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JOHN DOUGLAS
UND MARK OLSHAKER

MINDHUNTER

JOHN DOUGLAS
UND MARK OLSHAKER

DER #1-NEW YORK TIMES-BESTSELLER

MINDHUNTER

Die spektakulärsten Fälle
der FBI-Spezialeinheit
für Serienverbrechen

Aus dem Amerikanischen von Jörn Ingwersen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

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2. Auflage 2021

© 2020 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

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Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1995 unter dem Titel Mindhunter: Inside the FBI Elite Serial Crime Unit. German Translation copyright © 2017 by Gallery Books, an Imprint of Simon & Schuster, Inc., New York, USA.

Copyright © 1995 by Mindhunters, Inc.

Introduction copyright © 2017 by Mindhunters, Inc.

Copyright der deutschen Erstausgabe:

Copyright © 1996 by SPIEGEL-Buchverlag, Hamburg und Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Egbert Baqué (S. 9–25), Jörn Ingwersen (S. 5–7, 27–448)

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

Satz: Röser MEDIA GmbH & Co. KG

Druck: CPI books GmbH, Leck

ISBN Print 978-3-7423-1299-0

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0993-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0994-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Den Männern und Frauen der FBI-Spezialeinheit für Serienverbrechen in Quantico, Virginia, damals, heute und in Zukunft – Forscherkollegen, Gefährten meiner Reise

Schnöde Taten, Birgt sie die Erd’ auch, Müssen sich verraten.

WILLIAM SHAKESPEARE, Hamlet

INHALT

DANKSAGUNG

ZWANZIG JAHRE SPÄTER

PROLOG: ICH WAR IN DER HÖLLE

KAPITEL EINS: IM KOPF EINES MÖRDERS

KAPITEL ZWEI: MEINE MUTTER WAR EINE HOLMES

KAPITEL DREI: DIE REGENTROPFENWETTE

KAPITEL VIER: ZWISCHEN ZWEI WELTEN

KAPITEL FÜNF: VERHALTENSFORSCHUNG ODER BLÖDSINN?

KAPITEL SECHS: MIT DER SHOW AUF REISEN

KAPITEL SIEBEN: DAS HERZ DER FINSTERNIS

BILDTEIL

KAPITEL ACHT: DER MÖRDER DÜRFTE EINE SPRACHSTÖRUNG HABEN

KAPITEL NEUN: IN DER HAUT DES TÄTERS

KAPITEL ZEHN: JEDER HAT SEINEN STEIN

KAPITEL ELF: ATLANTA

KAPITEL ZWÖLF: EINER VON UNS

KAPITEL DREIZEHN: DAS GEFÄHRLICHSTE SPIEL

KAPITEL VIERZEHN: WER HAT DAS ALL-AMERICAN GIRL ERMORDET?

KAPITEL FÜNFZEHN: WIR VERLETZEN, WEN WIR LIEBEN

KAPITEL SECHZEHN: »GOTT WILL, DASS DU ZU SHARI FAYE KOMMST«

KAPITEL SIEBZEHN: JEDER KANN ZUM OPFER WERDEN

KAPITEL ACHTZEHN: DIE SCHLACHT DER SEELENKLEMPNER

KAPITEL NEUNZEHN: MANCHMAL SIEGT DER DRACHE

DANKSAGUNG

Dieses Buch ist größtenteils in Teamarbeit entstanden, und ohne das enorme Talent und den Einsatz eines jeden Mitglieds in diesem Team wäre es nicht möglich gewesen. Entscheidend waren dabei unsere Lektorin Lisa Drew und die Koordinatorin und »ausführende Produzentin« unseres Projekts, Carolyn 01-shaker. Von Anfang an teilten sie unsere Vision und trugen Energie, Vertrauen, Liebe und gute Ratschläge dazu bei, die uns bei der Verwirklichung unserer Ideen stärkten. Dank und Bewunderung gilt gleichermaßen Ann Hennigan, unserer talentierten Rechercheurin; Marysue Rucci, Lisas begabter, unermüdlicher und grenzenlos gut gelaunter Assistentin; und unserem Agenten Jay Acton, der als Erster das Potential dessen, was wir vorhatten, erkannte und es schließlich möglich machte.

Besonderer Dank gilt Johns Vater, Jack Douglas, für seine zahlreichen Erinnerungen und dafür, dass er die Karriere seines Sohnes derart sorgfältig dokumentiert hat, dass die Organisation eine reine Freude war; und Marks Vater, Bennett Olshaker, M.D., für seinen Rat und seine Anleitung in Fragen der Gerichtsmedizin, Psychiatrie und Gesetzeskunde. Wir haben beide das große Glück, auf die Liebe und Großzügigkeit unserer Familien bauen zu können.

Schließlich möchten wir unsere Bewunderung und tiefempfundene Dankbarkeit Johns Kollegen an der FBI-Academy in Quantico gegenüber äußern. Ihre Persönlichkeit und ihr Beitrag haben die Karriere, die auf diesen Seiten beschrieben wird, erst möglich gemacht. Aus diesem Grunde ist das Buch ihnen gewidmet

John Douglas und Mark Olshaker
Juli 1995

ZWANZIG JAHRE SPÄTER

In den mehr als zwei Jahrzehnten, seit wir Mindhunter. Die spektakulärsten Fälle der FBI-Spezialeinheit für Serienverbrechen unser erstes gemeinsames Buch, geschrieben haben, hat sich vieles verändert. Doch vieles ist auch gleich geblieben.

Wir haben enge Freunde und Mitarbeiter, die auf diesen Seiten erwähnt werden, verloren: Robert Ressler, Johns ursprünglichen Partner bei der Studie zu Serienmördern und Profiler-Kollegen; Roy Hazelwood, den Experten des Büros für Sexualverbrechen und einer der hellsten Köpfe in Quantico; und Ken Baker, den Secret-Service-Veteran, der mit Johns Investigative Support Unit – ISU – zusammenarbeitete und so viel zum Verständnis der Persönlichkeit von Mördern beigetragen hatte. Auch unsere Eltern sind seither verstorben, so sind nun wir »die ältere Generation«.

Apropos – eine neue Generation von FBI-Profilern ist herangewachsen – und auch nicht mehr in Büros sechzig Fuß unter der Erde begraben (zehn Mal tiefer als Tote, wie wir immer sagten), sondern in einem staatlichen Bürogebäude auf der anderen Seite der US-Route 1, gegenüber der Marine Corps Base Quantico stationiert. Die Gruppe der Profiler ist nun unter der Bezeichnung Behavioral Analysis Unit – BAU – bekannt.

Genau wie ärztliche Tätigkeit verbleibt das Profiling irgendwo in dieser Übergangszone zwischen Wissenschaft und Kunst. Und manche Profiler sind, genau wie Ärzte, besser und erfahrener als andere. In den Jahren seit der Erstveröffentlichung von Mindhunter wimmelte es im Fernsehen und im Internet nur so vor Männern und Frauen, die sich selbst als Profiler bezeichneten, von denen die meisten jedoch keine erkennbare Legitimation oder wirkliche Erfahrung haben. Oft richten sie mehr Schaden an, als Nutzen zu bringen, und wir haben eine Reihe von Fällen erlebt, bei denen akademisch orientierte Profiler Beweise falsch bewertet und entweder die Ermittlung oder die Strategie der Verteidigung in eine völlig falsche Richtung schickten. Es ist dringend geboten, sich darauf zu besinnen, dass ein befähigter und erfahrener Profiler in Zusammenarbeit mit einer hoch professionellen örtlichen Strafverfolgungsbehörde Ergebnisse erzielen kann, die oft zu einer schnelleren Festnahme und einer erfolgreicheren Anklageerhebung führen.

Etliche Verdächtige, die an den Verbrechen beteiligt waren, über die wir berichteten, wurden gefasst, und ein wenig später werden wir die Erkenntnisse über den Unabomber, den Green-River-Killer und den BTK-Killer erörtern. Larry Gene Bell wurde für die grausamen Morde an der 17-jährigen Shari Faye Smith und der neunjährigen Debra May Helmick hingerichtet. Die Lustmörder Jerome Brudos, Joseph Christopher und Arthur Shawcross starben, wie James Earl Ray, der Mörder von Martin Luther King Jr., allesamt im Gefängnis. Die Attentäter John Hinckley Jr. und Arthur Bremer wurden aus der Haft entlassen. Der kalifornische »Trailside Killer« David Carpenter und das ultimative Schreckgespenst Charles Manson sind mittlerweile beide über 80 Jahre alt und – während wir dies schreiben – noch immer hinter Gittern. Und Joe Del Campo, Johns FBI-Partner bei der Verbrechensaufklärung zu jener Zeit, als sie in Milwaukee als street agents aktiv waren, spielte kürzlich in einer Staffel der TV-Realityshow Survivor mit. Man kann nie wissen, zu was alles ein ehemaliger FBI-Mann fähig ist.

Jeder Autor würde sich freuen, wenn ein Buch seit mehr als zwanzig Jahren gedruckt und verkauft wird, und wir sind da sicherlich keine Ausnahme. Die Reaktion der Leser war wirklich unglaublich und für uns beide und unsere Familien ein bedeutsamer Quell des Stolzes und der Zufriedenheit. Uns gefällt der Gedanke, dass der anhaltende Erfolg von Mindhunter, die in diesem Zusammenhang entstandenen Bücher, die Fernsehsendungen und Filme, deren Produzenten anerkannt haben, wie viel sie unserer Arbeit schulden, und jetzt auch noch die auf Mindhunter basierende Original-Netflix-Dramaserie etwas mit den fesselnden Geheimnissen und Geschichten um Leben und Tod, die wir erzählten, zu tun hat. Obwohl Wissenschaft, Technologie und bestimmte Untersuchungstechniken in den letzten beiden Jahrzehnten bedeutende Fortschritte gemacht haben, so bleiben die Grundlagen des menschlichen Geistes und seiner Beweggründe doch dieselben und daran wird sich wohl auch nie etwas ändern.

Oft werden wir gefragt, warum wahre Kriminalfälle, bedenkt man die häufig grausige Sachlage und ihren tragischen Ausgang, für Leser und Zuschauer so verlockend sind. Die Antwort lautet, so meinen wir, dass sich wahre Verbrechen naturgemäß um das Wesentliche und die Grundlagen dessen drehen, was wir etwas pathetisch die »condition humaine« nennen. Damit meinen wir die Instinkte und Emotionen, die wir alle fühlen: Liebe, Hass, Eifersucht, Rache, Ehrgeiz, Lust, Freude und Traurigkeit, Todesangst, Enttäuschung und Verzweiflung, sowie Empfindungen von Großartigkeit und persönlichem Anspruch …, oft verbunden mit dem gleichen Maß an einem tief sitzenden Gefühl von Unzulänglichkeit und Selbsthass. Geschichten von wahren Verbrechen repräsentieren die condition humaine ganz offenkundig: gewöhnliche Menschen, die an den furchterregenden Extremen jener Instinkte und Emotionen agieren. Auf diese Weise wird jedes Geheimnis, von dem wir erzählen, jeder Fall, von dem wir berichten, jedes Ergebnis, das wir zurückverfolgen, zu einem eigenen Moralitätenspiel, mit Helden, Schurken und Opfern komplett besetzt.

Wann immer John nach seiner Pensionierung einen Beratungsfall angenommen hat, ob im Auftrag der Staatsanwaltschaft oder der Verteidigung und ob als bezahlter oder als kostenloser Berater – sein Standardspruch lautet immer: »Sie können mich engagieren, aber derjenige, für den ich arbeite, ist das Opfer.« Das ist – stets – unsere erste Verpflichtung.

Lassen Sie uns nun einen kurzen Blick auf einige der Fälle werfen, die seit der Erstveröffentlichung von Mindhunter abgeschlossen wurden.

Der Fall, der uns nach wie vor am meisten nahe geht, zumal er John fast das Leben gekostet hätte, ist der des Green-River-Killers aus dem Bundesstaat Washington. Alles in allem gestand Gary Leon Ridgway die Morde an achtundvierzig Frauen und später gab er zu, er habe am sogenannten Sea-Tac-Strip, einem Streckenabschnitt des Pacific Highway, mindestens einundsiebzig getötet – viele von ihnen waren Ausreißerinnen, Prostituierte oder anderweitig gefährdete Opfer.

Das erste Profil des UNSUB (UNknown SUBject, der unbekannten Zielperson einer Ermittlung) war recht unkompliziert: Ein einzelgängerischer Arbeiter, vermutlich ein Fernfahrer, der problemlos Anhalterinnen mitnehmen konnte und im Führerhaus eine private Kabine hatte, in der er seine Opfer erdrosseln konnte, um sich ihrer Leichname anschließend in der Green-River-Schlucht oder an anderen Orten entlang seiner Strecke zu entledigen. Doch John und seine FBI-Kollegen warnten das Einsatzkommando der Polizei, dass das Profil nicht der Dreh- und Angelpunkt sei, sondern das Verhalten nach dem Delikt. Hier handelte es sich um einen Kerl, der sich auf irgendeine Weise in die Ermittlungen einmischen und zu den Orten seiner Verbrechen und/oder zu den Stellen, an denen er die Leichen abgelegt hatte, zurückkehren würde, um seine Fantasien mit diesen Frauen wieder aufleben zu lassen.

Weil die Untersuchungen so umfassend waren, hatte John das Gefühl, es gebe eine realistische Chance, dass die wirklich betroffene unbekannte Zielperson aufgegriffen und irgendwann befragt würde, besonders wenn sie zufällig mit unserem Profil übereinstimmte. Der Mann würde gegenüber Prostituierten und Ausreißerinnen vermutlich eine Hassliebe hegen und sich daher berechtigt fühlen, sie zu »bestrafen«. Aus diesem Grunde gab John den Rat, sich nicht auf Tests mit einem Lügendetektor, mit denen Verdächtige ausgeschlossen werden sollen, zu verlassen. Zudem sind Lügendetektoren nicht ganz so zuverlässig, weshalb ihre Ergebnisse vor Gericht auch nur selten als Beweismittel zugelassen werden. Während sie bei gewöhnlichen Menschen vielleicht ganz gut funktionieren, ist es für einen Soziopathen keine große Sache, eine Metallbox, aus der Drähte heraushängen, anzulügen.

Gary Ridgway wurde am 30. November 2001 verhaftet, als er die Kenworth-Lastwagenfabrik in Renton, Washington, verließ, wo er als Sprühlackierer arbeitete. Festgenommen unter dem Vorwurf, Prostitution zu fördern, wurde durch DNA-Tests eine Verbindung zu vier seiner Opfer nachgewiesen, was den Wert dieser neu entwickelten wissenschaftlichen Methode belegt. Der ehemalige Fernfahrer war bereits 1982 in Zusammenhang mit Prostitution festgenommen worden und gehörte 1983 zum Kreis der Verdächtigen im Green-River-Fall. Er wurde einem Lügendetektortest unterzogen, den er jedoch bestand, was ihn von weiteren polizeilichen Überprüfungen ausschloss. Eine spätere Analyse dieses Tests legt nahe, dass er wohl nicht richtig interpretiert wurde. (Was sagt man dazu?)

Die Behörden schauten ihn sich 1987 noch einmal an, was in einem seit Langem ungelösten Fall nicht ungewöhnlich ist, und diesmal nahmen sie Haar- und Speichelproben. Vierundzwanzig Jahre später waren es die darauffolgenden DNA-Analysen dieser in den Akten vermerkten Proben, die diesen Fall endlich lösten. 2003 bekannte sich Ridgway schuldig in neunundvierzig Anklagen wegen schwerwiegenden vorsätzlichen Mordes; eine zusätzliche Klage wurde als Teil seiner Verfahrensabsprache einbezogen. Im Gegenzug erhielt er – statt einer Todesstrafe – mehrere aufeinanderfolgende lebenslange Freiheitsstrafen, ohne die Möglichkeit einer Bewährung.

Im Nachhinein war der Hauptpunkt, der dem Profil eine falsche Richtung gab, die Mutmaßung, die unbekannte Zielperson sei wohl Single. Tatsächlich aber war Ridgway drei Mal verheiratet und hatte eine Reihe von Freundinnen, die allesamt von seiner unersättlichen Lust auf Sex berichteten. Während des Vietnamkrieges war er bei der Marine und hatte in dieser Zeit häufig Verkehr mit Prostituierten. Der Umstand, dass Ridgway sich bei einer dieser Begegnungen Tripper zuzog, mag sein Gefühl, Prostituierte bestrafen zu dürfen, begründet haben – eine Art auslösendes Ereignis, das bei Serienmördern dieses Typs nicht selten ist.

Mit den Jahren und je mehr zusammengefasste Recherchearbeiten vorlagen, würden Profiler heute nicht mehr so schnell zu dem Schluss kommen, dass ein ausgesprochen aktiver Serienmörder – selbst einer, der viel unterwegs ist – zwangsläufig Single sei oder nicht in einer Beziehung lebe. In Kapitel 13 (»Das gefährlichste Spiel«) werden Sie den Bäcker Robert Hansen aus Alaska kennenlernen, der es schaffte, sein Eheleben von seiner Leidenschaft, Prostituierte aufzugabeln, sie mit seinem Privatflugzeug in die Wildnis zu verfrachten, um sie dann wie Tiere zu jagen, völlig getrennt zu halten.

Dennis Rader, der selbst ernannte BTK-Killer aus Wichita, Kansas, war ebenfalls ein Jäger dieser Art, stellte seiner Beute jedoch in deren eigenen Heimen nach und war stolz auf seine künstlerische Fähigkeit, ganze Familien zu fesseln, zu foltern und zu töten (»Bind, Torture and Kill«) und detaillierte Bilder seiner Tatorte zu zeichnen. John und seine FBI-Kollegen Roy Hazelwood und Ron Walker erkannten, dass diese Bilder und die Sprache, die Rader zur Beschreibung der Verbrechen benutzte, auf einen abtrünnigen oder ehemaligen Polizisten deuteten oder, vielleicht noch wahrscheinlicher, auf einen Möchtegern-Polizisten. Serienmördern verschafft ihre Macht über ihre Opfer einen Kick und daher neigen sie dazu, Polizisten um die Macht zu beneiden, die sie ihnen zuschreiben.

Das aus ermittlungstechnischer Sicht Seltsame am BTK-Fall war, dass es eine Serie von Morden gab, die dann aber plötzlich endete. Wenn so etwas geschieht, denken wir normalerweise, dass es gut möglich ist, dass die unbekannte Zielperson entweder in eine andere Gegend gezogen ist, für ein Verbrechen inhaftiert wurde, das mit den Serienmorden nichts zu tun hat oder verstorben ist.

Im Falle des BTK-Killers jedoch wurden die Verbrechen, nach Jahren der Inaktivität, wieder aufgenommen. 1974 ermordete er fünf Menschen, 1977 dann zwei und danach blieb es ruhig, bis er 1985 und 1986 jeweils wieder ein Opfer forderte und schließlich mehr als fünf Jahre wartete, bis er 1991 sein letztes Opfer tötete. Sehr wenige dieser Mörder sehen, wenn überhaupt, das Böse ihrer Vorgehensweise und beschließen, fortan sauber zu bleiben. Es musste also eine andere Erklärung geben. War Rader in der Lage, sich selbst zu kontrollieren und über immer längere Zeiträume von den Fantasien seiner vergangenen Verbrechen zu zehren?

2004 hörte die Welt dann wieder von ihm. Er prahlte mit seinen Taten und behauptete, ein Verbrechen begangen zu haben, das ihm tatsächlich nie zugeschrieben wurde. Wir waren nicht überrascht, dass Rader nicht anders konnte, als die Medien zu kontaktieren. Für die meisten dieser Serien-Sexualstraftäter sind ihre Verbrechen die wichtigsten, befriedigendsten und »erfolgreichsten« Momente ihres Lebens. Und auch wenn die Kommunikation mit den Behörden oder den Medien eine ihrer typischen Verhaltensweisen ist – der Aspekt, der ihnen die emotionale Befriedigung verschafft – so ist es doch unwahrscheinlich, dass sie ihre Verbrechen aufgeben würden.

Ende 2004, als wolle der BTK-Killer damit seine Glaubwürdigkeit beweisen, schickte die unbekannte Zielperson der Polizei in Wichita den Führerschein eines seiner Opfer und eine Frauenpuppe mit gefesselten Händen und Füßen und einer Plastiktüte über dem Kopf – ein weiteres Beispiel seiner »Kunst«. In einem seiner immer häufiger eintreffenden Briefe an die Behörden fragte er, ob man ihn über das Material auf einer Diskette, die er einem örtlichen Fernsehsender schicken wollte, aufspüren könne. Durch ein vorher vereinbartes Verständigungssystem über eine Kleinanzeige im Wichita Eagle, räumte die Polizei ein, dass sie ihn damit nicht ausfindig machen könne.

Am 16. Februar 2005 erhielt die lokale Fox-Fernsehgesellschaft KSAS ein mutmaßlich vom BTK-Killer stammendes Paket, das eine Goldkette enthielt, das fotokopierte Cover eines Taschenbuch-Romans über einen Killer, der seine Opfer fesselte und knebelte, mehrere Karteikarten unter denen eine war, auf der Anweisungen zur weiteren Kommunikation über den Wichita Eagle notiert waren … und eine Memorex-Diskette. Der Inhalt der Diskette war enttäuschend prosaisch: nichts über die Morde, nur eine Datei mit dem Titel »Dies ist ein Test«; und die der Polizei empfahl, die Karteikarten zu konsultieren.

Im Gegensatz zu dem, was sie dem BTK-Killer übermittelt hatten, konnte die Polizei von Wichita die Metadaten der Diskette analysieren – ein Begriff, von dem wir, als wir die erste Ausgabe des Mindhunter verfassten, noch nicht einmal gehört hatten – und fand dabei heraus, dass die Diskette auf einem Computer der Christlichen Lutherischen Kirche benutzt worden war und ein »Dennis« zuletzt Abänderungen vorgenommen hatte. Über eine Internetrecherche stellte man fest, dass ein Dennis Rader als Präsident des Kirchenrats aufgeführt war. Raders Auto, ein schwarzer Jeep Cherokee, entsprach der Beschreibung eines Fahrzeugs, das den Ort verließ, an dem eines der BTK-Pakete hinterlegt wurde.

Um festzustellen, ob es zu Rader eine DNA-Verbindung gab, holte die Staatsanwaltschaft des Distrikts eine Vollmacht ein, die es ihr ermöglichte, einen PAP-Abstrich zu überprüfen, der an der Kansas State University Medical Clinic bei Raders Tochter vorgenommen wurde, als sie noch Studentin war. Das Kansas Bureau of Investigation analysierte die Probe und fand heraus, dass es eine familiäre DNA-Verbindung zu einer Probe gab, die bei einem der Opfer des BTK-Killers genommen wurde. Nach seiner Verhaftung gestand Dennis Rader schließlich und bekannte sich, wie Gary Ridgway, schuldig, um einer Todesstrafe zu entgehen.

Das ursprüngliche Profil des BTK-Killers, das von der Behavioral Science Unit des FBI auf der Basis früherer Recherchen erstellt worden war, prognostizierte, dass der Täter, der derartig sadistische Verbrechen beging, voraussichtlich Single sei, konstatierte aber auch, »Wenn die Zielperson eine Freundin hat oder verheiratet ist, würden wir annehmen, dass die Frau eine sehr passive, gefügige und/oder abhängige Stellung einnimmt.« Dies erwies sich als eine ziemlich genaue Einschätzung.

Dennis Rader war kein Polizist, doch ein städtischer Kontrollbeamter für Park City, Kansas – jemand, der dafür sorgt, dass Ihr Gras nicht zu hoch wächst, Ihr Hund an der Leine geführt wird und Ihr Bürgersteig nach einem Schneefall freigeschaufelt ist. Er war, was Abmahnungen betraf, extrem streng, und eine Familie ging sogar so weit, sich zu beschweren, er habe ihren Hund ohne jeden Grund eingeschläfert. Zuvor war er bei der Luftwaffe, erwarb an der Wichita State University einen Bachelor-Abschluss in Rechtspflege und arbeitete bei einer Firma für Haussicherheit. Erkennen wir hier langsam ein Muster?

Nicht nur das, denn mehrere im Gefängnis geführte Befragungen ergaben, dass Rader als Kind kleine Tiere gequält hatte und später seinen weiblichen Opfern die Unterwäsche stahl.

Nachdem der Prozess abgeschlossen und die Verurteilung ausgesprochen war, hatte John die Gelegenheit, Rader in der Justizvollzugsanstalt El Dorado, Kansas, zu befragen. Die Frage, die John nicht losließ, war, warum Rader seine brutalen Morde immer wieder eingestellt und dann wieder aufgenommen hatte.

Wie Rader erzählte, gab es einen einfachen Grund und war, für sich genommen, recht »menschlich«. Eines Nachmittags war seine Frau Paula unerwartet nach Hause zurückgekehrt und traf ihn in Frauenkleidung und in der Unterwäsche seiner Opfer an – wobei Paula natürlich nicht wissen konnte, woher der Büstenhalter und das Höschen stammten. Sie war schockiert und angewidert. Er versuchte, sich auf seinen »harmlosen« Fetisch herauszureden und erklärte, er habe mit seiner eigenen Psyche gerungen, um zu versuchen, das zu überwinden. Sie drohte, ihn zu verlassen, sollte so etwas jemals wieder vorkommen.

Ob dies genügte, ihn wieder rückfällig werden zu lassen, ist schwer zu sagen, doch Rader wurde sicher klar, dass es – sollte er Paula jemals einen Grund geben, die Polizei oder sonst jemanden zu rufen – wohl nicht mehr lange dauern dürfte, bis man ihn und seine Andenken mit den Morden des BTK-Killers in Verbindung bringen würde.

Eine Zeit lang war es ihm möglich, sich mit seinen Erinnerungen, Zeichnungen und Andenken zufriedenzugeben, doch letztendlich wurde der Drang zu stark und Rader begann wieder damit, in Häuser einzubrechen und seine Fessel- und Foltermotive zu inszenieren. Und wieder wurde er von seiner Frau dabei erwischt, wie er die Kleidung seiner Opfer trug. Zu seinem Glück hatte Paula immer noch nicht zwei und zwei zusammengezählt. Während Paula unserem Profil einer passiven und abhängigen Bezugsperson entsprach, brachte sie doch genug Mut auf, die Scheidung einzureichen, nachdem die Wahrheit über ihren Mann bekannt wurde.

John wusste auch um Dennis Raders Beharren auf einer Bezeichnung für die Öffentlichkeit und dass er es als BTK-Killer anderen Serienmördern, die er zudem bewunderte, gleichtat. Es stellte sich heraus, dass Rader Harvey Glatman vergötterte, den »Lonely Hearts Killer« der 1950er-Jahre in Los Angeles, der Frauen mit fingierten Jobangeboten als Fotomodel für Pulp-Fiction-Zeitschriften in seine Wohnung oder an andere Orte lockte, sie dann fesselte, sexuell nötigte, erwürgte und ihre Leichname anschließend in der Wüste ablud. 1958 wurde er, nachdem es einer Frau, die er entführen wollte, gelungen war, zu entkommen und zur Polizei zu laufen, endlich verhaftet. Er wurde vor Gericht gestellt, verurteilt und am 18. September 1959 in der Gaskammer des Staatsgefängnisses San Quentin hingerichtet.

Dennis Rader zitierte Harvey Glatman mit den Worten: »Es ging nur um das Seil.« Was genau hat das zu bedeuten? Das Seil symbolisierte die totale Kontrolle. Die ultimative Fantasie wäre, diese Opfer am Leben zu erhalten und sie auf unbestimmte Zeit zu dominieren, obgleich beide Männer wussten, das dies nicht möglich war.

Der Unterschied der Dauer von Glatmans und Raders Mordkarrieren war, ebenso wie irgendwelchen anderen Gründen, auch glücklichen Umständen zu verdanken. Weder Rader noch, zum Beispiel, Gary Ridgway, erwiesen sich als besonders hell im Kopf. Sie waren einfach nur von ihren Verbrechen besessen und hatten das Glück, dass sich die Zusammenhänge nicht früher zu einem Bild fügten. Ironischerweise jedoch ähnelte Raders Verderben dem eines anderen Serienmörders, dessen Identität zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von Mindhunter noch unbekannt blieb. Er war vermutlich viel schlauer als die anderen drei Mörder zusammen.

In Kapitel 17 (»Jeder kann zum Opfer werden«) berichteten wir über den damals nicht identifizierten Unabomber, der an Wissenschaftler und Menschen, die im Technologiesektor tätig waren, eine Reihe raffinierter Briefbomben geschickt hatte. Drei seiner Opfer starben und dreiundzwanzig weitere wurden verletzt. Er schaffte es sogar, eine seiner Höllenmaschinen im Frachtraum eines aus Chicago stammenden Passagierjets der American Airlines unterzubringen, doch das Paket fing an zu qualmen, bevor es explodierte, sodass der alarmierte Pilot noch rechtzeitig eine Notlandung ausführen konnte.

Im Gegensatz zu Dennis Rader gab sich der Unabomber seine öffentliche Identität nicht selbst. Die Bezeichnung hatte das FBI diesem wichtigen Fall als Codenamen gegeben: UNABOM stand für UNiversity and Airline BOMber. Bei der Erstellung des Profils dieser besonderen unbekannten Zielperson gab es zwischen dem FBI und der immer größer werdenden Sondereinheit Meinungsverschiedenheiten, ob es sich hier eher um jemanden handelt, der etwas mit der Fluggesellschaft zu tun hat – vielleicht um einen Mechaniker, der die technischen Fähigkeiten hatte, die zum Bau der Bomben erforderlich waren – oder ob der Täter dem Profil entsprach, das John erstellt hatte und in dem er theoretisierte, dass er wohl eher mit einer Universität in Verbindung stehe, da seine Strategie und seine Fähigkeiten zum Bombenbau auf eine ausgesprochen intelligente Person schließen ließen. Die unbekannte Zielperson arbeitete auch mit falschen Hinweisen und Fremdkörpern wie Holzstücken und Baumrinde.

Als der Unabomber damit begann, Briefe an die New York Times zu schicken, in denen er über die Taktiken des Big Business und die Plünderung der Umwelt durch Vorfälle wie die von der Exxon Valdez verursachte Ölpest klagte, fühlte John sich aufgrund des Tons und des Stils des Schreibens in seiner Vermutung einer akademischen Qualifikation des Täters um so mehr bestätigt. Die speziellen Klagen und der Einsatz von Holz bei den Bomben führten zu dem Schluss, dass es sich hier um einen Neo-Ludditen, einen selbsternannten Anti-Technologie-Verfechter handeln müsse.

Nach Jahren unregelmäßiger Bombenanschläge schickte der Unabomber der New York Times schließlich ein Ultimatum. Er würde seine Aktivitäten einstellen, wenn die New York Times und die Washington Post sein »Manifest« zur Technologie veröffentlichen würden. Anderenfalls würde er weitermachen.

Über diese Forderung wurde viel diskutiert und nachgedacht – unter den Journalisten und in Kreisen der Strafverfolgungsbehörden wie auch auf gemeinsamen Konferenzen beider Gruppen. Die Unternehmensführungen der Times und der Post machten sich Sorgen, damit einen Präzedenzfall zu schaffen. Sollten sich Zeitungen nun von irgendeinem gefährlichen Irren, der seine Ansichten veröffentlicht sehen wollte, als Geisel halten lassen? Die Strafverfolgungsbehörden waren, wie immer, in Sorge, damit Nachahmungstäter zu ermutigen und den Forderungen eines Mörders nachzukommen.

Bei der Investigative Support Unit in Quantico war das Meinungsbild klarer: Die Öffentlichkeit ist oft unser bester Partner. Sind alle logischen und begründeten Hinweise ausgeschöpft, gebe man den Bürgern die Möglichkeit, zur Lösung des Falles beizutragen. Generalstaatsanwältin Janet Reno folgte der Empfehlung der ISU.

Diese Denkweise hatte in der Vergangenheit gut funktioniert. Wie Sie später detaillierter erfahren werden, berichtete Mindhunter über die Spezialagentin und Profilerin Jana Monroe, die bei ihren Bemühungen, einen Dreifachmord in Tampa Bay aufzuklären, die Idee hatte, auf gespendeten Reklametafeln eine Reihe von Anweisungen zu reproduzieren, die mutmaßlich in der Handschrift der unbekannten Zielperson abgefasst wurden. Dies führte zur Verhaftung, Anklageerhebung und Verurteilung von Oba Chandler, der wegen seiner Verbrechen inzwischen hingerichtet wurde.

Der Fall des Unabombers nahm einen mittlerweile bekannten Ausgang. Nachdem die Zeitungen zugestimmt hatten, seinen 35 000 Wörter zählenden Essay »Industrial Society and Its Future« (»Die Industriegesellschaft und ihre Zukunft«) auf Sonderseiten zu veröffentlichen, überzeugte eine Frau namens Linda Patrik ihren als Jugendberater und Sozialarbeiter tätigen Ehemann David Kaczynski davon, dass der Text erschreckend ähnlich klang wie die Ansichten seines älteren Bruders Ted Kaczynski, den sie ohnehin schon im Verdacht hatte. Theodore »Ted« Kaczynski war ein an der Harvard Universität und an der Universität von Michigan ausgebildeter Doktor der Mathematik, der seit Jahrzehnten wie ein Einsiedler in einer winzigen Hütte ohne Elektrizität und fließendes Wasser in den weltabgeschiedenen Wäldern von Montana lebte.

Mark redete mit David Kaczynski über die moralische Qual, die er und Linda wegen der Entscheidung, seinen Bruder auszuliefern, durchleiden mussten. Bevor er seinen Bruder identifizierte, machte David behutsam einen Deal mit den Behörden, um sicherzustellen, dass Ted für seine Verbrechen nicht hingerichtet würde. Obwohl wir beide für bestimmte Serien- und Raubmorde die Todesstrafe befürworten, können wir David und Linda für ihre – wirklich heldenmütigen – Entscheidungen und Handlungsweisen keine Vorwürfe machen. Ted verbüßt nun im Hochsicherheitstrakt des Bundesgefängnisses in Florence, Colorado, mehrere lebenslange Haftstrafen.

Hätte eine Strategie öffentlicher Erklärungen wie bei Oba Chandler oder beim Unabomber etwas bewirkt, um den BTK-Killer früher zu identifizieren und zu stoppen? Wir werden es nie erfahren, aber wir meinen, dass die Chancen dafür aussichtsreich gewesen wären. Obwohl ihre Verbrechen völlig unterschiedlicher Art waren, es gab eines, was das unangepasste Genie Ted Kaczynski und der sadistische, doch banale Versager Dennis Rader gemeinsam hatten – ein übermäßig ausgeprägtes Ego.

Keiner der beiden konnte es ertragen, dass die Öffentlichkeit ihre Großartigkeit verkannte, und das trug in beiden Fällen zu ihrem Scheitern bei.

Es ist einfach, etwas im Nachhinein zu kritisieren, und eine Sache lernt man in diesem Business: Jeder Fall kommt einem offensichtlich vor, sobald er gelöst ist. Ermittler der Polizei zögern verständlicherweise, Details zu einem Fall bekannt zu geben, die sonst nur der Täter kennt. Aber hätte die Polizei von Wichita ein paar der Zeichnungen des BTK-Killers, der Tatortdarstellungen und andere Mitteilungen veröffentlicht, wäre es gut möglich gewesen, dass jemand an Dennis Raders Arbeitsplatz, in seiner Kirchengemeinde oder gar bei ihm zu Hause daran seine Handschrift erkannt oder zumindest genügend Verdachtsmomente gesehen hätte, um die Behörden zu kontaktieren.

Seit wir Mindhunter geschrieben haben, hat sich die Häufigkeit bestimmter Verbrechen verändert. Die Gewaltkriminalität im Allgemeinen ist rückläufig, doch die Zahl der Mörder, die auf Sexualverbrechen aus sind, ist ungefähr gleich geblieben. Der Grund dafür liegt, wie wir meinen, darin, dass dieser Typ krimineller Pathologie nicht so sehr auf gesellschaftliche Verhältnisse oder eine verbesserte Polizeiarbeit reagiert wie andere kriminell Aktive. In den letzten sechzehn Jahren hat uns zunehmend der nationale und der internationale Terrorismus beschäftigt, ein Phänomen, das gerade in seiner Anfangsphase war, als wir auf den Bombenanschlag auf das Regierungsgebäude 1995 in Oklahoma City eingingen. Massenerschießungen sind mittlerweile auf alarmierende Weise weit verbreitet und anders geartet als Charles Whitmans Mordserie, die er 1966 vom Dach des Hauptturms der University of Texas aus unternahm. (Obgleich bei der Autopsie Whitmans ein kleiner Gehirntumor entdeckt wurde, so haben unsere Konsultationen eines angesehenen Neurologen bestätigt, dass die Lage des Tumors jene Bereiche nicht beeinträchtigt hätten, die diese Art von Verhalten kontrollieren).

Wie wir bereits andeuteten, haben wir festgestellt, dass, auch wenn sich die Erscheinungsformen von Verbrechen geändert haben, die grundlegenden Anreize, sie zu begehen, die gleichen geblieben sind.

Ob wir nun über einen Postbomber wie Ted Kaczynski, über Charles Whitman oder irgendwelche Schützen sprechen, die ihre Taten in Schulen begehen, oder auch über die zahllosen religiösen Terroristen, die sich aufgemacht haben, einen Großteil der Welt heimzusuchen – wir haben es mit ähnlichen Psychen zu tun. Dies sind Menschen, die sich der Gewalt gegen die Masse als einer persönlichen Geltendmachung oder eines politischen Statements bedienen, um ihre eigene Hoffnungslosigkeit, ihr Pathos, ihr Versagen und/oder ihren Mangel an einer Bestimmung zu kompensieren. Auch hier mag die innere Verzweiflung in ständigem Konflikt mit einem Gefühl persönlicher Überlegenheit und unerfüllten Ansprüchen stehen, doch sind diese Individuen allesamt und ausnahmslos unzulängliche Nobodys, die etwas darstellen und einen Sinn in ihrem Leben finden wollen. Sie mögen als Personen mutig sein – sich dazu zu entscheiden, für eine Sache zu sterben ist, wie fehlgeleitet das auch sein mag, kein beiläufiger Entschluss –, aber sie haben auch festgestellt, dass Gewalt ihr einziger Beweis von Macht ist.

In den Jahren, seit John aus dem Dienst des FBI ausgeschieden ist und anfing, Fälle anzunehmen, die ihm von außen angetragen wurden, hat sich seine Perspektive erweitert – genau wie die von Mark, was sich in unseren späteren Büchern widerspiegelt. In der Investigative Support Unit konnten Agenten nur an Fällen arbeiten, die ihnen von Polizeikommissariaten und Sheriff-Büros übergeben wurden, nicht jedoch an solchen, die ihnen Beschuldigte anvertrauten. Aber als John sich zurückzog, begannen wir, die Dinge auch von der anderen Seite zu betrachten und wir erkannten, dass nicht alle offiziellen Ermittlungen vollständig oder fehlerfrei sind.

Dazu gehören solche Fälle wie der 1993 an drei achtjährigen Jungs in Arkansas begangene Mord, der den sogenannten West Memphis Three zugeschrieben wurde; der nach wie vor ungelöste Weihnachtsmord von 1996, bei dem die sechs Jahre alte JonBénet Ramsey in Boulder, Colorado, umgebracht wurde, oder auch die 2007 in Perugia, Italien, geschehene Ermordung der britischen Austauschstudentin Meredith Kercher, für die die amerikanische Studentin Amanda Knox und ihr italienischer Freund Raffaele Sollecito angeklagt und spektakulär verurteilt wurden – all diese Fälle zeigten anschaulich die schrecklichen Folgen auf, die eine auf dem falschen Fuß begonnene polizeiliche Ermittlung haben kann, die sich an vorgefassten Vorstellungen und Vorurteilen orientiert, statt in die Richtung zu gehen, in die die Hinweise zeigen. Unzureichende Sicherung von Tatorten und objektiven Beweisen; vorschriftswidrige Befragungstechniken, die zu falschen Geständnissen führen können; schlechte wissenschaftliche Arbeit und bequemes Vertrauen in Gefängnisspitzel, die, unabhängig von der Wahrheit, ihre eigenen Ziele verfolgen – all diese Faktoren können und werden zu ungerechtfertigten Verurteilungen beitragen.

Als wir kürzlich begannen, über die aufschlussreichen Fälle nachzudenken, zu denen John ermittelt hatte und die wir analysierten und in Mindhunter beschrieben, mussten wir uns mit einigen unserer eigenen lange gehegten Vorstellungen und Eindrücken auseinandersetzen. In Kapitel 7 (»Herz der Finsternis«) können Sie etwas über die Befragung lesen, die John und Bob Ressler im Stateville-Gefängnis in Crest Hill, Illinois, mit William Heirens durchführten als sie noch an ihrer ersten Studie zu Serienmördern arbeiteten. Heirens war der berüchtigte »Lipstick Killer« im Chicago der Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, der den entsetzlichen Mord an der sechsjährigen Suzanne Degnan und die Zerstückelung seines Opfers gestand und dafür verurteilt wurde.

Nach der Befragung war John von Heirens’ Beharren auf seiner Unschuld so überwältigt, dass – wie wir schrieben – »ich nach unserer Rückkehr nach Quantico alle Akten zu diesem Fall ausgrub. Abgesehen von seinem Geständnis und anderen triftigen Beweisen fand ich heraus, dass Spuren seiner Fingerabdrücke am Tatort des Verbrechens an Degnan genommen worden waren. Doch Heirens hatte so viel Zeit damit verbracht, in seiner Zelle zu sitzen, nachzudenken und sich selbst alle Antworten zu geben, dass er, würde man ihn zu diesem Zeitpunkt einem Lügendetektortest unterziehen, ihn wahrscheinlich problemlos überstanden hätte.«

Der Grund, warum er das geschafft hätte, befanden wir schließlich nach einer detaillierten Analyse viele Jahre nachdem wir diese Zeilen geschrieben hatten, lag darin, dass es durchaus die Möglichkeit gab, dass William Heirens unschuldig war. Ja, während seines Studiums war er ein überführter Einbrecher, doch obwohl er eine Schusswaffe besaß, hatte er zuvor nie den Eindruck gemacht, ein gewalttätiger Mann oder Lustmörder zu sein. Er entsprach definitiv nicht dem Profil, das John erstellt hätte, wäre er an den Ermittlungen des Falls von Anfang an beteiligt gewesen. Doch die Polizei schien, nachdem Heirens erst einmal verhaftet war, das Interesse am passendsten Verdächtigen, den sie ermittelt hatte, zu verlieren und die Öffentlichkeit war zufrieden, dass ein verkommener Mörder gefasst worden war.

In Anbetracht der von John in mehr als zwei Jahrzehnten als Vollzeit-Profiler und in kriminalpolizeilicher Analyse gesammelten Erfahrung; des Rufs, den die Polizei von Chicago in den 1930er- und 1940er-Jahren hatte – häufig prügelte sie Geständnisse aus Verdächtigen heraus, auch aus William Heirens und aus einem Afro-Amerikaner, den sie im Laufe ihrer Ermittlungen vorher verhaftet hatten und der völlig unschuldig war –, wissend, wie einfach es sein kann, Beweise zu platzieren und zu arrangieren; und begreifend, dass Profiling nur so gut wie die von den ersuchenden örtlichen Strafverfolgungsbehörden gelieferten Informationen und Beweise sein kann, wird die Aussicht, dass Heirens tatsächlich unschuldig ist, immer glaubwürdiger.

Aber, wie es nur allzu häufig der Fall ist, gab es letztlich keine Lösung. Als der 83-jährige, an einen Rollstuhl gefesselte William Heirens am 5. März 2012 in der Dixon-Justizvollzugsanstalt in Dixon, Illinois, starb, war er der dienstälteste Gefangene in den Vereinigten Staaten.

Obwohl wir kurzzeitig geneigt waren, für diese neue Ausgabe von Mindhunter bestimmte Aspekte des Berichts zu verändern oder zu aktualisieren, stehen wir stolz zu dem, was wir damals, Mitte der 1990er-Jahre, geschrieben haben und meinen, dass es für das Buch am besten ist, den Leser mit dieser Einleitung auf den neuesten Stand zu bringen, statt einen Teil des Textes zu ändern. So, wie die Grundlagen des menschlichen Geistes und seiner Beweggründe die gleichen bleiben, so verhält es sich auch mit den Grundzügen guter polizeilicher Ermittlungsarbeit. Trotz der Vorzüge, die die Fortschritte in den Bereichen Technologie, Computer, DNA, Serologie und der wissenschaftlichen Analyse von Brandstiftung zu bieten haben – ebenso die Neubewertung von Standardtools wie Fingerabdrücken und ballistischen Analysen –, kann nichts gute detektivische kriminalpolizeiliche Arbeit und eine investigative Analyse ersetzen. Dazu gehören die Untersuchung des Tatorts und aller Beweise, das Studium der Viktimologie, das Klopfen an Türen und das Verfolgen jeder plausiblen Spur. Das Entscheidende ist, dass wir bei der Lösung eines Kriminalfalls den menschlichen Aspekt nie ausklammern.

Was vor zwanzig Jahren wahr war, ist auch heute noch wahr und das wird, so weit wir sie überblicken können, auch in Zukunft gelten:

Verhalten spiegelt Persönlichkeit wider. Der klarste Hinweis auf künftige Gewalt ist vergangene Gewalt. Um den »Künstler« zu verstehen, muss man seine »Kunst« studieren. Das Verbrechen muss in seinem Gesamtzusammenhang eingeschätzt werden. Es gibt keinen Ersatz für Erfahrung, und will man die kriminelle Psyche verstehen, muss man sich geradewegs zur Quelle begeben und zu entschlüsseln lernen, was sie einem sagt. Und vor allem: Warum + Wie = Wer.

Und nun laden wir Sie noch einmal ein, mit uns auf die Jagd zu gehen.

John Douglas und Mark Olshaker