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1. Auflage 2019

Ein camino. -Buch aus der

Illustrationen und Gesamtgestaltung: Anna-Katharina Stahl, Stuttgart

www.caminobuch.de

Inhalt

Nackte Früchte

Das Geheimnis des Wals

Mama wird sauer

Merkwürdige Geräusche aus dem Rucksack

Papas Spezial-Müsli

Felix’ Plastikente

Eine Zahnbürste für den Kompost

Aufregung in der Schule

Die Blumen im Gummistiefel

Infomaterial

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Bonbons! So viele Bonbons! Lena presste ihre Nase gegen die Scheibe. Das große, bauchige Glas im Schaufenster war fast bis oben an den Rand gefüllt mit Bonbons in allen Farben: Rot, Blau, Grün und Gelb. Lena lief das Wasser im Mund zusammen. Von Bonbons konnte sie nie genug bekommen.

Sonst war das Schaufenster leer. Seit wann verkauften sie hier Bonbons? Ein Süßigkeitenparadies – und das nicht einmal vier Minuten von der Schule entfernt! Warum hatte sich das noch nicht herumgesprochen? Sie, ihre beste Freundin Hannah und auch einige andere aus ihrer Klasse kamen auf dem Weg zur Schule hier vorbei. War hier nicht bisher ein Kleidergeschäft gewesen?

Lena hatte ihre Mama ab und zu zum Shoppen begleitet. Warum fiel ihr jetzt erst auf, dass ein neues Geschäft eingezogen war? Da war sie in letzter Zeit wohl ziemlich verträumt unterwegs gewesen!

Eigentlich wollte sie so schnell wie möglich nach Hause. Heute gab es Makkaroni mit Tomatensauce – Lenas Lieblingsessen! Und das kochte Mama höchstens einmal im Monat. Doch die Bonbons im Schaufenster sahen so lecker aus. Ihre Hände verschwanden in den Taschen der gelben Jacke, dann durchsuchte sie ihren Rucksack. Sie zählte die Ausbeute zusammen: knapp zwei Euro. Nicht viel. Aber für ein paar Bonbons sollte es reichen. Als sie die Tür aufschob, bimmelte eine Glocke. Sie hatte den Laden größer in Erinnerung. Es roch nach Farbe.

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Die weißen Wände mussten gerade neu gestrichen worden sein. Sie waren mit Holzregalen vollgestellt, die bis an die Decke reichten. In der Ecke neben der Tür befand sich ein Verkaufstresen aus hellbraunem Holz.

„Hallo!“, sie grüßte die junge Verkäuferin, die hinter diesem Tresen stand. Ihre rötlichen Haare waren total verstrubbelt.

Lena steuerte direkt auf das Glas mit den Bonbons zu. Daneben lag eine Schaufel. Sie wollte schon nach ihr greifen, da hielt sie mitten in der Bewegung inne.

Durfte man sich hier überhaupt selbst bedienen?

Wurden die Bonbons tatsächlich verkauft? Oder waren sie einfach Dekoration?

Bonbons und andere Naschereien wurden in den Geschäften doch immer abgepackt angeboten!

Wo waren die Tüten?

Sie wandte sich an die Verkäuferin. „Entschuldigung …“, setzte sie an, aber dann erstarrte sie.

Ihr fielen beinahe die Augen heraus. Warum war ihr das nicht gleich aufgefallen? Das war ja gar kein Süßigkeitengeschäft!

Wo war sie hier gelandet? Im Holzgestell waren hohe durchsichtige Glassäulen mit Zapfhähnen befestigt. Eine Frau mit langen blonden Haaren hielt gerade eine leere Glasflasche an einen von ihnen. Sie drehte am Verschluss und schon rieselte Zucker in die Flasche. Die Glassäule links von ihr war mit Nudeln gefüllt. In der nächsten steckten Nüsse und in der Säule ganz links entdeckte sie Reis. Insgesamt zählte Lena zehn Säulen. Sah das witzig aus!

Sie stellte sich vor, wie sie mehrere Zapfhähne öffnete und gleichzeitig Reiskörner, Mehl und Körner heraussprudelten, alle durcheinander …

„Von den Bonbons? Wie viele möchtest du?“, hörte Lena plötzlich eine Stimme.

Sie hatte die Verkäuferin total vergessen!

„Ich habe nur zwei Euro“, erklärte Lena, „Aber …“, diese Frage war jetzt eindeutig dringender als die Bonbons: „Aber was ist das für ein Geschäft?“

Die Verkäuferin schmunzelte.

„Bist du zum ersten Mal hier? Bei uns sind die Lebensmittel nackt.“

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Lena hätte beinahe losgeprustet. Nackt?

„Wir sind der erste verpackungsfreie Supermarkt in der Region“, erklärte die Frau, „bei uns kann man alles ganz ohne Verpackung einkaufen.“

Wollte die Verkäuferin sie auf den Arm nehmen? Lena blickte sich im Laden um. Es gab hier fast so viele Lebensmittel wie im Supermarkt beim Bahnhof, wo sie mehrmals in der Woche mit ihrer Mama einkaufte: Auf einem langen Tisch standen geflochtene Körbe mit Gemüse und Früchten.

Auf einem Tablar standen Gläser, die mit Honig und Konfitüre gefüllt waren. Doch nichts war mit Papier, Karton, Alu oder Plastik verpackt, wie das in anderen Geschäften üblich war. Keine Chipstüten, keine Konserven mit Ravioli oder Mais und auch keine Tetrapacks mit Milch oder Ice-Tea.

Hinter dem Verkaufstresen hing ein Plakat mit einer Walzeichnung. Was hatte der Wal hier verloren?

Die blonde Frau, die sie vorhin bei der Zuckersäule beobachtet hatte, stellte die gefüllte Flasche auf die Waage neben der Kasse.

Als sie bezahlt hatte, waren Lena und die Verkäuferin allein.

„Wir verbrauchen so viele Verpackungsmaterialien“, sagte die Verkäuferin. „Mit meinem Geschäft will ich zeigen, dass es auch anders geht. Ganz ohne Verpackung!“

„Aber wie transportiert man die Einkäufe nach Hause?“ Lena hatte nirgendwo Behälter entdeckt. Sollte man Reis, Zucker und die Spaghetti einfach in den Rucksack schütten? Das würde ein irres Durcheinander geben! Sie stellte sich Mamas Gesicht vor, wenn sie mit solch einem Rucksack zu Hause ankam. Dieser Gedanke brachte Lena zum Schmunzeln.

„Das ist ganz einfach: Wer bei uns einkauft, bringt Behälter von zu Hause mit und füllt sie hier auf.“ Sie griff unter die Theke und zog eine kleine Kartonschachtel hervor. „Du kannst die Bonbons hier reintun. Aber nur, wenn du die Schachtel wieder zurückbringst! Die kann man nämlich wiederverwenden.“

Lena nickte.

„Du musst bald mal mit deiner Mama vorbeikommen“, sagte die Verkäuferin. „Ich erzähle euch gerne mehr über mein Geschäft.“

Lena legte die Münzen auf den Tresen. Eigentlich wäre sie gerne ein bisschen geblieben und hätte alles genauer unter die Lupe genommen …

„Aber ich muss dringend nach Hause! Mama macht sich bestimmt schon Sorgen“, erklärte sie. „Vielleicht kann ich Mama überreden, heute nochmals mit mir vorbeizuschauen.“

Lecker! Als sie zu Hause die Tür öffnete, steckte schon das letzte Bonbon in ihrem Mund – und auch das hatte sie fast komplett weggelutscht.

„Na endlich!“, rief Mama.

Lena warf den Rucksack auf den Boden und rannte in die Küche: „Du kannst dir gar nicht vorstellen …“ Auf dem Tisch warteten schon die Teller mit den Makkaroni.

„Setz dich“, befahl Mama, „sonst werden sie kalt.“

„In … Stadt gibt es … Geschäft ohne Ver …ungen!“, schmatzte Lena.

Mama schüttelte den Kopf: „Man spricht nicht mit vollem Mund!“

Lena ließ sich nicht bremsen. „Man muss seine eigenen Behälter mitbringen. Verpackungen gibt es keine.“ Sie beschrieb die Zapfsäulen. Warum hatte sie die nicht gleich mit ihrem Handy fotografiert? Doch Mama war gar nicht so überrascht, wie es Lena erwartet hatte.

„Ich habe schon davon gehört“, sagte sie. „Eine Kollegin bei der Arbeit hat davon berichtet.“

Was? Lena sah sie entgeistert an. Das war doch die Sensation des Jahres! Warum hatte sie zu Hause kein Wort darüber verloren? Sonst erzählte sie auch fast pausenlos, was ihre Kolleginnen alles erlebten. Das wäre ausnahmsweise mal spannend gewesen!

„Gehen wir heute noch dort vorbei?“, bat Lena.

„Dann siehst du selbst, wie abgefahren das ist.“

Mama zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht.

So viel Verpackung fällt bei uns ja nicht an! Wir trennen den Abfall schon ziemlich konsequent.

Und wir nehmen immer die Stoffbeutel mit in den Supermarkt.“

Mama hatte doch gar keine Ahnung!