Prof. Dr. Sandra Wesenberg ist Gastprofessorin für Klinische Psychologie mit den Schwerpunkten Beratung und Therapie an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Sie hat Erziehungswissenschaften, Studienrichtung Sozialpädagogik/Soziale Arbeit (Diplom; TU Dresden) sowie Therapeutisch orientierte Soziale Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (Master; HAW Mittweida) studiert, war von 2008 bis 2017 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialarbeit, Sozialpädagogik und Wohlfahrtswissenschaften der Fakultät Erziehungswissenschaften an der TU Dresden beschäftigt und hat im DFG-Projekt »Tiergestützte Intervention bei Demenzkranken« gearbeitet und promoviert. In ihren Lehr- und Forschungstätigkeiten sowie ihren Publikationen beschäftigt sie sich aktuell u. a. mit persönlichen Mensch-Tier-Beziehungen und deren Relevanz für Soziale Arbeit sowie mit tiergestützten Interventionen mit so genannten ›Hard-to-Reach-Klient_innen‹, z. B. in Psychiatrie oder Strafvollzug. Sie leitet zudem seit mehreren Jahren den ISAAT-akkreditierten Zertifikatskurs »Tiergestützt und tiergeschützt« an der ASH Berlin, ist als Dozentin in verschiedenen anderen Weiterbildungen für angehende Fachkräfte für tiergestützte Interventionen tätig und koordiniert gemeinsam mit Prof. Dr. Frank Nestmann die Arbeit der Forschungsgruppe Mensch-Tier-Beziehung an der TU Dresden.
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1. Auflage 2020
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
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ISBN 978-3-17-031715-4
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Mit dem so genannten »Bologna-Prozess« galt es neu auszutarieren, welches Wissen Studierende der Sozialen Arbeit benötigen, um trotz erheblich verkürzter Ausbildungszeiten auch weiterhin »berufliche Handlungsfähigkeit« zu erlangen. Die Ergebnisse dieses nicht ganz schmerzfreien Abstimmungs- und Anpassungsprozesses lassen sich heute allerorten in volumigen Handbüchern nachlesen, in denen die neu entwickelten Module detailliert nach Lernzielen, Lehrinhalten, Lehrmethoden und Prüfungsformen beschrieben sind. Eine diskursive Selbstvergewisserung dieses Ausmaßes und dieser Präzision hat es vor Bologna allenfalls im Ausnahmefall gegeben.
Für Studierende bedeutet die Beschränkung der akademischen Grundausbildung auf sechs Semester, eine annähernd gleich große Stofffülle in deutlich verringerter Lernzeit bewältigen zu müssen. Die Erwartungen an das selbständige Lernen und Vertiefen des Stoffs in den eigenen vier Wänden sind deshalb deutlich gestiegen. Bologna hat das eigene Arbeitszimmer als Lernort gewissermaßen rekultiviert.
Die Idee zu der Reihe, in der das vorliegende Buch erscheint, ist vor dem Hintergrund dieser bildungspolitisch veränderten Rahmenbedingungen entstanden. Die nach und nach erscheinenden Bände sollen in kompakter Form nicht nur unabdingbares Grundwissen für das Studium der Sozialen Arbeit bereitstellen, sondern sich durch ihre Leserfreundlichkeit auch für das Selbststudium Studierender besonders eignen. Die Autor/innen der Reihe verpflichten sich diesem Ziel auf unterschiedliche Weise: durch die lernzielorientierte Begründung der ausgewählten Inhalte, durch die Begrenzung der Stoffmenge auf ein überschaubares Volumen, durch die Verständlichkeit ihrer Sprache, durch Anschaulichkeit und gezielte Theorie-Praxis-Verknüpfungen, nicht zuletzt aber auch durch lese(r)-freundliche Gestaltungselemente wie Schaubilder, Unterlegungen und andere Elemente.
Prof. Dr. Rudolf Bieker, Köln
In fast jedem zweiten deutschen Haushalt lebt mindestens ein Heimtier (zum Begriff ›Heimtiere‹ vgl. Kasten Heimtiere und andere Tiere, Kap. 1.1). Interaktionen und Beziehungen zu Hund, Katze oder Meerschweinchen sind damit selbstverständlicher Bestandteil der alltäglichen Lebenswelt vieler Adressat_innen Sozialer Arbeit, und Sozialarbeiter_innen werden in ganz unterschiedlichen Praxisfeldern immer wieder felligen, gefiederten oder schuppigen Begleiter_innen, Freund_innen und Familienmitgliedern ihrer Klient_innen begegnen. Die meisten Sozialarbeiter_innen werden allerdings in ihrem Studium erstaunlich wenig auf die Arbeit mit diesem Teil der sozialen Netzwerke ihrer Klient_innen vorbereitet.
Ein ebenso interessanter Befund zeigt sich mit Blick auf die wachsende Verbreitung tiergestützter Interventionen: Immer mehr Sozialarbeiter_innen erkennen die Potentiale hilfreicher Mensch-Tier-Begegnungen und wollen tiergestützte Interventionen zielgerichtet in die Unterstützungs- und Hilfsangebote für ihre Klient_innen integrieren. Allerdings werden die Potentiale und Grenzen tiergestützter Arbeit in verschiedenen Praxisfeldern und mit unterschiedlichen Zielgruppen im Fachdiskurs Sozialer Arbeit bislang nur verhalten diskutiert und in den entsprechenden Studiengängen kaum vermittelt.
Mit diesem Buch möchte ich den Versuch unternehmen, die Diskrepanz zwischen allgegenwärtiger Präsenz von Heimtieren in der Lebenswelt der Adressat_innen Sozialer Arbeit und der wachsenden Bedeutung tiergestützter Arbeit einerseits und der andererseits nur zögerlich stattfindenden Einbindung in den Fachdiskurs zu verringern und (persönliche) Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützte Interventionen als vielschichtige, ambivalente und bedeutsame Themen für Theoriebildung, Empirie und Praxis Sozialer Arbeit aufzuzeigen.
Leser_innen dieses Buches erhalten einen Überblick über die theoretischen Grundlagen der Mensch-Tier-Beziehung und die positiven Wirkpotentiale der Interaktionen von Menschen und Heimtieren in persönlichen Beziehungen sowie in professioneller tiergestützter Arbeit. Außerdem wird die Umsetzung spezifischer Konzepte in unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern und mit verschiedenen Klient_innengruppen vorgestellt. Mit Blick auf die Berufspraxis von Sozialarbeiter_innen scheint es dabei weiterhin von besonderer Bedeutung, auch negative Aspekte persönlicher Mensch-Tier-Beziehungen sowie die Grenzen tiergestützter Arbeit und die zu beachtenden Anforderungen und Voraussetzungen zu thematisieren. Jedem Hauptkapitel ist dabei eine kurze Vorschau vorangestellt, die den Leser_innen eine Vorabinformation über die behandelten Inhalte vermittelt.
Mein Zugang zur Thematik ist – wie bei vielen Kolleg_innen, die sich aus wissenschaftlich-forschender oder praktischer Perspektive mit Interaktionen zwischen Menschen und Tieren beschäftigen – auch ein biographisch-persönlicher: Meerschweinchen Peppi, Winni, Waldemar und Egon oder Kaninchen Susi und Murmel sind nur einige der vierbeinigen Familienmitglieder, die mich von Kindesbeinen an begleitet haben. Aktuell lebe ich zusammen mit Dackelmischling Herrn Malte, der meinen Alltag in einzigartiger Weise bereichert und u. a. die Arbeit an diesem Buch motiviert und erleichtert hat (durch beständige Präsenz und beruhigendes Schnarchen in seinem Körbchen neben dem Schreibtisch ebenso wie durch willkommene und nachdrücklich eingeforderte Pausenzeiten und gemeinsame Spaziergänge). Das heißt, ich kenne die positiven Auswirkungen des Zusammenlebens mit Heimtieren aus meinem Privatleben und habe in vielen der Fachartikel, Studien und Fallberichte, die ich für dieses Buch verwendet habe, eigene Erfahrungen gespiegelt gefunden und eindrückliche Momente des Wiederkennens von mir sehr Vertrautem erlebt. Für meine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Thematik ergibt sich damit allerdings auch eine besondere Herausforderung: Nach Ansicht etwa von Harold Herzog (2011; ausführlich Kap. 3.5), dessen Texte ich sehr schätze, sind Wissenschaftler_innen und Autor_innen, die sich mit Mensch-Tier-Beziehungen und -Interaktionen beschäftigen, häufig selbst Tierhalter_innen, aufgrund persönlicher Erfahrungen also von den positiven Wirkpotentialen der Mensch-Tier-Beziehung überzeugt und geraten so leicht in die Gefahr, die Befunde zur Thematik (unbewusst) verzerrt darzustellen. Dies geschieht etwa, indem Vertrautes und ›Erwünschtes‹ sofort und unhinterfragt aus der Literatur übernommen wird oder ›negative‹, der persönlichen Erfahrung und Überzeugung widersprechende Studienergebnisse eher übersehen oder relativiert werden. Ich bin mir der besonderen Anforderung bewusst und hoffe, dass es mir trotz (oder gerade aufgrund?) meines persönlichen Bezugs gelungen ist, Mensch-Tier-Beziehungen und -Interaktionen in ihren interindividuellen Unterschieden wie Gemeinsamkeiten, ihrer eindrucksvollen Vielfalt, irritierenden Widersprüchlichkeit und faszinierenden Buntheit angemessen darzustellen.
Sandra Wesenberg
Leipzig, April 2019
Einerseits werden tiergestützte Interventionen in verschiedenen Feldern Sozialer Arbeit zunehmend häufiger, andererseits bleiben die Beiträge aus Theorie und Empirie der Sozialen Arbeit noch äußerst spärlich. Es besteht eine deutliche Diskrepanz zwischen der wachsenden Befürwortung des Einsatzes von Tieren in der Alltagspraxis und der gleichzeitigen fachwissenschaftlichen Vernachlässigung des Themas in der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik sowie der weitgehenden Ausblendung in den entsprechenden Studiengängen. In diesem Kapitel erhalten Sie einen ersten Einblick in dieses Spannungsfeld. Sie werden dabei u. a. mit der spannenden Frage konfrontiert, ob und weshalb Mensch-Tier-Beziehungen und die Verantwortung für Tiere für Sozialarbeiter_innen überhaupt relevant sind. Sind Sozialarbeiter_innen im professionellen Selbstverständnis nicht vor allem oder ausschließlich für die menschlichen Klient_innen zuständig? Wie lässt sich eine Erweiterung des ›Zuständigkeitsbereichs‹ auf nicht-menschliche Lebewesen begründen?
Die Forschung zu Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützten Interventionen zeichnet sich seit ihren Anfängen in den 1970er Jahren durch eine hohe Interdisziplinarität aus. Medizin und Veterinärmedizin, Ethologie, Psychologie und Soziologie, aber auch Philosophie und Pädagogik beschäftigen sich insbesondere mit den positiven Gehalten der Mensch-Tier-Beziehung und den förderlichen physiologischen, psychologischen und sozialen Effekten der Interaktion zwischen Menschen und Heimtieren (zum Begriff Heimtiere siehe Kasten).
In der Fachliteratur wird zwischen Heimtieren – Tiere, die sich der Mensch aus sozio-emotionalen Gründen hält, ohne direkten praktisch-instrumentellen Nutzen – und Haustieren – alle domestizierten Tierarten, in Abgrenzung zu Wildtieren – unterschieden. Der Begriff Haustiere schließt also die meisten Nutz-, Heim- und Versuchstiere mit ein. In der Alltagssprache werden beide Begriffe häufig als Synonyme verwendet und bezeichnen Tiere, die Menschen sich in ihrem privaten Umfeld aus sozio-emotionalen Gründen halten.
Auch anwendungsbezogene Disziplinen wie etwa die Soziale Arbeit entdecken zunehmend die großen Potentiale gelingender Mensch-Tier-Begegnungen und -Beziehungen für ihre Interventionen und Klient_innen.
Nach Jutta Buchner-Fuhs und Lotte Rose (2012a) zeigt sich dabei allerdings ein paradoxes Bild:
»Macht man sich auf die Suche nach den Tieren in der Sozialen Arbeit, stößt man auf ein höchst widersprüchliches Bild. Auf der einen Seite zeigt sich eine durchaus starke praktische Präsenz von Tieren und von Programmen tiergestützter Pädagogik in den entsprechenden beruflichen Arbeitskontexten. Die Literaturlage ist hierzu überaus reichhaltig. […] Auf der anderen Seite offenbart sich gleichwohl eine große Leere und Enge – eine Leere in der Fachdisziplin der Sozialen Arbeit selbst und eine Enge hinsichtlich des theoretischen und empirischen Horizonts des existierenden Diskurses. Wenn sich Soziale Arbeit mit dem Thema beschäftigt, ist dies in der Regel relativ schmalspurig. Offensive und eigenständige Fachbeiträge sind kaum zu finden. Angesichts dessen lässt sich derzeit wohl von einem Missverhältnis zwischen der starken Befürwortung des Einsatzes von Tieren in der Praxis und [der] gleichzeitigen fachwissenschaftlichen Ausblendung des Themas in der Sozialen Arbeit sprechen« (ebd., S. 9).
Um dieser fachwissenschaftlichen Ausblendung zu begegnen, legten Buchner-Fuhs und Rose (2012b) mit ihrem Herausgeberband »Tierische Sozialarbeit« ein deutschsprachiges Werk zu Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützten Interventionen vor, das die Thematik erstmalig explizit aus der Perspektive von Sozialer Arbeit und Sozialpädagogik behandeln sollte. Der Band will dabei eine fachlich-reflexive Beschäftigung mit dem Thema erst eröffnen und kann (und soll) entsprechend keinen systematischen Überblick bieten über theoretische Annahmen zur Mensch-Tier-Beziehung, Grundlagen von tiergestützten Interventionen und ihren Wirkpotentialen in bestimmten Tätigkeitsfeldern und für spezifische Zielgruppen Sozialer Arbeit. Die Herausgeber_innen verbinden mit ihrem Buch vielmehr den Wunsch, »das Tierthema in der Sozialen Arbeit produktiv zu entgrenzen und als interdisziplinären, vielschichtigen, widersprüchlichen und faszinierenden Gegenstand sichtbar zu machen. Mit dem Buch ist sicherlich noch nicht alles zum Thema gesagt, aber es beginnt damit, etwas zu sagen. Und es will damit einladen, noch mehr zu sagen« (ebd., S. 21).
Bislang scheinen aber nur wenige deutschsprachige Autor_innen dieser Einladung gefolgt zu sein. Betrachtet man die Forschungslandschaft etwa sieben Jahre nach Erscheinen des Bandes von Buchner-Fuhs und Rose, so hat sich an der dürftigen deutschsprachigen Literaturlage wenig geändert. Es gibt zwar einzelne Publikationen, die sich explizit mit tiergestützter Sozialer Arbeit mit bestimmten Klient_innengruppen oder in spezifischen Settings beschäftigen (u. a. Kirchpfening 2012: »Hunde in der Sozialen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen«) oder starke Bezüge zu Sozialpädagogik und Sozialer Arbeit aufweisen (u. a. Strunz 2016: »Tiergestützte Pädagogik in Theorie und Praxis«). Auch in dem 2018 erschienenen umfassenden Handbuch zu tiergestützten Interventionen, herausgegeben von Andrea Beetz, Rainer Wohlfarth und Meike Riedel, findet sich ein Beitrag »Hunde in der Sozialen Arbeit« (Kirchpfening 2018). Dennoch bleibt die von Buchner-Fuhs und Rose konstatierte Leere und Enge in der Auseinandersetzung im Fachdiskurs Sozialer Arbeit in gewisser Hinsicht bestehen. So verengt sich die Debatte etwa vielfach einseitig auf die potentiell förderlichen Wirkungen tiergestützter Interventionen. »Mit der Konzentration auf Fragen tiergestützter Praxis in der fachlichen Beschäftigung mit Tieren vergisst Soziale Arbeit völlig eine weitere Dimension des Tierthemas: den weit verbreiteten profanen, privaten Alltag mit Heimtieren im sozialen Nahraum« (Buchner-Fuhs, Rose 2012a, S. 16).
In fast der Hälfte aller deutschen Haushalte lebt mindestens ein Heimtier (Industrieverband Heimtierbedarf – IVH –, Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe – ZZF 2017). Tiere sind damit in vielen Fällen fester Bestandteil der Lebenswelt von Menschen, mit denen Soziale Arbeit zu tun hat. Dabei können Sozialarbeiter_innen einerseits Familien begegnen, in denen die Katze ganz selbstverständlich den Platz eines vollwertigen Familienmitglieds einnimmt, oder mit Klient_innen arbeiten, die über kein verlässliches Netzwerk zwischenmenschlicher Beziehungen verfügen, in deren Leben aber die Beziehung zu ihrem Hund einen zentralen Stellenwert einnimmt. Bikales (1975) beschreibt bereits in den 1970er Jahren in der Fachzeitschrift »Social Work« das Fallbeispiel der 82 Jahre alten, alleinlebenden Mrs. F., für die ihre Hündin Lacey zur wichtigsten und einzigen Bezugsperson wurde: »Lacey was the only significant other in this person’s life« (ebd., S. 151). Das Zusammenleben mit Tieren ist für viele Menschen mit verschiedensten positiven bio-psycho-sozialen Wirkungen verknüpft ( Kap. 3.2 bis 3.4), die schon allein im Sinne des allgegenwärtigen Paradigmas der Ressourcenorientierung von Sozialarbeiter_innen berücksichtigt werden sollten, aber nicht immer werden. Fook (2014) geht davon aus, dass insbesondere die Berücksichtigung der alltäglichen und unterstützenden Funktionen von Heimtieren in der Praxis wie Forschung Sozialer Arbeit selten erfolgt, da es schwieriger scheint, eine Konzentration auf das Gewöhnliche, Alltägliche und ›Normale‹ zu rechtfertigen. Vielmehr seien Praxis wie Forschung eher auf die Abweichungen oder sozialen Probleme ausgerichtet, die eine Legitimation sozialarbeiterischer Unterstützung und einen direkten Handlungsbezug beinhalten.
Die alltäglichen positiven Wirkpotentiale von Mensch-Tier-Beziehungen sollten einerseits nicht aus dem Blick geraten, andererseits werden Sozialarbeiter_innen in ihrer alltäglichen Praxis aber nicht selten auch mit Schwierigkeiten der Tierhaltung und problematischen Formen von Mensch-Tier-Interaktionen konfrontiert. Im Fallbeispiel von Mrs. F. und Lacey etwa nimmt der Bericht der innigen Mensch-Tier-Beziehung eine tragische Wendung, als die alte Frau ins Krankenhaus kommt und in der Folge ein Umzug ins Pflegeheim unumgänglich wird. Ein gemeinsamer Einzug mit Lacey ist hier nicht möglich. Der Verlust von Heimtieren wird von vielen Menschen als kritisches Lebensereignis erfahren und kann mit drastischen Veränderungen im alltäglichen sozialen Leben verknüpft sein ( Kap. 4.5).
Zudem können Mensch-Tier-Beziehungen auch für die beteiligten Tiere belastend und schädigend sein. Die Bedürfnisse von Hund, Katze oder Meerschweinchen können missachtet werden; Tiere können vernachlässigt oder vorsätzlich misshandelt werden ( Kap. 4.3). Ebenso kann sich verantwortungsvolle Tierhaltung in prekären sozioökonomischen Belastungssituationen schwierig gestalten und zur Belastung für Mensch und Tier werden. In der Studie »Armut, Schulden und Gesundheit«, in der 2006 und 2007 in Rheinland-Pfalz Klient_innen von Schuldnerberatungsstellen befragt wurden, zeigte sich zum einen, dass ein signifikant höherer Anteil der Befragten, die Heimtiere hielten, angab, an Ausgaben für sich selbst zu sparen als in der Gruppe der Befragten ohne Heimtiere. »Vermutlich wird gespart, um die Versorgung der Haustiere sicher zu stellen« (Zier, Rüger, Münster 2012, S. 224). Zum anderen konnten zwar keine eindeutigen positiven oder negativen Einflüsse von Heimtierhaltung auf die körperliche oder psychische Gesundheit der befragten überschuldeten Personen belegt werden, die Autor_innen vermuten aber, dass die Heimtierhaltung durchaus für einen Teil der Befragten zur deutlichen Belastung wird: »Möglich ist, dass […] zwar bei einigen Personen ein positiver Effekt durch den Umgang und die emotionale Bindung zum Haustier vorliegt, bei anderen jedoch die finanzielle Belastung zu einem weiteren Stressor wird« (ebd., S. 227). Tierwohlgerechte Haltungsbedingungen können – trotz aller Bemühungen – nicht immer gewährleistet oder etwa zwingend notwendige veterinärmedizinische Behandlungen nicht von allen Klient_innen Sozialer Arbeit bezahlt werden.
Fälle, in denen Sozialarbeiter_innen mit problematischen Aspekten von Mensch-Tier-Beziehungen konfrontiert sind, können auch für die professionellen Helfer_ innen mit Belastungen, Widersprüchen, Entscheidungsdruck und Unsicherheiten verknüpft sein. So stellt sich beispielsweise die Frage, inwiefern Familienhelfer_innen auch für das Wohlergehen der nicht-menschlichen Familienmitglieder verantwortlich sind. Sind Sozialarbeiter_innen – die häufig privat selbst ›liebende‹ Tierhalter_innen sind, die ihren Heimtieren Individualität, einen inhärenten Wert und ein Recht auf Achtung ihrer Bedürfnisse und Förderung ihrer Lebensqualität zusprechen – im professionellen Selbstverständnis nicht vor allem oder ausschließlich für die ›Fälle‹ menschlicher Klient_innen zuständig? Folgt man der Argumentation von Thomas Ryan (2011), so fällt die Antwort eindeutig aus: Ryan liefert in seinem Buch »Animals and Social Work: A Moral Introduction« eine der wenigen fachspezifischen Auseinandersetzungen zur Bedeutung von Mensch-Tier-Beziehungen für Soziale Arbeit. Ausgehend von fünf Fallbeispielen, in denen Sozialarbeiter_innen in ihrer Alltagspraxis mit (negativen) Mensch-Tier-Beziehungen – im Sinne von Tiermisshandlungen und -vernachlässigungen in psychosozial hoch belasteten Familien – konfrontiert sind, zeigt Ryan auf, dass diese Begegnungen im eigenen professionellen Selbstverständnis und der täglichen Arbeit kaum Relevanz haben. Der Autor spricht in diesem Kontext auch von einem dogmatischen Anthropozentrismus – »Social work’s dogmatic anthropocentrism« (ebd., S. 5) –, der andere Lebewesen und deren Bedürfnisse gänzlich unberücksichtigt lässt: »The client is always, and only, the human being« (ebd.). In seiner Arbeit kritisiert Ryan diese anthopozentrische Grundhaltung und plädiert für eine Neuorientierung. Er skizziert ein
»concept of respect for individuals, based upon an attention to the interests, needs, welfare and well-being of a creature, not its origin, [which] is a far more efficacious and impartial moral principle to guide social workers and to ensure the extension of respect, irrespective of species membership« (ebd., S. 110f.).
Die Bedürfnisse und Rechte von Lebewesen – Menschen wie Tieren gleichermaßen – wahrzunehmen, zu respektieren und sich aktiv für deren Wahrung einzusetzen, liegen nach Ryans Auffassung in der moralischen Verpflichtung und Verantwortlichkeit von Sozialarbeiter_innen: »Social workers have a special responsibility to the weak and vulnerable of all species« (ebd., S. 164).
Ryan kritisiert weiterhin, dass Sozialarbeiter_innen in ihrem Studium nicht in ausreichender Weise auf den Umgang mit persönlichen Mensch-Tier-Beziehungen, insbesondere potentiell schädigenden und belastenden, vorbereitet werden: »There is absolutely nothing in the curriculum or education of social workers that prepares them to be able to resolve the conflicts, or to negotiate their way through the moral dilemmas« (ebd., S. 154). Sowohl in der Fremd- als auch Selbstwahrnehmung werde die Sorge um Tiere angesichts dringender menschlicher Notlagen oft als Indiz für falsch gesetzte Prioritäten oder die unangebrachte ›Verschwendung‹ begrenzter Zeit, Energie und Ressourcen angesehen.
Ähnlich wie Ryan argumentieren auch andere Autor_innen, dass es dringend einer Erweiterung des Selbstverständnisses sowie der Paradigmen und Gegenstandsbereiche Sozialer Arbeit brauche, die auch die Berücksichtigung von und Verantwortlichkeit für Tiere einschließe (für individuelle Heimtiere in persönlichen Mensch-Tier-Beziehungen oder in einem weiteren Verständnis auch für Tiere allgemein, Pflanzen und ganze Ökosysteme). In der Literatur finden sich verschiedene Hinweise auf theoretische Konzepte und Handlungsparadigmen, die einerseits das Grundverständnis Sozialer Arbeit prägen und andererseits eine Perspektiverweiterung im eben genannten Sinne erlauben.
• Das ›Person-in-Environment-Konzept‹:
Das Konzept geht u. a. zurück auf die Ausführungen von Mary Richmond in ihrem Werk »Social Diagnosis« (1917), in dem Richmond es als zentrale Prämisse Sozialer Arbeit beschreibt, die Person in ihrer Umwelt zu begreifen. Der Lebensweltbezug wird auch heute noch als Grundparadigma Sozialer Arbeit verstanden, wobei die Begrifflichkeit ›Person-in-Environment‹ vor allem in der Klinischen Sozialarbeit verwendet wird. Nach Ansicht verschiedener Autor_innen (Tedeschi, Fitchett, Molidor 2005; Gray, Coates 2011; Evans, Gray 2011) bietet das ›Person-in-Environment‹-Konzept einen Anknüpfungspunkt, die Verantwortlichkeit Sozialer Arbeit für Tiere (wie auch Pflanzen und Ökosysteme) zu begründen (auch wenn Gray und Coates 2011 berechtigt darauf hinweisen, dass auch das ›Person-in-Environment‹-Konzept sich innerhalb eines humanistischen, anthropozentrischen Rahmens – wie ihn etwa Ryan 2011 kritisiert – entwickelt hat).
• Die systemische Perspektive:
Ein System beschreibt eine aus verschiedenen Elementen zusammengesetzte Ganzheit. Der Begriff ist also zunächst sehr offen und ermöglicht, ganz unterschiedliche Dinge und Phänomene sowie ihre Wechselwirkungen als ›ein System‹ zu beschreiben. Es erscheint einerseits kaum möglich, die ›Systemtheorie‹ zu beschreiben – vielmehr handelt es sich um eine Entwicklung und Ausdifferenzierung verschiedener Perspektiven –, andererseits erscheint eine detaillierte Auseinandersetzung mit systemtheoretischen Grundlagen in diesem Buch nicht notwendig. Es soll hier der Hinweis genügen, dass Soziale Arbeit »als Profession und Wissenschaft am Schnittpunkt und in den Konfliktfeldern zwischen Individuum und Gesellschaft bzw. Subjekt und sozialen Systemen [arbeitet]« (DGSA 2016, S. 5) und die Vermittlung des Wissens um Entstehung, Struktur und Dynamik sozialer Systeme zentraler Inhalt des Studiums Sozialer Arbeit ist (ebd.).
In einer systemischen Perspektive Sozialer Arbeit werden nicht die Handlungsweisen einzelner Individuen isoliert in den Fokus gerückt, sondern Klient_innen in ihrer Lebensumwelt (ähnlich des Person-in-Environment-Konzepts) als Teil unterschiedlicher Systeme (z. B. Familie) in den Blick genommen. Klient_innen-Systeme werden als Interaktions- und Kommunikationssysteme verstanden, deren einzelne Elemente in Wechselbeziehungen stehen. Verschiedene Autor_innen (u. a. Tedeschi, Fitchett, Molidor 2005; Beushausen, Könemann 2006; MacNamara, Moga 2014) weisen darauf hin, dass spezifische Klient_innen-Systeme wie auch übergeordnete soziale Systeme dabei nicht nur menschliche Akteur_innen einschließen (können) und somit eine systemische Perspektive Sozialer Arbeit die Möglichkeit zur Berücksichtigung und Analyse von Mensch-Tier-Interaktionen bieten. Zudem gibt es bereits einige Beiträge, die aus einer Praxisperspektive den Einbezug von Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützten Interventionen in systemische Beratung oder Therapie bzw. die Verknüpfung von tiergestützten und systemischen Interventionen beschreiben (u. a. Beushausen, Könemann 2006; Stockhausen 2010a, 2010b; Antritter-Boß 2015).
• Das Paradigma sozialer Gerechtigkeit:
Das Postulat der Realisierung sozialer Gerechtigkeit repräsentiert eine zentrale politische Dimension der Sozialen Arbeit. »Die Forderung nach Gerechtigkeit zielt auf den Anspruch auf Partizipation, auf Ressourcen zum Abbau von Elend, Ungleichheit und Not, auf Ressourcen zur Lebensgestaltung in Würde, auf ein Leben als Subjekt in den eigenen Verhältnissen und in wechselseitiger Anerkennung« (Thiersch 2003, S. 82). Dabei kann Soziale Arbeit nach Hans Thiersch (2003) in verschiedener Weise als besonderer Repräsentant sozialer Gerechtigkeit gelten. Matsuoka und Sorenson (2014) plädieren dabei für eine explizite Erweiterung des Begriffs Sozialer Gerechtigkeit (»Trans-species social justice«, ebd., S. 64) und der Verantwortung Sozialer Arbeit: »we argue that social work’s commitment to promote social justice should be extended beyond the boundaries of the human species« (ebd., S. 76).
Neben den Versuchen, Mensch-Tier-Interaktionen in die Perspektiven bestimmter theoretischer Konzepte Sozialer Arbeit zu integrieren, gibt es umgekehrt auch Bemühungen, bestehende Paradigmen und Ansätze (die originär in anderen Disziplinen entstanden und verortet sind) für Soziale Arbeit anschlussfähig zu machen. In diesem Zusammenhang wird u. a. das ›One-Health-Konzept‹ diskutiert (u. a. Hanrahan 2014). Der Begriff »One Health« beschreibt einen ganzheitlichen Ansatz, der die komplexen Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Mensch, Tier, Ökosystem und Gesundheit beschreibt. In diesem Sinne stehen nicht nur die positiven wie negativen bio-psycho-sozialen Auswirkungen der Interaktionen zwischen Menschen und Tieren im Vordergrund, sondern gleichermaßen die Effekte menschlicher Handlungen auf Tiere und Umwelt. In der ›One-Health‹-Literatur finden sich entsprechend konstant Verweise auf die notwendige Transdisziplinarität, Zusammenarbeit, Verbundenheit und Vernetzung – Begrifflichkeiten, die auch in der Beschreibung der spezifischen Professionalität von Sozialarbeiter_innen immer wieder auftauchen. Und dennoch sind Fachvertreter_innen Sozialer Arbeit bislang auffallend wenig an den Debatten um ›One Health‹ beteiligt.
Grundlegend ist Rainer Wohlfarth (2015) in seiner Einschätzung zuzustimmen, dass die verschiedenen Disziplinen und Professionen, die sich mit Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützten Interventionen beschäftigen und die positiven Wirkpotentiale in ihre Alltagspraxis einbeziehen, zukünftig stärker bemüht sein sollten, eigene Theorien hinsichtlich ihres möglichen analytischen Nutzens für Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützte Interventionen zu prüfen und anzuwenden. Die eben skizzierten theoretischen Entwürfe weisen in eben diese Richtung, werden bislang allerdings im Fachdiskurs Sozialer Arbeit nur vereinzelt diskutiert. Zudem braucht es in einem Forschungsfeld, das sich von Beginn an durch ein besonderes Maß an Interdisziplinarität auszeichnet, neben der Entwicklung disziplin- und professionsspezifischer Erklärungsmodelle insbesondere auch die Integration verschiedener, disziplinübergreifender Theorieentwürfe in spezifische Wirkmodelle. In Kapitel 2 werden daher – unabhängig von ihrer disziplinären Verortung – die Thesen und Theorien zum Verständnis der Mensch-Tier-Beziehung und ihrer Wirkungen vorgestellt, die in der Literatur am weitesten verbreitet und bislang am fundiertesten beschrieben sind ( Kap. 2).
In der Literatur ist immer wieder beschrieben, dass tiergestützte Interventionen seit einigen Jahren in immer mehr Praxisfeldern Sozialer Arbeit Einzug halten; konkrete Zahlen zur Verbreitung im deutschsprachigen Raum fehlen allerdings. Eine Expansion tiergestützter Interventionen wird auch für viele andere westliche Gegenwartsgesellschaften beschrieben, wobei auch hier nur vereinzelt verlässliche statistische Angaben vorliegen. Die bislang umfassendste Studie wurde in den USA von Christina Risley-Curtiss (2010) durchgeführt.
Die Forscherin hat eine zufällige Stichprobe aller Mitglieder der »National Association of Social Workers« (NASW) (zum Stand 2004/2005) zur Teilnahme an einer Befragung eingeladen. Von ca. 5.000 angeschriebenen Sozialarbeiter_innen hat ca. ein Drittel (N = 1.649; 80 Prozent Frauen, Durchschnittsalter: 53 Jahre) an der Umfrage teilgenommen. Die Auswertung erbrachte folgende Ergebnisse:
• Fast alle Teilnehmer_innen geben an, bereits ›etwas‹ oder ›viel‹ über die positiven Auswirkungen von Tieren auf Erwachsene (97,8 Prozent), Kinder (92,1 Prozent) und ältere Menschen (97,9 Prozent) gehört oder gelesen zu haben.
• Die Mehrheit der Befragten hat zudem schon von dem (statistischen) Zusammenhang zwischen Tiermisshandlung und Kindesmisshandlung (78,1 Prozent), häuslicher Gewalt (69,8 Prozent) oder Kriminalität (85,2 Prozent) gelesen oder gehört.
• 71,2 Prozent verfügen bereits über Wissen über den angemessenen Umgang mit dem Verlust von Heimtieren, wohingegen nicht einmal jede_r Dritte (30,3 Prozent) bereits schon einmal etwas über Handlungsstrategien bei Tiermisshandlung gehört hat.
• Zwei Drittel (n = 1.091) der Teilnehmer_innen geben zudem an, dass sie routinemäßig keine Fragen zu Heimtieren in ihren Anamnesegesprächen oder den Erstkontakten mit neuen Klient_innen stellen. Nur zwölf Prozent erfragen miterlebte oder ausgeübte Tiermisshandlungen ihrer Klient_innen.
• Etwa jede_r Vierte (23,2 Prozent; n = 381) berichtet, dass er_sie Tiere als Teil der eigenen Interventionen in der Sozialarbeitspraxis einbezieht. Am häufigsten werden diese Interventionen in Form tiergestützter Pädagogik/Therapie (n = 143) oder tiergestützter Aktivitäten, z. B. Tierbesuche bei älteren Menschen (n = 86) umgesetzt (durch den_die Sozialarbeiter_in selbst oder die Zusammenarbeit mit externen Anbieter_innen tiergestützter Interventionen). 49 Befragte berichten zudem über die Haltung von Tieren in stationären Wohneinrichtungen. Die am häufigsten in die tiergestützte Arbeit eingebundenen Tiere sind dabei Hunde (n = 320), gefolgt von Katzen (n = 167). Seltener werden Vögel, Kleintiere (z. B. Hamster, Ratten, Meerschweinchen), Pferde, Nutztiere (Kühe, Ziegen, Schafe usw.), Fische, Reptilien und Kaninchen einbezogen.
• Die überwiegende Mehrheit der Befragten (95,7 Prozent) gibt an, keine spezifische Ausbildung oder Schulung zum Einbezug von Tieren in ihre Praxis erhalten zu haben: Fast 63 Prozent geben an, dass Mensch-Tier-Beziehungen und tiergestützte Interventionen keine expliziten Inhalte ihrer Ausbildung zur_zum Sozialarbeiter_in gewesen seien (oder sie sich nicht an solche Inhalte erinnern könnten).
• Auch 82,2 Prozent derjenigen, die Tiere in der Praxis einbeziehen, berichten, dass sie über keine spezielle Ausbildung dazu verfügen.
• Schließlich geben 79,3 Prozent aller Befragten an, dass sie gern mehr über die Mensch-Tier-Bindung erfahren würden.
In einer Substudie (1.262 Teilnehmer_innen; 79 Prozent Frauen; Durchschnittsalter: 53 Jahre; 65 Prozent Tierhalter_innen) haben sich Risley-Curtiss, Rogge und Kawam (2013) zudem mit der Frage beschäftigt, welche Faktoren damit verknüpft sind, ob Sozialarbeiter_innen die persönlichen Mensch-Tier-Beziehungen ihrer Klient_innen z. B. in der Anamnese berücksichtigen und ob sie Tiere in ihre professionelle Praxis einbeziehen. Es zeigte sich, dass Sozialarbeiter_innen besonders häufig Informationen zu Heimtieren erfragen oder Tiere in die eigene Arbeit einbeziehen, wenn sie schon viel über Mensch-Tier-Beziehungen wissen (positive Wirkungen, Tiermisshandlung, Tierverlust etc.) oder entsprechende Schulungen absolviert haben, Klient_innen beispielsweise schon nach dem Verlust von Tieren unterstützt haben und andere Sozialarbeiter_innen kennen, die mit Tieren arbeiten. Ein interessanter Befund war zudem, dass Sozialarbeiter_innen vergleichsweise seltener zum Verlust eigener Heimtiere arbeiten, wenn ihre Klient_innen People of Color sind. Nach Ansicht der Autor_innen ist dies möglicherweise auf die fälschliche Annahme zurückzuführen, dass People of Color ihren Heimtieren subjektiv eine geringere Bedeutung beimessen würden und der Verlust für sie entsprechend weniger belastend sei. Eine differenzierte Untersuchung der subjektiven Wahrnehmung der persönlichen Mensch-Tier-Beziehungen von unterschiedlichen Klient_innengruppen (und ggf. der Fremdzuschreibung bestimmter Charakteristiken) steht leider bislang weitgehend aus.
Risley-Curtiss, Zilney und Hornung (2010) haben zudem die staatlichen Kinderschutzorganisationen aller 50 US-Bundesstaaten zu einer Befragung zum Thema eingeladen (Beteiligung: 90 Prozent). Eigenen Angaben nach werden in etwas mehr als einem Viertel der Staaten den Mitarbeiter_innen der Kinderschutzorganisationen Schulungen dazu angeboten, wie die Heimtierhaltung in Familien erfragt und in die Arbeit einbezogen werden kann. Fast 20 Prozent gaben an, dass sie Beziehungen zu eigenen Heimtieren routinemäßig erfragen, 17 Prozent stellen Fragen nach Tiermisshandlungen. 24 Prozent berichteten zudem davon, dass sie tiergestützte Interventionen für die von ihnen betreuten Kinder und Familien anbieten bzw. vermitteln.
Die Untersuchungen der Forschungsgruppe um Christina Risley-Curtiss verdeutlichen, dass bislang nur ein vergleichsweise kleiner Anteil (US-amerikanischer) Sozialarbeiter_innen über die (positiven wie negativen) Beziehungen ihrer Klient_innen zu Heimtieren informiert ist und diese in ihren Interventionen berücksichtigen. Wie viele andere Autor_innen auch weist Risley-Curtiss (2010) darauf hin, dass Sozialarbeiter_innen insbesondere helfen können, schwierige Aspekte der Heimtierhaltung zu verbessern und belastende Erfahrungen zu bewältigen. Sie könnten beispielsweise Familien bei der Entscheidung unterstützen, ob sie sich ein (weiteres) Heimtier (finanziell, zeitlich etc.) ›leisten‹ können. Sie könnten außerdem dazu beitragen, dass Familien die Notwendigkeit erkennen, ihre Tiere sterilisieren oder kastrieren zu lassen (etwa um Fällen von Animal Hoarding vorzubeugen, Kap. 4.2). Zudem könnten Sozialarbeiter_innen ihren Klient_innen in sozioökonomischen Notlagen etwa veterinärmedizinische Hilfsangebote oder Unterstützungsmöglichkeiten beispielsweise der Tiertafeln vermitteln (
Kap. 6.8). Dies setzt allerdings voraus, dass sie über die verschiedenen Formen und Wirkungen von Mensch-Tier-Interaktionen informiert sind, die Heimtierbiographien ihrer Klient_innen kennen und sensibel die Potentiale und Risiken der individuellen Mensch-Tier-Beziehungen wahrnehmen. Dies bedeutet in einem ersten Schritt kurz gesagt:
»All practitioners should be asking about the presence of animals in client lives and, if found, about the relationships with such animals« (ebd., S. 45).
Buchner-Fuhs, J. & Rose, L. (Hrsg.) (2012): Tierische Sozialarbeit: Ein Lesebuch für die Profession zum Leben und Arbeiten mit Tieren. SpringerVS.
Ryan, T. (Hrsg.) (2014): Animals in Social Work: Why and How They Matter. Palgrave Macmillan.
Ganz verschiedene theoretische Modellvorstellungen werden herangezogen und entwickelt, um die persönlichen Beziehungen zwischen Menschen und Tieren in ihren förderlichen Potenzialen zu verstehen und zu erklären. Lange Zeit erfolgte die Theoriebildung dabei eher ›konkurrierend‹, wobei sich gegenwärtig auch immer häufiger ›integrative‹ Konzepte entwickeln. In der folgenden Auswahl werden einige der meist bemühten Erklärungsversuche kurz vorgestellt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit (die Darstellung basiert wesentlich auf einer Überarbeitung und Ergänzung früherer Ausführungen der Autorin: Wesenberg, Nestmann 2012, Wesenberg 2015 und Nestmann, Wesenberg, Beckmann 2016).
»The object of the reflection can be summarized by a single word, biophilia, which I will be so bold as to define as the innate tendency to focus on life and lifelike processes.«
Edward O. Wilson 1984: Biophilia, S. 1
Einen zentralen und oft genannten Ansatz zur Erklärung der Mensch-Tier-Beziehung und ihrer Effekte stellt die Biophiliehypothese dar, die der Evolutions- und Soziobiologe Edward O. Wilson in den 1980er Jahren entwickelte. In seinem 1984 veröffentlichten Werk »Biophilia: The Human Bond with other Species« beschreibt er Biophilie als angeborene Neigung des Menschen, sich Leben und lebensähnlichen Prozessen zuzuwenden. Demnach fühlen sich Menschen von frühester Kindheit an von allem Lebendigen angezogen und erleben die Beschäftigung mit ihrer belebten Umgebung als wesentlich interessanter als die Bezugnahme zu ihrer unbelebten Umwelt.
Diese menschliche Affinität zu Leben und lebensähnlichen Prozessen hat sich nach Wilson (1993) über Millionen Jahre hinweg entwickelt, da der Mensch während seiner ganzen Evolutionsgeschichte immer eng verbunden mit anderen Lebewesen gelebt hat. Der Biophiliebegriff nach Wilson umfasst dabei alle Arten der Bezugnahme zur Natur. Biophilie schließt demnach sowohl Attraktion als auch Aversion, Wertschätzung und Ehrfurcht ebenso wie Angst und Abneigung ein. Die evolutionäre Verbundenheit von Mensch und Tier »mag auf Verwandtschaft, auf Neugierde oder auch auf Beachtung des anderen Lebens aufgrund von Furcht zurückgehen; sie kann auf Ausnutzung der anderen Lebewesen oder auf Gemeinsamkeit im Sinne von Bindung oder von Kumpanei zielen; sie kann die Qualität des Erlebens von Schönheit, des Verspürens von Empathie oder von geistiger Einheit haben« (Olbrich 2003a, S. 70).
Stephen Kellert (1993) entwickelte die Biophiliehypothese weiter und unterscheidet insgesamt neun verschiedene Perspektiven der Biophilie: utilitaristisch, naturalistisch, ökologisch-wissenschaftlich, ästhetisch, symbolisch, humanistisch, moralistisch, dominierend und negativistisch. Jede dieser Perspektiven bedeutet eine spezifische Form der Bezugnahme zu anderen Lebewesen und lebensähnlichen Prozessen, die mit einer je eigenen Wahrnehmung und Bewertung von Natur einhergeht. Nach Kellert beinhaltet jede Perspektive dabei bestimmte Vorteile, die dem Menschen während seiner Evolution das Überleben ermöglicht bzw. erleichtert haben. In den verschiedenen Perspektiven sind die vielfältigen emotionalen Facetten, die Biophilie beinhalten kann, in unterschiedlichen Ausprägungen vorhanden. Die humanistische Perspektive betont beispielsweise das Gefühl einer tiefen Verbundenheit mit der Natur. Die Einnahme dieser Perspektive kann demnach zu einer erhöhten Fürsorge oder einer engen Bindung an einzelne andere Lebewesen führen. Demgegenüber ist eine negativistische Perspektive durch Gefühle wie Angst, Aversion oder Abneigung gegenüber bestimmten Elementen der Natur gekennzeichnet. Eine gelungene Zusammenfassung der Perspektiven und Wirkungen der Biophilie nach Kellert findet sich im »Handbuch der Tiergestützten Intervention« von Monika Vernooij und Silke Schneider (2008) ( Tab. 1).
Tab. 1: Perspektiven von Biophilie nach Kellert (1993)
PerspektiveBeschreibungWirkung
Dabei bestimmen mehrere Perspektiven gemeinsam bzw. parallel die individuelle Form der Bezugnahme zur Natur oder zu einzelnen Lebensbereichen.
Nach Kellert (1993) umfasst der Nutzen der Tiere für den Menschen ganz eindeutig nicht nur ihren instrumentellen Wert, sondern auch die Erfüllung vielfältiger emotionaler und kognitiver Bedürfnisse. Die Erhaltung der natürlichen Vielfalt des Lebens erscheint entsprechend umso wichtiger, als dass sie nach Kellert die beste Möglichkeit für den Menschen bedeutet, ein erfülltes und zufriedenstellendes Leben zu führen. Menschen brauchen demnach den Kontakt zu anderen Lebewesen, um sich gesund zu entwickeln.
Die von Wilson begründete Annahme einer dem Menschen inhärenten Affinität zu allem Lebendigen wird von vielen Autor_innen als theoretische Grundlage zur Begründung der Mensch-Tier-Beziehung herangezogen (und als Basis der in den folgenden Kapiteln aufgeführten theoretischen Konzepte verstanden). Die in der Biophilie-Hypothese postulierte, evolutionär geprägte Verbundenheit zwischen Mensch und Tier gilt nach Olbrich (2009a) als ›Schlüssel‹ einer geistig und emotional gesunden Entwicklung und bildet eine zentrale Grundlage für soziale Interaktion zwischen Menschen und Tieren.
»Die Frage nach der Möglichkeit sozialer Beziehungen zwischen Mensch und Tier ist also grundsätzlich dahingehend zu beantworten: soziale Beziehungen zwischen Mensch und Tier sind generell möglich; die praktische Voraussetzung für ihr Wirksamwerden ist, daß die Partner einander gegenseitig als Du evident seien.«
Theodor Geiger 1931: Das Tier als geselliges Subjekt, S. 301
Ein grundlegendes Element der besonderen Beziehung zwischen Mensch und Tier wird mit dem Begriff der Du-Evidenz charakterisiert. Du-Evidenz meint dabei die Fähigkeit, ein anderes Lebewesen »als ein mir vertrautes Lebewesen, als ein Du perzipieren zu können« (Olbrich 2009b, S. 257), es in seinen Eigenarten bewusst wahrzunehmen und als Gefährten anzuerkennen. Das Vorhandensein von Du-Evidenz gilt inzwischen in der (deutschsprachigen) Literatur als wesentliche Grundlage gelingender persönlicher Beziehungen zwischen Menschen und Tieren sowie ihrer innewohnenden Wirkpotentiale (u. a. Lorenz 1963; Greiffenhagen 1993; Vernooij, Schneider 2008; Vernooij 2009).
Das Konzept der Du-Evidenz ist dabei bereits vor vielen Jahrzehnten – und lange vor den anderen Erklärungsmodellen der Mensch-Tier-Beziehung – entwickelt worden. Theodor Geiger beschreibt bereits 1927/1931 in seinem Artikel »Das Tier als geselliges Subjekt« das Vorhandensein wechselseitiger Du-Evidenz als eine wesentliche Voraussetzung individueller sozialer Beziehungen zwischen Menschen und Tieren. In der Folge wurde das Konzept in der deutschsprachigen Literatur vielfach aufgegriffen und diskutiert. Auch Teutsch (1975, S. 54) kommt unter Bezugnahme auf Geiger zu der Einschätzung, dass »die gegenseitige Sozialbeziehung auch gegenseitige Du-Evidenz und Interaktionsfähigkeit voraus[setzt]; sie verlangt also auch beim außermenschlichen Sozialpartner verschiedene Eigenschaften, die trotz bestehender Niveauspannung eine Gemeinsamkeit ermöglichen. Zu diesen Eigenschaften gehört für beide Teile ein Mindestmaß an Kommunikation«.
Menschen drücken wie die meisten Tiere Affekte, Bedürfnisse und Motive über spezifische mimische, gestische und lauthafte Äußerungen aus und lernen in ihrer Sozialisation diese Ausdrucksweisen wahrzunehmen, zu decodieren und zu deuten ( Kap. 2.4). Soweit die neurophysiologischen Wahrnehmungs-, Deutungs- und Reaktionspotenziale und -mechanismen der beteiligten Spezies sich ähneln, kann diese Kommunikation auch über Speziesgrenzen hinweg gelingen. Nach Kurt Kotrschal (2009) »wird wechselseitiges Verstehen durch die gemeinsamen Prinzipien der Organisation von Verhalten, Persönlichkeitsstruktur und Stressbewältigung begünstigt« (ebd., S. 66). Im Laufe der Evolution haben sowohl Menschen als auch Tiere demnach so genannte »social tools «