Das Buch
Die Hexenkönigin wurde wiedererweckt und hat der Liga den Krieg erklärt. Einzig Lucian, der nun über das ewige Feuer verfügt, könnte Mara noch Einhalt gebieten. Doch seit Ari in seinen Armen gestorben ist, hat der Brachion nur ein Ziel vor Augen: Rache an Tristan und seinem Vater. Auf seiner Jagd steckt er die Welt der Primus und Menschen in Brand und ist auf dem besten Weg, zu dem rücksichtslosen Tyrannen zu werden, von dem die Izara-Legende berichtet. Und Ari ... Ari muss all dem hilflos zusehen. Körperlos schwebt sie über dem Geschehen, da ihre menschliche Hälfte zwar gestorben ist, doch die unsterbliche Essenz in ihr überlebt hat. Niemand nimmt sie wahr – niemand, außer dem Mann, der sie getötet hat.
Der finale Band der packenden Romantasy-Reihe von Julia Dippel.
Mehr über das Buch, viele Hintergrundinfos und den extra komponierten Soundtrack gibt es auf: www.izara.de
Die Autorin
Julia Dippel wurde 1984 in München geboren und arbeitet als freischaffende Regisseurin für Theater und Musiktheater. Um den Zauber des Geschichtenerzählens auch den nächsten Generationen näher zu bringen, gibt sie außerdem seit über zehn Jahren Kindern und Jugendlichen Unterricht in dramatischem Gestalten. Ihre Textfassungen, Überarbeitungen und eigenen Stücke kamen bereits mehrfach zur Aufführung.
Julia Dippel auf Instagram: www.instagram.com/julia_dippel_autorin
Der Verlag
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Viel Spaß beim Lesen!
Julia Dippel
IZARA – Verbrannte Erde
Für alle, die den Mut haben, mit dem Herzen zu lesen.
Ari konnte Maras Wiedererweckung nicht verhindern. Beim Kampf im ewigen Eis glaubt sie fälschlicherweise, Tristan getötet zu haben. Ein fataler Fehler, den sie letztlich mit dem Leben bezahlen muss. Damit ihre Freunde gegen die Hexenkönigin eine Chance haben, schenkt sie Lucian noch im Sterben ihre unauslöschliche Seele, das ewige Feuer – Izara.
Ein letztes Mal schlug mein Herz – für Lucian.
Dann stand es still.
Kacheln. Weiße Kacheln, die ihren Glanz verloren hatten. Der Kitt in den Fugen bröckelte schon. An manchen Stellen hatte man ihn mit Silikon ausgebessert. Es waren sieben, bevor eine einen Sprung hatte, der wie ein Stern aussah. Ein Stück war herausgebrochen. Vierzehn Kacheln weiter hing ein staubiges Gewebe herunter, das früher mal ein Spinnennetz gewesen war. Im Licht des Notausgangschildes warf es einen skurrilen Schatten. Ein dumpfes Geräusch kam näher. In regelmäßigen Abständen mischte es sich mit einem Quietschen. Schritte wurden lauter und wieder leise. Dann war es wieder ruhig. Das Geräusch war schon dreimal an der Tür vorbeigezogen. Danach war immer die gleiche Stille gefolgt. Beim vierten Mal blieb es allerdings stehen. Schlüssel klimperten. Etwas piepste. Die Tür schwang auf. Ein älterer Mann in einem grauen Overall trat ein. Der Bewegungsmelder reagierte sofort und schaltete die Neonröhren an der Decke ein. Mit schlurfenden Schritten kontrollierte der Mann den Papierkorb neben dem Schreibtisch und klatschte anschließend seinen Wischmopp auf den Fliesenboden. Draußen stand sein Putzwagen mit diversen Utensilien. Sonst war weit und breit niemand zu sehen, aber im Gang befanden sich Einschusslöcher und Brandflecken. Alles wirkte seltsam vertraut. Erinnerungen krochen aus dunklen Ecken, die eigentlich schon gar nicht mehr existieren durften. Hier hatte es einen Kampf gegeben.
Und ich war dabei gewesen.
Ich. Dieses Wort ließ mich stocken. Vorhin waren da nur Bilder gewesen. Eindrücke. Aber jetzt trennte eine feine Linie die Bilder von meinen Gedanken. Ich. Woher kam dieses Wort auf einmal?
Der Gang führte in eine Lobby. Ein Geruch nahm Form an. Staub, Desinfektionsmittel und Menthol. Hinter einem Empfangstresen stand in großen Buchstaben: Omega Incorporated. Eigentlich sollte der Schriftzug leuchten. Zumindest hatte er das beim letzten Mal. Jemand war bei mir gewesen. Plötzlich war meine ganze Existenz von Sehnsucht durchdrungen. Und von Schmerz.
Ich wusste, dass ich nicht hier sein sollte. Es war der falsche Ort. Nicht nur, dass es hier nichts gab, was meiner Anwesenheit einen Sinn verlieh, nein, mich erfüllte das dringende Gefühl, dass ich irgendwo anders gebraucht würde. Ein Gefühl. Ein Sturm, über einer aufgewühlten See.
Auf einmal verschwamm der Omega-Schriftzug. Stattdessen folgte ich dem Sturm. Er zog mich durch eine schwarze Leere, riss unablässig an meiner Existenz, bis er mich schließlich an einem völlig anderen Ort wieder ausspuckte.
Dort donnerte er gegen mächtige Tore, die unter dem Angriff zerbarsten. Feuer preschte aus dem Durchgang und ein Mann mit dunklen Locken schritt durch das Inferno. Seine Augen glühten in reinem Weiß. Ich spürte so viel Zorn und Verzweiflung wie noch nie zuvor in meinem Leben. Seine Gefühle drangen durch jede Faser meines Seins.
Die Welt erzitterte. Brücken stürzten ein, Gebäude gingen in Flammen auf. Hütten, Kirchen, Wolkenkratzer und Tempel fielen von Himmel. Alles schien so surreal, und dennoch war es kein Traum. Leute schrien, flohen - nur ein blonder Mann stellte sich dem wütenden Rachegott in den Weg.
„Was soll das?“, rief er über das feurige Dröhnen der Macht hinweg. „Komm endlich zur Vernunft, Lucian!“
Etwas kratzte an meiner Erinnerung. Der Name brachte tief in mir etwas zum Schwingen. Und wieder war da diese Sehnsucht - so überwältigend, dass ich daran zu ersticken drohte.
„Geh mir aus dem Weg, Bel!“
Diese Stimme. So viel Schmerz schwang darin mit.
„Das werde ich nicht. Du zerstörst nicht nur Patria, sondern löschst die ganze Liga aus.“ Bel entfaltete seine Macht und dämmte damit Lucians Feuer ein. Der reagierte mit einem tiefen Grollen. Seine Augen glühten noch ein wenig heller.
„Mein Vater hat es nicht anders verdient.“
Eine steile Falte erschien zwischen Bels Brauen. Es kostete ihn große Anstrengung, Lucian zu blockieren.
„Deinen Vater zu töten, wird sie nicht wieder lebendig machen“, presste der blonde Primus hervor, während er Stück um Stück zurückgedrängt wurde. „Glaubst du, dass sie das gewollt hätte?“
Das Feuer wurde heißer und mit der Hitzewand, die mich traf, kamen auch die Erkenntnis und die Erinnerung. Bel sprach von mir!
Ich war … tot.
„Verschwinde, Bel“, knurrte Lucian. Die Energie des ewigen Feuers steckte alles in Brand. Die Energie meiner Seele. Ich konnte nicht mehr sehen, was Bel tat, denn die Flammen katapultierten mich fort ins schwarze Nichts.
Kacheln. Weiße Kacheln, die ihren Glanz verloren hatten. Der Kitt in den Fugen bröckelte schon. An manchen Stellen hatte man ihn mit Silikon ausgebessert. Es waren sieben, bevor eine einen Sprung hatte, der wie ein Stern aussah.
Stopp! Was war das gerade gewesen?
Lucian. Ich musste zu Lucian! Er war drauf und dran, eine Riesendummheit zu begehen. Verständlicherweise, denn er dachte, er hätte mich verloren. Aber ich war doch noch hier. Ich war nicht tot.
Oder doch?
In der Luft lag ein Hauch von Feuer und Schnee. Das Gewicht eines Armes legte sich um meinen Hals. Und dann spürte ich, wie kaltes Metall sich zwischen meine Rippen bohrte. Mein Atem stockte. Er war zurückgekehrt.
„Es tut mir so leid“, murmelte Tristan mir ins Ohr.
In seiner Stimme lag Bedauern.
Mit einem Ruck riss er die Klinge aus mir heraus, nur um sie noch einmal in meiner Flanke zu versenken.
Ich spürte die Wärme aus mir herausfließen, doch Tristans Arme hielten mich fest, als würde ich ihm etwas bedeuten. Eine süße Lüge …
Er hatte es tatsächlich getan. Er hatte mich umgebracht, um Mara zu retten.
Nur … wenn ich tot war, wo war dann der berühmte Frieden? Wieso empfand ich diese Unruhe? War ich ein Geist, für alle Zeit verdammt umherzustreifen? Ich sah an mir herunter. Nichts. Ich hatte keinen Körper, keine Arme, keine Beine, nicht mal Augen, mit denen ich mich hätte anschauen können.
Aber ich spürte Wut. Tristan würde dafür bezahlen, was er mir und Lucian angetan hatte. Und Pippo! Und Mr Rossi! Und – oh mein Gott …
Aarons Gesicht war völlig ausdruckslos. Leer. In seinen Augen glänzte eine unumstößliche Erkenntnis. Ich hörte, wie sein Herzschlag langsamer wurde und … verstummte. Dann glitt der rothaarige Jäger von Tristans Klinge.
Er hatte auch Aaron getötet. Schmerz übermannte mich. Er zog mich fort. Wieder schwappte diese schwarze Leere über mir zusammen. Diesmal dauerte sie länger an, bis sie mich plötzlich unter einem strahlend blauen Himmel entließ. Ich schwebte über dem Innenhof des Lyceums. Hier hatten wir unsere Abschlusszeugnisse bekommen. Hier hätte Thanatos hingerichtet werden sollen. Jetzt waren hier Dutzende Körper aufgebahrt. Man hatte sie fest in schwarze Leintücher gewickelt und mit irgendeiner Flüssigkeit überschüttet. Es waren die Leichen der Jäger, die bei dem Angriff auf das Lyceum und bei dem Kampf im Ewigen Eis ihr Leben gelassen hatten. Das war es zumindest, was der weißhaarige Mann am Rednerpult den streng aufgereihten Phalanx-Mitgliedern erzählte. Überall standen Kränze, Fotos und Kerzen herum. Direkt unter mir entdeckte ich ein Bild von Aaron. Es zeigte einen der seltenen Momente, in denen der zurückhaltende Jäger gelacht hatte.
Der unbekannte Redner schwafelte weiter. Irgendwas von nötigen Opfern und der Pflicht eines Jägers, von schweren Zeiten und der Aufgabe, die Menschen zu beschützen.
„Tristan wird dafür bezahlen“, flüsterte eine allzu bekannte Stimme. Sie war kaum zu hören gewesen, aber ich bezweifelte nicht, dass neunzig Prozent der Anwesenden Lizzys Versprechen trotzdem gehört hatten. Sogar der Redner schien von der Unterbrechung und den grimmig nickenden Gesichtern der übrigen Jäger aus dem Konzept gebracht worden zu sein.
„Wir alle können dein Leid verstehen, Felizitas. Dennoch ist es nun einmal die Bestimmung der Phalanx, zum Wohle der Menschheit zu handeln“, brach der Mann mit dem weißen Haarschopf die Stille. Er bemühte sich sichtlich, die Situation im Griff zu behalten. „Veränderungen sind Teil dieser Aufga-“
Die Gestalt meiner Freundin löste sich aus der ersten Reihe. Ihre geröteten Augen erzählten von den Tränen, die sie vergossen hatte, aber ihr eiskaltes Gesicht erschütterte mich zutiefst. Jede Fröhlichkeit und Unbedarftheit war von ihr gewichen. Die schreckliche Narbe an ihrem Hals war nur ein schwacher Abklatsch dessen, wie sie sich im Inneren fühlen musste.
Lizzy hielt direkt auf die vorderste Bahre zu. Es war die ihres Vaters und mit unzähligen Kränzen geschmückt. Sie nahm eine der Fackeln, die Mr Rossis Foto flankierten, aus der Halterung und warf sie neben den Leichnam. Sofort züngelten Flammen empor und lösten eine Kettenreaktion aus. Nacheinander entzündeten sich auch die anderen Bahren. Ein Raunen ging durch die Menge und eine seltsame Wehmut überkam mich. Vielleicht war sogar irgendwo mein Körper dabei …
Gideon trat hinter seine Schwester. Er wirkte genauso mitgenommen wie sie, wobei ihm auch noch die Sorge um Lizzy anzusehen war. Gemeinsam warteten sie, bis das Feuer Aarons Bahre erreicht hatte, bevor sich meine Freundin umdrehte und den Innenhof verließ.
Der weißhaarige Mann schien noch etwas sagen zu wollen, überlegte es sich aber nach einem Blick in Gideons finsteres Gesicht anders.
Damit war die Zeremonie wohl offiziell beendet.
Ich versuchte, meiner Freundin zu folgen, doch als sie das Eingangstor des Lyceums erreicht hatte, lief plötzlich ein ohrenbetäubendes Grollen durch die Mauern des ehemaligen Klosters. Ich hörte Schreie. Dann erschütterte eine gewaltige Explosion das Hauptgebäude – genau dort, wo die Bibliothek lag. Der gesamte Flügel stürzte einfach in sich zusammen. Eine Staubwolke verschluckte Lizzy. Gideon rannte los. Zeitgleich traf mich eine Welle aus Energie und schleuderte mich rückwärts.
Schwarze Leere.
Dann starrte ich erneut auf weiße glanzlose Kacheln.
WAS ZUM TEUFEL?!
Ich zwang mich, ein paar Mal tief durchzuatmen, wobei mir klar wurde, dass ich keine Lungen hatte, was mich abermals so aufbrachte, dass ich gleich wieder von vorne beginnen konnte. Erst etwa zehn imaginäre Atemzüge später, war ich so weit, meine Gedanken sortieren zu können.
Hatte da etwa gerade jemand das Lyceum in die Luft gesprengt? Vielleicht Tristan? Wieso lebte der Scheißkerl überhaupt noch? Und wenn er lebte, bedeutete das, dass auch Mara überlebt hatte? Und wieso landete ich immer wieder in dieser gekachelten Zelle?! War das meine ganz persönliche Hölle?
Der Schwall an nicht zu beantwortenden Fragen wollte einfach nicht abreißen. Wer war dieser weißhaarige Mann gewesen? Außerdem hatte ich weder meine Mum noch Victorius, Toby, Ryan oder Jimmy gesehen. Waren sie überhaupt nach am Leben?!
Oh, bitte, sie mussten überlebt haben!
Und warum hing mir noch immer der Geruch von Lucians Sommersturm in der Nase. Eine Nase, die nicht existierte. Aaaaah … okay, ganz ruhig.
Vielleicht war Lucian ja im Lyceum gewesen und ich hatte ihn nur nicht gesehen? Das klang logisch, schließlich hatten ihm Aaron und selbst Mr Rossi etwas bedeutet. Oder ich verlor langsam den Verstand, weil ich an nichts anderes mehr denken konnte, als an die Verzweiflung, die in seinen Augen gebrannt hatte.
Lucian. Sein Name verschluckte mich und schon schwebte ich wieder in der schwarzen Leere.
Ein samtiges Lachen erklang. Es hallte von den Wänden eines U-Bahnhofs wider.
Wo war ich denn jetzt bitte gelandet?
Über den Gleisen befand sich ein Schild. Aber selbst wenn es mehr Licht als die spärliche Notbeleuchtung gegeben hätte, wäre ich aus den chinesischen Schriftzeichen nicht schlau geworden.
„Bist du hier, um mich zu töten?“, fragte eine dunkelhaarige Frau, deren Schönheit so perfekt und übermenschlich war, dass es fast schon schmerzte, sie anzusehen. Sie war der Inbegriff all dessen, was ich abgrundtief hasste. Die Verkörperung meiner Ängste. Erst jetzt wurde mir klar, wie sehr ich doch gehofft hatte, sie nie wieder zu Gesicht bekommen zu müssen.
Tja, zumindest hatte sich die Frage geklärt, ob Mara noch am Leben war.
Die Hexenkönigin trug ein langes blutrotes Kleid, das ihre nackten Beine umschmeichelte, als wäre es lebendig. Sie war umringt von Hexen und Brachion. Mindestens zehn. Trotzdem wirkten alle angespannt angesichts des einzelnen Mannes, dem Maras Worte gegolten hatten.
„Warum findest du es nicht heraus?“, erkundigte sich Lucian vom anderen Ende des unterirdischen Gewölbes. Er war in den tiefen Schatten kaum auszumachen. Nur die weißen Blitze, die an seinen Armen entlangzuckten, ließen erahnen, wo er sich befand – und das gleißende Licht in seinen Augen.
Die Hexen traten vor, um ihre Königin zu schützen. In ihren Händen sammelte sich grünes Feuer. Gleichzeitig erklangen scharrende Geräusche. Aus den Schatten des Tunnelschachts brach ein Schwarm dunkler Gestalten hervor. Wie Insekten nutzten sie den Boden, die Wände und die Decke, um voranzukommen. Wer nicht schnell genug war, wurde von hinten überrannt. Das Ganze hatte etwas von einem Alienangriff, obwohl die Gestalten mit ihren bleichen Gesichtern und blutunterlaufenen Augen menschlicher erschienen, als man es bei ihrer Gangart und den klickenden Lauten hätte vermuten können.
Lucian sammelte seine Macht. Sofort stoppten die Kreaturen – gerade so weit von Lucians knisternder Aura entfernt, dass sie ihnen keinen Schaden zufügen konnte. Fauchend bleckten sie spitze Fänge. Scharfe Klauen gruben sich tief in den Steinboden des Bahnsteigs.
Wieder ertönte dieses samtweiche Lachen. Es würde mir wohl auf ewig eine Gänsehaut verursachen.
„Nicht doch, meine Kinder“, beruhigte Mara den Schwarm der Ungeheuer, der sich daraufhin zischend ein paar Meter zurückzog. „Er wird mir nichts tun.“
„Du bist dir deiner zu sicher“, entgegnete Lucian und ließ weiter seine Macht aus sich herausströmen. Der gesamte U-Bahnhof begann zu beben.
Mara trat vor, bis sie nur noch eine Armlänge vor Lucian stand. In ihren zu perfekten Mandelaugen lag keine Spur von Angst. „Ich bewundere eine solche Stärke. Eine solche Rachsucht. Eine solche Leidenschaft“, schnurrte sie verführerisch. „Wir sind aus demselben Holz geschnitzt - du und ich. Wir haben sogar dieselben Feinde. Warum also schließt du dich mir nicht an?“
Die Hexenkönigin schien ihr Angebot ernst zu meinen, wobei ihr anzusehen war, dass sie nicht an das Wohlwollen des Brachions mit der unsterblichen Seele glaubte.
Lucian packte Mara an der Kehle.
„Du bist der Feind“, knurrte er.
Die Prima zeigte noch immer keine Furcht. Mit einer entschiedenen Geste hielt sie ihre Leute davon ab, einzugreifen.
„Ich“, sagte sie mit einem feinen Lächeln, „habe dir nichts getan.“
„Nein, es war nur einer deiner Söhne.“ Lucian drückte kräftiger zu und ließ seine Energie in Maras Essenz strömen. Jetzt entwich der Hexenkönigin ein leises Keuchen, aber sie erlaubte ihren Leuten dennoch nicht, Lucian aufzuhalten.
„Du kannst mich nicht töten!“, krächzte sie.
„Das sehe ich anders.“
Teile der Decke brachen heraus und begruben einige der Klauenkreaturen unter sich. Man hörte sie röcheln und jaulen. Trotzdem rührte sich der Rest des Schwarms nicht vom Fleck.
„Deine Kraft benebelt dir jetzt schon die Sinne, Lucian. Wenn du mich tötest, wird nichts dich aufhalten können. Nicht einmal du selbst. Du wirst erst die Kontrolle verlieren und dann deinen Verstand.“
Lucians Blick flackerte. Auf einmal wirkte er nicht mehr so entschlossen. Mara lachte.
„Ich sehe, du weißt, wovon ich spreche.“ Sie nutzte Lucians Zögern, um sich aus seinem Griff zu befreien. „Wie viele Primus hast du in Patria getötet? Wie viele Menschen, als deine Energie durch die Portale gelodert ist und alles zum Einsturz gebracht hat? Nur weil du deine Rache wolltest?“
Mara befreite ihre Macht. Auf einmal war das unterirdische Gewölbe erfüllt von dem reinen Geruch tiefer Nacht. Schatten. Kälte. Leere. „Was denkst du, wird passieren, wenn du mich tötest und meine Essenz in dir aufnimmst?“ Ihre Mandelaugen fixierten Lucian unerbittlich. „Wie viele werden dann sterben müssen, durch deine Hand?“
Ich konnte nicht glauben, was ich da gerade hörte. Lucian hatte Patria zerstört? Wegen ihm war das Lyceum eingestürzt?!
Oh mein Gott! Was hatte ich nur getan? Meine Seele sollte ihm helfen und ihn nicht an den Rand des Wahnsinns treiben. All die unschuldigen Menschen und Primus - er hatte seine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle. Es war einfach zu viel Macht, wie damals bei den schwarzen Aziam, nur tausendmal stärker. Und wenn er Mara umbrachte …
Nur mit größter Anstrengung wich Lucian einen Schritt zurück. Die Hexenkönigin sagte die Wahrheit und er wusste es.
„Dasselbe gilt für dich“, warnte er Mara, die daraufhin bedächtig nickte.
„Natürlich. Deshalb bist du noch am Leben. Ich lege sehr viel Wert auf meinen Verstand.“ Mit gemessenen Schritten begann sie Lucian zu umrunden. „Sieht so aus, als hätten wir ein Patt. Ich schlage dir einen Waffenstillstand vor, Sohn des Nemides. Die Welt ist groß genug für uns zwei.“
„Niemals. Ich werde einen Weg finden, um dich aufzuhalten“, presste Lucian mühsam beherrscht hervor. Erneut zuckten weiße Blitze über seine Haut. Die gerade gewonnene Kontrolle schien ihm wieder zu entgleiten.
Endlich huschte ein Hauch von Sorge über Maras ebene Züge.
„Und wenn ich dir dafür deine Rache gewähre?“ Ihr Blick glitt zu einem Mann, der sich bislang reglos im Hintergrund gehalten hatte. Seine Gestalt lag im Schatten, aber die blau glühenden Hexenringe um seine Augen hätte ich überall wiedererkannt. Tristan.
Die anderen Hexen und Hexer sahen entsetzt aus, Lucian überrascht, doch Tristan - er wirkte, als hätte er genau das längst erwartet.
„Du würdest mir deinen Sohn ausliefern?“, wollte Lucian wissen. Seine Ungläubigkeit spiegelte sich auch in den Reihen von Maras Leuten wider.
„Natürlich nicht“, meinte sie sofort. „Aber … ich stelle ihn nicht länger unter meinen Schutz. Von nun an ist er auf sich allein gestellt.“
„Wieso?“, war das Einzige, was Lucian hervorbrachte. Er wurde aus Maras Angebot nicht schlau. Fürchtete sie ihn wirklich so sehr?
Die Hexenkönigin zuckte mit den Schultern. „Wieso nicht? Mein Sohn würde alles für mich tun. Ist es nicht so?“
Jetzt trat Tristan aus den Schatten. Er schien verschlossener denn je, und dennoch löste sein Anblick bei mir ein Gefühlschaos aus, dem ich kaum Herr wurde. Das war der Mann, der mich getötet hatte. Er hatte mir ein Messer in den Rücken gerammt. Zweimal.
Trotzdem schlich sich Mitleid unter die Wut und Abscheu, die ich für ihn empfand. Er hatte gehofft, an der Seite seiner Mutter glücklich zu werden. Aber glücklich wirkte er nicht. Ihm war nicht einmal anzusehen, wie er zu Maras Entscheidung stand.
„Wenn es dein Wunsch ist“, sagte Tristan kühl.
Die Hexenkönigin breitete ihre Arme aus. „Du sieht also, Lucian. Es liegt in meiner Macht, dir zu geben …“
Weiter konnte ich den Ausführungen der Hexenkönigin nicht zuhören, denn graue Augen, umrandet von blauem Hexenfeuer trafen mich. Tristan schien mich direkt anzusehen. Für einen winzigen Augenblick hatte ich das Gefühl, Erstaunen in seinem Blick zu erkennen. Doch dann bewegte er seine Finger. Kaum merklich zeichnete er glühende Linien in die Luft und plötzlich drängte mich etwas aus dem chinesischen U-Bahnhof. Hinein in schwarze Leere.
Das Nächste, was ich sah, waren … Kacheln.
Ich wusste nicht, wie lange ich diesmal auf die Wand gestarrt hatte. Meine Gedanken überschlugen sich in rasender Geschwindigkeit. Tristan hatte mich nicht nur sehen können. Er hatte mich fortgeschickt. Mit einem Siegel.
Die Bedeutung dessen kroch nur langsam in mein Bewusstsein, weil die Vorstellung so absurd war, dass ich sie nicht wahrhaben wollte. Andererseits erfüllte sie mich mit Hoffnung. Aber durfte ich mir diese Hoffnung erlauben?
Meine menschliche Hälfte war gestorben. Meine Seele hatte ich Lucian geschenkt. Übrig blieb also nur der Teil von mir, der dämonischen Ursprungs war. Konnte das die Antwort sein? War ich aus Gründen, die ich nicht verstand, zu einem Primus geworden?
Das würde jedenfalls erklären, warum ich ständig in das Omega-Labor in Amsterdam zurückkehrte. Hier war ich geboren worden und wie bei allen körperlosen Primus zog es meine Essenz immer wieder an den Ort meiner Geburt. Wahrscheinlich war dieser gekachelte Raum mit dem rostigen Schreibtisch und den Aktenregalen früher einmal ein Kreißsaal gewesen.
Nur, weshalb hatten mich weder Lucian noch Bel oder Mara wahrnehmen können? War meine unsterbliche Seite zu schwach, meine Macht zu gering? Das ließ sich vielleicht ändern. Wenn ich wirklich ein Primus war, konnte ich doch einen Körper in Besitz nehmen und mich von Gefühlen ernähren. Aber … wie stellte man das an? Angestrengt durchforstete ich mein Gehirn nach allem, was mir Lucian während unseres Trainings in der Zuflucht beigebracht hatte.
Im selben Moment kroch wieder diese schwarze Leere auf mich zu und zog mich mit sich. Aus dem Nichts formte sich eine raue Felswand. Was auch immer es war, das mich durch die Weltgeschichte schickte, es hatte mich diesmal geradewegs in die Zuflucht befördert.
Sie sah anders aus als früher. Bewohnter. Heruntergekommener. Trister. Es brannte nur in der Küche Licht. Der Rest lag im Dunkeln. Überall flackten eine Menge Kleidungsstücke, Taschen und undefinierbares Zeug herum. Es gab inzwischen einen großen Flachbildschirm und eine Playstation. Auch die Sofas standen anders und als ich sah, wer darauf saß, machte mein Herz erst einen Freudensprung und dann brach es.
Ryan. Er sah fürchterlich aus. Unrasiert. Unfrisiert. Kraftlos. Auf dem Tisch vor ihm standen diverse Flaschen mit diversem Alkohol. Daneben trocknete der Rest einer Familienpizza vor sich hin - dem Geruch nach bestimmt schon seit ein paar Tagen.
Die Minuten verstrichen. Ryan trank. Zweimal schenkte er nach, bevor seine aktuelle Flasche leer war. Irgendwann hob er sein Glas und prostete der Zuflucht zu.
„Du hast immer gesagt, ich würde es eines Tages bereuen, keinen Rausch mehr bekommen zu können“, murmelte er.
Einen kurzen Moment lang dachte ich, er würde mit mir reden, aber dann verflog meine Hoffnung, als ich neben ihm sein Handy und darauf ein Foto entdeckte. Es zeigte ihn und Aaron, wie sie sich lachend rauften.
„Du hattest recht, Kumpel.“ Die Stimme des tätowierten Jägers brach. Er warf die leere Flasche neben sich aufs Sofa, während sich seine Augen mit Tränen füllten. Und dann begann der früher so unerschütterliche Hüne, bitterlich zu weinen.
Ich konnte nichts tun, außer ihm hilflos zuzusehen. Alles in mir schrie danach, ihn in den Arm zu nehmen. Ein Freund wie Ryan war sein Gewicht in Gold wert. Loyal. Mutig. Lustig. Er hatte mich aufgefangen, als es mir richtig mies gegangen war. Und jetzt konnte ich nicht für ihn da sein.
„Ich bin nicht gut für tiefsinnige Gespräche,
aber wenn du mich lässt, halte ich dir in jeder noch so hirnrissigen Schlacht den Rücken frei.“
Ryan hielt kurz inne, als müsste er seine eigenen Worte noch einmal überdenken. Dann zuckte er mit den Schultern. „Ich werd vorher sehr wahrscheinlich herummeckern und fluchen, aber ich halt dir den Rücken frei.“
Genau das hatte er getan. Und wohin hatte es ihn gebracht?
Als die Tränen des tätowierten Jägers verebbt waren, angelte er sich eine neue Flasche. Er entkorkte sie mit den Zähnen und spuckte den Korken achtlos Richtung Pizzakarton. „Der hier ist für dich, Morrison“, murmelte er und hob die Flasche. Die Bitterkeit und die Liebe in seinen Worten trafen mich so hart, als hätte mich jemand mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen.
Ryan lachte gequält und wieder sammelten sich Tränen in seinen Augen. „Auf das Mädchen mit der unsterblichen Seele, einem Lächeln, bei dem die Sonne aufging, und den dicksten Eiern, die die Welt je gesehen hat.“ Er kippte die halbe Flasche runter und mir drängte sich die Frage auf, wie lange Ryan schon so dasaß und sinnlos Alkohol in sich hineinschüttete - obwohl eines seiner Siegel verhinderte, dass er davon betrunken wurde.
„Ich hätte besser auf dich achtgeben müssen.“
Gerade als die nächsten Tränen durch seine dichten Wimpern quollen, klingelte sein Handy. Auf dem Display stand ‚Gid‘.
Ryan wischte sich das Gesicht trocken, zögerte aber mit dem Rangehen, als wüsste er genau, dass sein Freund ihm sehr wahrscheinlich eine Standpauke halten würde, wenn er ihn so sehen könnte. Ich verstand Ryan gut. Mir war es damals mit all den Sorgen und dem Mitleid ähnlich gegangen, bis ich es schließlich nicht mehr ausgehalten hatte und zu Bel gezogen war. Wohnte Ryan deshalb hier in der Zuflucht?
Als das Klingeln verstummte und Gideon kurz darauf erneut anrief, ging Ryan doch ran. Er stellte auf Lautsprecher und warf sein Handy neben sich aufs Sofa.
„Hey.“
„Hey, Kumpel“, ertönte die Stimme von Lizzys Bruder. „Alles klar bei dir?“
„Sicher.“ Ryan bemühte sich, nicht verheult zu klingen, was ihm nicht gelang und sichtlich unangenehm war. „Wie lief die Zeremonie?“, versuchte er abzulenken.
Gideon seufzte, bedrängte seinen Freund aber nicht weiter.
„Lizzy hat Graham in seine Schranken verwiesen. Das wird ihn nicht aufhalten, es ihm aber schwerer machen.“
„Braves Mädchen.“ Ein Lächeln schlich sich auf Ryans Züge, bevor seine Laune wieder sank. „Kommt sie klar?“
„Nein, aber das ist ein anderes Thema. Schalt mal die Nachrichten ein.“
Sein Tonfall klang so düster, dass Ryan sofort alarmiert war. Er griff sich die Fernbedienung, die neben dem Handy lag, und zappte zu den nächstbesten Nachrichten.
„… weite Teile der Stadt waren bereits evakuiert gewesen, sodass sich die Zahl der Opfer in Grenzen hält. Dennoch hat der Bürgermeister von Shanghai allen Betroffenen seine Unterstützung zugesichert.“ Hinter der blonden Nachrichtensprecherin wurden Bilder von Trümmern und Rettungsarbeiten eingeblendet. „Man geht davon aus, dass der Einsturz der Metro-Station eine weitere Folge der Erdbeben war, die am Donnerstag sechsundvierzig Nationen aller Kontinente erschütterten. Die Nachwirkungen dieser weltweiten Katastrophe sind noch immer nicht ausgestanden und obwohl die erwarteten Tsunamis aus bislang ungeklärten Gründen ausgeblieben sind, ist die Zahl der Länder, die den Ausnahmezustand verhängt haben, auf fünfundzwanzig gestiegen. Im Moment ist unklar, ob weitere Beben auf die bereits schwer gezeichneten Gebiete zukommen könnten, trotzdem appelliert die UN an die Vernunft der Weltbevölkerung. Die Ausschreitungen und Plünderungen nehmen -“
Ryan stellte den Ton ab und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. „Wir müssen ihn aufhalten, oder?“
„Als ob wir das könnten“, erwiderte Gideon trocken. „Aber ja, der Großmeister hat bereits einen entsprechenden Befehl erteilt.“
Der tätowierte Jäger fluchte. „Er sollte sich lieber um diese Hexen-Brachion-Bitch kümmern, die auf ihrem Rachefeldzug die halbe Dämonenwelt plattmacht. Dann hätten wir auch das Problem mit Lucian gelöst.“
Ich hörte zwar, was die beiden sprachen, doch ich konnte mich nicht von den Bildern losreißen, die der Fernseher zeigte. Da draußen herrschte Weltuntergangsstimmung.
„Ich sehe es wie du, aber ich kann es nicht ändern. Ich wollte dich nur auf dem Laufenden halten“, meinte Gideon müde. „Wenn du willst, leg ich ein gutes Wort für dich ein.“
Überfüllte Krankenhäuser, Militär in den Städten, provisorische Lager, überforderte Politiker, Verletzte, Feuer, Rauch, Ruinen, Gewalt, Panik. Die Welt brannte.
„Lass stecken, Gid. Ich hab keinen Bock mehr, für Vollidioten zu arbeiten.“
Großer Gott. Lucian hatte die Apokalypse ausgelöst.
Nein, ICH war das gewesen - als ich ihm meine Seele geschenkt hatte! Und jetzt geschah genau das, was die schlimmste Befürchtung aller gewesen war – weswegen mich Jiron damals um jeden Preis hatte umbringen wollen: Krieg. Tod. Tyrannei. Kein Primus sollte über eine unauslöschliche Seele verfügen. Das war zu viel Macht. Mehr Macht, als irgendjemand kontrollieren konnte.
Was hatte ich Lucian nur angetan? Er würde an seinen Schuldgefühlen zugrunde gehen.
Die Bilder von brennenden Trümmern, die der Fernseher zeigte, verblassten. Alles wurde schwarz. Erneut hatte mich die Leere wieder im Griff. Und plötzlich stapelten sich echte Trümmer vor mir. Haushoch. Nein, hochhaushoch. Das war schon seltsam genug, weil die Art, wie die Trümmer gestapelt waren, physikalisch nicht möglich sein sollte. Es gab auch keine Sirenen, keine Schreie, nicht einmal das Heulen des Windes und das, obwohl ein Sturm tobte, der beinahe schon Hurrikan-Qualitäten hatte. Er fegte über Ziegel, Glas, Holzbalken, Betonklötze, uralte Granitblöcke, Überreste von gotischen Gewölben, zersplitterte Buntglasfenster, griechische Säulen, Stahlskelette von Wolkenkratzern … Architektur aus tausenden Jahren. Das konnte nur eines bedeuten: Unbewusst hatte ich mich selbst nach Patria befördert – beziehungsweise in das, was von Patria übrig war.
Der Anblick schockierte mich so, dass ich erst nach ein paar Augenblicken bemerkte, wie mich etwas nach oben zog. Auf dem löchrigen Ziegeldach eines Bungalows ragte eine einsame Gestalt in den grauen Himmel. Sie war das Zentrum des Sturms. Der Wind riss an Lucians dunklen Locken. Grüne Augen starrten ins Nichts, aber darin fand ein Kampf statt – zwischen unendlicher Trauer und alles verzehrendem Zorn. Seine Gesichtszüge waren nur noch eine harte Maske, unter der tiefe Schatten sein Inneres zu verschlingen drohten.
Lucians Anblick traf mich so hart, dass mir schlecht wurde. Ich wusste genau, wie er sich fühlte. Auch ich hatte diesen Schmerz erlebt und gerade jetzt erlebte ich ihn erneut. Er war wie eine offene Wunde, die nicht aufhören wollte zu bluten. Ich hätte nie gedacht, dass es etwas Schrecklicheres geben könnte, als die Liebe meines Lebens verloren zu haben. Ich hatte mich getäuscht. Die Liebe meines Lebens so leiden zu sehen, ohne etwas tun zu können, war schrecklicher.
„Ich habe schon so viele Arten von Schmerzen erlebt und zugefügt, aber nie zuvor und niemals danach habe ich jemanden gesehen, der schlimmere Qualen gelitten hat als er“, sagte Lucian leise. „Eine zerstörte Primus-Bindung bricht nicht nur das Herz, sondern auch den Verstand und den Willen.“ Zwischen seinen Brauen bildete sich eine finstere Falte. „Vielleicht bin ich in diesem einen Punkt sogar ein bisschen froh, mein Gedächtnis verloren zu haben. Ich glaube nicht, dass ich meinen Zorn noch kontrollieren könnte, wenn ich …“
Lucians frühere Worte auf Malta klangen wie eine düstere Prophezeiung. Er konnte sich inzwischen erinnern. An alles. Doch ich war nicht mehr da …
Seine Maske bröckelte. Er schloss die Augen und senkte den Kopf. Es schien ihm immer schwerer zu fallen, seine Lungen mit Luft zu füllten. Weiße Blitze krochen ihm über die Haut. All meine Instinkte schlugen Alarm, warnten mich vor der Gefahr, die von ihm ausging, aber ich konnte meinen Blick nicht abwenden. Ich wollte es nicht – und gleichzeitig wurde meine Hilflosigkeit zu einer so unerträglichen Qual, dass ich innerlich aufschrie. Ich schrie um mein Leben. Ich schrie seinen Namen, so oft, bis auch aus Lucian ein Schrei herausbrach. Wütend. Hoffnungslos. Gebrochen. Wie das Brüllen eines tödlich verletzten Löwen. Tränen der Verzweiflung verdampften unter der Hitze seiner Macht und dann erfasste mich seine Energie und schleuderte mich ins Nichts. In die schwarze Leere, die höhnisch das versprach, was ich nicht bekommen konnte: Frieden.
Von einer Sekunde auf die andere war ich wieder allein. Ich und die weiße Kachelwand.
Ich schrie vor Schmerz, bis er sich in Frust verwandelte. Ein einziges Wort erfüllte meine Gedanken: Warum?
Warum konnte mich Lucian bei all der Macht, die er besaß, nicht wahrnehmen? Warum war ich in diesem Albtraum gefangen?
Ein Geräusch ließ mich aufschrecken. Es war das Drehen eines Bürostuhls. Ich war gar nicht allein. Der Bewegungsmelder schaltete das Licht ein und offenbarte einen Mann, der im Dunkeln gesessen hatte.
„Dachte ich es mir doch.“ Gemächlich erhob sich Tristan und kam auf mich zu. Auf seinen Zügen lag kühle Faszination, als wäre ich eine wissenschaftliche Sensation. Er streckte seine Hand aus, woraufhin ich in Panik verfiel. Alles in mir sträubte sich bei der Vorstellung, dass er mich berühren könnte. Keine Ahnung, ob das überhaupt möglich war, aber ich wollte es nicht herausfinden. Ich wollte nur weg von ihm.
„Nicht, Ari“, hörte ich Tristan noch rufen, bevor seine Stimme von endloser Stille verdrängt wurde.
Zum ersten Mal war ich freiwillig in die schwarze Leere zurückgegangen. Keine Ahnung, wohin sie mich diesmal bringen würde, aber alles war besser, als Tristan ins Gesicht sehen zu müssen.
Laute Musik zog mich aus der Dunkelheit. Eine kubanische Band spielte sommerliche Rhythmen. Über ihr schmückten unzählige Lichterketten den Nachthimmel und tränkten alles in ein trübes goldenes Licht. Ich kannte diesen Ort. Es war das Atrium von Bels Anwesen auf Malta. Nur hatte ich hier noch nie so viele Leute gesehen. Hunderte von Feierwütigen tanzten, lachten und konsumierten alles, was in irgendeiner Form die Sinne benebelte. Das hier grenzte fast schon an eine Orgie und trug eindeutig Bels Handschrift.
Während ich so über der Meute schwebte, machte sich Enttäuschung in mir breit. Ich hatte ja nicht erwartet, dass Bel um mich trauerte, aber musste er gleich eine Party schmeißen?!
Mitten unter den Feiernden entdeckte ich plötzlich einen kleinen, ganz in Weiß gekleideten Mann mit elegantem Seitenscheitel. Victorius trug einen Anzug, der selbst John Travolta in Saturday Night Fever in den Schatten stellte. Damit fiel er im Partyvolk nicht weiter auf. Bei seinem Gesicht war das allerdings etwas anderes. Er war der Einzige, der nicht rasensprengermäßig gute Stimmung versprühte. Im Gegenteil, er zog eine Miene, als würde er gerade zu seiner eigenen Hinrichtung gehen müssen.
Ich folgte ihm nach drinnen und über die Treppen hinauf. Im ganzen Haus gab es keinen Quadratmeter, der nicht von den Feiernden erobert worden war. Nur die Kleidung änderte sich und wurde spärlicher, je näher wir dem Pool auf dem Dach kamen. Die Reflexionen des Wassers schimmerten auf den halbnackten Körpern und verliehen der tanzenden Meute eine tranceartige Aura. Victorius steuerte direkt auf die Bar zu. Dort saß der Hausherr umringt von seinen Fans und Anhängern. Er flirtete mit der Bardame, klopfte einem Beachboy mit Sixpack auf die Schulter und gab ein paar Bikini-Mädchen eine Runde Shots und ein charmantes Lächeln aus. Bel wie er leibt und lebt. Zumindest bei ihm hatte sich nichts geändert.
Als Victorius an der Bar ankam, verschränkte er seine Arme und sah Bel vorwurfsvoll an. „Ganz gleich, wie attraktiv du auch sein magst, mein possierlicher Antichrist, du solltest dir merken, dass ich nicht in deinen Diensten stehe.“
Mit einer lässigen Handbewegung schickte Bel seinen Fanclub fort und klopfte einladend auf den Barhocker neben sich. „Genau deshalb bist du hier.“
Victorius musterte den blonden Primus skeptisch, nahm das Angebot aber dennoch an. Er brauchte zwei Anläufe, um sich auf den Barhocker zu hieven. Nachdem er es geschafft hatte, bestellte er sich einen Cuba Libre und durchbohrte Bel anschließend wieder mit einem Blick aus seinen runden blauen Kuhäuglein. „Lucian hört nicht auf mich. Glaub mir, ich habe es probiert.“
„Er soll nicht auf dich hören“, seufzte Bel und zog aus der Brusttasche seines offenen Hawaii-Hemdes einen Brief hervor. „Ich brauche nur jemanden, der ihm das hier übergibt.“
Auf dem Umschlag stand Lucians Name. Und es war meine Handschrift! Sofort packte mich ein ganz mulmiges Gefühl. Ich wusste, was für ein Brief das war. Ich hatte ihn geschrieben, bevor ich Thanatos auf den Stillen Wassern zum Duell gefordert hatte. Damals war Lucian an einen Schwur gebunden gewesen, und ich hatte ihn nicht in meine Pläne einweihen können. Es war ein Abschiedsbrief für den Fall, dass ich nicht überleben und Lucian meine Seele würde schenken müssen. Tja, welch Ironie des Schicksals, dass Bel den Brief behalten hatte.
„Ist es das, was ich denke, dass es ist?“, erkundigte sich Victorius unbehaglich. Er war damals dabei gewesen, als ich Bel zum Postboten bestimmt hatte.
Der blonde Primus nickte, woraufhin Victorius den Umschlag vorsichtig, fast schon ehrfürchtig, entgegennahm. „Und du hältst es für eine gute Idee, ihn Lucian gerade jetzt zu geben? Gefühle zu wecken, kann im Moment ziemlich … tödlich sein.“
Auf Bels Gesicht erschien ein schiefes Grinsen. „Deshalb brauche ich dich ja.“
Victorius schnaufte pikiert, aber er schob den Brief klaglos ein. Wahrscheinlich wusste er, dass seine Überlebenschancen tatsächlich besser standen als Bels. Schließlich war er ein Mensch und Lucian würde sich in seiner Gegenwart vermutlich zur doppelten Vorsicht verpflichtet fühlen.
Ein hübsches Mädchen, dessen Brüste beinahe aus ihrem glitzernden Bikini quollen, drängte sich zwischen Bel und seinen Gast. „Kommst du mit in den Pool? Ich hab eine Geburtstagsüberraschung für dich“, lallte sie und zog an Bels Hand.
Der blonde Primus zwinkerte ihr zwar zu, rührte sich aber dennoch nicht vom Fleck. „Gib mir ein paar Minuten.“
Mit einem penetranten Kichern, das die Attraktivität des Mädchens auf ein überschaubares Maß dämpfte, hüpfte sie davon, stieß gegen ein paar tanzende Jungs, verlor das Gleichgewicht und fiel in den Pool.
Victorius sah seinen Gastgeber mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Spar dir deine Missbilligung“, brummte Bel und griff nach seinem Drink. „Ich bin nicht in Stimmung.“
„Mir ist glasklar, warum du diese Show abziehst, mein durchschaubares Mephistofelchen. Allerdings könntest du ein wenig an deinem Frauengeschmack feilen.“
„Du hältst mich also für durchschaubar?“, meinte Bel gefährlich leise. „Dann weih mich doch bitte ein.“
Das ließ sich Victorius natürlich nicht zweimal sagen. Mit abgespreiztem kleinen Finger rührte er seinen Cocktail um und setzte seine Dozentenmiene auf. „Mara rekrutiert. Jeden Tag wirbt sie mehr Hexen und Primus ab und du bietest deinen Anhängern etwas, für das es sich bei dir zu bleiben lohnt.“
So schlicht und so logisch. Wie so oft, wenn er in den Master-Mind-Modus schaltete, rang mir Victorius meine Bewunderung ab. Bel dagegen wirkte nicht beeindruckt, allerdings glaubte ich jetzt tatsächlich zu erkennen, wie wenig Spaß ihm diese Party bereitete.
„Meine Anhänger sind mir treu ergeben – mit oder ohne Partys“, widersprach er trocken. „Ich demonstriere Stärke.“
Natürlich! Patria war zerstört und alle Primus vermutlich in heller Aufregung. Eine Party war da ein deutliches Statement. Bel zeigte der Welt, wie wenig Angst ihm die Hexenkönigin machte.
„Du hast also nicht vor, Mara aufzuhalten?“, wollte Victorius wissen.
„Es gibt nur einen, der Mara aufhalten kann“, konterte Bel mit einem Schulterzucken. „Und den sollten wir schleunigst wieder auf Spur bringen.“
„Besser heute als morgen.“ Victorius‘ halb in den Cuba Libre genuschelter Kommentar ließ Bel innehalten. Er durchbohrte Lucians Gezeichneten mit seinem türkisen Blick.
„Was weißt du, das ich nicht weiß?“
Victorius rollte mit den Augen, seufzte, schlürfte an seinem Drink, stellte ihn auf dem Tresen ab, rollte erneut mit den Augen, faltete seine Hände im Schoß und sah Bel resigniert an.
„Er hat Timeon sein Herz ausgehändigt und von ihm den Schwur gefordert, es zu verbrennen, wenn Lucian die Kontrolle endgültig verliert.“
Was?! Wie konnte er das tun?!
Bel schien genauso schockiert zu sein wie ich, doch dann schnalzte er mit der Zunge und murmelte: „Na, wenigstens etwas.“
WIE BITTE?!
„Wie bitte?!“, echote Victorius.
Bels Gesicht verfinsterte sich weiter. „Hey, ich vermisse Ari auch, aber wir können keinen allmächtigen Amokläufer gebrauchen. Letzte Woche war es Shanghai, vorgestern Caracas, heute Manila. Lucian bewegt sich langsam auf eine Grenze zu, von der es kein Zurück mehr geben wird. Da können wir alle froh sein, dass er noch klar genug denkt, um für den Fall der Fälle vorzusorgen.“
Caracas? Manila? Wie viel Zeit verging, wenn es mich durch die schwarze Leere zog?!
Abgesehen davon waren Bels Argumente unbestreitbar, und trotzdem … so weit durfte es nicht kommen. Ich musste etwas tun! Mich irgendwie bemerkbar machen.
„Ich verstehe nicht, warum er nicht wahrhaben will, dass Mara ihn mit dieser hübsch arrangierten Jagd auf Tristan nur ablenkt?“, schnaubte Victorius frustriert.
Es war mir egal. Ich brauchte das Mädchen mit dem Glitzer-Bikini. Sofort! Sie war – soweit ich das beurteilen konnte – einer der wenigen Menschen hier. Und sie schien betrunken genug, um sich nicht gegen mich wehren zu können.
„Vielleicht hilft ja Aris Brief. Das ist mein letzter Trumpf“, sagte Bel düster.
Da! Sie ließ sich gerade von einem Typen aus dem Pool helfen, der den nötigen Körperkontakt schamlos ausnutzte.
Dann mal los. Ich steuerte direkt auf sie zu und in sie hinein.
Interessanterweise war es leichter als gedacht, eine Hülle in Besitz zu nehmen. Gut, das Bewusstsein des Mädchens war so durchlässig wie ein Nudelsieb, aber trotzdem tat ich offenbar instinktiv das Richtige. Während ich zum ersten Mal seit viel zu langer Zeit das Gefühl genoss, über Muskeln verfügen zu können, spürte ich, wie eine neue Energie mich durchströmte. Es fühlte sich ein bisschen so an, als hätte mir jemand eine Adrenalinspritze ins Herz gerammt. Das musste die Seele des Bikini-Mädchens sein. Ich wusste, dass ich sie gerade aufzehrte und nicht lange in ihrem Körper bleiben durfte, wenn ich sie nicht töten wollte. Aber, bei Gott, dieses Erlebnis war wie ein Drogenrausch. Und dann kam etwas Neues hinzu. Wie eine andere Farbe, die sich unter meine Euphorie mischte. Ein anderer Geschmack – frisch, leicht süßlich mit einem Hauch Säure. Und es hinterließ ein angenehm warmes Prickeln, als hätte ich gerade Alkohol getrunken. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Es war die Erregung des Typen, der immer noch schamlos seine Hände über meinen neuen Körper wandern ließ.
„Finger weg, oder ich brech sie dir!“, murmelte ich etwas heiser, weil ich das Benutzen von Stimmbändern nicht mehr gewohnt war. Jetzt schmeckte ich ein ziemlich herbes Erstaunen, gefolgt von säuerlichem Misstrauen und einer Spur von klebrig süßer Angst. Kurz darauf war alles schlagartig weg. Der Typ hatte seine Mauern hochgezogen. Er ging auf Abstand und ließ seine grünen Hexenringe aufflammen.
„Geh aus meiner Freundin raus, Dämon!“
Ich verdrehte die Augen und verzichtete darauf, ihm zu erklären, dass ein betrunkenes Mädchen zu befummeln noch lange keine ‚Freundin‘ aus ihr machte. Für so etwas hatte ich weder Zeit noch Nerven. Ich schob den Typen wortlos beiseite. Allerdings hatte ich meine Kraft unterschätzt, sodass der Hexer mit einem lauten Platschen im Pool landete. Die Umstehenden grölten und ich bekam einen ganzen Schwall an Bewunderung, Respekt und Anerkennung ab. Dummerweise hatte ich den fummelnden Hexer mit der zerstörten Frisur nun richtig wütend gemacht. Ich sah, wie seine Macht alles hinter mir in grünes Licht hüllte. Würde er mitten in diesen Leuten einen Hexenblitz werfen?! Eine Antwort auf diese Frage bekam ich nicht, denn eine Stimme erhob sich über die Musik.
„Nicht in meinem Haus! Was auch immer ihr für ein Problem habt, klärt es draußen.“
Erleichterung durchströmte mich, als ich Bel vor mir aufragen sah. Ich öffnete den Mund, um ihm endlich zu sagen, dass ich noch lebte, aber ich kam keine zwei Silben weit. Etwas griff nach mir und riss mich förmlich aus dem Körper des Bikini-Mädchens heraus. Ich konnte gerade noch sehen, wie Bel seine Augenbrauen verwundert zusammenschob, dann verschwamm meine Sicht.
Nein, nein, nein! Ich durfte nicht wieder zurück zu der Kachelwand. Was, wenn dort Tristan noch immer auf mich wartete?
Die Kraft, die ich durch die Seele des Mädchens und die Emotionen der Anwesenden gewonnen hatte, schwand schneller, je mehr ich mich wehrte. Aber diesmal war etwas anders. Diesmal fühlte es sich nicht nach einem leeren Raum an, durch den ich trieb. Es fühlte sich eher so an, als würde mich jemand gegen den Willen der Natur in die entgegengesetzte Richtung zerren.
Plötzlich füllten sich Lungen mit Luft.
Einatmen …
Ein holziger Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Meine Zähne bissen auf etwas Rundes. Ich konnte meine Finger bewegen, aber nicht meine Arme.
Ausatmen …
Kälte. Feuchtigkeit. Meerwasser. Das waren Informationen, die mein Gehirn erreichten, ohne dass sie mir etwas bedeuteten. Über meinen Augen lag irgendetwas. Ich wollte meinen Kopf bewegen, um es loszuwerden, doch jemand hielt mich fest. Ein Primus.
Einatmen …
Ich spürte weitere Hände. Sie gehörten zu Hexen, das wusste ich mit unumstößlicher Sicherheit - als könnte ich ihre dämonische Energie durch meine Haut hindurch spüren. Sie zeichneten Linien auf meinen Körper.
Ausatmen …
Die Luft vibrierte vor Macht. Ich hörte die Hexen murmeln. Ihr Sprechgesang wurde lauter und lauter.
Einatmen …
Ein metallisches Sirren zerriss die Spannung und dann explodierte ein eisiger Schmerz in meiner Brust. Meine Zähne gruben sich tiefer in das Holz in meinem Mund. Ein Schrei drängte sich an ihnen vorbei. Er fühlte sich so vertraut an wie die Schmerzen, die ihn auslösten. Kaltes Eisen schnitt durch mein Fleisch. Zentimeter um Zentimeter arbeitete es sich vor. Präzise. Gnadenlos. Hände drückten mich mit aller Gewalt nach unten. Meine Essenz verband sich mit Muskeln, Knochen und Blut. Jede einzelne Zelle gehörte mir und schließlich …
… begann mein Herz zu schlagen.
Dann bohrten sich kalte Finger in meine Brust und rissen es mir heraus.
Mein Verstand brachte mich so weit von den Schmerzen fort, wie es nur möglich war. Ich träumte. So viel war mir sofort klar.
Für ein paar kurze Augenblicke sah ich Tristan. Ich sah ihn sterben. Immer und immer wieder. Und jedes Mal war es Lucian, der ihn erstach, erwürgte, ertränkte …
Und dann verschwanden diese schrecklichen Bilder plötzlich und alles versank in drückender Stille.
Ich kannte den Ort, an den mich die Stille brachte.
Es war Lucians Zuhause. Sein Loft in Irland.