CORY McCARTHY
Aus dem Englischen von Edith Beleites
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© 2018 by Cory McCarthy
© 2020 für die deutschsprachige Ausgabe
cbj Kinder- und Jugendbuch Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
»Now a major motion picture« bei Sourcebooks Fire,
an imprint of Sourcebooks, Inc., Illinois
Aus dem Englischen von Edith Beleites
Umschlaggestaltung: Kathrin Schüler, Berlin
Umschlagmotive © Shutterstock (Dean Drobot, Jacob Lund, romvo, Taigi)
sh · Herstellung: UK
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN 978-3-641-24004-2
V003
www.cbj-verlag.de
Für J.R.R. Tolkien, der schrieb:
»Es ist eine gefährliche Sache,
aus deiner Tür hinauszugehen.«
Auch für Peter Jackson, der sagte:
»Die ehrlichste Art, Filme zu machen, ist es,
sie für sich selbst zu drehen.«
Und für meine Brüder, Evan und Conor, die sagen:
»Schreib einfach weiter, Arschbacke!«
Film: Elementia
Regie: Cate Collins
Außendreh: Tag 1
Aran-Inseln, Irland
Anmerkungen zum Dreh:
KLIPPENSZENE. SEVYNS Stunt-Double und MAEDINA an Deck.
Keine Dialogaufnahmen. Luftaufnahmen und Zusatzteam auf dem Wasser. Und denkt dran: Sicherheit geht vor!
Weitere Anmerkungen:
M.E.THORNES Enkelkinder kommen mit Aer-Lingus-Flug 280 gegen 12 Uhr in Shannon an. Wir brauchen einen Freiwilligen, der sie abholt.
Nach Drehschluss Abendessen bei Tí Joe Watty.
NOLAN
Keine Panik, aber am Gepäckband steht ein Elf
Wahrscheinlich war der Typ Maler. Oder Schlagzeuger.
Vermutlich ging er schon aufs College. Er war ganz in Schwarz gekleidet und das Einzige, was mich während des endlosen Nachtflugs interessiert hatte. Meine Bordbeziehung. Eine ebenso glühende wie eingebildete Romanze, bei der wir uns ein gutes Dutzend Mal trafen und den Kindern, die wir einmal haben würden, niedliche Anekdoten darüber erzählten, wie sich ihre Eltern in Tausenden Meter Höhe kennengelernt hatten.
Jetzt saßen wir nicht mehr zwei Plätze voneinander entfernt in einer Aer-Lingus-Maschine, sondern standen nebeneinander vor dem rotierenden Gepäckband. Sag einfach Hallo und frag ihn irgendwas.
Ich umklammerte den Hals meines Gitarrenkoffers. »Weißt du, wie spät es ist?«
Er schaute auf eine große silberne Armbanduhr. »Zwölf, halb.«
»Was?«, fragte ich verwirrt nach. Die ersten Koffer erschienen auf dem Band, und plötzlich hatte ich es eilig, das Eis zu brechen, bevor sich unsere Wege trennten. Immerhin stand der Wunschtraum eines kompletten Transatlantikflugs auf dem Spiel. »Also sechs? Oder halb zwölf? Ich habe dermaßen das Zeitgefühl verloren, dass es beides sein könnte.«
»Halb eins.« Sein irischer Akzent ließ seine Worte wie einen lyrischen Songtext klingen.
»Wie soll das denn gehen? Die Hälfte von zwölf ist doch sechs.«
»Diese Amis …«, murmelte er kopfschüttelnd.
Er schüttelte immer noch den Kopf, als er nach einem Koffer griff, während ich peinlich berührt dastand und mich fragte, warum mich ein wildfremder Mensch so enttäuschen konnte. Bis mein kleiner Bruder von der Toilette zurückkam, hatte ich dem Fremden in Gedanken vier Mal eine spektakuläre Abfuhr erteilt. Meine Lieblingsfantasie: unser Liebesaus auf der Videoleinwand eines Baseballstadions.
»Iris!«, rief Ryder schon von Weitem. »Ich habe mindestens zwei Minuten lang gepinkelt. Ich hätte die genaue Zeit stoppen sollen.«
Die Menge am Gepäckband wich vor ihm zurück – eine ganz normale Reaktion, wenn jemand lauthals übers Urinieren spricht. Jetzt kam ich mir tatsächlich wie eine unkultivierte Ami-Frau vor. Danke, Irland. Das fängt ja gut an!
»Elf Tage«, murmelte ich. »Es sind nur elf Tage.«
Ryder schien den Jetlag nicht zu spüren. Er kramte eine Schaumstoffaxt aus seinem Rucksack und dabei fielen noch allerlei andere Spielzeugwaffen heraus. Dann verwickelte er einen imaginären Gegner in einen erbitterten Kampf, sodass unsere Mitreisenden immer mehr auf Abstand gingen. Meine große Ex-Flugliebe warf ihm sogar einen finsteren Blick zu und mir einen noch finstereren.
»Ich bin nicht seine Mutter«, sagte ich, sammelte Ryders Waffen vom Boden auf und packte sie in den Rucksack zurück.
Ein freundliches irisches Großmütterchen schaltete sich ein. »Bist du zum ersten Mal in Irland?«, fragte sie Ryder und legte ihm schwungvoll eine Hand auf die Schulter. Mein Bruder nickte und versuchte, sich aus ihrem Griff zu winden. Gern hätte ich gesagt, dass es in Amerika nicht üblich sei, fremde Kinder anzufassen, aber ich wollte unsere kulturellen Unterschiede, die ohnehin schon so krass zutage traten, nicht noch offensichtlicher werden lassen. »Willst du dir den Giant’s Causeway anschauen? Oder die Klippen von Moher?«
»Nein«, sagte Ryder und riss sich von ihr los. »Wir treffen berühmte Leute, helfen am Set und kriegen vielleicht sogar selbst große Rollen.«
»Keine großen, Ry. Das weißt du doch«, sagte ich.
Das irische Großmütterchen sah mich fragend an. Ich schloss den Reißverschluss von Ryders Rucksack und versuchte, die fällige Erklärung so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. »Er meint die Verfilmung von Elementia. Die nächsten zwei Wochen wird hier in Irland gedreht. Man hat uns eingeladen, damit wir …« Ja, was eigentlich? »Zuschauen können, vermute ich.«
»Unsere Grandma hat das Buch geschrieben«, sagte Ryder so laut, dass immer mehr Menschen zuhörten, bis alle, die reisemüde auf ihr Gepäck warteten, uns anschauten.
»Wie bitte?« Mein Ex-Lover meldete sich zurück, dieses Mal ohne mit dem Kopf zu schütteln. »Deine Großmutter war die Schriftstellerin M.E. Thorne?« Er zwinkerte mir zu, als wollte er den imaginären Funkenflug zwischen uns neu entfachen.
Hör endlich auf, Iris!
»Hmm«, brachte ich mühsam heraus.
»Dann muss ich dir was zeigen.« Er begann, sein Hemd hochzuziehen.
»Oh, bitte …«, protestierte ich und starrte auf meine roten Chucks.
»Guck mal!«, krähte Ryder. »Iris, nun guck doch! Er hat die Karte von Elementia auf der Brust.«
Ich wagte einen verschämten Blick. Es war eine große Karte. Meine Neugier wurde mit einem Wust schwarzer Brusthaare auf blasser Haut belohnt.
Lächelnd zog er sein Hemd wieder herunter, aber ich hatte immer noch sein abfälliges Amis im Ohr. »Freust du dich auf die Dreharbeiten?«, fragte er. »Hast du ein Mitspracherecht? Und was hältst du davon, dass das Alter der Figuren geändert wurde?«
Ich strich mir die Haare zurück, befolgte meine goldene Regel im Umgang mit Menschen und sagte nichts. Andere sahen in mir entweder die Enkelin der bewunderungswürdigen M.E. Thorne oder einen Nobody. Eine dritte Variante wäre mir lieber gewesen.
»Wahrscheinlich redest du über nichts anderes mehr«, fuhr er fort. »Du kennst die Bücher deiner Großmutter ja bestimmt schon seit deiner Kindheit. Ich habe sie erst vor ein paar Jahren entdeckt. Aber die Filmmenschen erlauben dir wohl nicht, öffentlich darüber zu sprechen. Als Insiderin musst du das Ganze top secret behandeln, was?«
Die Antwort blieb mir im Halse stecken. Dieses Gerede war kaum zu ertragen. Alle Welt schien zu glauben, ich sei wegen der Verfilmung vollkommen aus dem Häuschen, aber für mich bedeutete es, dass sich die Zahl der Elementia-Fans verdreifachen würde. Vervierfachen. Es würde nicht lange dauern, bis sich die Leute nur noch wegen des Films für mich interessierten. Genau wie dieser Typ.
»Gehört die Reisetasche da uns, Ryder?« Ich schob meinen Bruder auf die andere Seite des Gepäckbands. Mit dem Rücken zu unseren Mitreisenden schloss ich die Augen und stöhnte leise.
»Alles in Ordnung, Iris?« Ryder legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich schlug die Augen wieder auf. Es war nicht seine Hand, sondern die Schaumstoffaxt. Immerhin war sein kindlich besorgter Blick echt.
»Alles gut.« Ich legte den Kopf auf meinen Gitarrenkoffer. Solange ich auf Ryder aufpassen musste, durfte ich nicht einschlafen, aber ich konnte mich kaum noch wach halten. Im nächsten Moment hechtete mein Bruder auf sein Gepäck zu, sprang auf das Band und verschwand hinter den Plastikstreifen, die in die Eingeweide des Flughafens Shannon führten. »Hey!«, rief ich. »Ryder!« Vor Angst wurde ich schlagartig hellwach, und beinahe wäre ich ihm durch den Plastikvorhang nachgekrochen. »Hey!«
»Brauchst du Hilfe?«
Ich drehte mich zu einer irischen Stimme um, die ich nicht kannte, und wäre beinahe umgekippt. »Nein, nein.«
Der Knabe hatte Elf-Ohren. Im Ernst! Spitze, aus den Haaren ragende Elf-Ohren.
»Nein, nein?«, wiederholte er und zog skeptisch die Augenbrauen hoch.
»Wer … was bist du?«
»Ein Elf«, sagte er mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der jemand anders gesagt hätte, er hätte Kunst als Leistungskurs gewählt. »Ich soll euch abholen.« Er hielt ein Blatt Papier mit der Aufschrift THORNE hoch.
»Weg damit! Die Leute sind schon neugierig genug.« Ich nahm das Blatt und zerknüllte es. »Wenn du wirklich helfen willst, rechne bitte mal mit.« Ich zeigte auf den Plastikvorhang am Ende des Gepäckbands. »Ein Bruder ist dahinter verschwunden, kein Bruder ist rausgekommen. Inzwischen läuft er womöglich auf dem Rollfeld herum.«
»Oh, ihr Kleingläubigen!« Elf-Ohr verschränkte die Arme. »Jeden Moment wird er wieder herauskommen.« Verschwörerisch beugte er sich vor. »Das Band läuft im Kreis, weißt du.«
Ich konnte nicht fassen, dass mir ein Fremder in einem Elfenkostüm mit biblischen Sprüchen kam. »Und wenn die Security ihn aufgreift? In den Staaten werden Erstgeborene für so etwas von der Behörde für Transportsicherheit verhaftet.«
Wie aufs Stichwort kam Ryder durch die Plastikstreifen zurück. Er saß auf meiner Reisetasche und trug meine Sonnenbrille, die er aus dem Seitenfach gefischt haben musste. Er wusste, dass er Ärger bekommen würde, grinste aber triumphierend. Als er den Typen neben mir sah, fiel ihm die Kinnlade herunter. Sofort sprang er vom Gepäckband und kam auf uns zugerannt. Unsere Koffer vom Band zu hieven, überließ er mir.
Als ich sie zu den beiden geschleppt hatte, stand Ryder mit weit aufgerissenen Augen da. »Iris! Das ist Nolan. Nolan!«
Nolan reichte mir die Hand, als hätten wir uns noch nie gesehen, geschweige denn angegiftet. »Eamon. Eamon O’Brien.«
Ich ließ Ryders Tasche fallen und schüttelte Eamon die Hand. »Was für ein Name! Direkt aus dem grünen Herzen Irlands, was?«
Zu seinen Gunsten muss ich sagen, dass er keine Miene verzog.
»Und du bist Iris Thorne. Ein Name, gegen den ebenfalls nichts einzuwenden ist.«
Ryder zupfte an meinem Shirt, bis mein BH aufblitzte, und sagte: »Nolan! Das ist Nolan!«
Ich packte seine Hand und zog mein Shirt bis zum Hals. »Hör auf, sonst reiße ich deine Elfenaxt in Stücke.« Ich nahm ihm meine Sonnenbrille ab und setzte sie selber auf, gerade noch rechtzeitig, um den womöglich tadelndsten Blick zu sehen, der einem Menschen je von einem Elfen zugeworfen wurde. »Keine Sorge. Ich mache sein Spielzeug nicht kaputt. Und warum bin ich eigentlich die Einzige, die das Gepäck schleppt?«
»Es ist kein Spielzeug«, sagte Ryder beleidigt. »Es gehört zu einem Kostüm!«
Eamon starrte mich immer noch an, und ich sah, dass seine Augen nicht einfach blau waren, sondern geradezu kristallblau, als hätte jemand sie digital bearbeitet. Kein Wunder, dass man ihm die Rolle des berühmten Elfen aus Grandma Maes Buch angeboten hatte. Nolan bzw. Eamon warf sich die Träger meiner riesigen Reisetasche über die Schulter und wollte dann noch meine Gitarre nehmen.
»Vergiss es«, sagte Ryder an meiner Stelle. »Mit dem Ding ist sie verheiratet.«
»Ist das in Amerika heute legal? Kann man dann Ehegattensplitting beantragen?«
Ich streckte ihm die Zunge heraus und er grinste breit. Dann schloss ich den Mund wieder und fragte mich, wie er mich binnen weniger Minuten dazu gebracht hatte, mich so kindisch wie Ryder zu benehmen.
Als wir unter dem grünen Schild NICHTS ZU VERZOLLEN auf den Ausgang zugingen, versuchte ich, ein Gespräch anzufangen. »Wenn du einer der Schauspieler bist – warum machst du dann den Chauffeur?«
»Ich habe mich freiwillig gemeldet, weil ich ein großer Fan bin.«
Auch das noch!
»Hey, über dich hab ich schon was gelesen«, sagte Ryder. »Das hier ist dein erster Film, stimmt’s?«
Ich konnte mir nicht helfen: »Wie hast du dann ausgerechnet diese Rolle ergattert?«
»Ich liebe Elementia. Die Geschichte liegt mir im Blut. Ich habe sie schon mit meiner Mom gelesen, als ich … ungefähr so groß war.« Er legte die Hand auf Ryders Kopf und mein Bruder strahlte über alle vier Backen. »Als ich von der Verfilmung hörte und das Casting begann, haben meine Mom und ich uns gesagt, dass man mit Bescheidenheit nicht weiterkommt. Also haben wir unter den Bäumen von St. Stephen’s Green ein Bewerbungsvideo gedreht.«
»Genau wie Elijah Wood, als er unbedingt die Rolle von Frodo haben wollte«, sagte Ryder.
»Stimmt.« Eamon klopfte Ryder auf die Schulter. Offenbar waren die beiden schon beste Freunde. »Deswegen dachte ich: Wenn es bei Elijah geklappt hat – warum nicht auch bei mir?«
»Weil Elijah Wood schon ein etablierter Schauspieler war, bevor er das tat«, murmelte ich.
»Wie bitte?«, fragte Eamon.
»Nichts.« Ich wusste, worauf das alles hinauslaufen würde, nämlich dass Eamon eines Tages sagen konnte: »Dann lernte ich die Enkel von M.E. Thorne kennen – das Großartigste, was je in meinem Leben passiert ist. Pure Magie.«
Eamon fuhr fort: »Tatsächlich wurde ich dann als Nolan besetzt. Und als heute in der Maske meine Ohren gemacht wurden, hieß es, dass Cate Collins, die beste Regisseurin aller Zeiten, jemanden sucht, der M.E. Thornes Enkel vom Flughafen abholt. Da habe ich mich auf der Stelle gemeldet.« Er verlagerte das Gewicht meiner Reisetasche und sah mich an. »Dann entdeckte ich diesen kleinen Axtschwinger und seinen Aufpasser, einen Bergtroll.«
Der Gitarrenkoffer fiel mir aus der Hand und schlug dumpf auf dem Boden auf. »Was, zum Teu…«
Ryders Grinsen war breiter als die beiden Hände, hinter denen er es zu verstecken versuchte.
»Verzeihung.« Eamon zwinkerte mir unverschämt zu. »Ich neige zu blumigen Übertreibungen. Typisch für Leute, die direkt aus dem grünen Herzen Irlands stammen.«
Ich wurde rot und wusste nicht, ob ich beleidigt sein oder mich schämen sollte.
»Iris Thorne!«, rief jemand von hinten, dessen Stimme mir unbekannt vorkam.
Ich drehte mich um und mein Puls begann zu rasen. So wie es zwei Arten von Reaktionen auf mich gab, gab es auch zwei Arten von Elementia-Fans: Die einen liebten die Trilogie heiß und innig, blieben aber auf dem Teppich, die anderen machten sie zu ihrem Lebensinhalt. Letztere nannten sich Thornier. Sie überhäuften meine Familie mit Briefen. Und kannten meinen Geburtstag.
Einer von ihnen hatte versucht, Ryder zu entführen, als er sechs war.
Deswegen war ich etwas beruhigt, als ich sah, dass es mein Ex-Lover aus dem Flieger war, Mr Brust-Tattoo, wie ich ihn mittlerweile in Gedanken nannte. Er kam auf uns zu. »Woher weißt du, wie ich heiße?«, fragte ich heiser und streckte vorsichtshalber eine Hand aus, damit er Ryder nicht zu nahe kommen konnte.
»Dein Bruder hat vorhin nach dir gerufen. Ich wusste gar nicht, dass M.E. Thorne so junge Enkelkinder hatte.«
Ich entspannte mich ein wenig. »So jung bin ich gar nicht.«
»Dann will ich mal hoffen, dass du wenigstens achtzehn bist.« Der Typ beugte sich zu mir vor, als wollte er mit mir flirten, und mir fiel wieder ein, was mich während des Flugs so an ihm fasziniert hatte. Die Mischung aus Lässigkeit und gutem Aussehen. Die Brille. Die blauen Augen. Die dunklen Locken. Er legte eine feingliedrige Hand auf meinen Gitarrenkoffer. Definitiv Musikerhände. Plötzlich wurde mir allerdings klar, dass ich mich geirrt hatte: Aus dem Studentenalter war er längst raus.
Erde an Iris: Mach, dass du wegkommst!
»Ich bin … siebzehn.« Ich trat ein paar Schritte zurück und war geradezu erleichtert, als ich gegen Eamon stieß. »Ich muss dann los.«
Der Typ holte seine Brieftasche heraus und überreichte mir eine Visitenkarte. »Schreib mir vor deinem Geburtstag. Ich lade dich zum Essen ein, und dann sprechen wir über den Film oder die Bücher, falls dir das lieber ist.«
Weder – noch. Vielen Dank. »Ich wohne in L.A.«
»Dann fliege ich hin.« Er lächelte die Person an, für die er mich hielt. Dann ging er. Und ich hasste M.E. Thorne mehr denn je, obwohl mein Hass, ehrlich gesagt, ohnehin schon groß war.
Wir gingen auf den Parkplatz zu, ich mit gesenktem Kopf.
»Du lässt nichts anbrennen, was, Lady Iris?«, sagte Eamon so leise, dass Ryder es nicht hören konnte.
»Nein, das verstehst du falsch«, sagte ich schnell. »Der Typ ist nicht auf mich, sondern auf meine verstorbene Großmutter scharf.« Er sah mich besorgt an. »Ist schon okay«, sagte ich und hoffte, genervt, stark und unerschütterlich zu wirken, aber Eamons Blick nach zu urteilen, sah man mir an, dass ich traurig war.
Was soll das heißen – »Wir müssen auf ein Schiff«?
Eamon stopfte meine Reisetasche in den Kofferraum des kleinsten Autos, das ich je gesehen hatte. Es war rostrot, soll heißen: Der Rost fraß den roten Lack langsam auf. Es war ein Zweitürer.
»Da passen wir doch gar nicht alle rein.« Ich schaute mich auf dem Parkplatz um, auf dem die meisten Autos genauso aussahen wie unseres. Keine Spur von den geräumigen, glänzenden SUVs, die ich gewohnt war.
»Aber sicher doch.« Eamon klappte den Vordersitz um, damit Ryder auf den Rücksitz klettern konnte. Dann schob er Ryders Reisetasche hinterher, bis mein Bruder an der gegenüberliegenden Fensterscheibe klebte.
Ryder konnte sein Glück kaum fassen. »Hey! Diese Sitze sind wie Eimer!«
»Hat mein Vater dich gebeten, uns in diesem Ding abzuholen?«, fragte ich.
Eamon hörte auf, an Ryders Reisetasche herumzudrücken, und sah mich fragend an. »Was sollte ich denn mit deinem Vater zu tun haben?«
Gute Frage. Ich schaute auf die Uhr, erschöpft und desorientiert. In L.A. war es jetzt kurz vor fünf Uhr morgens. In etwa zwei Stunden würde die Sonne aufgehen, hell und heiß. In Irland hingen die Wolken wie Beton am Himmel. Dick und grau. Oder Grey, wenn die Farbe zugleich ein Gefühl ausdrücken sollte. Und es war kühl. Mit anderen Worten: Ich hatte vollkommen falsch gepackt. »Ich … mein Vater spielt mir gern Streiche.«
Ryder schraubte den Kopf aus dem Seitenfenster. »Er hat uns gezwungen, in der Holzklasse zu fliegen. Er meinte, das täte uns gut. Er bezeichnet Iris als Miesmacherin, weil sie immer so negativ ist.«
»Das ist aber gar nicht nett«, sagte Eamon.
»Sagt einer, der mich als Bergtroll bezeichnet«, schnappte ich und fragte: »Was hast du übrigens mit Annie vor?«
»Mit wem?«
»Ihre Gitarre«, brüllte Ryder.
»Du nennst deine Gitarre Annie? Wie süß!« Er lächelte, und beinahe hätte ich zurückgelächelt, aber ich konnte mich beherrschen und ermahnte mich, ihn am besten überhaupt nie anzulächeln. Stattdessen konzentrierte ich mich auf seine strubbeligen, dunkelblonden Haare; die strubbeligsten dunkelblonden Haare, die ich je gesehen hatte. Immerhin hingen sie so tief über seine Elfenohren, dass die nicht allzu seltsam wirkten.
Eamon hielt mir ein Tau entgegen. »Wir binden Annie aufs Dach.«
»Bist du verrückt?«, fragte ich entsetzt.
Er lachte, knallte den Kofferraum zu und öffnete die Fahrertür, bei der es sich allerdings um die Beifahrertür handelte, weil alles an dem Auto verkehrt herum war. »Dann musst du Annie auf den Schoß nehmen.«
Ich pferchte mich ins Auto und zog Annie nach. »Elf Tage«, murmelte ich, quetschte die Gitarre zwischen meine Knie und legte das Kinn auf den Koffer. »Zehn nach dem heutigen Tag.«
Auf den gewundenen, schmalen Straßen wechselte Eamon ruckelnd von einem Gang in den anderen, und dass Ryder ihn mit Fragen bombardierte, verbesserte seinen Fahrstil kein bisschen. Nach wenigen Minuten wusste ich, dass Eamon achtzehn war, aus Dublin stammte und nicht vorhatte, im Herbst aufs College zu gehen. Ha!
»Was willst du denn sonst tun? Ich meine, du brauchst doch Geld und so«, sagte ich.
»Keine Ahnung«, antwortete er. »Das wird sich schon finden.«
Doppelt ha! »So was ist bei euch erlaubt? In den Staaten heißt es: ›Gleich nach der Schule gehst du aufs College, mein Fräulein. Sonst fährst du dein Leben an die Wand.‹«
Eamon lachte. »Was für ein gigantischer Blödsinn! Woher soll man denn gleich nach der Schule wissen, was man machen will?«
Die Kombination aus »gigantisch« und »Blödsinn« verletzte mein Sprachgefühl – obwohl er nicht unrecht hatte.
Nachdem er ein Loblied auf jede Kuh, jedes Schaf, jeden halb verfallenen Wehrturm, an dem wir vorbeikamen, gesungen hatte, schnarchte Ryder langsam weg. Ich drehte mich zu ihm um. Wenn er schlief, sah er unschuldig und zerbrechlich aus, aber ich hörte ihn immer noch »Miesmacherin« sagen. Um ehrlich zu sein, tat es mir leid, schlechte Laune zu verbreiten. Aber das ist die Sache mit einem negativen Auftreten: Es verschafft einem Kontrolle und gleichzeitig macht man sich unbeliebt. Nach dieser Logik wäre mein Vater allerdings der unbeliebteste und zugleich mächtigste Mann ganz Kaliforniens.
Und außerdem der wahre Grund, warum ich zusammengequetscht in diesem lächerlichen Auto hockte.
»Ich möchte, dass du mit Ryder nach Irland fliegst und ihm seinen Traum von Hollywood erfüllst«, hatte er vor nur einer Woche gesagt, als handelte es sich nicht um eine Atlantiküberquerung, sondern um die Bitte, das Abendbrot vorzubereiten. Er schaute nicht einmal von seinem Laptop auf. »Ich werde es wiedergutmachen.«
»Aber du hast Cate Collins doch gesagt, dass wir uns aus dem Film raushalten«, sagte ich verblüfft. »Du hast sie sogar beschimpft.«
»Ja, aber sie ruft ständig an und dein Bruder gibt auch keine Ruhe. Erst heute hat er mir geschrieben, er verzichtet …« Mein Vater griff nach einem Zettel und las davon ab: »… auf je fünf Geburtstage und Weihnachten, wenn ich zu den Dreharbeiten an Elementia fliegen darf.« Er ließ den Zettel auf seinen Schreibtisch fallen. »Außerdem hält seine Therapeutin es für eine gute Idee. Ich bin also überstimmt.«
Ich war sprachlos. Vor allem weil mein Vater siebzehn Jahre lang Dutzende Gründe dafür gefunden hatte, warum ich den Quatsch, den seine Mutter zusammenfantasiert hatte, ignorieren sollte. Außerdem hatte er im vergangenen Jahr endlose Monologe darüber gehalten, wie sehr er es hasste, dass eine Verfilmung geplant war.
»Ich meine es ernst, Iris«, unterbrach er mein schockiertes Schweigen. »Mein Lektor wartet händeringend auf mein neues Buch und deine Mutter steckt ebenfalls knietief im Schreiben. Uns wird das alles zu viel.«
»Ah, jetzt kommt es also heraus«, murmelte ich.
»Tu es für ihn! Das ist eine einmalige Möglichkeit. Aber kein Alkohol und kein Flirten! Deine Aufgabe besteht darin, auf deinen Bruder aufzupassen.«
»Auf Ryder aufpassen? Wie das wohl wäre?«, schnappte ich sarkastisch. »Wie soll ich damit nur zurechtkommen?«
»Hör auf mit dem Unsinn! Fang an, die Reise vorzubereiten!«
Ich atmete tief durch. Wenn er so viel von mir verlangte, konnte ich auch etwas von ihm verlangen. Ich wusste auch schon, was. »Ich möchte Zugriff auf meinen Treuhandfonds bekommen, wenn ich achtzehn werde, nicht erst mit einundzwanzig. Ich weiß, dass du das ändern lassen kannst.«
Endlich schaute mein Vater von seinem Bildschirm auf. »Das Geld ist zweckgebunden. Kläre mich auf, du kleine Miesmacherin: Verfolgst du einen bestimmten Zweck damit?«
»Ja.« Ich versuchte, so selbstsicher zu wirken wie er. »Ich möchte Geräte und Software für ein Aufnahmestudio kaufen. Für meine Songs.«
»Spielst du mir was vor?«
Ich zögerte. »Nein.«
»Dann kann ich dir nicht helfen. Wenn du nicht einmal mir etwas vorspielen kannst, bist du nicht reif für Aufnahmen. Ich werde nicht zulassen, dass du eine dieser Möchtegern-Künstlerinnen wirst, die sich um die harte Arbeit drücken, um an die Spitze zu kommen, und sich als YouTube-Stars aufblähen.«
»Dann fliegt Ryder nicht nach Irland.« Ich ging auf die Tür seines Arbeitszimmers zu.
»Da wir gerade über deinen Treuhandfonds sprechen, Iris, schlage ich vor, dass du dich bei Cate Collins bedankst. Persönlich. Die Verkaufserlöse deiner Großmutter – mit anderen Worten: dein Treuhandfonds – haben sich wegen der Verfilmung schon jetzt um ein Vielfaches erhöht. Wenn du mit dem College fertig bist und einen sinnvollen Beruf ergreifst, hast du genug Geld, um zu machen, was du willst. Auch deine Kinder können machen, was sie wollen. Sogar noch deine Enkelkinder.« Bei ihm klang es wie etwas Verwerfliches. Als sei es ganz schrecklich, dass er genau das getan hatte, als er beschloss, Tag und Nacht im dunkelsten Zimmer unseres Hauses schlecht verkäufliche Kriminalromane zu schreiben.
»Vielleicht brauche ich das Geld, um herauszufinden, was ich will«, argumentierte ich.
»Ich werde darüber nachdenken«, sagte er. »Aber nur, wenn du mit Ryder nach Irland fliegst und ihn heil zurückbringst.« Er winkte mich aus dem Zimmer, und ich fragte mich, ob wir einen echten Deal hatten.
Ruckelnd erklomm Eamons Spielzeugauto einen Hügel. Ich schaffte es, mein Notizbuch aus dem Rucksack zu meinen Füßen zu fischen, krakelte ein paar Liedzeilen hinein und merkte erst dann, dass Eamon mitzulesen versuchte. »Hey, Shannara Chronicles! Guck auf die Straße!«
Er riss das Lenkrad nach links. »Du schreibst?«
»Nein.«
»Ich habe gehört, dass dein Vater Schriftsteller ist. Allerdings habe ich sein Zeug nie gelesen.«
»Da geht’s dir wie den meisten«, sagte ich. Er warf mir einen fragenden Blick zu. »Kein Mensch liest seine Bücher, aber wegen seines Nachnamens bieten die Verlage ihm immer wieder Verträge an.«
»Ah, das Thorne-Vermächtnis.«
Ich verzog das Gesicht. »Alle vergleichen sein Werk mit dem meiner Großmutter, obwohl es ein ganz anderes Genre ist. Er hat schon versucht, unter Pseudonym zu veröffentlichen, aber da war er noch erfolgloser.«
Eamon tippte auf meinen Gitarrenkoffer. »Und du willst den Namen Thorne als Ticket für eine Karriere als Rockstar benutzen? Ausverkaufte Konzerte und Platinalben?«
Dieser junge Mann musste noch viel lernen, aber erst mal sagte ich nichts.
»Versteh mich nicht falsch. Jeder will Taylor Swift sein. Ich hätte nichts dagegen, Taylor Swift zu sein.« Er begann, Bad Blood zu singen. Leider hatte er eine ziemlich gute Stimme.
»Hör auf!«
Er grinste, und ich wagte, ihm die Wahrheit zu sagen.
»Ich bin Songwriterin.« Das war sehr defensiv rausgekommen. Als sei mein Gegenüber anderer Meinung – und als hätte er möglicherweise recht.
»Kann ich mal einen Song von dir hören?«
»Nein!« Mir wurde übel, und das lag nicht an den kurvenreichen Straßen. »Ich schreibe Songs für andere.«
»Das macht doch überhaupt keinen Sinn.«
»Sagt der Typ, der Geld damit verdient, dass er Texte spricht, die jemand anderes geschrieben hat.«
»Touché, meine Liebe.« Er zuckte mit den Schultern und richtete den kristallblauen Blick auf die Straße. Ich wusste, dass man hier von wildfremden Menschen als »Liebes« oder »Schätzchen« angesprochen wurde, aber das machte es nicht weniger seltsam.
Bis zum Horizont erstreckte sich eine Patchwork-Decke in den verschiedensten Grüntönen, mit Nähten aus schiefen und krummen Steinmauern. Hübsch anzusehen, aber mitten im Nirgendwo. »Wo fahren wir eigentlich hin? Und wann erreichen wir ein Hotel mit Betten und Duschen?«
»Wie viele Duschen braucht ein Mädel aus L.A. denn?« Mit Kommentaren wie diesem war er schnell bei der Hand, aber statt ihm dafür zu gratulieren, warf ich ihm nur einen ätzenden Blick zu. »Ich soll euch nach Doolin bringen. Da nehmen wir die Fähre nach Inishmore, wo diese Woche gedreht wird.«
»Wir müssen auf eine Fähre?«
»Cool, was? Und warte, bis du den Set siehst! Er ist atemberaubend.«
»Ich atme gerne.«
Ryder steckte den Kopf in die Lücke zwischen den Vordersitzen. Mein Entsetzen musste ihn geweckt haben. »Wir besuchen den Set? Heute schon? Und wir fahren mit einem Schiff hin?«
»Nein«, sagte Eamon überraschend. »Nur, wenn deine Schwester dazu bereit ist. Ihr habt eine lange Reise hinter euch.«
»Ich will ins Hotel«, sagte ich. Je länger ich diesem Filmdreh aus dem Weg gehen konnte, desto besser.
Ryder zerrte an meinem Sitz und atmete mir direkt ins Ohr. »Bitte, bitte, Iris! Ich sitze auch ganz still und tu nichts, was ich nicht soll.«
Ich schaute meinem Bruder in die Augen, um zu sehen, wie ernst er es meinte. Er war jetzt acht, sah aber immer noch wie der Sechsjährige aus, der sich auf der anderen Seite des Spielplatzes die Lunge aus dem Leib geschrien hatte, während ein fremder Mann versuchte, ihn in einen kleinen Lieferwagen zu zerren. Noch nie im Leben war ich so schnell gerannt. Und noch nie hatte ich so viel Angst gehabt.
Ich strich mir über die Arme, weil ich eine Gänsehaut bekam. Auch zwei Jahre danach sträubten sich mir noch die Haare, wenn ich daran dachte. Und jedes Mal hörte ich meinen Vater sagen: Was für eine klischeehafte Formulierung, Iris!
Ryders Atem roch wie der eines Jungdrachen – eine Mischung aus Ketchup und Sauce Bolognese.
»Du weichst mir nicht von der Seite«, sagte ich. »Versprochen?« Er nickte. Ich war nicht die Einzige, die noch jede Einzelheit vor Augen hatte, die an jenem Tag passiert war.
❊ ❊ ❊
Stunden später sprühte mir der eiskalte Atlantik jedes Mal Gischt ins Gesicht, wenn die Fähre einen Wellenkamm durchpflügte. Eamon und Ryder waren begeistert und glitschten zusammen übers Deck. Offenbar hatten sich zwei Brüder im (Un-)Geiste gefunden. Wenigstens war der Himmelsbeton aufgerissen und dahinter war es strahlend blau.
»Cate hat dieses Schiff für den ganzen Dreh gemietet. Der Kapitän sagt, er bringt uns direkt zum Set«, brüllte Eamon, um die Schiffsmotoren zu übertönen. »Dann treffen wir das ganze Team.« Ich hielt mich an der Reling fest und versuchte, nicht den modrigen Geruch meiner uralten Schwimmweste einzuatmen. Ryder zeigte auf die hohen Klippen, über denen sich eine Steinformation erhob, und stieß einen spitzen Schrei aus. »Dun Aengus«, schrie Eamon zurück. »Eine Festung aus der Eisenzeit.«
Ich hatte jedoch nicht die Ruine im Blick.
Auf den Klippen konnte ich ein paar Dutzend Team-Mitglieder ausmachen, turmhohe Geräte, eine Krankamera und eine Frau, die etwas trug, das ich nur als Gandalfs Bademantel bezeichnen kann. Unten am Meeresrand hielt sich eine weitere Frau mit einer Riesenmähne am Rand eines altmodischen Ruderboots fest. Es war mit giftgrünen Leinen an einem Hightech-Floß befestigt, dessen Motor auf Hochtouren lief, um nicht von den Wellen an die Felsen geworfen zu werden. Über alledem ratterte ein Hubschrauber, und als ich den Kopf in den Nacken legte, sah ich einen Kameramann, der sich samt Ausrüstung aus der offenen Seitentür lehnte.
»Ganz schön gefährlich«, sagte ich, vor Schreck fast tonlos.
»Das hier wird im Film zu den Überresten von Manifest«, erklärte Eamon mit einem schelmischen Lächeln, das ihn wie einen echten Elf aussehen ließ. »Stell dir vor, wie das in der Computeranimation aussehen wird! Steinbrocken von eingestürzten Türmen und der Burg selbst werden aus dem Meer ragen, wie das nasse Grab einer ganzen Stadt.« Eamon zeigte auf die Gandalf-Frau auf den Klippen. »Das ist Maedina.«
»Wer?«, brüllte ich und versuchte, den Hubschrauber zu übertönen.
»Was?«, brüllte er zurück.
»Das ist reine Zeitverschwendung, Nolan«, sagte Ryder. Der größte Teil seines Kopfes verschwand in seiner Schwimmweste. »Iris weigert sich, die Bücher zu lesen. Ihr sagen die Namen alle nichts.«
»Im Ernst?« Eamons Kristallaugen weiteten sich und die Kinnlade fiel ihm herunter.
»Herrgott, ich habe doch keine schwere Krankheit«, schrie ich. »Ich halte nur nichts von Fantasyliteratur.«
»Aber deine Großmutter …«
»Ich habe sie nur einmal gesehen. Sie starb, als ich acht war.«
»Aber …« Eamon wusste nicht weiter und starrte mich an, als hätte ich ihm gerade gesagt, dass ich nur noch zwei Monate zu leben habe. Die Fähre entfernte sich von dem lärmenden Dreh, und die Schiffsmotoren waren nicht laut genug, um die plötzliche Stille zu übertönen.
Ich drehte mich wieder zur Reling um, fasste das beißend kalte Metall an und versuchte, mich nicht zu den chaotischen Filmarbeiten umzuschauen. Außerdem versuchte ich die Wahrheit zu verdrängen, die mir im Kopf herumschwirrte wie der Hubschrauber über den Wellen.
Es würden nicht bloß elf Tage sein.
Dieser Film würde mein Leben verändern.
Jetzt verstand ich, warum mein Vater so wütend geworden war, als wir uns zum ersten Mal mit Cate Collins getroffen hatten. Filme plusterten Geschichten bis zur Unkenntlichkeit auf. Es würde Filmplakate geben, Fortsetzungen, Tausende Fotos im Internet, Merchandising. Werbeartikelhersteller würden über Nacht allen möglichen Thorne-Mist auf den Markt bringen. Natürlich nur, wenn der Film Erfolg hatte.
Was aber, wenn er ganz schrecklich würde?
Dann wäre mein Nachname bloß noch ein schlechter Witz.
Ärger im Paradies der Spinner
Wir gingen von Bord der Fähre, und erleichtert betrat ich mit Gummibeinen einen gemauerten »Kai«, wie Eamon sagte. Ich hätte es als Anleger oder Marina bezeichnet.
Der Kai reichte ziemlich weit ins Meer und wir hatten einen schönen Blick auf das kleine Hafenstädtchen. Die engen Straßen waren dicht mit bunt angemalten Häuschen bebaut, die sich in der grün-grauen Landschaft an einen Hügel schmiegten.
Moor, dachte ich trübsinnig und gab mich meinen Jane-Eyre-Tagträumen hin. Vielleicht würde ich hier ja in eine düstere Affäre wie aus dem 19. Jahrhundert verwickelt. Oder ich sollte leiden, um meinen Charakter zu stärken, bevor ich nach L.A. zurückkehrte, wo mein Fluch von einem Vater mich in meine Schranken weisen würde. Vielleicht hatte ich immer schon etwas Melodramatisches gehabt …
»Jetzt bist du platt, was?« Eamon betrachtete meinen zweifellos verzauberten Gesichtsausdruck. Der Wind zerzauste seine ohnehin strubbeligen Haare und irgendwann hatte er sich einen Wollpullover mit Zopfmuster übergezogen und gab nun das Paradebeispiel eines irischen Jungen ab – allerdings mit Elfenohren.
»Platt?«, fragte ich nach.
»Irland. Sieht aus, als macht Irland dich platt.«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, sagte ich schnell und verkniff mir ein Lächeln. Mit der einsetzenden Dämmerung wurde es immer kälter. »Wie ruhig es hier ist.«
»Es ist wie Magie«, fügte Ryder hinzu. »Spürst du es?«
Ich lächelte ihm zu. Immerhin hatte er seine nächsten fünf Geburtstage und Weihnachten gegen dieses Erlebnis eingetauscht.
Am Ende des Kais lud Eamon unser Gepäck in einen Van, der an der Uferstraße parkte, und stöhnte unter dem Gewicht meiner Reisetasche. »Früher gab es gar keine Autos auf den Aran-Inseln. Ich weiß nicht, was wir gemacht hätten, wenn wir das ganze Equipment für die Filmarbeiten mit Pferdewagen und Karren hätten transportieren müssen. Wir gehen zu Fuß weiter. Der Gasthof ist ganz in der Nähe.«
»Essen!«, stöhnte Ryder erleichtert. Mein Magen war ganz seiner Meinung. Es war lange her, dass wir zuletzt etwas gegessen hatten.
Ich wollte nicht riskieren, dass Annie geklaut wurde, deswegen schleppte ich sie an den Dutzenden Leihfahrrädern vorbei, die hier herumstanden und nicht mal angeschlossen waren. Was für ein seltsamer Ort! Eamon und Ryder gingen vor mir und schäumten vor Begeisterung geradezu über. Ryder hüpfte beinahe, während Eamon … Ehrlich gesagt wurde ich aus ihm noch nicht schlau.
Annie wurde immer schwerer und mein Abstand zu den beiden immer größer.
Eamon blieb stehen und drehte sich zu mir um. »Soll ich das Mädel mal tragen?«
»Alles gut.« Ich nahm die Gitarre in die andere Hand. »Warum starrst du mich so an?«
»Hat dir schon mal jemand gesagt, wie sehr du deiner Großmutter ähnelst?«
»Ja.«
»Es liegt an den dunklen Haaren und den klaren, fast andersweltlichen Augen. Fast die gleiche Farbe. Das gibt es nicht so oft.«
Ich blinzelte ihn mit meinen sehr weltlichen Augen böse an und er drehte sich wieder um. Ich band mir die Haare für gewöhnlich zusammen. Auf ihren Autogrammkarten hatte Grandma Mae ihre langen Haare immer offen; mehr konnte ich nicht tun, um mich von ihr abzugrenzen.
Der Sonnenuntergang tauchte den Himmel in gedämpfte Farben, aber ich fühlte mich wacher. Wahrscheinlich, weil ich in L.A. um diese Zeit aufgestanden wäre. Trotzdem musste ich zugeben, dass Irland einen gewissen Charme besaß. Selbst jetzt im Zwielicht war alles noch grüner und blauer als bei den rot-orangenen Sonnenuntergängen, die ich gewohnt war, und durch den Mangel an Menschen wirkte die ganze Insel wie ein Film, der in Zeitlupe vorgeführt wurde.
»Wie viele Menschen wohnen hier?«, rief ich.
»Ungefähr eintausend, schätze ich mal, aber sie müssen mit enormen Touristenströmen fertigwerden.« Eamon führte uns zu einem Gasthof, der nicht viel mehr als eine alte, weiß getünchte Scheune inmitten verwitterter Picknicktische zu sein schien. Tí Joe Watty’s stand in krummen Buchstaben unter einer Geige auf der Vorderfront.
»Eine Fidel«, sagte Eamon, als wollte er meine Gedanken korrigieren. »Komm, alle freuen sich auf euch.«
Alle?
Er wuchtete die äußere Tür auf, Ryder rannte auf die innere zu, und dann sahen wir alle. Mindestens fünfzig Schauspieler und Teammitglieder, alle mit erhobenen Gläsern. Mitten in dem schummrigen Schankraum stand die zierliche Cate Collins auf einem Stuhl und hob ebenfalls ihr Glas. »… nicht gerade ein gelungener erster Drehtag an dieser Location, aber …« Als sie uns sah, hielt sie inne. »Schaut mal, was für ein Glück wir haben! M.E. Thornes Enkelkinder sind gekommen, um die Dreharbeiten zu segnen.«
Das wüsste ich aber!
»Hallo, Leute!«, rief Ryder.
Alle lachten, dann tönte es aus allen Kehlen: »Sláinte!«
»Das ist Irisch für ›Prost‹«, sagte Eamon.
»Ich weiß«, murmelte ich, obwohl das gar nicht stimmte.
Cate eilte auf uns zu. Ihre kurz geschorenen Haare waren wunderbar grau, die Lachfalten rund um ihre Augen wie eingemeißelt, aber trotz alledem wirkte sie jung. Vor Nervosität wurde mir ganz kribbelig; es war die gleiche Nervosität, die mich schon vor Monaten in L.A. ergriffen und all meine Alarmglocken in Sachen Thornier schrillen lassen hatte.
Irgendwann hatten mein Dad, Ryder und ich den Köder geschluckt und den Weg zum Parkplatz und ins Büro von Vantage Pictures gefunden, wo Cate vor Freude, uns zu sehen, fast weinte. »Elementia hat mir das Leben gerettet«, hatte sie gesagt und hielt meine Hand so fest, als wollte sie sie abschrauben und in einem Reliquienschrein aufbewahren. Sie schilderte, wie sie sich den Film vorstellte. Die Dreharbeiten standen damals kurz bevor. Cate glaubte ganz fest daran, dass Elementia als die feministische Antwort auf Tolkiens männerdominierte Welt gefeiert und ihr Heimatland Irland ebenso zur Touristenattraktion werden würde wie Neuseeland seit den Dreharbeiten zu den Herr der Ringe-Filmen.
Ich schaute mich in der rustikalen Einrichtung von Tí Joe Watty’s um und dachte, dass Irland vielleicht einmal das 19. Jahrhundert hinter sich lassen sollte, wenn es vom Rest der Welt beachtet werden wollte. Doch dann erinnerte mich das lachende, bechernde Produktionsteam daran, dass eine Menge Leute auf genau dieses Ambiente abfuhren.
Cate umarmte Ryder zu fest. Ich schob die beiden auseinander und ignorierte, dass Ryder sie auch fest drückte.
»Wir haben Hunger«, sagte ich.
»Ja, klar!« Cate führte uns an einen Tisch, und zügig wurden gehaltvolle Sandwiches und »Chips« gebracht.
»Das sind doch keine Chips«, sagte ich, überwiegend zu mir selbst. »Das sind Pommes.« Überrascht war ich eigentlich nicht, nur müde.
»Was ist das bloß für eine Welt, in der es verschiedene Wörter für Dinge gibt«, kommentierte Eamon und setzte sich zu dicht neben mich. Seine kristallinen Augen waren schon wieder drauf und dran, schelmisch zu zwinkern, und ich wollte ein Stück von ihm abrücken, aber das ging nicht. Zu fünft saßen wir zusammengequetscht an einem runden Tischchen für zwei. Eamon, Ryder, Cate und ich. Dazu wurde uns ein dünner Mann mit Schlapphut vorgestellt, der über einem Notizbuch kauerte. »Das ist Henrik«, sagte Cate. »Unser künstlerischer Leiter.«
Henrik blinzelte mich durch dunkle Brillengläser an. »Ich sorge dafür, dass auch Menschen, die die Bücher nicht auswendig gelernt haben, den Film verstehen.«
Ich mochte ihn sofort und sprach ihn so formlos an, wie man es mir eingeschärft hatte, weil das in Filmkreisen angeblich üblich war. »Du bist wohl kein Fantasy-Fan?«
»Ich habe jemand anderem die Treue geschworen.« Er zog den linken Hemdsärmel hoch und zeigte uns ein Tattoo mit den stilisierten Initialen J.R.R. Tolkiens auf der gebräunten Haut seines Unterarms. Herrgott, haben denn alle Fantasy-Nerds einen Tattoo-Tick? »Ich bevorzuge die originale Trilogie.«
»Ich bitte dich, Henrik! M.E. Thorne hat doch nicht bei Tolkien abgeschrieben!« Cate schien nahtlos an eine laufende Auseinandersetzung anzuknüpfen. »Bei Thorne geht es um Frauen, die die Welt retten. Tolkien dagegen hält es mit George Lucas’ Prinzip ›eine Frau pro Universum reicht‹.«
»Galadriel, Arwen, Éowyn«, zählte Henrik auf.
»Ach was? Ganze drei? Das ist natürlich was anderes. Drei Frauen pro Universum also, aber dann reicht’s offenbar wirklich.«
»Lúthien«, schnappte Henrik. »Und was ist mit Haleth, der Jägerin? Immerhin tötet sie Tausende von Orks.«
»Die Figuren aus dem Silmarillion zählen nicht«, sagte Cate. »Das ist ein ganz anderes Buch.«
Ryder folgte der Debatte mit breitem Grinsen, und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, mich einzumischen.
»Ich verstehe, was Henrik meint«, sagte ich und freute mich über Cates Grummeln. »Elfen. Magische Bäume. Eine Welt in Gefahr. Für mich klingt das alles sehr nach Mittelerde.«
Henriks triumphierendes Grinsen hatte etwas Trollhaftes.
»Auf diesem Gebiet herrscht doch pure Anarchie«, sagte Cate. »Erstens basieren all diese Fantasiegeschichten auf den Canterbury Tales. Alle wie sie da sind, Tolkien, Lewis, Thorne, Rowling etc. pp. hätten Chaucer die Urheberrechte zuschreiben sollen, inklusive der entsprechenden Honorare.« Sie sah mich an. »Und zweitens: Warum erkennst du nicht, was für ein geniales Erbe deine Großmutter hinterlassen hat?«
»Ich habe ihre Bücher nicht gelesen«, verkündete ich stolz. »Ich bin …«
»Lass dich nicht blenden, Cate«, ging Eamon dazwischen, verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich an. »Ryder sagt, euer Vater hat ihm die Bücher vorgelesen, als er sechs war. Willst du etwa behaupten, dein Vater hätte sie dir nicht vorgelesen, als du klein warst? Ich glaube dir kein Wort!«
Hatte ich schon beim Eintreten das Gefühl gehabt, dass ich puterrot war, so musste ich jetzt wie Lava glühen. Nein, mein Vater hatte mir die Bücher nicht vorgelesen, und dass er sie Ryder vorgelesen hatte, war Teil seiner Therapie, nachdem er beinahe entführt worden war. Lauter denn je hörte ich meinen Vater sagen: Sag nichts, Iris! Mit diesen Leuten kann man nicht argumentieren.
Cate und Eamon ließen von mir ab und sprachen über seine Elfenohren. Dann winkten sie eine junge Frau herbei, die nicht viel älter zu sein schien als ich. Auf einer Seite ihres Kopfes waren ihre Haare abrasiert, auf der anderen zu pinken und gelben Ringellocken eingedreht. Sie trug fingerlose Handschuhe und hatte keinerlei Scheu vor ihrer Regisseurin. Was hätte ich nicht gegeben, um wie sie zu sein. Künstlerisch angehaucht. Mutig. Selbstsicher. Mit Mädels wie ihr legte man sich nicht an. Mit Mädels wie mir legte man sich jederzeit an. Mädels mit langen Haaren ohne eindeutige Frisur. Mädels, die genug Make-up trugen, um es aussehen zu lassen, als trügen sie keins. Mädels mit anständiger Kleidung, die keiner besonderen Mode folgten. Kurz gesagt: Mädels, die man für ihre verstorbene Großmutter halten könnte.
»Das ist Iris«, sagte Eamon. »M.E. Thornes Enkelin. Sie freut sich wahnsinnig, endlich hier zu sein.« Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich schon vor dieser Vorstellung ziemlich mürrisch dasaß.
Die junge Frau streckte mir die Hand entgegen. »Roxanne. Maskenbildnerin.« Na, super! Sogar ihr Name war cool.
Ich rang mir ein steifes Lächeln ab und schüttelte ihr über dem winzigen Tisch die Hand.
»Roxy hat meine Ohren gemacht«, sagte Eamon. »Sie war auch an Shannara beteiligt, das du vorhin so lobend erwähnt hast.« Roxanne strahlte; offenbar sollte es also kein Witz sein. Süffisant fragte er mich: »Kommen in der Sendung viele Elfen vor?«
»Wir nennen es eine TV-Serie«, sagte ich. O mein Gott, ich würde mich noch gezwungen sehen, Eamon O’Brien umzubringen. Dabei hatten wir uns gerade erst kennengelernt. Cate sah mich enttäuscht an und auch dagegen hatte ich etwas. »Ich habe bis jetzt nur die Werbung dafür gesehen. Coole Optik. Ich werde es auf meine Liste setzen.« Das sagte ich, damit Roxanne mich nicht für eine komplette Zicke hielt.
Sie schenkte mir ein halbes Lächeln. Sie wusste, dass ich sie nicht beleidigen und dass Eamon mich nur ärgern wollte. Sie wusste, dass ich nicht das geringste Interesse daran hatte, hier zu sein. Und all das wusste sie, weil Mädels nur dann so cool werden wie sie, wenn sie immer und überall alles ganz genau wahrnehmen.
Ich starrte auf meine Pommes/Chips, bis mich alle in Ruhe ließen. Angesichts der Wahrheit, die sich auf der Fähre in meine Gedanken geschlichen hatte – dass diese Produktion viel größer war, als ich geahnt hatte –, rückte ich meinen Stuhl näher an Henriks. Er hob eine Augenbraue. »Warum war es kein guter erster Tag?«, fragte ich. »Was ist schiefgegangen?« Klasse, Iris!
Henrik schaute auf sein Notizbuch und murmelte: »Cate dreht chronologisch. Sie findet, das hilft den Schauspielern, sich in die Geschichte einzufühlen. Aber auf diese Weise läuft einem die Zeit davon. Zudem haben wir ganze zwei Wochen für einen Dreh, der eigentlich einen Monat in Anspruch nehmen würde. Heute haben wir den ganzen Tag darauf gewartet, dass sich die Wolken verziehen. Und das für eine einzige Einstellung, die wir an einem anderen Tag innerhalb einer Stunde im Kasten gehabt hätten.«
»Aber jetzt haben wir die Einstellung, nicht wahr, Henrik?« Cate hörte uns also zu. Henrik nickte, und Cate richtete ihren irischen Akzent, der nach mehreren Jahrzehnten in Kalifornien etwas verblasst war, an mich. »Dein Vater hat mir gemailt. Es ging um dich. Er hat geschrieben, dass du manchmal ziemlich negativ bist.« Ich biss mir auf die Zunge – wirklich. Wer im Glashaus sitzt …, dachte ich. »Aber ich wette, dass wir aus dir noch einen glühenden Thorne-Fan machen.«
Ryder lachte laut auf und hustete dabei die Pommes aus, die er sich gerade in den Mund gestopft hatte. Ich klopfte ihm auf den Rücken und klatschte gegen Eamons Hand, der ebenfalls helfen wollte. Ich stieß seine Hand weg. Dieser Typ trat mir zu schnell zu nahe. Alle anderen auch. »Was ist das hier?«, fragte ich genervt. »Ein Umerziehungslager für Fantasy-Muffel oder der Drehort eines großen Kinofilms?«
Cate beugte sich vor. »Vielleicht beides.«
»Iris schreibt Songs, Cate«, sagte Eamon. »Sie hat sogar ihre Gitarre mitgebracht.«
Cate schien interessiert, und ich musste so schnell wie möglich der nächsten Inquisition entkommen.
»Wo sind die WCs?«, fragte ich.
»Wir nennen sie Toiletten«, sagte Eamon, immer noch mit neckendem Tonfall und immer noch im Unklaren darüber, wie unlustig ich das alles fand.
»Das nenne ich mal direkt«, schoss ich zurück.
Eamon hob die Augenbrauen, zeigte mir aber die Richtung.
Ich quetschte mich hinter dem Tisch hervor, während Ryder mich wie ein Terrierwelpe mit schief gelegtem Kopf beobachtete. Bestimmt fragte er sich, warum seine große Schwester immer alles so schwierig machen musste.