Ihr plötzliches Lächeln war geradezu schmerzhaft. „Du hast für tagelangen Nebel gesorgt?“

„Schien mir…“ Sein Hals so rau, dass er kaum sprechen konnte. „Mara, kann ich dich denn nicht einmal tröstend in den Arm nehmen?“

„Kannst du doch.“

„Aber dann bin ich schuld, wenn du weinst!“ Er legte die Arme eng um ihre Schultern.

„Bist du ja auch.“


* * *


„Also, falls ich’s noch nicht oft, und laut, genug gesagt habe, das Frühstück hier gefällt mir besser.“ Lennart lehnte sich, offenbar fürs erste gesättigt, auf seinem Stuhl zurück und blinzelte Tessa dreist zu. „Könnte an Eurer Gegenwart liegen, Prinzessin.“

Tessa errötete nicht, sie hatte sich an Lennart, seine mitunter doch sehr lockere, fast ungehobelte Art gewöhnt und mochte den Mann im Grunde recht gern. „Dabei habt Ihr jetzt doch weibliche Gesellschaft in Eurer Unterkunft.“

„Ja-ha…“, klagte der Mann. „Mit Verlaub, die Dame Gretta ist mir ein wenig zu alt, ihr Töchterchen ein verstocktes, verschrecktes Kind. Und dieser Tom…“

„Ganz so schlimm ist er wirklich nicht“, fiel ihm Mikkie gutmütig lachend ins Wort. „Der Junge sucht eben Anschluss, Gesellschaft.“

„Klebt uns… dir an den Hacken“, moserte Lennart weiter.

„Er weiß nichts Rechtes zu tun. Die armen Leute haben ihre Heimat verloren, Lennart, alles. Rod und auch Meister Sakar erzählen, Birkenhain gäbe es nicht mehr, das Dorf wäre vollkommen zerstört worden.“

Tessa seufzte, hob die Hand an ihr Gesicht, und Mikkie legte rasch seine Linke auf ihre. „Verzeih, ich… Du kanntest diesen Hauptmann gut?“

„Ich mochte und schätzte Hauptmann Davian, ja. Sehr. Mara ist eine gute Freundin, ich war auf ihrer Hochzeitsfeier und…“ Sie wandte den Kopf ab, konnte ihr Schluchzen nicht länger unterdrücken.

Mikkie schloss behutsam die Arme um sie, den Kopf dicht zu ihrem geneigt. „Tut mir… Ich sage nur das Falsche, bringe dich zum Weinen, Liebste. Ich sollte nicht mehr reden.“

„Nein, du… Es ist nur…“ Zu nah, wie Reik gesagt hatte, viel zu nah, sie weinte, schluchzte hemmungslos. Ließ sich aber nur zu gern, zu dankbar von Mikkie trösten und im Arm halten.

„Könntest du uns einen Moment allein lassen?“, vernahm sie Mikkies an Lennart gerichtete ruhige Stimme.

„Klar. Ich geh‘ schon mal vor und erklär‘ diesem Hauptmann Ferrin, dass du dich verspäten wirst.“ Er ging, Tessa hörte ihn das Speisezimmer verlassen, die Tür, und drängte sich noch enger an Mikkie, küsste ihn voller Hingabe. Fand Trost in seiner Nähe, seinen zärtlichen Küssen, wollte ihn nur immer weiter küssen, wollte viel mehr, mehr von seiner Nähe, ihn, und hob seufzend den Kopf. „Erzählst du ihm eigentlich alles?“ Der Gedanke war … ließ sie erschauern, zurückschrecken.

„Bestimmt nicht, der Kerl spinnt sich ganz gern was zurecht.“ Mikkie betrachtete sie liebevoll, streichelte ihr über die Wange. „Ist es in Ordnung, für dich, wenn ich mich jetzt zu dem Treffen mit Hauptmann Ferrin aufmache?“

„Ja, natürlich. Du musst meinetwegen doch nicht… Ist es ernst? Der Grund, Anlass eures Treffens?“

„Weniger, die übliche Routine, würd‘ ich sagen. Ohne schlecht über ihn reden zu wollen, der Mann ist nicht sonderlich gut organisiert, wird schnell hektisch und kann ein wenig Unterstützung gebrauchen. Sehen wir uns dann, heut Abend?“

„Damit du Lennart etwas zu erzählen hast?“, bemühte Tessa sich um ein Lachen. „Sehr, sehr gern.“


* * *


Mara saß an einem geschützten, trockenen Platz in der Sonne und schaute ihrem Sohn zu, der versunken, völlig weltvergessen mit einigen Steinen und Hölzchen spielte. Wischte sich über die Augen, sie hatte nicht gemerkt, dass sie weinte, und streckte ihm die Arme entgegen. „Na komm. Frierst du gar nicht?“ Sie fror, immer, war ständig müde und konnte doch nicht schlafen, fand keine Ruhe.

Jurei sah hoch und kam mit noch reichlich wackligen Schritten auf sie zu, warf sich ihr entgegen. Mara fing ihn auf, wirbelte ihn ein paarmal im Kreis herum, sollten doch ihr Bein, ihre Hüfte schmerzen. Hörte Jureis begeistertes Jauchzen, er mochte das, er freute sich, ihr kamen erneut die Tränen und sie hielt ihren Sohn, Davians Sohn, ganz fest an sich gedrückt. Lauschte mit geschlossenen Augen auf das Knirschen von Schritten im Schnee, als sich ihnen jemand... Jula durch den noch winterlich kahlen Garten näherte.

„Hei.“

Jurei zappelte und Mara ließ ihn wieder runter, den Blick auf ihn, nicht auf Jula gerichtet. Mied dessen Blick, wie sie den Blick eines jeden mied, die Begegnung, das Gespräch, als wäre sie... Presste die Lippen zusammen.

„Ich wollte... Möchtest du...“ Und auch Jula verstummte, sie konnte sich seine verzweifelte, enttäuschte Miene vorstellen, die Mühe, die es ihm bereitete, immer wieder auf sie zu zu gehen, es jeden Tag erneut zu versuchen. „Mara, bitte.“

„Du gibst nicht auf, hm?“

„Ich bin dein Freund, Mara.“ Er seufzte, und es klang ein bisschen ungeduldig. „Jetzt sieh mich endlich an!“

„Aber dann muss ich...“

„Und? Glaubst du, das halte ich nicht aus? Es ist traurig, es ist entsetzlich traurig, also weine, so lange und so viel du willst, das darfst du! Aber strafe mich nicht dafür, dass ich Birkenhain überlebt habe!“

„Das...“ Konsterniert sah sie ihn an. „Das mache ich doch gar nicht. Denkst du das?“

In einer fast hilflos wirkenden Geste hob er die Hände. „Nicht?“

„Nein. Nein, natürlich nicht... Jula!“ Hastig schlang sie die Arme um seinen Hals, drängte sich an ihn. Hörte Jurei unweit ihrer Füße zufrieden brabbeln, weil er womöglich ein neues, interessantes Spielzeug entdeckt hatte. „Ich mache dir keine Vorwürfe.“

„Aber ich...“

„Noch ein Wort und ich schlage dich!“, unterbrach Mara ihn grob. „Jula, das ist absurd, niemand denkt das!“

Jurei kreischte laut und fordernd, verlangte Maras Aufmerksamkeit; eilig ließ sie Jula los und beugte sich zu ihrem Sohn. „Was, Sonnenschein? Das ist eine tote, offenbar erfrorene Maus, wo hast du die ausgebuddelt? Die sollst du nicht essen, mein Lieber.“ Kopfschüttelnd nahm sie Jurei auf den Arm, sah Jula auffordernd an. „Kommst du mit hoch, Abendessen?“

Statt zu antworten legte er den Arm um sie und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Gern. Sehr gern. Wie lange läuft dein Sohn eigentlich schon?“

„Seit...“ Mara lehnte den Kopf einen Moment an Julas Schulter, biss die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschluchzen. „... ein paar Tagen, drei oder vier. Renka ist sehr, sehr stolz.“

Unglücklich sah er sie an, küsste sie dann zärtlich auf den Mund. „Und du weinst. Wenn du...“

„Nein.“ Ein bisschen sehr schnell lehnte sie sein Angebot, was auch immer es beinhaltete, ab. „Das wäre nicht... es wäre dir gegenüber nicht richtig.“

„Sicher?“ Jula streichelte sacht ihre Wange, und sie ahnte, warum er es nicht dabei beließ. „Ich würd‘ mich nicht ausgenutzt fühlen, Mara.“

„Es wär‘ nicht... es ginge mir nicht um dich.“

Jula nickte zögernd und küsste sie einmal mehr, nachdrücklicher. „Gut.“


* * *


Ivorek sah sich nicht allzu aufmerksam in der ‚Traube‘ um. Er wusste, was er wissen musste – sie saß mit zwei Männern an einem Tisch hinten in der Ecke –, ging an den Tresen und bestellte sich ein Bier. Es schmeckte bitter, aber das passte zu seiner Stimmung. Seiner schlechten Laune.

Verdammt, warum musste die Frau sich hier betrinken? Er hatte verflucht noch mal keine Lust, sich ihretwegen mit diesen Typen zu prügeln, aber genau darauf würde es hinauslaufen. Die zwei sahen nicht so aus, als würden sie viel Verständnis oder gar Mitgefühl haben, die wollten was für ihr dreckiges Geld. Von ihr, Mara. Und wenn die weiter so trank, würden sie es auch bekommen, dann wäre sie nicht mehr in der Lage, sich gegen die Kerle zur Wehr zu setzen. Sie hätte nicht mal nüchtern eine Chance gehabt.

Die Frau sollte verflucht noch mal überhaupt nicht hier sein! Ärgerlich schnappte er sich seinen Krug und drängte sich zu ihrem Tisch durch, nickte ihr knapp zu. „Komm mit.“

Grüßend hob Mara ihr Glas, eindeutig nicht das erste, und drückte sich noch enger an den Kerl, der den Arm besitzergreifend um sie geschlungen hatte. „Ivorek, mein Freund. Bist du auch durstig?“

„Nicht durstig genug.“ Er knallte den Krug auf den Tisch, streckte auffordernd die Hand aus. „Lass uns tanzen!“

„Und wenn ich nich…“

„Du willst. Los, komm schon!“

Schwankend kam Mara auf die Füße, stolperte fast, doch da hatte er sie bereits gepackt.

„Du hast aber ganz miese Laune.“

„Stell dir vor, ja. Und rate mal, warum?“

Die junge Frau verzog nur das Gesicht, drängte sich viel zu nah an ihn. Unter anderen Umständen hätte ihm das gefallen, aber nicht hier, nicht, wenn sie derart betrunken war. „Weiß nich.“

„Weil es mir keinen Spaß macht, mir jede Nacht um die Ohren zu schlagen und auf dich aufzupassen, nur damit du nicht in Schwierigkeiten gerätst!“

„Zwingt dich doch keiner…“

„Doch, du! Du zwingst mich dazu! Noch eine und noch eine dreckige Kneipe, eine schlimmer als die andere, wo du dich jede Nacht hemmungslos besäufst, dich irgendwelchen miesen, schmierigen Kerlen an den Hals wirfst, und ich…“ Er stritt auch noch mit ihr, mit einer Betrunkenen.

„Kann dir doch egal sein, das…“

„Das ist mir aber nicht egal! Verdammt noch mal, du bist mir nicht egal!“

„Ach?“ Mara zuckte nur die Achseln, wollte sich abwenden. Und für diesen arroganten, herablassenden Ausdruck auf ihrem Gesicht … Er zwang sie zu sich herum, viel zu grob, und haute ihr eine runter.

Entsetzt sah Mara ihn an. „Du…“

„Ja, ich. Und ich schlag‘ dich gleich noch einmal, wenn du nicht endlich mit diesem Mist aufhörst! Wir gehen jetzt.“

„Ich will nicht, ich…“

„Du kommst mit!“ Er zerrte sie einfach hinter sich her, hielt ihren Arm fest gepackt. Sollte sie sich doch wehren, er würde sie wieder schlagen, er war in genau der richtigen Stimmung. Schlug eine betrunkene, wehrlose Frau, die nicht mehr geradeaus gehen konnte.

„Ihre Jacke, sie hat genug.“

Der Kerl glotzte ihn bloß dümmlich an und reichte ihm hastig ihre Jacke über den Tisch. „Sicher, Großer.“

Ohne ein weiteres Wort zog er sie mit sich, wollte nur noch raus aus der Wirtschaft. Weg von diesen Leuten, die es völlig in Ordnung fanden, wenn er grundlos eine Frau schlug.

Es war widerlich, die Leute, die Gegend, er, sein Verhalten, drängte sie aus der Hintertür und über den düsteren, stinkenden Hinterhof, durch die dunklen Gassen. Mara hatte sich offenbar von ihrem Schrecken erholt und kämpfte, ihren Arm freizubekommen. „Du kannst nich…“

„Hast du doch gemerkt, dass ich kann. Und keiner hätte dir geholfen, sie hätten sogar noch johlend daneben gestanden, hätt’ ich dich verprügelt.“

„Du verdammtes, verschissenes Arschloch, du…“

„Halt endlich den Mund oder, ich schwör’ ’s dir, ich leg dich übers Knie und versohle dir den Arsch!“

„Das würd’ dir noch gefallen, du…“

„Weiß nicht, womöglich.“ Brüsk drückte er sie gegen die Wand und küsste sie unbeherrscht, derb, während seine Hände über ihren Körper fuhren. Götter, sie fühlte sich gut an, und er wollte sie, jetzt sofort, hier, ließ sie aufstöhnend los. „Du erweckst nicht unbedingt das Beste in mir.“

Den Wunsch, ihr weh zu tun, ihr Gewalt anzutun. Sie erregte ihn. Grob packte er ihr Haar, presste seinen Mund auf ihren Mund und zwang seine Zunge zwischen ihre Lippen, in ihren so warmen, feuchten, so köstlichen Mund. „Du schmeckst … Wie viel hast du getrunken?“

„Keine Ahnung, viel. Du … Wo geh’n wir hin?“

„Ist das wichtig? Ich will dich.“

Ihr leicht geöffneter, verlockender Mund, er wartete nur darauf, dass sie sich wehrte. Doch Mara wehrte sich nicht, stöhnte leise, als er ihr das Hemd über der Brust aufriss, ihren Oberkörper mit gierigen Küssen bedeckte. Nur war es nicht… Keuchend hielt er inne, griff nach ihrem Arm und zerrte sie hinter sich her. Sie stolperte immerzu, war so offensichtlich betrunken!

Im Haus stieß Ivorek sie in die kahle Kammer, irgendwann einmal ein Schlafzimmer, aufs Bett. „Scheiße, was machst du mit mir?!“

Blickte auf sie herunter, auf ihr zerrissenes, offenes Hemd. Er könnte über sie herfallen, könnte auf sie einschlagen, war viel zu erregt.

Ivorek setzte sich zu ihr und nahm ihre Hand, drückte sie an sein Gesicht. „Es tut mir Leid.“

„Warum? Weil ich betrunken bin?“

„Weil ich dich geschlagen habe.“

„Hab‘ ich wohl verdient.“

„Hast du. Trotzdem, ich will nicht…“

„Doch.“

„Doch.“ Er verzog das Gesicht, beugte sich dicht über sie. Roch ihren Schweiß, Branntwein, roch sie, ahnte die Zartheit ihrer Haut, fühlte sein Verlangen, echtes Verlangen. Seufzte: „Zu sehr, viel zu sehr…“

Hastig zog Ivorek sich Jacke und Hemd aus, beides einfach über den Kopf, zerrte sich die Stiefel von den Füßen. Zuckte die Achseln und zog sich auch gleich noch die Hose runter, aus. Stand vor ihr und musterte sie, fühlte ihren Blick wie eine Berührung auf seinem nackten Leib. Er erschauerte, da sie ihn tatsächlich berührte, und hörte ihr leises Seufzen, als er zu ihr kam. Sie, ihr Körper war sehr zart, sehr schlank, wunderschön, und einen kurzen Moment hatte er Bedenken, sie zu verletzen. Unnötig, Mara war nicht so verletzlich, wie sie aussah, dafür ziemlich erfahren. Er war sich nicht sicher, ob es ihn störte oder ob es ihm gefiel. Was hatte er denn erwartet, er wusste doch …

Andächtig betrachtete er ihre entspannten Gesichtszüge, strich mit den Fingerspitzen über ihre Wange; er mochte ihren Duft, mochte das Gefühl ihres Körpers unter seinem Körper und war erneut erregt, biss sich auf den Daumen. Was überhaupt nichts nützte. „Dreh dich mal um.“

„Was? Wieso…“

„Red nicht, dreh dich um. Auf den Bauch.“

Mara protestierte nicht noch einmal, atmete keuchend, tief. Es war gut, Götter, sie war gut, aufregender als nur irgendwas, und er drängte sich an sie, in sie, konnte sie nicht oft genug anfassen, küssen, seine Hände überall. Den Geschmack nach ihr auf den Lippen.

„Du gehst jetzt aber nich…“

„Ich bin viel zu müde, noch irgendwohin zu gehen.“

„Morgen …“

„Ja, morgen.“ Morgen würde sie einen fürchterlichen Kater haben, sich kaum noch an irgendwas erinnern. Morgen würden sie reden. Müssen. Über sie, über Davian, über ihre Art, ihn zu betrauern. Darüber, dass er eigentlich nur ein Freund sein wollte. Morgen.


* * *


Nicht näher zu bestimmendes Geklapper, das Licht viel zu grell, zu hart, und ihr Kopf schmerzte. Jammernd zog Mara die Decke höher. Ihr war übel, entsetzlich übel, sie mochte sich nicht bewegen, gar nicht, wollte …

Aber er, Ivorek, ließ sie nicht, zog ihr einfach die Decke weg. „Du musst was trinken.“

„Ich muss mich übergeben.“

„Dann mach das.“ Ungerührt musterte er sie, zuckte die Achseln. Er hatte das auch in der Nacht gemacht, aber da… Hastig grabschte sie nach der Decke und zog sie sich vors Gesicht, fühlte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg und stöhnte leise.

„Musstest du dich nicht übergeben?“

„Nicht mehr. Du… wir… oh, Himmel, wir haben …“

„Daran erinnerst du dich also?“

Wenigstens überließ er ihr die Decke. „Leider. Ich meine natürlich … Oh, verdammt, was hab’ ich nur getan? Und du …“ Wieder stöhnte sie, hätte sich am liebsten in irgendeinem dunklen Loch verkrochen.

„Du hattest eindeutig zu viel getrunken. Ich… hatte das so nicht vorgehabt, Mara.“

„Glaubst du, ich? Kannst du nicht einfach…“

„Du liegst da in meinem Bett.“

„Was?“ Verdutzt zog sie die Decke vom Kopf, bekam so wenigstens Luft, und starrte Ivorek irritiert an. „Aber …“

„Hier, trink das. Hilft gegen die Kopfschmerzen.“ Er hielt ihr einen Becher hin, lächelte verhalten. „Du bist unglaublich hübsch so … zerwühlt.“

Vorsichtig trank sie einen Schluck. Der Tee war heiß, ein bisschen bitter. „Aber was… Du hast mich angeschrien, die ganze Zeit, du…“

„Ja. Ich war wütend, ich bin es immer noch, ärgerlich. Weil du …“ Kopfschüttelnd sah er sie an, biss sich auf die Lippen. „Zieh dich erstmal an.“

Ziemlich hastig verließ er das Zimmer. Ein kahles, bis auf Bett und Stuhl leeres Zimmer, kleine, dreckige Fenster gingen auf einen Innenhof. Mara suchte ihre Kleidung zusammen und folgte ihm mit wackligen Knien und schmerzender Hüfte in den Nebenraum. Eine Küche, zumindest gab es einen Herd, einen Tisch, ein paar Stühle, noch ein dreckiges Fenster. Eine auf halber Höhe geteilte Tür führte auf den schneebedeckten Innenhof hinaus. Sie setzte sich zu Ivorek an den zerkratzten Tisch, drehte den Becher in den Händen. „Und, was … Ihr ... Du bist meinetwegen wütend?“

„Sicher. Mara, ich verstehe, dass du um ihn trauerst, aber du kannst doch nicht… Du kannst dich doch nicht jede Nacht betrinken, ohne … Willst du in Schwierigkeiten geraten, in echte Schwierigkeiten, willst du dich umbringen? Die Kerle gestern, du verhältst dich absolut verantwortungslos, als wärst du… Ach Scheiße, warum muss ich dir das sagen?! Du hast deinen Mann verloren, aber doch nicht die ganze Welt! Dein kleiner Sohn hat seinen Vater verloren, und das ist schlimm, aber wirklich schlimm ist, dass du den Kleinen jetzt im Stich lässt. Was du da treibst…“

„Hör auf!“

„Nein, ich höre nicht auf! Das geht so nicht, Mara, das kannst du nicht tun. Du schweigst, du weigerst dich, mit irgendjemandem zu reden, du… Verflucht noch mal, du bist doch nicht allein auf der Welt! Und du bist auch nicht die einzige, die um Davian trauert, aber du tust so! Für wen hältst du dich?! Domallen wartet seit einem Monat auf einen Bericht, egal wie wirr, auf irgendein Wort von dir, aber du, du…“ Er stieß seinen Stuhl zurück, riss sie hoch. „Und hör endlich mit dieser verdammten Heulerei auf!“

Schluchzend sah sie zu ihm auf, unfähig, sich zu wehren. „Schlägst du mich sonst wieder?“

„Würde das etwas ändern? Mara …“ Plötzlich wurden seine Gesichtszüge weich, verloren jede Härte, bevor er sie heftig an sich zog und küsste. „Mara, es tut mir Leid.“

„Drohst du mir jetzt wieder, mich zu verprügeln, oder mir den Hintern zu versohlen?!“

„Ich glaube nicht, dass ich das möchte. Brauchst du Hilfe?“

„Wie?“

„Ob du … Ich weiß nicht, brauchst du Geld?“

„Nein.“ Verdutzt schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich habe Geld.“

„Gut. Und … kommst du irgendwo unter?“

„Wie bitte? Ich verstehe nicht, wovon redest du überhaupt?“

„Du solltest einen Bericht schreiben. Er muss, sollte wissen, was auf dem Weg nach Birkenhain passiert ist, was hinterher, bei ... mit Gettis Einheit. Aus deiner Sicht.“

„Wieso…“ Verwirrt schüttelte sie den Kopf. „Hast du einen solchen Bericht geschrieben?“

„Sicher, erklärt, warum ich dich überhaupt begleitet habe...“ Er rieb sich den Nacken. „Halt so gut es ging das Geschehen geschildert, wann und wo wir auf Claris, Karista und die zwei Frauen gestoßen sind. Bisher hat er darüber ja nur vom Hörensagen ... Reicht vielleicht, wenn du es ihm mündlich schilderst?“

„Aber…“, Mara fuhr sich über die Stirn, verstand gar nichts mehr, weil Ivorek von mehreren Dingen gleichzeitig zu reden schien. „Wieso fragst du mich das alles, was willst du eigentlich von mir?“

„Ich versuche herauszufinden, ob du klar kommst, ob du… Vergiss es. Ihr könnt hierher kommen.“

Zu ihm? Warum? „Du meinst, in dieses merkwürdige …“ Verwahrloste, aufgegebene, verlassene Gebäude. „Haus?“

Er zuckte einmal mehr die Achseln. „Gehört mir. Ich wollt’ mal was draus machen, aber … Na ja, mir kam was dazwischen. Der Krieg.“

„Das… das ist nicht nötig, wir … Ich habe ein Haus. Davians Haus, er hat es mir … Ich hab‘ irgendwo die Papiere, Urkunden, oder Sandar...“ Plötzlich wurde ihr schwindelig und sie musste sich an Ivorek festhalten, der sie besorgt betrachtete. „Was ist denn?“

„Iska meinte … Sie redete davon, er hätte viel geschrieben, immer nachts, seitdem er das letzte Mal zurück… Ich… Da ist ein ganzer Stapel, ich weiß gar nicht … Ivorek?“

„Soll ich… Ich komme morgen Abend vorbei, in Ordnung?“

„Aber …“

„Erstmal musst du deinen Bericht abliefern. Und ein langes … nun, jedenfalls ein Gespräch führen. Wenn du was gegessen hast, bringe ich dich in die Festung“, erklärte ... bestimmte er.

Mara aß nur wenig, ihr war immer noch übel, trank stattdessen viel. Tee. Ivorek beobachtete sie die ganze Zeit über, musterte sie ernst, als könnte sie etwas Dummes oder Unvernünftiges tun. Unwillig erwiderte sie seinen Blick. „Was?“

„Nichts, gar nichts.“

„Warum schaust du mich dann so an?“

„Ist sonst keiner da.“

„Himmel, dann … Häng dir ein Bild an die Wand, dann sieht es hier auch nicht so entsetzlich kahl aus!“

„Du findest es entsetzlich?“

„Kahl. Dies Haus scheint völlig leer, gänzlich … unbewohnt. Ich hätte nicht geglaubt, dass du so lebst. Haust“, murmelte sie. Als hätte sie sich darüber Gedanken gemacht.

„Ich habe nicht gesagt, dass ich so lebe. Es gehört mir halt.“

„Und was hast du damit vor?“

Ivorek zuckte lediglich die Achseln, wieder einmal, und sie wandte eilig den Blick ab, griff nach dem leeren Becher.

„Wieso wirst du jetzt rot?“

„Weil du…“ Abwehrend schüttelte sie den Kopf und nahm sich ein Stück Brot, zerkrümelte es aber bloß. „Ist nicht wichtig.“

„Doch, sag.“

„Ich… Du hast das gestern … also, heut Nacht, auch gemacht. Die Achseln gezuckt, halbnackt vor dem Bett stehend, um dann die Hosen runter… ähm, auszuziehen.“

„Daran denkst du?“

Betreten sah Mara auf ihre Hände, die Krümel auf dem Tisch, zuckte gleichsam die Achseln. „Es hat sich mir halt eingeprägt, was weiß ich. Ich war betrunken.“

„Ziemlich. Und was hat sich dir noch so einge…“

„Hör auf!“

„He, Mara, nicht doch.“ Er fasste unter ihr Kinn, drehte ihren Kopf, sodass sie ihn ansehen musste. „Ich hab’ dir bereits gesagt, ich habe das nicht geplant. Und ich habe mich bei dir entschuldigt.“

„Dafür, dass du es mit mir getrieben hast?! Das glaubst du doch selbst…“

„Hör mal, Schätzchen, du warst dabei nicht ganz unbeteiligt! Erzähl mir jetzt nicht, ich hätte dich dazu gezwungen!“

„Ach nein?! Und was ist das jetzt?“ Sie versuchte seine Hand wegzudrücken, doch Ivorek legte ihr auch noch die andere in den Nacken, hielt ihren Kopf fest. „Mara, du…“

„Und wenn du mich schon unbedingt küssen musst, dann richtig, nicht so nebenher, wie eben.“

„Hat dir nicht gefallen?“

„Nein! Ich bin doch kein…“

„Bist du auch nicht.“ Behutsam küsste Ivorek sie, sacht, erstaunlich zärtlich, strich ihr mit den Fingerspitzen über Hals und Nacken. „Mir war nicht… Ich wusste nicht, ob du das überhaupt willst. Von mir geküsst werden, obwohl wir ... Und du … Du bist mir zu wichtig für eine bloße Tändelei, für eine kurze Affäre.“

Stöhnend lehnte Mara den Kopf an. „Ivorek, ich kann das jetzt nicht…“

„Sollst du auch gar nicht. Ich will dich nicht zu irgendwas drängen, ich möchte nur … Ich möchte dir ein Freund sein, ein guter Freund. Bloß weiß ich dummerweise, wie es ist, dich zu küssen, und das…“ Er lachte rau, fuhr sich durch die wirren Locken. „Ist etwas, was ich immer wieder tun könnte. Möchte. Ist ausgesprochen aufregend. Und sehr schön. Ich rede zu viel, hm?“

„Nein.“ Eigentlich gefiel ihr seine Gegenwart, wie er mit ihr sprach.

„Ich habe immerzu das Gefühl, etwas erklären zu müssen, mein Verhalten, meine Beweggründe, und das bin ich nicht gewohnt. Die Frauen, mit denen ich bisher zusammen war, waren … einfacher, nicht so schön, nicht so kompliziert und anspruchsvoll wie du, die … Wir haben nicht so viel geredet, und sie haben nicht alles hinterfragt.“

„Wir sind nicht zusammen. Und ich bin nicht anstrengend, falls du das sagen wolltest.“

„Doch, bist du.“ Kurz drückte er sie an sich. „Schrecklich anstrengend, aber das macht nichts. Und nein, du hast Recht, wir sind nicht zusammen.“

„Waren es denn viele? Frauen, meine ich.“ Er hatte ihr auf dem Ritt von zweien erzählt, den Müttern seiner Söhne.

„Ein paar schon, ich bin ein ganzes Stück älter als du. Noch Tee?“

Sie nickte, und Ivorek schenkte Tee nach. „Wie viel älter?“

„Wenn du mir verrätst, wie alt du bist, sag ich ’s dir.“

„Neunzehn Jahre und knapp... einen halben Monat.“

„Oh, verflucht, ich hoffte…“, er lachte belustigt. „Ich bin vierunddreißig, bald fünfzehn Jahre älter.“

„Aber unverheiratet?“

„Das hatte ich dir ja bereits erzählt. Alte Gardisten sind unverheiratet. Entschuldige, wenn ich das sage, aber kein Mensch hat ernsthaft geglaubt, Davian würde dich heiraten, er war so gar nicht…“

„Er hat mich geheiratet“, erklärte sie schroff.

„Ja. Verzeih, ich wollte dir nicht wehtun. Soll ich aufhören, von ihm zu reden?“

„Ich weiß nicht, gerade jetzt … Was willst du denn sagen? Wieder das übliche Gerede über ihn, dass er ein Säufer, Schläger und Weiberheld war? Er war mein Mann, Ivorek, ich habe mich bei ihm, in seiner Nähe sehr wohl gefühlt, sicher und geborgen. Er hat mich verstanden, er kannte mich besser als jeder andere Mensch, und …“ Mara biss sich auf die Lippen. „Wir haben gestritten, ja, heftigst gestritten, wir haben uns gegenseitig angeschrien, Geschirr zerschlagen, es gab immer wieder … Missverständnisse. Aber dann haben wir uns wieder vertragen und waren einander noch näher. Wir haben uns geliebt, ich liebe ihn noch, werde ihn immer lieben. Er war mein Mann, Ivorek.“

„Mit allem, was dieses Wort bedeutet und beinhaltet.“

Sie nickte, fuhr sich übers Gesicht. „Jetzt habe ich dich gar nicht ausreden lassen.“

„Das macht nichts. Es war schön, dir zuzuhören. Traurig und schön.“

„Ich bin traurig, ich… ich weiß nicht, wie ich weiterleben soll. Ohne ihn.“

„Mara …“ Ivorek griff behutsam nach ihren Händen. „Du lebst bereits ohne ihn. Du machst lauter Fehler, stößt jeden vor den Kopf, du verhältst dich nur zu menschlich, unvernünftig, dumm, doch du lebst ohne ihn. Du kannst ohne ihn leben.“

„Aber …“ Sie wollte schreien, weinen, alles zerstören, die ganze Welt vernichten, Ivorek für seine Worte töten. Ohne ihn. „Nimmst du mich bitte in den Arm?“

Er zog sie in seine Arme, auf seinen Schoß. Hielt sie, derweil sie weinte. „Hasst du mich jetzt?“

„Ja.“ Schniefend schaute sie ihm ins Gesicht. „Ein bisschen. Zeigst du mir dein merkwürdiges Haus?“