Val McDermid
Thriller
Aus dem Englischen von
Ute Brammertz
Knaur eBooks
Val McDermid wurde 1955 in der Hafenstadt Kirkcaldy im schottischen Fife geboren. Nach dem Studium der Englischen Literatur arbeitete sie zunächst als Dozentin, dann lange als Journalistin bei namhaften britischen Zeitungen. Ende der achtziger Jahre veröffentlichte sie ihren ersten Kriminalroman. Heute ist sie ist eine der erfolgreichsten britischen Autorinnen von Thrillern und Kriminalromanen. Ihre Bücher erscheinen weltweit in mehr als vierzig Sprachen. 2010 erhielt sie für ihr Lebenswerk den angesehenen Diamond Dagger der britischen Crime Writers’ Association, die höchste Auszeichnung für britische Kriminalliteratur. Weitere Infos: www.valmcdermid.com
Die englische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel "How the Dead Speak" bei Little, Brown, London.
© 2019 by Val McDermid
© 2020 der deutschsprachigen Ausgabe Knaur Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Kirsten Reimers
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: PixxWerk, München unter der Verwendung von Motiven von shutterstock.com
ISBN 978-3-426-45666-8
ISBN 978-3-426-45666-8
Für unsere Freunde in East Neuk
Wir alle sind Gewohnheitstiere. Sogar Mörder. Laufen die Dinge gut, machen wir einen Talisman für unseren Erfolg verantwortlich. Eine Glück bringende Hose; sich nicht zu rasieren; die immer gleichen Handlungen in der richtigen Reihenfolge auszuführen; das immer gleiche Frühstück; auf der rechten Straßenseite zu gehen. Wenn Mörder uns ihre Talismane enthüllen, nennt man das eine Signatur.
Aus: Verbrechen lesen von DR. TONY HILL
An Mord hatte Mark Conway an diesem Samstagnachmittag nicht im Entferntesten gedacht. Obwohl er sich gern als Fachmann auf dem Gebiet sah, war er dennoch in der Lage, die verschiedenen Teilbereiche seines Lebens voneinander getrennt zu halten. Und heute ging es für ihn ausschließlich um Fußball. Er stand vor der Glaswand des Vorstandszimmers von Bradfield Victoria, ließ geistesabwesend den Rotwein in seinem großzügig bemessenen Kelch kreisen und betrachtete die Massen, die ins Stadion strömten.
Er wusste, was sie fühlten. Conway hatte früher selbst zum einfachen Volk gehört. Ein Spieltag bedeutete abergläubische Rituale. Seit dem Nachmittag vor zwanzig Jahren, als die Vics den League Cup gewonnen hatten, hatte er immer dasselbe Paar schwarzer Strümpfe mit einem tanzenden Snoopy getragen. Das tat er immer noch, auch wenn er das unangemessene Design heutzutage unter feiner schwarzer Seide verbarg. Millionenschwere Geschäftsmänner trugen keine Cartoon-Socken.
Ein Spieltag bedeutete auch ein leichtes Kribbeln der Vorfreude in Brust und Magen. Selbst bei Spielen, die keine Auswirkungen auf die Tabellenplatzierung oder die nächste Runde des Cups hatten, vibrierte die Aufregung in ihm, eine elektrische Ladung in seinem Blut. Wer würde fürs Team aufgestellt werden? Wer würde bei der Partie Schiedsrichter sein? Welche Überraschung würde das Wetter bereithalten? Würde das Ende des Nachmittags Freudentaumel oder brennende Enttäuschung mit sich bringen?
Das bedeutete es, ein Fan zu sein. Und obwohl Mark Conway jetzt Mitglied im Aufsichtsrat des Vereins war, zu dessen Fans er von Kindesbeinen an zählte, blieb er genau das – ein Fan. Er hatte sich heiser geschrien, während sie aufstiegen – und einmal auf unvergessliche Weise abgestürzt waren –, durch die Ligen bis zu ihrer aktuellen Platzierung als Sechste in der Premier League. Es gab nur eines, was ihm einen noch größeren Kick gab als ein Sieg der Vics.
»Glauben Sie, wir haben heute eine Chance?«
Die Stimme an seiner Schulter brachte Conway dazu, sich von der Aussicht abzuwenden. Der Commercial Director war hinter ihn getreten. Conway kannte den Beweggrund: Der Mann versuchte bereits, die Bandenwerbung für die nächste Saison unter Dach und Fach zu bringen, und er hätte lieber früher als später Conways Namen auf einem Vertrag und sein Geld auf dem Bankkonto. »Heutzutage ist es schwer, die Spurs zu schlagen«, sagte Conway. »Aber Hazinedar ist in Topform. Vier Tore in den letzten drei Spielen. Eine Chance müssen wir haben.«
Der Commercial Director setzte zu einer ausführlichen Analyse beider Teams an. Small Talk lag ihm nicht, und innerhalb von zwei Sätzen verflüchtigte sich Conways Aufmerksamkeit, und sein Blick schweifte durch den Raum. Als er Jezza Martinu erblickte, zuckten seine Lippen im Anflug eines Lächelns. Dies war ein Mann, der als Verkörperung der Fangemeinde hätte dienen können. Jezza war sein Cousin, ihre Mütter waren Schwestern. Laut Familienlegende war »Vics« das erste Wort, das Jezza gesagt hatte.
»Entschuldigen Sie mich bitte.« Conway leerte seinen Drink und trat an dem Commercial Director vorbei. Er ging an die Bar, wo die junge Frau, die die Drinks servierte, unvermittelt alle anderen Wartenden ignorierte und ihm ein frisches Glas Wein eingoss, das sie ihm mit einem raschen, angespannten Lächeln reichte. Er ging durch den übervollen Sitzungssaal auf seinen Cousin zu. Jezza war offensichtlich aufgeregt und redete auf den armen Kerl ein, den er am Buffett in die Enge getrieben hatte. Bradfield Victoria war seine Obsession. Gäbe es eine Kirche, in der Jezza dem Verein huldigen könnte, hätte er dort das Amt des Erzbischofs innegehabt.
Als Mark Conway seinem Cousin erzählt hatte, man habe ihn in den Aufsichtsrat berufen, hatte er geglaubt, Jezza werde in Ohnmacht fallen. Sämtliche Farbe war aus seinem Gesicht entwichen, und einen Augenblick war er ins Taumeln geraten. »Du kannst mit mir in die Vorstandsloge kommen«, hatte Conway hinzugefügt. Seinem Cousin waren Tränen in die Augen getreten.
»Wirklich?«, hatte er gehaucht. »Ist das dein Ernst? In die Vorstandsloge?«
»Und vor und nach dem Spiel in den Sitzungssaal des Vorstands. Du wirst die Spieler kennenlernen.«
»Ich fasse es nicht. Das ist alles, was ich mir je erträumt habe.« Er hatte Conway in eine Umarmung gezogen, ohne zu merken, dass jener zusammenzuckte. »Du hättest dir jeden aussuchen können«, war Jezza fortgefahren. »Jemanden, den du beeindrucken willst. Jemanden von der Arbeit, den du belohnen willst. Aber du hast mich ausgesucht.« Er hatte nochmals zugedrückt und dann losgelassen.
»Ich habe gewusst, was es dir bedeuten würde.« Was vollkommen der Wahrheit entsprach.
»Dafür kann ich mich niemals revanchieren.« Unwirsch hatte Jezza sich über die Augen gewischt. »Herrgott, Mark, ich liebe dich, Mann!«
Das war der Moment, auf den seine Planungen hingezielt hatten. An diesen begehrten Aufsichtsratssitz heranzukommen, hatte ihn eine beachtliche Geldinvestition gekostet und viele Schmeicheleien gegenüber Menschen, die er verachtete. Doch er wusste, wenn er Jezza Martinu erst einmal das goldene Ticket ausgehändigt hätte, würde sein Cousin alles dafür tun, um es zu behalten. Der letzte Baustein seiner Absicherungsstrategie für den Fall, dass seine ehrgeizigen Pläne nicht aufgingen. Conway hatte gelächelt. Es hatte aufrichtig gewirkt, weil es das auch gewesen war. »Ich werde mir schon etwas einfallen lassen«, hatte er gesagt.
Doch das hatte er längst getan.
Als eine kleine Gruppe FBI-Agenten die Idee zum Profiling hatte, wussten sie eines mit Sicherheit: dass sie nicht genug über die Gedankengänge derer wussten, die immer weiter töteten. Darum suchten sie an dem einen Ort, an dem zweifellos Experten zu finden waren: hinter Gittern.
Aus: Verbrechen lesen von DR. TONY HILL
Es war der Geruch, sobald er aufwachte, der ihm gewaltsam bewusst machte, wo er sich befand. Völlig unmöglich war ein ganz allmähliches Erwachen mit diesem momentanen Gefühl der Desorientierung, dieser halb wachen Frage: Wo bin ich? Zu Hause? Hotel? In jemandes Gästezimmer? Sobald sich sein Bewusstsein einstellte, tat das auch dieses Miasma, das Dr. Tony Hill ins Gedächtnis rief, dass er im Gefängnis war.
Jahre der Gespräche mit Patienten in geschlossenen psychiatrischen Kliniken bedeuteten, dass ihm der unangenehme Cocktail nicht fremd war. Schaler Schweiß, schaler Rauch, schale Leiber, schaler Essensgeruch, schale Fürze. Die säuerliche Note von Kleidung, die zu lange zum Trocknen gebraucht hatte. Der leicht vanillehafte Moschusgeruch von zu viel Testosteron. Und unter allem der scharfe Geruch billiger Reinigungschemikalien. In der Vergangenheit war er immer froh gewesen, dem Geruch der Inhaftierung zu entkommen und in die Welt draußen zurückzukehren. Heutzutage gab es kein Entkommen.
Er hatte geglaubt, er werde sich daran gewöhnen. Dass er nach einer Weile abgehärtet wäre. Doch auch nach sechs Monaten seiner vierjährigen Haftstrafe war da immer noch an jedem einzelnen Tag dieses schonungslose Bewusstsein. Da er klinischer Psychologe war, fragte er sich unwillkürlich, ob es irgendeinen tief sitzenden Grund für das gab, was sich allmählich wie eine übersteigerte Wahrnehmung anfühlte. Oder vielleicht besaß er einfach einen besonders ausgeprägten Geruchssinn.
Was auch immer der Grund war, er hatte angefangen, sich darüber zu ärgern. Für ihn gab es keine Momente des Halbschlafs, in denen er sich vorstellen konnte, wie er in seiner Koje auf dem Kanalboot erwachte, das zu seinem Stützpunkt geworden war, oder in der Gästewohnung von Carol Jordans renovierter Scheune, wo er genug Zeit verbracht hatte, um sie als sein zweites Zuhause zu betrachten. Diese verträumten Fantasien waren ihm verwehrt. Er hegte nie Zweifel daran, wo er war. Dazu reichte ein einziger Atemzug.
Wenigstens hatte er jetzt eine Zelle für sich. Als er erschöpfende Monate lang in Untersuchungshaft gewesen war, hatte er eine Reihe von Zellengenossen gehabt, deren persönliche Angewohnheiten allein schon eine besonders empfindliche Strafe dargestellt hatten. Dazza mit seiner unermüdlichen Hingabe ans Wichsen. Ricky mit seinem schleimerstickten Raucherhusten und ständigem Auswurf in die Stahltoilette. Marco mit seinen Nachtschrecken, den Schreien, die den halben Zellenflur aufweckten und ihre Nachbarn zu Gebrüll und Gefluche provozierten. Tony versuchte, mit Marco über dessen schlechte Träume zu sprechen. Doch der aggressive kleine Liverpooler war aufgesprungen und ganz dicht an ihn herangetreten, um mithilfe des größten Schimpfwortarsenals, das Tony je untergekommen war, abzustreiten, dass er jemals einen verfluchten Albtraum gehabt hätte.
Am allerschlimmsten war Maniac Mick gewesen. Er hatte darauf gewartet, vor Gericht gestellt zu werden, weil er einem rivalisierenden Drogenhändler die Hand abgehackt hatte. Als Mick herausfand, dass Tony mit der Polizei zusammengearbeitet hatte, war seine erste Reaktion gewesen, ihn am Hemd zu packen und gegen die Wand zu knallen. Spucke flog durch die Luft, während er Tony erläuterte, warum man ihn Maniac nannte und was er mit jedem beschissenen Wichser tun würde, den die beschissenen Bullen in der Tasche hatten. Seine Faust – diejenige, auf deren Fingerknöcheln C-U-N-T eintätowiert war – hatte ausgeholt, bereit zu dem Schlag, der, wie Tony wusste, etwas in seinem Gesicht brechen würde. Er hatte die Augen geschlossen.
Nichts passierte. Er hatte ein Auge geöffnet und einen Schwarzen mittleren Alters erblickt, der eine Hand zwischen Mick und Tony geschoben hatte. Die Gegenwart dieser Hand war wie ein magisches Kraftfeld gewesen. »Er ist nicht, was du denkst, Mick.« Seine Stimme war leise, beinahe intim.
»Er ist Abschaum«, spuckte Mick aus. »Was kümmert’s dich, ob der Wichser kriegt, was er verdient?« Sein Mund war zu einem höhnischen Grinsen verzogen, doch seine Augen waren weniger sicher.
»Er hat mit solchen wie uns nichts am Hut. Diebe oder Drogenbarone oder lügende, intrigante Arschlöcher wie wir sind ihm scheißegal. Dieser Mann« – der offenkundige Retter deutete ruckartig mit dem Daumen auf Tony –, »dieser Mann hat Abschaum ins Gefängnis gebracht. Die Tiere, die zum Vergnügen morden und foltern. Nicht zu ihrem finanziellen Vorteil, nicht aus Rache, nicht um zu beweisen, was für einen großen Schwanz sie haben. Sondern bloß zum Spaß. Und die Menschen, die sie umbringen? Völlig wahllos. Könnte deine Alte sein, könnte mein Kind sein, könnte jeder sein, dessen Visage ihnen in den Kram passt. Nur irgendein armes Schwein, das dem falschen Monster über den Weg läuft. Dieser Mann stellt keine Gefahr für richtige Kriminelle wie dich und mich dar.« Er drehte sich um, damit Mick sein Gesicht sehen konnte, während ein freundliches Lächeln seine Wangen in Falten legte.
»Mick, wir sollten stinksauer sein, dass er hier drin ist. Denn die Menschen, die wir lieben, sind sicherer, wenn er da draußen sein Ding macht. Glaub mir, Mick, dieser Mann steckt nur die Art Tiere in den Knast, die ein Gefängnis nie von innen zu sehen kriegen, weil sie die mehrfachen lebenslangen Haftstrafen, zu denen sie verurteilt wurden, in der Klapse absitzen. Lass ihn in Ruhe, Mick.« Er benutzte den Namen des Mannes wie eine Liebkosung. Doch Tony spürte die Drohung dahinter.
Mick bewegte den Arm zur Seite, als wäre es eine bewusste Bewegung, ein gewolltes Dehnen der Muskeln. Dann ließ er ihn sinken. »Ich nehme dich beim Wort, Druse.« Er trat zurück. »Aber ich werde mich umhören. Und wenn es nicht so ist, wie du sagst …« Er fuhr sich mit dem Finger über die Kehle. Das Lächeln, das die Geste begleitete, sorgte dafür, dass Tonys Magen sich verkrampfte. Maniac Mick stolzierte den Flügel entlang, zwei seiner Kumpane im Schlepptau.
Tony atmete lange aus. »Danke«, brachte er krächzend hervor.
Druse hielt ihm die Hand hin. Es war der erste Handschlag, der Tony in den vierzehn Monaten, die er im Knast war, angeboten wurde. »Ich bin Druse. Ich weiß, wer Sie sind.«
Tony schüttelte die Hand. Sie war trocken und fest, und Tony schämte sich für den Schweiß, den er darauf hinterließ. Er lächelte schief. »Und trotzdem haben Sie mich gerettet.«
»Ich komme aus Worcester«, antwortete Druse. »Meine Schwester war im gleichen Englischkurs wie Jennifer Maidment.«
Der Name löste eine Reihe von Bildern aus. Opfer im Teenageralter, herzzerreißende Verbrechen, ein Antrieb, so verschlungen wie eine DNA-Doppelhelix. Damals hatte er selbst mit einer sein Leben auf den Kopf stellenden Enthüllung zu kämpfen gehabt. Seine eigene Vergangenheit aufzudröseln, wie er es so oft bei Straftätern getan hatte, hatte ihn beinahe dazu getrieben, allem den Rücken zu kehren. Doch dieser Mann namens Druse, wer immer er sein mochte, konnte davon nichts wissen. Vielleicht kannte er nicht viel mehr als die Schlagzeilen. Tony nickte. »Ich erinnere mich an Jennifer Maidment.«
»Und ich erinnere mich daran, was Sie getan haben. Jetzt geben Sie sich bloß keiner Illusion über mich hin, Tony Hill. Ich bin ein sehr schlechter Mensch. Aber selbst schlechte Menschen können manchmal Gutes tun. Solange Sie hier drin sind, wird Ihnen keiner zu schaffen machen.« Dann hatte er sich mit einem Finger an den imaginären Schirm einer imaginären Mütze getippt und war fortgegangen.
Tony hatte noch nicht begriffen, wie sich Informationen in einem Gefängnis ausbreiteten. Insgeheim hatte er geglaubt, dass Druse viel mehr versprach, als er halten konnte. Doch zu seiner großen Freude hatte er sich in dieser Hinsicht getäuscht. Der ständige Sog der Angst, der den Untersuchungshaftflügel erfüllte, ließ allmählich nach, ohne jedoch je vollständig zu verschwinden. Tony hatte sorgfältig darauf geachtet, weiterhin Vorsicht walten zu lassen; er blieb sich ständig der Anarchie bewusst, die dicht unter der Oberfläche brodelte. Und Anarchie war nicht dafür bekannt, dass sie jemandes Ruf respektierte.
Noch überraschender war, dass Druse’ Schutz ihm irgendwie in das Gefängnis der Kategorie C gefolgt war, in das man ihn nach dem Urteilsspruch verlegt hatte. Dass ihm das organisierte Verbrechen Schutz böte, war das Letzte, was er von seiner Inhaftierung erwartet hatte.
Druse hatte sich zu einem Puffer auf der einen Seite entwickelt; Tonys Vergangenheit als forensischer Profiler hatte ihm ein ähnliches Bollwerk auf der anderen beschert. Hätte man ihn jemals gefragt, wäre er davon ausgegangen, dass er sich im Lauf seiner jahrelangen Zusammenarbeit mit der Polizei und dem Innenministerium mehr Feinde als Freunde in hohen Positionen gemacht hatte. Doch wie sich herausstellte, hatte er sich auch in der Hinsicht getäuscht. Zu Beginn der Untersuchungshaft hatte er einen Laptop beantragt. Weder er noch seine Anwältin hatten damit gerechnet, dass dem Antrag stattgegeben würde.
Wieder falsch. Eine Woche später war ein ramponiertes altes Gerät aufgetaucht. Natürlich kam man damit nicht ins Internet. Die einzige installierte Software war ein primitives Textverarbeitungsprogramm. Da er zu der Zeit in einer Zweierzelle untergebracht war, hatte er den Vollzugsbeamten, der die Bücherei führte, überredet, ihn den Laptop dort aufbewahren zu lassen. Anderenfalls wäre der Computer von einem seiner Zellengenossen zerschmettert, gestohlen oder als Offensivwaffe eingesetzt worden. Das schränkte die Zeit ein, die Tony an dem Gerät verbringen konnte, was ihn allerdings dazu zwang, konzentrierter zu arbeiten, wenn er einmal Zugriff darauf hatte. Und so war der einzige Mensch mit einem Grund, sich über Tonys Gefängnisstrafe zu freuen, sein Verleger, der schon die Hoffnung aufgegeben hatte, dass Verbrechen lesen jemals fertiggestellt, geschweige denn veröffentlicht werden würde.
Das alles hatte bei Tony ein unangenehmes Gefühlschaos hinterlassen. Sich ins Schreiben zu stürzen, hatte es ihm ermöglicht, die Angst loszulassen, die vom ersten Moment seiner Inhaftierung wie ein elektrischer Strom durch seine Adern geflossen war. Es war eine unsagbare Erleichterung gewesen. Daran bestand kein Zweifel. Jegliches Bewusstsein für seine Umgebung zu verlieren, während er an der Tastatur saß und versuchte, sein Wissen und seine Erfahrung zu einer zusammenhängenden Schilderung zu strukturieren, war ein Segen. Was diese Annehmlichkeiten beeinträchtigte, waren seine Schuldgefühle.
Er hatte jemandem das Leben genommen. Dies war ein Bruch des grundlegendsten Tabus seines Berufsstands gewesen. Dass er es getan hatte, um zu verhindern, dass die Frau, die er liebte, es selbst tun musste, war keine Entschuldigung. Ebenso wenig war es ihre gemeinsame Überzeugung, dass durch den Tribut dieses einen Lebens andere Leben bewahrt worden waren. Der Mann, den Tony umgebracht hatte, hätte immer wieder gemordet, und wer wusste schon, ob es jemals auch nur den leisesten handfesten Beweis gegen ihn gegeben hätte. Doch das schmälerte nicht das ungeheure Ausmaß dessen, was Tony getan hatte.
Demzufolge hatte er es verdient zu leiden. Seine Tage sollten durch einen gewissen Schmerz und durch Vergeltung gekennzeichnet sein. Doch der einzige Kummer, den er sich vorstellen konnte, war, Carol zu vermissen. Und wäre er gewillt gewesen, hätte er sie jedes Mal sehen können, wenn ihm eine Besuchserlaubnis gewährt wurde. Ihr die Gelegenheit zu verwehren, bei ihm zu sitzen, war eine Wahl, die er, wie er sich sagte, um ihretwillen traf. Vielleicht war das seine Form der Buße. Falls dem so war, war es wahrscheinlich ein niedrigerer Preis, als ihn jeder andere zahlte, mit dem er eingesperrt war.
Wenn er darüber nachdachte, was seine Mitgefangenen verloren hatten, ließ sich nicht leugnen, dass ihn das Gefühl beschlich, er habe Glück. Um sich herum erblickte er den Verlust der Existenzgrundlage, den Verlust eines Zuhauses, von Familien, von Hoffnungen. All dem war er entronnen, aber es fühlte sich dennoch falsch an. Sein Entrinnen ging mit ständig nagenden Schuldgefühlen einher.
Folglich hatte er beschlossen, dass er eine konstruktivere Art finden müsse, um das zu entrichten, was gemeinhin unbedachterweise die Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft genannt wurde. Er würde seine Begabungen für Empathie und Kommunikation einsetzen, um zu versuchen, etwas im Leben der Männer zu verändern, die derzeit unter derselben Adresse wie er logierten. Und zwar ab sofort.
Doch bevor er sein Vorhaben in Angriff nehmen konnte, musste er sich auf etwas viel Schlimmeres vorbereiten.
Seine Mutter kam zu Besuch. Anfangs hatte er ihr die Bitte verweigert. Vanessa Hill war ein Monster. Das war ein Wort, dessen Gewicht er verstand, und er benutzte es nicht leichtfertig. Sie hatte seine Kindheit zerstört, ihn der Möglichkeit beraubt, seinen Vater kennenzulernen, versucht, ihn um sein väterliches Erbe zu bringen. Das letzte Mal, als er sie gesehen hatte, hatte er gehofft, es würde das letzte Mal sein.
Doch Vanessa ließ nicht zu, dass ihre Pläne so einfach durchkreuzt wurden. Sie hatte über seine Anwältin eine Nachricht geschickt. »Ich habe schon immer gewusst, dass wir gleich sind, du und ich. Jetzt weißt du es auch. Du schuldest mir etwas, und auch das weißt du.« Sie wusste immer noch, wie sie ihn in Rage brachte. Gegen seinen Willen hatte er den Köder geschluckt.
Samt Haken.
Um das psychologische Profiling rankt sich eine Art Mythos, nicht zuletzt weil manche der frühen Verfechter außerordentliche Selbstdarsteller waren. Sie schrieben Bücher, hielten Vorträge, gaben Interviews, in denen sie in ihrer Fähigkeit, die Gedanken von Verbrechern zu lesen, beinahe gottähnlich wirkten. In Wahrheit sind Profiler nur so gut wie das Team, mit dem sie zusammenarbeiten.
Aus: Verbrechen lesen von DR. TONY HILL
Die großen Ballungsräume Nordenglands bestehen auf ihrer Individualität. Doch ein unbestrittenes Charakteristikum haben sie gemeinsam: Keiner von ihnen ist weit weg von atemberaubend schöner Landschaft. Ein Viertel der Bevölkerung Englands lebt höchstens eine Autostunde vom Nationalpark Peak District entfernt, beteuern Leute, die solche Dinge austüfteln. Unter normalen Umständen hätte Detective Inspector Paula McIntyre es genossen, einen Tag in den bewaldeten Ausläufern des Dark Peak auf verschlungenen Pfaden durch etwas zu wandern, das sich beinahe wie Wildnis anfühlte. In den düsteren Hochmooren weiter oben hatte man schnell das Gefühl, die Zivilisation befände sich viel weiter weg als nur jenseits der nächsten Hügelkette.
Doch dies waren keine normalen Umstände. Mit Mühe zog Paula ihren Fuß aus den Fängen einer schlammigen Pfütze. Er tauchte mit einem widerwärtigen Schmatzen auf. »Lieber Himmel, sieh dir an, wie der ausschaut!«, klagte sie und starrte wütend auf ihren dreckverschmierten Wanderschuh.
Detective Constable Stacey Chen, der es dank Paulas Missgeschick gelungen war, die Pfütze zu umgehen, verzog angewidert das Gesicht. »Ist was in deinen Schuh reingelaufen?«
Paul wackelte mit den Zehen. »Ich glaub nicht.« Sie ging weiter auf dem kaum erkennbaren Pfad, dem sie folgten. »Verfluchte Teambuilding-Aktion, so ein Scheiß.«
»Wenigstens hattest du schon eine Ausrüstung. Ich musste ein Vermögen ausgeben, um mich passend auszustaffieren. Wer hätte gedacht, dass ein Waldspaziergang so viel kosten würde?« Müde und genervt stapfte Stacey hinter Paula her.
Paula lachte glucksend. »Die meisten von uns leisten sich nicht mal eben schnell eine Spitzen-Outdoor-Garderobe. Sieh dich nur mal an.« Sie machte eine halbe Drehung und wedelte mit der Hand in Richtung Stacey, die von Kopf bis Fuß in Funktionskleidung steckte. »Die Königin von Merino und Goretex.«
»Das kannst du alles haben, sobald wir den heutigen Tag überstanden haben. Ich will das Zeug nie wieder anziehen.« Der Pfad endete an einer Abzweigung, von der in zwei Richtungen breitere Pfade wegführten. »In welche Richtung gehen wir jetzt?«
Paula zog die Landkarte aus der Tasche und fuhr ihre Route mit einem Finger nach. »Wir gehen nach Norden.«
»Das hilft mir herzlich wenig.«
»Schau dir die Bäume an.«
»Das sind große hohe hölzerne Dinger. Mit Nadeln. Die im Gegensatz zu Kompassnadeln nicht hilfreich magnetisch sind.«
Paula schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf. »Sieh dir das Moos an. An der Nordseite des Stamms wächst es stärker.« Sie trat näher an eine der Waldkiefern heran, die an der Weggabelung in einer Gruppe standen. »Schau. Man kann den Unterschied sehen.« Sie wies nach links. »Wir gehen da lang.«
»Woher weißt du so was?«
»Aus dem gleichen Grund, weshalb du sämtliche Feinheiten des Internets kennst. Notwendigkeit plus Erfahrung. Wahrscheinlich habe ich mit dem Wandern angefangen, als du deinen ersten Computer bekommen hast.« Paula sah auf ihre Armbanduhr. »Wir sollten überpünktlich am Treffpunkt ankommen. Du hattest Glück, dass du mit mir in einem Team gelandet bist, wir werden Pluspunkte einheimsen, weil wir gut in der Zeit liegen.«
»Einen Tag auf diese Weise zu verbringen ist der reinste Irrsinn. Wir hören ständig nur, es gebe eine Budgetkrise. Ganzen Kategorien von Verbrechen wird überhaupt nicht nachgegangen, weil uns die Ressourcen fehlen. Aber wir vergeuden einen Tag damit, durch den Wald zu marschieren, anstatt zu versuchen, Verbrechen aufzuklären. Ich begreife wirklich nicht, wo da der Sinn sein soll«, maulte Stacey, als sie wieder weitergingen in einem Tempo, das Paula für angemessen hielt. Für Stacey war es eher ein Geländemarsch.
»Ich auch nicht. Aber wir sind nicht mehr in Kansas.«
»Ich glaube noch nicht mal, dass DCI Rutherford und Carol Jordan auf dieselbe Polizeihochschule gegangen sind. Carol hätte uns das hier niemals angetan. Wir mussten kein Teambuilding betreiben, wir waren ein Team.«
Darüber ließ sich nicht streiten. Die Mitglieder des ReMIT – das Regional Major Incident Team, das DCI Carol Jordan zusammengestellt hatte – waren sorgfältig nach den Fähigkeiten der Einzelnen und ihrer individuellen Herangehensweise an die Arbeit ausgewählt worden. Vor allem aber wussten sie, wie man mit anderen zusammenarbeitete. Solange die anderen am selben Strang zogen. Doch Carol war fort, und dem ReMIT war erst jetzt, nach Monaten der Untätigkeit, neues Leben eingehaucht worden. Laut der hässlichen Schwestern – Klatsch und Tratsch – hatte beträchtlicher Zweifel am Wert einer Einheit bestanden, die etliche unterschiedliche Polizeibehörden überspannte. Wer ursprünglich dafür gewesen war, hatte sich die Finger verbrannt, wohingegen diejenigen, die verhaltener reagiert hatten, nun paradoxerweise mehr Begeisterung an den Tag legten. Wenn es bei der Ermittlungsarbeit zu Katastrophen kommen sollte, so dachten sie, war es besser, die Schuld auszulagern.
Während also einmal hü und einmal hott gesagt wurde, hatte man Paula zurück nach Bradfield, ihre Heimatdienststelle, versetzt. Sie war zeitweilig zu einer Langzeitermittlung zu Menschenhandel und sexueller Ausbeutung abgestellt worden, einer Operation, die emotional härter gewesen war als alles, was sie zuvor erlebt hatte. Der Rückruf zum ReMIT war ihr wie eine Erlösung vorgekommen.
Stacey war der Met unterstellt worden, um im Bereich der Finanzkriminalität zu arbeiten. Am schwierigsten war für sie gewesen, nicht zu vergessen, dass sie nicht zeigen durfte, wie viel sie eigentlich konnte. Die Zusammenarbeit mit Carol Jordan, zuerst in Bradfield und dann beim ReMIT, hatte Stacey absolute Freiheit gewährt, im Internet überall dorthin zu gehen, wohin sie wollte, und zu tun, was immer nötig war. Sie hatte ein Talent für die nachträgliche Bestätigung von Dingen entwickelt, in die sie ihre Nase eigentlich nicht hätte stecken sollen. Solange das Endergebnis sauber aussah, hatte Carol ihr freie Hand gelassen.
Es hatte drei Tage gedauert, bis sie begriffen hatte, wie frustrierend es war, Dinge auf offiziellem Weg zu erledigen. Schlimmer noch, sie fand es langweilig. Das hatte sie zu der Erkenntnis gezwungen, dass sie trotz ihres scheinbaren Faibles für Konventionen tatsächlich mehr mit den Outlaws als den Gesetzestreuen gemeinsam hatte. »Das einzig Gute daran ist, dass ich so viel freie Denkkapazitäten habe, dass ich eine nette kleine App entwickelt habe, mit der sich berechnen lässt, wie viele Kalorien pro Tastenanschlag am Computer verbraucht werden«, hatte sie Paula bei einem chinesischen Essen vom Lieferdienst in Bradfield anvertraut.
»Warum sollte das jemand wissen wollen?« Verwirrt hatte Paula das Wan-Tan-Teilchen betrachtet, das sie gerade mit einem Stäbchen aufgespießt hatte.
»Fitness- und Diätfreaks wollen alles wissen. Vertrau mir, bei denen hat Narzissmus eine ganz neue Qualität. Man muss das Geschäft weiterentwickeln, Paula. Das da draußen ist ein Haifischbecken. Wenn man nicht weiterschwimmt, stirbt man.« Es war ein verstohlener Hinweis gewesen, dass Staceys Polizeigehalt nur einen Bruchteil ihres Einkommens ausmachte. Ihr erstes kommerzielles Programm hatte sie noch während des Studiums entwickelt, und seitdem hatte sie ihre Firma stillschweigend und erfolgreich ausgebaut. Das war der Grund, weshalb sie es sich leisten konnte, die am besten gekleidete Polizistin in ganz Nordengland zu sein. Für ihr Bankkonto waren Merino und Goretex Peanuts.
Nun schritt sie neben Paula her. »Mit der Firma werde ich jetzt besonders vorsichtig sein müssen«, sagte sie.
»Hast du Angst, dass Rutherford es herausfinden könnte?«
»Es ist nicht gerade ein Geheimnis. Aber er ist so ein Paragrafenreiter, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass er ein Auge zudrückt.«
»Aber du führst die Firma in deiner Freizeit. Es gibt keinerlei Interessenskonflikte.«
Stacey zuckte mit den Schultern. »Es ließe sich argumentieren, dass ich Wissen und Erkenntnisse anwende, die ich bei der Arbeit sammle.«
»Ich hätte gedacht, der Wissenstransfer ginge in die andere Richtung. Aber es wäre nicht das Ende der Welt, wenn du gehen müsstest, oder?«
»Langweilig wär mir nicht, das ist mal sicher. Da draußen gibt es reichlich Herausforderungen, die mich auf Trab halten würden. Aber ich würde die Arbeit wirklich vermissen.« Sie warf ihrer Freundin einen Seitenblick zu. »Das hab ich noch nie jemandem anvertraut. Aber ich liebe es, dass das Polizistendasein einen dazu ermächtigt, im Leben anderer Leute herumzuschnüffeln. Ich weiß, dass ich die ganze Zeit weit übers Erlaubte hinausgehe, und theoretisch könnte ich damit weitermachen, wenn ich bei der Polizei ausscheide. Mir stehen immer noch sämtliche Hintertüren offen. Aber dann hätte ich keine Rechtfertigung mehr dafür.« Sie stieß ein spöttisches Lachen aus. »Das hört sich verrückt an, aber so bin ich wohl erzogen worden. Traditionelle chinesische Werte. Oder so was Ähnliches.«
»Klingt logisch, finde ich. Bleiben wir also auf der Hut, bis wir den DCI besser einschätzen können. Wir wissen ja beide, dass die Lücke zwischen dem, was die hohen Tiere sagen, und dem, was sie tun, ziemlich groß sein kann. Wenn wir erst mal mittendrin stecken, wird er vielleicht genauso ein Auge zudrücken wie Carol.«
»Hast du in letzter Zeit was von ihr gehört?« Stacey kramte in einer ihrer Taschen herum und zog eine Tafel Edelschokolade heraus. Sie brach zwei Rippen ab und reichte eine Paula.
»Mmm, Ingwer.« Paula war glücklich. »Ich versuche, alle vierzehn Tage hinzufahren. Bloß um zu sehen, wie es ihr geht. Ich komm mir vor, als wär ich in diplomatischer Mission zwischen Nord- und Südkorea unterwegs. Erst besuche ich Tony im Gefängnis, dann besuche ich Carol in einer anderen Art von Gefängnis.«
»Er weigert sich immer noch, sie zu sehen?«
»Er ist davon überzeugt, dass sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Was offen gesagt keine Frage ist. Er hat ihr gesagt, keine Besuchserlaubnis, bis sie sich behandeln lässt.«
»Und tut sie das? Sich behandeln lassen?«
Paula lachte. »Kannst du dir vorstellen, Carol Jordan das zu fragen? ›Also, Boss, wie läuft’s mit der PTBS? Machst du schon ’ne Therapie?‹ Das würde super ankommen.«
»Aber wenn du zwischen den Zeilen liest. Findest du, sie macht Fortschritte?«
»Sie trinkt nicht. Was in Anbetracht der Geschehnisse unglaublich ist. Aber was den Rest betrifft …«
Was immer Paula noch sagen wollte, wurde durch einen kurzen, heftigen Schrei aus dem Wald westlich von ihnen unterbrochen. »Was zum Teufel?«, entfuhr es ihr.
Es folgte ein wortloser Schrei, der jäh verstummte. Dann das Geräusch von Füßen, die durchs Unterholz brachen. Schon war Paula unterwegs, lief um die Bäume herum in die Richtung, die ihrer Meinung nach die richtige war. Stacey, die im direkten Einsatz weniger erfahren war, zögerte kurz, presste dann den Mund zu einer grimmigen Linie zusammen und stürzte ihr nach.
Paula rannte weiter. Nur kurz blieb sie stehen, um zu überprüfen, ob sie immer noch in Richtung dessen lief, was sich nach einer lauten Verfolgungsjagd anhörte. Sie orientierte sich um und lief wieder los. Als der Lärm unvermittelt verstummte, blieb Paula stehen und hob eine Hand, um Stacey Einhalt zu gebieten. Dann pirschte sie sich so verstohlen wie möglich vorwärts. Nach einer knappen Minute erreichte sie den Rand einer Lichtung.
In wenigen Metern Entfernung wurde eine junge Frau in Laufkleidung von einem massigen Mann in Jeans und Kapuzenpulli gegen einen Baum gedrückt. In der rechten Hand hielt er ein Messer, das er gegen ihre Kehle drückte.