Pierre Martin
Madame le
Commissaire
und die Frau ohne
Gedächtnis
Ein Provence-Krimi
Knaur e-books
Hinter dem Pseudonym Pierre Martin verbirgt sich ein Autor, der sich mit Romanen, die in Frankreich und in Italien spielen, einen Namen gemacht hat. Für seine Hauptfigur Madame le Commissaire hat er sich eine neue Identität zugelegt – und schreibt seitdem einen Bestseller nach dem anderen.
Von Pierre Martin sind im Knaur Taschenbuch folgende Titel erschienen:
Madame le Commissaire und der verschwundene Engländer
Madame le Commissaire und die späte Rache
Madame le Commissaire und der Tod des Polizeichefs
Madame le Commissaire und das geheimnisvolle Bild
Madame le Commissaire und die tote Nonne
Madame le Commissaire und der tote Liebhaber
Madame le Commissaire und die Frau ohne Gedächtnis
Madame le Commissaire und die panische Diva
© 2020 Knaur Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: Coverabbildung: Collage unter der Verwendung von Motiven von ju-li/Getty Images und PixxWerk, München/shutterstock.com
ISBN 978-3-426-45084-0
Les Baux zählt zu den touristischen Attraktionen der Provence. Die meisten Besucher kommen, um die mächtige Burgruine zu besichtigen. Vom Felsplateau hat man einen fantastischen Blick über die »kleinen Alpen« der Alpilles bis zum fernen Meer. Man könnte sich von dort hinunterstürzen, aber davon soll hier nicht die Rede sein. Auch nicht vom kleinen Dorf zu Füßen der Burg, durch dessen Gassen sich zur Saison Heerscharen von Touristen ergießen. Vielmehr soll das Augenmerk auf einen nahe gelegenen unterirdischen Steinbruch gelenkt werden. Früher wurde hier Bauxit abgebaut, heute dienen die hohen Wände und Pfeiler der riesigen Höhle als Projektionsflächen für Multimediashows, die großen Malern und Künstlern gewidmet sind. Sogar der Boden wird als Bilderteppich in die Inszenierung einbezogen. Die Vorführungen sind spektakulär, weshalb es auch hier keinen Mangel an Besuchern hat – doch verlieren sie sich in der Cathédrale d’Images. Jedenfalls wirken die Menschen ganz klein, und oft sind sie nur als Schatten wahrnehmbar. Zudem schaut ohnehin jeder gebannt über die Köpfe hinweg auf die Vorführung. Man wird förmlich verschlungen von den Bildern, wird zu einem Teil von ihnen.
Am heutigen Tag steht in den Carrières de Lumières wie schon das ganze Jahr Vincent van Gogh auf dem Programm. Die Show ist betitelt: »Van Gogh, la nuit étoilée«. Eine sternenklare Nacht mitten am Tag. Die Besucher kommen und gehen, wann sie wollen. Die meisten müssen sich erst mal orientieren, wenn sie den »Steinbruch des Lichts« betreten. Denn besagtes Licht strahlt nur von den riesigen Bildern wider, sonst ist es zappenduster. Die mächtigen Wände stehen nicht in rechten Winkeln zueinander, auch geht es mal rauf, mal runter. Die Zuschauer, die langsam umherlaufen, versinken gerade noch in einem Meer von Sonnenblumen, dann werden sie plötzlich von mächtigen Porträts des großen Malers umringt. Dazu die Musik aus den Lautsprechern, mal klassisch, dann modern. Wie ein LSD-Trip – nur ohne LSD.
Während sich also alle Besucher dem Sinnesrausch hingeben, gibt es zumindest zwei unter ihnen, denen van Gogh völlig egal ist. Sie sind nicht wegen der Kunst hier, sondern führen anderes im Schilde. Was genau, lässt sich schwer sagen. Einer hat eine athletische Figur und einen Rucksack bei sich. Der andere ist kleiner und schlanker. Sie treffen sich an einer offenbar verabredeten Stelle, weit hinten, abseits vom Geschehen. In einer Art Grotte, in die man über Steinblöcke gelangt. Die Projektion reicht dort nicht hin, weshalb diesem Areal während der Vorführung alle den Rücken zuwenden. Der kräftigere Mann übergibt den Rucksack. Ein kleines Mädchen turnt über die Steinblöcke und nähert sich den beiden Männern. Im Schein der Projektionen ist ihr Gesicht nicht zu erkennen. Oder doch? Jedenfalls will der Überbringer des Rucksacks diesen plötzlich wieder zurück. Was hat das mit dem Mädchen zu tun? Es kommt zu einem kurzen, heftigen Gerangel. Im Steinbruch sieht man gerade van Goghs Selbstbildnis mit dem abgeschnittenen Ohr. Keiner achtet auf die beiden Männer. Der Athletischere von beiden sinkt zu Boden. Der andere läuft weg. Aber nicht zu schnell, um nicht aufzufallen. Den Rucksack hat er dabei. Das kleine Mädchen hat von alldem nichts bemerkt, weil es schon zuvor wieder kehrtgemacht hat.
Es dauert, bis die Show vorbei ist. Nach einem fulminanten Schluss erlöschen die Projektoren. Der Steinbruch wird in helles Licht getaucht. Erst jetzt sieht man seine wahren Dimensionen und erkennt die schlichte Schönheit der geschliffenen Bauxitwände.
Manche Besucher streben dem Ausgang entgegen oder suchen den Hof mit dem Café und den Toiletten auf. Andere bleiben, um nach der Pause »Van Gogh, la nuit étoilée« noch einmal von vorne zu sehen. Nur einer bleibt – und wird definitiv nichts mehr davon sehen. Er liegt regungslos auf dem Steinboden, in einer Blutlache, mit einem Messer in der Brust.
Als er entdeckt wird, hallen Schreie durch den Steinbruch. Sie hören sich gespenstisch an. Was nun folgt, hat nichts mit der Illusion und der Macht der Bilder zu tun. Jetzt kommt es zur unbarmherzigen Konfrontation mit der Realität.
Le temps guérit toutes les blessures … Die Zeit heilt alle Wunden. Wie oft hatte Isabelle das schon gehört? Viel zu oft. Das letzte Mal vor fünf Minuten. Alain hatte es zu ihr gesagt, der Kommandant der freiwilligen Feuerwehr. Er war zufällig am Café des Arts, wo sie gerade frühstückte, vorbeigekommen, hatte sie gesehen und offenbar geglaubt, er müsse ihr Trost spenden. Warum eigentlich? Sah sie so aus, als ob sie es nötig hätte? Ganz bestimmt nicht. Sie ließ sich ihren Seelenzustand nur selten anmerken. Im Guten wie im Schlechten.
Isabelle tunkte gedankenverloren eine Brioche in den café au lait. Tatsächlich fühlte sie sich heute sogar ziemlich gut. Ihre Haare waren noch nass vom Duschen. Und wenn sie ihr Gesicht im Badezimmerspiegel richtig in Erinnerung hatte, war sie sonnengebräunt – wie eine Urlauberin.
Natürlich wusste sie, worauf der Chef der pompiers volontaires angespielt hatte. Nämlich auf den Tod des Bürgermeisters Thierry Blès. Dessen Ermordung lag zwar schon eine Weile zurück, aber er war noch allgegenwärtig. Sie selbst dachte besonders viel an ihn, denn sie hatten sich mal sehr nahegestanden.
Le temps guérit toutes les blessures … Isabelle überlegte, dass Alain nicht nur sie im Speziellen gemeint haben könnte, sondern auch sich selbst und mit ihm alle Bürger Fragolins. Der Tod des Bürgermeisters hatte Wunden hinterlassen – und eine große Lücke. Doch nach der anfänglichen Schockstarre war Fragolin zumindest nach außen wieder zur Normalität zurückgekehrt. Der kleine Ort im provenzalischen Hinterland der pulsierenden Côte d’Azur hatte seinen entspannten Lebensrhythmus wiedergefunden. Es schien also zu stimmen, dass mit fortschreitender Zeit alle Wunden verheilten.
Isabelle schüttelte leise den Kopf. Sie wusste es anders. Mit Wunden kannte sie sich aus. Im Lauf ihres Lebens hatte sie schon viele erlitten. Sie »verheilten« nicht wirklich. Es blieben Narben zurück. Manche ließen sich schwer verbergen, wie jene auf ihrer Schläfe, die von einem Bombensplitter herrührte. Andere blieben unsichtbar, vor allem die Narben auf der Seele. Und doch waren sie da.
Trotzdem hatte Alain in gewisser Weise recht. Natürlich half die Zeit über vieles hinweg. Vor allem, wenn man nicht ständig zurückblickte – und beherzigte, was Thierry so oft zu ihr gesagt hatte. Sie solle den Augenblick genießen, hatte er ihr geraten. Vivre le moment présent! Das Leben sei kurz, und man wisse nicht, was der Morgen bringe. Gott sei Dank hat er seinen eigenen Rat, wann immer möglich, beherzigt. Jetzt wäre es dafür zu spät.
Sie stand auf und machte sich auf den Weg zum Rathaus, in dem ihr kleines Kommissariat untergebracht war. Sie tat das, obwohl es nichts zu tun gab. Thierrys Mörder hatte sie zur Strecke gebracht. Einen aktuellen Fall gab es nicht. Sie plante, später zum Baden zu ihrem Lieblingsstrand zu fahren. Auf dem Weg könnte sie stoppen und eine Jogging-Runde durch Lavendelfelder einlegen. Und danach zur Abkühlung ins Meer springen. On verra, man würde sehen.
Jacobert Apollinaire Eustache stand bei der Police nationale im Rang eines Sous-Brigadier. Das hörte sich nach viel an, war aber weniger als ein Lieutenant, doch immerhin mehr als ein Adjoint de sécurité. Apollinaire war das sowieso egal. Für ihn war nur wichtig, Madame le Commissaires wichtigster Mitarbeiter zu sein. Genau genommen war er auch ihr einziger. Darauf war er stolz.
Isabelle hegte keinen Zweifel, dass Apollinaire im Kommissariat die Stellung hielt. Er war ein Mann, der auf Disziplin Wert legte. Auch im Nichtstun achtete er auf Struktur und Ordnung. Als einzige Extravaganz pflegte er die Marotte, zur Uniform verschiedenfarbige Strümpfe zu tragen. Dabei kombinierte er schon mal Kniestrümpfe mit Socken. Was man zwar nicht sofort sah, aber Ausdruck besonderer Kühnheit war. Den Dienstvorschriften widersprachen seine Strümpfe so oder so.
Darüber hinaus hatte Apollinaire eine Vielzahl weiterer Spleens, die er als solche aber nicht wahrnahm und deshalb sofort in Abrede stellen würde. Zum Beispiel hasste er Computer und verteufelte alles Digitale. Gleichzeitig hatte er genialische Fähigkeiten, wenn es darum ging, Programme zu hacken oder Firewalls zu überwinden. Ein Widerspruch, den er mit der Faszination des Bösen begründete. Außerdem müsse man seine Feinde kennen, um sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Das sei eine alte Samurai-Regel.
Isabelle mochte Apollinaires Eigenarten. Meistens jedenfalls. Ab und zu strapazierten sie auch ihre Nerven. Und in Extremsituationen fürchtete sie um sein Leben. Oder um ihr eigenes. Zum Beispiel, wenn er mit entsicherter Pistole über einen Teppich stolperte.
Im Kommissariat angekommen, sah sie Apollinaire am Schreibtisch sitzen. Sie hätte sich nicht gewundert, ihn mit heruntergerutschten Hosenbeinen im Kopfstand anzutreffen. Das machte er gelegentlich, um die Durchblutung im Gehirn zu fördern. Heute aber las er ganz geordnet die regionale Tageszeitung.
»Bonjour, Apollinaire«, begrüßte sie ihn.
»Je vous salue, Madame«, antwortete er übertrieben förmlich.
»Vous allez bien?«, gab sie zurück.
»Ob’s mir gut geht? Natürlich, aber ich mache mir gerade ernste Sorgen.«
Jetzt hatte sie zwei Möglichkeiten. Entweder ließ sie ihn mit seinen Sorgen alleine, dann würde er womöglich nicht weitersprechen. Oder sie fragte nach.
»Steht was im Var-Matin, das Sie beunruhigt?«
»In der Tat, so ist es. Tatsächlich verfolge ich diesen Wahnsinn schon länger, aber jetzt kommt er unaufhaltsam näher.« Er deutete zur Fensterbank, wo ein von ihm hingebungsvoll gepflegter Kaktus stand. »Ich mache mir Sorgen um seine Artgenossen«, fuhr er fort. »Nur unser Pilosocereus chrysostele darf sich relativ sicher wähnen. Er steht sozusagen unter Polizeischutz.«
Isabelle sah Apollinaire lächelnd an. »Wollen Sie mich bitte aufklären, oder muss ich den Artikel selber lesen?«
»Wenn Sie gestatten, möchte ich kurz ausholen. Wie Sie wissen, gehören Kakteen zur Pflanzenfamilie der Sukkulenten …«
»Bitte keinen botanischen Vortrag.«
»Der Begriff kommt aus dem Lateinischen. Succulentus steht für den gespeicherten Saft …«
Isabelle räusperte sich vorwurfsvoll.
»Ach so, pardon. Ermittlungstechnisch ist das natürlich ohne Belang.«
Ermittlungstechnisch? Jetzt wurde sie doch neugierig.
»Sukkulenten im Allgemeinen und Kakteen im Speziellen«, fuhr er fort, »erfreuen sich derzeit großer Beliebtheit. Vor allem in Asien. In Korea spricht man geradezu von einer Kakteen-Sucht. Dumm nur, dass dort kaum welche wachsen. Also werden die Sukkulenten zum Beispiel in Kalifornien oder Arizona illegal ausgegraben und ins Ausland geschmuggelt. Seltene Exemplare erzielen in Asien Höchstpreise. Das ist schon länger bekannt. Nun aber hat dieser Irrsinn auch die Provence und die Côte d’Azur erreicht. Das ist unglaublich.« Aufgeregt deutete er auf die vor ihm liegende Zeitung. »Hier steht, dass schon letzte Woche im botanischen Garten von Èze wertvolle Kakteen ausgegraben und gestohlen wurden. Gestern schließlich hat es die Domaine du Rayol in Canadel-sur-Mer erwischt. Wo vorher seltene Sukkulenten standen, haben die Gärtner am Morgen nur noch hässliche Erdlöcher vorgefunden.«
Apollinaire war die Betroffenheit anzusehen.
»Ich bin entsetzt«, sagte Isabelle. Dass sie sich dabei ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte, entging ihm.
»Meinen Sie, wir sollten den ermittelnden Kollegen Amtshilfe leisten?«, fragte er.
Jetzt tickt er völlig aus, dachte Isabelle. Normalerweise hatten sie es mit Gewaltverbrechen zu tun, mit Mord und Totschlag. Wenn sie als Sonderkommission eingesetzt wurden, waren sie im gesamten Département Var tätig und hatten Zugriff auf die Polizeikräfte in Toulon. Meist erhielten sie ihre Aufträge von oberster Stelle in Paris. Die für den Diebstahl von Kakteen zuständige Gendarmerie würde sich totlachen, wenn sich plötzlich die Police nationale einmischte. Erst recht, wenn es sich dabei um das ominöse Kommissariat in Fragolin handelte, das mit besonderen Befugnissen ausgestattet war – keiner wusste, warum.
»Kommt nicht infrage«, stellte sie klar. »Sparen Sie Ihre Kräfte für unseren nächsten Fall.«
Apollinaire riss die Augen auf. »Unseren nächsten Fall? Gibt es denn schon einen?«
Isabelle schüttelte den Kopf. »Nein, aber nach meiner Erfahrung kommt er schneller, als man denkt. Das war bisher immer so.«
Er machte einen enttäuschten Gesichtsausdruck, der sich aber schnell wieder aufhellte.
»Dann hätte ich ja heute Nachmittag Zeit, oder?«, schlussfolgerte er.
»Wozu?«
»Ich könnte mir einen halben Tag Urlaub nehmen und nach Canadel-sur-Mer fahren. Ist ja nicht so weit weg.«
»Natürlich, das könnten Sie. In Ihrer Freizeit können Sie tun und lassen, was Sie wollen. Aber nicht in Uniform. Sie fahren mit Ihrem privaten 2CV. Und Sie mischen sich nicht in die Ermittlungen ein. Haben Sie mich verstanden?«
»Nein, ich meine, ja«, stotterte er. »Mich leitet einzig mein botanisches Interesse. Ich will mir nur die gestohlenen Kakteen anschauen.«
»Wie wollen Sie die Kakteen anschauen, wenn sie weg sind?«
»Ich habe mich unglücklich ausgedrückt, was ich sagen will …«
»Egal. Ich will damit nichts zu tun haben. Fahren Sie vorsichtig.«
»Merci, Madame. Wie Sie wissen, fahre ich immer vorsichtig. Darf ich Ihnen noch ein Aperçu aus dem Artikel vorlesen? Zur Erheiterung.«
»Gerne.«
Er hüstelte verlegen. »Nein, besser nicht. Ist mir peinlich.«
»Das hätten Sie sich vorher überlegen müssen.«
»Alors, hier steht, dass die Koreaner in ihrer Verrücktheit nach Kakteen sogar Kondome in Form von …«
Sie winkte lachend ab. »Das will ich nun doch nicht wissen.«
Beim Verlassen des Kommissariats blieb Isabelle in der Eingangshalle des Rathauses stehen. Dort hingen die Porträts der früheren Bürgermeister von Fragolin. Ihr Vater befand sich darunter, der auch einmal Maire des Ortes gewesen war. Er blickte sie streng und würdevoll an. Sie hatte keine wirkliche Erinnerung an ihn, weil er bei einem Autounfall ums Leben kam, als sie noch ein kleines Mädchen war. Fotos aus jener Zeit gab es auch nicht viele. Weshalb es dieses Ölgemälde war, das ihr immer einfiel, wenn sie an ihn dachte. Mit dem verstorbenen Thierry Blès würde es ihr anders ergehen. Von ihm hatte sie viele Bilder im Kopf – und im Herzen. Sie würde sie sich bewahren, auch wenn sie sich in den Monaten vor seinem Tod auseinandergelebt hatten. Sie überlegte, wie wohl sein Porträt in dieser Galerie aussehen würde? Wie sie wusste, war es schon in Arbeit. Hoffentlich wirkte er darauf nicht so steif wie ihr Vater. Sie nahm sich vor, den Porträtmaler, der sein Atelier in Aix-en-Provence hatte, mal aufzusuchen. Ob er Thierry überhaupt gekannt hat? Vielleicht hatte er nur Fotos als Vorlagen? Sie wollte, dass Thierry sympathisch rüberkam. Und dass etwas zu spüren war von seinem l’esprit provençal, von seiner provenzalischen Lebensart.
Über die Handfläche hauchte Isabelle ihrem Vater einen Kuss zu. Sie warf noch einen melancholischen Blick auf die kahle Stelle der Wand, wo bald Thierry hängen würde. Dann verließ sie schnellen Schrittes das Rathaus – getragen von Thierrys Devise, im Heute und im Jetzt zu leben.
Ihr Weg führte an einem hübschen Laden mit blauer Holzvertäfelung vorbei. Über dem Eingang stand in verschnörkelter Schrift: Aux saveurs de Provence. Davor befanden sich Ständer mit Postkarten. Und Körbe mit verschiedenen Seifen, zum Beispiel herzförmige in Pastellfarben: verveine, vigne rouge ou lavande broyée. Clodine, die Besitzerin, war eine Freundin aus Kindertagen. Ihr musste man nicht beibringen, den Augenblick zu genießen. Clodine hatte von Natur aus ein sonniges Gemüt. Sie war fast immer fröhlich, lachte gerne und plapperte ohne jede Hemmung darauflos. Isabelle wunderte sich gelegentlich, dass ihr das nicht auf die Nerven ging. Aber sie kannte Clodine schon so lange, dass es ihr nichts ausmachte. Ehrlicherweise hörte sie nicht immer genau zu, wenn Clodine ihr den neuesten Tratsch aus Fragolin anvertraute. Aber es amüsierte sie und brachte sie auf andere Gedanken.
Damit ihr keine möglichen Kunden entgingen, hatte Clodine die Gasse vor ihrem Laden immer fest im Blick. Nur selten gelang es Isabelle, unbemerkt vorbeizuschlüpfen.
Auch heute kam sie prompt herausgestürzt. »Bisous, ma chérie, lass dich umarmen.«
Isabelle deutete auf ein Gestell mit bunten Strohhüten.
»Die sind neu, hast du dein Sortiment erweitert?«
»Die Hüte sind schön, nicht wahr? Sie werden in einer kleinen Werkstatt bei Gigondas von alten Frauen handgefertigt …«
Isabelle musste lachen. »Schwindel mich nicht an!«
Clodine legte den Kopf zur Seite und kniff die Augen zusammen. »Eh bien, dir kann ich es ja sagen. Die Hüte stammen aus Thailand, die Etiketten habe ich rausgetrennt. Aber ich finde, sie könnten genauso gut aus der Provence kommen.«
»Nun ja, wenn du meinst.«
»Damit mach ich mich doch nicht strafbar, oder?«
»Wohl nicht, jedenfalls solange du keine gefälschten Etiketten mit der Provence als Herkunftsbezeichnung einnähst. Aber du kannst beruhigt sein, Strohhüte fallen nicht in mein Ressort.«
Ebenso wenig wie gestohlene Kakteen, hätte sie fast hinzugefügt.
»Außerdem würdest du keine alte Freundin verpfeifen«, sagte Clodine.
»Da wäre ich mir an deiner Stelle nicht so sicher.« Isabelle lächelte. »Aber ich bin bestechlich. Du könntest mich bei Jacques auf ein Gläschen Rosé einladen.«
Bei Chez Jacques handelte es sich um ein Bistro, das auch bei Einheimischen sehr beliebt war. Sie aßen dort oft zu Mittag. Auch zwischendurch traf man sich dort, wenn man nicht gerade im Café des Arts saß.
»Jetzt gleich?« Clodine sah sich um. Weit und breit keine Touristen. »D’accord. Jasmin hält so lange die Stellung.«
Jasmin, das war eine ehemalige Novizin aus einem Kloster, die dem Glauben abgeschworen hatte und bei Clodine im Laden aushalf. Sie war dunkelhäutig und bildhübsch. Viel zu hübsch für die verheirateten Männer in Fragolin.
»Ich sag ihr nur Bescheid, dann können wir gleich zu Jacques rüberlaufen.«
»Ich geh schon mal voraus.«
Isabelle bekam auf der Terrasse ihren Lieblingstisch. Er stand in der Ecke, hatte eine runde Marmorplatte und schmiedeeiserne Beine. Sie bestellte deux p’tits rosé. Ihr Handy klingelte. Clodine war dran, um ihr zu sagen, dass in Fragolin gerade ein Bus mit Amerikanern eingetroffen sei. Die Reisegruppe müsse bald an ihrem Laden vorbeikommen. Isabelle verstehe doch sicher …
Isabelle unterbrach ihre Freundin und wünschte ihr viel Erfolg beim Verkauf der original provenzalischen Strohhüte.
Blieb das Problem, dass sie jetzt zwei Gläser Rosé vor sich stehen hatte. Nun gut, sie könnte beide trinken. Bei den Bewohnern Fragolins war es nicht unüblich, schon vor zwölf Uhr einen alkoholischen Grundpegel einzustellen. Weil alles fußläufig zu erreichen war, musste kaum jemand mit dem Auto fahren. Insofern war diese Angewohnheit gefahrlos – jedenfalls verkehrstechnisch. Man konnte auch alt werden damit. Das hatte ein Ehrenbürger Fragolins unter Beweis gestellt. Le vieux Georges pflegte schon am Vormittag mehrere Pastis zu trinken. Dazu rauchte er filterlose Gitanes. Mit über neunzig war er erst im letzten Jahr gestorben. Als Vorbild taugte er dennoch nicht. Er hatte kaum mehr Zähne im Mund gehabt und pflegte mit Leidenschaft auf den Boden zu spucken – auch im Lokal direkt vor dem Tresen. Jeder andere wäre sofort auf die Straße gesetzt worden. Ihm dagegen hatte man unaufgefordert einen weiteren Pastis hingestellt.
Während sich Isabelle also an vieux Georges erinnerte, näherte sich schlendernd ein schlaksiger, groß gewachsener Mann der Terrasse. Er hatte die langen Haare zum Pferdeschwanz gebunden, trug eine dunkle Sonnenbrille und eine weiße, verknitterte Leinenhose mit aufgeknöpftem Hemd darüber. An den Füßen Espadrilles aus Stoff.
Isabelle blickte auf und winkte ihm zu. Das war das Schöne an Fragolin, man blieb nie lange alleine. Aber das konnte einen auch mächtig stören. Es gab Momente, da sehnte sie sich nach der Anonymität, die sie von Paris kannte. Aber nicht in diesem Augenblick. Denn Nicolas mochte sie – wie sehr, darüber war sie sich noch nicht im Klaren. Mit vollem Namen hieß er Nicolas de Sausquebord. Er lebte noch nicht lange in Fragolin, hatte am Ortsrand eine Bastide gemietet und malte dort riesige Bilder, die keiner zu sehen bekam. Allgemein galt er als gescheiterte Künstlerexistenz. Isabelle wusste es besser. Sie hatte herausbekommen, dass Nicolas ein Pseudonym hatte. Als CLAC war er in Kunstkreisen weltberühmt. Auf Auktionen in London und New York erzielten seine Werke Höchstpreise. Doch davon ahnte in Fragolin keiner was. Auch verschwieg er seine adlige Herkunft. Hier kannte man ihn nur als sympathischen Bonvivant, der es irgendwie schaffte, auch ohne geregelte Arbeit über die Runden zu kommen.
»Bonjour, Isabelle«, begrüßte er sie. »Schön, dich zu sehen.«
Seine Wangenküsschen waren unverfänglich. Sie schätzte seine Diskretion. Schließlich waren sie nicht unter sich.
Isabelle deutete auf den freien Korbsessel. »Komm, setz dich.«
Er blickte auf das zweite Weinglas. »Aber du bist nicht alleine, oder?«
»Doch, das bin ich. Der Rosé ist für dich.«
»Aber du konntest doch nicht wissen …«
»Mais oui, natürlich konnte ich das«, sagte sie zum Spaß. »Ereignisse vorherzusehen gehört zu meinem Job.«
Er blickte sie stirnrunzelnd an.
Jacques kam vorbei und stellte ihnen unaufgefordert ein Schälchen mit Oliven hin. Außerdem geröstete Brotscheiben mit tapenade, einer Paste aus Oliven, Knoblauch und Sardellen. Sein Service war heute wieder mal unübertroffen. Jedenfalls für Stammgäste. Touristen würde Jacques am liebsten schon vor der Bestellung die Rechnung hinlegen. Zumindest wenn er schlechte Laune hatte, was häufig vorkam. Vor allem, wenn der Mistral blies.
Sie begannen gerade, sich zu unterhalten, da klingelte ihr Handy erneut. Spontan dachte sie, dass es Clodine sei, die ihr sagen wollte, dass die Amerikaner schon wieder weg seien und sie jetzt doch kommen könne. Dann aber sah sie auf dem Display, dass es sich bei dem Anrufer um Apollinaire handelte. Sprang sein 2CV nicht an? Oder hatte er sich auf dem Weg zu den nicht mehr vorhandenen Kakteen verfahren?
»Madame, Madame …« Seine Stimme überschlug sich. »Madame, Sie müssen mir dringend helfen. Mir ist was Schreckliches passiert. Was soll ich jetzt machen?«
Das war typisch für Apollinaire. Die wesentlichen Informationen enthielt er ihr vor.
»Jetzt beruhigen Sie sich erst mal. Und dann sagen Sie mir, was passiert ist.«
»Was passiert ist? Naturellement, das sollten Sie wissen. Mir ist eine Frau vors Auto gelaufen. Auf der Straße durch den Kastanienwald, kurz nach der Kapelle. Ich hätte natürlich auch anders fahren können, wäre vielleicht sogar kürzer gewesen …«
Bevor er sich in der Frage der Routenplanung verstricken konnte, hakte sie nach. »Wie geht’s der Frau? Ist sie verletzt?«
»Nein, nein, ich glaube nicht. Ich konnte noch bremsen und habe sie nur ganz leicht touchiert, wenn überhaupt.«
»Was sagt sie selbst?«
»Was sie sagt? Nichts, das ist ja das Problem. Sie ist völlig verwirrt. Sie weiß nicht, wie sie heißt und wo sie hinwill. Was soll ich machen?«
Isabelle überlegte, dass es wohl am richtigsten wäre, die Gendarmerie zu verständigen. Einerseits, andererseits …
»Hat sie Ausweispapiere dabei? Eine Handtasche?«
»Keine Handtasche, rien du tout.«
»Wo ist die Frau im Augenblick?«
»Sie sitzt in meinem Auto und starrt vor sich hin.«
Isabelle kannte die Stelle mit der Kapelle. Weit war er nicht gekommen.
»Okay, dann schnallen Sie die Frau an, drehen um und bringen Sie sie in unser Kommissariat. Ich erwarte Sie dort.«
»Anschnallen, umdrehen …«, wiederholte er. »Sehr wohl, ich habe verstanden. Ich bin schon so gut wie unterwegs. Merci mille fois …«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Es gab Ereignisse, dachte sie, die sie nun doch nicht vorhersehen konnte. In diesem Fall war offenbar nichts Schlimmeres passiert. Gott sei Dank. Apollinaire hatte schon mal ein Wildschwein angefahren. Das war nicht so glimpflich ausgegangen.
»Hat Apollinaire Probleme mit einer Frau?«, fragte Nicolas, der aus dem, was er gehört hatte, nicht schlau wurde. »Und warum soll er sie festschnallen?«
»Anschnallen, nicht festschnallen«, korrigierte sie lachend. »Tut mir leid, aber ich muss ins Kommissariat.«
»Schade, ich wollte dich gerade ins Atelier einladen, um …« Er unterbrach sich und lächelte verlegen.
Sie mochte seine schüchterne Art. Wobei der Anschein trog. Nicolas war alles andere als unsicher. Und zurückhaltend war er auch nicht immer.
»Das müssen wir leider verschieben. Aber Zeit für unseren Rosé habe ich noch.« Sie hob ihr Glas. »Santé!«
Isabelle lief gerade über den Vorplatz des Hôtel de ville, da sah sie Apollinaires 2CV um die Ecke kurven. Man konnte ihm nicht vorwerfen, dass er zu schnell fuhr. Sein kippliger deux chevaux neigte sich kaum zur Seite. Jeder schläfrige Dorfhund hätte ihm ausweichen können.
Apollinaire hielt direkt vor dem Haupteingang des Rathauses. Er stieg aus. Seine Haare wirkten noch zerzauster als sonst. Und er war ungewöhnlich blass.
»Ich bin froh, dass Sie da sind«, sagte er. »Ich weiß mir nicht zu helfen.«
Sie verstand nicht, warum. Wie konnte ihn eine Frau, der nichts geschehen war und die nichts sagte, so aus der Fassung bringen?
Apollinaire öffnete die Beifahrertür. Isabelle trat heran und sah ins Auto. Die Frau saß regungslos da und blickte starr geradeaus. Ihre Hautfarbe sowie ihre Gesichtszüge deuteten auf eine arabische Herkunft hin. Zu Isabelles Überraschung hatte sie einen Kopfverband.
»Apollinaire, Sie haben mich angelogen. Sie haben die Frau doch verletzt.«
»Nein, ganz bestimmt nicht.«
»Warum haben Sie ihr dann den Kopf verbunden?«
»Habe ich nicht. Den Kopfverband hatte sie schon vorher.«
Es gab keinen Grund, an seinen Worten zu zweifeln. Außerdem sah der Verband sehr professionell aus.
Isabelle reichte der Frau ihre Hand.
»Würden Sie bitte aussteigen.«
Keine Antwort, keine Reaktion.
Isabelle langte über sie rüber und löste den Sicherheitsgurt.
»So, jetzt steigen Sie bitte aus«, wiederholte sie ihre Aufforderung. Weil wieder jede Reaktion ausblieb, fügte sie hinzu: »Ich will Ihnen helfen. Das kann ich aber nur, wenn Sie aussteigen.«
Langsam drehte die Frau den Kopf und sah Isabelle an. Sie hatte schöne dunkle Augen. Ihre Pupillen waren ungewöhnlich geweitet. So, als ob sie Drogen genommen hätte. Aber Isabelle wusste, dass es dafür auch andere Gründe geben konnte.
»Mein Name ist Isabelle. Und wie heißen Sie?«
»Je ne sais pas«, antwortete sie leise.
Sie konnte sich nicht an ihren Namen erinnern? Die Ratlosigkeit im Gesicht der Frau schien echt.
Von hinten kam Apollinaires Stimme. »Hab ich doch gesagt, sie weiß nicht, wie sie heißt.«
Isabelle reichte ihr erneut die Hand. »Jetzt tun Sie mir schon den Gefallen, bitte steigen Sie aus. So bequem ist es in dem Auto auch nicht.«
»Das kann man so nicht sagen«, protestierte Apollinaire leise. »Mein 2CV ist sogar ausgesprochen bequem.«
Isabelle war erleichtert, als die Frau ihre ausgestreckte Hand ergriff und sich aus dem Auto ziehen ließ.
Als sie schließlich vor ihr stand, registrierte Isabelle, dass sie eng sitzende Jeans trug und ein grünes T-Shirt, auf dem eingetrocknete Flecken zu sehen waren, die von Blut herrühren könnten. Die Frau war vielleicht Ende zwanzig, mittelgroß und schlank. Sie hatte schwarze Sneakers an den bloßen Füßen und am rechten Knöchel ein dünnes Goldkettchen. All das registrierte Isabelle mit einem Blick. Sie war geübt darin, Menschen in Sekundenschnelle zu erfassen. Ihren ersten Eindruck, dass die Frau arabische Wurzeln hatte, fand sie bestätigt. Womöglich stammten ihre Vorfahren oder sie selbst aus dem Maghreb, also zum Beispiel aus Algerien, aus Marokko oder Tunesien. In Frankreich lebten viele Menschen aus diesen Ländern.
Isabelle fiel auf, dass sich die Frau schon zum wiederholten Male an den Brustkorb fasste. Außerdem schien sie Probleme beim Atmen zu haben.
»Tut Ihnen da was weh?«, fragte Isabelle. »Brauchen Sie einen Arzt?«
Wieder bekam sie nur ein Kopfschütteln zur Antwort.
»Jetzt gehen wir erst mal rein«, schlug sie vor. Dass die Frau einen Arzt brauchte, war sowieso klar. Aber nicht akut. Wie es aussah, war sie schon versorgt worden.
Isabelle nahm sie am Arm und führte sie die Stufen hinauf ins Rathaus. Erst jetzt schien die Frau wahrzunehmen, dass es sich um ein offizielles Gebäude handelte. Das schien ihr nicht zu gefallen. Isabelle glaubte zu spüren, dass sie sich am liebsten losgerissen hätte, um wegzulaufen. Sie verstärkte den Druck. Auf diesen dummen Gedanken sollte sie gar nicht erst kommen.
Isabelle hielt es für wahrscheinlich, dass die Frau unter einer posttraumatischen Amnesie litt. Dafür sprach die Kopfverletzung. Auch die geweiteten Pupillen passten ins Bild. Und dass ihr die Brust beim Atmen schmerzte, ließ darauf schließen, dass auch ihre Rippen einen Schlag abbekommen hatten.
All das beantwortete nicht die Frage, was sie mit ihr tun sollten. Sie war orientierungslos und hilfsbedürftig. Sie konnten sie nicht einfach wieder gehen lassen. Schon zu ihrer eigenen Sicherheit.
Sie mussten auf die Frau achtgeben – und ihre Identität herausfinden. Wurde sie irgendwo vermisst? Was war mit ihr geschehen?
Bis zum Betreten ihres Kommissariats konnte die junge Frau nicht wissen, dass sie gerade von zwei Polizisten begleitet wurde. Apollinaire trug Zivil. Und Isabelle sah man ihren Beruf sowieso nicht an. Man könnte sie eher für eine sportliche Urlauberin halten als für eine Kommissarin. Auf dem Schild neben der Eingangstür stand zwar Police nationale mit dem Zusatz Commission spéciale, aber die Frau hatte ihre Augen nur starr nach vorne gerichtet und schien von ihrer Umgebung kaum was wahrzunehmen. Das änderte sich schlagartig, als sie auf dem Kleiderbügel am Büroschrank Apollinaires ordentlich aufgehängte Polizeiuniform entdeckte. An der Wand hing ein großes, Respekt einflößendes Konterfei von Charles de Gaulle. Und in der Ecke lehnte eine Fahnenstange mit der Trikolore. Die Frau begann zu zittern. Zwar dürfte ihr immer noch nicht klar sein, wo genau sie sich befand, aber dass sie sich nicht wohlfühlte, war unübersehbar.
»Alles gut«, sagte Isabelle beruhigend. Sie deutete auf den einzigen Sessel im Raum. »Nehmen Sie Platz. Haben Sie Durst? Wollen Sie ein Glas Wasser?«
Die Frau rührte sich nicht vom Fleck. Nur ihre Augen irrlichterten herum. Isabelle zog den Sessel heran und brachte sie mit sanftem Druck dazu, sich zu setzen.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Apollinaire ein Glas sorgfältig mit einem Tuch reinigte, dann Wasser eingoss und es mit spitzen Fingern herbrachte. Sie musste schmunzeln. Das war clever von ihm. Offenbar hatte er sich überlegt, dass sich die Frau nicht freiwillig ihre Fingerabdrücke würde nehmen lassen. Aber die brauchten sie, um einen Abgleich mit der Datenbank der Polizei durchzuführen. Irgendwo mussten sie ja anfangen, um ihre Identität herauszufinden. Auch wenn sie nicht davon ausgehen konnten, dass ihre Fingerabdrücke gespeichert waren.
Isabelle setzte sich auf einen Stuhl, sah sie an – und schwieg. Apollinaire hackte derweil auf der Tastatur seines Computers herum. Ihr war klar, was er machte. Er suchte nach einer Vermisstenmeldung. Wahrscheinlich auch nach irgendwelchen besonderen Vorkommnissen in der näheren Umgebung.
Nach einer Weile warf er ihr einen Blick zu. Dabei schüttelte er den Kopf.
Okay, keine Hinweise. Und jetzt?
Die Frau hatte das Wasser ausgetrunken. Isabelle nahm ihr das Glas ab. Dabei berührte sie es mit zwei Fingern nur oben am Rand und am Boden. Apollinaire grinste. Sie verstanden sich auch ohne Worte. Das klappte nicht immer, aber gerade schon.
»Ich würde Ihnen gerne helfen«, sagte Isabelle. »Können Sie sich denn an gar nichts mehr erinnern? Zum Beispiel, was mit Ihrem Kopf passiert ist?«
Die Frau sah sie verständnislos an. »Mit meinem Kopf?«
Na bitte, wenigstens eine Reaktion.
Apollinaire brachte einen Handspiegel. Wozu hatte er einen Spiegel? Bestimmt nicht, um den Sitz seiner Krawatte zu kontrollieren. Der Knoten sah jeden Tag anders aus, aber schief war er immer. Und gekämmt hatte er sich noch nie.
Als sich die Frau im Spiegel sah, riss sie verwundert die Augen auf. Vorsichtig betastete sie ihren Kopfverband.
»Wie lange habe ich den schon?«, fragte sie.
»Das wollte ich von Ihnen wissen. Was ist passiert?«
»Keine Ahnung. Offenbar habe ich eine Kopfverletzung. Aber mir tut nichts weh.«
Isabelle freute sich, dass ihre Sätze immer länger wurden.
»Könnten Sie bitte mal in Ihren Hosentaschen nachsehen. Vielleicht haben Sie ja doch irgendeine Art von Ausweis dabei?«
Allerdings saß die Jeans so eng, dass Isabelle nicht wirklich daran glaubte.
Die Frau folgte der Aufforderung. Aber außer einem verknitterten Ticket in der Gesäßtasche waren die Taschen leer.
Sie drehte das Ticket in der Hand, konnte aber nichts damit anfangen. »Habe ich noch nie gesehen.«
Isabelle stellte fest, dass es sich um eine Eintrittskarte handelte. Sie berechtigte zum Besuch des Fort de Brégançon. Isabelle war noch nie dort gewesen, aber die Festung war ihr natürlich ein Begriff. Sie lag auf einer Felseninsel südlich von Bormes-les-Mimosas. Bekannt war sie schon deshalb, weil dort traditionell die französischen Staatspräsidenten ihren Sommerurlaub verbrachten. Seit einigen Jahren durfte man das Fort de Brégançon zu manchen Terminen besichtigen. Vor allem Touristen aus Frankreich taten das gerne. Auf dem Ticket war das Datum vermerkt. Der Besuch lag zwei Wochen zurück. Das half also nicht weiter. Von dort war sie nicht gekommen.
Isabelle sah die Frau nachdenklich an. »Haben Sie was dagegen, wenn ich eine befreundete Ärztin bitte, Sie kurz anzuschauen. Die Verletzung am Kopf muss ja kontrolliert werden. Außerdem habe ich den Eindruck, dass Sie beim Atmen Probleme haben?«
Sie langte sich an die Brust und nickte. »Ja, hier sticht es ein wenig. Ist aber nicht schlimm und wird schon besser.«
Eigentlich gehörte sie in eine Klinik, dachte Isabelle. Aber irgendwas hielt sie davon ab. Vor allem die Sorge, dass die Frau dort nicht bleiben, sondern davonlaufen würde. Im schlimmsten Fall vor ein Auto, das schneller unterwegs war als Apollinaire in seinem 2CV.
»Darf ich die Ärztin anrufen?«, wiederholte Isabelle ihre Frage. »Marie-Claire ist eine alte Dame und praktiziert nicht mehr. Aber sie ist total nett und hat viel Erfahrung.«
Dass sie mittlerweile schlecht sah und nur noch gebückt gehen konnte, verschwieg sie. Aber Marie-Claire, die in ihrer Gasse genau gegenüber wohnte und ihr in der Früh oft aus dem Fenster zuwinkte, war immer noch eine ausgezeichnete Ärztin. Vor allem aber sah sie lieb und harmlos aus und würde die junge Frau nicht erschrecken.
Wieder betastete die Frau ihren Kopfverband. »Eine Ärztin? Ja, wäre gut«, stimmte sie zu. »Ich würde gerne wissen, wie es unter meinem Verband aussieht.«
Isabelle gab Apollinaire ein Zeichen. Der griff schon zum Telefon.
Zum ersten Mal sah sich die Frau im Raum um. »Wo sind wir hier eigentlich?«, fragte sie.
Eine Frage, die Isabelle erwartet hatte. Irgendwas hielt sie davon ab, das Wort Polizei in den Mund zu nehmen.
»Das Büro gehört zum Rathaus von Fragolin.«
»Fragolin?«
»Ja, so heißt unser Ort. Noch nie gehört?«
»Nein, noch nie.«
»Es ist sehr schön hier. Ich führe Sie später gerne etwas herum.« Isabelle überlegte kurz. »Solange Ihnen Ihr Name nicht einfällt, sollten wir uns einen ausdenken«, schlug sie vor. »Ich muss Sie ja der Ärztin irgendwie vorstellen. Einverstanden?«
Die Frau sah sie aus großen dunklen Augen an. »Wenn Sie meinen.«
»Machen Sie einen Vorschlag!«
Das war ein Experiment. Vielleicht kam sie so auf ihren richtigen Namen?
Sie dachte eine Weile nach, dann zuckte sie mit den Schultern. »Mir fällt keiner ein.«
Experiment gescheitert!
»Wie wäre es mit Monique?«, fragte Isabelle.
»Monique? Ja, das klingt nett.«
Am späten Nachmittag saß Isabelle erneut auf der Terrasse von Jacques’ Bistro. Diesmal aber weder mit Clodine noch mit Nicolas – sondern mit der jungen Frau, die sie fortan auch in ihren Gedanken Monique nannte. Man tat sich leichter, wenn jemand einen Namen hatte, selbst wenn es sich dabei nicht um den richtigen handelte.
Monique hatte keinen Kopfverband mehr, nur noch ein großes Pflaster auf der Stirn. Marie-Claire hatte sie sorgfältig untersucht. Auf der Stirn hatte sie eine Platzwunde, die laut Marie-Claire professionell versorgt und genäht war. Nach ihrer Schätzung stammte die Verletzung nicht von heute, aber älter als ein oder zwei Tage war sie auch nicht. Weil keine Blutungsgefahr mehr bestand, konnte man auf den Verband verzichten, ein Pflaster reichte. Marie-Claire hatte verschiedene Tests durchgeführt. So hatte sie mit einer Taschenlampe die Pupillenreaktion überprüft und war zu dem Schluss gekommen, dass Moniques Gedächtnisverlust wohl auf ein Schädel-Hirn-Trauma zurückzuführen sei. Bei einer retrograden Amnesie seien oft alle Ereignisse vor der Hirnschädigung wie ausgelöscht. Davon könne auch die eigene Biografie betroffen sein. Dass sie ihren Namen nicht wisse, sei also nicht untypisch. Es könne Tage, Wochen oder Monate dauern, bis die Erinnerung zurückkehre. Eigentlich müsse man das Gehirn mit einem bildgebenden Verfahren wie einer Computertomografie untersuchen, vor allem, um eine Hirnblutung auszuschließen. Aber möglicherweise sei das bereits erfolgt. Die Behandlung ihrer Kopfwunde spreche für die Ambulanz in einem Krankenhaus. Was die Schmerzen beim Atmen betraf, führte Marie-Claire diese auf einen heftigen Schlag auf die Brust zurück. Es seien Hämatome erkennbar, aber Rippen seien wohl keine gebrochen. Selbst wenn, müsse man da nichts machen. Gleiches gelte für eine Rippenprellung. Marie-Claire hatte Monique eine Schachtel mit Schmerzmitteln gegeben. Aber sie solle nicht alle auf einmal nehmen, hatte sie lachend gesagt.
Isabelles Vermutung, dass Monique schon lange nichts mehr gegessen und getrunken hatte, bestätigte sich im Bistro. Zwar hatte Jacques am Nachmittag nur eine kleine Speisekarte, aber es gab noch Couscous tomates et courgettes, Couscous mit Tomaten und Zucchini. Monique verschlang gleich zwei Portionen. Dazu eine halbe Baguette und eine große Karaffe Wasser. Zwischendurch warf sie den anderen Gästen kurze, unsichere Blicke zu. Dann wieder starrte sie wie durch einen Tunnel nur noch auf ihren Teller.
Isabelle aß einen Salade avec des lanières de dinde, einen kleinen Salat mit Putenstreifen. Vor allem aber beobachtete sie Monique und machte sich dabei ihre Gedanken. Ihre Verletzungen könnten auf einen Autounfall zurückzuführen sein. War der Airbag nicht aufgegangen? Oder kam es auch mit Airbag zu einer Rippenprellung? Natürlich waren hundert andere Möglichkeiten denkbar, sich in ähnlicher Weise zu verletzen. Denkbar schon, aber ein Autounfall war am wahrscheinlichsten. Denn es gab noch ein Indiz: Marie-Claire hatte an ihrer linken Schulter einen Bluterguss entdeckt – wie von einem gespannten Sicherheitsgurt auf der Fahrerseite.
Äußerlich war Monique kaum in Mitleidenschaft gezogen worden. In ihren Kopf konnte man ja nicht hineinsehen. Das Pflaster auf der Stirn verunstaltete sie nur unwesentlich. Aber ihre Bewegungen wirkten seltsam unkoordiniert. Gerade war ihr zum zweiten Mal die Gabel aus der Hand gefallen. Und auf dem Weg vom Hôtel de ville zum Bistro war sie mehrfach gestolpert, sodass Isabelle sie am Arm genommen hatte.
Zwar machte Monique einen gestörten und verängstigten Eindruck, aber sie verhielt sich nicht feindselig oder gar aggressiv. Das machte den Umgang mit ihr leicht. Bis jetzt jedenfalls.
Während sie hier saßen, telefonierte Apollinaire alle Krankenhäuser und Notfallambulanzen in der näheren Umgebung ab. Isabelle schmunzelte. In der näheren Umgebung von Fragolin gab es nur ausgedehnte Kastanienwälder und Korkeichen. Er würde seinen Kreis also größer anlegen müssen. Etwa bis Sainte-Maxime im Osten über Saint-Tropez sowie Cavalaire-sur-Mer und Le Lavandou im Süden bis hinüber nach Hyères in westlicher Richtung. Innerhalb dieser Region würde er auch nach Autounfällen suchen. Und nach anderen besonderen Ereignissen in den letzten Tagen. Fragte sich nur, wie Monique von dort, also von wo auch immer, zur Stelle an der Landstraße gelangt war, wo sie Apollinaire vors Auto gelaufen war. Aus dem Wald konnte sie kaum gekommen sein. Oder doch? Nein, ihre Sneakers würden sonst nicht so sauber aussehen.
Isabelle bestellte eine noisette, einen Espresso mit einem Kännchen warmer Milch. Monique winkte ab – obwohl ihr immer wieder vor Müdigkeit die Augen zufielen. Das brachte Isabelle zur nächsten Frage: Wo sollte Monique heute Nacht schlafen? Natürlich bot sich die Auberge des Maures an, das älteste Hotel von Fragolin. Aber Isabelle hätte kein gutes Gefühl dabei. Zwar war die Rezeption rund um die Uhr besetzt, dennoch konnte man jederzeit unbemerkt an ihr vorbeischlüpfen. Vor allem, wenn die alte Concierge Dienst hatte. Sie hörte noch schlechter, als sie sah. Isabelle wollte nicht erleben, dass Monique morgen früh spurlos verschwunden war. Irgendwie fühlte sie sich für die junge Frau verantwortlich. Wenigstens so lange, bis sie wieder wusste, wer sie war.
»Sind Sie müde?«, fragte Isabelle.
»Oui, oui, je suis fatiguée, très, très fatiguée«, bestätigte sie mit träger Stimme. »Tut mir leid.«
»Seit wann haben Sie nicht mehr geschlafen?«
Erwartungsgemäß hatte Monique darauf keine Antwort.
»Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass ich hundemüde bin.«
Isabelle fasste einen Entschluss. Er fiel ihr nicht leicht, denn er widersprach all ihren Prinzipien. Ihre Privatsphäre war ihr heilig. Aber sie sah keine andere Möglichkeit.
»Ich kann Ihnen anbieten, dass Sie heute Nacht bei mir schlafen«, schlug sie vor. »Meine Wohnung ist nicht weit von hier. Ich habe eine Gästecouch …«
Monique wischte mit einer fahrigen Bewegung ihr Wasserglas vom Tisch. Isabelle fing es auf, bevor es auf dem Boden zerschellen konnte.
»’tschuldigung, ich weiß auch nicht, was mit mir los ist.«
»Kein Problem. Also, was halten Sie von meiner Gästecouch? Nur für eine Nacht. Morgen sehen wir dann weiter.«
»Ich möchte Ihnen keine Unannehmlichkeiten machen.«
Isabelle fand, dass Monique ausgesprochen höflich war. Ihr Französisch war ausgezeichnet. Jedenfalls sprach sie nicht wie eine Zuwanderin aus einem arabischen Land. Aber irgendwas stimmte nicht mit ihr. Sie wusste nur nicht, was.
»Nein, das passt schon.« Isabelle lächelte. »Ich kann Sie ja nicht auf der Straße schlafen lassen.«
Monique zuckte zurück. Ganz so, als ob sie gerade etwas Falsches gesagt hätte.
Isabelle saß abends noch lange auf ihrer kleinen Dachterrasse. Allein mit sich und mit ihren Gedanken. Und mit einer angebrochenen Flasche Wein. Monique schlief unten auf dem Gästesofa. Tief und fest wie ein Murmeltier. Weil aber auch Murmeltiere plötzlich aufwachten und vielleicht auf dumme Gedanken kamen, hatte Isabelle die Wohnungstür abgeschlossen und den Schlüssel eingesteckt. Das war zwar nicht korrekt und grenzte an Freiheitsberaubung, schien ihr aber dennoch geboten. Wer konnte schon wissen, was Menschen mit einer posttraumatischen Amnesie so alles einfiel. Zum Beispiel könnte Monique schlafwandeln, im Treppenhaus die steilen Stufen hinunterstürzen und sich dabei das Genick brechen. Okay, das war weit hergeholt und nicht sehr wahrscheinlich, also eine faule Ausrede. Aber Monique könnte tatsächlich auf die Idee kommen, einfach wegzulaufen. Dann müssten sie sie morgen suchen. Denn allein konnte man sie ihrem Schicksal nicht überlassen. Nicht in ihrem Zustand.
Isabelle sah hinauf zu den Sternen, die hier so viel intensiver funkelten als über Paris. Das war der isolierten Lage von Fragolin zu verdanken. Umgeben von den dichten Wäldern des Massif des Maures, gab es keine anderen Lichtquellen, die stören konnten. Außerdem fehlte die filternde Dunstglocke einer Großstadt. Sie kannte das aus der Wüste, da war der Effekt noch stärker. Aber Fragolin kam dieser Magie schon ziemlich nahe. Vor allem, wenn der Mistral über die Dächer blies, der am Himmel die letzten Schmutzpartikel wegfegte. Doch Gott sei Dank war es gerade windstill. Denn sie mochte den Mistral nicht. Genau genommen war der kräftige Fallwind aus dem Rhône-Tal, der meist über mehrere Tage an den Fensterläden rüttelte und die Nerven strapazierte, das Einzige, was sie an der Provence wirklich störte.
Sie trank vom Wein und lauschte den Zikaden. Dann musste sie lächeln, denn ganz so makellos war diese Postkartenidylle nun doch nicht. Irgendwo plärrte ein Radio. Ein Hund bellte. Stimmen von Nachtschwärmern schallten herauf. Über das Kopfsteinpflaster ihrer Gasse schepperte ein Karren. Sie wusste sogar, wer das war. Roger entsorgte die leeren Flaschen aus dem Café des Arts. Warum er das oft spät am Abend machte, wusste der Henker. Offenbar hatten sich die Nachbarn daran gewöhnt, sodass sich keiner beschwerte.
Isabelle goss sich ein letztes Glas Wein ein. Anschließend würde sie zu Bett gehen. Dazu zündete sie sich ein Zigarillo an. Eigentlich war sie Nichtraucherin, aber ab und zu gönnte sie sich diese kleine Extravaganz. Noch lieber mochte sie ausgewachsene Zigarren, zum Beispiel eine Cohiba, aber die rauchte sie nur in Gesellschaft von …
Ihr portable klingelte. Sie sah auf das Display. Gab es so etwas wie Gedankenübertragung? Natürlich glaubte sie nicht daran. Dennoch war es Rouven Mardrinac, der sie zu erreichen versuchte. Das war wirklich schräg, hatte sie doch gerade an ihn gedacht. Er war der Mann mit den teuren Zigarren. Dass er zu dieser nachtschlafenden Zeit anrief, überraschte sie dagegen weniger. Rouven, zu dem sie eine sehr spezielle Beziehung pflegte, die von längeren Auszeiten geprägt war, zwischendurch aber auch ausgesprochen intensiv sein konnte, war fortwährend in fernen Ländern unterwegs. Zeitzonen ignorierte er aus Prinzip. Das war eins der Privilegien, die er für sich in Anspruch nahm.
Lächelnd nahm Isabelle das Gespräch entgegen.
»Salut, Rouven, comment vas-tu?«
»Isabelle, ma chère, wie soll’s mir schon gehen? Excellent wie immer. Habe ich dich geweckt?«
Na, so was, er wusste sogar, wie spät es bei ihr war.
»Nein, noch nicht. Ich sitze gerade auf meiner kleinen Terrasse, trinke einen Wein, den du freiwillig nicht bestellen würdest, und halte am Nachthimmel nach Sternschnuppen Ausschau.«