ISBN: 978-3-95428-790-1
1. Auflage 2019
© 2019 Wellhöfer Verlag, Mannheim
Titelgestaltung: Uwe Schnieders, Fa. Pixelhall, Malsch
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Es hätte so ein schöner Tag werden können.
Dass ich meinen Chef KPD, wie wir Klaus P. Diefenbach aufgrund seiner Initialen nannten, für verrückt halte, ist kein Geheimnis. Ich denke, dass ich mit dieser Meinung auf unserer Dienststelle nicht allein bin.
Es war kurz vor Weihnachten und die letzten Sonnenstrahlen vor einem angekündigten Schneechaos quälten sich durch die eisige Rheinebene. Während KPD am gestrigen Montag in der wöchentlichen Lagebesprechung wieder einmal nichts anderes als seine penetrante Selbstdarstellung pflegte, fragte ich ihn scheinheilig, warum es von ihm, unserem guten Chef, noch kein literarisches Meisterwerk gab. Auf seinen irritierten Blick antwortete ich ihm, ich könne mir gut vorstellen, dass er einen Pfälzer Reiseführer mit speziellen Tipps aus Sicht eines Kripochefs schreiben könne. Das habe Potenzial zu einem Weltbestseller oder sogar darüber hinaus.
»Ach, äh, ja«, stotterte mein Chef unsicher und man sah ihm an, wie sein Gehirn sprichwörtlich rotierte. »Tatsächlich«, sagte er schließlich, »das ist mal eine gute Idee von Ihnen, Herr Palzki. Das zeigt mir als gutem Chef, dass bei Ihnen noch nicht Hopfen und Malz verloren sind.«
»Ich meinte eher die Trauben«, unterbrach ich ihn. Der spontane Einfall, KPDs literarisches Erstwerk in einer Region zu verorten, die keine Überschneidungen mit dem Einzugsgebiet unserer Dienststelle besaß, sollte sich alsbald bitterlich rächen.
KPD stand auf der Leitung und verstand meine Anspielung nicht.
»Wie auch immer«, meinte er. »Einen kriminellen Freizeitführer gibt es noch nicht. Und da Sie gerade von Trauben gesprochen haben und ich, wie Sie alle wissen, nicht nur ein guter Chef, sondern auch ein ausgezeichneter Weinexperte bin«, er holte tief Luft und stellte sich in Positur, »werde ich zwei meiner vielen Talente verknüpfen und die kriminellen Machenschaften entlang der Weinstraße in einem Freizeitführer beschreiben. Auch der Pfalz steht ein Standardwerk von höchster Qualität bestimmt gut. Dann klappt’s auch mit dem Pfalzpreis für Literatur, der fehlt mir noch in meiner Sammlung.«
KPD war noch nicht fertig.
»Als Dank für Ihren tollen Einfall, Herr Palzki, werde ich Sie und ein paar weitere meiner Untergebenen mit auf eine Recherchereise nehmen. Dann lernen Sie etwas über unseren guten Pfalzwein, als Biertrinker sind Sie da ja eher etwas unterentwickelt. Sie werden von mir auch lernen, wie man seinen Verstand schärft und aus augenscheinlich harmlosen Begebenheiten verbrecherische Absichten erkennt. Gerade jetzt um die Weihnachtszeit gibt es in der Pfalz viel zu sehen und erleben.«
Es half nichts, bereits eine Woche später ging es los. KPD höchstpersönlich ließ es sich nicht nehmen, den Mannschaftsbus zu steuern. Als Ideengeber durfte ich auf dem Beifahrersitz Platz nehmen, während Gerhard, Jutta und zwei weitere Kollegen in den Fond steigen mussten. Unser Dienststellenleiter stieg froh gelaunt ein und wuchtete einen offenen Karton auf meinen Schoß.
»Ein paar Unterlagen«, meinte er zu den schätzungsweisen 20 Kilogramm.
»Wo ist denn der blöde Schalter?«, fragte KPD sich selbst, während er das Armaturenbrett absuchte.
»Blinker?«, fragte ich vorsichtig.
»Ach was, ich suche den Schalter für das Sondersignal, ah, da ist er ja.«
Ein ohrenbetäubender Lärm durchflutete das Wageninnere. »Mann, ist das hier drinnen aber laut«, sagte KPD. »Sind die Mannschaftswagen denn nicht schallisoliert? In meinem Dienstwagen höre ich das Martinshorn so gut wie überhaupt nicht.« Sichtlich enttäuscht schaltete er den Lärmmacher wieder aus.
»Sie fahren Ihren Dienstwagen mit Horn?«, fragte Jutta ungläubig aus dem Fond.
KPD, der bereits losgefahren war, drehte sich schwerfällig nach hinten. »Als Leiter der Schifferstadter Kriminalinspektion geht es nicht an, dass ich auf dem Weg zur Arbeit unnötige Zeit in Staus vertrödele. Aus Rücksicht auf meine Frau schalte ich die Anlage allerdings erst 100 Meter von unserem Haus entfernt ein.«
Die Fahrweise unseres Chefs war ziemlich durchwachsen. Das lag vor allem daran, dass er sich wenig um die Verkehrslage kümmerte. Wahrscheinlich war sein Wahlspruch Der Verkehr bin ich. Mehr als einmal hatte ich den Eindruck, dass er den Automatik-Wagen mit einem Wagen gleichsetzte, der automatisch, sprich ohne menschliche Eingriffe, fuhr.
Kurz hinter Speyer auf der Bundesstraße nach Landau, kruschelte er in dem Karton, der nach wie vor auf meine Oberschenkel drückte. Nach einiger Zeit zog er ein paar Zettel heraus, von denen er einige auf das Armaturenbrett legte.
»Aha«, sagte er schließlich mit lauter Stimme, sodass selbst die Mitfahrer in der dritten Sitzreihe zusammenzuckten, »da sind meine Handnotizen. Wir schauen uns heute die Deutsche Weinstraße an, die, wie Sie hoffentlich wissen, 85 Kilometer lang ist und im Jahr 1935 eröffnet wurde.«
»War das nicht bereits 1934?«, warf ich unwissend und frech ein.
»Nein, nein, da irren Sie sich, Herr Palzki. Das war ganz sicher 1935. Ich habe das selbst recherchiert. Und bei solchen Sachen gelte ich als unfehlbar.«
»Silvester 1934?« Ich gab nicht auf.
KPD wurde ungeduldig. »Was soll das, Herr Palzki? Habe ich recht oder Sie? Das war jetzt aber nur eine rhetorische Frage. 1935, und dabei bleibt es!«
»Schade«, antwortete ich.
Mein Chef gaffte mich verwirrt an.
»Na ja«, klärte ich ihn auf. »Wenn Sie Ihr Werk noch dieses Jahr veröffentlichen, dann könnten Sie das 85-jährige Jubiläum erwähnen.«
KPD grummelte eine Weile vor sich hin. »Das geht nicht, Herr Palzki«, sagte er leise. »Wenn das rauskommt.«
»Warum sollte das rauskommen? Wenn Sie in Ihr hoch qualifiziertes Werk 1934 reinschreiben, dann ist es eben so. Bei Ihrem gesellschaftlichen Standing und Ihren Beziehungen wird das wohl niemand infrage stellen oder kontrollieren wollen. Das ist auch schon so lang her.«
»Meinetwegen«, gab er sich endlich geschlagen. Ich nahm mir vor, weiter zu intrigieren. Das wäre doch gelacht, wenn es mir dieses Mal nicht gelingen sollte, den Ruf meines Vorgesetzten nachhaltig zu schädigen.
KPD referierte längst weiter über seine Notizen. »Wir beginnen unsere Tour am Deutschen Weintor in Schweigen-Rechtenbach, das ist im Moment herrlich weihnachtlich geschmückt. Von dort fahren wir zum Gegenstück am anderen Ende, dem Haus der Deutschen Weinstraße in Bockenheim. Da kommen wir durch das zweitgrößte Weinbaugebiet Deutschlands. Den Namen des größten fällt mir im Moment gerade nicht ein.«
Hinter Landau bog er von der Autobahn ab, auf der wir nur wenige Kilometer zurückgelegt hatten, und fuhr durch eine immer hügligere Landschaft durch gefühlt 1.000 Ortschaften in Richtung Berge. Mehr als einmal kam er mit dem Wagen in den engen Gassen in Kontakt mit irgendwelcher Weihnachtsdekoration, die die Gemeinden oder Bürger an Straßenlaternen und Hauswänden befestigt hatten. Inzwischen zierten mehrere Tannenzweige, die sich im Scheibenwischer verhakt hatten, unsere Motorhaube.
»Ganz in der Nähe ist in Steinfeld das Kakteenland. Mit meiner Frau bin ich dort mindestens alle drei Monate. Da gibt’s auch Schwiegermuttersitze, Herr Palzki. Ein ideales Geschenk.«
»Ich schenke meiner Schwiegermutter nichts«, antwortete ich. »Die schenkt mir im Leben auch nichts.«
Dass ich meine Bemerkung anders meinte, verschwieg ich.
Eine Viertelstunde später hielt KPD vor dem Tor in Schweigen an. Während unser Chef das Symbol bestaunte und von allen möglichen Seiten fotografierte, legten wir Untergebenen eine kollektive Pause in einer Wirtschaft ein. Nach einer Weile stieß er zu uns.
»Ja, was trinke ich denn?«, fragte er schon wieder sich selbst mit einem Blick in die Weinkarte.
»Ich habe für Sie bereits die hiesige Spezialität bestellt«, sagte ich zu meinem Chef. Meine Kollegen drehten sich allesamt zur Seite, um nicht verräterisch herauszulachen.
Als die Bedienung kam, reagierte ich, bevor diese die unheilsame Frage Für wen ist die Cola-Rot? stellen konnte, und sagte: »Das Getränk ist für diesen Herrn da.«
Sie stellte das Glas ab und verschwand mit einem Kopfschütteln, was ich durchaus nachvollziehen konnte. In meiner Jugend galt Cola-Rot, also eine Mischung aus Rotwein und Cola, als Kultgetränk. Inzwischen wurde es zu Recht gemieden.
»Boah, was ist das denn?«, blökte und rülpste KPD gleichzeitig. »Das kann doch kein Mensch trinken!«
Ich legte den Zeigefinger an meinen Mund. »Leise, Herr Diefenbach. Wollen Sie es sich mit den hiesigen Weinbauern verscherzen? Niemand wird Ihr Buch kaufen, wenn Sie ihren Wein kritisieren. Es mag sein, dass er um Nuancen anders schmeckt als Ihr Favorit. Aber stellen Sie sich mal vor, wenn alles gleich schmecken würde.«
KPD beruhigte sich und trank weiter. »Na ja, nach ein paar Schluck gewöhnt man sich daran. Trotzdem, der Abgang ist ein wenig zu süß geraten. Wie heißt die Sorte?«
»Schweigener Rotkoller«, sagte ich schnell, weil mir spontan nichts Besseres einfiel.
»Dann werde ich diesen Rotwein in meinem Werk besonders positiv darstellen.«
Wieder machte er sich Notizen. Ich begann langsam, mich über das noch nicht erschienene Buch zu freuen. KPD war natürlich der Einzige, der dieses abscheuliche Getränk in seinem Glas hatte. Da uns die Mägen knurrten, bestellten wir uns alle ein typisches Pfälzer Gericht: Dampfnudeln mit Kartoffelsuppe.
»Hm, das ist mal richtig was Gegensätzliches zu den Sternerestaurants, in denen ich gewöhnlich diniere«, meinte KPD. »Palzki, besorgen Sie mir das Rezept, damit ich es in meinem Werk veröffentlichen kann.«
Nach dem Ende der Pause drohte uns unser Führer mit neuem Ungemach.
»Jetzt machen wir einen kleinen Abstecher ins benachbarte Ausland. Welcher Staat beginnt gleich südlich von Schweigen, Herr Palzki?«
»Preußen?«, fragte ich vorsichtig zurück und rettete damit die Situation endgültig.
KPD schnaufte tief durch. »Solch eine Antwort habe ich fast erwartet. In Staatskunde waren Sie wahrscheinlich krank. Nur ein paar Meter von hier entfernt beginnt Frankreich. Sagt Ihnen das etwas, Herr Palzki?«
»Ach so, ja. Da liegt doch die Eifel mit dem Eiffelturm.«
Der zukünftige Literaturnobelpreisträger patschte sich mit der Hand auf die Stirn, sagte aber nichts.
Wir stiegen ein und fuhren los. Die Fahrt war kurz. Am Ortsausgang fuhren wir an einem Discounter vorbei und unmittelbar danach sahen wir das Grenzschild. KPD bremste scharf ab und parkte fast direkt vor dem Schild auf einem staubigen Parkplatz.
»Da machen wir jetzt schnell ein Erinnerungsfoto, steigen Sie bitte alle aus.«
Mir drückte er eine Digitalkamera in die Hand. »Passen Sie gut auf dieses hochempfindliche Stück Elektronik auf, Herr Palzki. Der kleine Knopf da oben ist der Auslöser, das da vorn ist das Objektiv. Kennen Sie sich damit ein wenig aus?«
Ich untersuchte das metallene Silberstück in bewusst grobmotorischer Manier. Wie zufällig öffnete ich dabei die Bodenklappe und ließ mit einem kleinen Druck die Speicherkarte zu Boden fallen.
»Hoppla, was ist das?«, fragte ich erstaunt. »Die fällt ja schon auseinander.«
KPDs rote Birne war mir Belohnung genug. Schnaubend baute er seine Kamera wieder zusammen und überlegte. »Okay, einen Versuch gebe ich Ihnen noch. Wir stellen uns alle unter das Schild und Sie fotografieren uns.«
»Und ich? Ich will auch mit aufs Bild«, protestierte ich, obwohl mir das so was von egal war.
»Beim nächsten Fotostopp sind Sie wieder dabei, Herr Palzki.«
Milde lächelnd wählte ich einen etwas verwegenen Bildausschnitt. Es war natürlich Zufall, dass mein Chef außerhalb des Ausschnittes stand und man von dem Grenzschild nur erahnen konnte, dass es da war. Um eine Kontrolle zu verhindern, schaltete ich die Kamera anschließend aus und stieg wieder in den Wagen.
»Kommt endlich, draußen ist es saukalt. Fahren wir jetzt rein nach Dingsbums?«
KPD nickte. »Ganz recht, da vorne beginnt bereits Wissembourg.«
»Ich habe meinen Ausweis zu Hause vergessen«, bekannte ich und legte einen treudoofen Blick auf.
»Den brauchen Sie nicht, Herr Palzki. Schon mal was von der EU gehört?«
Es war Zeit für die nächste Demontage. »Haben Sie das nicht in der Zeitung gelesen, Herr Diefenbach?« Ich wusste, dass er aus Prinzip keine Zeitung las. Außer, er wurde darin erwähnt.
»Von was reden Sie schon wieder?«
»Von der allgemeinen Mautpflicht auf französischen Landstraßen und Wanderwegen.«
KPD starrte mich an. »Seit wann denn das?«
Meine Kollegen waren mucksmäuschenstill und harrten unseres Dialogs.
»Seit dem 1. Dezember müssen alle PKWs und Rucksäcke einen Mautaufkleber haben. Das ist so ein rundes Ding mit dem ollen Napoleon in der Mitte. Haben Sie das wirklich noch nicht gesehen? Den können Sie an jeder Tankstelle erwerben, kostet nur 10 französische Euro im Monat.«
Ich war mir sicher, dieses Mal übertrieben zu haben. Doch KPD nahm mir diese Räuberpistole ab.
»Ach, das meinen Sie. Klar, das habe ich natürlich mitbekommen. Ich schreibe es mir gleich auf, damit es auch in meinem Reiseführer Einzug findet.«
Nach der Niederschrift der verrückten Mautgeschichte drehten wir um. Schließlich wollte KPD die Weinstraße abfahren und nicht die Tour de France. Nach wenigen Kilometern kamen wir nach Bad Bergzabern. Unser Chef ließ es sich nicht nehmen, durch die Innenstadt zu fahren und über das Schloss Bergzabern, das früher den Wittelsbachern gehörte, zu referieren. Auch das Gasthaus zum Engel erwähnte er gebührend und titulierte es als eine der schönsten Renaissancebauten Deutschlands. Ich konterte natürlich sofort damit, dass es sich eindeutig um ein Gebäude im Jugendstil handelte. Nach einigem Hin und Her glaubte er mir und korrigierte seine richtig gewesenen Notizen. Auch die hiesigen Einwohner sollten schließlich ihren Spaß an KPDs neuem Buch haben.
Weiter ging die Fahrt nach Klingenmünster.
»Die Gegend scheint mir harmloser zu sein, als ich dachte«, meinte unser Chef plötzlich. »Egal, wo ich hinschaue, ich kann keine Anzeichen für kriminelle Machenschaften entdecken.«
»Und dieser Lieferwagen da vorn neben dem Weihnachtsbaum?« Ich zeigte auf einen Sprinter, der halb auf dem Gehweg parkte und gerade mit Kartons beladen wurde.
KPD winkte ab und fuhr an dem Transporter vorbei. »Ich bitte Sie, Herr Palzki. Das ist ein ganz normaler Ladevorgang. Schauen Sie mal lieber hoch auf den Berg. Das ist die Burg Landeck. Von da oben hat man eine schöne Aussicht. Wollen wir eine kleine Pause einlegen?«
Die Frage war nur rhetorisch gemeint. KPD bog nördlich von Klingenmünster in die Zufahrtsstraße zur Burg ein. Auf der anderen Seite sahen wir zwei Traubenvollernter durch einen Wingert fahren.
Die Straße war nicht nur sehr steil, sondern auch eng. Entgegenkommende zu Tal fahrende Fahrzeuge ignorierte KPD, sodass mehrere davon beinahe Bekanntschaft mit der Leitplanke machten.
»Dass die Autofahrer immer so unvernünftig sein müssen«, motzte KPD über die anderen Fahrzeuglenker.
Heil kamen wir oben an. Zum Glück befand sich der Parkplatz direkt vor dem Burgeingang. Die wenigen Meter in den Burghof passten durchaus in mein Konditionsbudget. Fünf Minuten später waren wir im Burginnern angekommen und schauten an dem mächtigen Bergfried nach oben.
»Und das alles ganz ohne Kran«, erklärte unser Chef stolz, als hätte er den Fluchtturm eigenhändig gebaut. Nachdem wir uns am Kiosk eine Kleinigkeit gekauft hatten, suchten wir uns einen Platz mit Blick über die Rheinebene.
KPD holte tief Luft. »So eine schöne und vor allem verbrechensarme Region. Hier kann man nachts die Haustür offenstehen lassen und es wird nichts gestohlen. Ich konnte bisher nicht die kleinste Ungewöhnlichkeit feststellen.«
Ich wagte, meinem Vorgesetzten zu widersprechen.
»Eine Kleinigkeit haben Sie übersehen, Herr Diefenbach! Die beiden Vollernter im Wingert bei Klingenmünster machen im Dezember nicht so richtig Sinn. Da ist irgendetwas im Busch.«
1 kg Mehl, 1 Würfel Hefe
1 Päckchen Vanillezucker
2 EL Butter
0,5 l lauwarme Milch, 2 Eier
Öl für die Pfanne, Salzwasser
Mehl auf einen Haufen schütten und eine Kuhle in die Mitte drücken. Hefe in die Kuhle krümeln und einen Teil der Milch dazugeben. Den Teig in der Mitte verrühren. Butter und etwas mehr Milch dazugeben und weiter nach außen rühren. Vanillezucker und Eier mit der restlichen Milch dazugeben und den Teig komplett verrühren und kneten. Den Teig abgedeckt an einem warmen Ort eine Stunde gehen lassen.
Kleine, glatte Dampfnudeln formen. Öl in der Pfanne auf Stufe 9 erhitzen. Dampfnudeln hineinsetzen und 3 Minuten auf Stufe 7 backen.
Salzwasser dazugeben, Deckel aufsetzen (spritzt!) und 5 Minuten auf Stufe 6 fertig backen. Nach 2 Portionen das Öl wechseln.
1 kg Kartoffeln, 1 Päckchen Suppengemüse
Gemüsebrühe, Wasser
Die Kartoffeln schälen und klein schneiden. Das Suppengemüse schälen und klein schneiden.
Alles in einen Topf geben und mit Wasser auffüllen, bis alles bedeckt ist. Mit der Gemüsebrühe alles weich kochen. Mit einem Pürierstab alles pürieren. Nach Geschmack würzen.
»Heiner?«
»Hmmm …?«
»Gehst du dich umziehen, die Kinder kommen gleich.«
Heiner faltete die Zeitung zusammen, strich mit der rechten Hand über seinen Oberschenkel, der in einer leicht beuligen Breitcordhose steckte, und murmelte:
»Was schtimmd dann mit der Hoss nit?«
»Du hattest sie an, als wir uns kennenlernten. Vor dreiundvierzig Jahren. Und seither gefühlt jeden Tag!«
Heiner strich immer noch.
»Ja, des war noch Qualidääd domools.«
»Bitte. Tu es für mich, ja? Und dann kannst du mir helfen, den Tisch decken und hol noch Saft und Sekt aus dem Keller.«
Heiner stöhnte und grummelte. Dann stand er auf.
»Känn Woi?«
Hilde werkelte in der Küche und rief: »Michael bringt Glühwein mit!«
Heiner stöhnte lauter. Glühwein!
Das Schlimmste, was man einem guten Rotwein antun konnte, war, ihn warm zu machen und seltsame Gewürze reinzuschütten. Und wenn man einen schlechten nahm – der wurde dadurch kein bisschen besser!
»Und wenn du im Keller bist, kommst du gleich wieder hoch, ja? Du gehst NICHT in deinen Schnitzkeller, hörst du?«
Heiner seufzte. Hilde kannte ihn zu gut.
Da unten hatte er seine Ruhe. Beim Schnitzen der Marionetten konnte er komplett die Zeit vergessen, und wenn er dann die Schnüre einfädelte und ihnen damit Leben einhauchte, war das jedes Mal ein erhabener Moment.
Es hatte was von Schöpfung.
Ähnlich schön wie damals, als die Kinder geboren wurden. Ulrike, Ursula und Ute waren prächtige Mädchen! Er liebte sie sehr, aber wenn möglich, jeweils alleine.
Ulrike hatte diesen Akademiker angeschleppt. Irgend so ein Klugscheißer-Doktor, der geschwollen daherredete und mit seinen Fremdsprachen protzte.
Und Glühwein mitbrachte!
Ursulas Ehemann hatte in seiner Firma Karriere gemacht. Von der Schreinerei über die Projektleitung bis zum Leitungsteam mit Gewinnbeteiligung. Seither nutzte er seine Finger nur noch zum Tippen auf allen möglichen Geräten und ging immer nur mit Schlips und Sakko zur Arbeit.
Nur Ute hatte sich für einen echten Handwerker entschieden. Aber seit über einem Jahr war der verschwunden. Weder zu den Geburtstagen noch an Ostern oder Weihnachten tauchte er auf – Ute kam immer allein.
»Papa, Tom ist auf der Walz! Da darf er nicht nach Hause zwischendurch! Nicht mal in die Nähe!«
Heiner blieb skeptisch. Das hatte er ja noch nie gehört!
Hilde kam ins Wohnzimmer mit einem Stapel Teller. Ihr Blick reichte, Heiner stand auf, streckte sich und seufzte wieder.
Hilde schaute immer noch streng.
Dann sagte sie: »Heiner, du nimmst dich zusammen heute Abend. Dass Stefan eine Weihnachtsmann-Agentur beauftragt hat, lässt sich nun mal nicht mehr ändern!«
Ja, ja.
Heiner war trotzdem verärgert. Schlimmer noch, er fühlte sich als Versager. Als nutzloser Versager.
Die letzten Jahre war es immer seine Aufgabe gewesen, die Enkel als Nikolaus zu beschenken. Und das hatte er immer sehr konzentriert und voller Eifer erledigt. Er hatte vorher eines seiner dicken Vogelkundebücher in Goldfolie eingepackt, hatte Zettel eingeklebt, auf denen er fein säuberlich die Namen und die Belobigungen und Ermahnungen der einzelnen Enkel eingetragen hatte. In großer Schrift, versteht sich, weil er seine Lesebrille nicht tragen durfte, sondern eine Nickelbrille mit Fensterglas auf der Nase hatte.
Ein langer Rauschebart aus Watte, Wattelöckchen unter der roten Nikolausmütze und ein Sofakissen unter dem schwarzen Mantelgürtel hatten die perfekte Verkleidung ergänzt.
Bis letztes Jahr der Älteste von Ulrike und Michael, Amadeus, mitten in seinem Gedicht-Aufsagen stockte und fragte:
»Warum hat der Nikolaus Opis Hausschuhe an?«
Das darauffolgende Durcheinander war grandios gewesen.
Hilde hatte mit den Augen gerollt, Ulrike hatte ihren Großen zur Seite genommen und was von »die Stiefel waren zu dreckig und da hat der Opi ihm die geborgt« gemurmelt, Michael hatte sich zwei Becher Glühwein in kürzester Zeit eingefüllt und genuschelt: »Großes Kino. GANZ großes Kino!«, in Endlosschleife.
Ursula hatte Söhnchen Fiete-Ole die Ohren zugehalten und Stefan hatte Töchterchen Luana-Johanna auf den Arm genommen und beim Rausgehen gerufen: »Dafür gibt es doch PROFIS! Mein Gott!«
Die Zwillingsbrüder von Amadeus waren wach geworden und hatten in Jumbo-Jet-Landebahn-Lautstärke gebrüllt und Oma Hilde hatte versucht, beide in die Küche zu lotsen, um sie mit Plätzchen ruhigzustellen.
Nur Ute hatte entspannt auf dem Sofa gelegen, ihr Baby gestillt und in ihre Faust gekichert, bis ihr die Tränen über beide Wangen liefen.
Ja, ja.
Das mit den Hausschuhen. Blöd.
Heiner hatte sich wie jedes Jahr sofort in den Schnitzkeller verkrümelt, als die ganze Mannschaft eintraf. Er musste sich schließlich verkleiden und vorbereiten und – überhaupt war der Nikolaus-Abend dort unten ganz prima zu ertragen!
Er hatte sich eine Riesling-Schorle gemacht und las immer wieder die Anmerkungen im goldenen Buch. Und welches Geschenk in welchem Papier für welches Kind sein sollte.
Hilde würde rechtzeitig mit dem Besenstiel auf den Küchenboden klopfen, und er würde dann wissen, dass er noch etwa fünf Minuten hatte. Das hatte bisher jedes Jahr ganz prima funktioniert und Heiner drapierte das Kissen unter den Mantel.
Er mixte sich noch eine Schorle.
Er schichtete die Geschenke in den alten Kartoffelsack, zog vorsichtig die Mütze über die Glatze und richtete die Wattelöckchen aus. Den Bart ließ er noch weg – damit trank es sich so schlecht.
Er mixte sich noch eine Schorle.
Er klemmte den Wattebart hinter die Ohren und besah sich vor dem Spiegel des alten Utensilienschranks. Perfekt.
Er hob den Bart, nahm einen Schluck, da polterte es über ihm. Aha! Es ging los!
Und dann merkte er, dass er noch die Hausschuhe anhatte.
Er griff nach den Feuerwehrstiefeln in der Ecke, hob das rechte Bein, zog den Hausschuh aus und versuchte, den Stiefelschaft zu treffen. Aber das ging irgendwie nicht so richtig, weil der Kissenbauch ihm die Sicht versperrte und der Stiefel heftig zu wackeln schien.
Über ihm polterte es wieder. Dringlicher.
Zwei weitere vergebliche Versuche, dann gab Heiner auf. Er schlüpfte deshalb wieder in den rechten Hausschuh, packte den Geschenkesack, prüfte noch mal Sitz von Mütze und Bart und stapfte mit lautem »Ho-Ho-Ho!« die Kellertreppe hoch.
Fast wäre ja alles gutgegangen. Fast.
Für dieses Jahr war er als Nikolaus abgemeldet. Stefan hatte einen Profi engagiert. Die beiden Schwiegersöhne hatten das vereinbart und die Aufgaben verteilt – Michael den Glühwein, Stefan den Nikolaus – ihre Frauen informiert und die wiederum ihre Mutter drum gebeten, es dem Opa schonend beizubringen.
Heiner war tief getroffen.
Er hatte schon damit gerechnet, dass es dieses Jahr anders laufen würde, aber dass er völlig außen vor war, wurmte. Und bohrte. Und stach.
Die Einzige, die ihn verstand, war Ute. Sie hatte ihn angerufen und gesagt: »Ach Papa. Ich würde dich wieder nehmen. Ich wusste doch als Kind auch schon, dass DU das warst. Kinder wissen das. Das fühlt man, riecht man – man weiß es eben. Aber Michael befürchtet bei seinen Nachkommen ein frühkindliches Trauma, wenn sie sich betrogen fühlen!«
Es hatte gutgetan, aber enttäuscht war er trotzdem noch.
Als er mit Saft für die Kinder und Sekt für die Frauen wieder nach oben kam, hatte Hilde den Tisch schon gedeckt und summte ein Weihnachtslied vor sich hin. Heiner nahm die Glühweintassen zur Kenntnis, sah aber auch, dass Hilde an seinen Platz ein Schoppenglas gestellt hatte. Ach, Hilde!
Und dann dachte Heiner, dass es vielleicht gar nicht so schlecht war, sich die ganze Sache als Zuschauer zu betrachten!
Bald ging es los.
Immer wieder klingelte es und ein neuer Schwall Menschen überflutete den Flur. Jacken, Mützen, Winterstiefel, Schals, Handschuhe – seine kluge Hilde hatte pro Familie einen großen Wäschekorb für die Kinderklamotten parat gestellt, damit die Rückverteilung später reibungslos laufen konnte.
Ute kam als Erste. Die kleine Emma lief schon ein paar Schritte, zog ihren ohramputierten Knuddelhasen hinter sich her und strahlte glücklich ihren Opi an. Der nahm sie hoch und kitzelte mit dem Bart ihr Näschen, wie jedes Mal zur Begrüßung. Und wie jedes Mal jauchzte die Kleine vor Vergnügen. Heiner hoffte inständig, dass dieses Kind so wonnig bleiben würde. Die Chancen standen gut bei der patenten Mutter, auch wenn die immer noch keinen Mann und Vater an ihrer Seite hatte.
»Papa! Jetzt frag doch nicht immer! Das dauert vier Jahre. VIER! Wir besuchen ihn doch ganz oft, aber hierher kommen, das darf er nicht!«
Heiner atmete tief. Das würde wohl alles seine Richtigkeit haben.
Ursula und Stefan kamen als Nächste. Fiete-Ole und Luana-Johanna stritten sich schon im Hof, zogen sich gegenseitig die Mützen über die Nasen und brüllten dann nach Hilfe.
Stefan checkte permanent den aktuellen Standort des georderten Weihnachtsmanns auf seinem Smart-Phone und Ursula verzog sich in die Küche und fragte Hilde:
»Mama, kann ich dir was helfen?«
Die zog die Augenbrauen hoch und antwortete:
»Ja, bring deine Brut zur Raison!«
Heiner stand mittendrin, Emma auf dem Arm und grinste. Seine Hilde!
Ulrike und Michael kamen als Letzte. Michael schleppte den Elektrokocher mit dem Glühwein und rief: »Steckdose! Steckdose?«, noch bevor er »Guten Abend« sagen konnte.
Hilde lächelte ihn an: »Grüß dich, lieber Schwiegersohn! Nimm die Steckdose, die du JEDES Jahr nimmst, die verschieben sich bei uns nicht!«
Heiners Grinsen wurde breiter.
Ulrike entblätterte ihre Söhne und schichtete die Teile fein säuberlich in den vorgesehenen Wäschekorb. Dann drückte sie Amadeus sein Flöten-Etui in die Hand und schickte ihn ins Wohnzimmer. Die Zwillinge hielten jeweils ein elektronisches Teil in den Händen, das sie nur zum Handschuhe-Ausziehen kurz losließen. Beide starrten auf die Displays, bewegten die Daumen in Höchstgeschwindigkeit und versuchten, ihrem Bruder ins Wohnzimmer zu folgen.
Heiner wartete darauf, bis der erste gegen den Türrahmen stolpern würde, aber Ulrike lenkte die beiden mit kurzen Stupsern auf die Schultern zielsicher zum Sofa.
Einen Moment überlegte Heiner, ob die beiden wirklich lebendig waren, und ihm kamen echte Zweifel, als er merkte, dass er keine Ahnung hatte, wie die beiden hießen und ob sie überhaupt Namen hatten.
»Hilde?«, flüsterte er seiner Frau zu. »Ich hab vergesse, wie die zwää hääßen! Hinz und Kunz? Trick und Track?«
»Max und Moritz«, sagte Hilde und zwinkerte ihm zu.
»Echt jetzt?«
»Nein! Johann-Wolfgang und Friedrich!«
Irgendwann hatte jeder seinen Platz auf dem Sofa gefunden. Amadeus packte seine Blockflöte aus, die drei Töchter schwatzten fröhlich miteinander und schlürften Sekt dabei, Michael verteilte Glühwein – an sich selbst und an seine Frau Ulrike, die die Becher dankend annahm und in einer Reihe auf der Fensterbank parkte.
Stefan und die Zwillinge zeigten eine perfekte Choreografie: wischen, tippen, starren, stöhnen.
Michaels Kinder hatten sich derweil Glühweinbecher von der Fensterbank besorgt, pusteten hinein und warteten auf eine geeignete Trinktemperatur.
Hilde kam rein, stellte einen gefüllten Brotkorb auf den Tisch, packte die Glühweinbecher von Fiete-Ole und Luana-Johanna und drückte sie Michael in die Hand.
Dann klatschte sie in die Hände.
»Der Nikolaus hat viel zu tun heute Abend. Deshalb hat er später nicht die Zeit, all eure Gedichte und Lieder hier anzuhören. Aber ihr wisst ja, der Nikolaus weiß alles und sieht alles! Die Krautwickel brauchen noch zwanzig Minuten, bis dahin ist genug Zeit, alle eure Darbietungen vorzutragen. Also, los geht’s! Fiete-Ole fängt an.«
Der Kleine stand auf und begann, sein Gedicht aufzusagen. Mama Ursula flüsterte ihm von hinten die jeweils nächste Zeile ins Ohr und Amadeus rief: »Die sagt ja vor! Das gilt nicht!«
Heiner murmelte: »De selwe Klugscheißer wie sein Vadder!«, und Ulrike zischte: »Das hab ich gehört!«
Heiner übergab Emma an ihre Mutter, schnappte sich das Schoppenglas vom Tisch und schob sich langsam Richtung Tür.
Als er mit seiner Riesling-Schorle zurückkam, war das Gedicht zu Ende und Luana-Johanna packte ihre Blockflöte aus.
»Wieso flötet die hier? ICH flöte hier!«, schrie Amadeus und Heiner nahm einen tiefen Schluck.
Ulrike starrte ihn drohend an und fragte dann in die Runde: »War das so abgesprochen? Michael?«
Der sah sich verwirrt um. »Glühwein, Schatz?«
Ulrike sprang auf, nahm Amadeus an der Hand und ging mit ihm in den Flur. Kurz darauf war sie wieder da, nickte allen zu und sagte zuckersüß zu Luana-Johanna:
»Bitte entschuldige die Störung. Du kannst jetzt anfangen.«
Die Kleine begann mit einer schrägen Aneinanderreihung von Tönen und Heiner versuchte verzweifelt, das Lied zu erkennen.
»Das Intervall im dritten Takt ist eine GROSSE Terz! Von D auf B und NICHT auf H!« Amadeus lehnte sich nach dieser Kritik zufrieden im Sofa zurück.
Heiner murmelte: »De selwe Kluuchscheißer –«, und unterbrach sich sofort, als er Ulrikes Blick bemerkte.
»Papa, in diesem Kontext heißt es der Gleiche, ja? Der GLEICHE! NICHT DERSELBE!«, zischte sie ihm zu.
Dann hatte Luana-Johanna ihren Vortrag beendet, lächelte in die Runde und verbeugte sich.
Keiner klatschte.
Jeder versuchte, das Lied zu erraten, und die Kleine heulte los.
»Alle Jahre wieder wär ääfacher gewesst! Warum muss die Klää so schwere Lieder spiele?« Heiner schaute in die Runde.
»Unn sie hot de Dreivierteltakt net gschbielt. Deshalb hot mer des Lied net gekennt!«
»Du hast doch keine Ahnung von Takt! Von Drei Viertel schon eher!«, zischte Stefan und blickte einen Moment von seinem Display hoch.
Heiner stand auf.
»Ich hab johrelang im Mussigverei die Pauke gschbielt! Johrelang! Ich wääs sehr wohl, was Taktgfiehl is! Ihr hänn all kä Ahnung!« Dann sah er sich alle seine Kinder und Schwiegerkinder und Enkelkinder an, wie sie da auf der Couch saßen, schüttelte den Kopf und murmelte: »Uff die Pauke haue will jeder. Awer traache will se kenner!«
Heiner packte sein Glas und verschwand wieder Richtung Küche. Er machte kein Licht – den Kühlschrank fand er auch im Dunkeln. Es brodelte in ihm und er summte zur Beruhigung das Flötenlied vor sich hin: Kommet Ihr Hirten. Die Melodie WAR aber auch schwer!
Er holte die Rieslingflasche aus dem Seitenteil und schloss die Kühlschranktür. Er goss den Wein ins Glas und horchte auf das Gluckern, das immer höher wurde, bis die ideale Menge Wein eingegossen war.
Heiner schmunzelte. Passte genau, die Flasche war jetzt leer.
Gerade wollte er sie wegstellen und zum Sprudel greifen, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Draußen, vor der Terrassentür, hatte sich was bewegt! Und dann sah er, dass der Türgriff in Offen-Stellung eingerastet war! Und wieso war der Rollladen nicht geschlossen?
In dem Moment wurde die Tür mit einem leichten Schubs aufgestoßen und ein Mann schob sich in die Küche. Geduckt schlich er auf Heiner zu, eine Kapuze über dem Kopf, einen Sack für das Diebesgut auf dem Rücken.
Heiner erstarrte nur einen kurzen Moment.
Dann hob er die Flasche und haute sie dem Einbrecher mit voller Wucht aufs Hirn.
Ein lautes Knacken – Heiner war nicht ganz klar, ob es von der Schädeldecke oder der Flasche gekommen war – zeigte ihm, dass er perfekt getroffen hatte. Der Verbrecher sackte mit einem kurzen, lauten Schrei vor ihm auf die Küchenfliesen.
Das Licht flammte auf. Alle drängten sich in der Küchentür, Ursula hielt sich erschrocken beide Hände vor den Mund, Stefan fluchte, Michael nahm einen tiefen Schluck Glühwein und Luana-Johanna starrte auf den Mann in rotem Mantel mit Kapuze, einem Watterauschebart, der über seine Nase gerutscht war und flüsterte dann mit Entsetzen in ihrem Kinderstimmchen:
»Opi, du hast den Nikolaus erschlagen!«
1 kleiner Wirsing, 1 Zwiebel, 1 altes Brötchen, 500 g Hackfleisch (gemischt), 1 Ei, Salz und Pfeffer, Kümmel, Majoran, Muskat, Fett zum Braten, Brühe(pulver), Sahne.
Den Wirsing vorsichtig zerteilen, die Blätter müssen dabei ganz bleiben. Für jeden Krautwickel zwei schöne Blätter aussuchen und in kochendem Salzwasser kurz blanchieren.
Aus dem eingeweichten Brötchen, der gehackten Zwiebel, dem Hack und dem Ei einen Hackfleischteig zubereiten. Mit Salz, Pfeffer, Kümmel, Majoran und Muskat kräftig würzen. Einen Teil der Blätter, die nicht zum Einwickeln benötigt werden, fein hacken, und zum Hackfleischteig geben und gut vermengen.
Die blanchierten Blätter ausbreiten, etwas Hackfleischteig formen, auf die Blätter legen und zusammenrollen. Dabei die Seiten einklappen, damit kein Teig austreten kann. Mit Küchengarn oder Rouladennadeln schließen. Fett in einer Pfanne heiß werden lassen, die Krautwickel von allen Seiten kräftig anbraten, bis sie schön braun sind. Mit heißer Brühe ablöschen und etwa zwanzig Minuten schmoren lassen. Für die Sauce bei Bedarf etwas Brühe oder Sahne nachgießen.
Abschmecken und mit Salzkartoffeln oder frischem Bauernbrot servieren.