Hessen mörderisch genießen

20 Krimis und 20 Rezepte aus Hessen

Brigitte Lamberts/Ursula Schmid-Spreer (Hrsg.)


ISBN: 978-3-95428-794-9
1. Auflage 2019
© 2019 Wellhöfer Verlag, Mannheim

Titelgestaltung: Uwe Schnieders, Fa. Pixelhall, Malsch
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Inhalt

Ebbelwoi-Express

(Frankfurt)

URSULA SCHMID-SPREER

Oberkommissar Klaus Hofmockel lehnte sich entspannt zurück. Der Apfelweinbraten hatte ihm hervorragend geschmeckt.

»Hätten Sie den Braten gerne in Begleitung von Rotkraut und Klößen?«, hatte ihn die Serviererin gefragt. »Und dazu natürlich einen Ebbelwoi!«

Klaus strich sich über seinen Bauch, ließ die Zungenspitze sehen und sagte freundlich: »Nach dem dritten Becher freunde ich mich sogar mit diesem Getränk an. Aber verraten Sie mir doch bitte das Geheimnis des tollen Bratens.«

Man sah der Serviererin an, dass sie geschmeichelt war. »Das ist ein altes Rezept meiner Oma. Gute Zutaten ergeben ein gutes Gericht. Das Gemüse hat Bioqualität und die Schweineschulter ist von hiesigen Bauern.«

»Also glückliche Schweine …?«

»Sicher!«

Die letzten Wochen waren ziemlich stressig gewesen, er brauchte dringend etwas Erholung. Einen Cold Case musste er bearbeiten, bei dem alte Familiengeheimnisse ans Tageslicht gekommen waren.

Seine Chefin hatte nur genickt, als er um ein verlängertes Wochenende bat. Er wollte zur Ruhe kommen und Kraft für neue Fälle tanken.

Jetzt saß er in dieser Sachsenhausener Wirtschaft, ließ es sich schmecken und wartete auf den Ebbelwoi-Express.

Am Nebentisch wurde dezent gestritten. »Mögen dir deine Ärmel beim Händewaschen langsam runterrutschen!«

»Ha, und ich wünsche dir, dass du nachts viermal Harndrang hast, aber nur dreimal wach wirst!«

Das waren ja zwei Herzchen, die sich da verbal attackierten. Klaus hatte jedes Wort verstanden. Er grinste; die beiden machten ihm in Sachen blöde Sprüche richtiggehend Konkurrenz.

Er hob die Hand, um der Kellnerin zu signalisieren, dass er zahlen wollte. Die Tour durch die Mainmetropole würde bald beginnen. Er wollte schon immer mal mit einer historischen Straßenbahn fahren. Sie sollte durch die Altstadt, durch das Bahnhofsviertel und durch Sachsenhausen führen.

Beim Gehen hörte er noch, wie der Mann zu der Frau sagte: »Weißt du, was der Unterschied zwischen dir und einem Joghurt ist? Dachte ich es mir, du hast keinen Schimmer, Joghurt hat Kultur.«

Klaus reckte sein Gesicht in die Sonne. Vor ihm lagen zwei freie Tage. An nichts denken, sich treiben lassen, gut essen und vor allen Dingen nicht reden müssen. Erst auf dem Heimweg wollte er bei seiner Tante Hilde vorbeischauen. Auf einen kurzen Kaffee, deshalb hatte er sich Frankfurt für dieses Wochenende ausgesucht.

»Einsteigen, Herrschaften! Herzlich willkommen zur Fahrt mit dem Ebbelwoi-Express.«

Der junge Mann, er trug eine altmodische Uniform, hob sich damit von der grell bemalten Straßenbahn ab. Er schob sich die Mütze in den Nacken.

Klaus nahm die Fahrkarte von ihm entgegen.

»Für die paar Flocken gibt’s noch eine Flasche Ebbelwoi und eine Tüte Brezeln dazu. Oder möchten Sie lieber ein Wasser?«

Klaus griente.

»Hab ichs mir doch gedacht. Ein Kenner. Genießen Sie die Fahrt.« Der Uniformierte reichte ihm die Flasche Ebbelwoi.

Klaus nahm Platz und glaubte sich zu verhören, als er die leicht piepsige Stimme aus dem Café vernahm. Das Paar, das sich mit so einfallsreichen Ausdrücken beschimpft hatte. Das konnte ja heiter werden. Jetzt setzte sich das Pärchen auch noch seitlich von ihm hin.

»Du schwitzt, Erwin.« Sie reichte ihm ein Taschentuch.

»Nein, meine Haarwurzeln weinen, weil du so einen Stuss erzählst.«

Aus dem Augenwinkel sah Klaus, dass sich die Frau eine lila gefärbte Haarsträhne aus der Stirn strich. Die Lippen hielt sie dabei fest aufeinander gepresst.

»Herzlisch willkomme und viel Vergnüschen«, hörte man eine blecherne Stimme aus dem Lautsprecher. »Wie schön, dass Sie mit uns die urige Ebbelwoi-Fahrt genießen wollen. Wir fahren in einem Rundkurs viele Sehenswürdigkeiten der Stadt ab. Da heute Samstag ist, können Sie an den Haltestellen beliebig ein- oder aussteigen und zu einem späteren Zeitpunkt die Fahrt fortsetzen.«

Der Schaffner erzählte noch einiges über Frankfurt, über den Ebbelwoi, über die Sehenswürdigkeiten und ab und zu machte er auch einen Witz. Klaus genoss die Fahrt und den wohl dosierten Dialekt.

»Äbbelwoi«, hörte Klaus. »Kann mir das mal einer erklären,

wie der gemacht wird, oder muss ich erst googeln? Und dann schreiben sie einmal Äbbelwoi und einmal Ebbelwoi. Was ist nun richtig?«

»Erwin, reg dich doch nicht schon wieder auf.« Erwin trug eine Igelfrisur.

»Ich bin noch nicht auf Betriebstemperatur, die sollen mal einen Ebbelwoi rüberwachsen lassen.«

»Hier ist doch ein Fläschchen.« Klaus sah im sich spiegelnden Fenster, wie die lila Haarsträhne ihrem Gegenüber die Flasche hinhielt. Er versuchte, den Verschluss aufzuschrauben. Es gelang nicht sofort.

Die lila Haarsträhne reichte ihm ein Taschenmesser. »Vielleicht geht’s damit leichter auf?«

Erwin lockerte den Ring und der Verschluss ließ sich öffnen. Er trank gleich aus der Flasche und gab ihr das Messer zurück.

»Was schaust du wie die Klofee beim Kacken?«

Klaus fühlte so etwas wie Fremdschämen. Der Mann war so unangenehm wie Sodbrennen. Kamen solche Typen eigentlich schon als Arschloch auf die Welt?

»Wir machen hier am Willy-Brandt-Platz einen Stopp. Dieser Platz liegt innerhalb des Bankenviertels an den Frankfurter Wallanlagen. Eine ringförmige Grünanlage, die aus sieben Abschnitten besteht. Sie tragen die Namen der ehemaligen Stadttore. Links sehen Sie die Städtischen Bühnen. Davor steht der Märchenbrunnen.«

Die beiden stiegen aus, ohne weitere Erklärungen abzuwarten.

Klaus konnte nur den Kopf schütteln ob so viel Desinteresses. Manchmal glaubte er wirklich, dass bei einigen Leuten im Kindesalter die Schaukel zu nah an der Hauswand gestanden hatte.

»Sie können gerne aussteigen und sisch umgugge. Viel Spaß.«

»Entschuldigen Sie«, sagte Klaus zu dem jungen Mann in Uniform. »Ich habe nicht ganz aufgepasst. Wie war das noch einmal mit dem Märchenbrunnen?«

Der junge Mann lachte und antwortete: »Ich will Lehrer werden, da kann ich mich dann jetzt schon mal vorbereiten, wenn ich etwas erkläre und keiner hört zu.«

»Entschuldigung«, murmelte Klaus. »Ist mir echt peinlich.«

»Muss Ihnen nicht peinlich sein. Sehen Sie die Bronzefiguren? Die wurden im 2. Weltkrieg eingeschmolzen. Man fand Fotografien und hat sie wieder rekonstruiert.«

Ein lauter Schrei unterbrach den Vortrag. Eine Frau gestikulierte wild. Klaus erkannte die lila Haarsträhne.

Er war zu sehr Polizist, um nicht darauf zu reagieren. Mit wenigen Schritten war er bei ihr. Erwin lehnte zusammengesunken am Brunnen. Aus seinem Bauch ragte ein Taschenmesser. Seine Augen waren weit geöffnet. Klaus hielt zwei Finger an die Halsschlagader. Er konnte kein Lebenszeichen mehr spüren.

Von irgendwoher erklang ein Schuss. Als er sich ruckartig umdrehte, sah er einen etwa 10-jährigen Jungen, der eben eine Brottüte hatte platzen lassen. Mit dem Finger zeigte dieser in Richtung Grünanlagen.

Klaus zog etwas umständlich sein iPhone aus der Tasche und wählte den Notruf.

»Hauptkommissar Breitwieser«, stellte sich der große stattliche Mann vor. Er hatte Anweisung gegeben, den Tatort abzusperren. Schaulustige wurden zurückgedrängt. Die Ehefrau war in ärztlicher Obhut, da sie einen hysterischen Weinkrampf erlitten hatte und sich nicht mehr beruhigen ließ.

»Oberkommissar Hofmockel aus Nürnberg, zu Besuch hier.«

»Und dann gleich ein Mord, Herr Kollege.« Klaus verzog gequält den Mund. Dann schilderte er knapp, was er bisher über den Toten mitbekommen hatte.

»Das war wohl ein Herzchen«, sagte Breitwieser.

»Das war ein Ekel«, schrie der kleine Junge. Er war ganz dicht an das Absperrband getreten.

»Möchtest du etwas sagen?«

»Ich habe es genau gehört, wie er zu der Frau gemein war.«

Breitwieser bat den Jungen, unter dem Absperrband durchzuschlüpfen. »Erzähl uns, was du mitbekommen hast. Wie heißt du denn?«

»Schorschi. Na ja, so nenn ich mich halt. Bei Nigel-Miguel bricht man sich ja die Zunge ab.«

Klaus und Breitwieser sahen sich an, dachten wohl beide das Gleiche und bissen sich auf die Lippe.

»Dann ist ein Punker gekommen und der hat ihn gefragt, ob er die Ebbelwoiflasche haben kann, weil da Pfand drauf ist. Der Alte hat wild um sich gefuchtelt, die Frau weggeschubst und was von Alaska gerufen.

»Alaska?«, murmelte Klaus. »Was bedeutet das?«

»Dann hat er ihm die Flasche hingehalten und der Punker ist gegangen.« Schorschi tat sehr wichtig und bemühte sich, Schriftdeutsch zu sprechen.

»Alles klar«, Kommissar Breitwieser schlug sich mit der Hand an die Stirn. Und zu Klaus gewandt meinte er: »Der ist betrunken und verwaschen klingt alles klar wie Alaska.«

Wo war er da nur hingeraten? Klaus zwirbelte seinen Pferdeschwanz. Das war ja schlimmer als im fränkischen Kommissariat mit seiner Chefin.

»Warum hast du vorhin in Richtung Grünanlagen gedeutet?«, fragte Klaus den Jungen.

»Hab ich nicht, ich habe zu der Frau da gezeigt. Dahinter sieht man den Park.«

»Alaska«, sagte Klaus, dann lachte er, wiederholte »alles klar«, tippte sich an die Stirn und überließ Schorschi einem Kollegen von Breitwieser. Beide gingen zu Erwins Frau. Sie saß teilnahmslos auf der Bahre.

»Ich habs nicht mehr ausgehalten«, weinte sie. »30 Jahre ertrage ich das schon. Jetzt sagt er zu mir, dass meine grauen Haare voll im Trend sind. Und wenn dann auch noch Übergewicht und meine Falten modern würden, dann wäre das jetzt mein Jahr.«

Sie schwieg erschöpft.

»Ich weiß nicht mehr, auf einmal hatte ich das Taschenmesser in der Hand. Als er dann noch sagte, dass ich mich sowieso nicht trauen würde, habe ich einfach zugestochen. Ganz tief hinein.«

Klaus Hofmockel und Kommissar Breitwieser saßen in einem Lokal in der Klappergasse.

»Das ging aber schnell mit der Aufklärung, fränkischer Kollege. Jetzt zeige ich Ihnen das wahre Sachsenhausen mit dem besten Apfelweinbraten, den Sie je gegessen haben, und dem Ebbelwoibembel. Da schmeckt das Säftche am besten draus. Dann sach ich Ihna, wie mir hessisch babbele und wie mir hier mit de Bagaasch umgehe.«

»Ich hatte heute Mittag schon einen Apfelweinbraten«, unterbrach Klaus den Redefluss von Breitwieser.

»Eihorrschemaa … so ein gstandnes Mannsbild wie Sie verträgt schon zweimal am Tag was Deftiges.«

Auf den erstaunten Blick von Klaus antwortete er lächelnd: »Jetzt hören Sie mir bitte mal zu: Vom Fässje in de Bembel, vom Bembel ins Geribbde un vom Geribbde in de Hals. Eins, zwei, hopp, Schoppe in de Kopp! Prost, Kollege!«

Apfelweinbraten

Für 4 Portionen

Zutaten:

2 kg Schweineschulter (mit Schwarte)

Salz, frisch gemahlener Pfeffer, Kümmel

3 Möhren

2 Zwiebeln

1 Knolle Sellerie

1 Stange Lauch

etwas Öl zum Braten

1 l Gemüsebrühe

1 l Apfelwein

Zubereitung:

Backofen auf 180 Grad vorheizen.

Schweinschulter mit Salz, Pfeffer und etwas Kümmel würzen.

Möhren und Zwiebeln grob würfeln, Sellerie und Lauch putzen, waschen, Lauch in Ringe schneiden.

Öl in einem Bräter erhitzen und die Schweineschulter darin von allen Seiten scharf anbraten.

Gemüse hinzugeben und kurz mitbraten. Mit ca. 300 ml Gemüsebrühe ablöschen.

Schweineschulter zugedeckt im vorgeheizten Backofen ca. 1 Stunde und 20 Minuten schmoren. Deckel abnehmen und weitere 30 bis 40 Minuten knusprig braun braten.

Zwischendurch mit Bratensaft begießen. Braten herausnehmen und warm stellen.

Sauce durch ein Sieb streichen und etwas einkochen lassen.

Mit Apfelwein ablöschen und bei geringer Hitze ca. 10 Minuten köcheln lassen.

Sauce zum Braten servieren.

Dinner in the Dark

(Bensheim-Auerbach)

BRIGITTE LAMBERTS

»Du Schmierfink«, hört Jörg einen Mann schreien, als er die geräumige Terrasse von Schloss Auerbach betritt. »Dich mache ich fertig. Das wirst du teuer bezahlen.« Knallend landet der Bergsträßer Anzeiger auf einem der Bistrotische und schon stürmt der Aufgebrachte an Jörg vorbei. Fast hätte er die Bedienung umgerannt, die gerade den Milchkaffee nach draußen bringt.

»Wer war das?«, fragt Jörg irritiert und nimmt seine Tasse in Empfang.

»Ein Mitglied des Stadtrates, Daniel Faber, sehr unangenehmer Mensch«, sagt die Kellnerin und geht zurück in den Frühstücksraum.

Jörg schüttelt den Kopf. »Leute gibts.«

Nach dem ersten Schluck greift er die Zeitung und liest den aufgeschlagenen Artikel. Dann blickt er auf das Städtchen Bensheim hinab, das sich vom östlichen Rand der Oberrheinischen Tiefebene bis zu den Hängen des westlichen Odenwaldes erstreckt.

In diesem Moment erscheint Klaus auf der Terrasse, angelt sich den Stuhl neben seinem Freund, atmet ein paarmal tief durch und legt Jörg die Hand auf die Schulter. »Die Luft ist sagenhaft.«

»Wir sind ja auch in einem Luftkurort«, entgegnet Jörg schmunzelnd.

»Wo sind eigentlich die Kurhäuser?«, fragt Wolfgang, der den Freunden nach draußen gefolgt ist.

»Bensheim-Auerbach ist ein reiner Luftkurort, da zählt nur die Luftqualität, es ist kein Kurort im herkömmlichen Sinne«, erklärt Jörg.

»Aha.« Wolfgang grinst. »Unser Freund der Bestatter hätte hier wohl schlechte Karten.« Jörg runzelt die Stirn, er mag es nicht, wenn sie sich über seinen Beruf lustig machen.

»Gestorben wird überall«, antwortet er gespielt verstimmt, »aber du als Hauptkommissar würdest dich in dieser Idylle zu Tode langweilen.« Er lacht, dann zeigt er auf Klaus. »Und du müsstest jeden Tag bis Kassel in die Rechtsmedizin fahren, um an deinen Leichen herumzuschneiden.«

»Ein ruhiges, beschauliches Nest«, bemerkt Wolfgang.

»Na, ganz so friedvoll ist es nicht«, erwidert Jörg und zeigt auf die Tageszeitung. »Sieht ganz danach aus, als wenn im Städtchen einiges los ist. In dem Bericht wird angedeutet, dass in den nächsten Tagen ein Skandal im Stadtrat aufgedeckt wird.« Die Freunde schauen ihn fragend an.

»Ein Journalist will herausgefunden haben, dass Fördergelder für die Sanierung von Wohnhäusern für Asylanten unterschlagen wurden. Bensheim hat eine stattliche Anzahl an Flüchtlingen aufgenommen.«

»Die Gier der Menschen nimmt einfach kein Ende«, seufzt Klaus. Dann blickt er die beiden an. »Schade übrigens, dass unser gemeinsames Wochenende morgen schon vorbei ist.«

»Finde ich auch. Aber wir haben einiges gesehen, die Bergkirche, die Bachgasse mit ihren wunderschönen Fachwerkhäusern und das Fürstenlager, den Park mit den vielen exotischen Bäumen. Der hat mich echt beeindruckt.« Wolfgang nickt Jörg zu, der erleichtert lächelt. Wieder ist er für die Planung des verlängerten Wochenendes zuständig gewesen, das sie gemeinsam zweimal im Jahr unternehmen. Mal mit, mal ohne ihre Frauen. Doch jetzt sind die ehemaligen Schulfreunde unter sich.

»Im Schloss zu wohnen ist schon ein Erlebnis, zumal sie eine super Küche haben«, bemerkt Klaus und schlägt vor: »Lasst uns doch zum Abschluss nochmals im Schlossrestaurant essen.«

»Nix da, für den letzten Abend steht etwas ganz Besonderes auf dem Programm.«

»Was denn?«, fragt Wolfgang neugierig.

»Das verrate ich nicht, es soll ja eine Überraschung werden.« Jörg verschränkt die Arme vor der Brust.

»Jetzt aber Butter bei die Fische«, fordert Klaus. »Ein wenig kannst du ruhig ausplaudern, nur eine Kleinigkeit«, bohrt er nach.

Jörg windet sich, den erwartungsvollen Gesichtern seiner Freunde hält er nicht stand. »Okay, heute Abend gehen wir in das alte Dorfrestaurant, mitten im Herzen von Auerbach.«

»Interessant.« Klaus fasst sich an die Stirn. »Was erwartet uns da?«

»Ein Dinner in the Dark!«

Zwei Augenpaare starren Jörg an.

»Was? Wir sollen im Dunkeln dinieren? Wie kann das denn gehen?« Wolfgang ist irritiert.

»Nein, nein, das verspricht eine wahre Explosion der Sinneseindrücke zu werden«, erklärt Jörg gestenreich.

»So ein Quatsch«, wirft Klaus ein, »die Augen essen mit. Und ich muss doch sehen, wo mein Glas steht.«

»Nun echauffiert euch nicht so. Ich stelle mir das sehr spannend vor«, verteidigt Jörg seinen Plan.

»Was gibt es denn zu essen?«, lenkt Klaus ein.

»Ein Drei-Gänge-Menü«, ist die knappe Antwort.

»Was genau?«, drängelt Wolfgang.

»Das ist mein Geheimnis. Wenn ihr das vorher wisst, ist der Gag weg und das kulinarische Erlebnis ruiniert.«

»Du weißt aber, was es gibt, oder?« Klaus boxt sachte gegen Jörgs Schulter.

Der grinst: »Eine hessische Spezialität!«

Der Abend bricht an. Jörg öffnet die Tür zum alten Dorfrestaurant und lässt die Freunde eintreten. Sogleich werden sie von der Inhaberin begrüßt und schauen sich in dem modern gestalteten Foyer um. Sobald die letzten Teilnehmer eingetroffen sind, richtet sie das Wort an alle.

»Ich heiße Sie herzlich willkommen.« Sie winkt ihre Serviererinnen herbei, die den Gästen Champagner reichen. »Sie werden gleich von unseren Kellnern in einen dunklen Raum geführt. Alle unsere männlichen Servicekräfte sind blind. Sie finden sich im Dunklen, im Gegensatz zu Sehenden, bestens zurecht. Verlassen Sie sich ganz auf sie. Sie werden sicher zu Ihrem Platz geleitet. Mit den Händen ertasten Sie den Löffel, wir beginnen mit einer Suppe, also das Besteck von außen nach innen nehmen, so wie sonst auch.« Sie lächelt. »Das Essen in absoluter Dunkelheit ist für unsere Gäste eine außergewöhnliche Situation. Daher fangen wir immer mit einem kleinen Champagnerempfang zum Kennenlernen an. Das hilft Ihnen, dieses Abenteuer entspannt anzugehen. Keine Sorge, wenn Schwierigkeiten auftreten, sind wir zur Stelle. Sie werden sich schnell an die Dunkelheit gewöhnen und erstaunt sein, wie Ihr Geschmackserlebnis durch das fehlende Licht intensiviert wird.«

Die drei betrachten interessiert die anderen Gäste. Nach kurzer Zeit befinden sie sich in angeregter Unterhaltung. Klaus und Jörg sind mit dem Journalisten ins Gespräch gekommen, dessen Artikel Jörg am Morgen in der Tageszeitung gelesen hat. Klaus fragt, ob er mit seiner Berichterstattung nicht vielleicht vorschnell aus der Deckung gegangen sei. Doch dieser winkt ab. »Es gibt Situationen, da muss man ein kleines Feuer entfachen und schauen, was sich daraus ergibt.« Er will noch etwas sagen, doch da ergreift die Restaurantchefin erneut das Wort und bittet die kulinarischen Abenteurer in den dunklen Raum. Kellner kommen auf die Gäste zu und fordern sie auf, die Hand auf ihren Unterarm zu legen. Dann geleiten sie diese sicher zu ihren Plätzen an einem großen Esstisch.

»Puh, ich sehe gar nichts«, flüstert Wolfgang und tastet nach der Schulter von Klaus, der rechts neben ihm sitzt. Jörg, links neben Wolfgang, sucht mit der Hand auf dem Tisch nach dem Besteck. So viel wissen sie, rechts von ihnen stehen ein Wasser- und ein Weinglas. Doch niemand hat sich bisher getraut, danach zu fassen. Sie bemerken die Kellner, die mit der Vorspeise den Raum betreten, und sind erstaunt: Obwohl die Teller noch nicht vor ihnen stehen, haben sie den Duft von Linsen in der Nase. »Linsensuppe!«, ist sich Klaus sicher. Kurze Zeit später, nachdem alle ihre Löffel gefunden haben, gibt es den einen oder anderen Kommentar.

»Köstlich, die beste Linsensuppe meines Lebens« oder; »Was für ein Aroma, so intensiv habe ich Linsen noch nie geschmeckt.«

Die Gäste werden mutiger. Sie greifen zu den Gläsern oder nach dem gerösteten Bauernbrot, das in Schalen neben ihnen abgestellt wurde. Auch die Unterhaltung setzt wieder ein, ein schwieriges Unterfangen, wenn nicht so ganz klar ist, wer einem gegenübersitzt. Erneut hören sie die Kellner. Und schon duftet es nach Käse, Fleisch und Bratkartoffeln – der Hauptgang. Die Gourmets probieren: ein Schnitzel mit einer dünnen Eihülle. Darauf befindet sich eine cremige Mousse, die einen kräftigen Käsegeschmack hat, der durch Quark und süße Sahne abgemildert ist.

»Sagenhaft!«, ruft Klaus aus. Von gegenüber erwidert eine weibliche Stimme.

»Wenn ich mich nicht täusche, ist das ein Odenwälder Kochkässchnitzel.«

»Ein Schnitzel?«, fragt Wolfgang nach.

»Ja, eine hessische Spezialität mit Handkäs«, erklärt Jörg. Die Gäste sind entspannt, unterhalten sich über die Küche Hessens und sind bester Stimmung. Manch einer hat schon das zweite Glas Wein getrunken. Plötzlich ist ein Röcheln zu hören, kurz, aber laut. Ein Zerren an der Tischdecke, dann ein helles Scheppern, als wenn Besteck zu Boden fällt. Stille breitet sich aus. Alle lauschen gebannt in die Dunkelheit hinein. Ein weiteres Geräusch, ein dumpfer Aufschlag. »Da ist ein Stuhl umgekippt«, flüstert Jörg.

Eine Frauenstimme schreit: »Licht! Hier stimmt was nicht.«

Sekunden später gehen die Kronleuchter über dem breiten Esstisch an. Die grelle Beleuchtung lässt alle blinzeln. Klaus gehört zu den Ersten, dessen Augen sich an die Helligkeit gewöhnt haben. Er schaut umher. Der Journalist liegt auf dem Holzboden. Klaus springt auf, stolpert ein paar Schritte, bückt sich und greift dem Mann an die Halsschlagader. Er fühlt keinen Puls. Um den Hals des Opfers verläuft ein waagerechter roter Streifen. Blut quillt heraus. Wieder ein Schrei. Die Freundin des Journalisten will ihn umarmen, doch der Mediziner wehrt sie mit einer Handbewegung ab. Ein Tischnachbar, der ebenfalls aufgestanden ist, zieht die Frau von ihrem Freund weg.

»Rufen Sie die Polizei und bringen Sie die Gäste raus«, ist die klare Anweisung von Klaus an die Inhaberin, die gerade auf ihn zueilt. Sein Freund Wolfgang, der Hauptkommissar, zeigt auf den Hals des Toten.

»Was bedeutet das?«

Klaus legt einen Finger auf seine Lippen. Erst als alle bis auf die beiden Freunde den Raum verlassen haben, deutet der Rechtsmediziner auf die Zeichen der Strangulation.

»Es muss ein Metalldraht gewesen sein, so scharf, wie die Einschnitte sich in das Gewebe eingegraben haben.«

Schon eilt Wolfgang aus dem Raum und befiehlt, alle Türen zu schließen. Dann stellt er sich vor die Eingangstür des Foyers und erklärt den verdutzten und verunsicherten Gästen: »Ich bin Polizist, bitte folgen Sie meinen Anweisungen.« Hastig fragt er. »Gibt es eine Hintertür?« Jemand bejaht. »Sofort dichtmachen!« Er winkt Jörg herbei. »Bleib hier stehen, keiner darf raus.« Er rennt zur Küche, stößt die Schwingtür auf und ruft: »Gibt es einen weiteren Ausgang?« Der Koch zeigt irritiert zu einer Tür im hinteren Bereich. »Sofort absperren!« Wolfgang dreht sich um und steht unmittelbar vor der Inhaberin. »Haben Sie die Polizei benachrichtigt?« Sie nickt.

»Bitten Sie auch die Bediensteten ins Foyer, ich möchte sie gleich befragen.« Zurück im Gastraum will er von seinem Freund wissen, ob er neue Erkenntnisse hat.

Klaus schüttelt den Kopf. »Nicht mehr als vorhin. Es muss so etwas wie eine Garrotte gewesen sein, ein Metalldraht, an dessen Enden Griffe sind. Kurz um den Hals geschlungen und dann fest zugezogen.«

»Kann das auch ein Blinder?«

»In der Dunkelheit? Besser als jeder Sehende!«

»Geht das denn so einfach?«, fragt Wolfgang.

»Wenn man geschickt ist.«

Wolfgang geht ins Foyer und schaut sich die Bediensteten genau an. Bei einem Kellner sieht er etwas Glitzerndes aus der Hosentasche heraushängen. »Was ist das?«

Der Blinde fragt irritiert: »Was meinen Sie?«

»Da hängt etwas aus Ihrer Hosentasche heraus.«

Der Kellner greift danach, da schlägt Wolfgang ihm die Hand weg. »Nicht anfassen«, befiehlt er, zieht ein Stofftaschentuch aus seiner Jacketttasche und fasst damit nach dem Gegenstand. Zum Vorschein kommt eine Garrotte. »Woher haben Sie das?«

»Was meinen Sie? Was soll das sein?«

»Eine Garrotte!«

»Die gehört mir nicht.«

»Woher haben Sie die?«, fragt er nochmals in strengerem Ton.

»Die muss mir jemand zugesteckt haben!«

»Wer?«

»Ich weiß es nicht.«

Plötzlich wimmelt es von Uniformierten. Die Polizei ist eingetroffen.

Wolfgang schaut sich um. Er geht auf den Einsatzleiter zu, deutet auf den Kellner und berichtet über die Ereignisse. Es dauert eine Weile, bis alle vernommen sind, erst dann können die drei Freunde zu ihrem Hotel zurückkehren.

Am nächsten Morgen sitzen Klaus, Wolfgang und Jörg auf der Terrasse von Schloss Auerbach und frühstücken. Ein wenig übernächtigt sehen sie aus, dennoch genießen sie die ersten Sonnenstrahlen des Tages. Ein Mann kommt auf sie zu. Er grüßt und stellt sich als Hauptkommissar Backes vor. Die drei zeigen zeitgleich auf den letzten freien Stuhl an ihrem Tisch und müssen lachen. Backes nimmt Platz.

»Ich wollte mich bedanken, dass Sie gestern so schnell reagiert haben. Dem Mörder ist es weder gelungen, das Haus zu verlassen noch die Mordwaffe zu beseitigen. Das haben wir Ihnen zu verdanken.« Er lächelt und fährt fort. »Der Kellner hat noch in der Nacht gestanden, den Journalisten getötet zu haben.«

»Was war sein Motiv?«, will Wolfgang wissen. Der hessische Hauptkommissar seufzt. »Der Mann hängt abgöttisch an seinem älteren Bruder, der immer für ihn da war nach dem frühen Tod der Eltern. Dass er im Restaurant eine Anstellung bekommen hat, verdankt er auch ihm. Ohne dessen Unterstützung wäre es weitaus schwieriger für den Blinden gewesen, sein Leben zu meistern.«

»Ich verstehe den Zusammenhang nicht so ganz«, bemerkt Wolfgang.

»Entschuldigung. Woher auch. Sie sind ja fremd hier.« Backes holt tief Luft. »Wir sind ein kleiner Ort von 10.000 Einwohnern, da sind viele miteinander bekannt. Dass die Brüder sehr aneinanderhängen weiß jeder.« Der Kommissar rutscht auf seinem Stuhl nach vorne. »Also, er dachte, der Journalist würde seinen Bruder verdächtigen, Fördergelder unterschlagen zu haben. Denn dieser arbeitet bei der Gemeinde. Er ist für die Asylanten zuständig, in allen Belangen. Und er war in letzter Zeit recht spendabel, da hat der Kellner eins und eins zusammengezählt.«

»Er wollte seinen Bruder schützen?«, fragt Klaus nach.

»Ja, das hat er ausgesagt.«

»Und, ist der für die Unterschlagungen verantwortlich?«, will Jörg wissen.

»Wir haben gestern am späten Abend die Rechercheunterlagen des Journalisten eingesehen.« Der Kommissar hebt bedauernd die Hände. »Nein, er hat damit nichts zu tun, der Journalist hatte jemand anderen in Verdacht.«

»Ein Ratsmitglied namens Daniel Faber?«

Der Polizist schaut Jörg verwundert an.

»Woher wissen Sie das?«

Odenwälder Kochkässchnitzel mit Bratkartoffeln

Für 6 Portionen

Für die Bratkartoffeln:

1 kg Kartoffeln

1 Zwiebel

3 EL Pflanzenöl

Salz, Pfeffer

Für die Schweineschnitzel:

6 Schnitzel

1 Ei

4 EL Semmelbrösel

200 g Kochkäse (dazu das Rezept weiter unten)

2 EL Pflanzenöl

Salz, Pfeffer

Für den Kochkäse:

250 g Butter

1 Rolle Handkäse (200-250 g)

200 ml süße Sahne

200 g Schmelzkäse

250 g Magerquark

2 TL Natron

Odenwälder Kochkäse

Zubereitung:

In einem Topf Butter bei geringer Hitze schmelzen. Den Handkäse klein schneiden und unter die geschmolzene Butter rühren. Sahne, Schmelzkäse und Quark dazugeben und weiterhin bei geringer Hitze zu einer cremigen Masse verrühren, dann Natron dazugeben.

Odenwälder Kochkässchnitzel mit Bratkartoffeln

Zubereitung:

Kartoffeln schälen, waschen und in Scheiben schneiden. Zwiebel abziehen und in Würfel schneiden. Öl in einer großen Pfanne erhitzen und die Kartoffelscheiben darin kurz anbraten. Danach die Zwiebelwürfel dazugeben und mit Salz und Pfeffer würzen. 20 Minuten bei mittlerer Hitze und mit Deckel braten, ab und an umrühren. Die Schnitzel mit Salz und Pfeffer würzen. Das Ei in einem tiefen Teller mit der Gabel verrühren, in einem anderen Teller die Semmelbrösel verteilen. Die Schnitzel zuerst im Ei, dann in den Semmelbröseln wenden. Nun Öl in eine Pfanne geben und erhitzen. Die Schnitzel von jeder Seite ca. 6 Minuten braten. Die goldbraunen Schnitzel auf die vorgewärmten Teller verteilen, den Kochkäse darübergeben und zusammen mit den Bratkartoffeln servieren.