Buch
Egal ob das plötzliche Karriereaus, eine unerwartete Trennung oder die Schwierigkeit mit vierzig eine neue Sportart zu erlernen – die wirklich großen Momente unseres Lebens erwachsen immer aus einer Krise. Die inzwischen höchst erfolgreiche englische Journalistin und Autorin Elizabeth Day zeigt auf einfühlsame Weise, was für ein Glücksfall es ist, wenn nicht alles glattläuft im Leben: »Das Scheitern hat mich Lektionen gelehrt, die ich sonst nie begriffen hätte.« Ermutigend, inspirierend und mit vielen Beispielen erklärt Elizabeth Day, dass wir uns nicht länger über unsere vermeintlichen Misserfolge definieren dürfen. Denn wenn wir verstehen, warum wir etwas nicht geschafft haben, gewinnen wir Kraft und Stärke. Höchste Zeit, das Streben nach Perfektion abzulegen, das so viele Frauen antreibt. Keine Angst mehr vorm Versagen! Lasst uns aus unseren Fehlern lernen und selbstbewusst, stark und gelassen weitergehen!
Autorin
Elizabeth Day schreibt als mehrfach ausgezeichnete Journalistin für The Times, Telegraph, Guardian, Observer, Harper’s Bazaar und Elle. Außerdem hostet sie den erfolgreichen Podcast How To Fail With Elizabeth Day. Sie ist in Nordirland aufgewachsen, hat in Cambridge studiert und lebt in London.
Elizabeth Day
HOW
TO
FAIL
Warum wir erst durch Scheitern
richtig stark werden
Aus dem Englischen
von Sylvia Bieker und Henriette Zeltner
Die englische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »How To Fail. Everything I’ve Ever Learned from Things Going Wrong« bei 4th Estate, an imprint of HaperCollins Publishers, London.
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Deutsche Erstveröffentlichung April 2020
Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Copyright © 2020 dieser Ausgabe by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Copyright der Originalausgabe © 2019 by Elizabeth Day
Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München
Redaktion: Antje Steinhäuser
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
KF · Herstellung: kw
ISBN: 978-3-641-24909-0
V001
www.goldmann-verlag.de
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Für meine Patenkinder:
Imogen, Tabitha, Thomas, Walt, Billy, Uma, Eliza, Elsa und Joe
Scheitern ist die Würze,
die dem Erfolg Geschmack verleiht.
TRUMAN CAPOTE
Einleitung
Wenn man nicht dazugehört
Scheitern und Prüfungen
Scheitern ab zwanzig
Scheitern und Dating
Scheitern und Sport
Scheitern und Beziehungen
Scheitern als Gwyneth Paltrow
Scheitern am Arbeitsplatz
Scheitern und Freundschaft
Scheitern und Kinderkriegen
Scheitern und Familie
Scheitern und Wut
Scheitern und Erfolg
Schluss
Dank
Eine meiner frühesten Erinnerungen ist eine ans Scheitern.
Ich bin drei Jahre alt, und meine Schwester ist gerade krank. Sie hat die Windpocken und liegt fiebernd und wimmernd oben in ihrem Kinderzimmer. Die Bettdecke hat sich um ihre kleinen Arme und Beine gewickelt, während meine Mutter versucht, sie zu beruhigen, indem sie ihr die Hand auf die Stirn legt. Meine Mutter hat immer kühle Hände, die sich bei Fieber sehr angenehm auf der Haut anfühlen.
Ich bin es nicht gewohnt, meine Schwester so zu sehen. Sie ist vier Jahre älter und war für mich bisher immer der Inbegriff von Klugheit. Ich verehre und bewundere sie gleichermaßen. Sie passt auf mich auf und lässt mich auf ihrem Rücken sitzen, während sie auf allen vieren durchs Zimmer krabbelt und so tut, als wäre sie ein Pferd. Sie ist diejenige, die vor meiner Geburt unseren Eltern entschieden erklärte, dass sie gerne eine Schwester hätte und sie sich nur ja Mühe geben sollten, eine zustande zu bringen. Immer wenn meine Schwester ein Bild malt oder eine Lego-Burg baut, ist das Ergebnis so viel besser als meine eigenen Versuche. Über diese vermeintliche Ungerechtigkeit kann ich richtig wütend werden, weil ich mir doch so verzweifelt wünsche, dass wir gleich wären, sie und ich. Meine Mutter muss mich dann immer daran erinnern, dass ich jünger bin und nur ein paar Jahre zu warten brauche, um sie einzuholen. Aber ich bin ungeduldig und will nicht warten. Ich wünsche mir mehr als alles andere, so wie meine Schwester zu sein.
Als ich sie jetzt sehe, mit nassen Wangen und bleichem Gesicht, bin ich erschrocken und verärgert. Ich will nicht, dass es ihr in irgendeiner Weise nicht gutgeht. Unsere Mutter fragt sie, was sie sich wünscht, damit es ihr besser ginge. Da jammert meine Schwester: »Eine Wärmflasche«. Und ich sehe eine Möglichkeit zu helfen. Ich weiß, wo unsere Mutter die Wärmflaschen aufbewahrt. Also tapse ich zu dem entsprechenden Schrank und hole mein Lieblingsexemplar heraus: mit einem kuscheligen Überzug und einem schwarzen Punkt, sodass das Ding wie ein Bär mit einer Knopfnase aussieht. Ich weiß, dass man eine Wärmflasche, wie der Name schon sagt, mit warmem Wasser füllen muss. Ich nehme den Bär mit ins Badezimmer. Das ist der Ort, den ich mit den verhassten Abenden verbinde, an denen meine Mutter mir die Haare wäscht und ich die Augen fest auf den Riss in der Zimmerdecke gerichtet halte, bis die unangenehme Prozedur vorbei ist. Das Einzige, was ich noch mehr hasse als Haarewaschen, ist Fußnägelschneiden.
Weil ich an den Wasserhahn am Waschbecken nicht herankomme, nehme ich den an der Badewanne. Ich beuge mich über den Rand aus weißem Email und muss mich strecken, um die Öffnung darunter zu halten. Dann drehe ich den Hahn mit dem roten Kreis auf, nicht den mit dem blauen, denn ich weiß schon, dass Blau kalt bedeutet. Was ich nicht weiß, ist, dass man warten muss, bis das Wasser heiß wird. Ich stelle mir vor, es fließt automatisch mit der gewünschten Temperatur heraus.
Als ich versuche, die Wärmflasche wieder zuzuschrauben, schaffe ich das mit meinen Patschehändchen nicht richtig. Egal, denke ich, das Wichtigste ist ja, diese Wärmflasche so schnell wie möglich der Patientin zu bringen. Damit sie sich bald wieder besser fühlt, aufhört zu weinen und wieder zu meiner unerschütterlichen, ruhigen und klugen großen Schwester wird.
Zurück im Kinderzimmer überreiche ich die Wärmflasche meiner Schwester, deren Tränen bei ihrem Anblick tatsächlich versiegen. Meine Mutter sieht überrascht aus, und ich bin stolz, etwas geleistet zu haben, das sie nicht erwartet hat. Aber kaum hat meine Schwester die Wärmflasche in der Hand, löst sich der Verschluss und kaltes Wasser läuft über ihren ganzen Pyjama. Sie heult auf, und das klingt noch schlimmer als das Weinen vorhin.
»Das ist so k-k-kalt!«, stottert sie und starrt mich verständnislos an. Meine Mutter beginnt sofort, das Bett abzuziehen, und versichert ihr, alles würde wieder gut. Beide scheinen zu vergessen, dass ich überhaupt dastehe. Heftige Scham flammt in meiner Brust auf. Ich habe das schreckliche Gefühl, den Menschen, den ich auf der ganzen Welt am meisten liebe, enttäuscht zu haben, obwohl ich doch nur helfen wollte. Ich bin mir nicht sicher, was ich falsch gemacht habe, aber mir dämmert, dass man Wärmflaschen wohl nicht auf diese Weise befüllt.
Meine Schwester erholte sich auch ohne mein Zutun von den Windpocken, und ich lernte zu gegebener Zeit, dass man Wasser im Kessel erhitzt, dann einige Minuten wartet, bevor man es vorsichtig durch den Gummihals einfüllt, und den Verschluss so fest wie möglich zuschraubt, nachdem man die überschüssige Luft herausgedrückt hat. Ich lernte auch, dass guten Absichten zum Trotz die Ausführung einer Aufgabe daran scheitern kann, dass man nicht über genügend Erfahrung verfügt. Dies ist eine der lebhaftesten Erinnerungen an meine Kindheit: Meine Unfähigkeit zu helfen, als ich es mir am meisten wünschte, hinterließ enorm großen Eindruck bei mir.
Es war ja eigentlich kein großes oder außerordentliches Scheitern, aber eine Niederlage muss auch gar nicht besonders bemerkenswert sein, um Bedeutung zu haben. In späteren Jahren würde ich größere Niederlagen erleben, die schwerer zu verwinden waren. So fiel ich beispielsweise durch Prüfungen und den Führerschein.
Es gelang mir nicht, den Jungen, der mir gefiel, für mich zu interessieren.
Ich gehörte in der Schule nicht wirklich dazu.
In meinen Zwanzigern kannte ich mich selbst nicht gut genug, was zu einer Reihe von Langzeitbeziehungen führte, in denen ich mein Selbstempfinden einem anderen überließ.
Ich begriff damals nicht, dass Gefallsucht niemals eine erfüllende Lebensweise sein konnte. Dass, wenn man versucht, anderen zu gefallen, man am Ende sich selbst nicht gefällt. Einfach weil man dabei versucht, das schwindende Selbstvertrauen durch das Sammeln positiver Rückmeldungen anderer zu stützen, ohne zu begreifen, dass das nicht funktioniert. Es ist ungefähr so, als würde man einen feuerspeienden Drachen ignorieren, indem man eine Kerze an seiner Flamme anzündet.
Ich scheiterte in einer Ehe und ließ mich mit sechsunddreißig scheiden.
Ich bekam die Kinder nicht, von denen ich immer geglaubt hatte, sie mir zu wünschen.
Ich versagte wieder und wieder im Tennis, egal, mit wie viel Selbstvertrauen ich auf den Platz ging.
Es gelang mir nicht, große, schwierige Gefühle wie Wut oder Trauer zuzulassen. Lieber kaschierte ich sie mit einfacheren, geschmeidigeren wie Traurigkeit.
Ich scheiterte, weil ich zu viel Aufmerksamkeit auf Unwichtiges und Dinge, die ich ohnehin nicht kontrollieren konnte, verwendete.
Ich schaffte es nicht, zu widersprechen und mir Gehör zu verschaffen, wenn man mich im Job übervorteilte und in Beziehungen ausnutzte.
Ich konnte meinen eigenen Körper nicht lieben. Das gelingt mir bis heute nicht. Es ist eine ständige Herausforderung, aber immerhin mag ich meinen Körper inzwischen schon lieber als früher. Ich bin jetzt dankbar für die Ehre, dieses wundersame, funktionierende Gebilde bewohnen zu dürfen.
Sich selbst zu akzeptieren, das ist meiner Ansicht nach ein revolutionärer Akt, der im Stillen passiert. Jahrelang scheiterte ich auch daran.
Im Laufe der Jahre habe ich geliebt und verloren. Mein Herz wurde gebrochen. Ich wechselte meine Jobs, verließ Häuser und Länder. Ich schloss neue Freundschaften und verabschiedete mich von alten. Ich ertrug Zusammenbrüche und Trennungen.
Ich wurde älter, lernte mich besser kennen. Endlich begriff ich, warum man Geld für Koffer mit Rädern und Winteranoraks ausgibt. Während ich das hier schreibe, steht mein vierzigster Geburtstag an. Damit bin ich älter als meine Mutter damals, in meiner frühen Erinnerung an die Sache mit der Wärmflasche und der schwesterlichen Zuneigung. Inzwischen habe ich eines bei diesem schockierend schönen Abenteuer namens Leben gelernt: Das Scheitern hat mich Lektionen gelehrt, die ich sonst nie begriffen hätte. Meine Weiterentwicklung ist eher eine Folge von Dingen, die schiefgelaufen sind, als davon, dass alles glattging. Krisen führten zu Klarheit und manchmal sogar zur Katharsis.
Im Oktober 2017 endete eine ernsthafte Beziehung. Die Trennung kam unerwartet und brutal plötzlich. Kurz bevor ich neununddreißig wurde. Meine Scheidung lag gute zwei Jahre zurück. Das war kein Alter, in dem ich erwartet hatte, Single und kinderlos zu sein und in eine ungewisse persönliche Zukunft zu blicken. Ich brauchte, im Sprachgebrauch der modernen Selbsthilfe-Kultur, Heilung.
Also ging ich nach Los Angeles, in eine Stadt, die ich immer wieder aufsuche, um meine Akkus aufzuladen und zu schreiben. Es ist ein Ort, an dem ich leichter atmen kann, weil ich sicher weiß, dass die Sonne mit größter Wahrscheinlichkeit auch morgen scheinen wird. Außerdem bedeutet die Zeitverschiebung von acht Stunden, dass nach 14 Uhr zum Glück nur noch wenige E-Mails eingehen werden. Ich schrieb damals als Ghostwriter die Autobiografie einer politischen Aktivistin. Obwohl ich mich verletzlich und wie einer Hautschicht beraubt fühlte, verbrachte ich meine Tage damit, die Stimme einer starken Frau anzunehmen, die genau wusste, was sie dachte. Das war ein spannender Gegensatz: nach einem Arbeitstag am Laptop, an dem ich die kraftvollen und eloquenten Überzeugungen dieser Frau in Worte gefasst hatte, wieder zu meinem verunsicherten Ich zurückzukehren. Aber es half. Nach und nach fühlte auch ich mich wieder stärker.
Damals in L.A. hatte ich erstmals die Idee zu dem Podcast »How To Fail With Elizabeth Day«. Ich hatte mir eine Menge Podcasts runtergeladen, weil mich nach der Trennung Musikhören traurig machte und Stille einsam. Einer der Podcasts, die ich abonniert hatte, war Where Should We Begin? der berühmten Paartherapeutin Esther Perel. Wo sollen wir anfangen? Darin stimmten anonyme Paare zu, dass ihre Problemgespräche mitgeschnitten wurden. Perel brachte die Paare zum Reden und vermittelte behutsam ihre Einschätzungen. Ich fand es faszinierend, wie die Patienten ihre verletzlichsten und intimsten Seiten preisgaben. Gleichzeitig sprach ich mit meinen Freundinnen und Freunden über Herzeleid und Verlust und hörte mir ihre diesbezüglichen Erfahrungen und Weisheiten an.
Ich begann zu überlegen, wie es wäre, eine Reihe von Interviews mit Leuten darüber zu führen, was sie daraus gelernt hatten, wenn Dinge schiefgelaufen waren. Wenn ich mein eigenes Leben betrachtete, wusste ich, dass die Lektionen, die mir Episoden des Scheiterns beschert hatten, unsagbar viel tiefgründiger waren als alles, was ich seinem glatten heimlichen Zwilling, dem Erfolg, verdankte. Ob andere Leute das genauso empfanden, sich aber aus Furcht vor der Peinlichkeit nicht darüber zu reden trauten? Was wäre, wenn wir darüber sprechen müssten, um uns besser und weniger isoliert zu fühlen, wenn das Leben nicht nach Plan lief?
Wir leben in einem Zeitalter der betreuten Perfektion. Auf Instagram werden unsere täglichen Posts gefiltert und manipuliert, um dem Eindruck zu entsprechen, den wir vermitteln wollen. Wir sind einer permanenten Flut ausgesetzt, von Promis, die ihre Bikini-Figur-Selfies teilen wollen, von gestylten Clean-Eating-Gurus, die uns erklären, welches Quinoa-Getreide wir essen sollen, von Politikern, die Bilder von den Großtaten posten, die sie in ihren Wahlbezirken vollbringen. All das kann sich schon überwältigend anfühlen. In dieser Blase lächelnder, glücklicher Menschen, übersät mit Lachgesicht-Emojis und Herzchen-GIFs, bleibt kaum noch Raum für sinnstiftende Reflexion.
Doch es ändert sich etwas. Inzwischen findet man in den sozialen Medien schon leichter diese bewundernswerten Menschen, die es wagen, offen von ihren Problemen mit allem Möglichen – von Body-Image bis zu psychischen Erkrankungen – zu berichten. Manchmal allerdings fühlen sich solche Beiträge genauso manipuliert an wie alles andere. Als wäre Ehrlichkeit einfach nur ein weiterer Hashtag geworden.
Und dann sind da ja noch die Meinungen. Endlose, lautstarke Meinungen, generiert durch einen bloßen Klick auf den Tweet-Button. Als ehemalige Journalistin der Guardian Media Group, die als einer der ersten Zeitungsverlage Online-Kommentare nicht nur hinter einer Bezahlschranke zuließ, kann ich persönlich bezeugen, was für eine Menge aggressiver, rechthaberischer Internet-Wut da draußen vorhanden ist. In meinen acht Jahren als Feature-Autorin beim Observer wurde mir einfach alles unterstellt – von Sand in meiner Vagina bis zu Unkenntnis über den Unterschied zwischen Misogynie und Misandrie. Es hieß auch, man hätte mich nur eingestellt, weil ich eine Frau bin oder irgendwelche heimlichen nepotistischen Beziehungen zu den Mächtigen hätte (hatte ich nicht). Und wenn mir dann mal ein Fehler unterlief – weil ich auch nur ein Mensch bin, manchmal mit Deadline schreiben musste und vielleicht etwas durchrutschte, was auch die Korrektoren übersehen hatten –, dann kam es gleich zu einer bellenden Hetze, die in sofortiger Verdammung gipfelte. Natürlich hätten meine Fakten stimmen sollen, genau wie bei jeder anderen Journalistin oder jedem Journalisten – aber dieser Aufschrei fühlte sich im Verhältnis zur Verfehlung schlicht überzogen an.
In diesem Klima wird es zunehmend schwierig, neue Dinge auszuprobieren oder Risiken einzugehen, weil man die sofortige öffentliche Schmähung fürchtet. Ein guter Freund von mir, Jim, war im Amerika der 1960er-Jahre Bürgerrechtsanwalt. Er nahm damals Fälle an, bei denen er keine Hoffnung hatte, sie zu gewinnen. Einfach weil es moralisch richtig war. In letzter Zeit fühlt er sich entmutigt, wenn er sieht, dass die von ihm als Mentor betreuten Junganwälte zu viel Angst haben, sich in Fällen zu engagieren, bei denen ein für sie positives Urteil nicht garantiert ist.
»Und dann sage ich zu ihnen: Versucht es doch wenigstens mal! Ihr müsst auch mal scheitern, um zu erkennen, wie man es richtig macht«, erzählte Jim mir einmal bei einem Abendessen. »Wen kümmert es, was andere Leute denken? Wenn du ganz allein auf einer einsamen Insel strandest und ums Überleben kämpfst, wirst du dann etwas drauf geben, was andere denken? Nein! Weil du viel zu beschäftigt damit bist, mit einer Lupe Feuer zu machen und vorbeifahrenden Schiffen ein Zeichen zu geben, damit du nicht krepierst.«
Aber Jims Junganwälte sind in einer Zeit aufgewachsen, in der man Versagen als Endpunkt betrachtete und nicht als nötigen Zwischenstopp auf einer Reise zu größerem Erfolg. In einer Gesellschaft, in der jeder den Anspruch erhebt und ermutigt wird, reflexartig auszuteilen und auf allen möglichen Plattformen gleichzeitig zu kritisieren. Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als Erfolg zur überwältigenden Erwartung geworden ist, gilt Scham als öffentliches Leiden. Kein Wunder, dass diese jungen Juristen sich wie gelähmt fühlten. Kein Wunder, dass wir davor zurückschrecken, unsere Fehler oder falschen Entscheidungen zuzugeben.
Und doch wollte ich, je länger ich darüber nachdachte, meinen Niederlagen Anerkennung zollen, weil erst sie mich zu der gemacht haben, die ich bin. Obwohl negative Erfahrungen nie ein Vergnügen sind, bin ich rückblickend dankbar für sie. Ich sehe, dass ich wegen ihnen andere, bessere Entscheidungen getroffen habe. Ich kann sehen, dass ich stärker geworden bin.
So kam es zu »How To Fail With Elizabeth Day«, einem Podcast, in dem ich »erfolgreiche« Leute fragte, was sie aus Niederlagen gelernt haben. Die Prämisse war ganz einfach: Ich bat jeden Interviewgast, mir drei Beispiele dafür zu nennen, wo er oder sie gescheitert war. Erlaubt war alles, von misslungenen Dates, verhauenen Führerscheinprüfungen bis zu Jobverlust und Scheidung. Das Schöne daran war, dass der Gast die Kontrolle darüber hatte, was er oder sie besprechen wollte, und sich folglich im besten Fall bereitwilliger öffnete. Mir war auch klar, dass die Entscheidungen jedes Gasts auch schon für sich sprechen würden.
Nachdem ich siebzehn Jahre lang Prominente für Zeitungen und Zeitschriften interviewt hatte, empfand ich die Aussicht, eine Begegnung nicht auf einen bestimmten Aspekt hin, den ein gewisser Chefredakteur sich wünschte, schreiben zu müssen, als großartige Befreiung. Ich zeichnete die Sendung live auf, ungefähr fünfundvierzig Minuten bis eine Stunde, und ließ dann das Interview für sich selbst sprechen: als ehrliche Konversation über Themen, die sonst nicht so viel Sendezeit bekommen.
Als die erste Folge des Podcast live gestellt wurde, interessierten sich über Nacht Tausende Hörer dafür. Die zweite katapultierte sich in die iTunes-Charts – noch vor My Dad Wrote a Porno, Serial und Desert Island Discs. Nach der achten Episode war ich plötzlich bei 200 000 Downloads und besaß einen Buchvertrag. Täglich bekam ich Dutzende Nachrichten von besonderen Menschen, die schwierige Dinge durchmachten und mich wissen lassen wollten, wie sehr der Podcast ihnen dabei geholfen hatte.
Die Frau, der man mit fünfzehn gesagt hatte, sie würde niemals Kinder zur Welt bringen können.
Der Werbemanager, dem man wegen chronischer Fatigue seinen Job gekündigt hatte.
Der Mann, den ich einst für eine Zeitung interviewt hatte, meldete sich bei mir, um zu erzählen, dass seine Mutter sich nach einer Stammzellen-Transplantation und neun Tagen Chemo auf der Intensivstation befände. Sie könne kaum atmen oder sprechen, aber sie würde meinem Podcast lauschen, weil sie das so beruhige. »Es bewirkt eine echte Besserung«, schrieb er. Ich las das, während ich mir gerade einen Toast machte, und brach in Tränen aus. Der Toast verbrannte.
Der Universitätsprofessor, der meinte, er habe dadurch die Problematik weiblicher Unfruchtbarkeit begriffen und könne jetzt seine Frau und die Töchter besser verstehen.
Die gut zwanzigjährige Studentin, die mir in ihrer Nachricht jegliche Hilfe anbot, weil sie die Idee so überzeugend fand.
Diejenigen, die mir berichteten, sich weniger allein, weniger beschämt, weniger traurig, weniger bloßgestellt zu fühlen.
Diejenigen, die mich wissen ließen, sie seien jetzt besser imstande, mit etwas fertigzuwerden, positiver und fühlten sich eher verstanden.
Diejenigen, die mir von Selbstmordgedanken in der Vergangenheit erzählten, mir depressive Episoden gestanden und ihr Leben mit einer Offenheit vor mir ausbreiteten, die mich ehrte.
All diese Menschen hatten zugehört. All diese Menschen überzeugte die Idee, die Arthur Russell auf so elegante Weise im Refrain von »Love Comes Back« ausdrückt: dass – ›being sad is not a crime‹ – Traurigkeit kein Verbrechen ist und Scheitern mehr bedeutsame Lektionen lehrt als Erfolg ohne Umwege.
Ich war überwältigt und gerührt. Insgeheim überraschte mich auch, welche Saite ich da offenbar zum Klingen brachte. Persönlich war ich schon lange davon überzeugt gewesen, dass Ehrlichkeit im Hinblick auf die eigenen Schwächen der Ursprung wahrer Stärke sei, doch erzeugte diese Botschaft eine Resonanz, die ich mir nicht hätte träumen lassen.
Der Podcast ist zweifellos das mit Abstand Erfolgreichste, was ich je zustande gebracht habe. Und mir ist die Ironie, die darin liegt, durchaus bewusst. Sie entging auch anderen nicht. Eine meiner Freundinnen begann jede Nachricht an mich mit den Worten: »An die berühmte Versagerin, Elizabeth Day«. Es gab auch Kommentare, in denen argumentiert wurde, eine Vielzahl von Prominenten in meinem Podcast über verlorene Kricketpartien (Sebastian Faulks) oder peinliche One-Night-Stands (Phoebe Waller-Bridge) jammern zu lassen, sei eine ungeheuerliche Form von gespielter Bescheidenheit.
Die Überlegung dahinter schien zu sein, dass jemand, der letztlich Erfolg hat, keine wahre, allumfassende Niederlage erlitten haben kann. Warum hatte ich keine Gäste in meinem Podcast, die sich gerade mitten im Prozess des Scheiterns befanden? Oder warum konnte ich nicht jeden für sich allein und auf seine eigene Weise versagen lassen, so gut es eben ging? Denn war Scheitern nicht etwas, mit dem man einfach fertigwerden und was man überwinden musste, anstatt darüber zu reden?
Meine Antwort darauf lautet, dass ich das Scheitern doch nicht propagiere. Aber es ist etwas, das jeder von uns zu irgendeinem Zeitpunkt des Lebens erfahren wird. Und anstatt es als Verhängnis zu fürchten, über das man nie hinwegkommen wird, können wir vielleicht den Muskel unserer emotionalen Resilienz trainieren, indem wir von anderen lernen. Auf diese Weise sind wir, wenn das nächste Mal etwas schiefgeht, besser gerüstet, damit umzugehen. Hört man einem erfolgreichen Menschen – jemand, der von außen betrachtet, alles zu haben scheint – offen über seine Niederlagen sprechen, wirkt das inklusiv, nicht ausgrenzend. Insbesondere wenn man solche Leute über Depression, über Irrwege in ihrer beruflichen Laufbahn oder misslungene Beziehungen reden hört. Denn so viele von uns erleben ähnliche Dinge und sorgen sich, dass sie uns auf negative Weise definieren werden.
Ich will auch nicht behaupten, dass sich jede Form von Scheitern leicht überwinden lässt. Weil es manches gibt, über das man nie hinwegkommt und worüber man schon gar nicht sprechen möchte. Und es gibt natürlich viele Bereiche, in denen ich über gar keine persönliche Erfahrung verfüge. Mir ist, während ich dieses Buch schreibe, absolut bewusst, dass ich keine Expertin bin und meinen Leserinnen und Lesern keine anderen als meine selbst gemachten Erfahrungen anzubieten habe. Ich bin eine privilegierte weiße Frau aus der Mittelschicht in einer Welt, in der leider Rassismus, Ungleichheit und Armut existieren. Ich weiß nicht, wie es ist, wegen meiner Hautfarbe täglich Mikro-Aggressionen ausgesetzt zu sein, auf der Straße angespuckt oder bei einer Beförderung übergangen zu werden. Ich habe keine Ahnung davon, wie es ist, von Mindestlohn zu leben, Geflüchtete, behindert oder schwerkrank zu sein oder in einer Diktatur ohne Meinungsfreiheit zu leben. Ich bin nicht Mutter, kein Mann und keine Immobilienbesitzerin, daher kann ich über keines dieser Themen aus Erfahrung sprechen. Es wäre eine Anmaßung und Beleidigung der tatsächlich Betroffenen, es zu versuchen. Aus diesem Grund basieren die folgenden Kapitel auf persönlichem Erleben und tiefem Respekt vor meinen diskriminierten Mitmenschen. Ich schildere in diesem Buch nur eine Version von Versagen. Vielleicht können Sie sich darin wiederfinden, vielleicht haben Sie Ihre eigene. Und vielleicht werde ich die eines Tages zu hören bekommen.
Durch den Podcast und beim Schreiben dieses Buchs habe ich eine Menge gelernt. Besonders interessant fand ich, als ich anfing, auf potenzielle Gäste zuzugehen, wie verschieden Frauen und Männer Niederlagen betrachten. Alle Frauen konnten meine Idee sofort nachempfinden, und alle – bis auf eine – behaupteten, schon so oft gescheitert zu sein, dass sie gar nicht wüssten, wie sie daraus die gewünschten drei Beispiele aussuchen sollten.
»Ja, ich bin sehr gut im Versagen, wohl deshalb, weil ich Risiken eingehe und mich selbst dazu bringe, Neues auszuprobieren«, meinte Gina Miller, die politische Kampagnen organisiert. »Und wenn man das tut, setzt man sich der Möglichkeit zu scheitern aus. Aber es bedeutet gleichzeitig, sein Leben wirklich zu leben … Im Leben scheitern wir alle mal, deshalb denke ich, man muss sich einfach daran gewöhnen. Es passiert sowieso, da legt man sich doch besser eine Strategie zurecht, wie man damit umgehen will. Sobald man die in der Hinterhand hat, kann man sich ins Leben stürzen und wirklich Risiken eingehen.«
Die meisten Männer (natürlich nicht alle) reagierten mit der Äußerung, sie seien sich nicht sicher, ob sie überhaupt schon mal gescheitert seien, und vielleicht nicht unbedingt der richtige Gast für ausgerechnet diesen Podcast.
Dieser Unterschied lässt sich wissenschaftlich untermauern: Die Amygdala, das primitive Angstzentrum, das dem emotionalen Gedächtnis bei der Verarbeitung hilft und Reaktionen auf stressige Situationen steuert, lässt sich bei Frauen leichter als bei Männern durch negative emotionale Stimuli aktivieren. Frauen entwickeln daher eher als Männer starke emotionale Erinnerungen an negative Ereignisse oder grübeln eher über Dinge, die in der Vergangenheit schiefgegangen sind. Zudem ist der anteriore cinguläre Cortex, also der Teil des Gehirns, der uns hilft, Fehler zu erkennen und Optionen abzuwägen, bei Frauen größer.
Quasi als Dominoeffekt dieser Gegebenheiten werden Frauen, wie Katty Kay und Claire Shipman in ihrem Buch »Das neue Selbstbewusstsein« schreiben, routinemäßig Opfer ihrer eigenen Selbstzweifel: Im Vergleich zu Männern hielten Frauen sich nicht im gleichen Maß für eine Beförderung bereit. Sie neigten zu der Annahme, in Prüfungen schlechter abzuschneiden und unterschätzten grundsätzlich ihre Fähigkeiten.
Ich vermute, dass sich das ändern würde, wenn Frauen sich eher in der Lage fühlen würden, zu ihren Niederlagen zu stehen. Ich selbst war jedenfalls total perplex, als der Autor Sebastian Faulks mir erklärte, Scheitern sei sowieso nur eine Frage der Perspektive. Vor unserem Podcast-Interview schickte er mir eine lustige E-Mail, in der er seine Niederlagen schon mal kurz erläuterte:
»… als mein Freund Simon und ich das Endspiel der Ü 40 im Doppel verloren und uns mit der Glasvase für die Zweitplatzierten zufriedengeben mussten.
Beim Kricket erinnere ich mich, einmal Out gewesen zu sein, als ich schon 98 Punkte hatte und mir der Wurf zurück zum Bowler misslang …
Eines meiner Bücher schaffte es in die Auswahl der Nominierten für die Bancarella, einen großen italienischen Literaturpreis, gewann aber nicht. (Der Preis ging an den Schwager des Jury-Vorsitzenden.)
Und natürlich war es eine peinliche Niederlage, als mein berühmtes Soufflé à la nage de homard nur um 288 Millimeter anstatt der gewünschten 290 aufging.«
Er scherzte natürlich. Als ich ihn für den Podcast interviewte, erzählte er wortgewandt von seinen depressiven Phasen und dass er sich an der Schule nicht dazugehörig gefühlt hatte. Der Punkt, den er hatte vermitteln wollen, war jedoch ein ernster: Scheitern ist immer eine Frage der Perspektive. Zum Beispiel sagte er zum nicht gewonnenen italienischen Literaturpreis: »Ist das eine Niederlage? Ich dachte eigentlich nicht, denn es ist doch sogar ein Erfolg, nach Mailand zu reisen und in einem fremden Land für das eigene Buch gefeiert zu werden, das nicht einmal einen Bezug zu Italien hat.«
Der Autor James Frey sah das ähnlich, obwohl er öffentlich dafür angefeindet worden war, Teile von »Tausend kleine Scherben«, seinem Debüt von 2003, erfunden zu haben. Das Buch war ursprünglich als Autobiografie vermarktet worden, doch der schlechte Ruf des Autors schadete ihm nicht. Es wurde weltweit ein Bestseller.
»Ich sehe Dinge, die andere Leute vielleicht als Niederlagen betrachten, nicht als solche. Es ist schlicht ein Prozess, oder etwa nicht?«, meinte er. »Und entweder kommt man damit klar oder nicht. Wenn nicht, dann verschwinde. Aber ich empfinde die ganzen Bücher, die ich vor ›Tausend kleine Scherben‹ zu schreiben versucht habe und verworfen habe, weil sie nicht gut waren, nicht als Scheitern, sondern als Teil eines Prozesses.«
Bis heute, sagt Frey, laute sein Mantra: »Scheitere schnell. Scheitere oft.« Das ist ein Mantra, das auch in der (männerdominierten) Welt der Unternehmer und Existenzgründer viel Gewicht hat. Auch dort muss man Risiken eingehen, um anders zu denken. In diesen Kreisen ist Scheitern nicht nur akzeptiert, sondern wird manchmal regelrecht gefeiert. Es gibt sogar Risikokapital-Anleger, die nicht einmal daran denken zu investieren, wenn der Entrepreneur nicht mindestens einmal mit einem Start-up gescheitert ist. Dahinter steht der Gedanke, dass der Unternehmer aus dieser Niederlage gelernt hat und die gleichen Fehler kein zweites Mal begehen wird. Thomas Edison perfektionierte seine Glühbirne schließlich auch erst nach tausend Prototypen. Bill Gates erste Firma war ein Flop. Und der berühmte Babe Ruth stellte während seiner Baseball-Karriere den Negativ-Rekord von 1330 Strike-Outs auf, schaffte aber gleichzeitig auch den Rekord von 714 Homeruns.
Als man den Spieler nach seiner Schlagtechnik fragte, erwiderte Babe Ruth: »Ich schlage, so hart ich kann … Ich hole weit aus, mit allem, was ich habe. Dann schlage ich großartig oder haue in großem Stil daneben. Es gefällt mir, im Leben immer aufs Ganze zu gehen.«
Was er damit letztlich meinte, war: Um im großen Stil Erfolg zu haben, muss man bereit sein, in genauso großem Stil zu verlieren. Oft bedingt Ersteres ja Letzteres. Daher kann Scheitern ein integraler Bestandteil von Erfolg sein, nicht nur auf dem Baseballfeld, sondern im Leben.
Was bedeutet Scheitern eigentlich? Ich denke, es bedeutet im Grunde genommen nur, dass wir unser Leben in vollen Zügen leben. Wir machen Erfahrungen auf verschiedenen Ebenen, anstatt uns nur mit der Eintönigkeit eines einzigen, gleichbleibenden Gefühls zu begnügen.
Wir leben in Farbe, nicht in Schwarz-Weiß.
Wir hören niemals auf zu lernen.
Und bei allen Herausforderungen, die uns noch begegnen werden, kann ich immer nur denken: Es ist wirklich ein unglaubliches Abenteuer.