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Lars Fredrik Händler Svendsen

Tiere verstehen

Philosophie für Hunde- und
Katzenliebhaber

Aus dem Norwegischen von
Daniela Stilzebach

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Für Kari Händler Svendsen
(25. Februar 1944 – 17. Oktober 2017),
die mir beigebracht hat, Tiere zu verstehen.

Lars Fredrik Händler Svendsen (geb. 1970) ist Professor für Philosophie an der Universität Bergen. Seine Werke, darunter auch die Philosophie der Einsamkeit (bup 2016), wurden bereits in 26 Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 2008 mit dem Meltzerpreis für hervorragende Forschung und Forschungsvermittlung. 2012 untersuchte er Anders Behring Breiviks sogenanntes Manifest nach den dahinter liegenden ideologischen Inspirationsquellen.

Daniela Stilzebach, Studium der Kommunikations- und Medienwissenschaft, Psychologie und Kulturwissenschaften an der Universität Leipzig; Studium der nordischen Sprachen und Literatur an der Universität Bergen; langjährige Berufserfahrung im Bereich Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Redaktion sowie Übersetzungen aus dem Norwegischen, Dänischen und Schwedischen.

Inhalt

EINLEITUNG

WITTGENSTEINS LÖWE UND KAFKAS AFFE

DIE SPRACHE

DAS BEWUSSTSEIN DES TIERES ERKENNEN

EINE MENSCHLICHE FORM

GEDANKENLESEN

INTELLIGENZ

IN EINEM SPIEGEL, IN EINEM RÄTSEL

DIE ZEIT

KANN MAN TIERE VERSTEHEN?

DIE UMWELT

ZUM TIER WERDEN

DER HUND

DIE KATZE

DIE KOPFFÜSSER

EINSAMKEIT UND TRAUER

HABEN TIERE MORAL?

MENSCHEN UND ANDERE TIERE

FREUNDSCHAFT

DANK

ANMERKUNGEN

Einleitung

Jeder, der ein Haustier hat, hat sich schon einmal gefragt, wie der tierische Mitbewohner die Welt auffasst und wie zum Beispiel ein Hund oder eine Katze die Welt erlebt. Weder ein Hund noch eine Katze hat jemals eine Autobiografie verfasst, die uns Auskunft darüber gibt. Wenn ich auf einem Waldweg einen Elch, einen Fuchs oder einen Hasen sehe und selbiger meinen Blick erwidert, wünschte ich, ich könnte nachempfinden, wie das Tier mich sieht. Wenn in Naturdokumentationen gezeigt wird, wie ein Adler schwebt, ein Schwertwal schwimmt oder ein Kopffüßer auf den Meeresboden hinabgleitet, fragen wir uns, wie es sein würde, im Bewusstsein dieser Tiere zugegen zu sein. Der amerikanische Biologe Stephen Jay Gould behauptet: »Man gebe mir eine Minute – nur eine Minute – unter der Haut dieses Geschöpfes. Man kopple mich nur sechzig Sekunden lang an den Gefühls- und Begriffsapparat dieses anderen Wesens – und ich werde wissen, wonach Naturhistoriker all die Jahre gesucht haben.«1 Das ist, wie Gould etwas betrübt einräumen muss, unmöglich. Uns bleibt nichts anderes übrig, als indirekter zu Werke zu gehen, diese Geschöpfe von außen zu studieren und uns immer wieder die Frage zu stellen, wie es wohl ist, sein Dasein beispielsweise als Adler, Schwertwal oder Kopffüßer zu fristen.

Dieses Buch handelt in erster Linie nicht von Tieren, sondern von Menschen. Auch wir Menschen sind Tiere, allerdings Tiere mit einer Reihe von Eigenschaften, die kein anderes Tier aufweist. Das Buch handelt von den Möglichkeiten, die wir Menschen haben, um Tiere zu verstehen, die ihrerseits keine Menschen sind. Es verteidigt den Blick des Amateurs auf das Tier, und ich will zeigen, dass das Verhältnis des Amateurs zum Tier ebenso gültig und sachkundig ist wie der Blick des Wissenschaftlers. Der Amateur kann durchaus viel von wissenschaftlichen Erkenntnissen lernen. Für denjenigen, der ein Tier verstehen will, ist es zum Beispiel von Vorteil, etwas über die Evolutionsgeschichte des Tieres zu wissen. Das liefert Erklärungen, die das Verständnis erleichtern. Aus diesem Grund beinhaltet dieses Buch viel wissenschaftliches Material. Der Amateur ist jemand, ausgehend von der wortwörtlichen Bedeutung des Begriffs, der liebt, und gerade der liebende Blick kann etwas aufdecken, das der distanzierte Blick nicht erfassen kann. Der deutsche Philosoph Martin Heidegger protestiert gegen die Redewendung, dass Liebe blind macht, und behauptet vielmehr, dass Liebe uns dazu bringt, Dinge zu sehen, die wir nicht sehen können, wenn wir nicht lieben.2

In dem Maße, wie meine Perspektive in diesem Buch mit einer bestimmten philosophischen Richtung verbunden werden kann, betrifft das die Hermeneutik. Mit ›Hermeneutik‹ ist in aller Schlichtheit die philosophische Lehre vom Verständnis unterschiedlicher Phänomene gemeint. Für jene, die diese Tradition kennen, erscheint das womöglich etwas merkwürdig, weil sie Tieren typischerweise das Verständnis abspricht und behauptet, dass Tiere nur erklärt, nicht aber verstanden werden können. Ein Anliegen dieses Buches ist es folglich, die Tiere in die Deutungstheorie einzubeziehen, der sie traditionell verwiesen wurden.

In Studien über das mentale Leben von Tieren sind Schimpansen und andere Primaten überrepräsentiert. Hunde und Katzen tauchen in diesem Zusammenhang weitaus seltener auf, auch wenn es über sie eine umfangreiche Literatur gibt. In diesem Buch geht es viel um Hunde und Katzen, weil es die Tiere sind, die den meisten von uns in ihrem Alltag am nächsten stehen. Aus genetischer und evolutionärer Sicht betrachtet, stehen uns die Schimpansen weitaus näher, allerdings haben die Wenigsten einen Schimpansen zu Hause, worüber sowohl die Schimpansen als auch die Menschen froh sein sollten. Ich verwende in diesem Buch Beobachtungen, die ich bei meinen eigenen Hunden und Katzen gemacht habe, aus dem einfachen Grund, weil man viel über ein Tier lernt, wenn man viele Jahre mit ihm unter einem Dach lebt. Vor allem wird von der Hündin Luna sowie von den Katzen Lasse und Geir die Rede sein. Selbstverständlich wird auch Bezug auf viele andere Tierarten genommen, wobei ich mich dazu entschieden habe, des Pazifischen Riesenkraken ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen. In einem Buch mit dem Titel Tiere verstehen müssen wir auch unser Verständnis auf die Probe stellen. Dabei stellt ein Tier mit einem so hoch entwickelten Bewusstsein wie der Riesenkrake, mit dem wir jedoch weniger gemeinsam haben als mit den meisten anderen Tieren, eine echte Herausforderung dar.

Das Motto des SETI-Programms, das nach intelligentem Leben auf fremden Planeten sucht, ist die Frage: »Sind wir alleine?« Genauer ausgedrückt geht es darum, ob der Mensch im Universum alleine ist, wenn es um intelligentes Leben geht. Die Antwort auf diese Frage ist ein schallendes Nein! Ich habe keine Ahnung, ob es auf fremden Planeten intelligentes Leben oder überhaupt Leben gibt, auf unserem Planeten, der Erde, jedoch gibt es Unmengen an intelligentem Leben, auch außerhalb der Art Homo sapiens.

Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich im familieneigenen Wochenendhäuschen, in das ich mich für einige Wochen zurückgezogen habe, um ungestört schreiben zu können. Ganz ungestört bin ich indessen nicht, denn ich habe nicht den geringsten Zweifel daran, dass es hier zwei bewusste Wesen gibt – oder zwei Subjekte, wenn man so will –, nämlich meine Hündin und mich. Zwischendurch unternehmen wir einige Spaziergänge in die Natur und plaudern ein wenig. Das ist nicht so wie im Film Cast Away (dt. Verschollen, 2000), in dem die Hauptfigur, die auf einer einsamen Insel gestrandet ist, einem Volleyball ein Gesicht aufmalt, mit ihm spricht und ihn Wilson nennt. Der Volleyball verfügt eindeutig nicht über ein Bewusstsein. Was meine Hündin Luna angeht, habe ich hingegen nicht den geringsten Zweifel, dass sie eines hat. Dass sie ein Beispiel für intelligentes Leben ist, ist offenkundig, allerdings frage ich mich, ob ich diese Variante des intelligenten Lebens verstehen kann, die sich sehr stark von meiner eigenen unterscheidet. Kann ich Luna verstehen? Kann ich verstehen, wie es ist, sie zu sein?

Bei diesem Buch handelt es sich um eine philosophische Untersuchung unseres Verhältnisses zu Tieren. Anliegen ist es, philosophische Perspektiven aufzugreifen, die der einzelne Leser in seine eigene Reflexion über das Verhältnis zu Tieren einbringen kann. Ludwig Wittgenstein schreibt: »Die Arbeit an der Philosophie ist […] eigentlich mehr die Arbeit an Einem selbst. An der eignen Auffassung. Daran, wie man die Dinge sieht. (Und was man von ihnen verlangt).«3 Eine solche Selbstreflexion kann kein anderer für einen übernehmen. Das muss man selbst tun. Viel mehr als klare ›Antworten‹ zu geben, hoffe ich, höchstens dazu beizutragen, dass der Leser ein paar Dinge sieht, die ansonsten übersehen worden wären, und ein paar Gedanken denkt, die ansonsten ungedacht geblieben wären.

Wittgensteins Löwe und Kafkas Affe

»Wenn ein Löwe sprechen könnte, wir könnten ihn nicht verstehen.«4 Das Diktum des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein erscheint erst einmal seltsam. Die meisten von uns denken vermutlich: Würde ein Tier sprechen können, könnten wir verstehen, was es sagt. Dann könnte der Löwe uns erzählen, wie es ist, Löwe zu sein, anstatt, dass wir unsere Schlüsse diesbezüglich aus dem Verhalten des Löwen ziehen müssen. Doch was meint Wittgenstein eigentlich mit dieser Aussage? Welche Art von Sprache hätte dieser Löwe seiner Ansicht nach sprechen sollen? Deutsch? Englisch? ›Löwisch‹? Wenn seine Absicht darin bestand zu sagen, dass der Löwe spricht, er jedoch ›Löwisch‹ spricht, eine Sprache, die wir nicht verstehen, folgt daraus doch ohne weiteres, dass wir ihn nicht verstehen. Wittgenstein scheint darauf aus zu sein, mehr zu sagen, als die triviale Behauptung, dass man Sprachen, die man nicht gelernt hat, nicht versteht.

Vielmehr ist denkbar, dass er auf einen Abgrund zwischen der Welt des Menschen und der des Tieres hinweisen möchte – einen Abgrund, so tief, dass das Verständnis selbst dann nicht möglich wäre, wenn wir annehmen würden, dass das Tier eine Sprache spricht, die aus den gleichen Wörtern und der gleichen Grammatik wie beispielsweise Norwegisch oder Deutsch besteht. Ich bin noch nie einem Tier begegnet, das spricht, wenn damit gemeint ist, wie wir Menschen zu sprechen, aus dem einfachen Grund, weil kein anderes Tier als der Mensch wie ein Mensch spricht. Auf der anderen Seite sprechen alle Tiere, wenn ich versuche sie zu verstehen, da aber spreche selbstverständlich ich zu ihnen. Für uns Menschen ist der Versuch, das Verständnis sprachlich zu artikulieren, unumgänglich. Auch ich spreche zu den Tieren. Nicht, weil ich unter irgendeiner Illusion leide, dass das Tier meine Sätze so versteht, wie Menschen sie verstehen, sondern weil ich so kommuniziere, und es hat den Anschein, als wäre ich in der Lage, mit diesen Sätzen etwas zu kommunizieren, wenn auch nur eine etwas undefinierte Gemütslage oder ein primitives Kommando.

Wenn Wittgenstein mit seiner Formulierung den Wunsch hatte, eine prinzipielle Grenze zwischen Mensch und Tier zu ziehen, müssen wir die Frage nach der Grundlage für diese Grenze stellen und danach, wann diese entstand. Was, wenn ich sage: »Hätte ein Neandertaler sprechen können, hätten wir ihn nicht verstanden«? Hier wären die meisten wohl der Meinung, dass ein sprechender Neandertaler ein Wesen wäre, das wir verstanden hätten. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätten wir dieses Wesen als ›einen Menschen‹ kategorisiert. Indessen unterschieden sich die Neandertaler sehr von uns modernen Menschen, unter anderem hatten sie größere Gehirne als wir. Ihr Sehvermögen war vermutlich besser, weil ihm größere Anteile des Gehirns gewidmet waren, während ihre soziale Intelligenz, im Vergleich zu unserer, vermutlich nicht so stark ausgeprägt war. Wann wurde der Mensch ein Mensch? Zu welchem Zeitpunkt der Evolutionsgeschichte des Menschen wären wir berechtigt, kategorisch das Urteil zu fällen: »Wenn X sprechen könnte, könnten wir ihn nicht verstehen.«?

Wenn wir uns die geometrischen Zeichen anschauen, die unsere Vorfahren während der letzten Eiszeit gefertigt haben, müssen wir einräumen, dass wir, wenn überhaupt etwas, nicht viel davon verstehen.5 Eine Sache sind die fantastischen Zeichnungen von Ochsen und anderen Tieren, von denen wir meinen, ein Verständnis zu haben, weil wir erkennen können, was sie darstellen. Allerdings verstehen wir eigentlich nur wenig vom Sinn der Zeichnungen, weil wir so wenig darüber wissen, welche Rolle sie im Leben dieser Menschen spielten. Bei den 32 dokumentierten geometrischen Zeichen wissen wir nicht einmal, was sie darstellen sollen. Wir erleben sie unmittelbar als Ausdruck von Sinn, aber von welchem Sinn? Wir wissen wenig über die Menschen, die diese Zeichnungen angefertigt haben, wie sie gekleidet waren, wie sie auf die Jagd gingen, wie sie Musikinstrumente gebrauchten und ihre Toten beerdigten, nichts wissen wir hingegen über das Verhalten in Verbindung mit dem Einsatz der geometrischen Zeichen. Könnten wir eine Reise mit einer Zeitmaschine unternehmen, nehmen wir an, dass wir sie nach und nach verstehen würden, indem wir mit ihnen zusammen sein würden und ihre Lebensweise kennenlernten. Dann könnten wir auch sehen, welche Rolle diese Zeichen in ihrer Kultur gespielt haben.

Wenn Wittgenstein erklären soll, wie Menschen, auch aus ganz unterschiedlichen Kulturen, einander verstehen können, weist er auf eine »gemeinsame menschliche Handlungsweise«6 hin. Indessen gibt es auch Handlungsweisen, die Menschen und Tieren gemein sind und die eine Form von Kommunikation ermöglichen. Wittgenstein unterstreicht jedoch auch, wie Menschen, gerade aufgrund kultureller Unterschiede, füreinander unbegreiflich sein können und dass es nicht unbedingt helfen würde, wenn sie dieselbe Sprache sprechen würden. Kurz vor der Bemerkung über den Löwen schreibt Wittgenstein nämlich:

Wir sagen auch von einem Menschen, er sei uns durchsichtig. Aber es ist für diese Betrachtung wichtig, daß ein Mensch für einen andern ein völliges Rätsel sein kann. Das erfährt man, wenn man in ein fremdes Land mit gänzlich fremden Traditionen kommt; und zwar auch dann, wenn man die Sprache des Landes beherrscht. Man versteht die Menschen nicht. (Und nicht darum, weil man nicht weiß, was sie zu sich selber sprechen.) Wir können uns nicht in sie finden.7

Etwas von diesen Menschen wird man doch verstehen, vor allem die Aktivitäten, die uns gemein sind, jedoch wird es Seiten an ihrer Lebensweise geben, in die einzudringen uns nicht gelingt. Warum sollte das bei Tieren nicht genauso sein? Es gibt eine Reihe von Aktivitäten, die wir mit Löwen teilen, wie essen und entspannen, und wir verstehen diese Aktivitäten. Ebenso verstehen wir einige der Aktivitäten, die wir nicht mit Löwen teilen. Ich habe mich noch nie an eine Gazelle herangeschlichen, um sie zu reißen, jedoch fällt es mir nicht sonderlich schwer, diese Aktivität zu verstehen. Vielleicht sollten wir deshalb eher sagen: »Wenn ein Löwe sprechen könnte, würden wir nicht alles verstehen, was er sagt.« Oder: »Wenn ein Löwe sprechen könnte, würden wir nur etwas von dem verstehen, was er sagt.« Keine dieser Umformulierungen scheint indessen Wittgensteins Aussage einzufangen.

Ist es am Ende die Sprache, die uns von allen anderen Tieren unterscheidet? Dass eine Sprache zu haben alles verändert, sodass ein Löwe, der genauso wie ein Mensch sprechen könnte, kein Löwenbewusstsein hätte? So gesehen wäre er dann auch kein Löwe mehr. Vielleicht sollen wir vielmehr sagen: Wenn ein Löwe sprechen könnte, würde er sich selbst nicht verstehen. Oder besser gesagt: Wenn ein Löwe sprechen könnte, würde er nicht verstehen, wie es ist, ein gewöhnlicher Löwe zu sein, der nicht sprechen kann.

Das ist bei Rotpeter der Fall, der Hauptfigur in Franz Kafkas Erzählung »Ein Bericht für eine Akademie« (1919).8 Rotpeter ist ein Affe mit der Fähigkeit, die Sprache der Menschen zu sprechen, weshalb eine deutsche Akademie ihn bittet, von seinem Leben zu erzählen. Die Akademiker sind nicht zuletzt darauf gespannt, von Rotpeter zu erfahren, wie es ist, Affe im Naturzustand zu sein, vor dem Erwerb der Sprache. Indessen muss Rotpeter bedauern, dass er ihnen einen solchen Bericht nicht liefern kann, weil seine Erinnerung, wie es ist, Affe zu sein, vom Prozess, die Sprache und Manieren der Menschen zu lernen, ausradiert wurde. Er hat schlichtweg vergessen, wie es ist, Affe zu sein. Alles, was er tun kann, ist, den Prozess zu beschreiben von dem Zeitpunkt an, als er eingefangen wurde, bis zu seinem aktuellen Erfolg als Unterhaltungskünstler, der wie ein Durchschnittseuropäer raucht, Rotwein trinkt und spricht.

Vor Kafka hatten mehrere Philosophen darüber spekuliert, inwieweit Affen lernen könnten zu sprechen. Immanuel Kant war der Meinung, dass Menschen die einzigen Wesen seien, die faktisch über die Fähigkeit zur Sprache verfügen, allerdings ließ er die Tür einen Spalt offen, indem er sagte, dass eine »Naturrevolution« stattfinden könne, in deren Folge die Menschen hinsichtlich der Fähigkeit zur Sprache und des Einsatzes des Verstandes nicht mehr alleine wären und auch Schimpansen und Orang-Utans solche Fähigkeiten erhielten.9 In seinem bekannten Werk aus dem Jahr 1748, L’homme machine (Der Mensch als Maschine), behauptet Julien Offray de La Mettrie, dass ein Affe, der trainiert wird, lernen kann, eine Sprache zu sprechen, und dann wäre dieser Affe weder ein »wilder« noch ein minderwertiger Mensch, sondern vielmehr ein allen anderen Menschen ebenbürtiger Mensch.10 Die Sprache macht den ganzen Unterschied.

Als Rotpeter der Akademie seinen Bericht abstattet, sind fünf Jahre vergangen, seit er beim Wassertrinken aus einem Fluss eingefangen, in einen Käfig gesperrt und nach Deutschland transportiert worden war. Während der langen Überfahrt hatte er ausreichend Zeit gehabt zu spekulieren, und er hatte festgestellt, dass die Menschen an Bord des Schiffes sich frei bewegten, während er in dem unangenehmen Käfig sitzen musste. Da hatte er sich gedacht: Wenn er die Menschen imitieren könnte, dann würde er die gleiche Freiheit erhalten. Durch Nachäffen des Menschen sollte der Affe zum Menschen werden. Es war verblüffend einfach, teilt er mit. Er hatte gesehen, dass sich die Menschen mit Handschlag begrüßten, und ahmte es nach. Anschließend lernte er zu spucken, und auch das war einfach. Rauchen und Alkohol trinken zu lernen, brachte indessen größere Schwierigkeiten mit sich, aber auch das ließ sich arrangieren. Eines Tages trank er eine Flasche Gin auf ex, und da geschah etwas in ihm: Plötzlich kam ihm ein »Hallo!« über die Lippen. In diesem Moment, beim Eindringen in die menschliche Sprache, durchbrach er die Barriere zwischen Mensch und Tier und wurde ein Teil der menschlichen Gemeinschaft. Menschen waren bloß sprechende Affen.

In der seither vergangenen Zeit hatte Rotpeter eine derart große Entwicklung durchlaufen, dass ihm seine eigene ›Affigkeit‹ ebenso fremd war, wie es die ›Affigkeit‹ der Zuhörer für diese war. Indem er zu einem sprechenden Affen wurde, also einem Menschen, hatte er den Kontakt dazu verloren, ein Affe zu sein, der nicht sprechen kann. Ein Affe, der sprechen kann, wäre, kurz gesagt, kein Affe mehr, ebenso wenig, wie ein sprechender Löwe noch ein Löwe wäre. Wo Wittgensteins Löwe nicht von uns verstanden werden kann, versteht sich Kafkas Affe nicht einmal selbst, weil er einer von uns geworden ist. Wie verhält es sich mit den »sprechenden« Affen der Wirklichkeit?

Die Sprache

Die meisten Versuche, Tieren Sprache beizubringen, wurden mit Schimpansen durchgeführt, weil es Grund zu der Annahme gibt, dass sie über die besten Voraussetzungen dafür verfügen. Es gibt Bereiche im Gehirn des Schimpansen, die den Sprachbereichen des menschlichen Gehirns entsprechen, allerdings sind diese sehr klein. Zuerst versuchte man, den Schimpansen gesprochene Sprache beizubringen, was jedoch nicht funktioniert hat, weil Schimpansen der Sprechmechanismus fehlt, wie Menschen ihn haben. Der nächste Schritt bestand darin, sie Zeichensprache zu lehren, und das lief besser. Eine andere Herangehensweise war das Drücken von Tasten mit unterschiedlichen Symbolen.11 Die bekanntesten ›sprechenden‹ Affen sind: der Schimpanse Washoe, der innerhalb von fünf Jahren 132 Zeichen lernte, der Schimpanse Nim, der in dreieinhalb Jahren 125 Zeichen lernte, und der Gorilla Koko, der in vier Jahren 250 Zeichen lernte. Schimpansen, die Zeichensprache gelernt hatten, wurden dabei beobachtet, wie sie diese auch in der Kommunikation untereinander verwendeten. Auch in Fällen, in denen ihnen nicht klar war, dass Menschen sie dabei beobachteten. Affen beizubringen, Zeichen und Symbole zu verwenden, ist mühsam. Kleinen Menschenkindern gelingt das mit Leichtigkeit. So beeindruckend der Zeichengebrauch von Schimpansen auch ist – ein zweijähriges Kind lernt rund zehn Wörter pro Tag.

Was sagen diese Primaten mit den von ihnen verwendeten Zeichen? Bisher hat keiner der Zeichen gebrauchenden Affen nennenswert davon berichten können, wie es ist, Affe zu sein. Im Wesentlichen bitten sie um Futter und Trinken, geläufig sind auch Anfragen nach Spielen und Streicheleinheiten. Washoe, Koko und die anderen Primaten schafften es, eine verhältnismäßig große Menge an Zeichen zu lernen und mithilfe dieser zu kommunizieren, jedoch lernten sie keine Grammatik. Auch viele andere Arten, wie Hunde, Ratten und Tauben, haben gelernt, ein Zeichen – wie ein Licht oder eine Bewegung – mit einer Handlung zu verbinden, und es ist im Grunde nicht erwiesen, ob sich die Affensprache von Washoe und Koko qualitativ von derart assoziativem Lernen unterscheidet. Schaut man sich an, was die ›sprechenden‹ Affen sagen, ist das im Großen und Ganzen »Futter bekommen«, »Apfelsine bekommen« oder »Banane bekommen«. Die längste zusammenhängende Aussage von Nim lautete: »Gib Apfelsine mir gib Futter Apfelsine mir Futter Apfelsine gib mir Futter Apfelsine gib mir du.«12 Ein menschlicher Dreijähriger ist hingegen in der Lage, Substantive, Verben, Präpositionen und einiges mehr in grammatikalisch erlernter Weise für deutlich komplexere Aussagen zu kombinieren. Menschenkinder können auch über andere Dinge sprechen als jene, die sich im Hier und Jetzt direkt vor ihnen befinden. Man kann sich fragen, was es beinhaltet, dass Affen Zeichen verwenden können – denn das können sie –, um Sachen zu erbitten. Einen Knopf zu drücken oder an einem Hebel zu ziehen, um eine Banane zu bekommen, erscheint möglicherweise als ein recht kleiner Unterschied. Es ist kurz gesagt sehr weit entfernt von dem, was wir normalerweise als einen kompetenten Sprachverwender bezeichnen.

Mehrere Forscher behaupten, dass ihre Tiere erheblich anspruchsvollere Äußerungen gemacht haben, mit reichhaltigen Beschreibungen von Leben und Tod, Witzen und so weiter. Überprüfen jedoch andere Forscher das Material, zeigt sich häufig, dass ein recht großer Abstand zwischen dem besteht, was die Tiere im ganz wortwörtlichen Sinne mit den Zeichen gesagt haben, und den Auslegungen, die ihr Instrukteur vorgenommen hat. Hier kommt es offenbar zu einiger Überinterpretation. Die unabhängigen Forscher fanden einen weitaus geringeren Anteil sinnvoller Zeichen und Zeichenkombinationen. Man kann sagen, das sei dem Umstand geschuldet, dass die unabhängigen Forscher die Tiere nicht so gut kennen und folglich auch nicht über so gute Voraussetzungen verfügen, sie zu interpretieren. Selbstverständlich müssen die von den Tieren verwendeten Zeichen interpretiert werden, je weiter man sich jedoch von einer wortwörtlichen Wiedergabe dessen, was sie mit den Zeichen faktisch kommuniziert haben, entfernen muss, um zu einer zusammenhängenden Botschaft zu gelangen, desto wahrscheinlicher ist es, dass es sich bei dieser Botschaft viel mehr um eine Konstruktion des Interpreten handelt, als um etwas, das vom Nutzer der Zeichen beabsichtigt war. Ein häufig erwähntes Beispiel ist ein Tag, an dem sich der Gorilla Koko als wenig kooperativ erwies und gebeten wurde, das Zeichen für Trinken zu zeigen. Nach viel Hin und Her zeigte das Tier auf sein Ohr und nicht auf den Mund. Kokos Trainer legte das als einen Witz von Kokos Seite aus, während Skeptiker eher zu der Ansicht neigten, dass Koko schlicht und einfach einen Fehler gemacht hatte. Generell kann man sagen: Je mehr es erforderlich ist, derart wohlwollende Auslegungen vorzunehmen, desto weniger überzeugend ist es, diesen Tieren ein nennenswertes Sprachverständnis zuzuschreiben.

Auf der anderen Seite zeigen mehrere von ihnen ein recht gutes Verständnis von dem, was ihnen gegenüber verbal geäußert wird. Kritiker reagieren aber auch auf solche Ergebnisse mit Einwänden, da es ihrer Ansicht nach problematisch ist, dass diese verbalen Bescheide von den Trainern gegeben werden, die tagtäglich mit den Tieren interagieren. Dabei würden die körperlichen Hinweise und nicht ein Sprachverständnis zu dem gewünschten Verhalten führen. Bei den erwähnten Hinweisen muss es sich keineswegs um etwas handeln, dessen sich die Forscher selbst bewusst sind. Tatsächlich ist es ungeheuer schwer, solche Experimente durchzuführen, ohne dass genau die Forscher anwesend sind, die die Tiere kennen.

Es gibt umfassende Diskussionen darüber, inwieweit Affen eine Sprache haben oder überhaupt eine erwerben können. Das Pendel schwingt derzeit in die Richtung, dass der überwiegende Teil der Forscher der Ansicht ist, Affen hätten keine Sprache, zumindest nicht das, was Linguisten für gewöhnlich als Sprache bezeichnen. Man hat einzelnen Tieren unterschiedliche Zeichen beigebracht, wenn auch deutlich weniger als die, die ein menschlicher Dreijähriger beherrscht. Die Kommunikation von Affen ist faszinierend, aber höchst begrenzt. Selbst die »top trainierten« Primaten, die eine beachtliche Anzahl von Zeichen und Symbolen gelernt haben, sind nicht in der Lage, Grammatik zu lernen. Kein Schimpanse wird jemals einen Roman schreiben. Denkbar ist immerhin, dass ein Nachkomme des Schimpansen dies möglicherweise tun könnte, jedoch wird sich ein solches Wesen so stark weiterentwickelt haben, dass es kein Schimpanse mehr ist.

Die Antwort auf die Frage, inwieweit Tiere eine Sprache haben, ist abhängig davon, welche Anforderung man stellt, um etwas als eine Sprache zu bezeichnen. Mit einem äußerst weit gefassten Sprachbegriff, wobei ›Sprache‹ mehr oder weniger synonym mit ›Kommunikation‹ gebraucht wird, ist es einleuchtend, dass eine große Menge von Tieren eine Sprache hat, weil sie offensichtlich kommunizieren. Zum Beispiel erhielt der österreichische Ethologe Karl von Frisch 1973 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin für seinen Nachweis, dass Bienen mittels Tanz kommunizieren und dass in einem solchen Tanz sogar zwischen verschiedenen »Dialekten« unterschieden werden kann. Hat man hingegen ein enger gefasstes Verständnis von Sprache, wobei X eine Sprache ist, wenn sie, und nur dann, sogenannte rekursive Strukturen enthält, ist es wahrscheinlicher, dass Tiere keine Sprache haben. Mit Rekursion ist gemeint, dass eine Phrase eine andere Phrase des gleichen Typs beinhalten kann, wie: »Ich weiß, dass du glaubst, dass dein Hund versteht, was du denkst.« In einem einflussreichen Artikel haben der Linguist Noam Chomsky sowie die Biologen Marc Hauser und Tecumseh Fitch behauptet, dass sich solch rekursive Strukturen nur in der menschlichen Kommunikation finden.13 Kritiker haben versucht, solche Strukturen bei anderen Tierarten nachzuweisen, unter anderem im Vogelgesang, jedoch spricht wenig dafür, dass irgendein anderes Tier über ein Kommunikationssystem mit solchen Strukturen verfügt. Wenn wir voraussetzen, dass etwas über eine solche Struktur verfügen muss, um als Sprache bezeichnet zu werden, sind wir Menschen allem Anschein nach zu urteilen die einzigen Tiere mit einer Sprache. Ich selbst glaube nicht, dass es möglich ist, präzise, erforderliche und hinreichende Bedingungen anzuführen, dass »X Sprache ist«, passe mich jedoch einer etwas strengeren Linie im Verständnis dessen an, was Sprache ist.

Aber ist es eigentlich so wichtig, inwieweit wir die Kommunikation von Tieren als ›Sprache‹ bezeichnen können oder nicht? Dass sie kommunizieren, entspricht unbestreitbar der Wahrheit. Andere Arten sind offensichtlich in der Lage, Gefühle und Intentionen sowohl einander als auch uns gegenüber zu kommunizieren. Tiere kommunizieren sowohl mit Artverwandten als auch mit fremden Arten. Eine Gazelle, die bemerkt, dass ein Löwe heranschleicht, macht mitunter auffallende Bocksprünge. Das teilt dem Löwen mit, dass er bemerkt wurde und dass er es kaum schaffen wird, die Gazelle zu fangen. Dadurch ersparen sich beide, Unmengen an Energie auf eine Jagd zu vergeuden, die zu nichts führen wird. Meine Hündin kann mir gegenüber kommunizieren, dass sie Hunger hat und Futter haben will, dass sie mal muss und rauswill oder dass sie Angst hat und Schutz bedarf. Nicht zuletzt äußert sie eine große Freude, wenn ein Familienmitglied nach Hause kommt. Da gibt sie einige bestimmte Töne von sich, die vom Tiefen, beinahe Rumpelnden, zum Hohen und Hellen wechseln und die vielleicht als »vovovovovvooooouuuuuu« beschrieben werden können. Für mich ist es eindeutig, dass Luna, wenn sie diese Töne von sich gibt und ihr Schwanz sich wie ein Drumstick bewegt, als sehr, sehr glücklich beschrieben werden muss. Durch dieses »vovovovovvooooouuuuuu« kommt enorme Freude zum Ausdruck. Gleichzeitig muss eingeräumt werden, dass ihre Kommunikationsfähigkeiten recht begrenzt sind, wenn vermutlich auch reicher als das, was wir in der Lage sind mitzukriegen. Zum Beispiel besitzt sie nicht die Fähigkeit, Symbole zu verwenden. Das heißt: Mit sehr großem Wohlwollen kann ich vielleicht sagen, dass Luna ihren Spielzeugvogel, den sie immer dann heranholt und Piepsgeräusche damit fabriziert, wenn jemand nach Hause kommt, als ein Symbol ihrer Freude gebraucht. Indessen fällt wohl genau das in die Kategorie »den Bogen zu weit zu spannen«.

Kein anderes Tier verfügt über die sprachlichen Fähigkeiten, wie wir sie haben. Ihr Register ist weitaus geringer als das unsere. Man kann einwenden, dass vielleicht auch sie über ein Register verfügen, das wir nicht haben, was an und für sich richtig sein kann, ein wichtiger Unterschied ist jedoch, dass die Kommunikation der Tiere anscheinend sehr streng an das gebunden ist, was sich gegenwärtig in ihrem Umfeld befindet, während wir auch über die Fähigkeit verfügen, über Vergangenes und Zukünftiges zu kommunizieren. Ich kann zum Beispiel über Geschehnisse aus meiner Kindheit oder den Urlaub des vergangenen Jahres sprechen sowie über Ereignisse, die in der Zukunft liegen, wie, dass ich im Spätsommer nach Peking reisen werde. Der kommunikative Raum von Tieren hingegen besteht im Wesentlichen aus dem Hier und Jetzt.

Tiere sind expressiv, unterscheiden sich jedoch in ihrer Expressivität. So ist zum Beispiel die Mimik von Katzen, im Vergleich zu der von Hunden, weniger ausgeprägt, allerdings kommunizieren sie mit Lauten, Düften und dem Rest des Körpers. Solche Ausdrücke der Tiere drängen sich uns in einer vollkommen anderen Weise auf, als es bei anderen Naturobjekten der Fall ist und erfordern von uns eine Reaktion. Mit anderen Menschen teilen wir ein so großes expressives Repertoire, selbst dann, wenn wir die Sprache nicht teilen oder die Sprache komplett fehlt. Als mein Vater mehrere Wochen lang auf ein Beatmungsgerät angewiesen war, nicht sprechen konnte und auch nicht in der Lage war zu schreiben, habe ich ihn die meiste Zeit über verstanden, ob er durstig war, Schmerzen hatte oder ob die Kompressionsstrümpfe, die eine Thrombose verhindern sollten, zu straff saßen. Mit vielen Tieren teilen wir ein beachtliches Repertoire. Wir beobachten allerdings nicht zuerst das Verhalten des Tieres, um anschließend ein Deutungsschema hinsichtlich der Bedeutung eines solchen Verhaltens zurate zu ziehen und anhand dessen schließlich über den Gemütszustand des Tieres zu entscheiden. Wir können zwar den Verständnisprozess schon irgendwie in diese drei Stadien einteilen, jedoch ist unser Erleben dessen, was wir tun, wenn wir das Verhalten des Tieres verstehen, nicht in einer solchen Weise aufgeteilt. Das Verständnis des Gemütszustandes des Tieres unterliegt einer anderen Unmittelbarkeit, vor allem, wenn es um Tiere geht, die wir gut kennen.