Mit allen Mitteln forciert der Westen
einen neuen großen Krieg gegen Russland
Ein Rubikon-Buch
Die Artikel entsprechen dem Bearbeitungsstand bei Veröffentlichung im Rubikon.
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eISBN: 978-3-946778-10-3
Covergestaltung: pleasantnet
© fyfty-fyfty ein Imprint von Westend Verlag GmbH
Jens Wernicke: Die ideologische Mobilmachung
Hannes Hofbauer: Der Propaganda-Krieg
Ivan Rodionov: Die Medien spielen Krieg
Hermann Ploppa: Der ewige Krieg gegen Russland
Stefan Korinth: Russophobie und Größenwahn
Karin Leukefeld: Die Herren der Welt
Volker Bräutigam, Friedhelm Klinkhammer: Die Realitäts-Verdreher
Nicolas Riedl: Die Kriegshetzer
Ulrich Teusch: Der Krieg vor dem Krieg
Florian Kirner: Die Rückzugs-Kriege
Kilez More: Krieg gegen die Friedensbewegung
Chris Hedges: Verrat an Russland
Bernhard Trautvetter: Mit dem Zweiten killt man besser
Werner Ruf: Die Welt in Gefahr
Werner Ruf: Endlich Atommacht!
Armin Wertz: Der endlose Krieg
Jens Lehrich, Jens Wernicke: „Sollen die Russen doch kommen!“
Peter Frey: Die Weltbeherrscher
Jens Bernert: Dressiert wie Pawlowsche Hunde
Roland Rottenfußer: Warum Krieg?
Jens Bernert: Die Lügen der Macht
Ullrich Mies: Die heimlichen Herrscher
Hannes Hofbauer: Die Putin-Versteher
Andrea Drescher: Der verschwiegene Krieg
Ivan Rodionov: Die NATO und Russland
Jens Bernert: NATO-Faschismus
Ulrich Heyden: Der große Krieg
Ulrich Heyden: Die Krim und das Völkerrecht
Ulrich Heyden: Die Kriegserinnerungen
Andreas von Westphalen: Das Skripal-Labyrinth
Andreas von Westphalen: Fragwürdige Erinnerung
Stefan Korinth: Der Abschuss
Stefan Korinth: Der Maidan-Fake (1)
Stefan Korinth: Der Maidan-Fake (2)
Hermann Ploppa: Der Faschismus-Coup
Hermann Ploppa: Totalitarismus 2.0
Nina Forberger: „Viele Menschen sind einfach müde vom Krieg“
Madita Hampe: Die geliebten Herrscher
Daniele Ganser: Kriegsverbrecher auf freiem Fuß
Daniele Ganser: Der Kampf um unsere Köpfe
Jens Wernicke: Vorsicht, Verschwörungstheorie!
Jens Wernicke: Lügen die Medien?
Christiane Borowy: Der alltägliche Krieg in unseren Köpfen
Susanne Holsteiner, Jens Wernicke: Respekt für den Frieden
Florian Kirner: Krieg ist heilbar!
Jens Wernicke: Ist die Welt überhaupt noch zu retten?
Erich Fromm, Jens Wernicke: Wege der Befreiung
Mit allen Kräften forciert der Westen einen neuen großen Krieg.
von Jens Wernicke
Nach zwei Weltkriegen, in denen sich Deutschland jedes Mal angeblich gegen Russland „verteidigte“, darf von deutschem Boden nur noch Frieden ausgehen. Dies hatten sich viele angesichts der Trümmerlandschaften nach 1945 geschworen. Nun wird erneut für einen großen, verheerenden Krieg mobil gemacht. In den Waffenfabriken sowie in den Medien der „Heimatfront“, die ihre vornehmste Aufgabe darin zu sehen scheinen, die Köpfe der kriegsskeptischen Bürger mit Propagandaphrasen sturmreif zu schreiben. Das betrifft unser ureigenstes Metier: den engagierten Journalismus. Der Rubikon hat für sein Freitags-Samstags-Special „Frieden mit Russland!“ daher die hellsten Köpfe der Friedensbewegung versammelt, um ein machtvolles Gegengewicht zu schaffen. Hier erklärt Rubikon-Herausgeber Jens Wernicke, warum dies gerade heute so wichtig ist.
Liebe Leserinnen und Leser,
nein, es ist leider kein Scherz:
Mit allen Kräften forciert die sogenannte westliche Wertegemeinschaft – allen voran die USA – einen neuen großen Krieg gegen Russland.
Das Menschheitsverbrechen ist bereits geplant, die Kriegsvorbereitungen laufen. Truppen werden gen Osten verlegt und die Straßen in Richtung Russland panzerfest gemacht.
Und selbstverständlich wird, um das Feindbild des bösen Russen wieder einmal in den Köpfen und Herzen der Menschen zu verankern, politisch und medial gelogen, dass sich die Balken biegen, wird Geschichte verfälscht und ist grundsätzlich jedes Mittel recht und kein „Kollateralschaden“ zu groß.
Angesichts dieser Lage kommt man nicht umhin, unsere aktuelle Lebenszeit als Vorkriegszeit sowie die pausenlos über uns alle erbrochene Propaganda als „ideologische Mobilmachung“ der Republik zu verstehen.
Es ist daher höchste Zeit, aufzustehen. Zeit, die eigene Stimme zu erheben. Zeit, Position zu beziehen. Für jeden und jede von uns.
Egal, was jeder und jede von uns tun kann: Tun wir es. Egal, wie klein oder unbedeutend es erscheint – es ist richtig und wichtig. Genau jetzt!
Dieser Krieg wird nicht nur nicht in unserem Namen stattfinden – nein, wir vom Rubikon werden alle gemeinsam alles in unserer Macht Stehende tun, ihn zu verhindern.
Die „Rettung“ wird dabei nicht von oben, von einem Führer oder Gott oder Politikern kommen – sie kommt, wenn genug von uns bereit sind, das Nötige zu tun, die Wahrheit auszusprechen und sich den Kriegshetzern entschieden in den Weg zu stellen, von „unten“, durch uns.
An diesem Freitag und Samstag veröffentlichen wir daher im Rahmen einer Doppel-Sonderausgabe rund 20 Artikel gegen die aktuelle Kriegshetze und für den Frieden im Rubikon. Nennen Ross und Reiter, spießen Doppelzüngigkeit und Verlogenheit mit spitzer Feder auf und bringen mutig jene Fakten ans Licht, die Sie in anderen Medien kaum auffinden werden.
Unterstützen Sie uns und unser Anliegen, indem Sie diese, unsere Texte soweit wie möglich verbreiten. Sei es per E-Mail, über die immer häufiger und rigider zensierten sozialen Medien oder als Ausdruck, den Sie Freunden in die Hand drücken können.
Das Einfachste überhaupt, das Sie nur wenige Minuten kostet, dem Frieden jedoch viel hilft: Bestellen sie unseren Newsletter und senden ihn, wenn er Sie am Samstagnachmittag schließlich erreicht, mit einigen persönlichen Worten versehen an alle Menschen in Ihrem E-Mail-Adressbuch. Niemand kann das zensieren, niemand kann es verhindern. Es ist persönlich und bewirkt ganz sicher etwas.
Wir sind viele, die Mehrheit, wir sind die 99 Prozent – vergessen Sie das nicht!
Wenn jeder und jede unter unseren 150.000 Leserinnen und Lesern dies täte, würden wir mit einem Mal Millionen Menschen erreichen – ebenso viele wie die Kriegshetzer an jedem einzelnen Tag.
Und schreiben Sie uns Ihre Stimme und Position wider die aktuelle Propaganda auf eigentlich allen Kanälen an leseraktion@rubikon.news. Wir werden Ihre Zuschriften an einem der kommenden Samstage veröffentlichen.
Rubikon ist ein aktives, plurales, basisdemokratisches, dynamisches, lebendiges und, Sie gestatten, stets rotzfreches Projekt, das konsequent gegen Zensur sowie für Klarheit, Wahrheit, Pluralität und Frieden agiert und sich keinem Dogma und keiner Macht je beugen wird.
Rubikon war, ist und bleibt zudem ein Projekt, das stets zum Mitmachen und Selberdenken ermutigt und Ihr ganz eigenes Engagement im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützen wird.
Werden wir gemeinsam aktiv – vor allem für den Frieden und die Wahrheit in diesem, unserem eigenen Land!
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Neben militärischen Drohgebährden und wirtschaftlicher Strangulierung setzen die USA vor allem Medienhetze ein, um Russland zu bekämpfen.
von Hannes Hofbauer
Wenn es gleichgültig wäre, was „Schreiberlinge“ Tag für Tag in ihre Notebooks tippen – wie ließe sich dann erklären, dass Machthaber fast immer und überall versuchen, auf Journalisten Einfluss zu nehmen? Dass sie die Kontrolle über die Medien suchen, die ihrerseits Kontrolle über die Köpfe von Millionen Menschen ausüben? Neben militärischer Aufrüstung – so ziemlich das Einzige, worin die USA wirklich die Größten sind – und Wirtschaftssanktionen, die eine Form lautloser Kriegsführung darstellen, gewinnt eine dritte Kriegstechnik immer mehr an Bedeutung: die kriegsvorbereitende und -begleitende Medienmanipulation. Hannes Hofbauer, Autor von „Feinbild Russland“, dokumentiert die Tätigkeit der Task Forces für „strategische Kommunikation.“
NATO-Kampftruppen stehen vom Baltikum bis nach Rumänien, wo das Militärareal Deveselu zugleich den größten US-Stützpunkt der USA in den ehemaligen Warschauer Vertragsstaaten beherbergt. Seit Juni 2019 ist dort das gegen Russland gerichtete antiballistische Raketenabwehrsystem THAAD stationiert.
Anfang August 2019 haben dann die USA den INF-Vertrag auslaufen lassen, der über 30 Jahre die Aufstellung von nuklear bestückten Mittelstreckenraketen verhinderte. Donald Trump hatte ihn einseitig am 1. Februar 2019 gekündigt, obwohl er 1987 auf unbeschränkte Dauer geschlossen worden war.
Schon 15 Jahre vor Trump stiegen die USA unter George Bush dem Jüngeren aus dem ABM-Vertrag aus, der den Bau von Raketenabwehrsystemen begrenzte. Seither wird in Rumänien – siehe Deveselu – und Polen eifrig an Raketenschutzschirmen gebastelt. Ihre lückenlose Aufstellung würde die russische Zweitschlagskapazität unterlaufen und damit einen atomaren Erstschlag der USA möglich machen.
Den militärischen Vormarsch der westlichen Allianz in Richtung Russland kann man schon allein an der Osterweiterung der NATO absehen, indem man sich eine Landkarte vor Augen hält und die NATO-Mitglieder des Jahres 1990 und des Jahres 2019 jeweils schwarz einfärbt.
Seit 20 Jahren ergießt sich die schwarze Farbe von West nach Ost. Nur zwei Wochen vor dem ersten Out-of-Area-Einsatz des US-geführten Militärbündnisses gegen Jugoslawien waren die ersten drei ehemaligen „Ostblock“-Staaten – Polen, Tschechien, Ungarn – am 12. März 1999 der NATO beigetreten; und befanden sich flugs im Krieg.
Neben Aufrüstung und Kriegsgeheul packten die USA und die Europäische Union auch wirtschaftlich die Keule gegen Russland aus. Seit Anfang März 2014 haben Washington und Brüssel gleichzeitig Sanktionen gegen missliebige russische und ukrainische Politiker erlassen, um damit – so das wenig glaubhafte Argument – den Zerfall der Ukraine zu verhindern.
Am 28. April 2014 wurde aus dem Sanktionsregime gegen einzelne Personen ein Wirtschaftskrieg. Embargos für ganze Branchen werden seither halbjährlich verlängert und von den USA zuletzt am 1. August 2019 verschärft.
Dies ist insofern bemerkenswert, als dass die westlichen Eliten jahrelang damit beschäftigt waren, die Russische Föderation in die Welthandelsorganisation (WTO) zu führen und damit den großen Markt im Osten weiter zu öffnen. Gelungen war dies am 22. August 2012. Zu diesem Datum trat Moskau der WTO bei, um eineinhalb Jahre später mit Wirtschaftsembargo belegt zu werden.
Daraus ersieht man, dass die Freimarkt-Ideologie ihren Vertretern bloß als Instrument dient, das jederzeit – bei angeblichem Fehlverhalten des ökonomisch schwächeren „Partners“ – aufgehoben werden kann. Die Liste jener Länder, die seit den 1990er Jahren von US- oder UN-Embargos betroffen waren und sind, ist lang und umfasst mehr als zwei Dutzend Staaten.
Neben dem militärischen Vormarsch des Westens und wirtschaftlichen Strangulierungsversuchen gegen Russland vergisst man oft eine dritte, wichtige Ebene in der Auseinandersetzung: den Kampf um die Hirne, mit anderen Worten: den medialen Krieg.
Auch dabei fahren die USA mit großem Geschütz auf. Ende 2017 zwangen sie den russischen Sender rt.com, sich als „ausländischen Agenten“ zu registrieren. Dies geschah ironischerweise nach einem Gesetz aus dem Jahr 1938, als es darum ging, Nazi-Propaganda zu unterdrücken.
Die Punzierung als „ausländischer Agent“ hat die Folge, dass das betreffende Medienunternehmen sämtliche Publikationen und Sendeformate binnen 48 Stunden den justizministeriellen Behörden zugänglich machen muss, inklusive aller journalistischen Aktivitäten, die dazugehören. Die Europäische Union wiederum setzt auf eine EU-weit tätige Zensurbehörde, die freilich nicht so heißt.
Eine von Brüssel aufgestellte sogenannte Task Force für strategische Kommunikation kämpft seit drei Jahren gegen medialen russischen Einfluss auf EU-europäische Hirne. Am 23. November 2016 erfolgte der entsprechende Startschuss durch einen EU-Parlamentsbeschluss. In der Presseaussendung zur mehrheitlich beschlossenen Resolution heißt es:
„Propagandistischer Druck auf die EU vonseiten Russlands und islamischer Terroristen wächst ständig. Dieser Druck zielt darauf, die Wahrheit zu torpedieren, Angst zu verbreiten, Zweifel zu provozieren und die EU auseinanderzudividieren.“
Dagegen müsse die kurz zuvor gegründete Task Force verstärkt eingesetzt werden, „um in Wachsamkeit und Erziehung zu investieren“. Abgesehen von der unerträglichen Provokation, russische und Medien des „Islamischen Staates“ in einem Atemzug zu nennen, war damit die Struktur einer Zensurbehörde geschaffen, die sämtliche in EU-Europa zugängliche russische Medien permanent screent und Material für eine mögliche zukünftige Schließung sammelt.
Mitte Juni 2019 haben die Datensammler der Task Force einen „Bericht über die Umsetzung des Aktionsplanes gegen Desinformation“ vorgelegt. Darin ist auch dankenswerterweise eine Definition des Begriffs „Desinformation“ enthalten.
Demnach zielt eine solche darauf ab, „abzulenken und zu spalten, durch die Verdrehung und Verfälschung von Tatsachen Zweifel zu sähen und so die Menschen zu verwirren und ihr Vertrauen in die Institutionen und die etablierten politischen Prozesse auszuhöhlen.“
Die Themenkreise, die die Task-Force-Leute besonders im Visier haben, bei denen sie also am meisten „Desinformation“ vorzufinden meinen, sind „die Infragestellung der demokratischen Legitimität der Union sowie Debatten über Migration und Souveränität“; mit anderen Worten: die großen Brüsseler Schwachstellen.
Seit Anfang 2019 haben die „Faktenchecker“ laut EU-Kommissionsbericht weit über 1.000 Fälle von russischer Desinformation aufgespürt, die allesamt auf der Homepage https://euvsdisinfo.eu/ transparent gemacht werden.
So beispielsweise ein Zitat von Wladimir Putin, in dem er Anfang Juni 2019 darauf hinweist, dass eine Vereinigung Russlands mit Weißrussland nicht zur Debatte stünde, weil sich unterschiedliche Staaten gebildet hätten, obwohl er, Putin, glaube, „dass Weißrussen, Russen und Ukrainer ein und dasselbe Volk sind“ (Sputnik Deutschland vom 7. Juni 2019).
Diesen Halbsatz werten die EU-Faktenprüfer als Desinformation, als typisches „Pro-Kreml-Narrativ“, das eine „imperiale und irredentistische Ideologie“ widerspiegle. Dem deutschsprachigen Leser soll damit eingebläut werden, einzig die Brüsseler beziehungsweise Berliner Sicht auf die Welt sei die richtige, da möge der zu beurteilende Erdteil auch noch so weit von daheim entfernt liegen. Die Botschaft lautet:
Schau ARD, lies Die Zeit und sieh bei der Homepage der EU-Task-Force nach, wenn Du Zweifel hast.
Noch absurder war das Desinformationsgeschrei der Faktenchecker über einen Bericht von sputnik.news vom 5. Juni 2019. Darin war vom „völkerrechtswidrigen Krieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien ab März 1999“ die Rede.
Falsch und gefährlich, meinte dazu die EU-Wahrheitskommission, denn es galt ihrzufolge damals, „die Gewalt und Repression zu stoppen und Milosevic zum Abzug seiner Polizei und paramilitärischen Truppen zu zwingen“. Punkt.
Nun weiß jeder, der es wissen will, dass die NATO-Intervention gegen Jugoslawien völkerrechtswidrig ohne UN-Mandat erfolgte. Freilich würde diese Sicht ihre Legitimität erschüttern. Das darf laut Brüsseler Vorgaben nicht geschehen, weswegen auch die weltweit anerkannte Wahrheit im EU-Diskurs eine Desinformation darstellt.
Eine der bislang letzten Eintragungen im Buch der – aus EU-Sicht – russisch ausgestreuten Unwahrheiten betrifft einen Bericht von Sputnik.Armenia. Dort war am 17. Juli 2019 zu lesen, dass der Westen nach dem Ende der Sowjetunion „in grober Weise in die inneren Angelegenheiten gewisser Staaten interveniert. (…) Die Ukraine ist ein himmelschreiendes Beispiel dafür“.
Desinformation!, lautet die Reaktion der EU-Kampagne. Und sie schiebt den Beweis dafür sogleich nach:
„Die Ukraine ist ein unabhängiger Staat mit einem demokratisch gewählten Präsidenten und Parlament.“
Für die Mitte Juli 2019 abgehaltenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen hat der Befund seine Richtigkeit, dass der Regimewechsel im Jahr 2014 allerdings mit westlicher Unterstützung und auch formal unter Bruch der ukrainischen Verfassung über den Majdan ging, daran muss jedoch erinnert werden dürfen, ohne als Desinformant denunziert zu werden.
Es soll hier nicht geleugnet werden, dass russische Medien propagandistisch agieren können und auch das gezielte Streuen von Desinformation beherrschen.
Mit ihrer eigens eingerichteten Task Force hat sich die Europäische Union aber zum Ziel gesetzt, russische Sichtweisen ganz allgemein zu delegitimieren. Zusätzlich nutzt sie ihren Zensurapparat, um den atlantisch-westlichen Blick als einzig gültigen zu implementieren.
Die Mainstream-Medien schüren Kriegsstimmung gegen Russland, verbreiten Propaganda und erklären Russia Today zum „Feindsender“.
von Ivan Rodionov
Aufklärung zu delegitimieren, ist eine ganz wesentliche Strategie im Medienkrieg. So erging es auch RT Deutsch, einem russischen Sender, der immer wieder mal blinde Flecken der üblichen westlichen Presseberichterstattung aufzeigt. Der Vorwurf, ausgerechnet diese Form der Gegenöffentlichkeit sei „Propaganda“, ist natürlich besonders peinlich, wenn sie von notorischen Kampfsendern des bellizistischen westlichen Establishments kommen – etwa dem ZDF, das unlängst durch besonders unsachliche Kriegshetze auffiel.
Es ist kurz vor vier Uhr morgens. Graue Leopard-Panzer mit Bundeswehr-Kreuz rattern in die Angriffsstellungen vor einem polnischen Dorf. Ihre Aufgabe – das Dorf „zurückzuerobern“. „Und wenn es niemand offen ausspricht“, sagt die Off-Stimme, es geht um die „Abschreckung Russlands“. Es ist Donnerstagabend, 22 Uhr in der Realwelt. Das Zweite Deutsche Fernsehen zeigt den Film „Alte Bündnisse – neue Bedrohungen“. Kurz davor hat Claus Kleber im heute journal erklärt, Russland habe den INF-Vertrag gebrochen und bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes habe die Rote Armee dem deutschen Gemetzel „vom anderen Ufer der Weichsel“ tatenlos zugeschaut. Die Amerikaner und die Briten dagegen seien nur zu weit entfernt gewesen.
„Ich werfe keine Bomben, ich mache Filme“ – so hat einmal der große Rebell des deutschen Films Rainer Werner Fassbinder die Wirkung seiner Werke beschrieben. Das kann im Prinzip auf andere, profanere publizistische Genres übertragen werden. Ihren Produkten fehlt zwar die künstlerische Wucht und die revolutionäre Bildsprache einer „Sehnsucht der Veronika Voss“. Doch der stete mediale Tropfen entfaltet auf Dauer eine nicht geringere Sprengkraft. Allein schon durch die Masse und die Omnipräsenz. Insbesondere wenn kein Gegengewicht, kein Kontrapunkt, kein Perspektivwechsel gegeben ist.
Der Rote Platz. Eine Fallschirmjägerformation marschiert im Gleichschritt auf dem Bildschirm über das Steinpflaster, Marschmusik bläst, Putin schaut von der Gästetribüne zu, Xi Jinping an seiner Seite. „Russland beansprucht Territorium“, erläutert Peter Tauber, CDU, den Zusammenhang. „Und erstmals seit dem 2. Weltkrieg nimmt sich ein Land dieses Territorium mit Waffengewalt“. „Es gibt definitiv eine Bedrohung, die von Russland ausgeht“ – pflichtet ihm Obamas Sicherheitsberaterin Julianne Smith bei.
Niemand widerspricht. Niemand fragt, was das für eine „Waffengewalt“ ist, wenn kein Schuss fällt und die Bevölkerung mit den „Besatzern“ unbekümmert Selfies macht. Keiner bohrt bei Claus Kleber nach, warum etwa die NATO das russische Inspektionsangebot der kritischen Rakete vor Ort ausgeschlagen hat und was es mit der langen Reihe der jüngsten US-Waffensysteme auf sich hat, die aus russischer Sicht gegen den Vertrag verstoßen. Auch die Tragik des Warschauer Aufstandes und seiner grausamen Niederlage bleibt der zynischen Untätigkeit der Roten Armee angeheftet. Dabei ist historisch dokumentiert, dass die Aufständischen der Armia Krajowa einen gemeinsamen Waffengang mit der Roten Armee, der an ihrer Seite kämpfenden Wojsko Polskie und den Partisanen der Armia Ludowa von Anfang an ausgeschlossen hatten.
Als die Stoßspitzen der Roten Armee die Weichsel nach einem beispiellosen Vormarsch über 500 Kilometer in 5 Wochen erreicht hatten, waren sie abgekämpft, erschöpft und von den eigenen Nachschublinien getrennt. Ein Sturm der gut befestigten Stadt wäre ein operativer Wahnsinn gewesen. Ebenso ein Aufstand zu diesem Zeitpunkt. Doch genau dies geschah. Die Armia Krajowa wollte unbedingt der Sowjetarmee zuvorkommen – und das fatale Wettrennen endete in einem unfassbaren Blutbad. Das erfährt man nicht im ZDF.
Zurück im Film: Granaten gleiten in den Munitionsbunker einer Panzerhaubitze, dramatisch nah. Elektroantriebe summen, Patronenhülsen klacken. Die Bundeswehr-Brigade wird aufmunitioniert für ein „Gefecht hoher Intensität“. „Bündnis- und Landesverteidigung sind nicht mehr ein theoretisches Konstrukt“, heißt es aus dem Off, „sondern 74 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges auch für deutsche Soldaten wieder ein denkbares Szenario“. Bedeutet wieder, dass es 1945 ein Verteidigungsfall war? Oder fällt den Filmemachern die absurde Doppelsinnigkeit gar nicht auf?
Indes passiert der Truppe in Polen ein kleines Ungemach: Ein Stück Maschendrahtzaun verklemmt sich in der Panzerkette. Die Maschine muss anhalten, die Besatzung zieht und ruckelt am Drahtklumpen, bis er freikommt. „Auf geht‘s“, ruft der Kommandeur. Beklemmend realistisch sei die Aufmachung, kommentiert die Off-Stimme, weil so greifbar die „Angst vor dem Einmarsch feindlicher Truppen“ sei. „Und zwar genau hier, in Polen, in Europa“. Denn „die Provokationen häufen sich“ –zwei russische Jets überfliegen gerade im Bild ein US-Kriegsschiff in der Ostsee, „130 Kilometer vor Kaliningrad“. Russland teste die Grenzen der Allianz mit dem „Einmarsch in die Ostukraine“ aus.
An dieser Stelle fragt keiner, wieso die „russischen Truppen“ für die Beobachter der OSZE-Mission in der Ostukraine bislang unsichtbar bleiben. Warum werden sie nicht in den OSZE-Berichten registriert, sondern nur in den Medien? Und wie kann ein Land mit Militärausgaben von 61,4 Milliarden Dollar, Tendenz sinkend, eine globale Militärallianz herausfordern, die letztes Jahr zusammengenommen 987,5 Milliarden (1), Tendenz steigend, für ihre Armeen ausgegeben hat? Ein Sparkurs bei der Rüstung wäre „nicht nur grob naiv, das ist fahrlässig und gefährlich“, beschwört Prof. Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität in München die Zuschauer. „Jeder, der jetzt sozusagen fordert: ‚Keine Nachrüstungsdebatte‘, er ist nicht nur naiv, es ist gefährlich, brandgefährlich“. Der Professor berät nach der Auskunft der Filmemacher die Bundesregierung in Sicherheitsfragen.
Und so geht es weiter über 43 Minuten öffentlich-rechtlicher Sendezeit. Bisweilen so holzhammermäßig, dass es fast satirisch erscheint. Auch die lobbyistische Federführung ist kaum verdeckt. Doch die Botschaft wird konsequent ins Bewusstsein genagelt, und sei es mit dem Holzhammer: Ein Krieg liegt in der Luft und der Feind liegt im Osten. Es sind dringend mehr Waffen nötig und es darf nicht mit Geld geknausert werden.
In Zeiten von inneren Krisen und gesellschaftlichen Umbrüchen erleben äußere Feindbilder eine besondere Konjunktur. Zumal wenn sie historisch so vertraut und mental tief verwurzelt sind. Es ist opportun, zumindest auf kurze Sicht, das Narrativ über den „Aggressor Russland“ zu bedienen. Und Medienprodukte wie „Alte Bündnisse – neue Bedrohungen“ sind Reaktion auf eine bestimmte Erwartungshaltung. Doch was passiert auf längere Sicht in einer Gesellschaft, wenn bei existentiellen Fragen wie Krieg und Frieden die großen Medien in ihrer ganzen Bandbreite sich einem einzigen Narrativ verschreiben?
„Dreckige Lügner“, die vor Gericht gehören (2), „russische hybride Kriegsführung“ und schließlich „Feindsender“ (3), ein Begriff aus der tiefsten NS-Kiste, sind nur einige Nettigkeiten, mit denen RT Deutsch unlängst von deutschen Journalisten bedacht wurde.
Von diversen Variationen mit „Propaganda“ und deren Derivaten ganz zu schweigen. Auf argumentative Stärke oder konkrete Fakten kommt es dabei nicht an.
Bisweilen nimmt es skurrile Formen an. Es war offenbar ein böses Erwachen für den „politischen Planer für AKK und CDU“, so die eigene Twitter-Auskunft, Nico Lange, als er sich eines Tages bei Google nach aktuellen Beiträgen zur Ukraine umschaute – und ihm als erstes ein RT Deutsch-Artikel vom Bildschirm entgegenprangte:
„Wirklich, @GoogleDE? Die relevanten google Alerts zur #Ukraine stammen alle von RT Deutsch, Sputnik Deutschland und Contra Magazin? #DisinfoWeek @apolyakova @geyshapaola #disinformation“, twitterte Nico Lange empört. „Warum dürfen sie in Deutschland überhaupt senden? Da sollte Politik handeln“, pflichtete ihm der Chef der CDU-nahen PR-Agentur MSL Germany Axel Wallrabenstein bei.
Der Grund war profan und hatte nichts mit einer implizierten klandestinen Kollaboration zwischen Google und den Russen zu tun: RT Deutsch und Sputnik haben berichtet, was alle deutsche Mainstream-Medien ignoriert haben – Tumulte mit Rechtsradikalen nach einem Wahlauftritt Poroschenkos. Die Google-Algorithmen haben offenbar noch nicht den feinen ideologischen Riecher wie Kramp Karrenbauers Medienberater.
Richtig bizarr wurde es, als im April dieses Jahres die damalige Justizministerin und SPD-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl, Katarina Barley, RT Deutsch am Rande eines Pressegesprächs ein völlig harmloses Interview gegeben hatte (4) – übrigens nicht zum ersten Mal. Es brachen plötzlich alle Dämme:
„Im Gespräch mit der russischen hybriden Kriegsführung gegen freie Gesellschaften lobt Katarina Barley Russland als ‚Partner‘. Eine bessere SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl kann man sich im Kreml kaum wünschen“, schäumte der BILD-Chef Julian Reichelt.
„Die deutsche Justizministerin und Spitzenkandidatin zur Europawahl der SPD, Katarina Barley, gibt Putins Propagandakanal ein Interview und stellt das 2-Prozent-Ziel und Deutschlands internationale Verpflichtungen in Frage. Russland frohlockt. Unverfroren? Naiv? Oder dumm? Ich bin sprachlos“, twitterte die FDP-Bundestagsabgeordnete Strack-Zimmermann.
„Während die CDU um jeden Euro kämpft, um Europas Sicherheit zu stärken, gibt die SPD-Europakandidatin Katarina Barley Interviews für russische Staatspropaganda, die 24/7 sendet, um Europa zu schwächen“, schimpfte der schon erwähnte AKK-Berater Nico Lange.
Niemand redete über den Inhalt. Es war nicht was Barley sagte, sondern wem sie es sagte, das die Kritiker in Rage trieb.
Die WELT wollte von ihr wissen, ob „es klug war, Ihre Skepsis an den NATO-Ausgaben ausgerechnet gegenüber dem kremlnahen Propagandasender Russia Today zu formulieren? Der spielt eine wesentliche Rolle dabei, Europa zu destabilisieren, auch Deutschland. Das wissen wir spätestens seit dem Fall Lisa“.
Lisa also. Das zeugt von einer enormen Faktenresistenz. Denn es reicht eine rudimentäre, oberflächliche Recherche, um festzustellen: RT Deutsch hat eine Woche seit dem Bekanntwerden der Lisa-Geschichte am 16. Januar 2016 gar nichts darüber berichtet. Der erste Beitrag war ein unbearbeiteter knapp zweiminütiger Video-Clip am 23. Januar 2016 über eine Demonstration der Russland-Deutschen vor dem Kanzleramt. Im Beschreibungstext hieß es ausdrücklich: „Nach Ermittlungen des Landeskriminalamtes wurde das Mädchen weder vergewaltigt, noch entführt.“
Nach noch knapp einer Woche, am 28. Januar 2016, folgte ein circa 14-minütiges Segment in der Sendung Der fehlende Part, in dem der Anwalt der betroffenen Familie Alexej Danckwardt per Skype und der Berliner Korrespondent des russischen Perwij Kanal, Iwan Blagoj, als Studiogast zu Wort kamen. Blagoj hatte als erster über Lisa berichtet und zum Zeitpunkt der Sendung ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Vermutung auf Volksverhetzung. Das Verfahren bot auch den aktuellen Anlass für seine Einladung (5).
Damit erschöpfte sich die Berichterstattung von RT Deutsch im unmittelbaren zeitlichen Umfeld des „Falls Lisa“. Ob diese sich als eine „großangelegte Desinformationskampagne“ qualifiziert, ob RT Deutsch damit tatsächlich „das Thema wochenlang hochgehalten“ und „an der Legende einer vertuschten Vergewaltigung immer weiter gestrickt“ hat, wie MDR es später behauptete, ist reine Glaubensfrage. Mit Fakten hat sie wenig zu tun. Für das Bundeskanzleramt hat es allerdings gereicht, um die „russischen staatlichen Auslandsmedien“ unter geheimdienstliche Beobachtung zu stellen.
Ein Jahr später wurden die vorläufigen Ergebnisse vorsichtig über den Rechercheverbund NDR, WDR und SZ an die Öffentlichkeit geleakt (6). Beweise für eine Desinformationskampagne hatten BND und der Verfassungsschutz keine zu präsentieren. „Wir haben keine Smoking Gun gefunden“, zitierten die eingeweihten Medien aus den eingeweihten „Regierungskreisen“.
Der in 13 Kapiteln gegliederte 50-seitige Bericht – diese Einzelheiten durften raus – sollte „angesichts fehlender Beweise“ nicht veröffentlicht werden, um „das ohnehin angespannte Verhältnis zu Russland nicht noch weiter zu belasten“, so die SZ. Die Frage, wie ein im Grunde entlastender Bericht das Verhältnis belasten kann, wurde nicht gestellt.
Es sei aber keinesfalls ein Freispruch für die observierten Medien und die Observierung müsse fortgesetzt werden, hieß es. Natürlich: Abwesenheit von Beweisen bedeutet noch keine Unschuld. Und die Dienste wollen sich doch nicht in den eigenen Fuß schießen, indem sie umsonst ein Feindbild aus der Hand geben – wie naiv müssten sie sein, um zuzugeben, dass es da nichts zu observieren gäbe?
50 Seiten bedeutet eine pro Woche, außer Weihnachten und Ostern. Claas Relotius hatte übrigens auch eine besondere Vorliebe für solche wie beiläufig gestreuten Zahlen, mit denen er seine Fantasie-Geschichten ausschmückte: drei Kirchen, zwei Jagdklubs, fünfzehn Stufen, drei Umdrehungen des Schlüssels im Schloss. Zahlen sollen Glaubwürdigkeit vermitteln. Oder nur Substanz vortäuschen.
„Eintausendfünfhundert PS für rund vierundsechzig Tonnen Masse“, erzählt die Off-Stimme begeistert, als der Leopard-Panzer des Oberfeldwebels Helge Timm in voller Fahrt durch das polnische Gelände, von einer gelbgrauen Sandwolke halb umhüllt, spektakulär den Turm dreht. Die Kameraperspektiven werden rasant gewechselt: Turm – Kanonenrohr – Totale vom Stativ. „Wir sind in der Lage, das Bündnisgebiet zu verteidigen und die territoriale Integrität der NATO wiederherzustellen“, sagt der Brigade-Kommandeur.
Der Kampf um das Dorf ist vorbei. Die Soldaten sitzen auf Klappstühlen vor dem Zelt und spielen Karten. Es wirkt wie Reality Show, wie ein camoufliertes Dschungelcamp. Oberfeldwebel Timm lehnt sich zurück und fasst den Tag zusammen: „Die Pappscheiben schießen nicht zurück. Aber ich weiß, dass ich so gut ausgebildet bin, dass wenn ich einem Panzer gegenüberstehe, dass ich genauso gut reagieren würde“. Eine Maschinenpistole mit kurzem Lauf liegt auf seinem Bauch. Er muss bereit sein.
(1) https://de.statista.com/statistik/daten/studie/5993/umfrage/militaerausgaben-der-wichtigsten-natostaaten/
(2) „RT Deutsch und Sputnik DE sollten verboten werden und jeder dreckige Lügner, der dort arbeitet(e) für die feindlichen Verzerrungen & Propaganda (…) vor Gericht gezogen werden“, twittert „Verantwortlicher BILD-Redakteur im Ressort Politik“ Julian Röpcke.
(3) https://www.youtube.com/watch?v=go2cvlyYVLs
(4) https://www.youtube.com/watch?v=YbZLOXR2Mf4
(5) https://www.heise.de/tp/features/RT-Deutsch-hat-nie-Geschichten-erfunden-4278399.html
(6) https://www.sueddeutsche.de/politik/geheimdienste-bnd-keine-beweise-fuer-desinformations-kampagne-putins-1.3365839
Im Kampf gegen die „rote Gefahr“ verkommt selbst Entspannungspolitik zum Mittel der Eskalation. Exklusivabdruck aus „Der Griff nach Eurasien“.
von Hermann Ploppa
Mit großer Beunruhigung sehen wir, wie die Kriegsvorbereitungen gegen Russland gnadenlos vorangehen. Truppen sind unablässig auf den Weg zur russischen Grenze. Währenddessen sollen die Atomwaffen, die im deutschen Büchel gelagert werden, erneuert und ausgetauscht werden. In diesem Zusammenhang wird oft eine Abkehr von der guten alten Entspannungspolitik beklagt. Damit sind wir bereits auf ein irreführendes Narrativ hereingefallen. Die sogenannte Entspannungspolitik war auch nur eine Kriegsführung mit subtileren Mitteln. Spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, nach der Entmachtung aller Gefolgsleute des früheren US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt, haben die diskreten Eliten der USA unablässig nur ein Ziel vor Augen gehabt: die eurasische Kontinentalplatte mit ihren immensen Reichtümern und ihrer Wirtschaftskraft unter die eigene Regie zu bekommen.
Dabei wechselte nur die Technik und Taktik des Krieges. Neben der nuklearen Enthauptung der Sowjetunion gab es die Mittel der verdeckten Kriegsführung durch die Geheimdienste und recycelte Nazi-Seilschaften; weiterhin auch die Mittel des Wirtschaftskriegs. Unter diesem Gesichtspunkt ist die momentane Entwicklung zu einem amerikanischen Angriffskrieg mit den bevorzugten Mitteln konventioneller Kriegsführung, unterstützt von punktuellen Nuklearschlägen, kein Bruch mit guten Entspannungstraditionen, sondern folgerichtige Weiterentwicklung des facettenreichen Krieges.
Die USA hatten mittlerweile die Atombombe entwickelt. Das änderte alles. Eine solche neue Wunderwaffe mit bislang ungekannter Zerstörungskraft sollte die Sowjets in die Knie zwingen. Zwei Demonstrationen der neuen Macht am lebenden Objekt verfehlten ihren Eindruck nicht.
Als die Atombombe von Hiroshima am 8. August, sechs Tage nach dem Ende der Konferenz von Potsdam, ihre grässliche Macht entfaltete, zeigte sich erneut, dass Truman von den „Weisen Männern“ der Außenpolitik hinters Licht geführt worden war. Er verkündete, die Horrorbombe habe lediglich eine „Militärbasis“ getroffen. Hiroshima und einen Tag später Nagasaki. Unzählige unschuldige Menschen, Tiere und Pflanzen verdampfen in Sekundenschnelle. Es geht nicht darum, den Krieg rascher zu beenden – Kaiser Hirohito hatte bereits die bedingungslose Kapitulation angeboten. Es geht vielmehr darum, zwei verschiedene Arten von Atombomben am lebenden Objekt auszuprobieren. Und damit die Sowjetunion einzuschüchtern.
Doch auch diese Rechnung geht glücklicherweise nicht auf. Denn bereits bei der Entwicklung der neuartigen Atombombe in Los Alamos in der Wüste Nevadas arbeitet im Entwicklungsteam der deutsche Physiker Klaus Fuchs. Auch ihm gebührt postum der Friedensnobelpreis. Denn Fuchs erkannte, dass ein dritter, nunmehr atomarer Weltkrieg nur verhindert werden kann, wenn auch die Sowjetunion über eine Atombombe verfügt, und damit sodann das „Gleichgewicht des Schreckens“ hergestellt ist. Also gab Fuchs die Formel für die Atombombe an die Sowjets weiter, die auf diese Weise im Jahre 1949 ebenfalls eine solche Waffe einsatzbereit hatten …
Welche Art von Krieg wollte man mit diesem autoritär-diskreten Regierungsapparat denn eigentlich führen? Eine von Roosevelts Sozialreformen genussfreudiger gewordene US-Gesellschaft gleich wieder in Rekrutenaushebungen gigantischen Ausmaßes zu stoßen war nicht wirklich ratsam. Doch glaubte man nun, die jungen amerikanischen Männer schonen zu können durch eine weitaus rationellere und weitaus anonymere Methode, den Feind niederzuringen. Die im Manhattan Project entwickelte Atombombe erschien als das ideale Mittel der Wahl. Ein buchstäblicher Quantensprung in der imperialistischen Weltbeherrschungskunst.
Schon im Krieg, noch vor der Invasion in der Normandie 1944, plagte die US-Strategen und Geheimdienstoffiziere nämlich nur eine Sorge, dass nämlich „nach einer Niederlage Deutschlands keine Macht allein und keine Gruppe von Mächten, in der wir [die USA] keinen starken Einfluss haben, die Kräfte Europas führen darf.“ Also mussten die Sowjets um jeden Preis in Schach gehalten werden, um Europa als Brückenkopf nach Eurasien für die Amerikaner frei zu halten.
Zugleich war allerdings das seit den 1920er Jahren anvisierte Ziel, die Sowjetunion zu vernichten, nie ganz aufgegeben worden. Für Präsident Roosevelt war das zwar keine Option. Aber sein unerfahrener Nachfolger Truman nahm den Faden wieder auf. Nach Hiroshima und Nagasaki hatten die US-Strategen die Gewissheit, dass die Atombombentechnologie in zwei Varianten funktioniert. Die neuartige Nuklearwaffe hatte nun ihr Gütesiegel als „combat proven“, als tauglich im Ernstfall, redlich erworben. Der Strategieplan Totality aus dem Jahre 1945 sah vor, die zwanzig wichtigsten Großstädte der Sowjetunion gerade so wie Hiroshima und Nagasaki in atomare Asche zu legen. Diesen Plan hatte kein Geringerer als General Eisenhower für Truman ausgearbeitet.
Glücklicherweise für uns alle zündete die Sowjetunion am 29. August 1949 ihre erste Atombombe. Nun konnten die Sowjets mit einem Schlag so viele Bomben bauen, um mit dem Gleichgewicht des Schreckens die grausige nukleare Apokalypse zu verhindern. Die Amerikaner mussten einsehen, dass die atomare Einäscherung der Sowjetunion nicht sofort durchzuführen war. Zudem lastete als Mühlstein auf den US-Militärpraktikern, dass es noch keine wirklich zuverlässigen Trägersysteme gab, die Atombomben an den richtigen Ort zur richtigen Zeit zu transportieren wussten. In Japan war zur Zeit des Abwurfs der A-Bombe „Little Boy“ durch die Boeing Superfortress B-29 jegliche japanische Luftabwehr zum Erliegen gekommen. Aber wie wollte man die sowjetische Luftabwehr überlisten und dann Moskau bombardieren? Man musste noch ein wenig nachbessern.
Folglich wurde als Reaktion auf das sowjetische Aufholmanöver noch im Jahre 1949 die Operation Dropshot von den höchsten Militärs zusammen mit den Geheimdiensten erarbeitet. Der erst 1978 aus der Geheimhaltung entlassene Masterplan sah vor, dass im Jahre 1957 einhundert sowjetische Städte eingeäschert werden sollten von nunmehr 300 Atombomben sowie 29.000 konventionellen Bomben. Das sei ja nur ein Gedankenspiel der Militärs gewesen, die frustriert waren, dass Truman den Wehretat in den ersten Nachkriegsjahren drastisch heruntergefahren hatte, so argumentierten 1978 dem Pentagon nahestehende Wissenschaftler und Medienleute. Eine makabre und wenig überzeugende Argumentation.
Und schon zogen die Zauberer aus den radikal militarisierten USA das nächste Kaninchen aus dem Hut. Denn 1952 konnten die Amerikaner mit der Zündung der ersten Wasserstoffbombe mit der 800-fachen Zerstörungskraft der Hiroshima-Atombombe erneut auftrumpfen.
Doch die Sowjets hatten mittlerweile technologisch aufgeholt, und zündeten ihrerseits bereits im Jahre 1953 ebenfalls eine Wasserstoffbombe. Damit war das Gleichgewicht des Schreckens erneut hergestellt. Dennoch verkündete die US-Regierung 1954 ihre Militärdoktrin der Massiven Vergeltung.
Das hieß: wenn die Sowjetunion versuchen würde, in das Revier der USA einzudringen, dann würden die amerikanischen Streitkräfte sofort und ohne weitere Rücksprache mit den Sowjets ihre Nuklearwaffen auf Moskau schießen. Das war hoch gepokert und verwandelte die nukleare Auslöschung der Menschheit in eine beklemmend realistische Option.
Noch nie seit 1815 hat eine feindliche Macht den Boden von god’s own country betreten. Das Grauen des Krieges ist den Amerikanern erspart geblieben.
Nur wenige Familien in den USA mussten den Tod oder die Verstümmelung eines ihrer Söhne auf ausländischem Schlachtfeld beklagen. Und auch der Zweite Weltkrieg hat kein wirkliches Leiden am Krieg, kein wirkliches Nachdenken über den Krieg und seine Schrecken ausgelöst. Nur ein Katzenjammer, eine Depression wie nach einer durchzechten Nacht umwölkte das kollektive Bewusstsein der Nordamerikaner. Davon legt der depressive, unendlich einsame Film Noir mit seinem stolzen Einzelgänger Humphrey Bogart beredtes Zeugnis ab. Oder die Einsamkeitsstillleben des Ölmalers Edward Hopper. Oder später der herankeimende testosteron-melancholische Jungmann, in Verkörperung von James Dean.
Diese provinzielle Monotonie schreit geradezu nach Befreiung durch Zerstörung. Kriege sind für Amerikaner nur eine ferne Bedrohung. Dazu gesellt sich eine technikvernarrte ästhetische Faszination an den choreographierten Stahlgewittern des Krieges. In diese Konstellation hinein fesselt die amerikanische Illustrierte Wochenzeitschrift Collier’s ihre Leserschaft in einer Sonderausgabe vom 27. Oktober 1951 mit der „Vorschau auf den Krieg, den wir nicht wollen“. Ein ganzes Heft voller Kriegspornographie:
„Unser übergreifendes Konzept dieser Ausgabe wurde in der Recherche und der Diskussion abgestimmt mit den führenden politischen, militärischen und ökonomischen Denkern – einschließlich hochrangiger Beamter aus Washington und außenpolitischen Experten hier und in Übersee.“
Vielleicht könnte man das Pferd auch von vorne her aufzäumen: unsere uns mittlerweile bekannten Freunde, die Truman anleiten, haben die berühmte Zeitschrift instrumentalisiert, um die Menschen draußen im Lande schon einmal an den Dritten Weltkrieg heranzuführen?
In dem gerade zitierten Editorial von Collier‘s heißt es einige Zeilen zuvor bereits, fast regierungsamtlich:
„Ein noch nie zuvor dagewesenes Projekt … Sein Zweck war nichts weniger als: (1) die üblen Herren des russischen Volkes zu warnen, dass ihre monströse Verschwörung zur Versklavung der Menschheit den finsteren Weg nach unten in den Dritten Weltkrieg bedeutet; (2) einen mächtigen Appell für Vernunft und Verständigung zwischen den Völkern in West und Ost anzustoßen – bevor es zu spät ist; (3) klar zu machen, dass, wenn wir zum Krieg Den Wir Nicht Wollen gezwungen werden, wir diesen auch gewinnen werden.“
Und während in der realen Welt die Zinksärge mit den an der koreanischen Front gefallenen wehrpflichtigen GIs diskret in die Heimat verfrachtet werden, geben die besten Autoren, Zeichner und Wissenschaftler eine Visitenkarte ihres handwerklichen Könnens ab. Titelbild: ein Soldat, auf dessen Helm nebeneinander die Stars and Stripes, das Zeichen „MP“ für: Militärpolizei und das Emblem der UNO prangt.
Zufrieden grinst er mit aufgeklapptem Bajonett die Leser an. Hinter ihm eine Landkarte. Die Sowjetunion ist bereits weitgehend von den UNO-USA-Truppen besetzt. Wir lesen und schauen fiktive Reportagen vom Kriegsgeschehen, das sich zwischen 1952 und 1960 abspielt. Auf Seite 18 ein ganzseitiges Schlachtengemälde, wie eine Atombombe gerade Moskau nuklear auflöst. Auch Washington im Nuklearbrand ist zu bestaunen. Auslöser des ungewollten Krieges ist ein Angriff der bösen Sowjets auf Jugoslawien.
Als nächstes bombardieren die Ostmenschen mit den Physiognomien der geborenen Bösewichte Washington und andere amerikanische Städte. Doch das Blatt wendet sich. Agenten in der Sowjetunion stiften Aufstände, die GULAG-Insassen überwältigen und töten ihre Aufseher im sibirischen Eis. Und schließlich freuen sich alle Russen über ihre Befreiung. Arthur Koestler ist einer der heute vielleicht bekannteren Autoren dieser feuerhungrigen Soap Opera.
Bemerkenswert auch: die real existierende Senatorin Margaret Chase Smith, die 1950 erst großes Ansehen erworben hatte, weil sie im Kongress eine mutige Rede gegen den perfiden antikommunistischen Großinquisitor Josef McCarthy gehalten hatte, schreibt in diesem Sonderheft – nämlich eine fiktive Reportage über ihren Besuch in der atomar zerstörten Sowjetunion im Jahre 1956:
„Überall sah und fühlte ich ein starkes Gefühl der Erleichterung der russischen Frauen, dass dieser Krieg vorbei war. Gewiss, die Bomben der freien Streitkräfte zerstörten viele ihrer Häuser, töteten viele ihrer liebsten Nächsten – aber sie zerschlugen auch die Ketten der Sklaverei, die Russlands Frauenschaft fesselten.“
Dieser Mix aus Empathielosigkeit, unerschütterlicher Selbstgerechtigkeit und erschreckender Naivität, der diese Zeilen auszeichnet, sollte den Ton vorgeben für unzählige journalistische Ergüsse, die in Zeitschriften wie Reader‘s Digest die nächsten Jahrzehnte die Hirne zuschmalzen sollte.
Dieser realitätsabweisende Mindset lag bis zum Aufkommen der Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren als Firnis über den USA.
Währenddessen wälzen sich die Europäer schlaflos im Bett, weil ihnen nach dem noch unverdauten Zweiten Weltkrieg bereits ohne ihr Zutun ein Dritter Weltkrieg aufgeholfen werden soll. Es soll in Deutschland Hamsterkäufe geben. Die Menschen pilgern in Massen zum Wunderheiler Bruno Gröning, der von Stadt zu Stadt zieht wie ein neuer Messias. Was sonst wenn nicht ein Wunder kann uns noch retten? So ist die Stimmung. Niemand will wieder unter Waffen – bis auf einige hunderttausend Männer, die sich nach Jahren in der Wehrmacht ein Leben ohne Krieg gar nicht mehr vorstellen mögen, und die einstweilen als Taxifahrer oder Fremdenlegionäre auf ihren erneuten Fronteinsatz warten …
Es kursierte im Frühjahr 1950 in den Entscheider-Kreisen in Washington ein hochgeheimes Thesenpapier des Nationalen Sicherheitsrates mit der Laufnummer NSC-68. Ausgearbeitet wurde es im Policy Planning Staff des US-Außenministeriums. Der bisherige Leiter dieses geheimen Planungsstabs, George Kennan, der uns ja schon bekannt ist als „Mister X“ mit seinem langen Telegramm aus Moskau mit der Eindämmungspolitik, wurde extra weggelobt nach Lateinamerika.
Denn sein Nachfolger Paul Nitze galt als „Falke“. Im Gegensatz zum für den Geschmack der Falken viel zu soften Kennan hatte sich Nitze einen Namen gemacht als unversöhnlicher Scharfmacher gegen die Sowjetunion. So ein Mann wurde jetzt gebraucht. Über diese Machenschaften wurde nicht einmal der zuständige Verteidigungsminister Louis Johnson informiert. Als Johnson sich über die Mauschelei rund um das Thesenpapier beschwerte, feuerte ihn Truman kurzerhand.
Das Dokument ist aus vielen Gründen aufschlussreich. Zum einen war es ja an wirkliche Entscheider gerichtet und verzichtet somit auf Propaganda. Zum Zweiten offenbart es einen recht lockeren Umgang mit der Logik. Zunächst gibt NSC-68 ein realistisches Bild der Sowjetunion: die Sowjetunion ist wirtschaftlicher, militärischer und technologischer Hinsicht den USA weit unterlegen. Die Sowjetunion weist alle Merkmale eines rückständigen, ineffizienten Landes auf: sie verwendet 40 Prozent ihrer Wirtschaftskraft für Militär und Rüstung und kann höchstens noch auf 50 Prozent steigern: „Die UdSSR sind heute an der Oberkante der Produktionsmöglichkeiten.“
Die quantitativ und qualitativ weit überlegenen USA wenden gerade mal 20 Prozent ihrer Wirtschaftskraft für Rüstung auf und können im Kriegsfall auf 50 Prozent hochfahren: „Die Vereinigten Staaten verfügen jetzt über das größte militärische Potential irgendeiner einzigen Nation auf der Welt.“