HYBRID VERLAG
Ebookausgabe
09/2019
© by Zara Kent
© by Hybrid Verlag, Homburg
Umschlaggestaltung: © Magical Cover Design,Giuseppa Lo Coco
Lektorat: Paul Lung
Korrektorat: Johanna Günther und Petra Schütze
Buchsatz: Petra Schütze
Autorenfoto: privat
Coverbild ›Woodtalker‹
© 2019 by Creativ Work Design, Homburg
Coverbild ›Halbwesen‹
© 2018 by Creativ Work Design, Homburg
Coverbild ›Zwei Welten‹
© 2019 by Creativ Work Design, Homburg
Modellfoto © Fotograf Exxpression Homburg
Coverbild ›Myzel‹
© by Creativ Work Design, Homburg
ISBN 978-3-96741-001-3
www.hybridverlag.de
www.hybridverlagshop.de
Zara Kent
Spiel der Mächte
Erwachen
Fantasy
Für zwei Frauen, vor denen ich großen Respekt habe und die ich mein Leben lang schätzen und lieben werde, die immer da sind, an mich glauben und sich als erste meine Geschichten angetan haben: meine Schwestern.
Prolog
1 ~Vincent~
2 ~Vincent~
3 ~Mia~
4 ~Mia~
5 ~Mia~
6 ~Vincent~
7 ~Mia~
8 ~Vincent~
9 ~Mia~
10 ~Mia~
11 ~Vincent~
12 ~Vincent~
13 ~Vincent~
14 ~Mia~
15 ~Mia~
16 ~Vincent~
17 ~Vincent~
18 ~Mia~
19 ~Vincent~
20 ~Mia~
21 ~Vincent~
22 ~Vincent~
23 ~Mia~
24 ~Vincent~
25 ~Mia~
26 ~Vincent~
27 ~Vincent~
28 ~Vincent~
29 ~Mia~
30 ~Vincent~
31 ~Mia~
32 ~Vincent~
33 ~Vincent~
Danksagung und Nachwort
DIE AUTORIN
Ein nervtötendes Geräusch erklingt, als mein Nagel langsam über den Totenschädelknauf fährt. Die schwarze Spitze kratzt eine Kerbe hinein, während ich meinen Kopf auf die Seite neige. Gelangweilt gleitet mein Blick über die Anwesenden. Sie sitzen an dem Tisch des dunklen Rates, nennen sich den Zirkel des Salomon.
Wie niedlich sie sein können.
Es ist mein Tisch, nicht der ihres Rates. Wenn ich nicht wäre, würde niemand hier sitzen. Nun beachten sie mich kaum mehr, haben meinen Sitz einem anderen gegeben. Einfältig beraten sie, wie sie an Richard herankommen. Diesen Magier für Arme, der sich für den Retter der Welt hält.
Ein kleines Schmunzeln erlaube ich meinen Lippen.
Wohl wahr, sein Schachzug mit diesem Vertrag war gut. Seine Aufbewahrung ein verdammt kluger Plan. Wenn das Wörtchen wenn nicht wäre.
Ich bin so verzückt, dass selbst meine Zähne, die wie spitze Pfähle geordnet sind, mit Sicherheit hervorblitzen.
Die Augen der Kapuzengestalt ruhen auf mir, ich kann sie spüren. Ohne Hemmung sehe ich in das Dunkel der Kapuze hinein, weiß, was darunter verborgen ist.
»Ist alles bereit?«, dringt mein Flüstern in die Sinne der Gestalt ein. »Sind alle Figuren an ihrem Platz angekommen?«
Als Antwort neigt die Kapuzengestalt den Kopf und mein Schmunzeln wird zu einem ausgewachsenen Grinsen. Was für eine Freude!
Laut hallt mein Lachen durch diese unsagbar schlecht eingerichtete Halle. Es durchdringt jeden Winkel des Schmutzes und zerschneidet die dicke Luft der Verstaubung. Angst und Argwohn blitzen mich aus den Augen vieler an – diese ahnungslosen Schafe. Es verzückt mich noch mehr.
Endlich kann es beginnen! Seid bereit für das größte Spiel, das ihr je gespielt habt. Seid bereit … für das Spiel der Mächte.
Man sollte meinen, an einem Ort wie diesem müsste nachts Stille herrschen, alles müsste leise und gedämpft sein. Das ist es für die Meisten vermutlich auch, zumindest wenn es sich dabei um normale Menschen handelt. In meiner Welt ist es jedoch einer der lautesten Orte, die es gibt. Ein Friedhof. Dunkel, voller Schatten. Bäume, Grabsteine und Engelsfiguren. Das alles wechselt sich in stimmiger Reihenfolge ab. Für mich alles nur Tatsache. Normalität. Genauso wie der Lärm, der aus dem Innern eines der Mausoleen kommt.
Ich lehne an einem alten Grabstein und vertreibe mir die Langeweile damit, Holzpflöcke mit meinem Dolch anzuspitzen.
»Hey Vince.«
Eric van Can steht genau auf der Kante des Grabsteins und sieht auf mich herab. Sein dunkles Gesicht ist von Narben übersät, die aus etlichen Kämpfen mit so manchem widerspenstigen Wesen resultieren. Dunkel deswegen, weil seine Hautfarbe schwarz ist, ein Umstand, der mich nie gestört hat. Ebenso wenig wie sein Blut.
»Die Vampire machen mal wieder eine Menge Lärm bei ihrer Party. Die vergessen zu gern, dass ihre Mausoleen zwar unterirdisch sind, aber nicht schalldicht.«
Gelangweilt sehe ich zum Engeleingang, der gute hundert Meter von uns entfernt ist. Er heißt Engeleingang nur deswegen, weil Vampire einen seltsamen Sinn für Humor haben und an ihrem Hauptzugang links und rechts davon eine Engelsstatue aufgestellt haben.
»Eine Schutzrune und ein Spruch dürften reichen, damit die Vampyre nicht wieder uneingeladen mitfeiern«, erwidere ich und widme mich wieder meinen Pflöcken.
»Ach komm, du würdest dich darüber mehr freuen als die Vampyre selbst. Es ist schon viel zu lange ruhig zwischen den Clans.«
Auf Erics Hand glüht das eingebrannte Siegel der Wächter auf und ich spüre, wie sich die Schutzrune über den Friedhof legt, während er die Finger ausgestreckt hält. Das Leuchten reizt meine Augen. Das Erkennungszeichen der Wächter, die Rune, bekommt mir nicht, vor allem dann, wenn es aktiv ist.
Dennoch bin ich bei den meisten Missionen der Wächter dabei. Sicher, diese Tatsache missfällt vielen Angehörigen des Rates, aber das ist mir völlig gleichgültig. Es ist eine der wenigen Gelegenheiten, den muffigen Mauern und dem Gelände der Universität zu entfliehen.
»Da es heute ruhig zu bleiben scheint, könnt ihr beiden gehen«, erklingt Jeannes Stimme und die erhabene Wächterin tritt neben mich. Ich spüre ihren Blick auf mir, wie sie mein weißgoldenes Haar abschätzig mustert, das im Übrigen nicht das Einzige ist, das ich von meiner Mutter geerbt habe. Die eisblauen Augen sind aber nicht auf ihrem Mist gewachsen, die habe ich auf jeden Fall von meinem Vater. Aber ganz gleich wie ich aussehe, Jeanne sieht in mir nur den Bastard, den er mit einer Vila gezeugt hat.
»Du siehst mich echt so an, als würde ich aussehen wie meine Mutter, wenn sie sauer ist«, lasse ich die Bemerkung fallen, auch wenn ich keine Ahnung habe, wie sie dabei aussieht, schließlich habe ich sie noch nie gesehen. Doch eines ist klar, die Naturgeister Vilas sind wunderschön, wenn sie die Gestalt einer Menschenfrau annehmen. Jeder verfällt ihnen. Nicht zuletzt wegen ihres Zaubers. Aber wehe, man reizt sie. Dann wird es verdammt ungemütlich. Sie werden zu unschönen Bestien, deren vorher makellose Haut schuppig und grau wird.
»Habe ich gerade so ein Fratzengesicht wie sie, Eric?«, richte ich mich mit unschuldigem Ton an ihn; dieser grinst.
Als würde ich aber wirklich gerade so aussehen, spuckt Jeanne vor Abscheu aus. Ich begegne ihrem kalten Blick aus den dunkelblauen Augen. Man würde nicht vermuten, dass sie meine Halbschwester ist.
»Vater hätte dir diese Ausflüge längst streichen sollen. Ich verstehe nicht, warum er dir das durchgehen lässt, dabei ist er es doch, der dich am liebsten einschließen würde.« Ich presse meine Zähne so fest zusammen, dass mein Kiefer schmerzt. Sie mahlen und knirschen kaum hörbar. Selbst mein Körper ist angespannter, als würde ich mich auf einen Kampf gegen sie vorbereiten. Doch unser Kampf ist ein ganz anderer, nicht körperlich. Wir tragen diesen schon so lange aus und ich glaube, wir werden ihn bis zu unserem Ende führen.
Ich versuche, ruhig zu bleiben und ihr äußerlich nichts von meiner Anspannung zu zeigen, nichts von dem Sturm in meinem Innern, der Wut. Zum einen, weil ich ihr mit Sicherheit nicht zeigen will, wie es mir geht, dass ich etwas fühle. Zum anderen, weil ich ihr keine Gelegenheit bieten will, unserem Vater einen negativen Bericht zu überbringen. Denn sie ist nicht nur mit mir blutsverwandt, sondern auch die offizielle Tochter des Großmeisters und Vorsitzendem des Rates. Tochter zweier Magier, bildschön und mächtig, mit langem schwarzem Haar. Sie gleicht unserem Vater ungemein.
»Sei nicht fies, Jeanne. Du würdest auch jede Möglichkeit nutzen, die sich dir bietet«, meint Eric, während er vom Stein springt und lachend neben ihr landet. »Außerdem ist er der Beste, den wir haben.« Lässig stützt er sich auf ihrer Schulter ab.
»Geht jetzt!«, zischt sie nur und schüttelt ihn genervt ab, was seinem Grinsen keinen Abbruch tut.
»Ich glaube, sie steht auf mich«, sagt er an mich gewandt.
»Ich glaube, du musst zu einem Heiler, weil in deinem Kopf etwas nicht stimmt«, erwidere ich, versenke meinen Dolch im Schaft meines Stiefels und gehe los. »Lassen wir Daddys Liebling alleine die restliche Nacht Schutzsprüche wirken.«
Eine Weile schweigen wir, während wir die Grabreihen entlanglaufen. Das ist das Gute an Eric, er lässt mir stets meine Ruhe. Doch wenn er merkt, dass ich trübsinnig werde, fängt er an, Witze zu reißen. Sie sind zwar nicht gut, erfüllen aber meist ihren Zweck.
»Was macht Dracula, um sich zu entspannen?«
Wenn er dabei nicht immer so ein breites Grinsen zeigen würde, so hätte ich ihm die Sprüche längst ausgetrieben.
»Er nimmt ein Blutbad!« Sein Lachen hallt laut über den Friedhof, doch ich blicke nur finster vor mich hin. Denn Jeannes Worte wollen mir nicht aus dem Kopf gehen. Ja, unser Vater würde mich am liebsten wegschließen. Aber nicht, weil er die Schande in mir sieht. Denn eine Nacht mit einer Vila gehabt und überlebt zu haben, gelang eigentlich niemandem, außer dem mächtigen Richard Wanclear natürlich. Die unterschwelligen und die direkt ausgesprochenen Vorwürfe, er hätte sie mit verbotenen, dunklen Zaubern gefügig gemacht, überhört er bei Lobeshymnen einfach.
Richard Wanclear … ja, sicher, er ist mächtig. Ebenso machtvoll ist meine Stiefmutter, Jeannes leibliche Mutter. Beide sind mächtige Zauberer, gefürchtet und verehrt. Dadurch wurde das einzig Logische in unserer Welt daraus: Sie banden sich mit einem Schwurspruch aneinander. Der große Richard Wanclear und die mächtige Zauberin Ana Val. Es wurde gemunkelt, daraus müsse eine der mächtigsten Zauberinnen werden, die unsere Welt je gesehen hätte. Meine Halbschwester. Tja, und dann war da noch ich. Der Zweitgeborene von Richard, das Bastardkind.
»Du solltest dich von ihren Worten nicht so runterziehen lassen«, reißt Eric mich aus meinen Gedanken. »Er will dich nicht einsperren, er hat nur Angst. Du gehörst zu den Wächtern – wenn auch inoffiziell. Er sorgt sich einfach.«
»Ja, um den magiefreien, talentlosen Sohn.«
»So darfst du dich nicht sehen. Hättest du die Uni je wirklich durchlaufen, wärst du Jahrgangsbester geworden. Es gibt kein Buch, das du nicht gelesen hast, keine Kampftechnik oder Waffe, die du nicht beherrschst. Du wärst jetzt schon Anführer der Wächter.«
»Ich bin kein Wächter, ich bin ein Gefangener auf Freigang.«
Ich bin wirklich kein Wächter, habe keine magischen Fähigkeiten oder irgendwelche besonderen Talente. Dennoch lebe ich auf dem Gelände der University Wanclear, die Uni für Sonderbares, so könnte man das glatt bezeichnen. Da mein Vater Großmeister des Rates und der Leiter der Uni ist, lag es nahe, dass ich trotzdem seit Babytagen dort lebe. Außerhalb wäre es zu gefährlich für mich. Vermutlich wegen des dunklen Rats, dem Zirkel des Salomon. Sie wollen mich angeblich töten. Aber hey, wer will das nicht? Es spielt doch keine Rolle, ob ich lebe oder sterbe. Das sollte ihm egal sein. Ein Vater, der sich sein Leben lang fernhält, das zeugt nicht von Interesse. Aber er sperrt mich in diesen Mauern ein, die nun dunkel und massiv vor uns aufragen. Das Campusgelände liegt in der Dunkelheit der Nacht vor mir.
Es befindet sich am Rande von New York. Mächtige, verzauberte Mauern umgeben und schützen es.
Sam, der Torwächter, bewacht dieses bei Tag und Nacht.
Wenn normale Menschen, sogenannte Quoti, sich hierher verlaufen, fällt ihnen nach einem kurzen Gespräch mit ihm ein, dass sie gar nicht hier sein wollten und gehen wieder. Jene, die von Magie geleitet werden, dürfen das Tor passieren. Und ihnen offenbart sich ein Ort, der nicht wirklich wie ein Campus aussieht. Denn hier tummeln sich die verschiedensten Wesen, von Brunnennymphen bis hin zu Wasserspeiern, die umherfliegen. Junge Menschen, die an jeder Ecke ihre Kräfte austesten, egal welches Blut in ihren Adern fließt.
Auch hier ist es nachts laut, die Anwärter scheinen um die Wette zu lärmen, während die jüngeren Studs das Lernen vergessen und einfach nur junge Menschen sind, die Spaß haben wollen.
Jung, das waren sie, wenn auch keine Kinder oder Teenager mehr. Die Studs sind gerade mal 21 Jahre, während die Anwärter 23 Jahre alt sind. Zwei Jahre dauert die Grundausbildung, dann hat man ein Jahr als Anwärter Zeit, um sich als Wächter zu qualifizieren.
Es gab einmal eine Zeit, da dauerte die Grundausbildung vier Jahre und die Anwärterausbildung noch zwei Jahre zusätzlich. Vor einigen Jahren wurde das auf Empfehlung Jeannes geändert, um schneller an neue Wächter zu kommen, die die Lücken der Verluste stopfen sollten.
Ein Stiffel rennt an mir vorüber und abermals werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Erst jetzt fällt mir auf, wie still Eric ist, entgegen seiner sonstigen Art, wenn ich Trübsal blase, wie er so schön sagt. Entweder bleibt er still, weil er mein Schweigen nicht als solches einstuft oder es beschäftigt ihn selbst etwas.
»Wo der Stiffel wohl hin will?«, frage ich, während wir die Allee entlanglaufen, welche vom Tor bis zum Standbild meines Vaters führt. Zum Glück geht Eric darauf ein, denn mehr hätte ich nicht zu sagen gewusst.
»Sind schon merkwürdige kleine Wesen. Wie die Gnome wohl Elfen herum bekommen haben, Nachkommen zu zeugen? Vielleicht sind ihre Argumente in dieser Hinsicht unschlagbar«, beantwortet er die Frage selbst, wobei er die Augenbrauen zucken lässt und schon fast anstößig grinst.
Eric ist eben Eric, sein Blut kann er nicht leugnen. Es heißt, in seiner Ahnenreihe soll sich ein Inkubus eingeschlichen haben. Inkuben sind das männliche Gegenstück zu einem Sukkubus, Dämonen, die sich nachts mit schlafenden Menschen paaren, ohne dass diese aufwachen. Nur erotische Träume erinnern an diesen nächtlichen Besuch. Er dient allein der Fortpflanzung und dieser Trieb ist wohl auch tief in Eric verwurzelt. Dennoch würde ihm nie einfallen, im Unwissen oder gar Widerwillen einer Frau zu handeln.
»Willst du das wirklich wissen?«, frage ich.
Eric lacht lauthals und lässt eine Bemerkung über kleine schrumpelige Dinger fallen, was mir jedoch nicht mehr wirklich bewusst ist. Gerade passieren wir das Standbild und kommen an unserem, besser gesagt, meinem Ziel an, am großen runden Hauptgebäude, und damit meiner Zelle.
Die zwei Türme rechts und links neben dem Eingang scheinen so gar nicht zu der runden Glaskuppel zu passen, die die ganze Mitte des Gebäudes überspannt. Um diese Kuppel ist ein so breiter Absatz gebaut worden, dass dort gemütlich ein Mann Wache laufen konnte, ohne Gefahr zu laufen, abzustürzen.
Durch die Türme und um die Kuppel herum verlaufen alte steinerne Gänge, die diverse Zimmer und Kammern beherbergen. Sie werden nicht nur von Angestellten der Verwaltung als Büro oder Rückzugsort genutzt, sondern auch als Gäste- und Krankenzimmer.
Die Verwaltung wird in einem Empfangsbereich vor dem inneren kreisrunden Saal bewältigt. Jeder Neuzugang, jede Mission und jede Aufsichtsschicht innerhalb des Geländes wird dort angemeldet und notiert. Aber auch die Trainer und Ausbilder werden hier ausgewählt und bekanntgegeben.
Doch das Zentrum, der Mittelpunkt von allem, ist der große runde Saal unter der Glaskuppel, direkt hinter der Verwaltung. Hier finden Versammlungen aller Art statt, auch werden hier die Prüfungen abgenommen. Man nennt die Halle Atrium, meist wird damit aber das ganze gewaltige Gebäude gemeint.
Da hebt sich mein Blick zur Tür und meine Hand zum Abschied. »Ich bin für heute weg.« Ich sehne mich nach der Stille meines Turms.
Eric ruft mir freundlich Gute Nacht hinterher.
Schon als die schwere Tür hinter mir ins Schloss fällt, umfängt mich sofort eine gewisse Ruhe, denn die Flure links und rechts sind leer und auch, wenn die Flügeltüren zur Empfangshalle offenstehen, herrscht dort Stille. Nur gedämpft dringt der Lärm von draußen heran. Ich wende meine Schritte nach links in den steinernen Gang hinein und nehme die erste Tür. Sie ist unverschlossen, so wie immer. Niemand würde es wagen, meinen Turm zu betreten, denn nur ich wohne dort.
Meine Schritte hallen auf den Steinstufen wider, die sich in einer Spirale nach oben winden. Auch wenn es viele sind, tauche ich mit jeder erklommenen Stufe in die Stille ein, in meine Welt. Und deswegen liebe ich es, im Turm zu wohnen.
Auf der ersten Etage herrscht mehr Chaos als Ordnung. In den runden Wänden sind gebogene Bücherregale eingebaut, alle gefüllt bis oben hin. Vor dem Fenster steht meine Couch, sie ist alt und der Stoff abgewetzt, aber ich hänge an ihr. Daneben sind Bücher gestapelt, worauf ein Schachbrett liegt, diese kleine Konstruktion dient mir als Tisch. Der Kaffee in der Tasse ist schon kalt, dennoch stürze ich ihn hinunter und steige die nächsten Stufen nach oben. Auch hier wirkt alles alt und abgenutzt, aber auch das stört mich nicht. An manchen Stellen der Schranktüren blättert der helle Lack ab und bringt das dunkle Holz zum Vorschein.
Es würde besser zu dem Bettgestell passen, vielleicht sollte ich den Lack doch endlich abschleifen, schießt es mir in den Sinn.
Auf dem breiten Fenstersims neben meinem Bett liegt noch das Buch, welches ich gelesen habe, bevor Eric mich am Abend zur Mission gerufen hatte.
Was unsere eigentliche Aufgabe als Wächter ist, kann leicht erklärt werden und ist doch für Neue erst einmal schwierig. Wir schaffen ein Gleichgewicht zwischen den Clans, wie Vampire und Vampyre. Wir sorgen für ein konfrontationsloses Nebeneinanderleben der verschiedensten Lebewesen, zwischen Licht- und Schattenwesen, sodass die Menschen keine Notiz davon nehmen. Lichtwesen sind meist freundlich und dienen dem Guten in der Welt wie Feen, Elfen, Gnome, Engel und dergleichen.
Mit Schattenwesen legt man sich nur ungern an. Sie sind durch und durch finstere, grimmige Kreaturen. Dazu gehören die Geschöpfe der Nacht wie Vampire – obwohl es da auch einige gute Ausnahmen gibt – und die Vampyre, Werwölfe und Lykaner. Aber auch kleinere Gruppen wie Furien und Wendigos, obwohl diese im weitesten Sinne schon zu den Dämonen gezählt werden können. Dämonen beanspruchen eine eigene Gattung mit vielen verschiedenen Rassen. Doch gibt es auch Wesen, die zu keiner dieser Gruppen passen wollen wie zum Beispiel Zwerge, Stiffel, Nymphen und dergleichen. Die Klassifikation in Licht und Schatten ist eher eine diffuse Grauzone als korrekte Einordnung, auch wenn viele das anders sehen.
Meine Gedanken kreisen mal wieder und ich weiß, auch dieses Mal werde ich keinen Schlaf finden. Deswegen steige ich in die oberste Etage, mein Heiligtum, die so schlicht und einfach wie der Rest ist. Auch fühlt man sich hier sehr viel beengter, da sie direkt unter der Turmspitze liegt. Balken halten das Dach und dienen als Halterung meiner Sandsäcke. Hanteln und Hantelbank stehen mittig im Raum, Seile liegen daneben auf dem Boden. Doch weswegen eigentlich niemand hier hoch darf, ist das Porträt meiner Mutter an der Wand. Eine Erscheinung, die einfach nicht menschlich ist. Ich lasse mich auf dem einzigen Fensterplatz nieder, da der Sims genug Platz bietet und gepolstert ist. Fensterplätze sind unumstritten meine Liebsten, dieser sogar besonders. Seufzend lehne ich mich an den Rahmen und bedauere es, dass es heute Nacht zu keinem Kampf gekommen ist. Dann wäre ich vielleicht müde genug zum Schlafen.
Irgendwann müssen mir doch die Augen zugefallen sein, denn die ersten Sonnenstrahlen, die sich über den Rand der Bäume des Waldes trauen, wecken mich. Ich blicke über das Gelände und sehe den Wald hinter der Mauer, an der Ostseite des Geländes. Er ist dicht und steht in voller Blüte. Der Frühling wird sicher bald vom Sommer abgelöst, den ich wirklich nicht mag. Nicht, weil es im Turm heiß werden wird, das könnte Rachel mit einem Zauber ändern. Es ist eher die Tatsache, dass es wieder einmal neue Studs und Anwärter geben wird, die sich jeden Schattenplatz des Geländes unter den Nagel reißen werden und der eine oder andere wird sich auch in meinen Turm verirren. Doch das würde auch dieses Mal nur einmal geschehen. Dafür sorge ich jedes Jahr.
Studs sind wie kleine, ängstliche Hasen oder wie Rehe im Scheinwerferlicht eines Autos. Komme ich ihnen zu nahe – und spätestens nach den ersten Unterrichtsstunden wissen sie, wer ich bin – sehen sie mich erschrocken an und flüchten. Immer wieder ein Vergnügen, denke ich und kann mir ein Grinsen dabei nicht verkneifen.
Genug amüsiert. Ich muss etwas tun. Mein Morgenlauf wartet.
Mein Hals knackt lautstark, als ich zur Lockerung meinen Kopf hin und her bewege und mich dann doch etwas steif erhebe.
Wie jeden Morgen bin ich der Erste auf dem Gelände. Meine Kapuze tief in die Stirn gezogen, laufe ich durch die verlassenen Wege. Kühle Frühlingsluft dringt in meine Lungen. Meine Schuhe auf dem Pflaster sind die einzigen Geräusche neben dem Vogelgezwitscher. So mancher Stiffel flitzt hin und her und räumt den vergessenen Müll in die dafür vorgesehenen Eimer.
Das Unterrichtsgebäude für Runen und Hexenkunst hinter mir lassend, komme ich an dem Geschichtsgebäude vorbei. Hier wird die Geschichte der Magie und allem Übersinnlichen gelehrt. Alles, was man über die Wesen wissen muss. Danach folgt das Haus der praktischen Magie, dann die Bibliothek. Auch dieses Gebäude sieht aus wie fast alle auf dem Campus. Es besteht aus altem Stein, der sich rau unter den Händen anfühlt, wenn man darüber fährt. Dazu noch das Efeu, welches sich daran emporschlängelt und durch das der Wind zieht, lässt alles mystisch aussehen. Wahrscheinlich ist dies Absicht.
Meine Füße tragen mich an der Wiese vorbei, die zu einem See führt. Groß liegt er da, geht bis zur Mauer und bietet einen tollen Ausblick von der Cafeteria, die ebenfalls an die Wiese grenzt. Am Gebäude sehe ich wie immer Marak, ein winziges graues Wesen, das aus der Ferne für einen kleinen Menschen gehalten werden könnte. Doch kommt man näher, so sieht man seine faltige graue Haut, die eingefallenen Wangenknochen und die großen gelben Augen, welche fast die Hälfte des Gesichts ausmachen. Er grinst mich an und zeigt seine spitzen Zähne. Manche behaupten, er sei ein in Ungnade gefallener Vampir oder Vampyr und man dürfe ihm deswegen nicht trauen.
Ich hebe die Hand zum Gruß und er tut es mir nach. Sicher werde ich zum Frühstück eine Extraportion bekommen.
Ich jogge an der Cafeteria vorbei und somit auf der anderen Seite des Atriums zurück. Vorbei an einer Wiese mit Bäumen, um dann zu den Unterkunftsgebäuden zu kommen. Als ich wieder auf dem offenen Platz zwischen Tor und Atrium ankomme, sehe ich schon mehrere Gruppen bei Sam stehen.
Dieses Jahr sind die Studs früh dran, denke ich bei mir, laufe aber einfach weiter. Zumal ich, wie immer, mehrere Runden um das Atrium drehen will.
Aus der Kampfhalle dringen Geräusche und Geschrei, ungewöhnlich für diese Uhrzeit. Neugierig halte ich inne, laufe über den Kampfplatz und schaue durch die geöffneten Seitentüren. Eric schlägt auf eine Holzpuppe ein, die mit Holzarmen übersät ist. Je nach Schlag dreht sich die Puppe nach rechts oder links und versucht, den Angreifer mit ihren Armen zu treffen. Ein Muk Yan Jong.
Eric scheint alleine zu sein. Die Kapuze vom Kopf schiebend trete ich die Stufen zur offenen Tür hinauf und lehne mich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen den Rahmen. Seine Bewegungen sind fast formvollendet, doch er ist zu ruckartig und nicht im Fluss des Muk Yan Jong. Schweiß rinnt seine Stirn herunter, sein Atem geht schwer, dann sieht er mich und wischt sich über die Stirn.
»Na, amüsierst du dich?«
Erst jetzt fällt mir auf, dass ich grinse und versuche, weniger belustigt auszusehen. »Nein.« Meine Stimme straft mich Lügen, dennoch tue ich so, als wäre es anders. Schließlich sind wir Freunde. »Sieht nicht schlecht aus. Du solltest dich nur mehr der Energie des Wing Chun ergeben und dessen Kraft und Energie für dich nutzen.«
Eric hebt ein Handtuch von der Bank und trocknet sich sein Gesicht. »Eigentlich müsstest du es werden«, meint er.
»Was werden?«
Sein Blick trifft mich. »Ich werde dieses Jahr Kampfausbilder der neuen Studs. Man hat es mir gestern schon gesagt. Aber ich glaube nicht, dass es die richtige Wahl ist.«
Die richtige Wahl? Meint er mich etwa damit? Dann hat er damit Unrecht … zumindest zum Teil.
Einer Erwiderung ausweichend drehe ich mich im Rahmen nach außen und sehe über den Hof, betrachte alles. Das riesengroße Standbild meines Vaters vorm Atrium, die Bäume, die die Allee zum Tor säumen, durch die gerade die Neuankömmlinge gelaufen kommen, angeführt von Jeanne. Erics Stimme erklingt erneut hinter mir, auch wenn ich diese Worte ebenso wenig hören will. »Du müsstest deinen Vater nur um Erlaubnis bitten, die Prüfung ablegen zu dürfen. Dann könntest du die Neuen lehren und hättest eine Aufgabe.«
»Die habe ich.«
»Unautorisierte Missionen, in denen du hoffst, Schattenwesen vermöbeln zu können.« Das Handtuch über der Schulter, tritt er neben mich. Mit einer Handbewegung weist er auf die Schar junger Menschen, die fast beim Atrium angelangt ist. »Sie können so viel von dir lernen.«
»Mich freiwillig mit Studs abgeben? Nein danke. Außerdem werde ich sicher nicht vor meinem Vater zu Kreuze kriechen. Er wartet doch nur darauf, dass er mir in seiner großen Güte eine Aufgabe geben kann. Eine, bei der er kein schlechtes Gewissen haben muss und ich ihm unendlichen Dank entgegenbringen soll.«
»Vergiss einmal deinen Stolz, Vince. Die Abschlussergebnisse der Studs werden von Jahr zu Jahr schlechter und die Todesrate höher. Deswegen wird Jeanne es nun alleine leiten und was für Pläne sie hat, brauche ich dir nicht sagen. Du kennst sie.«
Als hätte sie ihren Namen gehört, fällt ihr Blick auf uns, während sie zwischen den Stufen des Atriums und den Neuen steht.
»Ihre sadistische Seite ist sehr ausgeprägt«, meine ich, mehr zu mir selbst, aber Eric nickt wissend.
»Ich werde sie in Schach halten können, aber ihr wirklich die Stirn bieten kann ich nicht. Schließlich war sie Jahrgangsbeste.«
»Und du das Jahr danach. Also was solls. Das schaffst du schon.«
Aufmunternd klopfe ich auf seine Schulter und steige die Stufen hinunter; Jeanne und die Studs sind im Atrium verschwunden.
»Denk einfach drüber nach, ok?«, ruft Eric mir nach.
Ohne mich noch einmal umzuwenden, hebe ich die Hand als Zeichen, dass ich verstanden habe. Doch keine Sekunde glaube ich, dass ich es mir überlegen werde. Niemals werde ich um die Prüfung bitten. Eher paart sich ein Riese mit einem Zwerg!
Jetzt muss ich mich jedenfalls erst einmal duschen und umziehen, denn bald wird mein Vater im Atrium die Neuen willkommen heißen und zu diesem Anlass erwartet er, dass die Anwärter und Wächter die erhöhten Ränge als Publikum füllen. Natürlich ist es mir im Grunde egal, doch die verängstigten Gesichter der neuen Studs zu sehen, ist doch immer wieder ein Vergnügen.
Um auf die oberen Ränge zu gelangen, muss man in den rechten Turm hinein. Der Bereich hier auf den Rängen verläuft um den gesamten Raum wie ein Ring, eine Galerie, die mit Sitzplätzen bestückt ist. An den Balken hängen Lampen herunter und erleuchten die Halle, wenn es nicht das Tageslicht durch die Glaskuppel tut. Ich lasse mich durch die Menge in die Mitte der Galerie treiben, sodass ich hinter dem Podium zum Stehen komme und in die Gesichter der Neuen schauen kann. Ich steige auf das Geländer und ziehe mich an dem Querbalken, der über mir die Deckenkonstruktion trägt, nach oben. Staub rieselt auf die unter mir Stehenden, böse Blicke treffen mich. Es bleibt bei den Blicken, denn jeder weiß, wessen Sohn ich bin. Doch ist mir das eigentlich auch gleichgültig, deswegen lasse ich mich, ohne sie zu beachten, auf dem Balken nieder, lehne mich an den anderen hinter mir und setze einen Fuß auf, das andere Bein lasse ich lässig herunterhängen. Hier oben im Schatten der Holzränge sieht man mich kaum, denn über mir ist noch ein kurzes Dach, bevor die Glaskuppel anfängt.
Die Neuen stehen zusammengepfercht vor dem Podium, auf dem Jeanne steht und sie um Ruhe anherrscht. Manche tuscheln miteinander, scheinen sich zu kennen. Ich entdecke Hexen darunter, einige, die eindeutig magische Wesen als Ahnen haben, wie zum Beispiel ein Mädchen mit langen grünen Haaren, die aber nicht ihre spitzen Ohren verbergen können. Ein anderer Junge überragt jeden um sich herum und schaut grimmig vor sich hin.
»Also, wenn da ein Elternteil kein Riese ist, will ich mich nie mehr Hexe schimpfen.«
Eine rothaarige junge Frau steigt neben mir auf den Balken und lässt sich gegenüber nieder. Ihre grünen Augen funkeln mich an, die Kette um ihren Hals mit dem Smaragd leuchtet mit ihnen um die Wette. Sie wirft ihr Haar über die Schulter und sagt: »Wusste ich’s doch, dass ich dich hier finden würde.«
Ihre weiße Bluse ist tief geöffnet und ihre Lederkorsage bringt ihre Formen stark zur Geltung, während ihre langen schlanken Beine in der engen Lederhose ihrerseits in kniehohen Stiefeln enden.
»Wo sollte er sonst sein, Rachel?«, erklingt Erics Stimme unter mir.
Während Eric und Rachel nun gelassen über die Neuen lästern, mustere ich jedes einzelne Gesicht. Wie erwartet, sehe ich unsichere, blasse Augen, die nervös hin und her zucken. Manche tuscheln aufgeregt miteinander und stoßen sich hier und da an, um sich gegenseitig auf etwas aufmerksam zu machen.
Kleine ängstliche Hasen.
»Bambi, wo ist deine Mami?«, kommt es sarkastisch von mir, dabei grinse ich. Rachel und Eric lachen und lassen sich erneut über die Studs aus. Mein Blick schweift weiter und ich fühle mich so gut, wie es hier selten der Fall ist. Da fällt mir ein Mädchen in der vorderen Reihe auf. Sie wirkt jünger, doch muss sie wie alle 21 Jahre sein. Sonst wäre sie nicht hier. Dennoch wirkt sie durch ihre Haltung, das leicht gewellte dunkelbraune Haar und ihre dunklen Augen, die aus der Entfernung fast schwarz wirken, wie ein schüchternes Mädchen. Nur beim näheren Hinsehen bemerke ich, dass trotz ihrer Blässe ihre Augen wach umherblicken. Sie scheinen alles und jeden wahrzunehmen. Sie wirken ganz und gar nicht ängstlich und eingeschüchtert. Ich komme nicht umhin, sie ein kleines Stück dafür zu bewundern.
Als die Flügeltüren unter mir aufgehen und mein Vater auf das Podium tritt, zieht sich in mir ein Band um die Brust zusammen. Unbewusst balle ich meine Hände zu Fäusten. Er sieht lächerlich aus mit seinen langen schwarzen Haaren, die wie ein Umhang hinter ihm her wehen. Sein Kleidungsstil ist noch immer so alt, als entstamme er aus dem 18. Jahrhundert. Was allerdings neu ist, sind die grauen Strähnen, die sein Haar durchziehen. Letztes Jahr waren sie noch nicht da. Selbst seine Stimme wirkt älter, aber sie erfüllt dennoch den ganzen Raum.
»Willkommen an der University Wanclear. Mein Name ist Richard Wanclear, meines Zeichens Magier.«
Ein Raunen geht durch die Neuen, welches Jeanne mit einem missbilligenden Blick tadelt. Doch mit dem einfachen Anheben seiner linken Hand bringt er die Studs wieder zum Schweigen. Die Anwärter grinsen vor sich hin und entgegen ihrer Angewohnheit verhalten auch sie sich ruhig.
»Ja, ihr hört richtig. Ich bin ein Magier«, sagt er und läuft mit leicht ausgebreiteten Armen umher. Dann zeigt er auf einen jungen Mann mit blondem Haar. »Vielleicht bist du auch einer. Oder du?« Dabei deutet er auf eine junge Frau mit kurzem schwarzem Haar, die neben dem Mädchen mit den wachen Augen steht. Die Angesprochene verschränkt die Arme vor der Brust und schüttelt energisch den Kopf. Er hält inne, greift sich an die Stirn und sagt lachend: »Na, vielleicht eher eine Feuerlegerin?« Sie schmunzelt und lässt die Arme sinken.
Doch mein Blick gilt nicht ihr, denn gespannt beobachte ich wieder das Mädchen daneben. Mir steigt bittere Galle hoch, als ich bemerke, wie gebannt sie meinem Vater an den Lippen hängt. Schon wieder eine seiner Bewunderer. Angewidert wende ich mich ab und bemerke erst jetzt Rachels Blick auf mir. Wie lange sieht sie mich schon an? Unverwandt tut sie es weiter, dann lächelt sie und sieht wieder hinunter. Der Smaragd auf ihrer weißen Haut leuchtet kurz auf, ein Zeichen dafür, dass Magie in der Luft liegt. Zaubert sie oder ist es ein unbewusster Magieausstoß der Studs? Wieder beobachte ich ihre Reihen, während mein Vater erklärt, wie es dazu kam, dass sie hier gelandet sind. Es soll sich wohl so anhören, als spreche wirklich ein Lehrer zu seinen Schülern. Wie lange wird es dauern, bis sie erkennen, wie egal sie ihm eigentlich sind?
»Erlangt der Mensch das 21. Lebensjahr, beginnt der Zerfall. Der Körper produziert nun weniger neue Zellen als alte absterben. Das bedeutet: Wir altern. Und am Ende steht der Tod. Doch ihr«, er weist auf die ganze Runde, »ihr seid etwas Besonderes. Euer Körper beginnt, sich dagegen zu wehren. Magie steigt in euch auf und erweckt Talente, Fähigkeiten, die euch völlig fremd sind und die ihr nicht versteht. Durch einen kleinen Zauber meinerseits« – Jeanne lächelt verträumt neben Richard – »führt euch die Magie zu einem bestimmten Herrn, Dr. Magnus Ignatius Brown, Psychologe seines Zeichens, aber auch Gelehrter der Magiegeschichte. Mithilfe simpler Tests während seiner Sitzungen hat er euch herausgefiltert.«
Dass den Übrigen, die nicht in das Muster passen, ihr Gedächtnis und die Magie genommen werden, verschweigt er natürlich.
Im Augenwinkel sehe ich wieder Rachels Kette glühen, doch dieses Mal hält es an. Mein Nacken kribbelt und die feinen Haare auf meinen Armen stellen sich auf. Mein Blick sucht die Reihen ab, bis ich ihren Blick auf mich sehe. Das außergewöhnliche Mädchen sieht mich direkt an, legt ihre Stirn in Falten und den Kopf etwas schräg.
Wie kann sie mich bemerken? Ich weiß, dass ich für jeden dort unten im Schatten verborgen bin.
Dann schüttelt sie den Kopf, als wolle sie etwas Unerwünschtes vertreiben. Im gleichen Moment, als sie wieder auf meinen Vater blickt, hört Rachels Kette auf zu glühen. Wieso bemerkt Rachel nichts?
»Hast du gerade nichts mitbekommen?«, spreche ich meinen Gedanken laut aus.
Rachel sieht mich an und zuckt mit den Schultern. »Das passiert meistens bei den Neuen. Schließlich haben sie es nicht unter Kontrolle.«
Wieder wende ich mich dem Geschehen unten zu, ohne wirklich zu hören, was gesagt wird oder zu sehen, was Richard tut.
Merkwürdig. Sie sieht aus, als gehöre sie hier nicht her. Sie ist klein, zierlich und macht keinen Anschein von Magie.
Das harte Training wird sie nie und nimmer durchstehen.
Aber Magnus irrt sich nie. Und wenn der Stein auf sie reagiert hat, was ich nicht glauben kann, wird es schon richtig sein. Trotzdem irritiert es mich.
Jeanne tritt an Vaters Seite, was bedeutet, dass er gleich wieder durch die Flügeltüren verschwinden wird, die für jeden nach draußen in einen Wintergarten führen. Ihn führen sie in eine andere Dimension. In seine Welt und die der Ratsmitglieder.
»Ihr werdet hier alles lernen und erfahren, vertraut mir. Euch erwartet eine Welt voller Magie!« Dabei lässt er einen Funkenregen über die Studs ergehen, einer seiner Taschenspielertricks. Doch auch heute verfehlt es nicht seine Wirkung, wie man an den leuchtenden Augen sehen kann. Damit wendet er sich um und schreitet auf die Türen zu. Bevor er aus meinem Blick verschwindet, sieht er zu mir nach oben, seine eisblauen Augen durchdringen mich. Schauer überlaufen meinen Körper. Er weiß, wo ich bin, immer. Als könne ich ihm nie entfliehen.
In mir gefriert es so eisig, wie unsere Augen sind. Mein Herzschlag rast und ich verspüre nur einen Drang.
Raus! Ich muss raus hier!
Abrupt mache ich einen Satz vom Balken, lande direkt neben Eric, der lässig an das Geländer lehnt und seine Hände darüber hinwegbaumeln lässt, und bahne mir dann wieder einen Weg durch die Menge. Unter Jeannes Stimme dränge ich in Richtung Turm.
»Eure Grundausbildung beträgt zwei Jahre. Nach dem Ersten findet eine Zwischenprüfung statt, in der wir euren Stand testen und abwägen, für welchen Weg ihr geeignet seid, was für eine Magie die Eure ist und für welche Tätigkeit ihr vorbereitet werdet. Wir haben viele verschiedene Bereiche als Wächter. Aber auch diese werdet ihr im Laufe des ersten Jahres kennenlernen. Nun nehmt eure Unterkunftsnummer am Empfang entgegen und …«
Der Rest geht in meinen hastigen Schritten unter, als ich die Stufen des Turms hinabrenne. Weitere Schritte noch weiter oben sagen mir, dass Eric und Rachel hinter mir hergekommen sind. Mein Verlangen nach frischer Luft treibt mich aber weiter. Die Tür des Atriums aufstoßend, stürme ich hinaus in die Sonne, weit entfernt von meinem Vater.
Auf dem großen Platz vor dem Atrium steht das riesige Steinstandbild meines Vaters in der Sonne auf seinem Sockel. Mit großen Schritten gehe ich darum herum und schreie in das Antlitz. Es wirkt nicht anders als sein echtes Gesicht: markant, hart und steinern. Zumindest ist es das Gesicht, das ich von ihm sehe. In meinen Träumen ist es vieles: grimmig, versteinert, eine Maske mit dunklen Höhlen als Augen und Mund. Manches Mal ist er sogar gesichtslos. Die meisten verehren ihn, den großen Magier, den besten Leiter, den diese Universität nur haben kann.
Früher trug sie einen anderen Namen, Croft-University. Dies änderte sich, als mein Vater der Leiter wurde. Angeblich hatte er sie gerettet, ein Bündnis geschlossen und ihre Neutralität beschworen. Jeder, der den Grund und Boden dieser Universität betritt, ist durch die Amnestie geschützt und muss sich auch danach verhalten. Was hatte er nur geschaffen, der tolle Magier Richard Wanclear? Ich würde am liebsten kotzen.
Langsam normalisieren sich mein Puls und Atem wieder, der Schmerz in der Brust lässt nach.
»Ja, lass es raus, Mann«, feixt Eric und fläzt sich auf den Sockel der Statue.
Auch mein finsterer Blick löscht nicht das Grinsen aus seinem Gesicht. Rachels Hand auf meinem Rücken macht mich nervös, mein Magen zieht sich wieder schmerzhaft zusammen, obwohl sie mich nur trösten möchte. Aber ich mag keine Berührungen, zumindest ist es immer ungewohnt und merkwürdig. Rachels Berührung ist sanft und ich versuche sie zuzulassen, denn eigentlich kenne ich ihre noch genau, auch wenn es lange her ist. Dann aber bemerke ich ein Kribbeln und Brennen am Rücken, ein Magieausstoß. Sofort trete ich beim Umdrehen auch ein Stück zurück, um genügend Platz zwischen uns zu schaffen.
»Rühr mich nicht an!«
»Tut mir leid«, sagt sie schuldbewusst. »Ich wollte dich nur beruhigen.«
»Dann solltest du das lassen.« Ich schüttle mich, meine Finger zucken und wieder verspüre ich den Drang, zu laufen. Denn selbst Rachel und Eric sind mir jetzt zu viel.
Gerade als ich loslaufen will, wird die Tür des Atriums aufgestoßen und eine Horde lärmender, lachender Anwärter stürmt nach draußen. Die Ersten in schwarzer Lederkluft, die Haare offen oder wild abstehend gegelt, mit Narben übersät: die Wächteranwärter der Kämpferfraktion. Gefolgt von grau-weiß-beige Gekleideten, deren Kleidung luftig und leicht wirkt, ihre Haare ordentlich geflochten oder zu Zöpfen gebunden – ob Mann oder Frau – die Säuberer. Danach stürmen die Eidwahrer hinaus, bunt gemischte Kleidung in allen Farben, meist eng und kurz, damit man die Tattoos auf ihren Armen und Beinen sehen kann. Sie alle stürmen den Platz, verteilen sich, schreien und lachen weiter, während die Kämpfer Kreise bilden und mit Showkämpfen beginnen. Die Säuberer rennen von Gruppe zu Gruppe und mischen sich mit Fall- oder Blockierungssprüchen ein. Doch die Runenbeschwörer, Eidwahrer-Anwärter, sammeln sich an der Statue und einige klettern hinauf, unter den Anfeuerungsrufen der anderen. Als der Erste oben ankommt, tänzelt er mit einem Bein auf dem Kopf und reckt die Hände in die Luft.
Ich kenne ihn, er heißt Flynn One Wilder. Er hat die meisten Tattoos auf dem Körper und ist nicht weniger Anwärter als ich es bin. Eigentlich ist er mehr als ich, nämlich schon aktiver Wächter. Allerdings auch Ausbilder der letzten Jahrgangsstufe der Anwärter. Daher wird er von diesen meist behandelt, als sei er einer von ihnen. Vielleicht auch wegen seinem lockeren Verhalten, das er an den Tag legt.
»Hey Eric!«, ruft er hinunter.
Gerade so, dass er ihn sehen kann, lehnt Eric sich zurück und den Kopf in den Nacken. »Was ist los, One? Plötzlich Höhenangst?«
»Das würde dir so gefallen«, lacht er, macht einen Satz nach unten und landet mit den Beinen abfedernd zwischen Eric und mir. »Heute ist Ausgang. Die Neuen fangen erst morgen an. Kommt ihr mit?« Sein rotes Haar leuchtet in der Sonne auf, es reflektiert in diesem Moment seine Ausstrahlung perfekt.
»Ich bin dabei«, sage ich. Erics irritierten Blick ignorierend, wiederhole ich es und will wissen, wo es hingehen wird.
»Abhängen, Quotis erschrecken – das Übliche. Nachher räumen wir auch wieder auf«, fügt Flynn mit einem Augenzwinkern hinzu.
Das Lachen in Erics Gesicht ist zurück und er steht auf. »Worauf warten wir denn dann noch?«
Jetzt bemerke ich erst, dass Jeanne vor dem Gebäude steht, hinter ihr die Studs, die wohl angesichts der Schar Wilder vor sich nicht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Jedes Jahr das Gleiche. Es ist die Anwärtertradition, um die neuen Studs in unsere Welt einzuführen. Der zweite Jahrgang der Studs lernt fleißig in den Sälen. Und da der Rest des Empfangs immer so trocken ist, haben es sich die Anwärter zur Aufgabe gemacht, sie gebührend zu begrüßen. Jeanne versucht jedes Jahr, dies zu unterbinden. Aber entweder ist sie zu schwach oder sie macht es nur halbherzig.
Mein Blick fällt auf das Mädchen, sie hat sich wieder nach vorne gekämpft, hat die Arme in die Hüften gestemmt und lacht. Ihre Augen strahlen bis zu mir. Jeannes durchdringender Blick auf mich löst meine Aufmerksamkeit von ihr, gerade als Eric mich anstößt.
»Na komm, bevor sie dich einschließt und den Schlüssel wegwirft!«
Jeanne weiß, was ich vorhabe und tritt einen Schritt vor, ich hingegen gehe einen zurück und grinse angesichts ihrer zornfunkelnden Augen.
»Wag es ja nicht!«, ruft sie über den Platz, während der Rest der Eidwahreranwärter von der Statue springt und alle anderen Anwärter sich in Bewegung setzen. Der Platz beginnt sich zu leeren.
Mein Verlangen erwacht angesichts der rennenden Meute erneut. Meine Füße setzen sich von alleine in Bewegung. Ich lasse mich mitreißen, von der Menge forttragen. Wie Jeanne meinen Namen brüllt, höre ich durch das Rauschen in meinen Ohren kaum. Adrenalin rauscht durch meine Glieder, meine Lungen füllen sich mit warmer Frühlingsluft. Immer schneller tragen mich meine Beine vorwärts, bis ich an der Spitze neben Flynn laufe. Er lacht mich an und auch ich spüre ein Lachen in mir aufsteigen. Es kämpft sich hervor, breitet sich auf meinem Gesicht aus und steigt aus meiner Kehle empor. Ich lache so laut wie alle anderen und brauche dafür nicht einmal mehr Luft. Der Wind umgibt meinen Körper, er trägt mich mit den anderen über das Tor, noch ehe Sam es öffnen kann. Er steht mit den Armen vor der Brust da, schüttelt den Kopf und lacht uns ebenfalls zu. Der Weg unter mir, die Landschaft um mich herum, hinunter zur Landstraße, das alles rast an mir vorbei. Die Bäume verschwimmen zu einem Ganzen. Auf der Straße sprinten wir nach links und rennen einfach mitten auf dieser immer weiter. Nun schließt Rachel zu mir auf und neben Flynn erscheint Dela, eine Magierin, Anwärterin der letzten Klasse und Flynns Freundin.
Autos kommen uns entgegen, doch Dela und Rachel haben schon längst Illusions- und Dematerialisierungssprüche gewirkt, sodass wir ungesehen und ohne Schaden einfach durch sie hindurchlaufen. So manch einer schlägt dabei auf die Hupe oder schaltet die Scheibenwischer und das Radio an.
Mein Blick trifft Rachel und ich kann nur lachen und laufen. Meine Gedanken sind frei, mein Kopf ist leergefegt, mein Körper strotzt vor Energie und verlangt nach mehr.
Erste Häuser des Vororts rauschen an uns vorbei, Briefkästen fallen auf den fein säuberlich geschnittenen Rasen der Vorgärten, Blumen fliegen aus den ordentlich angelegten Beeten. Hunde bellen in allen Hütten, Katzen miauen ein Konzert, denn sie sehen und hören uns, vermutlich spüren sie uns vielmehr. Die Säuberer am Ende unserer Gruppe beheben den einen oder anderen Schaden, soweit es ihre Magie zulässt. Leider gelingt es nicht, alles wieder zurückzuversetzen, aber im Moment ist es uns egal, vor allem mir. Mein Kopf ist noch immer leer, meine Lunge brennt – ich will mehr.
Durch Delas und Rachels Magie konnten wir unbemerkt durch die Straßen von New York laufen. Seltener als mir lieb ist, sind wir hier, aber so oft wir können. Ich sage wir, dabei bin ich noch seltener dabei, weil ich danach umso stärker unter Beobachtung stehe und keinen Schritt mehr nach außen tun kann, ohne dass ich aufgehalten werde. Und meist bekommen die, die mich mitnahmen, es auf die eine oder andere Weise zu spüren, was ihre Lust, mich unter ihnen zu wissen, nicht wirklich entfacht. Gerade ist es mir, wie immer, im Moment des Ausbruchs egal. Damit kann ich mich später beschäftigen. Jetzt will ich nur den Rausch weiter genießen.
Wir sind an unserem Ziel angekommen und verteilen uns auf der Liberty Island in alle Richtungen, nachdem wir uns alle auf die Fähre vom Battery Park zur Insel gequetscht hatten. Allen Quotis fiel auf einmal ein, dass sie woanders hinwollten und die Fähre legte scheinbar völlig unbesetzt ab. Noch immer mit pochendem Herzen renne ich über die Flagpole Plaza und komme am Sockel der Statue of Liberty an; Eric und Rachel folgen mir wie immer auf dem Fuße. Manches Mal ist auch das sehr ermüdend. Beide scheinen zu ahnen, was ich vorhabe, doch aufhalten können sie mich nicht. Schon suche ich mir die ersten Risse und Vorsprünge, mögen sie auch noch so klein sein und wäge meinen Weg nach oben ab, während mein Blick weiter hoch bis an die Spitze wandert.
»Das ist nicht dein Ernst«, stellt Rachel fest und steht, die Hände in die Hüfte gestemmt, vor mir.
Bevor ich die Finger in die ersten Risse zwänge, knöpfe ich mein weißes Hemd auf, darunter kommen ein schwarzes ärmelloses Shirt und meine silberne Kette zum Vorschein, mit dem Siegel der Wächter als Anhänger. Ob es wegen des Anhängers ist oder einfach meine Sturheit, vielleicht auch beides, ich weiß es nicht. Jedenfalls hindert sie mich nicht daran, mich Stück für Stück hochzukämpfen. Wieder rauscht es in meinen Ohren, meine Muskeln brennen unter der Anspannung. Wie lange meine Finger das mitmachen werden, weiß ich nicht. Höher, höher, noch höher, hallt es in mir. Adrenalin fließt durch jede Faser meines Körpers und ich spüre keinen Schmerz mehr, nur noch den Wind, der an mir zerrt und die Schwere, die mich wieder nach unten ziehen will. Den sternförmigen Sockel, auf dem die Statue steht, längst hinter mir gelassen, werfe ich einen Blick nach unten. Es scheinen sich alle Anwärter um Rachel und Eric zu versammeln. Ihr Johlen dringt bis zu mir nach oben und treibt mich weiter. Weshalb habe ich mich so lange von ihnen ferngehalten?
Stimmt, fällt es mir ein, wegen meines Vaters.
Eine neuerliche Woge Energie trägt mich nach oben. Meine Finger sind aufgerissen, abgeschürft, finden kaum mehr Halt.
Nur noch ein Stück, sage ich mir.
Das Bein auf den Arm der Liberty-Statue ziehend, bleibe ich erst einmal liegen und atme tief ein und aus, gönne meinem Körper kurz Ruhe. Dann richte ich mich wieder auf und sehe mir den letzten Rest des Weges an, während ich mir den Schweiß von der Stirn wische. Ich kann Menschen in der Aussichtsplattform der Statue erkennen.
Denen sollte ich mal Hallo sagen.
Mein Körper rebelliert schon bei den ersten Bewegungen, doch ich weiß, was ich ihm zumuten kann. Und noch bin ich nicht am Ende.
Der Rahmen eines Fensters der Aussichtsplattform lässt meinen Fingern genug Platz, um mich an ihnen weiter nach oben zu ziehen, dabei fällt mein Blick ins Innere. Was würden die Quotis für ein Gesicht machen, wenn sie mich sehen könnten? Würden sie die Küstenwache rufen, die ständig um die Insel kreist? Es würde die Schlagzeilen von morgen füllen. Ich kann es nicht lassen und klopfe an die Scheibe, bevor ich mich, lachend wegen der sich umschauenden Gesichter im Innern, weiter hochziehe. Die letzten Meter nach oben und über die Krone hinweg auf den drei Meter breiten Kopf. Auch dieses Mal bleibe ich schnell atmend erst einmal liegen, Arme und Beine von mir gestreckt. Das Metall unter mir ist von der Sonne aufgeheizt und brennt schon bald durch die Kleidung hindurch auf meine Haut. Endorphine breiten sich in mir aus und ich lache lauthals. Den Wind in den Haaren richte ich mich auf und schaue zur johlenden Menge und recke wie sie die Arme ’gen Himmel. Selbst den gleichen Laut stoße ich aus und genieße die Wellen des Glücks in diesem Moment. Ich bin frei.