Werner J. Egli
aus Luzern, Schweiz, lebt heute als freier Schriftsteller in Tucson (USA) und in Egg bei Zürich. Seine erfolgreichen und in viele Sprachen übersetzten Jugendbücher wurden unter anderem mit dem Friedrich-Gerstäcker-Preis, dem Preis der Leseratten (ZDF) und mit dem Jugendbuchpreis der Ausländerbeauftragten des Senats Berlin ausgezeichnet. Egli wurde für die Hans-Christian-Andersen-Medaille nominiert, der international höchsten Auszeichnung für Jugendliteratur.
Unter www.aravaipa.ch ist der Autor auch im Internet zu finden.
eISBN 978-3-03864-226-8
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Lektorat: Horst u. Fritz Eibl (A)
Umschlaggestaltung: Agentur Brivas
Bildnachweis: iStock: tamjkelly
Realisation: Brigitta Vasella
Copyright © 2019 by ARAVAIPA–Verlag,
Egg bei Zürich
ARAVAIPA im Internet: www.aravaipa.ch
1. Kapitel Ein See voll mit Whiskey
2. Kapitel Ein Elch für Chestnut Charlie Clark
3. Kapitel Julie
4. Kapitel Die Straße nach Norden
5. Kapitel Mickey Mouse auf dem Zifferblatt
6. Kapitel Ein Bild an der Wand
7. Kapitel Die Zähne des Monsters
8. Kapitel Wie ein junger Wolf
9. Kapitel Fünf Minuten mit Marvin
10. Kapitel Feuer im Blut
11. Kapitel Der Held in Susans Augen
12. Kapitel Hinterhalt am Sutherland Creek
13. Kapitel Der sanfte Tod
14. Kapitel Zukunftsträume
Wenn ich an meinen Vater denke, versuche ich meine Gedanken über die Pfade zu lenken, die hinausführen zum Stone Creek, über die alte Brücke und durch den Wald im Tal, wo unsere Vorfahren begraben liegen. Ich gehe an seiner Seite und versuche so sanft und leise aufzutreten, dass nichts von mir zurückbleibt, kein Geräusch, keine Spur, nicht einmal mein Atem in der klaren, kalten Luft. Manchmal ist Marvin dabei, mein älterer Bruder. Wir gehen unsere Fallenstrecke ab. Es ist Frühling. Der Boden unter dem weichen Schnee ist noch gefroren. Die Sonne scheint warm an den Südhängen herunter ins Tal, in dem Schmelzwasser von den Ästen der Fichten tropft. Die Fallen sind voll. Wir häuten die Bisamratten an Ort und Stelle, binden die Felle zusammen und tragen sie in Bündeln auf unseren Rücken. Wir gehen langsam das Tal hinauf, bis zu den Quellen des Stone Creek, und dort lagern wir und die Nacht ist eiskalt und klar, so klar, dass der Himmel aussieht wie das blaue Tuch, das Mutter unter den Weihnachtsbaum legt und das sie ganz mit Glimmer bestreut, bevor sie unsere Geschenke auslegt.
Und am nächsten Tag gehen wir weiter, Vater geht voran, die kahlen Hügel hinauf bis zu jener Stelle, von wo wir das weite Tal des Bear River sehen können, das sich bis zu einer mächtigen Bergkette hin ausbreitet. Hier oben, wo der Wind frei über den Grat hinwegfegt, setzen wir uns hin und mein Vater sagt: „Es ist Frühling. Bald kehren die Karibus zurück.“
Das ist alles, was er sagt. Aber es sind nicht seine Worte, die mich glücklich machen, es ist das Gefühl, dass der lange Winter endlich vorbei ist, und ich verliere die Furcht, die in meinen Alpträumen entstanden ist, die Furcht, dass eines Tages nichts mehr so sein wird, wie es jetzt ist. Die Karibus kehren zurück. Ich blicke zur Senke hinunter, wo die Tümpel noch mit Eis bedeckt sind, aber hier und dort glitzern die Wasser der vielen kleinen Bäche, die dem Bear River zufließen, sich in ihm vereinen und ihn zu einem großen starken Fluss werden lassen. Ich blicke in die Ferne nach Süden und ich weiß, woher sie kommen und wo sie auftauchen werden, aber sie sind noch nicht zu sehen.
Mein Vater nimmt seine Flasche aus dem Rucksack und trinkt. Die Furcht kehrt sofort zurück und vielleicht spürt er es, denn er steht auf und sagt, dass es Zeit ist, nach Hause zu gehen. Wir verlassen den Grat und ich sehe mich noch einmal um und ich wünschte, wir könnten für immer hier bleiben.
Mein Vater sagte mir einmal, als er zufällig nüchtern war, dass der Weg eines Menschen vorbestimmt ist und es sich nicht lohnt, über gewisse Dinge, die einem im Leben passieren, Schlaf zu verlieren. Ich kann nicht behaupten, mein Vater sei eine Leuchte in Sachen Lebenserfahrung gewesen, letztlich trank er sich zu Tode, aber in diesem Fall muss er Recht gehabt haben. Wie sonst wäre es zu erklären, dass sich mein Weg mit dem Weg von Lester Kinsley oder William McGill kreuzte. Ein Zufall war es bestimmt nicht.
Gelegentlich fragen mich Weiße, die von nichts eine Ahnung haben und für die die letzten Abkömmlinge eines Naturvolkes so etwas wie aussterbende Exemplare einer urweltlichen Lebensform sind, warum ich Kirby Halfmoon heiße. Zu Deutsch bedeutet dies Halbmond. Und gelegentlich, wenn ich wirklich Bock darauf habe, erzähle ich ihnen folgende Geschichte:
Mein Vater hieß Halbmond, mein Großvater hieß auch Halbmond. Und mein Urgroßvater hieß Vollmond, aber dann hat ihm einer beim Zweikampf mit dem Tomahawk den Schädel gespalten, mitten durch, und sein Kopf fiel in zwei Hälften auseinander und fortan nannte man uns Halbmond. Für die Weißen ist das natürlich eine überwältigende Geschichte, die ich ganz nach Lust und Laune ausschmücken kann, aber meistens bleibe ich ziemlich sachlich, weil zu fürchten ist, dass mir sonst noch irgendwann einmal ein Zuhörer wegen der Augen, die aus den Höhlen quellen oder wegen des Blutes oder irgendwelcher Gehirnteile, die dem gespaltenen Schädel entweichen, in Ohnmacht fällt. Die Geschichte ist natürlich erfunden.
Ich bin ein Indianer. Mein Vater war ein Indianer und mein Großvater auch. Meine Großmutter war weiß. Ich verstehe nicht, warum mein Großvater sie geheiratet hat. Ich hätte das an seiner Stelle bleiben lassen. Dann wäre mein Vater nicht geboren worden und er hätte sich auch nicht zu Tode saufen können.
Manchmal, wenn ich alleine bin, irgendwo in den Wäldern oder auf der Karibu Ebene, wo wir früher Fallen zum Fang von Bisamratten ausgelegt haben, denke ich über mein Leben nach. Das bringt zwar nichts, aber schaden tut's auch nicht. Die Erinnerungen an meinen Vater sind zwar in letzter Zeit ein wenig blasser geworden, aber ich sehe ihn noch genau vor mir, wie er manchmal heimkam, die Hose voll, weil er zu betrunken war, um irgendwo auf die Toilette zu gehen oder sein Geschäft hinter einem Busch zu verrichten. Sein Gesicht war ein aufgedunsener Schwamm voller Löcher, mit einer geschwollenen Kartoffelnase mittendrin und zwei kleinen wässerigen Augen, in denen sich selten etwas anderes spiegelte als Leere. Nicht eine Leere wie, zum Beispiel, der Himmel ohne Wolken oder eine Leere wie in einem tiefen schwarzen Teich im Wald, sondern eine vollkommen leere Leere.
Meine Mutter hatte ganz andere Augen. Voller Wärme. Wenn ich an meine Mutter denke, fängt mir meistens das Herz an wehzutun. Richtig weh. Und manchmal gerate ich unweigerlich in diese Stimmung, die mich fix und fertig macht, und damals, als ich in der Stadt war, wollte ich jedes Mal am liebsten sofort meine Sachen zusammenpacken und nach Hause gehen.
Ich ging natürlich nicht nach Hause. Was sollte ich dort? Nicht einmal das Dorf existierte mehr. Unser Dorf. Die Kirche und alles. Die Kneipe, in der mein Vater sich langsam zu Tode soff. Das kleine Schulhaus, dessen Bretterwände wir Schüler in Fronarbeit mit himmelblauer Farbe angestrichen hatten, die Fensterrahmen und Dachränder weiß. Alles war verschwunden. Alles lag in der Tiefe eines Stausees, die Gräber hinter der Kirche auch, das Kreuz, auf dem der Name meines Vaters stand, James Parker Halfmoon, und das Grab meines Großvaters und das Grab meiner kleinen Schwester Belinda, die an einer Lungenentzündung gestorben ist, kurz bevor sie drei Jahre alt werden konnte.
Der Staudamm war von der LK Baufirma gebaut worden. LK stand für Lester Kinsley. Ich sah Lester Kinsley nur ein einziges Mal in unserem Dorf, als er nämlich mit seinem Privatflugzeug auf dem neuen See landete. Zur Einweihung des Staudammes, der zu Ehren eines alten Pfadfinders und Trappers der Hudson Bay Company Jim-Williams-Damm hieß. Kinsley hielt im neuen Gemeinschaftssaal eine Rede. Ich war dort. Das Beeindruckendste an Lester Kinsley war seine Tochter Amanda. Er stellte sie allen Dorfleuten vor, indem er sie auf die Bühne holte.
„Das ist mein ganzer Stolz“, sagte er. „Meine Tochter Amanda. Ich weiß bis heute noch nicht, warum dem Damm nicht der Name Amanda gegeben worden war.“
„Den Damm habe ich zu Ehren meiner Tochter gebaut“, hatte Kinsley damals gesagt. „Ihr und den anderen jungen Leuten im Saal gehört die Zukunft unseres Landes!“
Mir zum Beispiel. Ich war vielleicht ein Jahr älter als Amanda. Mir und ihr gehörte die Zukunft. Am liebsten hätte ich es sogleich ausprobiert, aber sie war ein Mädchen aus den so genannten besseren Kreisen, während ich mein Geld mit dem Fang von Bisamratten verdiente.
Genau genommen war Lester Kinsley meine Zukunft genauso wurscht wie die der anderen jungen Leute irgendwo auf der Welt. Für ihn zählten nur er, sein Geld und seine Macht. Echte Freunde hatte er nicht. Arschkriecher waren seine Freunde. Leute, die von ihm und seinen Geschäften profitierten. Leute, die ihm zu Kreuze krochen, wenn er es von ihnen verlangte. Schamlos liessen sie sich von ihm manipulieren, hatten längst alle Achtung vor sich selbst verloren, auch allen Respekt vor ihm, und jedes Mitgefühl für uns und unsere Vorfahren. Seine Freunde waren ein paar korrupte Politiker und Beamte, die eigentlich hätten wissen sollen, dass sie Angestellte des Staates waren, in dem wir zu leben hatten. Unsere Angestellten, auch wenn die wenigsten von uns Geld hatten, um sie zu bezahlen. Schon allein deshalb, weil die meisten von uns arm waren, wurden wir von Leuten wie Lester Kinsley und seinen Arschkriechern gezwungen, um unsere Rechte zu kämpfen. Ich hasste Lester Kinsley nicht, ich verachtete ihn. Für mich war er der Inbegriff des Bösen und des Schlechten, mit dem Menschen wie er ausgestattet sein konnten, und manchmal fragte ich mich, ob sich das ein Schöpfer, unser aller Gott, wirklich so ausgedacht haben konnte. Um uns zu zeigen, dass das Schöne und Gute, unsere Freiheit im Schatten und im Licht der Zeiten, die Lachse im Fluss, der Grizzly im Busch, der Himmel und seine Sterne, der Adler im Wind und die Luft die wir atmen, nicht einfach Geschenke einer höheren Macht sind, sondern dass diese Geschenke uns vor die Aufgabe stellen, sie ehren und zu schützen.
Mein Totem war der Adler. Mein Vater hatte es mir oft genug gesagt, selbst wenn er im Vollrausch war. Für ihn war das wichtig, dass wir lebten wie wir lebten, unsere eigenen Entscheidungen trafen, nicht an uns selbst verzweifelten und nie vergaßen, wer wir waren, woher wir kamen und wer uns die Kraft gab, aufzustehen und zu fliegen, wenn wir es nur wollten.
Für sich selbst wollte er es nicht, aber für ihn, diesen alte Säufer mit seiner gebrochenen Seele, war ich nicht nur sein Sohn, für ihn war ich der Adler der er nicht sein konnte, weil er sich selbst aufgegeben hatte.
Keine Ahnung mehr, ob es mich in die Stadt zog, weil ich hoffte, Amanda dort wieder zu sehen oder ob ich einfach nur mal sehen wollte, wie Leute vom Schlag eines Lester Kinsley lebten, oder ob ich hoffte, Antworten auf die Frage zu finden, ob ich wirklich ein Adler sein konnte oder ob ich der Versuchung, Lester Kinsley zu Kreuze zu kriechen, widerstehen konnte.
Nun, vorerst blieb ich zu Hause. Die Regierung hatte uns ein neues Dorf hingestellt. Am Ufer des Sees. Die Lebensbedingungen werden besser, versprach man uns. Die Elektrizität bekommt ihr selbstverständlich gratis. Die Fischrechte gehören euch. Das Wasser wird jahraus, jahrein zum Verschwenden da sein. Der See wird dieses Land in ein Freizeitparadies verwandeln. Motorboote sollt ihr haben. Segeln sollt ihr können wie die reichen Pinkel mit den weißen Schuhen und den Goldketten um den Hals. Wasserski soll euer Zeitvertreib werden. Wasserski!
Ich konnte das nicht aushalten. Meine Mutter merkte es. Sie hatte Angst um mich. Sie dachte, ich würde hingehen und den Staudamm in die Luft sprengen. Aber ich hatte kein Dynamit und kein TNT und nichts. Ich hatte nur eine schreckliche Wut im Bauch, weil plötzlich nichts mehr stimmte. Der See machte alles kaputt. Das Wetter änderte sich. Der Wind wehte nun volle Pulle über die Wasseroberfläche und fegte sozusagen mit Anlauf durch das neue Dorf und die Wälder. Es wurde kälter, als es jemals war. Merkwürdige Pflanzen begannen zu wachsen. Überall. Zuerst am Ufer des Sees, dann in den Wäldern. Im Sommer gab es häufiger Gewitter als zuvor. Blitze schlugen in den See und in die Wälder. Dann brannte es. Es begann am Hang des Pilot Hill, einem dicht bewaldeten Hügel hinter dem Dorf, auf dem man einen Fernsehumsetzer errichtet hatte. Das Feuer breitete sich schnell aus. Es bedrohte das neue Dorf. Alle Leute wurden evakuiert. Die Feuerwehren kamen nicht gegen den Brand an, obwohl Hubschrauber eingesetzt wurden und riesige Bulldozer. Der Himmel über dem Land war schwarz. Ich dachte, jetzt geht endlich die Welt unter und die Prophezeiung von James Parker Halfmoon wird wahr. James, der Säufer, hatte nämlich einmal kundgetan, dass die Menschen dümmer sind als die dümmsten Viecher und sie deshalb eines Tages mit dem Ast in die Tiefe sausen, an dem sie schon all die Jahre mit bornierter Vehemenz und in ihrem blindem Fortschrittswahn herumsägen. Aber noch war der Letzte Tag nicht gekommen, und als, wie durch ein Wunder, der Wind plötzlich drehte, blieb unser neues Dorf in seiner ganzen Trostlosigkeit vom Feuer verschont und James, der Säufer, entstieg nicht dem See wie ein erzürnter Gott aus der Geisterwelt. Das Feuer fraß sich durch die Wälder nach Osten, durch die Täler und über Hügel hinweg auf die Berge zu. Es war nichts zu machen. Tausende von Hektar brannten. Nach einigen Wochen war das Land verwüstet. Voll mit verkohlten Baumstümpfen, wo einmal die Bäume so dicht gestanden hatten, dass die heiße Sommersonne die Erde niemals austrocknen konnte.
Es war nicht mehr mein Land, in dem ich aufgewachsen war, aber ich liebte es trotzdem.
Es war nicht mehr mein Wald, in dem ich mich sicher gefühlt hatte.
Es war nicht einmal mein Himmel, aber wenn ich heute zu ihm aufblicke, bin ich dankbar, dass ihn noch niemand besitzt und verwalten kann, bis es vielleicht einmal einer wie Lester Kinsley auf die Idee kommt, ihn durch eine staatliche Space-Polizei patrouillieren zu lassen, nicht zum Schutz der Sterne, sondern damit ein paar der superreichen Menschen sie vom Himmel holen und in die eigene Tasche stecken können.
Ich hasste den Staudamm und den See. Und manchmal, wenn ich mich hilflos fühlte, machte ich meinen Vater allein dafür verantwortlich, dass es diesen künstlichen See überhaupt gab. Als die Regierung ihn nämlich fragte, ob er den See wollte oder nicht, verschmähte er es, mir zu zeigen, dass er sich noch nicht ganz aufgegeben hatte. Ja, mein Vater wollte den See. Ein See voll mit Whiskey, hörte ich ihn auf einer der vielen Versammlungen grölen, die in unserem himmelblauen Schulhaus abgehalten wurden.
Einige Wochen nach dem Brand ging ich weg.
Es war in einer kalten Nacht.
Der See lag unter einer dicken Eisdecke.
Die elektrischen Leitungen, die vom Tal herauf zum neuen Dorf führten, summten. Der Geruch von Holzfeuern lag in der Luft. Einige Leute hatten noch einen richtigen Ofen. Aber die meisten heizten ihre Häuser mit Elektrizität.
Ich verabschiedete mich von niemandem. Nicht einmal von meiner Mutter. Und auch nicht von Laura, die ich einige Tage zuvor auf dem Pilot Hill zum ersten Mal geküsst hatte, umgeben von den halb verkohlten Baumstämmen und der verbrannten Erde.
Ich wollte nicht noch einmal in Lauras Augen sehen und ein schlechtes Gewissen kriegen, nur weil ich ihr in jener Nacht auf dem Pilot Hill möglicherweise das Herz gestohlen hatte.
Ich sah auch meine Brüder und Schwestern nicht mehr. Marvin war meistens im Busch auf seiner Fallenstrecke. Robert trieb sich nur rum. Er war wild geworden. Unberechenbar. Niemand kam an ihn ran und meine Mutter befürchtete großes Unglück.
Philip, der Kleine, schlief in Marvins Bett. Ich schaute kurz in sein Zimmer. Da lag er, halb aufgedeckt, auf dem Bauch, den Daumen im Mund. Ich machte die Tür leise zu.
Melanie schlief bei meiner Mutter im Elternbett, seit mein Vater tot war, und Andrea hatte ein Zimmer für sich, weil sie älter war und furchtbar eigenwillig.
Es war kurz vor Mitternacht, als ich das Haus verließ. Obwohl ich leise vorging, wurde Blue wach. Ich wollte, dass er zurückblieb, aber er begleitete mich. Wahrscheinlich dachte er, ich ginge auf die Jagd. Oder zu unserer Fallenstrecke am Bear River, wo im Sommer die Karibus ihre Jungen zur Welt brachten. Blue und ich waren fast immer zusammen gewesen. Ich blieb einige Male stehen und versuchte ihn nach Hause zu schicken. Es nützte nichts. Er setzte sich nur hin und blickte mich von unten herauf schief an. Er konnte nur ein Ohr aufstellen, das andere hing ihm lose herunter.
Ich ging am alten Trading Post von Francis Leroux vorbei, als es schon nach Mitternacht war. Da im Haus noch ein Licht brannte, wollte ich eigentlich schnell hineingehen und dem alten Franzosen zum Abschied die Hand geben, als ich jedoch durch ein Fenster in seinen Laden blickte, sah ich ihn auf dem Sofa liegen, halb mit einem Bärenfell zugedeckt. Er schlief. Sein Arm hing leblos herunter. am Boden lag eine leere Whiskeyflasche. Sein Gesicht war aufgedunsen und gerötet. Im Kamin brannte kein Feuer und so dachte ich, dass er im Vollrausch ohnmächtig geworden war und vielleicht den Winter nicht überleben würde. Eigentlich war ich beinahe sicher, dass ich ihn nicht lebend wieder sehen würde, falls ich überhaupt jemals hierher zurückkehrte. So ging ich weiter.
Blue folgte mir die ganze Nacht und am nächsten Tag bis zum Mittag. Ich gab ihm nichts zu fressen. Ich wollte nicht, dass er bei mir blieb. Am Mittag setzte ich mich unter einem schneebeladenen Baum hin. Es war sehr still, doch ich wusste, dass einige Meilen weiter im Westen, jenseits einer lang gezogenen Hügelkette die Oberlandstraße vorbeiführte. Blue, der in einiger Entfernung von mir stehen geblieben war, schaute mich an. Dann blickte er den Weg zurück, auf dem wir gekommen waren. Mindestens zehn Minuten lang war er unschlüssig. Schließlich, als ob ihn jemand gerufen hätte, lief er auf unserer Fährte davon. Ich blickte ihm nach, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte.
Wie ich schon sagte, außer wenn ich an meine Mutter dachte, verspürte ich eigentlich nie das Bedürfnis, nach Hause zurückzukehren. Genau genommen hatte ich nämlich gar kein Zuhause mehr, seit das alte Dorf im Kinsleys Stausee untergegangen war.
Früher dachte ich, das alte Dorf lebt unter Wasser weiter. Mit allen Toten, die wir im Laufe der Zeit dort begraben hatten. Die Toten sind alle auferstanden und leben nun unter Wasser im alten Dorf, und mein Vater geht jeden Tag in die Kneipe und säuft, und Curly Bill Baker, der vor vielen Jahren am Glenrose Creek Gold entdeckt hatte, hockt vor seiner Hütte auf der Bank, den zerfetzten Schlapphut auf dem Kopf, und raucht genüsslich seine Pfeife. Und die fette Marybelle bedient die Kunden in ihrem kleinen Laden, blättert mit ihnen die neuen Versandhauskataloge durch, die Pete McCafferty, der beste Buschpilot unserer Zeit, im Postsack von der Stadt herüberflog. Wöchentlich zweimal war der Postsack gekommen, bis zu jenem Tag im November vor sieben Jahren, als sich Pete McCafferty in einem Schneesturm verschätzte und gegen den Springwater Peak flog. Im letzten Moment gelang es ihm zwar noch, die Nase seiner Piper Archer hochzuziehen, aber das war das Letzte, was Pete McCafferty in seinem Leben tat. Das kleine, arg vom Wind gebeutelte Flugzeug prallte bäuchlings gegen einen steilen Geröllhang, direkt unter der Bergspitze, und im Frühling, als es endlich gelang, dort hinaufzukommen, fand man Pete McCafferty im Cockpit eingeklemmt und man brachte ihn ins Dorf und beerdigte ihn hinter der Kirche, und anstelle eines Kreuzes steckte man ein Stück des Propellers seiner Piper Archer in den neuen Grabhügel.
Ich konnte sie mir alle vorstellen, die Seelen des alten Dorfes, wie sie dort unten in der Stille des tiefen Wassers umhergeisterten, froh, dass sie nicht mehr unter uns waren und nicht mehr mit ansehen mussten, wie ihre alte Welt langsam zu Grunde gerichtet wurde.
Nein, ich hatte keinen Bock, dorthin zurückzugehen, wo ich einmal zu Hause gewesen war. Der See hatte meine Welt zerstört. Dafür kannte ich als Einziger sein Geheimnis, denn ich gehörte mehr zu Pete McCafferty, Marybelle und Curly Bill Baker als zu denen, die noch nicht begraben waren.
Dreieinhalb Jahre lebte ich in der Stadt, mehr als dreihundert Meilen vom See entfernt, der ebendiese Stadt mit Elektrizität versorgte.
Es gibt Leute, die behaupten, dass die Stadt Kinsleys Stadt ist. Auf den ersten Blick scheint es so. Kinsley ist der Besitzer des größten Hotels, des Ambassadors. Kinsley gehört eine der Banken, nämlich die North West National Bank, kurz NWN genannt. Lester Kinsley besitzt die Ford, Lincoln, Mercury Niederlassungen, die Toyota, Suzuki und Nissan Niederlassungen und das größte Warenhaus am Platze, den Kinsley Department Store. Er ist auch Mitbesitzer der einzigen Brauerei, aber sein einträglichstes Geschäft ist wohl das Mutterunternehmen, die LK Hoch- und Tiefbau Firma. Ob die Stadt tatsächlich Kinsleys Stadt ist, weiß ich nicht, weil es dort immerhin ein paar Leute gibt, die nicht in Kinsleys Schuld stehen, zum Beispiel meinen Freund Chestnut Charlie, von dem ich später noch erzählen werde.
Die Stadt ist keine große Stadt. Nicht wie die Städte an der amerikanischen Westküste, wo ich noch nie gewesen bin. Trotzdem ist für mich die Stadt ein bösartiges und gefräßiges Monster, halb Spinne, halb Kröte, die ihre eigenen Jungen verschlingt und ihr eigenes Nest mit einem schleimigen Giftbrei vollkotzt, dessen Dämpfe langsam alles Leben in einem weiten Umkreis ersticken.
Die Stadt hat sieben Papiermühlen. Vier von ihnen gehören Lester Kinsley.
Diese Papiermühlen sind wie die Mäuler des Monsters. Tatsächlich verschlingen sie tausende und abertausende von Bäumen, aus denen dann Zahnstocher und Streichhölzer werden, Schreibpapier, Schachteln und Werbeprospekte, aber auch Zeitungen, Magazine und Bücher, durch die, wenn es nach Kinsley und seinen Arschkriecherfreunden ginge, nur noch ihr eigenes verqueres Gedankengut vertrieben werden sollte.
Rund um die Stadt gibt es keine richtigen Wälder mehr, sondern nur noch etwas, was die Leute „Busch“ nennen. Die Bäume, die im Busch abgeholzt und von den Mäulern des Monsters verschlungen werden, sind Pappeln. Kleine mickerige Pappeln, die überall dort wachsen, wo der alte Wald vor über fünfzig Jahren radikal abgeholzt worden war. Wer einen richtigen Baum sehen will, muss die Stadt verlassen und hinausfahren ins Hinterland, weit hinaus. Meilen um Meilen durch den Pappelbusch, und dann, wenn man schon denkt, der Pappelbusch hört nie mehr auf, begegnet man vielleicht einem riesigen Holztransporter, der mächtige Bäume geladen hat, Baumstämme, die zwei Meter dick sind und achtzehn Meter lang. Und der Holzlaster donnert in Windeseile an einem vorbei auf der schmalen Holzlasterstraße, von denen es im Hinterland ein ganzes Netz gibt und die alle an einer Stelle zusammenlaufen, dort, wo das immerfort gefräßige Monster in seinem schmutzigen Nest hockt.
Ich arbeitete nie in einer dieser Papiermühlen, obwohl man mir dort einen anständigen Lohn gezahlt hätte. Zuerst dachte ich daran, für Kinsley zu arbeiten. In seiner Baufirma. Oder bei Ford als Handlanger. Ich dachte, dass ich dann Amanda vielleicht mal sehen würde. Aber Amanda war nicht hier in der Stadt. Amanda studierte an der Simon Frazer Universität in Vancouver. Sie kam nur während ihrer Semesterferien nach Hause. Und sie war für ihre Vorliebe für Pizza von Gino bekannt. Also arbeitete ich für Gino. Gino war neu im Land.
„Du arbeiten gut, ich machen ein Millionär aus dir, Mezzoluna.“ So nannte er mich. Mezzoluna. Halbmond. Ich mochte ihn eigentlich, obwohl er mir Minimallohn zahlte. Millionär? Jesus, wer will schon Millionär werden? Sauber, meine ich, geht's kaum. Mit reiner Weste und so, vom Gewissen ganz zu schweigen. Ein paar gab es vielleicht, die das geschafft haben, aber es sind wohl die Nadeln im Heuhaufen. Also, arbeitete ich bei Gino in seinem Pizzaladen, für dreieinhalb Dollar die Stunde, von fünf am Nachmittag bis elf in der Nacht, durchgehend, zwischen dem hochmodernen Pizzaofen und der Anrichte. Mozzarella, Champignons, Sardellen, Salami, Broccoli, Hackfleisch, Peperoni und vier verschiedene Arten von Käse.
Nach sechs Monaten war ich ein perfekter „Chef de Pizza“ und dann hängte ich meine fleckige Schürze an den Nagel und ging fischen.
Die Lachse kehrten zurück, den Fluss hinauf, um zu laichen und zu sterben.
Ich kannte einige Tricks, die ich von meinem Großvater gelernt hatte. Ich verkaufte Lachs auf eigene Faust. Mit dem Geld bezahlte ich die Miete für meine Hütte am Stadtrand.
Und als die Lachszeit vorbei war, jagte ich Elche. Und ich verkaufte das Fleisch auf eigene Faust und mit dem Geld bezahlte ich die Miete für meine Hütte am Stadtrand.
Und mit dem Pizzalohn kaufte ich mir ein paar Dinge. Ein neues Gewehr. Ein Jagdmesser. Ein Paar Schnürstiefel. Einen daunengefütterten Parka. Und ein Auto. Einen alten Pontiac, V8. Braun, und mit durchgerosteten Türen und verbeulten Kotflügeln.
Im Sommer kam Amanda zurück. Lester Kinsley ließ es sich nicht nehmen, seinen ganzen Stolz persönlich mit seiner schneeweißen Cessna in Vancouver abzuholen. Ich machte von diesem Tag an Überstunden, weil ich Amanda auf keinen Fall verpassen wollte, wenn sie herkam und ihre erste Pizza aß. Ihr Lieblingsplatz war der runde Tisch beim Fenster, sagte mir Gino und er kaufte mir zuliebe Blumen und stellte sie in einer schönen azurblauen Vase auf den runden Tisch.
Ich arbeitete Tag und Nacht. Ginos Frau entließ den anderen Gehilfen, einen Inder, den Gino „Sitting Bull“ nannte, weil er einen dicken, platt gesessenen Arsch hatte. Nach zwei Wochen kippte ich beinahe aus meinen Schuhen. Ich war völlig überarbeitet. Einfach runter. Gino wollte mir Erholungsurlaub geben.
„Du dir schaufeln dein eigenes Grab“, warnte er mich, aber ich gab nicht auf. Und siehe da, eines Tages erhielt Gino eine Bestellung übers Telefon. Achtzehn Gino Speziale, mit allem drauf, außer Sardellen. Lieferung am Freitagabend um sieben Uhr ins Haus Kinsley, Spruce Ridge Drive. Haus Kinsley. Das war mehr eine Burg aus Beton und Glas als ein Haus. Es stand zuoberst auf der Spruce Ridge, dem letzten dicht bewaldeten Hügelrücken im weiten Land. Die Straße, die in mehreren Kehren hinaufführte, war von Kinsley gebaut worden. Von seinem Haus aus hatte er einen freien Ausblick über die Stadt und die ganze Schleife des Flusses. Bei klarer Luft, das heißt, wenn der Wind den Rauch aus den Schloten der Papiermühlen ostwärts wehte, konnte man von der Spruce Ridge bis zu den Bergen sehen, die sich wie kahle Buckel eines riesigen Tieres aus dem Busch hoben. „Höcker des Monsters“ nannte ich die Berge. Im Winter konnte man dort Ski fahren. Es gab sogar eine Seilbahn und mehrere Schlepplifte.
Gino und ich lieferten am Freitagabend die Pizzas pünktlich ab. Sieben Uhr. Vor dem Haus Kinsley waren mindestens zwei Dutzend Autos geparkt. Freunde von Amanda. Der Laden war bumsvoll. Überall hingen Lampions und bunte Girlanden. Aus Lautsprechern tönte Milli Vanilli. Ein Hausmädchen machte uns auf.
„Ginos Pizza Delivery“, sagte Gino. Wir trugen beide Schirmmützen mit der Aufschrift Gino's Pizza — Best in the West. Kinsleys Rottweiler wurden dadurch irritiert. Das behauptete Kinsley jedenfalls später, als er eine Strafanzeige befürchtete. Die Rottweiler fielen Gino nämlich ohne Vorwarnung an. Die drei Pizzas, die er in den Händen trug, flogen in der Gegend herum. Gino brüllte auf Italienisch um sein Leben, während er davonrannte und sich mit einem Hechtsprung in den Swimmingpool stürzte. Einer der Rottweiler zerfetzte Ginos Mütze. Der andere zerrte wie ein Wahnsinniger an meinem Hosenbein und gab dabei Laute von sich, die ich einem Hund nie zugetraut hätte. Einige Leute stürzten aus dem Haus. Gino war am Ertrinken, weil er nie schwimmen gelernt hatte, obwohl er am Mittelmeer aufgewachsen war und mir die ganze Zeit schon erzählte, wie er am Strand mit seiner behaarten Brust hübsche Touristinnen aus dem Norden verführt hatte. Der Rottweiler biss mir ins Bein und ich fiel um und schlug mit dem Kopf auf einer der Schieferplatten auf, mit denen der Weg zum Haus ausgelegt war. Sterne tanzten vor meinen Augen. Milli Vanilli wurde zum Engelschor. Mein Vater tauchte aus den Fluten, ganz grün im Gesicht. Es roch nach Whiskey. Das war aber nur Kinsley, der sich über mich beugte.
„Meine Hunde mögen Mützen nicht“, sagte er und schüttelte mich, als hätte ich den Rottweiler gebissen.
„Lass ihn los, Vater. Er blutet doch!“ Das war Amandas Stimme. Ich wurde sofort munter, blickte in ihre Augen und sagte im Tonfall eines wahren Helden: „Ich schaff das schon, Amanda.“
Und während sie noch darüber nachdachte, wieso ich ihren Namen wusste, kam ich auf die Beine. Kinsley hieb mir kameradschaftlich die Hand auf die Schulter und sagte: „Die Mütze bist du wohl los, Junge.“
Mir wurde hundsübel und ich taumelte und wäre wohl auf der Stelle zusammengebrochen, wenn mich nicht Amanda und eine Schar ihrer Freunde aufgehalten hätten.
„Wir sollten dich ins Spital bringen“, sagte Amanda. „Bestimmt hast du eine Gehirnerschütterung.“
„Die Hunde sind gegen Tollwut geimpft“, erklärte Kinsley. „Da ist nichts zu befürchten.“
„Wer gebissen wird, kriegt prophylaktisch eine Spritze ins Rückenmark, wenn er ins Spital eingeliefert wird“, beharrte Amanda.
„Ich gehe nicht ins Spital“, sagte ich. „Ich gehe nach Hause.“
„Jemand sollte ihn nach Hause bringen“, sagte einer von Amandas Freunden.
„Ich finde meinen Weg schon.“
„Nein, nein“, sagte Amanda. „Wir bringen dich nach Hause.“
„Wo wohnst du denn?“, wollte Kinsley wissen.
„Am Fluss. Die Hunde sind ziemlich wirr, nicht wahr?“
„Die Hunde sind schon in Ordnung. Sie mögen nur keine Mützen, verstehst du. Sie knurren sogar mich an, wenn ich mit meiner LK Mütze nach Hause komme.“
„Deine Hunde sind schwachsinnig“, behauptete Amanda. „Überhaupt, ich weiss gar nicht …“ Sie nahm mich beim Arm. „Komm, ich bringe dich nach Hause.“
Was hätte ich tun sollen. Ich war völlig benommen und schwach auf den Beinen. Zuerst dachte ich natürlich an Gino, der am Rande des Swimmingpools lag. Irgendwer hatte ihm das nasse Hemd ausgezogen und ein ziemlich übergewichtiges Mädchen kniete zwecks Wiederbelebung auf seiner schwarz behaarten Brust. Kinsley lärmte, die Party habe noch nicht einmal richtig angefangen. „Es ist dein Geburtstag, Amanda!“
„Und was ist denn mit der Pizza?“, rief eine andere von Amandas dicken Freundinnen. „Die Rottweiler fressen die Mützen und wir kriegen nicht einmal Pizza.“
Amanda führte mich durchs Tor hinaus. Als wir draußen waren, hielt sie an. „Lieber Gott, ich hoffe, dein Freund ist nicht ertrunken.“
„Das ist nicht mein Freund. Das ist nur mein Boss.“
„Und wer bist du?“
„Kirby.“
„Wie geht's deinem Bein, Kirby?“
„Es ist nur ein Kratzer.“
„Vaters Rottweiler sind wirklich das Allerletzte“, sagte sie. „Komm, mein Auto steht in der Garage.“
Wir gingen in die Garage. Dort standen ein Jaguar, ein Range Rover, ein Chevy Corvette und ein BMW Kabrio einträchtig nebeneinander. Amanda öffnete mir die Tür des Kabrios.
Natürlich wollte ich nicht, dass sie meine Hütte sah. Deshalb sagte ich ihr, sie könne mich doch beim Eisstadion rauslassen.
„Ich bringe dich lieber nach Hause“, beharrte sie.
„Es ist schon in Ordnung. Ich kriege vielleicht einen klaren Kopf, wenn ich ein Stück gehe.“
Sie fuhr am Eisstadion vorbei.
„Kirby?“
„Ja?“
„Wie kommt es, dass du meinen Namen gewusst hast?“
„Wusste ich deinen Namen?“
„Ja.“
„Vielleicht hat ihn Gino auf dem Lieferschein aufgeschrieben.“
„Das glaube ich kaum. Das Dienstmädchen hat die Bestellung aufgegeben.“
Sie fuhr zum Fluss hinunter. Unter den Cottonwoods hielt sie an. Mondlicht schimmerte auf dem Wasser. Es war still hier unten.
„Warum willst du nicht, dass ich dich nach Hause fahre? Schämst du dich etwa deiner Herkunft?“
„Ich bin nicht von hier.“
„Aber du wohnst in einer der Indianerhütten, nicht wahr?“
„Es sind keine Hütten, es sind alte Häuser.“
„Wo kommst du her?“
„Vom Norden. Kennst du das Karibu Gebiet am Bear River?“
„Beim Stausee?“
„Ja.“
„Ich war dort. Zur Einweihungsfeier des Staudammes.“
„Ich weiß. Ich habe dich gesehen, als dich dein Vater auf die Bühne holte und sagte, dass dir die Zukunft gehört.“
Sie lachte. „Nicht nur mir.“
„Dir und mir“, sagte ich. „Ich habe deinen Namen nie vergessen.“
Etwa zehn Minuten vergingen. Wir blickten auf den Fluss hinaus. Das Wasser schien sich nicht zu bewegen.
„Falls du Lust hast, könnten wir am Freitagabend zusammen ins Kino gehen“, sagte ich plötzlich.
„Am Freitag?“
„Ja.“
„Am Freitag wollte ich mit Tom tanzen gehen.“
„Das geht schon in Ordnung“, sagte ich. „War nur so 'ne Idee.“
„Weißt du was? Ich geb dir Bescheid. Ich rufe dich bei Gino an.
„Okay.“