Inge Schöps
Yoga – Das große Praxisbuch für Einsteiger und Fortgeschrittene
Yoga bringt Körper, Geist und Seele in Harmonie miteinander und führt zu innerer Ruhe und größerer Stressresistenz.
In diesem Buch finden Sie:
• eine fundierte Einführung in zentrale Aspekte der Geschichte und Philosophie des Yoga
• brillante und detailgenaue Fotos sowie ausführliche Beschreibungen von über 120 Asanas = Körperhaltungen im Yoga
• zahlreiche Variationen, leichte Alternativen für Einsteiger und schwierigere für Fortgeschrittene
• Schritt-für-Schritt-Anleitungen für alle komplexen Asanas
• die Beschreibung der elementaren Atem- und Meditationstechniken
• individuell kombinierbare Übungssequenzen – zum Üben für zu Hause oder unterwegs
Inge Schöps ist zertifizierte Yoga-Lehrerin, Buchautorin und Mental Coach aus Köln. Sie gründete die Yoga-Community »Yoga-On« und bietet heute Yoga in Verbindung mit Retreats, Workshops und Coachings an. Besonders am Herzen liegen ihr die Yoga-On-Retreats an wunderschönen Orten wie z. B. Formentera, Mallorca oder der Nordsee. Ihr »Yoga: Das große Praxisbuch für Einsteiger & Fortgeschrittene« wurde zum Bestseller und in mehrere Sprachen übersetzt. Bevor sie zum Yoga kam, war die studierte Übersetzerin und MBA-Absolventin in diversen Führungspositionen für international ausgerichtete Verlagshäuser tätig. www.yoga-on.com
Weitere Bücher der Autorin:
• Schöps, Inge und Hegre, Petter: Yoga Pur, O. W. Barth Verlag 2015
• Schöps, Inge: Yoga for EveryBody: 44 Basic-Asanas für Einsteiger, Knaur MensSana 2017
• Schöps, Inge: Yoga for EveryBody: Gesunder Rücken. Die 20 wirksamsten Übungen bei Ruückenschmerzen, Knaur MensSana 2018
• Schöps, Inge: YOGA Bullet Journal, Knaur Balance 2019
Günter Beer lebt als Fotograf, Reporter und Chronist in Barcelona. Er begleitete Joseph Beuys beim Projekt »7000 Eichen«, war Reporter für das »Jornal do Brasil«, und während des Bürgerkriegs in Nicaragua lebte er als Grenzgänger zwischen Sandinisten und Contras. Er saß im Schlamm mit Goldwäschern in Venezuela, berichtete aus US-Militärlabors und fotografierte Mode in Mexiko, Mallorca und auf dem Matterhorn. Mehrere Indienaufenthalte weckten sein Interesse an Yoga.
eISBN 978-3-426-45905-8
© 2020 der eBook-Ausgabe Knaur eBook
Dieser Titel erschien 2009 bei Parragon Books Ltd.
© 2020 Knaur Verlag
Ein Imprint der Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Covergestaltung: Isabella Materne nach der Parragon-Ausgabe
Coverabbildungen: Günter Beer, Sitges, Spanien
Herausgeberin und Autorin: Inge Schöps, Köln
Fotos: Günter Beer, Sitges, Spanien
Modelle: Nicole Bongartz, Eduardo Castro-Neres, Constanze Handmann, Ijeoma Ollawa, Dulce Yimenez Sedano, Köln
Gestaltungskonzept, Layout und Satz: Workstation GmbH, Bonn
Lektorat: Kirsten E. Lehmann, Köln
Fachlektorat & Übungssequenzen: Lord Vishnus Couch, Köln
Korrektorat: Kristina Bönig, Köln
HINWEIS
Die vorliegenden Informationen beruhen auf gründlicher Recherche der Autorin. Alle Empfehlungen und Informationen sind von Autorin und Verlag sorgfältig geprüft, dennoch kann keine Garantie für das Ergebnis übernommen werden. Jegliche Haftung der Autorin bzw. des Verlags und seiner Beauftragten für Gesundheitsschäden sowie Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen. Der Leser sollte in jedem Fall die Anwendung der hier genannten Methoden und Übungen auf seinen speziellen Bedarfsfall vom betreuenden Arzt prüfen lassen.
Einleitung
I.Geschichte & Philosophie
Yoga: Jahrtausende altes Wissen
Religiös geprägter Yoga
Die yogische Weltsicht im Wandel der Zeit
Patanjalis Yoga-Sutras
Den Geist zur Ruhe bringen
Kleshas: Die Störfaktoren im Geist
Ashtanga Marga – der achtgliedrige Pfad
Hatha Yoga
Der Körper als Werkzeug
Die Anatomie des Hatha Yoga
Die Übungstechniken des Hatha Yoga
Auf einen Blick: Die Hauptwege des historischen Yoga
Moderner Yoga
Yoga goes West
Die aktuellen Yoga-Stile
II.Asanas – Körperhaltungen
Erläuterungen zu den Asanas
Sonnengruß
Stehende Positionen
Vorbeugen
Rückbeugen
Twists
Arm-Balancen
Umkehrhaltungen
Neutrale Positionen
Positionen zur Entspannung
III. Pranayama – Lenkung der Energie
IV.Dhyana – Meditation
V.Praxis – Das Üben
Glossar
Register
Literatur-, Zitat- & Bildnachweis
Yoga ist eine der ältesten Lehren und Methoden, die sich mit der Gesamtheit des Menschen – Körper, Geist und Seele – und seiner Harmonie und Einheit beschäftigt. Der Übungsweg des Yoga blickt auf mindestens 3500 Jahre gesammelten Wissens über die Struktur des Körpers und die Funktionsweise des Geistes zurück. Auf diesem Weg wurden zahlreiche mögliche Störungen erforscht und wirkungsvolle Übungen entwickelt, die diese Störungen nachhaltig vermindern oder beheben – zum Ziel des menschlichen Seelenfriedens.
Yoga ist ein Zustand, in dem Körper, Geist und Seele vereinigt werden sollen (sanskr. yuj: zusammenbinden). Dieses Ziel ist zeitlos – und so ist Yoga auch heute so vital und modern wie vor Jahrtausenden. Ist der Zustand des Yoga erreicht, ist der Geist ruhig und die Wahrnehmung klar: Es herrscht ein Gefühl der Einheit und Glückseligkeit.
Yoga ist, wenn die Bewegungen des Geistes zur Ruhe kommen.
(Yoga-Sutra 1.2.)
„Regelmäßige Yoga-Übungen helfen, der Hektik des Alltags gelassen und standhaft entgegenzutreten.“ (B.K.S. Iyengar, * 1918, international anerkannte Yoga-Autorität)
Der Begriff Yoga umfasst jedoch zugleich auch die Disziplinen, mit Hilfe derer dieser Zustand erreicht werden kann: das Einüben der Körperhaltungen – der sogenannten Asanas –, das kontrollierte Atmen – Pranayama genannt –, Meditation, Chanten, das Lesen alter Schriften …, um nur einige zu nennen. Je nach persönlicher Disposition und individuellen Vorlieben des Yogis (Yoga-Übender) können hier unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden. Doch alle Wege führen zum gleichen Ziel: in die Freiheit.
Der Yoga geht davon aus, dass jeder Mensch durch körperliche und geistige Konditionierung, Gedankenmuster und falsche Wahrnehmung daran gehindert wird, bewusst, klar und reflektiert zu handeln. Ziel des Yoga ist, sich von diesen Störungen zu befreien und inneren Frieden – der Grundbedingung für die Unabhängigkeit von innerem und äußerem Zwang – zu erlangen.
Positive Effekte des Yoga
Ob als sanftes oder anspruchsvolles Fitnesstraining, als Therapieform, ethischer Lebensstil, als spirituelle Erfahrung oder – und dies keineswegs zuletzt – als Quelle des Vergnügens: Es gibt viele Gründe, sofort mit Yoga anzufangen – für jeden, jederzeit, überall, in jedem Alter.
Yoga:
• steigert Ausdauer, Kraft und Flexibilität
• stärkt Vitalität und Energie
• verbessert das eigene Körpergefühl
• reduziert Verspannungen und Schmerzen
• verzögert den Alterungsprozess
• lindert Altersbeschwerden
• führt zu innerer Ruhe und Ausgeglichenheit
• verhilft zu größerer Stressresistenz
• steigert die Lebensqualität und geistige Fitness
• fördert Mut, Durchhaltevermögen und Konzentration
• stärkt die eigene Zentriertheit und geistige Klarheit
• bringt Körper, Geist und Seele in Einklang
• eröffnet neue Perspektiven und Denkansätze
• hilft, Verhaltensmuster und Gewohnheiten zu erkennen und sie zu überwinden
• führt zu mehr Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein
• beschreibt einen ethischen Verhaltenskodex
• bietet Raum für spirituelle Entwicklung
Das Bild der Freiheit sieht dabei für die einzelnen Menschen keineswegs gleich aus: Manche mögen darunter ein Gefühl der Glückseligkeit, ein In-sich-Ruhen sowie Unabhängigkeit von äußeren Notwendigkeiten oder Zwängen, Selbsterkenntnis oder die sogenannte Erleuchtung verstehen. Für andere bedeutet Freiheit, sich als Teil der Natur zu empfinden, das Individuelle mit dem großen Ganzen, dem Kosmos oder auch mit dem Göttlichen zu verbinden. Wieder andere sehen in der Freiheit eine Mischung von allem. Für all das kennt der Yoga einen Begriff: Samadhi – das Höchste.
Was auch immer als das Höchste empfunden wird: Yoga beschreitet stets einen Weg nach innen. Er fordert auf, sich selbst zu erforschen und kennenzulernen. Yoga ist eine innere Haltung, die Achtsamkeit und Bewusstsein erfordert und gleichsam fördert. Unterwegs bieten die zahlreichen Übungen des Yoga eine Vielzahl von positiven Nebeneffekten, die sich im Alltag schon bald als Bereicherung erfahren lassen – auch wenn Praktizierende das Höchste am Ende nicht erreichen sollten.
Yoga kann am eigenen Leib erfahren werden. So beginnen die meisten Menschen, die sich ihm nähern, mit der Asana-Praxis, also mit dem Üben der Körperpositionen. Und das Wunderbare ist: Yoga zeigt sofortige und unmittelbare Wirkung!
Yoga besteht zu 1 % aus Theorie und zu 99 % aus Praxis und Erfahrung.
Neben einer Einführung in die wichtigsten Aspekte der Geschichte und Philosophie des Yoga – vom religiös geprägten Yoga über Patanjalis Yoga-Sutras und der Entstehung des Hatha Yoga bis hin zum modernen Yoga von heute – stellt dieses Buch die Beschreibung der Asanas und der Asana-Praxis im Zusammenspiel mit Pranayama (Atemkontrolle) und Meditation in den Mittelpunkt.
Das Buch richtet sich sowohl an Einsteiger als auch an Fortgeschrittene. Es versteht sich als Begleiter für die individuelle Entwicklung in der Asana-Praxis. Deshalb werden sowohl die Grundhaltungen als auch komplexere Positionen vorgestellt. Einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt es allerdings nicht, da es Tausende von Asanas und zahllose Variationen gibt.
Die Auswahl für dieses Buch – über 120 Asanas plus vielfältige Variationen – umfasst vor allem solche, die heute in modernen Yoga-Schulen unterrichtet werden. Jede der hier vorgestellten Asanas ist detailliert bebildert und ausführlich beschrieben; wo es sich anbietet, werden neben einer Schritt-für-Schritt-Anleitung einfachere Varianten für Einsteiger und/oder schwierigere für Fortgeschrittene ergänzend dargestellt. So wird jede Asana in ihrem Kern deutlich, sodass sie in all ihren Dimensionen verstanden und geübt werden kann.
Ein guter Lehrer ist das A und O
Das Buch kann keinen Yoga-Lehrer ersetzen, sondern sieht sich als Ergänzung zum Yoga-Unterricht. Es empfiehlt sich daher in jedem Fall, immer auch mit einem erfahrenen und ausgebildeten Yoga-Lehrer zu üben, der unterstützt, berät und korrigiert.
Gleiches gilt für die zentralen Atem- und Meditationstechniken in den anschließenden Kapiteln Pranayama und Meditation. Im letzten Teil des Buches werden eine Reihe von Übungssequenzen vorgestellt, die auf verschiedene Tageszeiten und unterschiedliche Niveaus abgestimmt sind: zum Üben für zu Hause oder auch unterwegs.
Und nun: Viel Spaß auf Ihrem Weg zum Yoga!
In Indien ist Yoga seit mehr als 3500 Jahren bekannt. Nomaden aus Zentralasien (Arier) drangen seit 1500 v. Chr. immer weiter in den indischen Subkontinent vor und brachten – zusammen mit ihrer Gesellschaftsordnung, dem Kastenwesen – eine Geistesdisziplin mit, die sie „Yoga“ nannten. Diese beinhaltet Methoden, den Geist so einzusetzen, dass die Sinne unter Kontrolle sind und der Körper beherrscht werden kann. Um es mit einem Bild auszudrücken: Der Geist hält als Wagenlenker die fünf Sinne im Zaum, spannt sie vor den Wagen – den Körper – und gibt ihm die Richtung an.
Das Wort Yoga leitet sich von der Sanskritwurzel yuj ab – was soviel wie „anjochen“, „vor ein Gespann spannen“, „zusammenführen“ und „verbinden“ bedeutet.
Im Verlauf der Jahrtausende haben sich drei große Traditionslinien im Yoga aus unterschiedlichen Grundlagentexten entwickelt:
1. Der religiös geprägte Yoga basiert auf den Upanishaden, einer Textsammlung aus der Zeit um 800 v. Chr., in der die Essenz der Veden – der alt-indischen Schriften zu Religion und Philosophie – festgehalten, diskutiert und kommentiert wurde. Eine weitere Quelle indischer Weisheit erkennt dem Yoga ebenfalls eine besondere Bedeutung zu: die Bhagavadgita, ein großes Lehrgedicht aus 18 Gesängen im Mahabharata, das – zusammen mit dem Ramayana – den um 500 v. Chr. entstandenen Nationalepos bildet. Diese große Schriftensammlung vermittelt das historische Wissen auf überaus anschauliche Weise.
2. Der klassisch-philosophische Yoga basiert auf Patanjalis Yoga-Sutras (entstanden in der Zeit 200 v.–200 n. Chr.), die häufig als Grundlagentexte des Yoga schlechthin bezeichnet werden. In diesen Sutras (Leitfäden) wird die Funktionsweise des Geistes beschrieben und ein Weg aufgezeigt, um die Störungen im Geist zu überwinden und zu wahrer Erkenntnis über sich und die Welt zu gelangen.
3. Der Hatha Yoga hat die Hatha Yoga Pradipika (entstanden 800–1200 n. Chr.) zur Grundlage – gewissermaßen ein Praxishandbuch zu Patanjalis Sutras. In ihr werden Körperpraktiken beschrieben, durch die der Körper als Werkzeug auf dem Weg zur Erkenntnis eingesetzt werden kann.
Auf der Grundlage der Bhagavadgita, der Sutras Patanjalis und der Hatha Yoga Pradipika entwickelten sich die zentralen Konzepte der yogischen Weltanschauung; alle späteren Werke zum Yoga finden hier in der einen oder anderen Weise ihre Wurzeln. Und auch die heutige Yoga-Praxis verbindet häufig eine oder mehrere Traditionslinien.
Yoga ist keine Religion
Obwohl die Wurzeln des Yoga eng mit der indischen Kultur verbunden sind, darf Yoga nicht als Religion missverstanden werden. Auch wenn die historischen Grundlagentexte sich immer wieder auf eine nicht näher definierte Göttlichkeit beziehen, handelt es sich dabei um ein System zur Lenkung des Körpers durch den Geist – und in diesem Sinn um eine Art Selbstfindungslehre, die nicht an eine bestimmte Religion oder einen Glauben gebunden ist. Der Weg des Yoga kann daher unabhängig von religiösen Überzeugungen von jedem Menschen zur persönlichen Entwicklung von Körper und Geist beschritten werden.
Wer sich mit dem Begriff „Göttlichkeit“ schwer tut, kann ihn daher als Hülle betrachten und mit einer eigenen Bedeutung füllen, in der all das zum Ausdruck kommt, was nicht in des Menschen eigener Macht steht: das Leben, die Natur, das Universum.
„Yoga fordert nicht auf, an irgendetwas zu glauben, Yoga sagt: Erfahre! Yoga ist kein Glaube. Es ist Eindringen in die eigene Existenz.“ (Osho, 1931–1990, auch bekannt unter dem Namen Bhagwan, umstrittener Lehrer und Philosoph)
Aus den Veden, den ältesten Schriftensammlungen des spirituellen, philosophischen und wissenschaftlichen Wissens Indiens (vor 1000 v. Chr.) geht hervor, dass Yoga in der Frühzeit im Kontext religiöser Opferhandlungen und mystischer Ekstasetechniken praktiziert wurde. Die Weitergabe von Wissen oblag der höchsten Gesellschaftskaste, den Brahmanen (Priester und Weise); sie erfolgte im Rahmen eines engen Lehrer-Schüler-Verhältnisses – mündlich, durch Rezitation, bei der das Wissen wortgetreu weitergegeben wurde. Denn die Worte der Veden galten als göttliche Offenbarung, welche die Brahmanen in tiefer Meditation empfangen hatten, und durften nicht verändert werden. Opferhandlungen und Ekstaserituale dienten dazu, die angerufenen Götter milde zu stimmen und den Erfolg der Opfergabe zu garantieren. Diese Praktiken wurden im Laufe der Jahrhunderte komplexer und die Anstrengungen der Ausübenden immer größer. Sogenannte Fakire, Mitglieder religiöser Hindu-Orden, versuchen sich bis in unsere Zeit in Übungen extremer Askese und des Yoga, um sich auf diese Weise von der Sinnenwelt zu lösen (und die Götter gut zu stimmen).
Nachdem die religiös geprägten Opferrituale und Yoga-Praktiken immer extremer wurden, wurden sie im Laufe der Zeit zunehmend in Frage gestellt. Durch erste Niederschriften der Veden um 1000 v. Chr. wurde das – bisher ausschließlich von den Brahmanen gehütete – Wissen erstmals breiter zugänglich gemacht (wenngleich auch nach wie vor nur einer kleinen lesenden Minderheit) und bot eine Grundlage für Diskussionen und Reflexionen. Die Gespräche über die vedischen Texte zwischen Lehrer und Schüler berührten die elementaren Fragen der Menschheit und der Welt; sie wurden um 800 v. Chr. in den Upanishaden zusammengefasst, die als Essenz der Veden betrachtet werden können.
In den Upanishaden findet sich eine Fülle von Kommentaren, die im Laufe der Jahrhunderte ihrerseits wieder kommentiert wurden. In ihnen wird der philosophische Kerngedanke entwickelt, dass alles Eins ist – und demzufolge Gott in allem und alles in Gott ist. Durch dieses neue Weltbild wurden die ehemals religiös geprägten Opferrituale überflüssig – wurde nun doch das eigene Selbst ebenfalls als göttlich aufgefasst. Im Zuge dessen verlagerte sich auch der Schwerpunkt der Yoga-Praxis, die sich zunehmend darauf ausrichtete, durch Meditation das wahre Selbst – Atman genannt – zu erkennen.
Die Götter des Hinduismus auf einen Blick
In der Frühzeit bevölkerte eine Unzahl von Göttern den hinduistischen Pantheon – und jede Gottheit besaß klar umgrenzte Zuständigkeiten: So gab es den Gott des Donners, den Gott der Sonne, den Gott des Windes und noch viele mehr. Seit etwa 1000 v. Chr. konzentrierten sich die religiösen Vorstellungen zunehmend auf die sogenannte Trimurti: die Dreieinigkeit von Brahma, Vishnu und Shiva.
Brahma – der Schöpfer – kreiert alles, was entsteht und wird meist väterlich dargestellt; da er es anschließend dem Gott Vishnu überlässt, sich um das weitere Schicksal alles Erschaffenen zu kümmern, wird er jedoch nur selten verehrt.
Vishnu – der Bewahrer der Welt – ist voller Mitgefühl und sorgt sich vor allem um die Menschen. Dementsprechend wird er heiß und innig verehrt und verfügt über eine große Anhängerschaft. Auf Abbildungen wird er oftmals auf der Schlange Adisesha liegend gezeigt, die ihn und die Welt mit ihren 1000 Köpfen beschützt und die Hüterin aller Schätze ist. Um allen Kreaturen zu helfen, verließ Vishnu bereits neun Mal seine bequeme Stätte, um neu in dieser Welt zu wirken. Rama, Krishna und Buddha sind wohl seine bekanntesten Inkarnationen. Der Legende nach befahl Vishnu seiner Schlange Adisesha, in Patanjali (s. S. 20 ff.) zu inkarnieren, damit er eine praktische Form des Yoga zu den Menschen bringe.
Shiva – der Zerstörer – symbolisiert das Sterben, den Tod und die Veränderung. Er zerstört alles, was Brahma geschaffen hat – auch Illusionen, Konzepte, Muster und Gewohnheiten. Daher ist er auch der Gott der Yogis: Er schafft Platz für Neues und macht Transformation möglich. Dargestellt wird er vielfach mit Dreizack und lodernden Haaren oder als Tänzer.
Mit den im Mahabharata und im Ramayana versammelten volkstümlichen Geschichten und Legenden erhielten Angehörige aller Kasten (zumindest diejenigen, die lesen konnten), denen bisher das Wissen und die Ausübung religiöser Rituale versagt war, Zugang zu einem spirituellen System. Denn dies war vordem ausschließlich Männern der obersten drei Kasten vorbehalten – sofern sie es sich leisten konnten, da die Brahmanen sich die Weitergabe ihres Wissens um die Verbindung mit Gott reichlich vergüten ließen.
Das indische Kastensystem
1. Oberstand/Lehrstand (Brahmanen): Priester, Hüter und Lehrer des Wissens und der Wahrheit (der Veden)
2. Wehrstand (Kshatrya): Beamte, Könige, Adlige, Krieger und Soldaten
3. Nährstand (Vaishya): Bauern und Händler, Handwerker
4. Arbeiter (Shudra): Diener der oberen Stände
5. Die nicht als Kaste anerkannten Unberührbaren (Dalit): Tagelöhner, Bettler und gesellschaftlich Verachtete
Eine der grundlegenden Quellen, in denen Yoga als Weg der Erkenntnis und Erlösung des Menschen beschrieben wird, ist die Bhagavadgita – „der Gesang des Erhabenen“, ein Teil der um 500 v. Chr. entstandenen Mahabharata. In ihr erläutert Krishna, eine Inkarnation des Gottes Vishnu, dem Kriegshelden Arjuna, dass jeder – unabhängig von der Kaste, in die er in diesem Leben hineingeboren wurde – den Weg des Yoga gehen und die Methoden und Techniken nutzen kann, um Atman, sein wahres Selbst und das Göttliche in sich, zu erkennen.
Der Weg des Yoga bot jedem Einzelnen ein System von Techniken und Methoden an, Selbsterkenntnis zu erlangen und eine Verbindung zum Göttlichen im eigenen Innern herzustellen. Jeder konnte nun sein Schicksal selbst beeinflussen und Verantwortung für sein Leben übernehmen – und war damit nicht mehr auf die Hilfe der Brahmanen angewiesen, um, nach hinduistischem Glauben, aus dem „ewigen Rad der Wiedergeburt“ auszusteigen.
Die Basis der indischen Kultur bildet ein alles umfassendes Weltgesetz – Dharma (sanskr.: Stütze, Gesetz, Pflicht). Danach hat jeder Mensch eine Bestimmung in seinem Leben zu erfüllen, und es besteht für jeden die Aufgabe, herauszufinden, was in diesem Leben getan werden muss, um der eigenen Natur gerecht zu werden – um Atman, das Göttliche in sich, zu erkennen. Jedes Wesen hat daher seiner Natur entsprechende Rechte, Pflichten, Eigenarten, Grenzen und Fähigkeiten.
Auf dieser Grundannahme basiert auch das indische Kastensystem: Jedes Wesen sucht sich seine Kaste bei Geburt gleichsam aus, denn sie ist das Ergebnis des im vorangegangenen Leben angesammelten Karmas. So kann jeder seine Aufgabe, sein Dharma, im Rahmen seiner Möglichkeiten erfüllen und so sein Karma verbessern, um in einem kommenden Leben in eine höhere Kaste aufzusteigen. Das Ziel ist es, das Selbst (Atman) mit dem Göttlichen oder Brahman zu vereinen und so eines Tages aus dem Rad der ewigen Wiedergeburt aussteigen zu können.
Wird das Dharma – die Bestimmung in dem Leben eines Menschen – erfüllt, hat er gute Chancen, sein Karma zu verbessern und im zukünftigen Leben eine Kaste aufzusteigen und seine Lebensumstände zu verbessern. Der Weg dahin kann allerdings lang sein.
Das Gesetz von Karma, dem Kreislauf von Ursache und Wirkung, bildet auch die ethische Grundlage für Yoga, nach der jede Handlung Konsequenzen hat, ob in diesem oder in einem späteren Leben. Jeder trägt demnach die Verantwortung für seine Handlungen und kann im Rahmen seiner Möglichkeiten das Resultat seines Handelns beeinflussen. Entsprechend wird er Nutznießer eines guten Karmas oder aber er wird früher oder später unter schlechtem Karma zu leiden haben.
Buddhismus & Jainismus
In Indien entwickelten sich um 600 v. Chr. zwei weitere religiös-philosophische Systeme: der Buddhismus und der Jainismus. Kernpunkte in beiden bildet das Gesetz vom Karma und von der Wiedergeburt.
Die Vorstellung eines universellen Bewusstseins wurde bereits in den Lehren der Upanishaden entwickelt. Für dieses Bewusstsein kannte der frühe Yoga zahlreiche Namen: Brahman, Purusha, Ishvara, Atman – um nur einige zu nennen – und bezeichnete damit all das, was mit dem Göttlichen verbunden wurde. Dieses universelle Bewusstsein umfasste den Sehenden, das Gesehene sowie den Akt des Sehens gleichermaßen und manifestierte sich in allem: sowohl in der äußeren Welt als auch in der Seele – das heißt, in Atman, dem Göttlichen in jedem Einzelnen.
Um 400 v. Chr. entwickelte eine indische philosophische Schule (Samkya) eine neue Sichtweise auf das universelle Bewusstsein: Dieses sei die Realität und existiere ewig. Alles andere – Maya genannt – sei nur Illusion und verschleiere die Realität. Demzufolge sei die Welt, wie sie wahrgenommen werde, nur ein Spiegelbild der Illusion, die im Geist entstehe, und keine Manifestation des Göttlichen. Die Natur, alle Lebewesen, Körper, Geist und Emotionen sind nach dieser Lehre vom Göttlichen getrennt. Sie bedürfen daher keiner besonderen Beachtung, da sie Teil der Illusion und in ständigem Wandel begriffen sind.
Diese radikale Sicht auf die Welt wurde von nachfolgenden Generationen von Yogis, die auf der Basis der Yoga-Sutras des Patanjali (s. S. 20 ff.) Yoga praktizierten, nicht vollständig geteilt. Sie bedienten sich der globaleren Sicht, die der dualistischen Weltsicht entsprach: Danach teilt sich die Welt auf in das universelle Bewusstsein (Purusha) und das individuelle Bewusstsein (Prakriti). Purusha ist die göttliche Instanz, der wahres Sehen möglich ist und die ein kosmisches Bewusstsein von Unsterblichkeit besitzt. Purusha ist beständig, zeitlos, real und unwandelbar, sozusagen der Urzustand, der sich in Atman, dem göttlichen Kern in jedem einzelnen Menschen, manifestiert. Prakriti wiederum ist die wandelbare Materie, die äußere Schale, die aus allem, was gesehen und wahrgenommen werden kann, besteht. Diese Materie manifestiert sich in drei Formen, den sogenannten Gunas.
Alles, was Prakriti zugeordnet wird, trägt drei Qualitäten – Gunas – in sich:
Sattva ist gekennzeichnet durch Leichtigkeit, Reinheit, Ausgeglichenheit, Klarheit, Heiterkeit.
Rajas zeichnet sich durch die Aspekte Aktivität, Impulsivität, Ruhelosigkeit, Leidenschaft, Wachstum, Evolution, Wechsel aus.
Tamas wird mit Dunkelheit, Schwere, Widerstand, Ignoranz, Schwerfälligkeit, Trägheit beschrieben.
Prakriti besteht daher immer aus einer Kombination der drei genannten Qualitäten, wobei mal die eine, mal die andere vorherrscht. Das Bestreben eines Yogis ist es, in all seinen Handlungen, Gedanken und Gefühlen so „sattvisch“ wie möglich zu sein. Pures Sattva ist in der materiellen Welt zwar nicht erreichbar, aber Körper und Geist können mit den Techniken des Yoga dahin gebracht werden, die negativen Einflüsse der Qualitäten Tamas und Rajas zu reduzieren. Tamas wird durch Rajas und Rajas durch Sattva überwunden.
Die Identifikation mit Prakriti bringt immer wieder Leid hervor, da es unbeständig ist. Deshalb geht es im Yoga darum, alles Materielle zu erforschen – ohne jedoch darin verhaftet zu sein –, um zum Kern, zum universellen Bewusstsein vorzudringen – oder anders gesagt: um eine Einheit zwischen Purusha und Prakriti zu erlangen.
Die Techniken des Yoga wurden erstmals zwischen 200 v. und 200 n. Chr. von Patanjali in den Yoga-Sutras (sanskr. sutra: Leitfaden) systematisch zusammengefasst. Die genauen Hintergründe ihrer Entstehung sind nicht bekannt. Ob sich hinter dem Namen Patanjali eine einzelne Person, eine Brahmanenfamilie oder ein Zusammenschluss von Weisen verbirgt, bleibt bis heute im Dunkeln. Einer Legende nach befahl Vishnu seiner Schlange Adisesha, in Patanjali zu inkarnieren, damit sie den Menschen eine praktische Form des Yoga bringe.
Patanjalis Yoga wird auch klassischer Yoga, Raja Yoga oder Kriya Yoga genannt.
Die insgesamt 195 Sutras bestehen aus kurzen, prägnanten, jedoch bedeutungsvollen Sätzen. Wie in der modernen Psychologie wird hier die Funktionsweise des Geistes beschrieben, und welche Hindernisse, Schwierigkeiten und Störungen im Geist auftreten können, die Selbsterkenntnis und reflektiertes Handeln verhindern. Als Weg zu einer positiven Veränderung des Geistes empfehlen die Yoga-Sutras Patanjalis den sogenannten „achtgliedrigen Pfad“. Wird dieser Pfad befolgt, lassen sich die Ursachen des Leids erkennen und in der Zukunft vermeiden. So wird der Weg zur Selbsterkenntnis frei.