ISBN: 978-3-95428-789-5
1. Auflage 2019
© 2019 Wellhöfer Verlag, Mannheim
Titelgestaltung: Uwe Schnieders, Fa. Pixelhall, Malsch
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Die Erzählungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit wirklichen Personen oder tatsächlichen Ereignissen sind nicht beabsichtigt und somit rein zufällig.
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Greta wickelt den dicken Wollschal enger um den Hals, kämpft sich in Schräglage gegen den Wind vor, hängt sich über die kunstvoll gedrehten Tampen am Terrassenrand, bläst in die Hände und schaut hinunter auf die gammelige 27-Fuß-Westerly, die am nahen Steg in den braunen Wellen des Harlesieler Jachthafens schaukelt. »Käpt’n, backen und banken!«
Der Wind reißt ihr die Worte von den Lippen, macht sie unhörbar für den großen, bärtigen Typen im Overall, der im wattierten Friesennerz und mit einem gelben Südwester auf dem Vordeck kniet. Backen und banken, lächerlich. Das Essen ist fertig, heißt das. Basta! Aber natürlich hört er mal wieder nichts im Windgebraus. Sie ruft, schreit, biegt Daumen und Zeigefinger zum Kreis, drückt ihn gegen den unteren Rand der Zunge, pfeift schrill, nichts. Der Mann schaut nicht auf. Er hat einen Hammer in der Hand und hämmert und hämmert. Der Kerl soll zum Essen kommen, sonst meckert er später wieder, dass es verkocht ist.
Der Mann hebt nicht einmal den Kopf. Er kann nichts hören, denn er hat den CD-Player am Mast befestigt und voll aufgedreht. Der Wind trägt ihr Liedfetzen zu. Um Gottes willen, schon wieder Freddy Quinn. »Sankt Niklas war ein Seemann«, singt der. Und dass der heilige Nikolaus das Schiff rechtzeitig zu Weihnachten nach Hause gebracht hat. Gegen Sturm und Wellen. Greta lässt resigniert die Arme sinken. Sie starrt noch eine Weile hinunter auf Schiff und Mann. Damals, ja damals, da konnte sie nicht genug von ihm kriegen, von dem lieben Heiner. Aber heute, nach fast vierzig langen Jahren, erwischt sie sich immer öfter bei dem Gedanken: Hau doch einfach ab! Nimm dein Boot und verschwinde! Egal, was Freddy singt, Junge, komm bloß nicht wieder!
Greta humpelt ins Haus zurück, ihr linkes Knie schmerzt heute höllisch, kein Wunder bei der kalten Nässe in diesen Vorweihnachtstagen. Sie lässt den Blick durch die Küche wandern. Ach was, Küche! Küchenzeile höchstens. Bullaugen statt Fenster, viel zu wenig Arbeitsfläche, ein kleiner, frei aufgehängter Herd, um die – nicht vorhandenen – Wellen auszugleichen, unpraktische Schränke mit Feststellschrauben für die Klappen, blauweißes Seemannsgeschirr, natürlich unzerbrechlich, blauweiß gestreifte Sitzkissen auf der harten Holzbank.
»Unsere Kombüse«, wie Heiner zu sagen pflegt, wenn er sich die Hände reibend an sie heranschleicht, ihr mit einem rauen Lachen seine Pranke auf den Hintern klatscht. »Na, ganz schön zugelegt in letzter Zeit. Ordentlich was in der Hand.«
Greta deckt den Tisch. Er wackelt, die Holzplatte müsste abgezogen werden. Sie hatte auf den Winter gehofft. Aber nun hatte Heiner sich diese olle Westerley gekauft. Ganz billig, wie er sagte. Ein Schnäppchen, wie er sagte. Da hatte sie lieber den Mund gehalten. Aber warum kann er mit den Reparaturarbeiten nicht bis zum Frühjahr warten?
Im letzten Winter hat er die Titten der Galionsfigur am Treppengeländer, deren Farbe durch das viele Antatschen längst abgeblättert war, neu vergoldet. Hat die beiden Steuerräder an den Wänden mit diesem ekligen Öl eingepinselt, dass ein penetranter Fischgeruch tagelang im Haus hing und ihr Brechreiz verursachte. Da ist es schon besser, wenn er seinem Basteltrieb draußen nachgeht. Im Moment kontrolliert er noch nicht einmal, ob sie die Seglerzeitungen fächerförmig auf dem Sideboard ausgebreitet hat.
»Die perfekte Bordfrau«, sein Hochzeitsgeschenk. Mit strahlendem Lächeln hatte er das Buch in ihre Hände gelegt. Und sie, sie fühlte sich auch noch geehrt. Sie war ja so verliebt in ihren blonden, blauäugigen Heiner, der Akkordeon spielte und »Nimm mich mit, Kapitän, auf die Reise« sang, während sie sich an ihn kuschelte. Mit seinem volltönenden Bariton, ganz für sie allein. Ein Hans Albers aus Harlesiel, ihr Verehrer, ihr Freund, ihr Mann. Neidische Blicke der Kolleginnen.
Dabei war er gar kein richtiger Seemann. Er hatte nie auf einem Schiff gearbeitet, weder auf einer der großen Skandinavien-Fähren noch auf den Fähren, die von Harlesiel aus nach Spiekeroog und Wangerooge durchs Watt tuckerten. Ein bisschen Jollensegeln und feucht-fröhliche Angeltouren mit seinen Kumpels, das war alles. Sie musste dann die stinkenden Fische zubereiten, die sie mit ihren toten Augen anglotzten. Die angetrunkenen Männer wollten bekocht werden.
Nein, nach seiner Lehre als KFZ-Mechaniker war Heiner Hausmeister geworden, schlicht und ergreifend Hausmeister an der Grundschule in Carolinensiel. Handwerklich begabt war er ja. Da konnte man nicht meckern. Sie selber, die dunkle, grazile Greta aus Bottrop, hatte sich damals als Erzieherin im kirchlichen Kindergarten beworben. Schon an ihrem ersten Arbeitstag, ihr alter Fiat 500 war kurz vor der Einfahrt zum Parkplatz zusammengebrochen, hatten Heiners geschickte Hände den Motor wieder zum Leben erweckt.
»Lass mich mal machen, lütte Deern«, hatte er gesagt und seine kräftigen Hände auf ihre Schultern gelegt. Sie hatte ihn zum Dank abends zum Italiener eingeladen. Nein, danke, italienische Pasta mochte er nicht.
»Ich esse nur Seemannskost«, hatte er gesagt und sich in der verräucherten Eckkneipe nebenan sein Lieblingsessen bestellt: Labskaus.
Du meine Güte! Das blöde Labskaus! Hektisch reißt Greta den Topf vom Herd. Gott sei Dank, nur ein bisschen angesetzt. Wenn sie die Pampe vorsichtig abhebt und in einen anderen Topf umfüllt, wird er nichts merken. Wie sie diese rosa Matsche hasst! Corned Beef, meine Liebe. Fleisch in Dosen. Die Überfahrt über den Atlantik hat früher Wochen gedauert. Greta verdreht die Augen. Es gibt mittlerweile Kühlschränke, will sie schreien. Hat er wohl nicht mitbekommen, der Depp.
Aber sie blöde Gans fand ihn originell, ihren Heiner. Strebsam und tüchtig. Und erst seine goldenen Finger! Nicht nur bei den Maschinen, das musste sie zugeben. Bums, war sie schwanger geworden. Heiner war begeistert. Eine Familie gründen. Eine Seemannsfamilie mit lauter blonden, kräftigen Seemännern. Jedoch bekamen sie nur eine einzige kleine Seefrau. Ein zierliches, schwarzhaariges Mädchen, wasserscheu wie die Mutter. Ein Töchterchen, das sich vor Wellen fürchtete, kaltes Wasser verabscheute und prompt seekrank wurde, sobald sie in ein Spülbecken guckte, in dem das Abwaschwasser kreiselnd im Ausguss verschwand.
Nach Heiners Pensionierung hatten sie die hübsche Hausmeisterwohnung in Wittmund verlassen müssen und waren in ein kleines Fischerhaus direkt am Harlesieler Jachthafen gezogen, das er trotz Gretas Widerstand gekauft und in wochenlanger, nervtötender Arbeit renoviert hatte.
»Was Größeres können wir uns nicht leisten«, hatte er gesagt. »Die Preise steigen, die Touristen kommen. Das ist eine goldene Investition.«
Greta hätte lieber eine kleine Wohnung landeinwärts gekauft. Sie wollte endlich reisen, mehr von der Welt sehen.
»Wieso verreisen?«, fragte Heiner. »Wir leben doch hier wie im Paradies.«
Dabei hatte er ihr eine Flugreise versprochen. In die USA, wohin ihre Tochter geflohen war, als sie das penetrante Gehämmer des Vaters und das ewige Gejammer der Mutter nicht mehr ertragen konnte. Den kleinen Enkelsohn hatten sie noch nicht gesehen. Den amerikanischen Schwiegersohn auch nicht.
»Ihr könnt doch kommen«, hatte die Tochter am Telefon gesagt. »Ihr habt doch jetzt Zeit.«
Hatten sie nicht. Hatte Heiner nicht. Nachdem die Wohnung fertig war, hatte er sich dieses alte Schiff gekauft. Eine Westerly.
»Absolut seefest, auch bei schwerer See«, hat er gesagt. Sein alter Traum vom Segeln, nun würde er wahr werden. Auf schäumenden Wogen über die Nordsee jagen, nach Holland, England, bis in die Bretagne. Greta werde das Leben auf dem Wasser genießen, sagt er. Seekrankheit, pah, alles eine Frage der Gewöhnung. Seit dem Sommer baut Heiner an dem Boot. Er bohrt, schraubt und streicht, begleitet von dem ohrenbetäubenden Gedudel seiner Shanty-Chöre.
»Essen fertig?«
Er geht an den Kühlschrank und holt eine Flasche Klaren heraus.
»Schon vor dem Essen?«, protestiert Greta.
Heiner gießt sich reichlich ein. »Zur Feier des Tages! Morgen früh Baum setzen und Segel anschlagen. Du musst noch frische Schollen besorgen für den Weihnachtsschmaus an Bord.«
»Was muss ich? Du spinnst. Morgen ist Heiligabend. Außerdem kann ich nicht segeln. Und Schollen unter Deck braten kann ich schon gar nicht. Da stinkt hinterher alles nach Fisch.«
»Klar kannst du das, meine Seefrau. Und an Bord tust du genau das, was ich sage.«
»Ich will nicht. Ich habe Angst!«
»Unsinn! Ansegeln am Heiligen Abend, das bringt Glück. Rüber nach Wangerooge, ein kurzer Schlag übers Watt. Piet und Lena sind schon da. Wir feiern an Bord.«
Er wischt sich die Hände an der Gummihose ab, geht zum Herd, hebt den Deckel ab.
»Brav! Labskaus! Hoffentlich schmeckt es auch! Hast es hoffentlich nicht wieder ansetzen lassen!«
Greta schweigt. Beißt die Zähne aufeinander. Ich will nicht mehr, denkt sie. Ich will einfach nicht mehr. Heiner schaufelt sich die rosa Matsche auf den Teller, nimmt eine Gurke, zwei Matjeshälften.
»Spiegeleier?«
»Entschuldigung, habe ich vergessen«, sagt Greta. Sie kleckst Butter in die Pfanne, nimmt vier Eier aus dem Kühlschrank.
»Schön knuspriger Rand«, sagt er und kippt noch einen Korn. »Ich mache gleich Pause. Da kommst du auch auf deine Kosten.«
Er versucht, sie an sich zu ziehen. Sie wehrt sich.
»Reise! Reise!«, schreit Heiner früh am nächsten Morgen. Er rüttelt seine Frau an der Schulter. »Greta, aufstehen! Los, Frühstück!«
Greta wälzt sich aus dem Bett. Ihre Knochen sind wie Blei. Die Hüfte tut weh. Langsam steigt sie die Treppen hinunter zur Küche. Es ist dunkel draußen. Wolken jagen über den Himmel. Heiner stellt das blau-weiße Friesengeschirr auf den Tisch.
»Wir brechen in einer Stunde auf. In einer Stunde, habe ich gesagt! Wir brauchen Wasser unterm Kiel. Oder willst du trockenfallen?«
»Aye, aye, sir«, stößt Greta zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und stellt die Kaffeemaschine an.
»Kombüse aufklaren und vergiss den Rum nicht! Ekke Nekkepen braucht seinen Schluck.«
Sie tuckern durch die Harlesieler Schleuse, erreichen den Außenhafen. Auch die Fähre legt ab, nutzt die Tide. Müde Touristen stehen an Deck. Ziehen Strickmützen über die Ohren. Kreischende Möwen im Sturzflug.
Unter Motor manövriert Heiner die Westerly am schmalen Priggenweg entlang.
»Segel setzen«, schreit Heiner, als sie ins offene Wasser kommen. Er jagt Greta auf dem schwankenden Schiff nach vorn. Mit klammen Händen hält sie sich an der Reling fest. Unter seinen gebrüllten Kommandos zieht sie die Fock hoch.
»Wie blöd bist du eigentlich? Ziehen, nur ziehen! So, jetzt belegen!« Es ist saukalt. Greta wankt zurück ins Cockpit. Der Wind nimmt zu, das Boot schaukelt auf und ab. Greta schluckt krampfhaft, kämpft gegen das Würgen in ihrer Kehle.
»Wird gleich ruhiger«, sagt Heiner. »Rauer Wind!« Vom Cockpit aus setzt er das Roll-Groß, lässt den kräftigen Südwest das Boot Richtung Wangerooge blasen. Der Kirchturm kommt näher, verschwindet aber immer wieder hinter Nebelfetzen. Backbord liegt Spiekeroog.
»Halt mal die Pinne, ist ganz einfach. Kurs halten!« Schon hat er ihr das Holz in die Hand gedrückt. »Das Schiebeluk am Niedergang ist lose. Ich hole den Schraubenzieher.« Heiner verschwindet nach unten, ehe Greta überhaupt den Mund aufmachen kann. »Höhe halten, Kurs halten, Maul halten!« Sein Lieblingsspruch. Sie schaut angestrengt nach vorn, umkrampft die Pinne. Heiner steht geduckt unter dem Großsegel, das rechte Bein auf der Sitzbank, das linke Knie auf dem Laufdeck, zwei Schrauben zwischen den Zähnen. Mit der rechten Hand dreht er eine dritte Schraube in die Scharniere der Laufschiene.
»Pass auf den Baum auf. Keine Patenthalse heute«, lacht er.
Was hat er gesagt? Auf einmal ist Greta hellwach. Pass auf den Baum auf. Ja, wenn das Segel auf die andere Seite schlägt, wird der Baum ihn vom Boot fegen, das sieht auch sie. Der Wind ist recht moderat: drei, vier Windstärken. Das Schiff surft bei fast achterlichem Wind auf den Wellen. Heiner ist vertieft in seine Schrauberei. Gretas Magen beruhigt sich, sie entspannt sich, lockert ihre verkrampften Hände. Langsam, langsam dreht sich der Bug der Westerly nach Osten, das Schiff nimmt Fahrt auf.
»Pinne festhalten!«, brüllt Heiner. Greta greift mit beiden Händen das Ruder, reißt es mit einem heftigen Ruck an ihren Körper. Das Schiff dreht scharf nach Osten, der Wind erfasst das Großsegel von der anderen Seite und es schlägt um. Der Baum erwischt Heiner frontal an Kopf und Schultern, schleudert ihn über die Reling hinunter ins eisige Wasser. Greta beobachtet, wie ihr Mann mit dem Gesicht nach unten im Wasser treibt, offensichtlich bewusstlos. Instinktiv greift sie nach dem Bootshaken, zögert, lässt die Hand sinken. Heiners Körper driftet am Bootsrumpf vorbei. Greta wartet eine Weile, lässt die Pinne los, geht in die Kajüte, sucht ihr Handy. Das Schiff tanzt und dreht sich auf den Wellen. Kein Netz.
Ist es ihre Schuld, dass sie keinen Funkkontakt hat? Sie wird es noch einmal versuchen. Später. Eins weiß sie: Schollen muss sie heute Abend nicht braten. Sie nimmt die glitschigen Fische aus der Tüte und schleudert sie einzeln über Bord. Die Möwen kreischen auf und stürzen sich auf die Beute.
Wenn Sie jetzt noch Hunger haben auf Fisch, hier ist Heiners Lieblingsrezept. Genauso und nicht anders sollte Greta die Schollen am Heiligabend zubereiten: ohne Pipapo, keine Krabben (Büsum), kein Speck (Finkenwerder), kein Gemüse, vielleicht ein leckerer Kartoffelsalat.
Für vier Personen
Zutaten:
4 frische Schollen
1 Tasse Mehl
Salz und Pfeffer
Butter zum Braten
Zitronensaft zum Beträufeln
Zubereitung:
Vom Händler die Köpfe abschneiden und die Schollen ausnehmen lassen. Die Fische mit Zitronensaft beträufeln, abtupfen. Salz, Pfeffer und Mehl in einem Teller mischen und die Fische darin wälzen. Butter in der Pfanne erhitzen. Je nach Größe der Fische 4-6 Minuten auf jeder Seite langsam goldbraun braten. Mit Zitronenscheiben garniert servieren.
Neugierig beugt Meta sich vor, als Alwine ehrfürchtig die letzte Karte auslegt. »Na? Was siehste? Was kommt auf mich zu?«
Dass die Zukunft in den Sternen steht, weiß ja nun jedes Ostfriesenkind. Deswegen hat sich Meta die Vorweihnachtszeit ausgesucht, um sich von Alwine Carstens die Karten legen zu lassen. Denn es waren schließlich die Sterne, die vor über zweitausend Jahren die Hirten auf dem Feld zur Krippe in Jerusalem geführt haben. Meta selbst sucht allerdings keinen Erlöser. Ein neuer Partner würde ihr schon reichen.
Alwine wackelt abwägend mit dem Kopf und schnalzt mit der Zunge. »Tja …« Sie starrt auf die Karten, die wie zu einem Stern gelegt sind, in der Mitte die Herz-Dame.
Meta hält es vor Ungeduld kaum noch aus. »Nun sach schon!«
Alwine hebt den Kopf und lächelt Meta an. »Da scheint noch mal die Liebe auf dich zuzukommen. Man glaubt es ja nicht, bei einer Frau in deinem Alter, aber so sieht das wohl aus. Quasi der Prinz auf dem weißen Pferd.«
»Wirklich?« Meta strahlt bis über beide Ohren.
»Jo.«
»Warum soll man mit achtzig auch keinen netten Mann mehr kennenlernen?«, fragt Meta kokett. »Die Liebe kann einen bekanntlich in jedem Alter treffen.«
»Laufen draußen bloß nicht mehr so viele Kerle rum, die altersmäßig zu einem passen und sich noch ohne Rollator bewegen«, sagt Alwine trocken. »Außerdem bist du schon zweiundachtzig.«
»Das ist egal.« Wieder beugt Meta sich vor, als könnten die Karten auch ihr etwas verraten. »Kannst du sehen, wann dieser Ritter kommt? Ist es ein reicher Prinz oder eher ein Bettelmann?« Ein wohlhabender wäre ihr natürlich lieber, ihre Witwenrente ist nicht hoch. Sie war noch in der Blüte ihrer Jahre, gerade mal einundvierzig, als Walter bei einem Jagdunfall kurz vor den Feiertagen ums Leben kam. Er hatte den Weihnachtsbraten schießen wollen.
»Du bist ganz schön gierig«, mault Alwine. »Du solltest dankbar sein, wenn dich überhaupt noch einer anguckt, aber nein, vermögend soll er obendrein sein. Nee, nee.«
Sie schiebt die Karten zusammen, woraufhin Meta protestiert: »Da wäre bestimmt noch mehr zu sehen gewesen!«
»Nicht für gierige Frauenzimmer wie dich. Macht fünfunddreißig Euro.« Alwine streckt Meta die Hand hin.
»Fünfunddreißig? Das ist ja der reinste Wucher!«
»Fünfunddreißig. Nun mach schon. In einer Stunde kommt der nächste, und ich will mich noch ein wenig ausruhen. Es zehrt ganz schön an den Kräften, in anderer Leute Zukunft zu sehen.«
»Du bist du ja auch nicht mehr die Jüngste.« Diese Spitze kann Meta sich nicht verkneifen, ist Alwine doch zwei Jahre älter als sie. Sie zückt ihr Portemonnaie und zieht widerwillig drei Scheine heraus. »Hier. Aber Gnade dir Gott, wenn du geflunkert hast.«
Alwine zuckt gelangweilt mit den Schultern. »Ich hab nur gesagt, was in den Karten stand.«
Als Meta vor die Tür der kleinen Kate tritt, hat es wieder zu schneien begonnen. Seit drei Wochen hat der Winter Ostermoor fest im Griff. Sie hat schon längst die Einlegesohlen aus Schaffell aus dem hintersten Schrankwinkel geholt. Und die Schuhspikes, damit sie nicht lang hinschlägt auf dem Weg zum Schlachter und mit einem Oberschenkelhalsbruch im Krankenhaus landet. In ihrem Alter sind die Knochen ja nicht mehr so elastisch. Die Spikes hat sie heute leider vergessen.
Weit ist es nicht bis nach Hause, Ostermoor ist nicht groß. Sie zieht sich das große, handgestrickte Dreieckstuch enger um Hals und Schultern. Sie ist gerade an der Schlachterei vorbeigelaufen, als ein Auto in der Kurve ins Schleudern gerät und auf sie zu schlittert. Automatisch springt sie zur Seite, rutscht aus und schlägt der Länge nach hin. Aua. Vorsichtig rappelt sie sich auf, bleibt aber erst mal auf ihrem Hintern sitzen und sortiert in Gedanken die Knochen. Scheint nichts gebrochen. Glück gehabt. Bloß blaue Flecken wird sie kriegen. Garantiert. Der weiße Audi steht inzwischen schräg auf der Straße. Die Fahrertür geht auf und ein Mann steigt aus. Meta zwinkert. Ein grauhaariger Mann. Gutaussehend. Tweed-Sakko und Seidentuch. Es schneit heftiger. Der Mann kommt auf sie zu, reicht ihr die Hand und hilft ihr beim Aufstehen. Als sie wieder einigermaßen standfest ist, entschuldigt er sich wortreich. Von hier kann er nicht kommen. Sie kennt alle in Ostermoor. Auch die weggezogenen Kinder und Enkel. Dieser Mann gehört nicht dazu. Meta wirft einen Blick auf sein Nummernschild. Ein auswärtiges Kennzeichen. OL. Oldenburg. Was treibt den denn nach Ostermoor?
»Entschuldigung, mein Wagen ist ins Schleudern geraten, es ist überraschend glatt in der Kurve.«
Sie betrachtet ihn aufmerksam, fährt sich mit der Zunge zwischen Unterlippe und Zähne und überlegt, wie sie reagieren soll. Einerseits ist sie stocksauer, weil der ganze Schneematsch ihren Mantel versaut hat, andrerseits: Hat Alwine ihr nicht gerade erst prophezeit, dass ein Prinz auf weißem Pferd in ihr Leben treten würde? Das trifft auf den Fremden hundertprozentig zu!
Gut, er ist mindestens über siebzig, sitzt zwar nicht auf einem Schimmel, sondern fährt einen weißen Audi. Aber er kann ohne Rollator laufen – und das bei diesen Straßenverhältnissen. In großen Dingen sollte man nicht kleinlich sein, findet Meta.
»Onno von Landegg«, stellt er sich vor und deutet einen Diener an. Ein Mann mit Manieren. Reizende Grübchen zieren bei diesen Worten seine Wangen. Meta lächelt. Und plinkert kokett mit den Augen.
»Ich bitte nochmals um Entschuldigung. Ich wollte Sie keineswegs in Gefahr bringen.« Sein Lächeln gefällt Meta immer mehr. Genau wie sein intensiver Blick. Seine Augen schimmern graugrün. »Darf ich Sie auf einen Kaffee einladen? Dann legt sich der Schrecken vielleicht.« Er blickt sich um, doch in Ostermoor gibt es schon lange kein Café mehr. Meta nickt mit dem Kopf rückwärts Richtung Hinrichs’ Schlachterei.
»Da kriegt man Brötchen, Croissants und auch ’nen Kaffee. Sonst gibt’s hier nix.«
Onno von Landegg stimmt nicht gerade begeistert zu: »Na dann …«
So sitzen sie zwischen warmem Außerhausverkauf, Eiern von freilaufenden Hühnern, Blutwurst, hausgemachter Salami, Kohlrouladen, bayrischen Weißwürsten und dem üblichen Schlachterei-Sortiment an einem kleinen Tisch mit roter Plastikdecke, auf dem die Faltkarte mit speziellen Weihnachts-Catering-Angeboten der Fleischerei liegt. Verträumt lächelt Meta Onno an, der gerade von den Vorzügen seines Audis im Winter schwärmt, und hütet sich, ihn mit dem Hinweis zu unterbrechen, dass der Wagen ganz so klasse nicht sein könne, wenn er bei dem bisschen Glätte derartig in Rutschen kommt. Onno plaudert ohne Unterlass, holt noch einen zweiten Kaffee und als fast eine Stunde um ist, greift er bedauernd ihre Hand.
»So gerne ich noch länger mit Ihnen sitzen würde, ich muss leider los. Ich habe einen Termin. Sie können mir sicher erklären, wie ich in den Kirchweg komme? Ich möchte zu Alwine Carstens. Kennen Sie die?«
Automatisch zieht Meta ihre Hand zurück.
»Was wollen Sie denn von Alwine?«, fragt sie mit einem misstrauischen Unterton in der Stimme.
Onno lacht. »Das bleibt mein kleines Geheimnis.«
Meta schmunzelt verstohlen. Soll sie ihm verraten, dass er gar nicht mehr zu der Spökenkiekerin gehen braucht? Dass er die fünfunddreißig Euro sparen kann? Sie ist ihm doch schon über den Weg gelaufen! Meta und Onno von Landegg sind ganz klar füreinander bestimmt. Das hat Alwine vorhin in den Karten gelesen. Aber das kann Meta Onno natürlich keinesfalls gestehen.
Am Abend klingelt das Telefon, gerade als Meta »Hallo Niedersachsen« auf N3 guckt. Sie erschrickt, nach sieben ruft man nur an, wenn was passiert ist. Mit zitternden Händen nimmt sie das Gespräch an. »Harms«, meldet sie sich mit piepsiger Stimme.
»Onno von Landegg hier. Ich wollte mich noch mal erkundigen, wie es Ihnen inzwischen geht. Haben Sie den kleinen Unfall gut überstanden?«
In Metas Bauch beginnen Schmetterlinge zu flattern. Sie bemüht sich, ihre Aufregung zu verbergen, als sie streng fragt: »Woher haben Sie meine Telefonnummer?«
Sie hört ihn am anderen Ende der Strippe lachen. »Von der Fleischereiverkäuferin. Ich habe sie um Hilfe gebeten.« Er wird ernst. »Ich habe die Stunde mit Ihnen sehr genossen.«
Meta lächelt nun auch. Aber das kann er natürlich nicht sehen. »Das ist nett. Ich habe mich auch gern mit Ihnen unterhalten«, gibt sie zu. »Und außer ein paar blauen Flecken ist ja auch nichts passiert.«
»Darf ich Sie dann noch einmal auf einen Kaffee einladen? Vielleicht nicht unbedingt in der Schlachterei. Wenn Sie erlauben, würde ich Sie gern abholen und wir fahren nach Jever, da gibt es im Schloss das Eulencafé. Dort haben sie köstlichen selbstgebackenen Kuchen.«
Meta zögert. Ihre Mutter hat ihr stets eingebläut, dass sich ein anständiges Mädchen zieren und nicht gleich auf einen Mann einlassen sollte. Und über Onno von Landegg weiß sie rein gar nichts. Andererseits muss man sich mit zweiundachtzig wohl nicht mehr an diese Vorgaben halten. »Ist gut. Wann denn?«
»Was halten Sie von morgen? So gegen Mittag? Um zwölf bin ich da, wenn Sie mir Ihre Anschrift verraten. Denn die wollte die Fleischereiverkäuferin nicht herausrücken.«
Vor lauter Schmetterlingen im Bauch kann Meta gar nicht gut schlafen, und Durchfall hat sie auch gekriegt. Als sie am nächsten Morgen aus dem Fenster schaut, treibt der Wind dicke Schneeflocken durch die kleine Gasse. Hoffentlich kann Onno trotzdem kommen. Sie lächelt, als sie erkennt, dass sie schon an ihn denkt, als würden sie sich ewig kennen. Ob sie Alwine anrufen und ihr berichten soll, wie schnell der Prinz bei ihr aufgetaucht ist? Nein. Lieber noch etwas warten. Bis es eine feste Beziehung ist. Sie könnte allerdings eben rüber zu Schlachter Hinrichs gehen und drei dicke Scheiben Blutballen kaufen. Falls Onno zum Abendessen bleibt. Kartoffeln für Kartoffelstampf hat sie genug in der Vorratskammer und Äpfel auch. Sie könnte Apfelmus kochen, das schmeckt prima dazu.
Beschwingt schlüpft sie in ihren Mantel und schnallt sich die Spikes unter ihre Schuhe. Damit sie ausgerechnet heute nicht noch einmal ausrutscht. Den Hut auf dem Kopf und das Dreieckstuch um den Hals, tritt sie vor die Tür und läuft direkt in Tjardos Arme, der die Post in ihren Briefkasten steckt.
»Moin Meta. Was willst du denn bei diesem Wetter auf der Straße? Wart doch lieber, bis es aufgehört hat zu schneien.«
»Ich will nur eben zum Schlachter. Ich erwarte Besuch zum Abendessen.« Sie merkt, dass sie rot wird und die Schmetterlinge kitzeln von innen.
Tjardo lacht. »Na, ist ja ganz schön was los im Ort. Wenn ich deinen Gesichtsausdruck richtig deute, steckt bestimmt ein Mann dahinter?«
Verlegen wie ein kleines Mädchen schaut Meta zu Boden.
»Och, ist euch Mädels ja gegönnt«, sagt Tjardo aufgeräumt. »Aber bei dir kommt das nur ein bisschen überraschend; Alwine bringe ich ja nun schon länger diese handgeschriebenen Briefe.« Er beugt sich vertraulich zu ihr herunter. »Das sind alles Antworten auf Alwines Kontaktanzeige. Viele riechen nach Rasierwasser.«
»Kontaktanzeige? Alwine?« Meta blickt Tjardo überrascht an. »Wie kommst du da denn drauf?«
»Ich hab ihr beim Formulieren geholfen«, gibt Tjardo stolz zu. Er ist nicht nur der Postbote, sondern auch Alwines Neffe. »War ja klar, dass irgendwann mal einer dabei sein musste, der ihr gefällt. Gestern hat sie wohl so einen getroffen. Der is’ sogar gleich über Nacht bei ihr geblieben. Beim ersten Treffen! Das hätte ich von meiner Tante nie gedacht.« Nun guckt Tjardo pikiert.
»Über Nacht?« Meta schüttelt den Kopf. Nein, das kommt für sie nicht infrage. Onno muss nach dem Abendessen wieder fahren. »Ja. Ich hab auch Bauklötze gestaunt, als ich den Wagen heute früh noch immer vor ihrer Tür hab’ stehen sehen. Ist einer aus Oldenburg. Weißer Audi. Aber schon ein älteres Baujahr.«
Meta schluckt. Das kann nur Onnos Auto sein. Sie merkt, dass ihr die Kinnlade runterfällt, und weiß plötzlich nicht, was sie sagen soll.
»Meta?« Tjardo blickt sie besorgt an. »Ist alles in Ordnung? Willst du nicht doch lieber reingehen?«
»Nee. Lass man. Woher willst du denn wissen, dass der bei Alwine übernachtet hat?«
»Als ich gestern nach ’m Skat nach Hause lief, stand der Wagen vor ihrer Kate. Und als ich heute Morgen zur Arbeit fuhr, stand der Daimler immer noch da. Das sagt doch alles, oder?«
»Stimmt.« Meta hat plötzlich einen unschönen Geschmack auf der Zunge. Sie hebt den Kopf. »Du hast recht. Ich geh lieber wieder rein. Kann ja nachher immer noch einkaufen.«
»Schönen Tach noch!«
»Fahr vorsichtig«, ruft sie ihm nach, als sie sieht, wie er in die Pedale tritt.
In Hut und Mantel lässt sie sich auf einen Stuhl in der Küche fallen. Onno und Alwine? Nee. Das mag sie nicht glauben. Der Altersunterschied zu Alwine ist ja noch größer als zu ihr. Und sieht Alwine mit ihren runzeligen Falten nicht deutlich älter aus? Da helfen auch die gefärbten Haare nichts. Außerdem hat Onno sie gestern Abend angerufen. Da kann er doch nicht mehr bei Alwine gewesen sein. Schwerfällig erhebt sich Meta und läuft in den Flur, wo das schnurlose Telefon auf der Ladestation liegt. Sie drückt die Taste der angenommenen Anrufe. Das war eine Handynummer. Onno hat gar nicht von zu Hause angerufen. Alwine, dieses Miststück, hat ihn festgehalten! Es roch ja so lecker nach Grünkohl. Bestimmt hat sie den extra für ihn gekocht. Was für eine Schlange Alwine ist. Obwohl … sie hat ja nicht ahnen können, dass Onno und Meta sich gleich begegnen … Meta schält sich aus dem Mantel, streift Hut und Spikes ab und holt Eier und Dinkelmehl aus der Kammer. Am besten, sie backt ein paar Kekse. Dabei kann sie sich prima abreagieren. Adalbert und seine Frau Hilke freuen sich bestimmt, wenn sie ihnen am Heiligabend eine Tüte voll mitbringt.
Sie bestreicht die ofenfrischen Mürbeteigkekse gerade mit einem Guss aus Orangensaft und Puderzucker, als es an der Tür klopft.
»Is’ offen!« Sie schließt tagsüber nicht ab. Keiner tut das in Ostermoor. Gleich darauf betritt Adalbert die Küche ihres kleinen Häuschens.
»Moin, Meta.«
»Wenn man vom Teufel spricht. Hab grad an dich gedacht«, sagt Meta leutselig, während Adalbert sich den Schnee von der Jacke wischt. »Magste ’nen Tee?«, fragt sie erfreut, weil sein Besuch sie von den Gedanken um Alwine und Onno ablenkt.
»Nee, lass man«, lehnt Adalbert freundlich ab. Es sieht ein wenig gediegen aus, wie der große Kerl in der kleinen Türöffnung steht, den Kopf eingezogen.
»Nun sett di man daal«, fordert Meta ihn zum Sitzen auf. »Ick bin hier ook gliek fertig.«
»Ich wollt’ eigentlich nur …« setzt Adalbert an, aber Meta lässt ihm keine Chance. Sie spült sich die Hände ab, füllt den Wasserkessel und setzt ihn auf den Gasherd. Während das Wasser auf der Flamme heiß wird, wischt sie sich die Hände an ihrer Kittelschürze trocken, legt ein paar frisch gebackene Kekse auf einen Teller und schiebt ihn Adalbert hin. Dann setzt sie sich auf die alte Eckbank aus Eiche, die schon zu Lebzeiten ihrer Urgroßmutter hier stand. »So, min Jung, nu vertell. Wat gibt’s?«
Adalbert schnappt sich einen Marmeladenkeks. »Der is aber lecker!«, schwärmt er mit vollem Mund. Automatisch greift er zu einem zweiten. »Ich wollt dich zu unserer Adventsfeier einladen. Mit Spekulatius, Stollen, Tee und Glühwein«, sagt er, nachdem der Mund fast leer ist. »Im Gemeindehaus. Bei uns ist es ja zu eng.« Er nimmt sich einen dritten Keks. »Hilke und ich haben gedacht, uns beiden geht es durch die Erbschaft so gut, da möchten wir ein kleines Vorweihnachtsfest mit allen aus dem Dorf feiern.«
Zwei Worte in seinem Satz lassen Metas Lächeln zu Eis gefrieren. »Mit allen aus dem Dorf?« Sie zieht Adalbert den Keksteller weg. »Mit allen?«
»Jo.«
»Nee. Dann komm ich nicht.« Das fehlt noch, dass sie Alwine und Onno verliebt zusammensitzen sieht.
Adalbert guckt verdattert und will sich einen weiteren Keks nehmen, aber Meta steht auf und bringt den Teller in sichere Entfernung. Adalbert sieht dem Teller mit bedauerndem Hundeblick hinterher. »Was habe ich jetzt falsch gemacht?«, fragt er.
»Mit allen«, sagt Meta. »Mit allen ist falsch.« Sie nimmt die Kekse vom Teller und legt sie in die Blechdose mit den Weihnachtsmotiven. Adalbert schüttelt den Kopf.
»Ich versteh kein Wort«, gesteht er.
»Es geht um Alwine«, erklärt Meta. »Wenn die kommt, komme ich nicht.« Sie zieht die Nase hoch. Mit zweiundachtzig darf man das.
Adalbert lächelt beschwichtigend. »Och, Meta. Was ist denn los? Habt ihr euch mal wieder gestritten? Kannst mir ruhig erzählen.« Er schweigt, aber schweigen kann sie auch. Besonders, wenn es um dieses Thema geht. Noch einmal zieht Meta geräuschvoll die Nase hoch. Adalbert grinst. »Ach nee. Sach bloß, du hast dir von ihr die Karten legen lassen und sie hat dir Blödsinn erzählt. Mensch, Meta. Nun stell dich mal nich so an.« Er lacht. »Das ist doch reine Spökenkiekerei.«
»Ich stell mich nicht an.« Meta spürt, wie vor Wut die Galle in ihrem Bauch zu brodeln beginnt. »Alwine ist eine Schlange. Es gibt keinen Raum auf dieser Erde, in dem Alwine und ich jemals wieder einträchtig nebeneinander sitzen werden! Darauf kannst du Gift nehmen.«
»Och, Mensch …« Betrübt beugt er sich zu ihr runter und drückt ihr einen Abschiedskuss auf die Wange. »Überleg’s dir noch mal«, bittet er, doch sie guckt stur geradeaus. Mit einem Seufzen duckt sich Adalbert durch die Tür. »Hilke und ich würden uns wirklich freuen, wenn du kommst«, ruft er noch. »Samstag, vor dem Abendgottesdienst. Es gibt was zu essen, Schlachter Hinrichs kümmert sich um die Häppchen, und Hilke macht Krüllkuchen. Schlagsahne und Bohnensupp gibt’s auch. Ich dachte, du könntest vielleicht deinen berühmten Butterkuchen ...«
»Raus«, sagt Meta leise, aber bestimmt.
Als er fort ist, lässt sie sich wieder auf die Eckbank fallen und drückt mit dem Daumen das Gebiss fest gegen den oberen Gaumen – das löst sich manchmal, wenn sie sich aufregt. Dann spitzt sie den Mund. Ja. Sie wird sich Alwine vorknöpfen. So geht das ja nun nicht. Ihr erst den Prinzen ankündigen und den dann selbst haben wollen. Nicht mit ihr. Meta lässt sich nichts wegnehmen. Notfalls greift sie auch zu drastischen Mitteln, aber sie hofft, dass Alwine sich einsichtig zeigt. Energisch steht sie auf, schnallt sich die Spikes um, schlüpft in Mantel, Dreieckstuch und Hut und nimmt den Einkaufsbüdel mit. Vielleicht holt sie auf dem Rückweg doch noch drei Scheiben Blutballen.
Es hat aufgehört zu schneien und ganz ohne Rutschen gelangt sie in den Kirchweg. Nichts deutet darauf hin, dass Onnos Auto hier die ganze Nacht gestanden hat. Der Schnee hat eine weiße, unschuldige Decke über alles gebreitet. Alwine trägt ihre blau-weiß karierte Kittelschürze, als sie die Tür öffnet.
»Meta. Komm rein. Gut, dass du da bist. Kannst mir gleich mal helfen. Aber zieh erst die Dinger da von den Füßen, du verkratzt mir sonst den Fußboden.« Alwine dreht sich um und geht voraus. Meta zieht die Spikes von den Schuhen und folgt Alwine, die sich in der Vorratskammer zu schaffen macht.
»Es geht um Onno«, platzt Meta heraus, ohne sich mit langen Vorreden aufzuhalten.
»Um Onno.« Alwine hat einen Karton mit Weihnachtskugeln aus dem Regal genommen und trägt ihn ins Wohnzimmer. Meta folgt ihr. Die gute Stube ist bereits festlich geschmückt und aus der Musikanlage dudelt Weihnachtsmusik.
»Du bist ja schon richtig in Feiertagsstimmung«, stellt Meta pikiert fest. »Liegt das an Onno?« Ihre Stimme wird schrill.
»Ich weiß gar nicht, was du immer mit Onno hast und was du von mir willst … Und selbst, wenn … Dann ist das ja wohl meine Sache.«
»Ich hab Onno zuerst kennengelernt«, begehrt Meta auf und folgt Alwine zurück in die Kammer, wo die Ältere jetzt die Trittleiter ausklappt und vor das Regal stellt. »Gestern. Auf der Straße. Er ist fast in mich hineingeschlittert mit seinem Auto. Da kanntet ihr euch noch gar nicht!«, sagt sie triumphierend. »Er hat mich nämlich nach dem Weg zu dir gefragt. Also gehört der mir! Du kriegst ihn nur über meine Leiche.«
»Du spinnst«, sagt Alwine ungerührt und erklimmt die erste Sprosse. Meta hält sie an der Kittelschürze fest.
»Du willst doch wohl nicht da raufklettern?«
»Nützt ja nix«, gibt Alwine zurück. »Da oben ist der Fuß für den Tannenbaum. Tjardo hat ihn letztes Jahr dorthin verfrachtet. Dabei hätte er den auch einfach unter das Regal schieben können. Männer. Denken eben nicht nach. Und wo Onno jetzt grad los ist, einen Baum zu kaufen, will ich schon mal den Ständer holen.«
Meta verschlägt es vor Schreck fast die Sprache. »Onno macht was?«
»Der kauft einen Tannenbaum. Fürs Weihnachtsfest.« Alwine schüttelt den Kopf, als ob Meta begriffsstutzig ist. »Is’ ja bald soweit, ne?«
»Is’ jetzt nicht dein Ernst.«
»Doch.« Alwine setzt schon den Fuß auf die nächste Sprosse.
»Komm da runter.« Meta zieht Alwine am Arm. »Lass mich das machen. Du bist viel zu alt, um auf eine Leiter zu klettern.«
»Zieh nicht so, sonst fall ich erst recht.«
Kurz darauf steht Alwine wieder neben Meta. »Is’ ja niedlich, wie eifersüchtig du bist«, sagt sie belustigt.
»Das hat nix mit Eifersucht zu tun. Sondern mit Gerechtigkeit. Ich hab ihn zuerst kennengelernt.« Meta blickt sie herausfordernd an. »Wo ist der dämliche Tannenbaumfuß?« Sie steigt auf die erste Sprosse.
»Ach nee, aber du kannst Leitern hochkraxeln? Dann zieh wenigstens den Mantel aus.«
»Ich bin gelenkiger.« Schon hat Meta die zweite Sprosse erklommen.
»Der Fuß ist im obersten Regal. Weiter links.«
Meta steigt weiter hinauf, wirft von oben einen bitteren Blick nach unten, aber ihr wird schwindelig. Besser, sie schaut nach vorn. Suchend sieht sie sich um. Da hinten ist er. Sie reckt sich, bis sie den Tannenbaumfuß zu fassen bekommt. Der ist ganz schön schwer. Sie muss ihn mit beiden Händen greifen. Sie zieht ihn nach vorn, lässt ihn jedoch wieder los, hält sich am Regalbrett fest und blickt noch einmal prüfend zu Alwine hinunter. »Tjardo hat gesagt, dass Onno bei dir übernachtet hat. Stimmt das?«
»Jo. Wir hatten ’ne Flasche Sekt getrunken. Da konnte ich ihn nicht zurück nach Oldenburg fahren lassen, wo doch auch die Straßen wieder glatt waren.«
»Ihr habt ’ne Flasche Sekt getrunken? Eine ganze Flasche? Nur ihr zwei?«
»Wir hatten was zu feiern.«
»Und dann hat er bei dir übernachtet?« Meta mag es immer noch nicht glauben. Ihr Onno hat sich einfach so von Alwine um den Finger wickeln lassen?
»In der Gästekammer.«
Metas Augen schießen Pfeile hinunter zu Alwine. »Ach nee. Und das soll ich dir glauben, wo er nun für dich den Tannenbaum holt?«
»Das kannste halten wie ein Dachdecker. Aber warum sollte ich dir was vorlügen?«
Meta greift nach dem Tannenbaumfuß.
»Was macht ihr denn hier?« Leichte Aufregung liegt in der männlichen Stimme, die plötzlich ertönt. »Meta! Runter von der Leiter. Das ist viel zu gefährlich. Gerade in Ihrem Alter!« Onno. Wie herbeigezaubert steht er neben der Spökenkiekerin und guckt besorgt zu ihr hoch. Er ist ebenso scheinheilig wie Alwine. Meta zieht den gusseiserenen Fuß vom Regal. Merkt, dass ihr rechter Arm nach dem gestrigen Sturz noch nicht wieder so kräftig ist wie vorher. Der Tannenbaumständer ist schwer. Sie kann ihn nicht halten.
Unter ihr stehen Onno und Alwine. Sie muss sich entscheiden. Rechts, links, oder daneben.
Es gibt ein unschönes Geräusch, als der gusseiserne Tannenbaumfuß auf Onnos Kopf landet. Er sackt zusammen, das Blut läuft über seinen Schädel. Einen Moment verharrt Meta mit zitternden Knien auf der Leiter.
»Och, Mensch«, sagt Alwine verärgert. »Musste das denn nun sein? Da hab ich mir solche Mühe gegeben, jemanden für dich zu finden. Und dann machst du das gleich wieder kaputt.«
»Für mich?«, flüstert Meta, »für mich? Tjardo hat gesagt, Onno hätte sich auf deine Kontaktanzeige hin gemeldet.«
»Nee, Onno nicht. Der kam zum Kartenlegen.«
»Aber du hast doch gerade gesagt, ihr zwei habt zusammen bei einer Flasche Sekt gefeiert und er hat in deiner Gästekammer übernachtet.«
»Ach, Meta, das war nur, weil er hier ankam und sagte, ich brauchte ihm die Karten nicht mehr zu legen. Er sei im Dorf fast in eine Frau hineingeschlittert und in die hätte er sich augenblicklich verliebt.«
Metas Augen werden ganz groß und ihre Knie noch weicher. »Du flunkerst mich nicht an?«
»Natürlich nicht. Heute Vormittag wollte er als Dankeschön für mich den Baum kaufen und dich gegen Mittag zum Kaffeetrinken abholen. Mensch, Meta, der war so was von verliebt in dich.« Alwine wackelt traurig mit dem Kopf und seufzt. »Ganz ehrlich, ich weiß nich, ob ich das noch ein zweites Mal so prima hinkriege.«
Zutaten:
Mürbeteig 1-2-3-Teig: 100 g Zucker, 200 g Butter, 300 g Mehl
außerdem 1 Ei, 1 Prise Salz
Füllung:
1 Bio-Orange
150 g gemahlene Mandeln
100 g Zucker
Glasur:
100 g Puderzucker
2 EL Orangensaft
1 EL Zitronensaft
Zubereitung:
Teig:
Den 1-2-3 Teig mindestens eine Stunde im Kühlschrank ruhen lassen.
Füllung: Die Orange waschen und trocken tupfen. Die Schale fein abreiben, Orange auspressen. Gemahlene Mandeln, Zucker, Orangenschale mit so viel Orangensaft verrühren, bis ein streichfähiger Brei entsteht. Zwei Esslöffel Orangensaft sollten auf jeden Fall für die Glasur übrigbleiben.
Glasur:
Einfach Puderzucker, Orangen- und Zitronensaft verrühren. Fertig! Die warmen Plätzchen damit bestreichen und trocknen lassen.
Und so geht es:
Den Teig etwa drei Millimeter dick ausrollen. Ein Likörglas eignet sich prima dafür. Dann mit dem Backpinsel einen halben Teelöffel von der Füllung auf die eine Plätzchenhälfte streichen und die andere Hälfte darüberklappen. Anschließend die Teigränder mit den Zinken einer Gabel fest zusammendrücken. So entstehen die typischen feinen Rillen am Rand.
Auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech legen und im Ofen auf der mittleren Einschubleiste 15 bis 20 Minuten goldbraun backen, dann auf einem Holzbrett abkühlen lassen.