Das Buch
Brauchen wir Gott, um gute Menschen zu sein? Wie entscheiden wir, was gut oder böse ist? Und woran können wir glauben? In dieser rasanten Einführung in den modernen Atheismus erklärt der berühmte Wissenschaftsautor seine Sicht auf Welt und die Religion – für junge Menschen. Denn es ist zwar schön, die Geschichte der Arche Noah zu hören, aber besser, sie zu hinterfragen. Kann Jesus ein Vorbild sein, auch wenn ich nicht an Gott glaube? Richard Dawkins schreibt eine Anleitung für Jugendliche. Er zeigt, wie sie ihre Überzeugungen aus wissenschaftlichen Fakten gewinnen können, sich vom Glauben emanzipieren und zu selbstbestimmten Menschen heranwachsen.
Der Autor
RICHARD DAWKINS, 1941 geboren, ist Evolutionsbiologe. Von 1995 bis 2008 hatte er den Lehrstuhl für Public Understanding of Science an der Universität Oxford inne.
Sein Buch Das egoistische Gen gilt als zentrales Werk der Evolutionsbiologie. Seine Streitschrift Der Gotteswahn ist ein Bestseller.
RICHARD DAWKINS
Aus dem Englischen
von Sebastian Vogel
Ullstein
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel Outgrowing God. A Beginner’s Guide bei Penguin Random House, UK
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ISBN 978-3-8437-2128-8
© 2019 Richard Dawkins
© der deutschsprachigen Ausgabe Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019
Lektorat: Dunja Reulein
Illustrationen im Innenteil: Jana Lenzova
Umschlaggestaltung: Rudolf Linn nach einer Vorlage von © Bantam Press.
E-Book: LVD GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
Für William
Und alle jungen Leute, sobald sie alt genug sind, für sich selbst zu entscheiden
Teil 1
Tschüss, Gott!
· 1 ·
So viele Götter!
Glaubst du an Gott?
An welchen Gott?
Im Lauf der Geschichte wurden auf der Welt Tausende von Göttern angebetet. Polytheisten glauben an viele Götter gleichzeitig (das griechische Wort theos bedeutet »Gott«, und poly sind »viele«). Der Obergott der Wikinger war Wotan (oder Odin). Dann gab es Baldur (den Gott der Schönheit), Thor (den Donnergott mit seinem riesigen Hammer) und dessen Tochter Thrud. Es gab Snotra (die Göttin der Klugheit), Frigg (die Göttin der Mutterschaft) und Ran (die Meeresgöttin).
Auch die alten Griechen und Römer waren Polytheisten. Ihre Götter waren wie die der Wikinger sehr menschenähnlich und hatten starke menschliche Begierden und Gefühle. Die zwölf griechischen Götter und Göttinnen werden häufig neben ihre römischen Entsprechungen gestellt, die angeblich die gleichen Aufgaben erfüllten: der Götterkönig Zeus (römisch Jupiter) mit seinen Donnerkeilen; seine Frau Hera (Juno); der Meeresgott Poseidon (Neptun); Aphrodite (Venus), die Göttin der Liebe; der Götterbote Hermes (Merkur), der sich mittels geflügelter Sandalen fortbewegte; und Dionysos (Bacchus), der Gott des Weines. Unter den wichtigsten Religionen, die bis heute überlebt haben, ist der Hinduismus mit Tausenden von Göttern ebenfalls polytheistisch.
Unzählige Griechen und Römer hielten ihre Götter für echt – man betete zu ihnen, opferte ihnen Tiere, dankte ihnen, wenn man Glück gehabt hatte, und machte ihnen Vorwürfe, wenn etwas schiefgegangen war. Woher wissen wir, dass diese antiken Götter nicht die richtigen waren? Warum glaubt heute niemand mehr an Zeus? Genau können wir es nicht wissen, aber die meisten von uns bezeichnen sich voller Selbstbewusstsein im Hinblick auf diese alten Götter als »Atheisten« (ein »Theist« ist jemand, der an einen Gott oder auch mehrere glaubt; ein Atheist – das »a« steht für »nicht« – tut das nicht). Die Römer bezeichneten früher die Christen als Atheisten, weil sie nicht an Juno, Neptun und ihresgleichen glaubten. Heute verwenden wir das Wort für Menschen, die an keinerlei Götter glauben.
Wie vermutlich du, so glaube auch ich nicht an Jupiter oder Poseidon, Thor oder Venus, Cupido oder Snotra, Mars oder Odin oder Apollon. Ich glaube auch nicht an altägyptische Götter wie Osiris, Thot, Nut, Anubis oder seinen Bruder Horus, der angeblich wie Jesus und viele andere Götter aus der ganzen Welt von einer Jungfrau zur Welt gebracht wurde. Ich glaube nicht an Hadad oder Enlil oder Anu oder Dagon oder Marduk oder irgendeinen altbabylonischen Gott.
Ich glaube nicht an Anyanwu, Mawu, Ngai oder einen der Sonnengötter Afrikas. Ebenso glaube ich nicht an Bila, Gnowee, Wala, Wuriupranili, Karraur oder eine der Sonnengöttinnen der australischen Ureinwohnerstämme. Ich glaube nicht an die vielen keltischen Götter und Göttinnen wie die irische Sonnengöttin Edain oder den Mondgott Elatha. Ich glaube weder an die chinesische Wassergöttin Mazu noch an den Haigott Dakuwaqa von den Fidschi-Inseln oder den hethitischen Meeresdrachen Illuyanka. Ich glaube an keinen der Hunderte und Aberhunderte von Himmelsgöttern, Flussgöttern, Meeresgöttern, Sonnengöttern, Sternengöttern, Mondgöttern, Wettergöttern, Waldgöttern … so viele Götter, und an keinen davon muss man glauben.
Ich glaube auch nicht an Jahwe, den Gott der Juden. An ihn glaubst du wahrscheinlich, wenn du als Jude, Christ oder Muslim aufgewachsen bist. Der jüdische Gott wurde von den Christen und (unter dem arabischen Namen Allah) von den Muslimen übernommen. Christentum und Islam sind Ableger der alten jüdischen Religion. Der erste Teil der christlichen Bibel ist rein jüdisch, und das heilige Buch der Muslime, der Koran, leitet sich teilweise von jüdischen Schriften ab. Diese drei Religionen – Judentum, Christentum und Islam – werden oft zusammenfassend als »abrahamitische« Religionen bezeichnet, weil alle drei ihre Wurzeln auf den mythischen Stammvater Abraham zurückführen, der auch als Begründer des jüdischen Volkes verehrt wird. Abraham wird uns in einem späteren Kapitel wieder begegnen.
Alle drei Religionen werden auch als monotheistisch bezeichnet, weil ihre Mitglieder behaupten, sie würden nur an einen Gott glauben. Dass ich »behaupten« sage, hat mehrere Gründe. Jahwe, heute der beherrschende Gott, den die meisten Menschen meinen, wenn sie »Gott« sagen, fing relativ klein an als Stammesgott der alten Israeliten, die sich für sein »auserwähltes Volk« hielten und glaubten, er werde für sie sorgen. (Dass Jahwe heute auf der ganzen Welt angebetet wird, ist ein historischer Zufall: Es liegt daran, dass Kaiser Konstantin das Christentum 312 n. Chr. zur Staatsreligion des Römischen Reiches machte.) Die Nachbarstämme hatten ihre eigenen Götter, die ihnen nach ihrem Glauben besonderen Schutz gewährten. Und auch wenn die Israeliten ihren Gott Jahwe anbeteten, heißt das nicht zwangsläufig, dass sie nicht auch an andere Götter glaubten, so an Baal, den Fruchtbarkeitsgott der Kanaaniter; sie hielten Jahwe nur für mächtiger – und (wie wir später noch genauer erfahren werden) für extrem eifersüchtig: Wehe dem, der dabei erwischt wurde, wie er mit einem der anderen Götter liebäugelte.
Auch der Monotheismus der heutigen Christen und Muslime ist zweifelhaft. Sie glauben beispielsweise an einen bösen »Teufel« namens Satan (im Christentum) oder Schaitan (im Islam). Er ist auch unter verschiedenen anderen Namen bekannt, wie Beelzebub, Old Nick, der Böse, der Widersacher, Belial oder Luzifer. Sie würden ihn nicht als Gott bezeichnen, schreiben ihm aber göttliche Kräfte zu, und es heißt, er führe mit seinen Kräften des Bösen einen gigantischen Krieg gegen die guten Kräfte Gottes. Religionen erben häufig Ideen von älteren Religionen. Die Vorstellung von einem kosmischen Krieg zwischen Gut und Böse geht wahrscheinlich auf den Zoroastrismus zurück, eine frühe Religion, die von dem persischen Propheten Zoroaster (auch Zarathustra genannt) gegründet wurde und Einfluss auf die abrahamitischen Religionen hatte. Der Zoroastrismus war eine Zwei-Götter-Religion, in der ein guter Gott (Ahura Mazda) gegen den Gott des Bösen (Angra Mainyu) kämpfte. Noch heute gibt es insbesondere in Indien einige Zoroastrianer. Auch das ist eine Religion, an die ich nicht glaube, und du vermutlich auch nicht.
Zu den eher seltsamen Vorwürfen, die insbesondere in Amerika und in islamischen Ländern gegen Atheisten erhoben werden, gehört die Behauptung, sie würden den Satan anbeten. Natürlich glauben Atheisten ebenso wenig an böse Götter wie an gute. Sie glauben an überhaupt nichts Übernatürliches. Nur religiöse Menschen glauben an den Satan.
Das Christentum grenzt auch in anderer Hinsicht an Polytheismus. »Vater, Sohn und Heiliger Geist« werden als »Dreieinigkeit« oder »Dreifaltigkeit« bezeichnet. Was das genau bedeutet, wurde im Lauf der Jahrhunderte immer wieder hitzig und oftmals unter Gewaltanwendung diskutiert. Es hört sich wie eine Formel an, mit der man den Polytheismus in das Korsett des Monotheismus zwängen will. Es ist also verzeihlich, wenn man von Tritheismus spricht. In der Geschichte des Christentums wurde die erste Spaltung in östliche (orthodoxe) und westliche (römisch-katholische) Kirche im Wesentlichen durch Meinungsverschiedenheiten über folgende Frage ausgelöst: Geht der Heilige Geist aus dem Vater und dem Sohn hervor (was das auch heißen mag) oder nur aus dem Vater? Theologen verwenden tatsächlich ihre Zeit darauf, über solche Dinge nachzudenken.
Und dann gibt es Maria, die Mutter Jesu. Für Katholiken ist Maria in jeder Hinsicht mit Ausnahme des Namens eine Göttin. Sie streiten zwar ab, dass Maria eine Göttin ist, beten sie aber dennoch an. Sie glauben, Maria habe »unbefleckt empfangen«. Was bedeutet das? Nun ja, Katholiken glauben, wir seien alle »in Sünde geboren«. Selbst kleine Babys, von denen man meinen könnte, sie seien zu jung zum Sündigen. Jedenfalls war Maria (wie Jesus) nach Ansicht der Katholiken eine Ausnahme. Wir anderen erben alle die Sünde Adams, des ersten Mannes. In Wirklichkeit hat es Adam nie gegeben, also konnte er auch nicht sündigen. Aber von solchen kleinen Details lassen sich katholische Theologen nicht abschrecken. Katholiken glauben auch, Maria sei nicht wie alle anderen Menschen gestorben, sondern körperlich in den Himmel »aufgefahren«. Sie gilt ihnen als »Himmelskönigin« (manchmal sogar als »Königin des Universums«!), die oben auf dem Kopf eine kleine Krone balanciert. All diese Dinge, so scheint es, machen sie mindestens ebenso sehr zu einer Göttin wie die Tausenden und Abertausenden von hinduistischen Gottheiten (die in der Vorstellung der Hindus selbst nur verschiedene Spielarten eines einzigen Gottes sind). Wenn Griechen, Römer und Wikinger Polytheisten waren, sind es die Katholiken auch.
Katholiken beten auch einzelne Heilige an, tote Menschen, die als besonders heilig gelten und von einem Papst »kanonisiert« wurden. Papst Johannes Paul II. kanonisierte 482 neue Heilige, und der derzeitige Papst Franziskus nahm an einem einzigen Tag nicht weniger als 813 Heiligsprechungen vor. Viele Heilige sollen besondere Fähigkeiten haben, und deshalb lohnt es sich, zu ihnen zu beten, wenn man ein bestimmtes Anliegen hat oder zu einer bestimmten Menschengruppe gehört. Der heilige Andreas ist der Schutzpatron der Fischhändler, der heilige Thomas ist der Schutzpatron der Architekten, der heilige Donatus der Schutzpatron der Winzer, der heilige Vinzenz der Schutzpatron der Holzfäller, die heilige Lidwina die Schutzpatronin der Schlittschuhläufer. Wer um Geduld beten muss, dem wird ein Katholik vielleicht raten, sich an die heilige Rita von Cascia zu wenden. Wenn der Glaube wankt, kann man es mit dem heiligen Johannes vom Kreuz versuchen. Wenn jemand Kummer oder seelische Furcht empfindet, ist die heilige Dymphna vielleicht am besten. Krebskranke versuchen es gern beim heiligen Peregrinus Laziosi. Wenn man die Schlüssel verloren hat, ist der heilige Antonius der Richtige. Dann gibt es noch die Engel mit ihren verschiedenen Rängen von den Seraphim an der Spitze über die Erzengel bis hinunter zum persönlichen Schutzengel. Auch hier werden Katholiken abstreiten, dass es sich bei den Engeln um Götter oder Halbgötter handelt, und sie werden auch einwenden, dass man zu Heiligen eigentlich nicht betet, sondern sie nur bittet, bei Gott ein gutes Wort einzulegen. Muslime glauben ebenfalls an Engel, außerdem an Dämonen, die sie Dschinns nennen.
Nach meiner Ansicht spielt es keine Rolle, ob Maria, die Heiligen und die Erzengel nun Götter, Halbgötter oder keines von beiden sind. Darüber zu streiten, ob Engel Halbgötter sind, ist das Gleiche, als würde man fragen, ob Feen das Gleiche sind wie Elfen.
An Feen und Elfen glaubst du vermutlich nicht, aber wahrscheinlich bis du in einer der drei abrahamitischen Glaubensrichtungen als Jude, Christ oder Muslim aufgewachsen. Ich wurde zufällig christlich erzogen. Ich ging auf christliche Schulen und wurde mit dreizehn Jahren in der anglikanischen Kirche konfirmiert. Mit fünfzehn gab ich das Christentum schließlich auf. Unter anderem hatte das folgenden Grund: Schon mit neun Jahren war mir klar, dass ich fest an Odin und Thor geglaubt hätte, wenn meine Eltern Wikinger gewesen wären. Wäre ich im alten Griechenland geboren worden, hätte ich Zeus und Aphrodite angebetet. Wenn ich in der heutigen Zeit in Pakistan oder Ägypten das Licht der Welt erblickt hätte, würde ich glauben, dass Jesus nur ein Prophet war, aber nicht der Sohn Gottes, wie es die christlichen Priester lehren. Und wenn ich das Kind jüdischer Eltern wäre, würde ich nicht glauben, dass Jesus der Messias war, wie ich es in meinen christlichen Schulen gelernt hatte, sondern ich würde noch heute auf den Messias warten. Menschen, die in verschiedenen Ländern aufwachsen, machen es ihren Eltern nach und glauben an den Gott oder die Götter ihres Landes. Diese Glaubensrichtungen widersprechen einander, also können nicht alle richtig sein.
Und wenn eine davon richtig wäre: Warum sollte das ausgerechnet diejenige sein, die du zufällig in dem Land, in dem du geboren wurdest, geerbt hast? Man muss kein Zyniker sein, um ungefähr Folgendes zu denken: »Ist es nicht bemerkenswert, dass nahezu jedes Kind derselben Religion angehört wie seine Eltern, und dass das immer zufällig die richtige Religion ist?« Eines meiner Lieblingsärgernisse ist die Gewohnheit, Kinder mit der Religion ihrer Eltern zu etikettieren: »katholisches Kind«, »protestantisches Kind«, »muslimisches Kind«. Solche Aussagen hört man über Kinder, die so klein sind, dass sie noch nicht sprechen können, von religiösen Überzeugungen ganz zu schweigen! Mir kommt das ebenso absurd vor, als würde man von einem »sozialistischen Kind« oder einem »konservativen Kind« sprechen, und tatsächlich würde niemand solche Formulierungen verwenden. Auch von »atheistischen Kindern« sollten wir meiner Meinung nach nicht sprechen.
Nun noch ein paar Bezeichnungen für ungläubige Menschen. Viele vermeiden das Wort »Atheist«, obwohl sie an keinen mit einem Namen versehenen Gott glauben. Manche sagen einfach »ich weiß es nicht, wir können es nicht wissen«. Solche Menschen bezeichnen sich als »Agnostiker«. Der Begriff (der auf das griechische Wort für »Unwissen« zurückgeht) wurde von Thomas Henry Huxley geprägt, einem Freund von Charles Darwin. Huxley wurde vielfach als »Darwins Bulldogge« bezeichnet, weil er sich öffentlich für Darwin einsetzte, wenn dieser selbst zu schüchtern, zu beschäftigt oder zu krank war. Nach Ansicht mancher Menschen, die sich Agnostiker nennen, ist es gleichermaßen wahrscheinlich, dass es Götter gibt oder nicht. Ich halte das für eine ziemlich schwache Ausrede, und Huxley hätte mir zugestimmt. Wir können auch nicht beweisen, dass es keine Feen gibt, aber das heißt nicht, dass die Chance, dass Feen existieren, fünfzig zu fünfzig beträgt. Vernünftigere Agnostiker erklären, sie könnten es nicht sicher wissen, halten es aber für sehr unwahrscheinlich, dass es irgendwelche Götter gibt. Andere halten es vielleicht nicht für unwahrscheinlich, sagen aber, wir wüssten es einfach nicht.
Manche Menschen glauben auch nicht an Götter, die einen Namen tragen, sehnen sich aber nach »einer höheren Macht«, einem »reinen Geist«, einer kreativen Intelligenz, über die wir nichts wissen, außer dass sie das Universum erschaffen hat. Sie sagen dann vielleicht: »Nun ja, an Gott« – womit sie vermutlich den abrahamitischen Gott meinen – »glaube ich nicht, aber ich kann mir auch nicht vorstellen, dass das hier alles ist. Es muss doch noch mehr geben, etwas darüber Hinausgehendes.«
Manche derartige Menschen nennen sich »Pantheisten«. In der Frage, was sie glauben, sind sie ein wenig vage. Sie sagen Dinge wie »mein Gott ist alles«, »mein Gott ist die Natur« oder »mein Gott ist das Universum«. Oder »Mein Gott ist das Geheimnis von allem, was wir nicht verstehen«. Ungefähr in diesem zuletzt genannten Sinn bediente sich der große Physiker Albert Einstein des Wortes »Gott«. Das ist etwas ganz anderes als ein Gott, der unsere Gebete erhört, unsere innersten Gedanken lesen kann und unsere Sünden vergibt (oder bestraft) – was der abrahamitische Gott angeblich alles kann. Einstein erklärte klipp und klar, dass er nicht an einen persönlichen Gott glaube, der solche Dinge tut.
Andere, die sich selbst »Deisten« nennen, glauben an keinen der mit Namen versehenen Götter aus der Geschichte. Aber sie glauben im Vergleich zu den Pantheisten an etwas ein bisschen Konkreteres: an eine kreative Intelligenz, die die Gesetze des Universums erfunden und am Anbeginn von Raum und Zeit alles in Bewegung gesetzt hat, um sich dann zurückzulehnen und nichts mehr zu tun. Sie ließ nur noch alles nach den Gesetzen geschehen, die sie (es?) festgelegt hatte. Einige Gründerväter der Vereinigten Staaten, Männer wie Thomas Jefferson und James Madison, waren Deisten. Mein Verdacht: Hätten sie nicht im 18. Jahrhundert, sondern nach Charles Darwin gelebt, wären sie Atheisten gewesen; beweisen kann ich das allerdings nicht.
Wenn Menschen sich als Atheisten bezeichnen, meinen sie damit nicht, sie könnten beweisen, dass es keine Götter gibt. Zu beweisen, dass etwas nicht existiert, ist streng genommen niemals möglich. Dass es keine Götter gibt, wissen wir letztlich ebenso wenig, wie wir beweisen können, dass Feen oder Elfen oder Kobolde oder Trolle oder rosa Einhörner nicht existieren; genauso wenig können wir beweisen, dass es den Weihnachtsmann, den Osterhasen oder die Zahnfee nicht gibt. Wir können uns unzählige Dinge ausdenken, und niemand kann uns widerlegen. Diese Tatsache verdeutlichte der Philosoph Bertrand Russell sehr eindringlich mit einem Wortspiel. Wenn ich dir erzähle, so sagte er, dass sich eine Porzellanteekanne in einer Umlaufbahn um die Sonne befindet, könntest du meine Behauptung nicht widerlegen. Aber wenn man etwas nicht widerlegen kann, ist das kein stichhaltiger Grund, es zu glauben. In einem strengen Sinn wären wir also alle »Teekannen-Agnostiker«. In der Praxis sind wir A-Teekannisten. Atheist (streng genommen also Agnostiker) kann man ebenso sein, wie man A-Teekannist, A-Feeist, A-Elfist-, A-Einhornist oder A-was-du-dir-ausdenken-kannst-ist sein kann.
Streng genommen sollten wir also im Hinblick auf die unzähligen Dinge, die wir uns ausmalen und nicht widerlegen können, Agnostiker sein. Aber wir glauben nicht an sie. Solange nicht jemand einen guten Grund nennt, warum wir daran glauben sollen, ist es Zeitvergeudung, uns darum zu bemühen. Diese Einstellung haben wir alle gegenüber Thor und Apollo und Ra und Marduk und Mithras und dem Großen Juju auf dem Berg. Können wir nicht einen Schritt weiter gehen und genauso auch über Jahwe oder Allah denken?
»Solange nicht jemand einen guten Grund nennt«, habe ich gesagt. Nun ja, viele Menschen haben vermeintliche Gründe dafür genannt, warum sie an diesen oder jenen Gott glauben sollten. Oder auch an eine nicht benannte »höhere Macht« oder eine »kreative Intelligenz«. Wir müssen uns also diese Gründe ansehen und feststellen, ob es wirklich gute Gründe sind. Einige davon werden wir in diesem Buch betrachten, insbesondere im zweiten Teil, der von Evolution handelt.
Über dieses große Thema möchte ich hier nur sagen: Die Evolution ist eine eindeutige Tatsache. Wir sind die Vettern der Schimpansen, etwas weiter entfernte Vettern der Kleinaffen, sehr weit entfernte Vettern der Fische und so weiter.
Viele Menschen glauben wegen bestimmter Schriften an ihren Gott oder ihre Götter: wegen der Bibel, des Korans oder eines anderen heiligen Buches. Dieses Kapitel hat dich vielleicht bereits darauf eingestimmt, an solchen Gründen für den Glauben zu zweifeln. Es gibt so viele Glaubensrichtungen. Woher weißt du, dass das heilige Buch, mit dem du aufgewachsen bist, das richtige ist? Und wenn alle anderen unrecht haben, wie kommst du dann darauf, dass nicht auch dein heiliges Buch unrecht hat? Viele von euch, die diese Zeilen lesen, sind wahrscheinlich mit einem ganz bestimmten heiligen Buch groß geworden: der Bibel der Christen. Das nächste Kapitel handelt von der Bibel. Wer hat sie geschrieben, und welche Gründe könnte man haben, daran zu glauben, dass ihre Aussagen wahr sind?
· 2 ·
Aber ist es wahr?