Die Autorin

Die Künstlerin und Autorin Chanel Miller, geboren 1993 in Palo Alto, studierte am College of Creative Studies an der University of California. Sie lebt in San Francisco.

Das Buch

Sie war unter dem Pseudonym Emily Doe bekannt, als sie vor Gericht einen Brief an Brock Turner verlas. Den Mann, der sie nach einer Party an der Stanford University hinter einem Müllcontainer vergewaltigt hatte und zu nur sechs Monaten Haft verurteilt worden war. Millionen Menschen lasen den Brief weltweit, er wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und der Kongress debattierte über den Fall. Schließlich wurde der zuständige Richter abgesetzt und die Gesetze in Kalifornien angepasst, um Opfer zu schützen.

Wortmächtig beschreibt die Autorin, wie es sich anfühlt, den eigenen Körper wie eine Jacke abstreifen und wegwerfen zu wollen. Wie unsere Gesellschaft über den Alkoholkonsum, die Kleidung, das Liebesleben und die Sexualität von Frauen urteilt. Sie deckt Strukturen auf, die tief in unserer Gesellschaft verankert sind. Ihre Geschichte zeigt, dass Sprache die Kraft hat zu heilen und Veränderungen herbeizuführen.

Chanel Miller

Ich habe einen Namen

Eine Geschichte über Macht, Sexualität und Selbstbestimmung

Aus dem Amerikanischen
von Hannes Meyer, Yasemin Dinçer und Corinna Rodewald

Ullstein

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www.ullstein-buchverlage.de

ISBN 978-3-8437-2209-4
© 2019 Chanel Miller
© der deutschen Ausgabe
Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019
Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Aylin LaMorey-Salzmann
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Das Buch

»An alle Mädchen da draußen: Ich bin bei euch. In den Nächten, in denen ihr euch einsam fühlt: Ich bin bei euch. Wenn jemand euch anzweifelt oder abtut: Ich bin bei euch. Ich habe jeden Tag für euch gekämpft. Hört ihr also auch nicht auf zu kämpfen, ich glaube euch. Wie die Autorin Anne Lamott einst schrieb: ›Leuchttürme rennen nicht kreuz und quer über die Insel, um nach Booten Ausschau zu halten, die sie retten können; sie stehen einfach da und leuchten.‹ Ich kann zwar nicht jedes Boot retten, aber ich hoffe, dadurch, dass ich heute hier gesprochen habe, konntet ihr ein wenig vom Licht in euch aufnehmen, das leise Wissen, dass ihr nicht zum Schweigen gebracht werden könnt, die leise Befriedigung darüber, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde, die leise Gewissheit, dass wir weiterkommen, und das lautstarke Wissen, dass ihr bedeutend seid, und das ist unbestreitbar, ihr seid unantastbar, ihr seid wunderschön, ihr sollt geschätzt werden und respektiert, ohne jeden Zweifel, jede Sekunde an jedem Tag, ihr seid stark, und das kann euch niemand nehmen.«

Das ergreifende Memoir einer jungen Frau, deren Fall weltweit für Aufsehen sorgte und die Gesetzeslage in Kalifornien änderte.


Die Autorin

Die Künstlerin und Autorin Chanel Miller, geboren 1993 in Palo Alto, studierte am College of Creative Studies an der University of California. Sie lebt in San Francisco.


Die Übersetzer

Yasemin Dinçer, Hannes Meyer und Corinna Rodewald studierten gemeinsam Literaturübersetzen in Düsseldorf und übersetzen seit über zehn Jahren Romane und Sachbücher aus dem Englischen und Französischen ins Deutsche.


Einleitung

Die Tatsache, dass ich statt Subpoena, das englische Wort für Zwangsvorladung, Suhpeena geschrieben habe, mag nahelegen, dass ich nicht qualifiziert bin, diese Geschichte zu erzählen. Aber alle Gerichtsprotokolle sind öffentlich zugänglich, alle Artikel online verfügbar. Das hier ist nicht die absolute Wahrheit, aber es ist meine, und ich habe sie erzählt, so gut ich kann. Wenn ihr sie durch meine Augen und Ohren erfahren wollt und wissen wollt, wie sie sich in meinem Inneren anfühlte, wie es ist, sich während einer Gerichtsverhandlung auf der Toilette zu verstecken, dann kann ich das bieten. Ich gebe, was ich kann, ihr nehmt euch, was ihr braucht.

Im Januar 2015 war ich zweiundzwanzig Jahre alt und lebte und arbeitete in meiner Heimatstadt Palo Alto in Kalifornien. Ich ging auf eine Party auf dem Campus der Stanford University. Ich wurde draußen auf dem Boden Opfer eines sexuellen Übergriffs. Zwei Unbeteiligte sahen es, brachten ihn zum Aufhören und retteten mich. Mein altes Leben verließ mich und ein neues fing an. Ich bekam einen neuen Namen, um meine Identität zu schützen: Ich wurde zu Emily Doe.

In dieser Geschichte werde ich den Verteidiger den Verteidiger nennen, den Richter vorwiegend den Richter. Sie stehen hier für die Rollen, die sie gespielt haben. Das hier ist keine persönliche Anklage, keine Retourkutsche, keine schwarze Liste, kein erneuter Prozess. Ich glaube daran, dass wir alle mehrdimensionale Wesen sind, und es war verletzend, vor Gericht als eindimensional dargestellt, abgestempelt, falsch etikettiert und diffamiert zu werden. Daher werde ich ihnen nicht dasselbe antun. Brocks Namen werde ich verwenden, aber im Grunde könnte er auch Brad oder Brody oder Benson lauten, er tut nichts zur Sache. Es geht hier nicht um ihre individuelle Bedeutung, sondern um ihre Gemeinsamkeit, um all die Personen, die ein kaputtes System aufrechterhalten. Das hier ist ein Versuch, den Schmerz in meinem Inneren zu transformieren, der Vergangenheit ins Auge zu sehen und eine Möglichkeit zu finden, mit diesen Erinnerungen zu leben und sie zu integrieren. Ich möchte sie hinter mir lassen, um nach vorn zu schauen. Während ich ihre Namen größtenteils ungenannt lasse, nenne ich nun endlich meinen eigenen Namen.

Ich heiße Chanel.

Ich bin ein Opfer. Ich habe kein Problem mit diesem Wort, lediglich mit der Vorstellung, es sei alles, was ich bin. Allerdings bin ich nicht Brock Turners Opfer. Von ihm bin ich gar nichts. Ich gehöre ihm nicht. Außerdem bin ich Halbchinesin. Mein chinesischer Name lautet Zhang Xiao Xia, was so viel bedeutet wie Kleiner Sommer. Ich wurde aus den folgenden Gründen Sommer genannt:

Ich wurde im Juni geboren.

Xia ist außerdem Chinas erste Dynastie.

Ich bin das erste Kind.

»Xia« klingt wie »Sha«.

Chanel.

Das FBI definiert jede Form von Penetration als Vergewaltigung. In Kalifornien wird jedoch lediglich der Akt des Geschlechtsverkehrs als Vergewaltigung definiert. Lange unterließ ich es, ihn als Vergewaltiger zu bezeichnen, da ich Sorge hatte, jemand könnte mich korrigieren. Juristische Definitionen sind wichtig. Meine sind es auch. Er hat eine Öffnung meines Körpers mit seinen Händen gefüllt. Meiner Ansicht nach wird er nicht von der Bezeichnung freigesprochen, nur weil ihm nicht genügend Zeit blieb.

Das Traurigste an Fällen wie diesem sind neben den Verbrechen selbst die erniedrigenden Dinge, die die Betroffene über ihr eigenes Wesen zu glauben beginnt. Diesen Glauben möchte ich zerstören. Ich schreibe die Betroffene, aber ob ihr nun ein Mann seid, Transgender, euch weder als männlich oder weiblich betrachtet, oder wie auch immer ihr euch identifizieren und in dieser Welt existieren möchtet, wenn euer Leben von sexueller Gewalt berührt wurde, dann möchte ich euch beschützen. Und ich hoffe jenen, die mich Tag für Tag aus der Dunkelheit gehoben haben, hiermit Danke sagen zu können.


Wenn du deinen Namen kennst, dann solltest du ihn festhalten, denn wenn er nicht niedergeschrieben und erinnert wird, dann wird er mit dir sterben.
Toni Morrison, Solomons Lied
Am Anfang war ich so jung und mir selbst so fremd, dass ich kaum existierte. Ich musste in die Welt hinausgehen, sie sehen und hören und auf sie reagieren, um überhaupt zu wissen, wer ich war, was ich war und was ich sein wollte.
Mary Oliver, Upstream
… es ist unsere Pflicht, etwas zu bedeuten.
Alexander Chee