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Impressum

© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2019

© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2019

Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film und Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags.

Projektleitung: Alessandra Redies

Lektorat: Karin Kerber

Covergestaltung: independent Medien-Design, München: Horst Moser (Artdirection), Lucie Heselich

Foodstyling: Antje de Vries

eBook-Herstellung: Yuliia Antoniuk

ISBN 978-3-8338-7256-3

1. Auflage 2019

Bildnachweis

Fotos: Vivi D’Angelo, Adobe Stock, GettyImages, Stocksy, Shutterstock

Syndication: www.seasons.agency

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Die GU-Homepage finden Sie im Internet unter www.gu.de

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Abenteuer im Paradies

Das satte Signalrot fängt meinen Blick; die Schönheit der Natur lässt mich staunen. Ich ergreife die schwere Rispe, sanft sinken die kugeligen Früchte in meine Handflächen. Die gespeicherte Wärme Hunderter Sonnenstunden strahlt wohlig in meine Haut. Ein verführerischer Duft wandert über Nase und Hirn ins Herz. Erinnerungen schießen in meinen Kopf: die üppigen Gemüsegärten meiner Kindheit, der farbenfrohe Farmer’s Market in Texas, die stärkende Wandermahlzeit in Umbrien … eine Aromenreise durch Vergangenheit und Träume. Ich beiße in die pralle Haut. Die spritzige Säure des Saftes überrascht mich. Eine fruchtige Süße folgt besänftigend. Ich kaue. Das mürbe Fleisch gibt nach und tiefer Wohlgeschmack verbreitet sich. Beglückt atme ich aus. Gras, Blumen, Rosenholz, Pfeffer, Zitrus! Die Noten befeuern meine Gedanken: an reizvolle Zubereitungen, perfekte Zutaten und glückliche Gäste. Ein wohliger Schauer packt mich, das Zusammenspiel der Sinne ist überwältigend. Bin ich im Paradies? Dankbar, dieses Wunder genießen zu dürfen, halte ich kurz inne. Dann setzen Neugier und Spieltrieb ein. Meine Finger kribbeln, sie wollen loslegen, schneiden, würzen, kombinieren, anrichten, teilen.

Das Abenteuer Geschmack beginnt!

Wie funktioniert Geschmack?

Lässt sich Geschmack fassen oder gar erklären? Die Wissenschaft summiert Geschmack als Vielzahl sinnlicher Eindrücke, die unser Gehirn sammelt, auswertet und zusammenfasst. Das klingt logisch und klar. Aber Geschmack ist mehr: Schon beim Biss in eine Tomate kommen unbewusst persönliche Gefühle, Erinnerungen und alltägliche Erfahrungen mit ins Spiel. Plötzlich schmeckt die Tomate himmlisch süß, wunderbar und einfach überwältigend. Und Geschmack bleibt ein Rätsel: etwas Geheimnisvolles, Unergründliches und unendlich Spannendes. Eine Herausforderung für unsere Sinne und ein echtes Abenteuer!

Sehen: Das Zitronenkuchenexperiment

Wie stark allein die Optik eines Nahrungsmittels unser Geschmacksempfinden beeinflusst, zeigt eine persönliche Anekdote: Mit großem Vergnügen wird in unserer Familie immer wieder die Geschichte vom Zitronenkuchen erzählt, den ich als Kind für meine Schwester buk. Mit Backfarben braun als Schokokuchen »getarnt«, sorgte er zunächst für höchste Irritation, dann für nachhaltige Heiterkeit.

Tatsächlich entscheidet bereits die mit den Augen wahrnehmbare Erscheinung eines Lebensmittels oder Gerichts maßgeblich darüber, was wir geschmacklich erwarten. Ist der Apfel prall, rund, makellos und rot, empfinden wir ihn als viel attraktiver als ein gelbes, schrumpeliges Exemplar.

Neben anderen gelernten, äußeren Formmerkmalen entscheidet in erster Linie, wie auch bei Zitronenkuchen und Apfel der Fall, vor allem die Farbe über die Geschmackserwartung. Dass wir im Falle des Apfels lieber zum roten als zum grünen Apfel greifen, führen Wissenschaftler auf in der Evolution angelegte Muster zurück. Bereits Urzeitmenschen lernten schnell, dass rote Früchte reif, zucker- und damit energiereicher als grüne, unreife Exemplare oder Blattwerk sind. Ein leuchtendes Rot konnte aber auch Signalfarbe sein: Achtung, giftig oder unangenehm oder scharf, wie bei z.B. Chilis. Das Erkennen bestimmter Farbcodes von Nahrung war für unsere Vorfahren überlebenswichtig: Gelb, orange bis rot signalisierte süß, zuckrig und nahrhaft, grün hingegen sauer und energiearm, weiß und grau salzig, während violett, braun und schwarz auf bitter hindeutete, im schlimmsten Fall auf faul und verdorben. Diese Assoziationsmuster scheinen laut Studien bis heute zu wirken und werden gerne von der Lebensmittelindustrie, aber auch der Diät- und Ernährungswissenschaft genutzt. Weil wir bei Rot unterbewusst süßere und energiereichere Lebensmittel erwarten, wählen wir sie zwar bevorzugt, essen aber auch weniger davon – sogar bei auf roten Tellern serviertem Essen funktioniert diese farbliche »Essbremse«: Selbst unser Sättigungsgefühl lässt sich offensichtlich durch visuelle Wahrnehmung austricksen.

Bereits die Farbe beeinflusst also unser Geschmacksempfinden. Bei einem Versuch erkannten 80 Prozent der Probanden das Aroma eines Orangengetränks zwar aufgrund seiner typischen Farbe. Bei demselben Getränk, das farblos oder andersfarbig koloriert wurde, sank die Quote auf 30 Prozent! Noch erstaunlicher: Wird unsere visuelle Erwartung geschmacklich nicht erfüllt, hilft unser Gehirn bis zu einem gewissen Grad nach bzw. lässt sich täuschen. Auch wenn der grüne Apfel messbar nicht sauer schmecken kann, korrigiert unser Gehirn die Tatsache gemäß Erwartung: Wir glauben, dass der Apfel saurer schmeckt, als es tatsächlich der Fall ist.

Rund 80 Prozent der Information über seine Außenwelt bezieht der Mensch übers Auge und beschäftigt damit gut ein Viertel seines Gehirns. Keine Frage also, dass gilt: Das Auge isst mit. Oder anders: Wir schmecken, was wir sehen (wollen).

Hören: Der Soundtrack des Genusses

Eine knackige Möhre, die bei jedem Biss nur so kracht, das fast süchtig machende Crunchen von frischen Chips oder das Knuspern röscher Brotkruste – so klingt der laute Soundtrack des Genusses! Im Kontrast dazu entsteht fast Enttäuschung nach dem Biss in einen alten Butterkeks, der schon lange nicht mehr knusprig ist, oder in ein altbackenes Brötchen – der Geschmack ist meist fast gleich, aber das Geräusch passt nicht zu unseren Erwartungen.

Auch die sinnliche Wahrnehmung übers Ohr, das Hören, ist Teil unserer geschmacklichen Gesamtwahrnehmung. Wieder ist das Zusammenspiel evolutionär bedingt: Die Geräusche geben Auskunft über den Reifegrad und die Frische von pflanzlichen Lebensmitteln – damals wie heute.

Bei der Interaktion von Hören und Schmecken achten wir vorrangig auf Geräusche, die in unserem Mundraum entstehen, während wir essen und trinken. Dies können die beschriebenen krachenden Geräusche beim Abbeißen sein, bei denen wir uns nach einem »knackfrischen« Apfel sehnen, oder das verführerische »bizzelige« Geräusch Hunderter Bläschen von Brause oder Champagner in unserem Mund. Aber auch die lauten Töne zerberstender gerösteter Haselnüsse, die einem sonst weichen Ofenkürbis einen spannenden Geräuschpegel bieten, oder das anschließende Malmen der Backenzähne, das direkt über die Kieferknochen in das Innenohr übertragen wird, fügen dem Genuss eine weitere Dimension hinzu. Da steht mancher auf die Quietschgeräusche, die Halloumi oder bissfeste Schlangenbohnen (wie im Rezept »Gado Gado«, siehe >) an unseren Zähnen machen, ein anderer auf das dumpfe Geräusch, das beim Beißen in einen rohen Pilz entsteht, oder das styroporartige Knistern einer Reiswaffel. Ist es also nur eine Frage der Zeit, bis auch in der Lebensmittelindustrie »Sound Designer« darauf zielen, unsere Sinne zu fesseln? Erwiesen ist: Je klarer und lauter das Geräusch, das beim Essen entsteht, desto besser gefällt es uns und wir wollen mehr.

Auch Flüssigkeiten steuern mit ihren Geräuschen unsere Wahrnehmung von Konsistenz und Geschmack. Sei es das ventilierende Gurgeln beim Verkosten von Wein, das »Glou Glou«, wenn wir den guten Tropfen dann schlucken, oder das hemmungslose Schlürfen asiatischer Nudelsuppen wie Ramen, Soba und Udon, das uns die Gerichte in ihrer Gänze genießen lässt.

Auch Geräusche von außen können unsere Geschmackswahrnehmung beeinflussen. Manipulativ, indem experimentierfreudige Köche das Essen eines Quallensalates mit Meeresgeräuschen positiv aufladen. Oder einschränkend, wenn die Lautstärke von Musik oder anderen Tönen die 100-Dezibel-Marke überschreitet und unsere Fähigkeit zu schmecken deutlich reduziert.

Wir können uns selbst den passenden Food-Soundtrack spielen – sei es das Lieblingsalbum zum Lieblingsessen, Pavarotti zur Pasta oder ein seliges Brummen aus tiefstem Bauch und Herzen, wenn der Genuss eines Gerichtes uns packt.

Schmecken: Die fünf Grundgeschmäcker

Nach heutigem Stand der Wissenschaft ist unsere Zunge als zentrales Geschmacksorgan in der Lage, zwischen fünf verschiedenen Geschmäckern zu unterscheiden: süß, salzig, sauer, bitter und umami.

Die ersten vier sind sofort klar und einleuchtend. Die fünfte Geschmacksqualität wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von dem japanischen Chemiker Kikunae Ikeda entdeckt und als »Umami« für »voll-, fleischig- oder wohlschmeckend« bezeichnet. Ihm gelang es, Glutaminsäure aus Kombu-Algen, die Basis seiner geliebten Dashibrühe, zu isolieren und als die für diesen spezifischen Geschmack verantwortliche Substanz zu identifizieren. Begegnet ist den meisten dieser Umami-Auslöser in künstlicher Form als Mononatriumglutamat in Streuwürze und vielen

industriell gefertigten Lebensmitteln, wo er deren

Geschmack und unser Essverhalten manipulieren

soll. Die gesundheitlichen Risiken von diesem Einsatz künstlicher Geschmacksverstärker werden stetig erforscht. Natürliches Glutamat kommt aber auch in vielen proteinreichen Lebensmitteln vor, besonders reichlich in Fleisch, Sojasauce, Anchovis, (Parmesan-)Käse und anderen gereiften oder fermentierten Lebensmitteln. In Gemüse wie Tomaten und Spargel ist es ebenso zu finden wie in vielen Pilzen. Glutamat sorgt für Würze und geschmackliche Tiefe und regt den Appetit an.

Die Rezeptoren für die fünf Geschmacksausprägungen befinden sich in den Geschmackspapillen, punktartigen Erhebungen auf der Zunge und im weiteren Mundraum, die wir teils mit bloßem Auge beim Blick in den Spiegel erkennen können. In ihren Wänden befinden sich »Geschmacksknospen«, die in ihrer Form tatsächlich an Blütenknospen erinnern. In ihnen befinden sich jene Geschmacksrezeptoren, die durch Nervenfasern mit dem Zentralnervensystem verbunden sind und dem Gehirn über Nervenreize z. B. »sauer« oder »süß« melden. Und zwar passgenau nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip und nur dann, wenn exakt der entsprechende chemische Stoff auf die genau dafür passende Sinneszelle trifft. Die immer noch verbreitete Annahme, dass sich die Zunge in Geschmacksregionen unterteilen lässt, ist wissenschaftlich überholt. Die unterschiedlichen Geschmacksrezeptoren finden sich über die ganze Zunge und im Mund verteilt, vor allem im vorderen und hinteren Zungenbereich. Die Anzahl der Geschmacksknospen ist variabel: Säuglinge verfügen über ca. 10 000, Erwachsene haben im Schnitt nur ca. 5000, die sich alle sieben bis zehn Tage erneuern. Im Alter nimmt der Erneuerungsprozess deutlich ab – wir schmecken immer weniger.

Der Begriff »Geschmack« wird oft für das Zusammenspiel der Sinneseindrücke benutzt: für das tatsächliche Schmecken, das Riechen, für Tast- und Temperaturwahrnehmungen. Doch was hat es mit dem eigentlichen Geschmackssinn auf sich? Was schmecken wir auf der Zunge?

Für die Anerkennung als eigenständigen Geschmack gelten drei Kriterien: die Auslösung durch eine chemische Verbindung (wie eine Säure oder Zucker), dafür nachweisbare spezifische Geschmacksrezeptoren auf der Zunge und eine eindeutige Erkennung durch menschliche Probanden. Letztgenannter Beweis steht für die 2011 entdeckten Fettrezeptoren noch aus: Versuchsteilnehmer konnten den Geschmack »fettig« nicht losgelöst, sondern immer nur im Vergleich zu umami und sauer identifizieren. Dagegen stellten Wissenschaftler der Oregon State University 2016 fest, dass Menschen das Polysaccharid Stärke nicht nur als süßlich, sondern als »stärkehaltig«, als »starchy« benennen können. Seitdem wird geforscht, ob es für diesen möglichen weiteren Geschmack eigene Geschmacksrezeptoren gibt.

Betrachten wir vergleichend Schärfe, die kein eigener Geschmack ist. Wenn wir Chilis als brennend-scharf, rohe Zwiebeln als stechend-scharf oder Wasabi als beizend-scharf wahrnehmen, »schmecken« wir keine Schärfe über die Sinneszellen unserer Zunge; wir »fühlen« sie vielmehr: als Reiz über den Trigeminusnerv. Seine feinen Verästelungen ziehen sich durch den Mund bis zur Nase und zu den Augen. Normal ist der Trigeminus für Temperatur- und Schmerzempfindungen zuständig. Essen wir eine zu heiße Suppe oder lutschen Eiswürfel, sendet er Warnsignale an unser Schmerzzentrum im Hirn. Genau gleich reagiert er auf chemische Reize, wie sie Capsaicin in Chili oder Menthol in Minze auslösen. Der Trigeminus lässt sie uns als »brennend-scharf«, als »heiß« oder »extrem kühl, erfrischend« empfinden. Und weil sich der Nerv durch den Gesichtsbereich zieht, tränen uns beim Schneiden von Zwiebeln die Augen und empfinden wir beim Essen einen stechenden Schmerz in Nase und im Mund. Warum sind Millionen Menschen, eingeschlossen mich, nahezu süchtig nach der fast schmerzenden Schärfe von Chili? Weil auf den Schmerz folgend neben Stress- auch Glückshormone ausgeschüttet werden! Aber auch aus gesundheitlichen Gründen lässt sich die Vorliebe erklären: Neben den positiven Eigenschaften von Capsaicin mit Blick auf Stoffwechsel, Blutdruck und Herz forschen Wissenschaftler an der antibakteriellen Wirkung von Chilis. Diese würde neben der durch Capsaicin provozierten kühlenden Schweißproduktion erklären, warum besonders in heißen Ländern auch das Essen »very hot!« sein darf.

Einen intensiven trigeminalen Reiz erfahren wir auch durch Gerbstoffe in Lebensmitteln wie Rhabarber, Tee oder Rotwein. Sie wirken »adstringierend«: man hat das Gefühl, dass sich alles im Mund »zusammenzieht«. Was wir im Übermaß als schmerzhaft und unangenehm empfinden, kann also wohldosiert eine neue Geschmacksdimension hinzufügen.

Die Frage nach einem sechsten Geschmack beschäftigt die Wissenschaft bis heute. Ist unsere Zunge so gebaut, dass sie auch Fett, Stärke oder andere Geschmäcker zweifelsfrei erkennen kann? Einiges spricht dafür – ganz klar ist aber: Schärfe ist keine eigene Geschmacksqualität.

Riechen: Das eigentliche Schmecken

»Schmeckt guet«, sagt der Schweizer und meint: »Es riecht gut.« Was im Süddeutschen und Schweizer Sprachraum noch heute Usus ist, war bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts landesweit üblich: Der Begriff »Schmecken« wurde sowohl für »Riechen« als auch »Schmecken« gemeinsam verwendet.

Warum weckt allein der Geruch von frischem Brot oder dampfender Brühe Vorfreude oder zumindest eine Vorstellung davon, was uns gleich auf dem Teller erwartet? Und umgekehrt: Können und mögen wir uns Essen ohne Duft vorstellen? Wie es »ohne« schmeckt, merken wir, wenn wir richtig Schnupfen haben und selbst unsere Leibspeise keinen geschmacklichen Reiz mehr besitzt.

Mit seinen fünf Grundgeschmäckern ist unser Geschmackssinn eher gering entwickelt. Entscheidender, ob bzw. wie uns etwas schmeckt, ist dagegen die Wahrnehmung mit der Nase. Mehr als 80 Prozent dessen, was wir als »Geschmack« bezeichnen, ist streng genommen »Riechen«.

Schon beim »Schnuppern« an einer Speise nehmen wir deren Duft zunächst über die Nase auf, erfassen die Duftstoffe mit der Riechschleimhaut, von wo aus sie zu den Riechzellen, die sich im Riechkolben oberhalb unseres Mundraumes befinden, transportiert, dort erkannt und als Nervenreiz weitergegeben werden. Bei diesem »orthonasalen Riechen« können wir vorab die Qualität der Speise beurteilen und gegebenenfalls »faule« Lebensmittel aussortieren. Gelangt das für gut befundene Objekt dann in den Mund, um dort zerkaut zu werden, wird eine andere Form des Riechens aktiviert: Die flüchtigen, meist nicht wasserlöslichen Duftstoffe gelangen durch den Mund- und Rachenraum inwendig ebenfalls zum Riechkolben, werden an die Riechzellen weitergeleitet und dort als spezifisches Aroma wahrgenommen. Dies nennt sich »retronasales Riechen« und ist die eigentliche Stärke und das Glück zur Genussfähigkeit von Menschen. Durch das Anreichern mit Speichel, Zerbeißen und Aufschließen der Nahrung mit Zähnen und Zunge verstärkt sich der erste, orthonasale Geruchseindruck, ja verändert sich sogar bereits häufig (so kann ein Duftstoff retronasal mit einem anderen Aroma wahrgenommen werden, als er vielleicht vorher orthonasal erschnuppert wurde). Zusammen mit den reinen Geschmacksinformationen, die uns die Zunge gleichzeitig liefert, ergeben sich Informationen, die unser Gehirn zu einem Gesamtgeschmackseindruck verarbeitet. Im Idealfall sagen wir dann, wenn auch sprachlich eigentlich nicht ganz korrekt: »schmeckt gut«.

Halten wir unsere Nase zu und essen Zimtzucker, schmeckt er nur süß. Erst beim Öffnen der Nase kommen die spezifischen flüchtigen Aromastoffe zum Tragen und wir erkennen: »Aha, Zimt.« Wer mit zugehaltener Nase nur Zimt kostet, merkt, dass er eine eigene Süße hat – in Indonesien nennt man ihn daher »kayu manis« – »süßes Holz«.

Im Gegensatz zu den übersichtlichen Grundgeschmacksqualitäten existieren Abertausende von Duftstoffen, die für unendlich viele Prozesse, Interaktionen und Kommunikation in der Natur verantwortlich sind. Von dieser Welt des Dufts kann der Mensch nur einen Bruchteil wahrnehmen. Die Fähigkeit zu riechen ist dabei nicht auf die Nase reduziert. So können beim Menschen auch im Darm, in der Niere, in Spermien und in der Haut bestimmte Geruchsstoffe erkannt werden. Zwar wird noch erforscht, wie viele Geruchsrezeptoren wir genau haben, doch dass es deutlich weniger sind als etwa bei einem Hund oder einer Schabe, ist längst erwiesen.

An jedem einzelnen Geruchsrezeptor in den Riechzellen unserer Nasenschleimhaut kann nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip jeweils immer nur eine passende Aromaverbindung andocken. Trotzdem schaffen wir es z. B., den komplexen Duft einer Rose zu identifizieren, obwohl er sich aus Hunderten von Einzelkomponenten zusammensetzt. Wie ist das möglich? Durch Teamwork, indem viele Riechzellen mit den darin enthaltenen Rezeptoren zusammenarbeiten. Vereinfacht gesagt: Die Rezeptoren fungieren wie Buchstaben, die sich zu einem sinnvollen Geruchscode zusammensetzen und dem Gehirn signalisieren: »Das riecht wie eine Rose.« Durch die vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten der verschiedenen Rezeptortypen lassen sich so weit über 10 000 Gerüche relativ klar erkennen. Das ist weniger als bei einer Maus, aber trotzdem haben auch wir Menschen manchmal die Nase vorn: Zwar können wir viele Geruchsstoffe weniger gut, andere dagegen umso besser wahrnehmen. Etwa die von Obst und Gemüse – weil deren Erkennung evolutionär gesehen von höherer Bedeutung war. Diese Eigenschaft teilen wir mit vielen Primaten.

Beim Erkennen eines Duftes können Leitsubstanzen, »Schlüsselaromen«, helfen, z. B. der Stoff Geraniol in der Rose. Riecht man Geraniol isoliert, denkt man sofort an Rosen. Allerdings merkt man auch, dass zum vollständigen Duft etwas fehlt. Erst das Zusammenwirken von Geraniol mit anderen Duftstoffen macht Rosenduft aus. Die verschiedenen Aromastoffe fungieren dabei wie Mosaiksteinchen: Zusammen ergeben sie ein Bild, bei dem nicht automatisch jedes Steinchen wahrgenommen werden muss.

Bereits bis zum Alter von drei Jahren haben wir einen Großteil unserer Geruchseindrücke gesammelt und diese als abrufbare Information im Gehirn hinterlegt. Noch vor dem Sprechen lernen wir Riechen. »Ich hab’s auf der Zunge«, denken wir oft, wenn wir einen Geruch oder Geschmack benennen sollen. Die Information liegt zwar im Gehirn, lässt sich aber nicht abrufen, weil uns die passenden Worte fehlen. Wer den Geschmackssinn trainieren will, kann also versuchen, seine Wahrnehmungen differenziert zu beschreiben.

Weich, hart oder zart – die Textur einer Speise beeinflusst das Mundgefühl und damit unser Geschmacksempfinden.

Fühlen: Textur und Mundgefühl

Auch die Textur ist geschmacksentscheidend: Je nach Oberflächenbeschaffenheit und Konsistenz eines Nahrungsmittels verändert sich das »Mundgefühl« und damit unser Geschmacksempfinden.Den ersten Textureindruck erhalten wir durch bloßen Augenschein: Wir entscheiden beim Anblick, ob es sich um Sauce oder Dip handelt, schätzen den schrumpeligen Apfel als mürber, den glatten dagegen als fester ein und schließen daraus auf den Geschmack. Den entscheidenderen Eindruck liefert die Zunge. Auf ihr befinden sich nicht nur die Geschmackspapillen (siehe >), sondern über den gesamten Zungenrücken verlaufen auch »Fadenpapillen«. Sie erkennen die Textureigenschaften und leiten sie ans Gehirn weiter. Dort werden die Informationen in individuelle Empfindungen übersetzt: Wir identifizieren etwas z. B. als »knackig«, »knusprig« oder »kross«. Kleine Abweichungen in der erwarteten Textur wirken sich oft gravierend aus: Die »al dente« gekochten Nudeln werden als hart, der überreife, »saftige« Pfirsich wird als »matschig« empfunden – und schon »schmeckt« es uns nicht mehr. Auch kulturelle Prägung spielt eine Rolle: Klebrige, schleimige oder auch sehr weiche Konsistenzen, wie man sie in vielen Teilen Asiens schätzt, wirken auf uns eher fremd. Das »Chawanmushi« (siehe >) kann daher einmal als spannende Texturerfahrung herhalten.

Doch bevor unsere Zunge z. B. die runden, festen Dinger als Erbsen wahrnehmen kann, müssen wir sie »oral prozessieren«: Durch Zerkauen, Durchdringen mit Speichel, Zerdrücken und Weiterleiten mit der Zunge werden erkennungstypische Geschmacksstoffe frei.

Unterschiedliche Texturen machen ein Gericht doppelt spannend: Eine cremig pürierte Suppe mag ihren Reiz haben. Ein paar feste Stückchen darin bieten unserer Zunge aber einen Kontrast und sorgen dafür, dass bestimmte Aromen im Mund nicht gleichzeitig, sondern nacheinander freigesetzt werden. Statt einer dumpfen Geschmacksexplosion zünden so nacheinander viele kleine Feuerwerke in Mund und Gaumen.

Ofenfrische Pizza – lecker! Steht die allerdings eine Weile herum, mundet sie plötzlich nicht mehr so gut. Die Pizza ist de facto zwar noch dieselbe, doch ihre Textur hat sich verändert: sie ist kalt, nicht mehr knusprig und der Käse darauf zäh.

Sehen wir Geschmack nur als Summe der Teile zeitgleich wahrgenommener Sinneseindrücke, die unser Gehirn zu einem Gesamtbild fügt, dürften wir nichts allzu Aufregendes erwarten. Mittels technischer Quantifizierung und festgelegter Zusammenstellung von Nahrungsmitteln müssten sich im Prinzip recht vorhersehbare Geschmacksergebnisse erzielen lassen, jedes Rezept müsste wiederholbar immer gleich »funktionieren« und schmecken. Tut es aber glücklicherweise nicht!

Geschmack ist sensibel, wird immer wieder neu und anders wahrgenommen und bleibt bis zu einem gewissen Grad rätselhaft: Warum schmeckt der Wein zu Hause anders als im Urlaub? Und wieso lieben wir Kartoffelbrei und hassen vielleicht Spinat? Geschmack ist nicht nur rational, sondern höchst emotional, nicht allgemeinverbindlich, sondern individuell. Und es wirken Faktoren mit, die sich unserem Bewusstsein entziehen: frühkindliche Prägung und Erfahrungen mit Essen und die damit verbundenen Gefühle und Erinnerungen, aber auch unsere genetische Codierung.

»In der Sekunde nun, da dieser mit den Gebäckkrümeln gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog.«

(aus Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit)

Düfte haben einen direkten, heißen Draht zu unserem Gehirn: Schon in den Geruchszellen der Nase wandeln die Rezeptoren chemische Duftsignale in elektrische, für unser Gehirn verwertbare, um. Durch den olfaktorischen Nerv, den ersten Hirnnerv, gelangen sie in den »Riechkolben«. In diesem vorgelagerten Teil des Großhirns werden die Informationen der einzelnen Riechzellen zu einem Signalmuster verknüpft, ausgewertet und verstärkt.

Noch können wir mit diesen Informationen allerdings nichts anfangen. Über einen Kanal werden sie zum Hypothalamus, dem Steuerungszentrum unseres vegetativen Nervensystems, geleitet. Das ist z. B. für die Regelung von Körpertemperatur, Nahrungsaufnahme, Schlaf und Fortpflanzung zuständig. Kein Wunder also, wenn der Duft von frischem Brot sofort Hunger, der von Lavendel entspannte Müdigkeit oder der von Trüffeln Lust auf mehr auslöst. Und es wird klar, warum der mitgebrachte Wein, der in entspannter Urlaubsstimmung wunderbar schmeckte, im stressigen Alltag weit weniger mundet

Gleichzeitig werden die Geruchsinformationen ins »Limbische System« weitergeleitet, eine Hirnregion, die u. a. für Emotionen und Gedächtnis zuständig ist. So kann ein Geruch dort z. B. ein Gefühl von Freude, Wohlbefinden, aber auch Ekel oder Angst wachrufen: Unbewusst entspannen wir uns vielleicht beim Duft von Kaffee, fühlen uns durch den Geruch von Zimt, Nelken und Tanne geborgen und an Weihnachten erinnert. Oder wir schaudern schon beim bloßen Riechen an einem Meeresfrüchteeintopf, weil wir uns mit Muscheln einmal den Magen verdorben haben.

Die Gedächtnisforschung zählt die Eindrücke aus Duft- bzw. Geschmackserlebnissen zu den nachdrücklichsten Erinnerungen. Man spricht vom »Proust-Effekt«, bezogen auf das Erlebnis des Ich-Erzählers in Marcels Prousts Romanwerk »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«: Ein paar mit Tee durchtränkte Kekskrümel lassen dort im Protagonisten Erinnerungen wiederaufleben, die Stoff für mehrere Romanbände liefern!

Alle Verschaltungen zum zentralen Nervensystem, zu unseren Gefühlen und unserer Vergangenheit geschehen unterbewusst und können vom Verstand nicht gesteuert werden. Sie mischen sich in die Informationen, die uns in anderen Hirnregionen einfach nur die schlichte Erkenntnis liefern: »Was ich da rieche oder schmecke, muss eine Tomate sein.« Riechen und Schmecken sind komplexe Vorgänge, an denen verschiedene Gehirnareale parallel und wechselseitig beteiligt sind. Durch den direkten Zugang zu Hirnregionen des Unterbewussten hinterlassen Gerüche und damit verbundene Erlebnisse Spuren, die wir in Form bestimmter Gefühle und Erinnerungen bei jeder Begegnung mit dem Duft oder Aroma »mitschmecken«.

»Der Geruchssinn ist der Sinn der Erinnerung und des Verlangens.«

(Jacques Rousseau)

Unser Geschmack und die Vorliebe bzw. Abneigung gegenüber bestimmten Lebensmitteln sind in vielfältiger Weise vorgeprägt. Inzwischen ist wissenschaftlich belegt, dass ein guter Teil unser Geschmacksfähigkeit genetisch angelegt ist: Schon in den 30er-Jahren gelangte der amerikanische Chemiker Arthur Fox zur Erkenntnis, dass gut ein Viertel der Menschen nicht in der Lage ist, bestimmte Bitterstoffe zu schmecken, aufgrund einer geerbten Genveränderung ist einer der verschiedenen Bitterrezeptoren nicht funktionsfähig. Auch die Empfindung von Koriander als »lecker« oder »seifig« ist genetisch dispositioniert. Ebenfalls allein aufgrund ihrer Gene können rund 25 Prozent aller Menschen mehr schmecken als andere: Laut einer neueren Studie der amerikanischen Psychologin Linda Bartoshuk entscheiden die Anzahl und Größe der Geschmackspapillen darüber, dass manche mehr schmecken als andere. Hat man viele eher kleine, ist man unter Umständen ein »Supertaster«, dem alles geschmacklich wesentlich intensiver erscheint. Und auch erklärten israelische Wissenschaftler, dass 50 für Geruchsrezeptoren zuständige Gene je nach Veranlagung aktiv oder inaktiv sein können.

»Was der Bauer nicht kennt, das (fr)isst er nicht« – das Sprichwort kennt jeder. Wie in vielen Volksweisheiten steckt auch darin ein wahrer Kern.