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Felix Weber ist das Pseudonym des preisgekrönten niederländischen Autors Gauke Andriesse. Für Staub zu Staub erhielt er bereits zum zweiten Mal den Gouden Strop, den bedeutendsten Literaturpreis der Niederlande. Außerdem stand der Roman auf der Krimibestenliste von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Deutschlandfunk Kultur. Als Weber einen Artikel über mysteriöse Todesfälle innerhalb der katholischen Kirche las, wusste er sofort, dass dies das Thema seines neuen Romans werden sollte.

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Felix Weber

Staub zu Staub

Roman

Aus dem Niederländischen
von Simone Schroth

Penguin_Grau

Die niederländische Originalausgabe erschien 2016
unter dem Titel Tot Stof bei Meulenhoff Boekerij bv, Amsterdam.


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Copyright © 2016 by Felix Weber im Verlag Meulenhoff Boekerij bv, Amsterdam

Published by special arrangement with Meulenhoff Boekerij bv in conjunction with their duly appointed agent 2 Seas Literary Agency

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020 by Penguin Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlag: bürosüd, München

Redaktion: Heike Baryga

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-25402-5
V004

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Für Marijke, Laure, Jip und Roos

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.

Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,

wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben

und wird in den Alleen hin und her

unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Rainer Maria Rilke, Herbsttag

Nacht vom 15. auf den 16. Oktober 1946 

Der Regen, der früher an diesem Abend so heftig auf das Holzdeck geprasselt war, dass Coburg kurz befürchtet hatte, der Lärm werde das Radio übertönen, hatte aufgehört. Übrig blieb nur ein Trommeln, mit immer größeren Zwischenpausen; die Tropfen fielen auf das Stahlbrett vor dem geöffneten Bullauge. Anfangs hatte das Radio noch geknistert, aber nach Mitternacht drang die Stimme des BBC-Berichterstatters so deutlich zu ihm durch, dass gleich bestimmt jedes Geräusch zu hören sein würde. Er hatte den Apparat vom Regal genommen und vor sich auf den Tisch gestellt. Bis auf das phosphorgrüne Licht hinter dem Sendersuchlauf war es dunkel in der Kajüte. Während er auf das wartete, was nun kommen würde, rauchte er eine Zigarette nach der anderen. Dank der Beschreibung des Berichterstatters sah er den Raum vor sich, in dem sich der letzte Akt abspielen würde: eine Turnhalle von etwa zehn mal dreißig Metern, hoch genug, dass die Geräusche einen Hall erzeugen würden. Drei schwarze Schafotte, der untere Teil mit Holz verkleidet, damit die baumelnden Körper den Blicken der Zuschauer entzogen wären, und auf der Rückseite ein Vorhang, hinter dem sie abgenommen werden konnten. Die Treppe mit ihren dreizehn Stufen, den Galgen, auch schwarz, die Schlinge über der Falltür. Gegenüber die Sitzplätze für Zeugen und Berichterstatter. Von den Galgen würden immer zwei im Wechsel gebraucht werden, der dritte diente als Reserve. Gleich auf dem Schafott die Verurteilten, der Henker und sein Gehilfe. Er kannte die Namen der Männer, die sterben würden, nicht aber die Reihenfolge ihrer Hinrichtung. Göring würde nicht dabei sein, denn er hatte ein paar Stunden zuvor Selbstmord begangen.

Das Knistern und Rauschen verstummte, und die Stimme des Reporters sank in der Tonlage, als er beschrieb, wie der erste Mann erschien: von Ribbentrop, die Hände auf den Rücken gefesselt, zu beiden Seiten einen Bewacher. Er wurde aufgefordert, seinen Namen zu nennen, und danach bestieg er das Schafott. Seine letzten Worte, die Schlinge, die man ihm um den Hals legte, die schwarze Kapuze über seinem Kopf, die Fessel um seine Knöchel. Als es endlich so weit war, beugte sich Coburg noch näher zum Radio hin, die Augen geschlossen. Er hörte, wie die Luke aufklappte und gegen die Seitenwand schlug, wie das Seil ein Krachen und Knarren von sich gab, als die größtmögliche Spannung erreicht war. Eine tiefe Stille, danach Stimmengewirr, Hüsteln, Schritte: Keitel betrat den Raum. Dieselbe Abfolge, dieselben Geräusche. Als beide Männer hingen, gab es eine Pause. Mehr Lärm als zuvor, jemand erkundigte sich, ob geraucht werden dürfe. Danach erklärte man von Ribbentrop für tot. Das Seil wurde unmittelbar über seinem Kopf durchtrennt – für jeden Verurteilten eine neue Schlinge – und der Körper weggebracht.

Coburg hatte weder eine Wanduhr noch eine Armbanduhr, schätzte jedoch, dass all das etwa eine halbe Stunde gedauert hatte. Als Nächster war Kaltenbrunner an der Reihe. Nachdem man ihn aufgehängt hatte, wurde Keitel für tot erklärt und weggebracht, nach ihm Rosenberg, dann Hans Frank, Wilhelm Frank, Frick und Streicher. Beim letzten Mann ging es schief. Nachdem er durch die Luke gefallen war, folgte keine Stille, sondern ein ersticktes Rumoren und das Schlagen des Körpers gegen die Wand. Nach einem kurzen Augenblick der Unentschlossenheit eilte der Henker nach unten, verschwand hinter dem Vorhang, und unmittelbar darauf war es still. Coburg stellte sich vor, wie sich der Henker an den Körper gehängt hatte, um Streicher wie vorgesehen ersticken zu lassen.

»Verdammt noch mal«, fluchte er, als der Empfang unterbrochen wurde. Er drehte am Knopf, doch es war nichts mehr zu hören. »Verdammt noch mal, nicht jetzt.« Frustriert schlug er mit der flachen Hand auf die Schiffswand. Er versuchte es immer weiter, und nach einer gefühlten Ewigkeit hatte er wieder Empfang. Er wusste nicht, ob man Seyß-Inquart* inzwischen gehängt hatte, also blieb ihm nichts anderes übrig als zu warten und zu hoffen. Der nächste Kandidat war Jodl, und zum Schluss kam Seyß-Inquart, der Mann, der Rosas Tod befohlen hatte. Nun war er endlich an der Reihe. Noch angespannter lauschte Coburg jedem Geräusch, das Seyß-Inquart in seinem Todeskampf von sich geben würde. Der Mann wankte, sein Klumpfuß bereitete ihm Schwierigkeiten; er, der stets in kerzengerader, aufrechter Haltung zu seinen Zuhörern gesprochen hatte, musste gestützt werden, als er das Schafott bestieg. Coburg achtete kaum auf seine letzten Worte. Umso deutlicher hörte er das Aufklappen der sich öffnenden Luke, das sich spannende Seil, woraufhin dieselbe Stille folgte wie nach den anderen Hinrichtungen. Danach setzte das Stimmengewirr wieder ein, noch lauter diesmal, weil alles vorbei war. Der Reporter berichtete, wie Görings Leichnam auf einer Bahre hereingebracht und vor den Schafotten abgestellt wurde. Damit waren die Exekutionen vorüber. Die Zeugen und Berichterstatter verließen den Raum.

Coburg stellte das Radio aus und saß minutenlang bewegungslos im Dunkeln. Schließlich stand er auf, stieg die Stufen hinauf, schob die Luke beiseite und setzte sich auf die oberste Stufe. So saß er da, genauso bewegungslos wie die Nacht, die so dunkel war, dass er nicht hätte sagen können, wo Wasser und Himmel ineinander übergingen.

3. Februar 1949 

Sie hatte ihren Bruder bisher ein einziges Mal hier besucht, im Sommer. An jenem Tag war es so warm gewesen, dass sie geschwommen waren. Nackt, wie in ihrer Kindheit, weil sie wussten, dass sie frei waren und niemand ihnen zusah. Sie war auf dem Deck eingeschlafen. Ein Geruch nach Holz und Teer hing in der Luft, als sie aufwachte, und irgendwo weit in der Ferne hatte eine Kirchenglocke geläutet. Am Abend hatte die untergehende Sonne den See rot gefärbt. Als sie sich aufmachte, fühlte sich der Sandweg unter ihren bloßen Fußsohlen warm an. Er hatte es zugelassen, dass sie ihn umarmte, war jedoch schon verschwunden, als sie sich zum Winken umdrehte.

Nun schob sie mit einer Hand ihr Fahrrad und kämpfte sich über denselben Weg. An einigen Stellen sank sie so tief ein, dass der Schnee den Schaft ihrer Stiefel erreichte. Die Augen hatte sie wegen des gleißenden Lichts und der glitzernden Eiskristalle zusammengekniffen, und im Gehen seufzte sie innerlich, weil er sich einen so abgelegenen Ort ausgesucht hatte: ein Boot, ohne Elektrizität und fließendes Wasser, und so schwierig zu erreichen. In einem Winter wie diesem war das einfach nur unverantwortlich. Hinter einem Wäldchen sah sie das Boot am Ende des Weges auftauchen. Auf den Bohlen lag eine so dicke Schneeschicht, dass die Bullaugen darunter verschwunden waren. Drinnen musste es stockdunkel sein. Aus dem Ofenrohr stieg kein Rauch auf, und sie fürchtete schon, umsonst gekommen zu sein. Abgesehen von einigen Vogelspuren wirkte der Schneeteppich auf der Laufplanke und dem Deck unberührt. Als auf ihr Klopfen und Rufen keine Reaktion erfolgte, betrat sie das Eis und ging zur anderen Seite des Bootes. Die Sonne hatte dort einen Teil des Schnees wegschmelzen lassen, und die Bullaugen lagen frei. Eines stand einen Spalt breit offen; sie drückte es weiter auf und rief: »Siem!«

Nachdem sie ein paarmal gerufen hatte, spürte sie, wie das Boot leicht bebte, und wenige Sekunden später erschien ihr Bruder. Das Sonnenlicht schien ihm ins Gesicht. Sie erschrak über seinen Anblick.

Er schirmte mit einer Hand die Augen ab. »Maria?«

Ihre Sorge wegen seines verwahrlosten Aussehens wich einem Gefühl des Schmerzes, als sie sah, wie wenig sie willkommen war.


Ungefähr zu der Zeit, als Maria auf die andere Bootsseite gegangen war, hatte er die Luke geöffnet. Sie kletterte nach drinnen und zog ihn an sich. Sein Bart musste unbedingt gestutzt werden, sein Haar war lang und fettig, und er roch nach Schweiß und Zigaretten. In der Kajüte fror es, aber sobald er den Ofen angezündet hatte, erwärmte sich der kleine Raum schnell. Sie bewegte den Kanister auf der schmalen Anrichte hin und her. Der Inhalt war zu einem Eisblock gefroren. Er kletterte nach draußen und stellte kurz darauf in einem kleinen Topf ein Stück Eis auf den Kocher. Mit einem Puffen entzündete sich das Gas.

»Ist alles eingefroren?«, fragte sie.

»Ja.«

»Auch die Toilette?«

»Ja, natürlich.«

»Also musst du deine Notdurft draußen verrichten?«

»Ja.«

Sie schüttelte den Kopf. »Du siehst heruntergekommen aus, Siem. Und so riechst du auch. So kannst du doch nicht leben. Wann hast du denn zum letzten Mal etwas Warmes gegessen?«

Sie hob den Deckel von einem großen verrußten Topf. In einer fest gewordenen Fettschicht lagen dunkle Fleischstücke. »Was ist das?«

»Kaninchen.«

»Und die fängst du selbst?«

»Ja. Ich weiß nicht, was du hier willst, aber du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen. Ich habe genug zu essen. Kartoffeln, Kohl, Eier, Milch. Frisch vom Bauern.«

»Das gibt er dir einfach?«

»Ich sorge dafür, dass das Wild von seinem Land verschwindet.«

Sie hatte sich auf den Rand seines Bettes gesetzt. Während sie sprach, stand er an der Anrichte, nahm zwei Tassen und goss das dampfende Wasser hinein. Kaffeeduft breitete sich im Raum aus, als er sich umwandte. »Einen Kaffee bekommst du, aber danach musst du gehen.«

»Um Himmels willen, Siem. Ich bin deine Schwester, die einzige Angehörige, die du noch hast.«

Ihr Annäherungsversuch wurde mit Schweigen beantwortet, und sie sah zu, wie er ein wenig Tabak aus einer Blechbüchse holte und sich eine Zigarette drehte. Sie deutete auf das Radio auf dem Regal über der Anrichte und erkundigte sich: »Verfolgst du den Prozess oder interessiert dich nicht einmal der mehr? Die Königin hat sein Gnadengesuch abgelehnt. Bald ist es wirklich vorbei.«

»Warum bist du gekommen?«

Verärgert wedelte sie den Rauch weg, der sich im Strahl des Sonnenlichts kräuselte. »Sagt dir der Name Tammens noch etwas?«

Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft schenkte er ihr seine volle Aufmerksamkeit.

»Ja, und das weiß du verdammt genau.«

»Nun, der alte Herr war gestern bei mir. Er sucht dich. Inzwischen sitzt er im Rollstuhl, sonst wäre er selbst zu dir gekommen.«

»Was will er von mir?«

»Das klingt nicht besonders freundlich, Siem. Wenn du jemandem etwas schuldest, dann ihm.«

»Was will er von mir?«

»Das will er dir selbst sagen, aber es ist sicher wichtig. Du hättest ihn sehen müssen, einfach schrecklich für so einen Mann, wenn er nichts mehr allein kann.«

Sie stellte die Tasse auf dem Holzboden ab, nahm eine von Siems Händen und streichelte sie sanft. In den Poren hatte sich Schmutz festgesetzt, unter den langen Nägeln befanden sich Trauerränder, und seine Finger waren gelbbraun vom Nikotin.

»Komm erst zu uns, bevor du ihn besuchst. So darfst du dich nicht bei Tammens sehen lassen. Bram kann dir sogar einen anständigen Anzug leihen. Und vielleicht bedeutet dir das ja nichts, aber du hast einen Neffen und eine Nichte, die dich sehr gern sehen wollen.«

Am nächsten Morgen machte er sich auf den Weg. Wegen des heftigen Schneefalls fuhren die Busse gar nicht oder nur mit großer Verspätung, und er kam erst am Nachmittag in Utrecht an. Es dämmerte schon, als er ein Badehaus fand. Nachdem er sich abgeduscht hatte, wies man ihm eine weißgeflieste Zelle zu. Auf der Innenseite der Tür gab es drei Kleiderhaken, im Raum einen Hocker, eine Wanne auf Füßen und eine Deckenlampe aus geriffeltem Mattglas, die ein gelbliches Licht verbreitete. Während er in der Wanne lag, sah er durch das kleine Fenster oben in der Wand, wie es dunkel wurde. Heute Abend weiterzufahren war unmöglich. Er war die Wärme nicht mehr gewohnt und nickte immer wieder ein, um dann durch den von draußen hereinhallenden Lärm geweckt zu werden.

Danach suchte er sich einen Friseur. Der Laden war leer, aber als Reaktion auf das Glockenläuten wurde drinnen ein Vorhang zur Seite geschoben. Mit dem Mann, der erschien, verbreiteten sich Essensgeruch und Radioklänge. Er musterte Coburg kurz, bat ihn, einen Augenblick zu warten, und zog den Vorhang wieder hinter sich zu. Während Coburg im Friseurstuhl saß, erhaschte er außer den gedämpften Tönen klassischer Musik auch Gesprächsfetzen und über Teller kratzendes Besteck. Er betrachtete sich selbst im Spiegel und schaute sich dann um. An den Wänden hingen Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Utrecht, doch sein Blick wurde fast sofort von einem Gemälde in der Zimmerecke angezogen. Durch ein Fenster schaute man auf eine Stadt. Auf einer ansonsten leeren Fensterbank stand ein Glas Wasser mit etwas darin, das einem Gebiss ähnelte, in dem einige Zähne fehlten, daneben lag ein Stück Seil mit einer Schlinge am anderen Ende. Von der Stadt erblickte man die Häuserfassaden und Dächer, eine Kirche mit einem runden Säulentürmchen darauf und rechts einem stumpfen viereckigen Turm. Kein Mensch war zu sehen, und ein dunkler, unheilverkündender Himmel hing über der Stadt. Eine surrealistische Malerei mit ungewöhnlich starker Aussagekraft. Er betrachtete sie lange.

Als der Friseur wieder erschien, bedankte er sich bei Coburg, weil er gewartet hatte, zog sich einen kurzen weißen Kittel an, schüttelte einen Umhang aus und knotete ihn seinem Kunden um den Hals. Zuletzt zündete er sich eine Zigarre an, nahm einige Züge, bis sich ein Aschekegel bildete, und legte die Zigarre im Aschenbecher unter dem Spiegel ab. Die Haare schneiden, den Bart stutzen, er nickte zustimmend, ließ einen Kamm durch das lange Haar gleiten und sagte: »Seit Ihrem letzten Schnitt ist schon eine ganze Weile vergangen. Wissen Sie, für mich und meine Kollegen sind die Zeiten immer noch nicht gut. Nicht so wie vor dem Krieg. Obwohl ich merke, dass es etwas besser wird, haben die Leute immer noch wenig Geld. Sie kommen nicht von hier, habe ich recht?«

»Ja.«

»Sehen Sie, das dachte ich mir schon. Wie gefällt Ihnen denn unsere Stadt? Sie müssen unbedingt um den Dom und dann an den Grachten entlang. Mit dem ganzen Schnee ist es noch schöner, wie auf einem Gemälde von Anton Pieck.«

Coburg nickte, aber als der Friseur merkte, dass er umsonst versuchte, ein Gespräch anzuknüpfen, schwieg er ebenfalls und arbeitete ruhig weiter, wobei er zwischendurch immer wieder seine Zigarre zur Hand nahm. Mit geschlossenen Augen lauschte Coburg dem Klappern der Schere. Als er sie wieder öffnete, sah er durch den Zigarrenrauch, der sich vor dem Spiegel nach oben kräuselte, wie sich der Friseur langsam vorarbeitete. Durch den Vorhang erklang noch immer Musik, und manchmal summte der Friseur mit. Als er den Stuhl nach hinten kippte, um sich den Bart vorzunehmen, und Coburg die Augen aufschlug, fiel sein Blick wieder auf das Gemälde.

»Ein schönes Bild haben Sie da.«

»Gefällt es Ihnen auch? Ich muss sagen, dass nicht alle meine Kunden so darüber denken, aber ich bin völlig Ihrer Meinung. Mit Kunst kenne ich mich nicht aus, aber es hat etwas, das mich anspricht. Und es stammt auch noch von einem Maler, der fast hier um die Ecke wohnt: von unserem guten Joop Moesman. Es ist sehr beeindruckend, wenn man sich überlegt, dass er sich alles selbst beigebracht hat, ohne Ausbildung. Er lebt am Neude-Platz, sein Vater hat dort eine Lithografiedruckerei. Und der Verrückte Jopie hat sein Atelier auf dem Dachboden.«

»Der Verrückte Jopie?«

»So wird er hier genannt. Er ist ziemlich eigen, exzentrisch. Tagsüber arbeitet er bei der Eisenbahn. Ein belangloser Beruf, das sagt er selbst, und abends malt er, aber wenn man ihn danach fragt, wird man meistens ausgeschimpft: weil man es wagt, ihn anzusprechen. Er malt vor allem nackte Damen, aber die kann ich hier nicht aufhängen. Das würden gewisse Kunden anstößig finden.«

Er hielt kurz im Schneiden inne, schaute Coburg über den Spiegel an und meinte: »Und meine Frau würde es auch nicht erlauben.« Er zwinkerte ihm zu.

»Das Gebiss, so nenne ich das Bild, aber Jopie wurde richtig wütend, als ich das sagte. Er meint, es muss anders heißen, aber er weiß noch nicht, wie. Es ist eine Leihgabe. Solange es hier hängt, schneide ich ihm umsonst die Haare, und seinem Vater übrigens auch.« Mit Selbstspott fügte er hinzu: »Auf diese Weise trägt ein gewöhnlicher Friseur doch etwas zum Unterhalt eines Künstlers bei.«

Coburg hörte ihm noch eine Weile zu. Nachdem der Umhang entfernt worden war und der Friseur ihm die letzten Härchen aus dem Nacken gebürstet und mit einem Zerstäuber Haarwasser über seiner Frisur verteilt hatte, stand er auf. Als er im Spiegel seine nun anständige Erscheinung begutachtete, schoss ihm durch den Kopf, dass Maria das Ganze sicher als Neubeginn betrachten würde.


Er nahm sich ein Zimmer in einem Hotel an einer der Grachten und aß in einem Gasthaus, in dem er der einzige Gast war, einen Teller Erbsensuppe mit Speck und Roggenbrot. Er ging zum Dom, umrundete den massiven Bau einmal und musste den Kopf weit in den Nacken legen, um die Spitze sehen zu können. Schneeflocken tanzten aus dem Dunkel herab und landeten auf seinem Gesicht. Er lief an einem Kramladen mit Kachelgemälden voller Darstellungen des Lebens in den Kolonien vorbei und entdeckte nach einigem Suchen Moesmans Lithografiedruckerei. Im Schaufenster waren schwach die Werke zu erkennen, die aber in keiner Weise dem Gemälde beim Friseur glichen. Beim Aufschauen stellte er fest, dass hinter keinem der Fenster Licht brannte. Auf der Straße war es still, und wie einer Eingebung folgend trat er von der Uferbefestigung aufs Eis. In die dicke Schneeschicht, die auch hier lag, hatten Schlitten ihre Spuren gezogen. Er ging, bis er eine Brücke erreichte, hockte sich darunter, lehnte sich mit dem Rücken gegen das runde Gewölbe und drehte sich eine Zigarette. Als sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, sah er die Reste verlassener Vogelnester auf den verrosteten Stahlträgern. Er wischte eine dünne Schicht Pulverschnee weg und schaute auf das schwarze Eis unter sich. Über ihm und vom Ufer aus erklangen hin und wieder Stimmen. Als er den Zigarettenstummel weggeworfen hatte, schlang er die Arme um die Beine und zog sie noch dichter an den Körper.

Moesmans Vater hatte ein eigenes Geschäft, interessierte sich jedoch auch für Kunst und sammelte Drucke. Genau wie Coburgs Vater. Und dem Friseur zufolge war Moesmans Mutter gelinde gesagt seelisch ziemlich labil gewesen. Wenn man sie wieder einmal einige Zeit nicht sah, bedeutete das, dass sie erneut in eine Anstalt eingewiesen worden war. Im Krieg hatte sie Selbstmord begangen. Vor einigen Stunden, in der Wanne in der sterilen Zelle, hatte die Umgebung zwangsläufig ein fast identisches Bild in ihm wachgerufen. Maria und er hatten ihre eigene Mutter einmal so angetroffen: Man hatte ihr Dauerbäder verordnet, weil man hoffte, so würde ihr Geist zur Ruhe kommen. Und dann die kolonialen Darstellungen im Schaufenster. Die Dinge drängen sich mir auf, dachte er, und mit einer Mischung aus Widerstand und Unglauben schüttelte er langsam den Kopf.

Es dämmerte, und am Horizont färbte sich das Grau dunkler. Sehr bald würde es wieder schneien. Der Bus hatte ihn am Anfang der langen, schnurgeraden Auffahrt abgesetzt; die Bäume zu beiden Seiten ragten wenn möglich noch gerader in den Himmel. An der Windseite hatten sich auf den dunklen Stämmen und kahlen Ästen Eis und Schnee festgesetzt. Am Ende des Weges lag der Bauernhof, umgeben von schier endlosen Feldern. Was man inzwischen dort anbaute, wusste Coburg nicht; damals waren es Kartoffeln und Zuckerrüben gewesen. Er hatte die Landschaft verflucht, die offene Fläche, in der er schon von Weitem zu erkennen war. Als er durch die Felder darauf zurannte, war ihm der Bauernhof wie der einzige sichere Zufluchtsort erschienen. Gleichzeitig hatte er begriffen, dass er nirgendwohin würde entkommen können, wenn man ihn dort suchte. Alles war an diesem Morgen schiefgegangen. Er war blutüberströmt, und seine Verfolger hatten Hunde eingesetzt.

Er schüttelte die Erinnerung ab und ging die Auffahrt hinauf. In den Wipfeln der Kopfweiden vor dem imposanten Vorderhaus hatte sich der Schnee angehäuft. Als er das Gebäude fast erreicht hatte, meinte er hinter einem der dunklen Fenster eine Gestalt zu erkennen. Die Tür wurde ihm von derselben Haushälterin geöffnet, die ihm damals zusammen mit der Familie atemlos zugehört hatte. Vor ihm ging sie in die Stube.

»Guten Tag, Siem. Du bist gekommen, das ist gut.« Tammens saß in einem Rollstuhl, der zu klein war für seine stattliche Gestalt. Es schien, als hätte man ihn hineingequetscht; seine Oberschenkel drückten gegen die Seitenteile, und die Rückenlehne reichte ihm kaum bis zur Taille. »Fährt der Bus noch oder bist du gelaufen?«

»Der Bus fuhr noch.«

»Sie sitzen ja im Dunklen«, sagte die Haushälterin. Sie schaltete das Licht an, schob Tammens zum Esstisch und schloss die Vorhänge. »Ich mache Kaffee.«

»Gut, und stellen Sie bitte das Radio aus?«

Tammens musterte Siem Coburg und sagte: »Du hast einen Bart und wirkst magerer, aber vielleicht erinnere ich mich auch einfach nicht mehr so deutlich. Wie ist es dir in den letzten Jahren ergangen?« Als er nur ein »Gut« zur Antwort erhielt, fuhr er fort: »Du verfolgst den Prozess gegen Ashoff natürlich auch. Unsere neue Königin hat richtig gehandelt. Sie kann sich sicher sein, die Bibel auf ihrer Seite zu haben: ›Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut soll auch durch Menschen vergossen werden; denn Gott hat den Menschen zu seinem Bilde gemacht.‹ Dieser Mann hat so viel Schuld auf sich geladen – Gnade ist hier nicht angebracht.«


Das Wohnzimmer war noch so, wie es Coburg in Erinnerung hatte: mit der hohen verzierten Decke, dem Kronleuchter, dem Teakholzbüfett mit den großen unbenutzten Kerzen darauf, den beiden Sesseln und dazwischen der Stehlampe mit ihrer Spitzenbordüre, dem Tischchen mit dem ovalen Bakelitradio in der Form eines der Länge nach durchgeschnittenen Eis, dem persischen Läufer, der nach den Mahlzeiten auf den Tisch gelegt wurde. Mit dem großen Kohlenofen vor dem gekachelten Schornstein. Ein Feuer brannte darin, dessen orangegelbe Glut durch die Sichtfenster auf den blank geputzten Fußboden fiel. Alles, was sich säubern ließ, glänzte, und genau wie früher roch es nach Bohnerwachs. Hier war die Zeit stehen geblieben. Doch diesmal saßen sie nur zu zweit an dem großen Esstisch.

Vier Jahre zuvor waren alle Stühle besetzt gewesen. Tammens hatte am Kopfende des Tisches gesessen, seine Frau ihm genau gegenüber. Zwischen ihnen die beiden ältesten Söhne, die einzige Tochter, mit seinem Enkel auf dem Schoß, und daneben ihr Mann. Sie hörten Coburg zu, als Tammens’ jüngstes Kind aufgeregt ins Zimmer gerannt kam.

»Sie haben Beertema totgeschossen, auf dem Markt in Delfzijl.« Als das Kind den unbekannten Gast am Tisch sitzen sah, mit dem Arm in der Schlinge und den dunklen Flecken auf den Wangen, schaute es kurz erstaunt drein. Dann erschien ein Grinsen auf seinem Gesicht. »Haben Sie das NSB-Schwein* erschossen? Und seine Frau?«

»Halt den Mund, Geert«, befahl ihm seine Mutter.


Die Haushälterin brachte den Kaffee und stocherte mit dem Schürhaken in der Glut herum, bevor sie die beiden Männer allein ließ. Coburg erfuhr, dass die Familie Tammens in den letzten Jahren einiges Leid hatte durchstehen müssen: Erst war die Tochter an Krebs gestorben, kurz darauf Tammens’ Frau im Schlaf von ihm gegangen. Nur die Männer waren übrig geblieben.

»Die Jungs haben ihren eigenen Hof. Den hier wollten sie nicht übernehmen. Für meine Frau und mich war er groß genug, aber in den Augen meiner Söhne bin ich ein Kleinbauer.« Mit geöffneten Händen schaute er sich um und sagte: »Als hätte uns der Herr nicht längst genug Reichtum geschenkt. Aber nein, alles muss anders werden, und größer. Maschinen her, weg mit den Kühen, und nur noch Getreide. Mein Nachbar will sich vergrößern und das Land kaufen. Nicht mehr lange, und ich bin ein Bauer ohne Land, aber mich werden sie mit den Füßen zuerst hier heraustragen müssen. Hier bin ich geboren, und hier will ich auch sterben.«

Mit seinen riesigen Pranken umfasste er die Armlehnen des Rollstuhls und sagte: »Seit einem halben Jahr bin ich nun dazu verurteilt, in diesem Ding zu sitzen. Eine Blutung im Rückenmark. Ich warte auf mein Ende und bete darum, dass es schnell kommt. Meine Jungs brauchen mich nicht mehr, und jetzt, wo auch Siebold tot ist, sehne ich mich danach, wieder mit meiner Frau und meiner Tochter vereint zu werden.«

Als er den Namen hörte, sah Coburg das Kind wieder vor sich, das ihm das Leben gerettet hatte, ohne sich dessen bewusst zu sein.


Coburg wachte mitten in der Nacht auf. Er stand auf und setzte sich an den schmalen Tisch am Fenster. Mondlicht fiel auf die Waschschüssel und die Kanne aus Email; auf der Wasseroberfläche hatte sich eine dünne Eisschicht gebildet. Der Mond schien so hell, dass sich die Schatten der Bäume messerscharf auf den beschneiten Feldern abzeichneten. Es herrschte völlige Stille, und nichts bewegte sich.

Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, seit er über den Hof gerannt war. Tammens hatte ihn nicht weggeschickt, und wenige Worte hatten ausgereicht. Allerdings erschrak er sichtlich, als auch er die Hunde hörte, und er war Coburg in ein Zimmer vorausgegangen, in das kaum Licht durch die kleinen Fenster fiel. Er zog in einer der Bettnischen die Matratze zur Seite, hob den Holzboden an, wartete, bis Coburg in den Raum darunter gekrochen war, und schloss das Bett wieder über ihm.

Coburg lag im Stockdunklen, die Hände in einer dicken Staubschicht und so dicht unter den Brettern, dass er sich nicht umdrehen und nur mit Mühe seine verwundete Schulter abtasten konnte. Er verlor immer noch Blut. Es war so eng, dass er kaum atmen konnte. Er roch Holz und Stroh und atmete den aufgewirbelten Staub ein, doch alles wurde von dem Gestank nach Kot und Urin überdeckt, der aus der Matratze über ihm drang. Er musste würgen, hörte ein Poltern, und das Bett über ihm erzitterte.

»Bleib hier, Junge. Ich bin gleich wieder da«, erklang die gedämpfte Stimme des Bauern.

Das Hundegebell kam näher, und kurz darauf war ein Schreien und Fluchen zu hören. Coburg verstärkte den Griff um seine Pistole und überlegte, ob er sich den Weg nach draußen freischießen sollte. Wenn es dann also hier enden musste, würde er wenigstens so viele Deutsche wie möglich mitnehmen. Der Boden bebte unter den Soldatenstiefeln und Holzschuhen, und durch das Geschrei der Deutschen hindurch hörte er die Proteste des Bauern. Dann ganz nah das überlaute Bellen und Knurren der Hunde. Er drückte die Hand noch fester auf seine verletzte Schulter und hoffte, der Geruch nach Scheiße und Pisse wäre stärker als der seines Blutes.

Im selben Augenblick setzte über ihm das Kreischen ein. Langgestreckte Laute, ohne Unterbrechung, ohne Worte und so schrill, dass es einem durch Mark und Bein ging. Aus dem Bellen der Hunde wurde ein Jaulen, umsonst erschallten Kommandos. Neben der wütenden Stimme des Bauern erhob sich nun das Schreien einer Frau. Das Chaos war vollkommen. Durch das Kreischen hörte er Flüche und Befehle. Das Kreischen verstummte erst, als es schon lange keine anderen Geräusche mehr gab.

Er lag noch eine Zeit lang in seinem Versteck, bevor die Luke geöffnet wurde. Tammens half ihm hoch und ging vor ihm in die Stube. Auf den Knien einer jungen Frau saß ein Kind mit einem eiförmigen, an den Schläfen eingedrückten Schädel, dessen wildes, strähniges Haar Teile seines Kopfes unbedeckt ließ. Als die großen Augen mit ihrem schielenden Blick Coburg entdeckten, ging das Kreischen wieder los, und der Mund verzog sich noch schiefer. Tammens hob das Kind hoch, wischte ihm mit dem Handteller den Speichel aus dem Mundwinkel und sagte: »Keine Angst, Siebold. Das hier ist ein guter Mann.«

Er packte Coburg an seiner unverletzten Schulter und sagte: »Du verdankst dein Leben diesem Jungen hier.« Dann, zu der jungen Frau gewandt: »Weil er so ist, wie er ist, hat dein Sohn einem Menschen das Leben gerettet. Ist das nicht ein weiterer Beweis dafür, dass die Wege des Herrn unergründlich sind?«


Coburg stand auf, zog sich die Hose an und ging über den Flur. Der Holzfußboden knarrte unter seinem Gewicht. Unten schob er die Füße in ein paar Holzschuhe und ging nach draußen. Er lief zum Rand des Hofes, bückte sich, nahm ein wenig Schnee und fuhr sich damit übers Gesicht. Die Kälte fühlte sich angenehm an. Er drehte sich eine Zigarette und warf das brennende Streichholz in den Schnee.

Als er wieder im Bett lag, konnte er immer noch nicht schlafen. An der Wand hing ein gestickter Bibeltext. Tammens’ Frau war tief gläubig gewesen, und solche Handarbeiten befanden sich überall im Haus.


Herr, mein Herz ist nicht hoffärtig,

und meine Augen sind nicht stolz;

ich wandle nicht in großen Dingen,

die mir zu hoch sind.

Ja, ich habe meine Seele gesetzt und gestillt;

so ist meine Seele in mir

wie ein entwöhntes Kind bei seiner Mutter.


Hatte er das getan? War er in großen Dingen gewandelt, die ihm zu hoch waren? War ihm das zum Verhängnis geworden? Er weigerte sich, das zu glauben.

Im Halbschlaf sah Coburg noch einmal vor sich, wie Tammens’ Sohn ins Zimmer stürmte. Man hat Beertema totgeschossen. Haben Sie das NSB-Schwein erschossen? Und seine Frau?

Coburg nahm Beifall und Bewunderung in der Stimme des Jungen wahr: Die Vaterlandsverräter hatten ihren verdienten Lohn erhalten, aber was wusste das Kind schon davon? Er hatte Beertema tatsächlich umgebracht, einen Mann, von dem er bis zu diesem Tag nie gehört hatte. Einen Vaterlandsverräter, der sich ganz einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort aufhielt, Coburg erkannt hatte und beim Gedanken an die von den Deutschen auf dessen Kopf ausgesetzte Belohnung der festen Überzeugung gewesen war, es sei sein Glückstag. Beertemas Frau, diese Hexe, hatte Coburg mit einem Messer verletzt, ihm die Klinge ins Gesicht gerammt. Und er hatte auch sie aus nächster Nähe niedergeschossen. Bis zu diesem Tag hatte er Menschen liquidiert – in diesem Augenblick hatte er gemordet. Und nichts hätte ihn kälter lassen können. Bei seiner Jagd auf Ashoff war er bereit, jeden zu ermorden, der ihm im Weg stand. Er wollte sie beiseitefegen wie lästigen Dreck. Das Einzige, was ihm bewusst wurde, war die Tatsache, dass seine Handlungen den Tod Unschuldiger zur Folge haben konnten. Doch diesmal blieb eine blutige Vergeltung der Deutschen aus. Die Reste des geschlagenen deutschen Heeres zogen während der letzten Kriegswochen durch die Umgebung von Groningen nach Hause. Ihre Gedanken galten allein der Frage, wie die Menschen sie dort empfangen, was sie dort vorfinden würden, nicht dem Tod eines unbedeutenden NSBlers.

Da er ohnehin in der Gegend war, beschloss Coburg, seine lange Reise aus dem hohen Norden nach Den Haag zu unterbrechen. Die letzten Kilometer musste er zu Fuß zurücklegen, in einem Schneesturm, der so heftig war, dass er kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Hier war er erst ein einziges Mal zuvor gewesen, und die Orientierung bereitete ihm Schwierigkeiten. Sein schwerer Atem bildete Wölkchen vor seinem Gesicht, während er sich mühsam fortbewegte. Als es aufklarte und die Sonne zaghaft durch die Wolkendecke brach, blieb er stehen. Kein Geräusch war zu hören, und auf dem Weg vor ihm und in dem ihn umgebenden Birkenwald bewegte sich auch nichts. Kein Wind, keine Geräusche, kein Vogel am Himmel. Und doch gab es auch hier Leben: die Feldmäuse, Füchse und Kaninchen in ihren Höhlen unter dem Schnee, die Vögel in den Bäumen und Sträuchern. Er verließ den Weg und arbeitete sich langsam zwischen den Bäumen vorwärts, während er mit dem Blick die Stämme absuchte. Ein einziges Mal sank er so tief in den Schnee ein, dass er Halt suchte. Er wich den dichten Brombeersträuchern aus, und als er schon ein ganzes Stück in den Wald vorgedrungen war, fand er den ersten Baum mit abgenagter und abgeschabter Rinde. Er hockte sich hin, zog die Handschuhe aus und strich über die Kratzer und Bisse. Es waren frische Narben, höchstens einige Tage alt, und sie befanden sich kaum einen halben Meter über dem Boden; es handelte sich also um ein kleines Tier. Kurz darauf fand er weitere Bäume, an denen sie sich gütlich getan hatten. Höher waren die Rillen diesmal, und sie gingen tiefer. Mindestens zwei Nager also. Er suchte kurz nach nach Spuren, doch der Neuschnee hatte alle zugedeckt. Auf dem Rückweg entdeckte er die frischen Abdrücke von Kaninchenpfoten.

Als er den Wald verließ, erstreckte sich vor ihm die gefrorene Fläche des Zuidlaarder Meers. Die in einem Halbkreis aufgestellten Sommerhäuschen befanden sich in einem fortgeschrittenen Zustand des Verfalls. Die Dächer waren eingesackt, die Türen hingen krumm und schief in den Scharnieren, es gab kein einziges Fenster mit ganzen Scheiben, und wo Brandstifter am Werk gewesen waren, sah man rußgeschwärzte Wände. Den Stegen fehlten so viele Bretter, dass man sie nicht mehr betreten konnte.

Er ging zu einem der Häuschen. Auf die Fassade hatte man ein Holzbrett geschraubt, auf dem in Schnörkelschrift der Name SUNDAY HOME stand. Das spitze Reetdach, die Sonnenterrasse und der kleine Garten hatten im April 1945 für ihn die Anmutung eines Miniaturlandhauses. Ursprünglich waren die Häuschen für die wohlhabenden Bürger der Stadt Groningen gedacht gewesen, doch im Chaos der letzten Kriegsmonate wurden sie von einer zusammengewürfelten Gruppe Menschen bewohnt, die aus den verschiedensten Gründen ein Versteck brauchten: von NSBlern, Verrätern, Untergetauchten, die sich dem Arbeitseinsatz entzogen, Kommunisten, Widerständlern, Juden. In dieser abgelegenen, geschlossenen Gemeinschaft herrschte die stillschweigende Übereinkunft, sich nicht gegenseitig zu fragen, was der andere hier tat. Alles war aufs Überleben ausgerichtet, die Rechnungen würde man später begleichen.

Coburg hatte einen Hinweis erhalten, dass sich Ashoff in einem der Häuschen aufhielt. Es hatte ihn viel Zeit gekostet, dorthin zu kommen. Überall herrschte Chaos, Menschen befanden sich auf der Flucht. Es wimmelte nur so von NSBlern, er hatte sich niemandem anvertrauen wollen und so gut es ging die Wege vermieden, auf denen er Kontrollen vermutete: So wie Ashoffs Bild in dem Informationsblatt abgedruckt war, das vom Widerstand unter den illegalen Gruppen verbreitet wurde, so war sein eigenes auf den Pamphleten der Deutschen zu sehen, und er fürchtete jeden Augenblick, jemand könnte ihn erkennen.

Er erreichte das Ufer und trat aufs Eis hinaus. Im Schilf lag halb versenkt ein kleines Segelboot. An diesem Tag war er zu spät gekommen, wenige Stunden zu spät. Es sollte Jahre dauern, ehe er wieder von Ashoff hörte, aber zu diesem Zeitpunkt wurde der so gut bewacht, dass sich keine Chance mehr ergab, ihn eigenhändig umzubringen.

Bei einigen Gelegenheiten, die sich ihm geboten hatten, als er sich in Ashoffs Nähe befand, war er sich vage eines unbehaglichen Gefühls bewusst gewesen, das er nicht einordnen konnte und das er zunächst der neuen, ihm unbekannten Situation zuschrieb, in der er gelandet war. Später machte er die Gefahren dafür verantwortlich, denen sie ausgesetzt waren. Stellte das eine ausreichende Entschuldigung für die Tatsache dar, dass nicht nur er, sondern auch die anderen Ashoff nie als denjenigen erkannt hatten, der er wirklich war? Coburg hatte keine Ahnung gehabt, in welche Sache er hineingeraten würde, als man ihn fragte, ob er mit seiner Erfahrung als Berichterstatter für den Haarlemsche Courant kurze Texte für ein Widerstandsblatt schreiben wolle. Er hatte das als Ehre empfunden; bei der Zeitung war er der jüngste Journalist, noch in der Ausbildung und zu Handlangerdiensten für seine älteren Kollegen abgestellt; allerhöchstens ließ man ihn manchmal Texte über unwichtige lokale Themen schreiben. Jetzt durfte er plötzlich über Dinge berichten, die wirklich von Bedeutung waren: über den Widerstand gegen die Besatzer! Er half bei der Drucklegung, beschaffte heimlich Papier und wurde langsam aber sicher in die Widerstandsgruppe um den katholischen Lehrer Josef Fambach aufgenommen.

In dieser ersten Zeit glaubte man noch, die Repressalien der Deutschen würden nicht so schlimm, deswegen war es in Heemstede auch kein Geheimnis gewesen, dass Fambach Radiosender baute und Informationen über Flughäfen und An- und Abfahrtsrouten nach London in die Welt hinausschickte. Weitere Mitglieder von Fambachs Gruppe waren Henk Maaswinkel, ein Funker aus Haarlem, Ad Loggers, der Betreiber eines Radiokabelnetzes, Cornelis Erends, der Lagepläne für die Batterieaufstellungen in der Provinz Haarlemmermeer und von den Flughäfen Schiphol und Valkenburg zeichnete, und Han Tempelman. Letzterer war für das Attentat auf einen Angehörigen der deutschen Wehrmacht verantwortlich.

Eine bunte Gesellschaft von Leuten, mit denen Coburg im gewöhnlichen Leben niemals in Berührung gekommen wäre. Er war der Jüngste, und wenn die anderen manchmal heftig diskutierten, hörte er vor allem zu. Sie kamen im Bruderhaus St. Jean Baptist de la Salle zusammen und glaubten sich dort sicher. Und dort machte ihnen Ashoff zum ersten Mal seine Aufwartung. Er kannte sich mit Radioapparaten aus, hatte angeblich Kontakte zum englischen Geheimdienst und verfügte über Mittel, Illegalen über die Nordsee zu helfen. Diesmal sprach man in der Gruppe unter anderem über die Möglichkeit, Tempelman, auf dessen Kopf die Deutschen eine Belohnung ausgesetzt hatten, nach England zu bekommen. Ashoff bot seine Hilfe an und sprach mit einer Autorität, die die anderen Männer beeindruckte.

Bei ihrer zweiten Begegnung klingelte Ashoff an Coburgs Tür, im Bloemendaalseweg in Overveen. Ashoff befand sich damals in einem Zustand großer Aufregung: Er war Zeuge geworden, wie der Sicherheitsdienst* ins Bruderhaus eindrang, und hatte nur durch einen Zufall entkommen können. Als Erstes hatte er Coburg aufgesucht, um ihn zu warnen, er solle sofort untertauchen. Ashoff war an diesem Abend nicht nur aufgeregt, sondern fast rasend. Er sagte, er habe Fambach mehrfach dringend gebeten, doch bitte vorsichtiger vorzugehen; Ashoffs Überzeugung nach war der Überfall die Folge von Fambachs Geschwätzigkeit, und er hatte sie alle in Gefahr gebracht. Coburg tauchte noch in derselben Nacht unter, im Elternhaus eines Studienfreundes in Heemstede-Aerdenhout. Keinen der Männer hatte er je wiedergesehen; sie alle waren von den Deutschen ermordet worden. Nur er und Ashoff waren übrig geblieben.

Schon während des Krieges hatte es Gerüchte gegeben, und als die Befreiung einmal gekommen war, geriet Coburg in eine Isolation. Alle überlebenden Widerstandskämpfer fragten sich dasselbe: Wie konnte es sein, dass er, Coburg, noch lebte, trotz seines engen Kontakts zu Ashoff, zu dem Mann, der jeden in seiner Umgebung verraten und eine Spur von Tod und Verderben hinter sich gelassen hatte?

Es war bereits dunkel, als Coburg das Hotelzimmer in der van Alkemadelaan betrat. Ein Verschlag mit gerade genug Platz für ein Bett, einen Stuhl und einen Waschtisch, aber es war warm, und das reichte. Er lag auf dem Bett und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Hin und wieder schob sich das Licht eines vorbeifahrenden Autos über die Tapete. Um vier Uhr verließ er das Hotel. Er schob sich über Eis und festgetretenen Schnee und bewegte sich durch stille und dunkle Straßen hin zu den Dünen. Am Tag zuvor hatte er die Umgebung erkundet: Wenn man das Gebiet abriegelte, hatte er über diese Seite die besten Chancen, unbeobachtet zu bleiben. Das Meer war fast unbewegt, das Wasser schwappte träge auf den Strand. Coburg lief die hart gefrorene Düne hinauf. Niemand war zu sehen, und er fand einen Platz am Rand eines Wäldchens, schaufelte den Schnee weg, bis er auf die Schicht Kiefernnadeln stieß, legte eine Zeitung unter und setzte sich. Noch gut drei Stunden Warten.


Zuletzt hatte er Ashoff in Velsen gesehen, im Haus von Heijbroek, genau genommen in dessen Flur. Coburg war dort gewesen, weil es ihm darum ging, wie man Rosa behandelt hatte. Auf Anweisung der niederländischen Exilregierung in London* waren die verschiedenen Widerstandsgruppen gezwungen, sich zu den Inländischen Streitkräften* zusammenzuschließen. Man sollte stärker zusammenarbeiten; in die einzelnen Aktionen musste jetzt, wo die Ankunft der Alliierten unmittelbar bevorstand, System gebracht werden. Gefallen hatte ihm das nicht: zu viele Gesichter, zu viel Geschwätz, zu wenig Geheimhaltung und Befehle von Menschen, die er nicht kannte. Sein Misstrauen war noch gewachsen, als sich herausstellte, dass ein Teil der neuen Anführer, die in ihrer Region Order aus London erhielten, aus dem Velsener Polizeiapparat stammte. Heijbroek war ein solcher Beamter, der während der deutschen Besatzung seine Funktion behalten hatte und nun zwischen der Kollaboration mit den Deutschen und der Zusammenarbeit mit dem Widerstand lavierte. Als Erstes war Rosa bei der Liquidierung von Kick Tas eingesetzt worden. Sie hatte zwar nicht selbst geschossen, aber Wache stehen müssen. Der Automechaniker Tas bewegte sich in der Grauzone zwischen Schwarzhandel, Kriminalität und Widerstand. Er galt als Kollaborateur, aber später waren Coburg andere Geschichten zu Ohren gekommen: Angeblich hatte Tas Geld von Kofschoten veruntreut, einem Unternehmer, der mit dem Bau von Bunkern für die Deutschen Millionen verdient hatte, jedoch zur eigenen Absicherung auch große Summen an den Widerstand zahlte. Ein Teil dieses Geldes verschwand in den Taschen von Beamten wie Heijbroek. Als Tas meinte, da sollte doch auch für ihn etwas abfallen, musste man ihn aus dem Weg räumen. Coburg hatte das vor Rosa verheimlicht, weil er wusste, dass sie sich schuldig gefühlt hätte, aber er hatte sie noch einmal gewarnt. Vor allem, als er auch noch erfuhr, dass der Velsener Polizeiapparat für seine antikommunistische Einstellung bekannt war. Rosa hörte ihm zwar zu, fand ihn aber zu misstrauisch; schließlich konnte er nicht alles selbst erledigen.

Regelmäßig ließ sie sich für Kurierdienste einspannen. Bis sie einmal eines der Päckchen öffnete, die sie nach Den Haag bringen musste, und sah, dass der Inhalt aus ein paar goldenen Uhren und Tabak bestand. Setzte sie dafür ihr Leben aufs Spiel? Bei Coburg waren sämtliche Sicherungen durchgebrannt, als sie ihm, noch zitternd vor Empörung, erzählte, wie man sie behandelt hatte, als sie einen Brief bei Heijbroek abgab. Er hatte sie, tropfnass und vor Kälte zitternd wie sie war, im Flur warten lassen, war mit einem Viertelgulden und vier Zigaretten zurückgekommen und hatte ihr mitgeteilt, sie werde benachrichtigt, wenn man ihre Dienste wieder benötigte.

Als Coburg dort geklingelt und ihm Heijbroek – wohlgemerkt mit einer Zigarre in der Hand – geöffnet hatte, hatte er den Mann nach drinnen gestoßen und ihm heftig ins Gesicht geschlagen. Blut war aus Heijbroeks Nase gespritzt, als sie brach, aber das hatte nicht ausgereicht, um Coburgs Wut zu lindern. Heijbroek war hintenübergefallen, und Coburg schlug auf ihn ein, wo er ihn nur erwischte. Ein Ohr wurde abgerissen und blutete heftig. Coburg glitt in dem Blut aus, das sich über die schwarzen und weißen Fliesen verteilte, fand sein Gleichgewicht wieder und trat unzählige Male auf die Uniform ein, in der sich Heijbroek so gern zeigte. Mit jedem Stoß wuchs seine Wut auf den Mann, der seine Freundin so missbraucht und erniedrigt hatte. Als er die glimmende Zigarre sah, hatte er sie Heijbroek in den halb offenen Mund gedrückt. Dann kniete er sich neben ihn und drohte: »Wenn du es wagst, Rosa Barto noch einmal für deine schmutzigen Geschäfte einzusetzen, bringe ich dich um. Hast du das verstanden?« Als er keine unmittelbare Antwort bekam, zog er Heijbroeks Kopf an den Haaren hoch und schlug ihn hart auf den Boden. »Ob du mich verstanden hast, verdammt noch mal?« Erst als Heijbroek reagierte, war seine Raserei abgeebbt.

Und als er nach Atem ringend und mit vor Aufregung wild klopfendem Herzen aufstand, öffnete sich die Tür zur Stube, und Ashoff erschien. Er hatte Coburg entsetzt angeschaut. »Was machst du denn da, Mann? Das ist doch einer von uns.« Coburg war kurz erstaunt gewesen, Ashoff anzutreffen, weil er gehört hatte, der hätte sich nach London abgesetzt. Aber das passte gut zu ihm: Er tauchte überall auf, oft unerwartet, und schien jeden zu kennen. Viele waren von ihm beeindruckt, aber Coburg fand ihn zu glatt: autoritär und selbstsicher, wenn er meinte, die Oberhand zu haben, und unterwürfig, wenn er bei jemandem Eindruck schinden wollte. Ein Mann mit zu vielen Gesichtern.

Coburg war auf Ashoff zugegangen, von Heijbroeks Blut beschmutzt und schwer atmend, aber die schlimmste Raserei war vorüber. In einer abwehrenden Geste hatte Ashoff die Hände gehoben: »Beruhige dich doch.« Coburg spürte, wie die Wut erneut in ihm aufstieg, als er den Geruch wahrnahm, der Ashoff umgab: Die beiden hatten geraucht und getrunken, während seine Rosa unterwegs gewesen war. In Ashoffs Gesicht erblickte er einen Ausdruck der Unsicherheit, aber Coburg hatte sich beherrschen können und ohne ein weiteres Wort das Haus verlassen.

Die abwehrende Geste sah er immer noch vor sich. Als Strafe, dachte er zuweilen: Das Letzte, was ich von Ashoff gesehen habe, waren diese Hände. Schon damals habe ich ihm so sehr misstraut, dass ich nichts mit ihm zu tun haben wollte, aber das reichte mir nicht als Grund, ihn zusammenzuschlagen, geschweige denn, ihn umzubringen. Wie bitter war dieses Wissen jetzt.

Um kurz vor acht hörte er das Brummen eines Motors. Es wurde schon heller: Die Sonne konnte jeden Augenblick aufgehen, gleichzeitig stand der Mond noch hoch oben am Himmel. Er drückte seine Zigarette im Schnee aus, lehnte sich gegen einen Baumstamm, ging in die Hocke, zog einen Handschuh aus, packte eine Handvoll Schnee und rieb sich damit das Gesicht ab. Ihm durfte nichts entgehen.

Langsam erschien die kleine Kolonne der Armeefahrzeuge mit dem Gefängniswagen in der Mitte auf den sich windenden Sandpfaden. Der Abstand war zu groß, als dass Coburg das Gesicht des aussteigenden Mannes hätte sehen können, aber er erkannte ihn an seiner Haltung und seinen Bewegungen. Das Erschießungskommando formierte sich: zwölf Männer, daneben ein Kommandant. Ein wenig abseits standen noch einige Leute. Einer von ihnen musste der Staatsanwalt sein, Ashoffs Begleiter ein Geistlicher. Sie sprachen kurz miteinander. Der Geistliche entfernte sich. Ashoff blieb stehen, die Augenbinde lehnte er ab. Das Erschießungskommando stand keine fünf Meter von ihm entfernt. Befehle erklangen, Gewehre wurden geschultert und gleichzeitig abgefeuert. Coburg sah, wie Ashoff nach hinten auf seine gefesselten Hände fiel. Überall flogen Vögel aus den Sträuchern empor. Keine zwei Minuten später hatte man die Leiche in den Wagen geladen, und die Kolonne entfernte sich wieder.