HAYMON verlag
Günther Platter: Beliebte Gesprächsreihe findet Fortsetzung
Hermann Petz: Erlebnisse der besonderen Art
Robert Unterweger: Vielfältige Erinnerungen
Fred Steinacher: Abende, die man nicht vergisst
Marco Witting über Hansi Hinterseer:
Hansi im Glück – die vielen Karrieren des Herrn Hinterseer
Verena Langegger über Richard Piock:
Richard Piock: „Man muss Blödheiten machen, um aufzufallen.“
Sabine Hochschwarzer-Dampf über Evelyn Haim-Swarovski:
Leise und doch was zu sagen
Thomas O. Parth über German Erd:
German Erd, 44. Abt von Stift Stams – ein Glaubenszeuge und Humanist
Peter Nindler über Herlinde Molling:
„Ich werde aktiv“
Bildnachweis
Als ich zum Auftakt der 7. Auflage der „Zeitzeugen-Gespräche“ im Haus der Musik den Erzählungen von Hansi Hinterseer folgen durfte, wurde rasch klar: Diese Gesprächsreihe gewährt ungewöhnliche Einblicke in das Leben und Wirken der Interviewpartner von Bernhard Aichner, der es auf unterhaltsame Art und Weise versteht, seinem Gegenüber überaus interessante und nicht selten überraschende Geschichten zu entlocken.
Als die Entscheidung anstand, ob dieses so erfolgreiche und beliebte Format im kommenden Jahr fortgesetzt werden soll, waren sich Land Tirol, Tiroler Tageszeitung und ORF Tirol rasch einig: Diese Gesprächsreihe muss einfach weitergehen – und alle drei Kooperationspartner sind weiterhin als Unterstützer dabei.
Unser Land verfügt über eine Vielzahl an Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen, deren Lebensgeschichte es lohnt, erzählt und mit anderen geteilt zu werden. Es sind dies Menschen aus Kultur und Bildung, aus Wirtschaft und Unterhaltung, aus Kirche und Politik, aus Sport und Ehrenamt. Diese vor den Vorhang zu holen, wird auch weiterhin Intention der „Zeitzeugen-Gespräche“ bleiben.
Ich finde es immer sehr bereichernd, wenn Menschen aus ihrem Leben erzählen, wenn sich ihre Erinnerungen in die Geschichten anderer einfügen, manchmal auch in die Geschichte unseres Landes. Da werden Anekdoten zu echten Dokumenten der Zeitgeschichte, da kann ein persönliches Erlebnis historische Ereignisse verständlich machen.
Daher erlaube ich mir an dieser Stelle eine Empfehlung auszusprechen: Wer immer die Möglichkeit hat, bei den „Zeitzeugen-Gesprächen“ persönlich dabei zu sein, sollte diese Chance unbedingt nutzen. Und wer es nicht zu einer Veranstaltung im Jahr 2020 schafft, kann zumindest in einem der Bücher schmökern, die diese Gespräche alljährlich eindrucksvoll dokumentieren. Ich freue mich schon wieder auf beides!
Günther Platter
Landeshauptmann von Tirol
Da liegt es nun vor Ihnen, das siebte Buch der Zeitzeugenserie. Denn Erfolge verpflichten! Und daher war es nur eine Frage der Zeit, bis feststand, die Erfolgsgeschichte der „Zeitzeugen im Gespräch“ fortzusetzen. Natürlich wieder mit dem Ziel, berühmte Persönlichkeiten Tirols aus nächster Nähe kennen zu lernen, vor allem aber deren Geschichten zu hören. Erlebnisse der ganz besonderen Art sozusagen.
Zeitzeugen – das ist ja kein Geheimnis – beleben und vor allem erneuern den Blick zurück, vermitteln dabei Informationen, die in dieser Form bisher nirgends oder nur auszugsweise dokumentiert worden sind. Wir haben einmal mehr anregende, interessante, spannende Gespräche im großartigen Ambiente des Hauses der Musik erleben dürfen, nicht zuletzt dank Bestseller-Autor Bernhard Aichner, der als Moderator meisterhaft, weil abwechslungsreich durch die Abende führte.
Und natürlich wurden – wie schon in den Jahren davor – diese Geschichten unserer Zeitzeugen in einem Buch veröffentlicht; nicht zuletzt auch deshalb, um diese Erinnerungen bedeutender Menschen an die Vergangenheit für unsere und folgende Generationen festzuhalten. Als Nachschlagewerk, das sowohl der Bereicherung der Geschichtsschreibung im Allgemeinen sowie der Stärkung unseres Geschichtsbewusstseins im Speziellen dient. Was den Redakteuren der Tiroler Tageszeitung einmal mehr ganz ausgezeichnet gelungen ist.
Mein Dank gilt allen Zeitzeugen, unseren Partnern, dem Land Tirol und dem ORF Tirol, dem Haymon Verlag sowie der perfekten Organisation im Haus der Musik.
Wünsche viel Spaß bei der Lektüre „Tirol von Mensch zu Mensch“.
Herzlichst,
Hermann Petz
Vorstandsvorsitzender
der Moser Holding
In der bereits siebenten Staffel der populären Gesprächsreihe „Zeitzeugen“ in Zusammenarbeit von Land Tirol, Tiroler Tageszeitung und ORF Tirol ist die jüngere Zeitgeschichte Tirols einmal mehr lebendig geworden. An fünf Abenden im Haus der Musik in Innsbruck haben jeweils Hunderte interessierte Tirolerinnen und Tiroler faszinierende Persönlichkeiten als Zeitzeugen im Gespräch mit Autor Bernhard Aichner erlebt.
Schlagerstar und Ex-Skirennläufer Hansi Hinterseer hatte mit unterhaltsamen Anekdoten aus seinem Leben als Sportler und Sänger die Lacher häufig auf seiner Seite. Seine Geschichten von Erfolgen und Niederlagen und vom ungewöhnlichen Beginn seiner zweiten Karriere als Sänger, Moderator und Schauspieler faszinierten das Publikum.
Der Südtiroler Parade-Unternehmer Richard Piock erzählte spannende Geschichten aus der Wirtschaft. Dabei ging es um Exporte in den Irak genauso wie um die Entwicklung neuester industrieller Technologien. Als langjähriger Landeskommandant des Tiroler Schützenbundes ist Piock mit der Lederhose genauso vertraut wie mit dem Laptop.
Die zehnte Frau in der Gesprächsreihe „Zeitzeugen“ war Evelyn Haim-Swarovski. Die Urenkelin von Firmengründer Daniel Swarovski sprach über die wirtschaftliche und soziale Verantwortung als Gesellschafterin des Wattener Familienunternehmens sowie über ihre große Leidenschaft, das Dressurreiten, und die seit einem Vierteljahrhundert erfolgreichen Turniere am Schindlhof in Fritzens.
Einer der bekanntesten Kirchenmänner Tirols ist German Erd, der Abt des Stiftes Stams im Tiroler Oberland. Er erzählte über ein langes und vielfältiges Berufsleben als Priester, Ordensmann, Erzieher, Lehrer, Schuldirektor und Manager des Zisterzienserordens. Abt German war als offener Tiroler Weltbürger zu erleben, der Großes geleistet hat.
Herlinde Molling schließlich ermöglichte spannende Einblicke in die jüngere Tiroler Geschichte. Die gelernte Restauratorin war Südtirol-Aktivistin. Sie transportierte als junge Mutter in den 1960er-Jahren Waffen und Sprengstoff nach Südtirol; Sprengstoff, der dazu diente, Anschläge auf zahlreiche Strommasten zu verüben.
Die Schilderung ihres, wie sie es nennt, privat und beruflich immer risikoreichen Lebens war ein lebendiges Stück Zeitgeschichte, ebenso wie ihr Buch „So planten wir die Feuernacht“.
In den „Zeitzeugen“-Gesprächen haben all diese außergewöhnlichen Persönlichkeiten faszinierende Lebensgeschichten erzählt. Im „Trommelfell“ von ORF Radio Tirol waren die Höhepunkte aus den einzelnen Interviews bereits zu hören. Ich darf Ihnen eine kurzweilige Lektüre mit vielfältigen Erinnerungen der „Zeitzeugen“ empfehlen.
Robert Unterweger
Landesdirektor
ORF Tirol
Die nunmehr bereits 7. Auflage des Buches mit den Erlebnissen und Erzählungen Tiroler Persönlichkeiten ist nicht nur ein unwiderlegbarer Beweis dafür, wie schnell eigentlich die Zeit vergeht, sondern einmal mehr ein spannungsgeladener Rückblick in die Vergangenheit. Eine Zeitreise sozusagen, mitgeschrieben und aufgezeichnet von Redakteuren der Tiroler Tageszeitung, als wertvolles Dokument für die Zukunft.
Diese Begegnung mit Menschen, die Außergewöhnliches geleistet haben, vermittelt jeweils eine Dramaturgie, die vielleicht dank des Moderators von Minute zu Minute faszinierender wurde. Nun ja, Bernhard Aichner, der mit seinen Krimis die Bestseller-Listen stürmt, weiß, wie man Spannung aufbaut. Egal, ob es sich dabei um die Geschichte des Hansi Hinterseer vom Seidlalm-Bua bis hin zum Skistar und Schlagerstar handelt, den Werdegang des Abtes von Stams, German Erd, oder die Lebensgeschichte der Herlinde Molling, der Evelyn Haim-Swarovski und des Richard Piock. Wir durften eintauchen in eine Welt, geprägt von Visionen, Unternehmergeist, Abenteuern – erlebten Abende, die man nicht vergisst.
Ein herzliches Dankeschön dafür also dem Bernhard, natürlich allen Zeitzeugen, den unglaublich vielen Besuchern, die diesen Abenden im speziellen Ambiente des Hauses der Musik einen würdigen Rahmen verliehen, dem Haymon Verlag und allen Helfern, die für das Gelingen dieser Reihe mitverantwortlich zeichnen.
Ich darf Sie mit dieser Ausgabe einladen zu einem Geschichts-Streifzug durch die Welt unserer Zeitzeugen und wünsche gute Unterhaltung beim Lesen.
Fred Steinacher
Projektkoordinator
Moser Holding
Von Marco Witting
Es ist so etwas wie der erste richtige Sommertag 2019. Vor dem Café Praxmair stapeln sich kurz vor 10 Uhr vormittags noch die Tische. Hier braucht man an diesem Tag noch ein paar Minuten, bis der Betrieb losgehen kann. Gegenüber werden auf den Terrassen der gleichförmig durchgestylten Lokale unterdessen bereits Sonnenbrillen präsentiert, für die man andernorts einen feinen Kurzurlaub kriegen würde.
Kitzbühel eben. Doch auch das, was sich im Café Praxmair hinter der Glasschiebetür versteckt, ist Kitzbühel. Vorbei an einer großen und gut gefüllten Kuchenvitrine geht es in einen langgezogenen Raum. Ganz hinten sitzen, angeregt diskutierend, zwei Männer. Es könnten Bauarbeiter sein. Schräg davor sitzen drei Paare. Wohl Touristen. Sie blicken immer wieder zur Tür. Der Grund, warum sie hier und heute da sitzen, der wird an diesem Tag erst später klar.
Die junge, lächelnde Eigentümerin des Cafés grüßt freundlich. Deutet auf einen großen runden Tisch mit Eckbank und drei Stühlen, der etwas versteckt hinter dem Eingang steht. „Des is sei Platzl. Er kimmt sicher glei“, sagt sie.
„Er“ kommt wirklich „glei“, als die Chefin den Kaffee serviert. Mit blauem, leicht aufgeknöpftem Hemd, in Jeans und sichtlich gut gelaunt. Winkt freundlich in den Raum. Man kennt sich. Dann setzt er sich an den runden Tisch in die Ecke. Lächelt, mit einer Mischung aus Freundlichkeit und Zurückhaltung, und sagt: „Griaß di. Hast guat herg’funden?“
Hansi Hinterseer.
Der Mann, der so viele Karrieren auf sich vereint wie kaum ein anderer. Skifahrer. Teenager-Idol. Rebell. Nationalheld. Gesamtweltcupsieger im Profisport. Kommentator. Sänger. Moderator. Schauspieler. Skiträger. Zielscheibe von Fanliebe und auch zuweilen Spott. Die Zahl seiner Karrieren wird eigentlich nur durch die Zahl der Klischees, die man ihm gelegentlich andichtet, übertroffen. Dass alles immer bärig sei. Sein: Griaß eich, Leit’ln. Dass er nur eine heile Welt verkaufe. Die Moonboots. Die Sonnenbrille. Die Haarfrisur. Sein unverkennbares Lächeln.
Nicht jeder mag Hansi Hinterseer. Doch jeder scheint zumindest eine Meinung zu diesem Menschen zu haben. An diesem Junitag in seinem Kitzbühel zeigt sich der mittlerweile 65-Jährige so, wie man ihn aus dem Fernsehen kennt. Unkompliziert. Freundlich. Höflich. Strahlend. Liebenswert. Bei genauerem Blick im Gespräch sogar schüchtern und zurückhaltend. Es braucht ein wenig, bis er beim Plaudern über sein Leben lockerer wird. Keinesfalls wirkt das gespielt. Oder aufgesetzt. Im Gegenteil. Das wird spätestens klar, als ein Kitzbühler (ganz offensichtlich während seiner Dienstzeit) am Tisch vorbeikommt. Kurz den Hansi sieht und dann wissen will, ob hier gleich eine Kartenpartie anstünde. Wenn ja, dann würde er kurz mitspielen. Hier findet sich eine gesellige Runde, wie scheinbar so oft.
Hansi Hinterseer musste wohl viel über sich lesen und hören. Lob und Kritik. Wahres und Erfundenes. Von der Ferne betrachtet dürfte er sich früh eine dicke Haut zugelegt haben, um damit und mit der Erwartungshaltung der Öffentlichkeit umzugehen. Auf den nun folgenden Seiten kann er seine Geschichte erzählen. Geschichten, die er an diesem Junitag in Kitzbühel zum Besten gab und ein paar Tage zuvor im Haus der Musik, als erster Gast der Zeitzeugen-Reihe 2019.
Ein Start von der Seidlalm? Für die Abfahrer auf der Kitzbühler Streif wäre das wohl eindeutig zu kurz gedacht. Für das Leben von Hansi Hinterseer war der Start dort aber ein traumhafter. Er spricht nicht viel darüber, wie die Situation in jener Zeit war. Doch um diese zu begreifen, muss man sich in das Tirol des Jahres 1954 zurückversetzen. Und Hansi war ein uneheliches Kind. Damals etwas, das im beschaulichen Städtchen nicht gern gesehen war. Seine Mutter, die ihn weggab, erwähnt er nicht. Das Verhältnis zu Vater Ernst, selbst bekanntlich Olympiasieger und Skilegende, war meist schwierig. Doch über die Großeltern, speziell über seinen Opa, spricht Hansi Hinterseer viel und gerne. Und voll Liebe.
So erzählt er im Zeitzeugen-Gespräch im Innsbrucker Haus der Musik: „In der heutigen Zeit kann man sich das ja gar nicht mehr vorstellen, wie das damals war. Sehr idyllisch natürlich. Es war halt damals so. Mein Vater war zu der Zeit viel unterwegs. Skifahrerisch. Und ich habe das Glück gehabt, dass ich bei meinen Großeltern aufwachsen durfte. Das ist für mich das Schönste gewesen. Wir haben eigentlich nichts gehabt. Und wir haben damit auch alles gehabt.“ Dann führt Hinterseer seine Fans auf die gedankliche Reise auf die Seidlalm in Kitzbühel. Direkt an der legendären Skirennstrecke auf 1205 Metern gelegen. Oder, um es mit Hansis Worten zu sagen: „ein Paradies“. Mit den Großeltern und der Tante wuchs er, am 2. Februar 1954 geboren, dort auf. „Wir hatten 45 Stück Viech, zehn Rösser. Da aufzuwachsen, mit solchen Persönlichkeiten wie meinem Großvater, der mir dann so viel gegeben hat für mein Leben, das war ein Geschenk.“ Um vier Uhr in der Früh habe ihn der Opa schon geweckt, um die Tiere zu holen. „Das hat mir damals natürlich nicht so gefallen. Ist aber natürlich eine ganz normale Sache in einer Landwirtschaft.“ Doch das bäuerliche Leben, es gefiel dem kleinen Hansi, der mit zwei Jahren dann schon auf den Skiern, die einmal seine Welt bedeuten sollten, stand. Nicht ganz so gefallen hat ihm dagegen die Schule.
Doch die Abneigung dagegen begann irgendwie schon im Kindergarten. Den er insgesamt stolze zwei Stunden lang in seinem Leben besuchte. „Der Tatti, also der Großvater, hat zu mir gesagt, dass ich in den Kindergarten soll. Und ich wollte einfach nicht. Er hat mich dann aber doch dazu überredet, dass ich mir das anschauen soll. Ich sehe es heute noch vor mir, wie ich den Klosterfrauen dort begegnet bin. Ich habe mir das dann angeschaut und hatte Angst vor den Geistlichen. Zwei Stunden hab ich’s ausgehalten, dann bin ich abgehauen und zurück auf die Seidlalm. Dort bin ich dann in den Stall hinein und hab zum Tatti gesagt: ‚I mag nie wieder in den Kindergarten‘. Und musste dann auch nicht mehr wieder hingehen. Das war mein einziges Erlebnis dort.“ Ganz so leicht ging das bei der Schule aber dann nicht mehr. Auch wenn Hansi wenig Freude daran fand, wie er erklärte. Da kam er nicht aus. Einziger Trost zu jener Zeit: Zumindest im Winter konnte er mit den Skiern frühmorgens ins Tal fahren. Und mittags mit der Gondel wieder nach Hause.
Der Großvater bewirtschaftete zu seiner Zeit auch die Landwirtschaft von Schloss Lebenberg. Auf der dortigen Stiege stellte ihn der Opa einst zum ersten Mal auf die Ski. Und ließ ihn „herunterschießen“, wie Hinterseer im Zeitzeugen-Gespräch erklärte. Ein paar Jahre später, im Schulalter, war der Hansi dann schon ein geübter Alleskönner auf den zwei Brettln. „Ich bin vom Haus raus. Zog die Ski an und fuhr ins Tal. Und kaum klingelte die Schulglocke, ging es wieder rauf auf den Hahnenkamm.“ Da hätten sich einige Fahrten mehr ergeben manchmal. Auch die eine oder andere Verspätung in der Früh fing sich der kleine Blondschopf damals, sehr zum Ärgernis der Lehrer, ein. Es seien schon etliche Fehlstunden zusammengekommen im Unterricht. „Man muss sich das aber schon auch vorstellen. Wenn Neuschnee war oder es geregnet hat, dann musste ich als Sechsjähriger da auch ins Tal. Aber natürlich habe ich so Skifahren gelernt.“ Und wenn der kleine Hansi einmal wieder überfällig war, dann wurde das Rettungstelefon, sonst nur in Fällen von schweren Verletzungen in Gebrauch, bemüht, um nach dem kleinen Rennfahrer, der eigentlich in der Schule sein sollte, zu suchen.
„Ich bin mit der Natur aufgewachsen. Habe dort durch meinen Großvater auch viel gelernt. Das kann man eigentlich nur jedem Kind wünschen, dass man so aufwächst. Man lernt gewisse Werte im Leben, die ich ganz gut gebrauchen konnte.“ Früh war klar, dass für Hinterseer das Skifahren eine zentrale Rolle spielen würde. „Es gab nicht viele Möglichkeiten. Die Landwirtschaft und das Skifahren. Das war dann natürlich etwas, das mich schon gelockt hat. Wir haben ja nix gehabt.“ Rennfahrer oder Bergbauer, das seien die Ziele im Leben des jungen Hansi Hinterseer gewesen.
In den Gesprächen kam Hinterseer sehr oft auf die prägende Erziehung zurück. So habe ihm der Opa gelehrt, dass Stress nur etwas Negatives sei. „G’neatig“, also mehr oder weniger viel zu tun, habe man gehabt. Das solle er aber positiv wahrnehmen, riet ihm der Tatti.
Rückblickend sei die Kindheit schon so etwas gewesen wie ein „Heidi-Film“. Von der er „keine Sekunde“ missen möchte und in der die Tante zur kleinen Familie gehörte, die den kleinen Hansi aufzog. „Ich habe für die Erziehung meiner Kinder viel mitgenommen. Mein Opa war so ein großartiger Mensch. Er hat in einem Satz so viel gesagt wie ein Uni-Professor in zehn. Als junger Bua ist man ja dann schon auch stürmisch. Aber er hat mir gezeigt, wie man mit Bedacht Sachen anpackt und angeht.“ Die Erinnerungen an jene Zeit nennt er „wunderbar“. Speziell, weil der Umgang mit der Natur und Heimat ganz besonders gewesen sei. Auf die Frage, wie denn der Großvater war, zögert Hansi Hinterseer zunächst ein wenig, ehe er milde zu lächeln beginnt. „Eine Erscheinung. Liebevoll. Er hat nicht viel gesagt. Aber wenn er etwas gesagt hat, dann hat das gepasst. Die Ruhe. Man muss sich schon auch vorstellen, dass dieser Mensch den Ersten und Zweiten Weltkrieg miterlebt hatte und dort im Einsatz verletzt wurde.“ Auch seinen beiden Töchtern wollte er vor allem diese Werte mitgeben. Zu grüßen. Bitte. Danke. Das seien jene Dinge gewesen, die er mitgeben wollte. „Was die Kinder daraus machen, müssen sie dann selber wissen. Aber ein Fundament mitgeben, das war mir wichtig.“
Mit 14 Jahren haben junge Burschen vieles im Kopf. Träume. Ziele. Hoffnung. Mädchen. Vielleicht eine Idee, was sie einmal machen werden. Doch das sind meist Ideen, die letztlich mit der Realität wenig zu tun haben. Hansi Hinterseer war auch auf diesem Gebiet anders. Er war, das kann man wohl so einfach sagen, im Skifahren ein Jahrhunderttalent. Und mit 14 Jahren eben schon Mitglied im Kader der österreichischen Skinationalmannschaft. Ein Bursche unter Männern.
Ob er seine Jugend dafür geopfert hat? „Jein“, weicht Hinterseer etwas aus. Um dann zu erklären: „Mit 14 in die Mannschaft zu kommen ist nicht normal. Du bist dann plötzlich mit 30-jährigen Männern unterwegs und ich hab sicher auch auf ein paar Sachen in meiner Jugend verzichtet. Andererseits habe ich in der Zeit auch fürs Leben gelernt. Ich möchte nichts missen. Ich habe die ganze Welt gesehen, das ist natürlich auch nicht normal.“
„Ich war sehr talentiert.“ Aber es sei auch nicht leicht gewesen, der Sohn des Olympiasiegers Ernst Hinterseer zu sein. „Dennoch musste auch ich mir alles erlernen. Der Sport war für mich die beste Lebensschule. Siege. Niederlagen. Mit dem muss man als junger Mensch erstmal umgehen lernen und das hilft mir auch noch immer.“ So kam es, dass Hansi die Kinder-, Schüler- und Jugendrennen dominierte. Und das jüngste Teammitglied der Nationalmannschaft des ÖSV wurde. In einer Zeit, in der auch noch ein Karl Schranz gefahren ist – und Skisport einen enorm hohen Stellenwert im Land hatte. „Das war für mich eine tolle Sache, diese Stars zu sehen und mit denen zu trainieren“, erklärt Hinterseer im Zeitzeugen-Gespräch. „Da ist die Musik schon anders gespielt worden“, fügt er an.
So kam es, dass er in Kranjska Gora (heutiges Slowenien) mit der Startnummer 133 sein erstes Weltcuprennen fuhr – und 33. wurde. Während er kurz davor 1968 noch österreichischer Schülermeister im Slalom wurde. An seinen ersten Auftritt bei den arrivierten Läufern erinnert sich der Kitzbühler noch gut. „Ich habe mir die ersten Läufer noch im Ziel angeschaut. Etwa den Jean-Claude Killy. Ich war voll motiviert und wollte einfach alles zerreißen. Ich bin wohlbehütet aufgewachsen in dem Zirkus und hatte tolle Menschen um mich herum, die sich auch um mein Material gekümmert haben. Das war alles noch eher spielerisch natürlich. Da kam mir mein Talent zugute. In der Zeit, wo man als Bub gerne in die Disco gegangen wäre oder auch ein nettes Dirndl angesprochen hätte, hab ich für den sportlichen Erfolg auch auf einiges verzichten müssen. Weil schon damals war jemand da, der gesagt hat: ‚Entweder Skifahren oder was anderes.‘“
Damals fuhr Hinterseer mit dem White Star einen Kneissl-Ski aus Tirol. „Mit dem bin ich schlafen gegangen.“ Als das vielversprechende Skitalent zwölf war, übernahm Vater Ernst das Training. „Er war da sehr zielbewusst. Ein sturer Teufl, was ich vielleicht ja auch bin. Ich habe aber sehr sehr viel gelernt von ihm“, erzählt der Zeitzeuge in der Rückschau.
„Ehrfürchtig“ spricht Hinterseer etwa von Karl Schranz, den er als „Nummer eins“ damals bezeichnet. Und erzählt so einige Anekdoten aus der Zeit. Etwa jene aus dem Gasthof Mühle in Kaprun bei einem Trainingslager. Während die Stars der Branche vor dem Hotel saßen und Karten spielten, hätten die jungen Läufer deren Koffer aufs Zimmer tragen müssen. „Das war damals halt so.“ Aber man habe auch vom Wissen der Stars profitiert. Beim Trainingslauf tags darauf fuhr der junge Hinterseer, so erzählt er es, dann allen um die Ohren. „Ich bin mit 14 Jahren dann Bestzeit gefahren. Worauf der Karl Schranz gesagt hat, dass die Zeitmessung nicht stimmt. Als ich dann beim zweiten Mal wieder gefahren bin, war ich wieder der Schnellste.“ Es habe eine Hierarchie damals gegeben, er habe aber auch viel gelernt von den damaligen Stars.
Von Trainingslager zu Rennen und retour. Selbstständigkeit lernt man in dieser Branche sehr schnell. Irgendwo zwischen Einzelkämpfer und Teamplayer. „Man muss am Start alleine die Leistung bringen. Das ist ein schmaler Grat. Wobei man dann auch in der Kameradschaft wieder viel Kraft herausziehen kann.“ Am 8. März 1973 holte sich Hinterseer in Anchorage/Alaska seinen ersten Weltcupsieg. Ein Riesenslalom. Mit vier zweiten Plätzen in der Saison sicherte er sich dadurch auch den Sieg in der Riesenslalom-Gesamtwertung. Und das überlegen. Der erste Sieg: „Für mich war das erste Mal nach Alaska zu fliegen schon ein Abenteuer. Ich dachte eher, dass da Eisbären sind und man gar nicht Ski fahren kann. Der erste Lauf war über 2:11 Minuten lang. Der zweite Lauf war 2:14 Minuten. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.“ Unvorstellbar, laut heutigen Maßstäben, auch der Preis für den Sieg. Dazu muss Hinterseer aber seine Hände weit ausbreiten. Denn der bestand aus dem Zahn eines Walrosses.
Der schönste Sieg? Er gelang dem Hansi wohl am 27. Jänner 1974. In Kitzbühel. In seinem Kitzbühel. „Daheim ist schon für einen jeden Athleten etwas Besonderes. Wo ich jeden Tag in die Schule gefahren bin. In der Früh, an diesem Tag, als ich von der Alm zum Slalom-Start gefahren bin und den Kurs angeschaut hab, da kam so ein Gefühl auf, da habe ich gewusst, das ist mein Tag.“ Schönes Wetter, ein toller Kurs, der perfekte Sieg – zwei Mal mit Bestzeit. Insgesamt holte Hinterseer sechs Weltcup-Siege. 21 Podestplätze. Den Sieg im Riesenslalom-Weltcup und eine WM-Silbermedaille. Eine stolze Karriere. Die wohl dennoch dem Talent, das Hinterseer stets hatte, nicht ganz gerecht wurde. Das sieht er auch selber so. Gibt es unumwunden zu. Aber das hatte auch noch andere Gründe.
Olympische Spiele. Ziel eines jeden Athleten. Ziel vieler Träume. Zwei Mal hätte es auch der Traum des aufstrebenden jungen Feschaks aus Kitzbühel werden können. Werden sollen. Beide Male endete der Traum im Trauma. Und irgendwie hat Hinterseer mit den Spielen erst sehr spät seinen Frieden geschlossen. Jahre danach. Am Gipfel seiner zweiten oder dritten Laufbahn.
Im Slalom von Berchtesgaden holte Hinterseer im Olympiawinter 1972 seine ersten Punkte. Er wurde Neunter. In der für Sapporo nominierten Olympiamannschaft fand der Kitzbühler aber keine Berücksichtigung. Lapidare Erklärung. Zu jung. Der Zeitzeuge schildert das so: „Olympia kann ich mit Karl Schranz vergleichen. Der hatte gleichermaßen kein Glück wie ich. Ich war damals zwei Mal der beste Österreicher. Nach Sapporo durfte ich trotzdem nicht mit. Weil man mir gesagt hatte, dass ich zu jung war. Das hat mir nicht gepasst. Der Grund war sicher auch bei den Skifirmen zu suchen. Die haben Politik gemacht und bei einem Grenzfall von Leistungen ihren Einfluss geltend gemacht. Das war halt damals so.“ Dass er von einer Wiener Zeitung damals als Gast zu den Spielen geflogen werden sollte, war eine „Ehre“, Hinterseer lehnte aber dankend ab.
Danach lag der Fokus auf den Spielen in der Heimat. 1976. Innsbruck. Doch die Probleme begannen schon vorher – und sie sollten in der größten Niederlage des Sportlers Hansi Hinterseer enden. „Große Vorfreude. Und große Angst auch, dass man den Amateurstatus verletzen könnte, nachdem ja vier Jahre zuvor Karl Schranz nicht starten durfte. Deshalb gab es die sogenannte Umsteigsperre. Wir mussten also mit dem gleichen Material weiterfahren. Zusätzlich wurde der beste Schuh, den es gab, aus dem Skipool geworfen. Das hieß, wir mussten ausschließlich mit heimischem Material fahren.“ Das war aber nicht der einzige Wettbewerbsnachteil, den der Sportler ausmachte. Im Gegenteil. Es gab einen Heimvorteil. Der gar keiner war. „Wir wussten vier Jahre lang, dass in der Axamer Lizum die Rennen stattfinden. Wir waren dort, warum auch immer, nie zum Training. Das war keine gute Vorbereitung. Den Slalom haben wir beim Zielhang in Kitzbühel trainiert.“ Das war die große Zeit eines gewissen Franz Klammer. Auf die Techniker-Truppe, heute das große Aushängeschild im heimischen Skisport, habe man „vergessen“.
Er sei ein sturer Hund gewesen damals. Ein Querkopf. Einer, auf den sich irgendwann dann die Medien eingeschossen hatten. Spätestens, als er seine damalige Partnerin mit ins Trainingslager nahm. „Ich war sicher ein junger Bursche und war vorne dabei. War kurz davor, den Gesamtweltcup zu gewinnen, was dann nicht geklappt hat. In dieser Zeit habe ich meine erste Frau kennengelernt. War verliebt. Das hat damals nicht wirklich hereingepasst. Ich war damals das Liebkind der Nation.
Toni Sailer war damals der Chef unserer Mannschaft und ich habe ihn gefragt, ob ich die Freundin mitnehmen kann. Er war da wohl der Meinung, dass das zwei Monate später eh nicht mehr aktuell ist, und hat zugesagt. Das war aber dann nicht der Fall. In Graz war dann der Kurs und 60 Männer starteten. Ich hatte meine Freundin mit dabei. Noch blöder kann man das natürlich nicht machen.“ Sailer habe ihn gefragt, was die Partnerin „da soll“. Worauf sich Hinterseer rechtfertigte und ein veritables Medientheater über den jungen Kitzbühler hereinbrach.
„Ich war dann natürlich stur, verliebt. Bin vom Trainingscamp in ein Hotel gegangen. Was natürlich auch nicht sehr gut war. Ich war da nicht sehr gefestigt und war sofort beleidigt, wenn etwas geschrieben wurde.“ Er habe damals mit dem Kopf durch die Wand gewollt. Und sei gescheitert. Es war der Beginn einer Verkettung von unglücklichen Umständen, die zusätzlich zu einer Verletzung mit dazu geführt haben, dass es bei den Olympischen Spielen in der Heimat nichts zu holen gab.
Hinterseer: „Ich war ganz gut am Weg. Damals Zweiter im Gesamtweltcup. Ich habe mich sehr auf die Rennen gefreut. Als dann Franz Klammer die Goldene geholt hat, waren wir von den Medien her favorisiert und von uns wurden die nächsten Medaillen erwartet. In der Zeit stieg der Druck. Ich war nicht reif genug und hab dem Druck nicht standgehalten.“ Nachdem im zweiten Riesentorlauf-Durchgang (nach Platz 6 im ersten Lauf) alles danebenging, konzentrierte sich der Kitzbühler voll auf den Slalom. „Ich weiß bis heute nicht, warum ich im Riesenslalom im zweiten Durchgang 6,5 Sekunden verloren habe. Aber das ist wohl der Sport. Also dachte ich mir, jetzt gehört der Slalom mir. Bei der Vorbereitung im Zielschuss auf der Streif bin ich gestürzt und habe mir eine Schulterprellung und eine Kapselprellung zugezogen. Einen Tag vor dem großen Rennen.“ Dass die medizinische Versorgung von damals mit heute nicht vergleichbar ist, das zeigte sich auf fatale Weise. Doch die Verletzung wurde nicht besser, der Schmerz wurde weggespritzt. Vor dem Start bekam Hinterseer dann drei Spritzen. Im Schneesturm wurde der Start um drei Stunden verschoben. Die Wirkung der Spritzen ließ nach, noch ehe das Rennen losging. „Beim Start habe ich schon einen Stich bekommen und es kaum mehr ausgehalten. Beim dritten Tor war dann Schluss.“ Wobei der eigentliche Spießrutenlauf da erst begann. Hinterseer rückblickend auf die Minuten in der Axamer Lizum, die sich wie Stunden angefühlt haben müssen: „Du versuchst eine gute Leistung zu bringen. Es hat dann nur ein paar Sekunden gedauert und schon hatte ich den ersten Schneeball im Gesicht. Das war nicht der einzige. Es gab Beschimpfungen. Spuckattacken. Ich habe mir dann gedacht, was habe ich gemacht. Ich wollte doch nur Ski fahren. Als Sportler ist das schon ein Lernprozess. Ich habe zwar das Rennen nicht gewonnen, aber an Erfahrung.“ Und der Nachsatz: „Wenn ich das alles nicht gehabt hätte, dann wäre ich später wohl auch nicht über so viele Jahre beim Singen geblieben.“