Cover

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »KEEP GOING« bei Workman Publishing, New York.

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Deutsche Erstausgabe Mai 2020

Copyright © 2019 der Originalausgabe: Austin Kleon

Copyright © 2020 der deutschsprachigen Ausgabe: Mosaik Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München

Handschrift: Radek Petřík, nach einer Vorlage von Austin Kleon

Umschlag: Sabine Kwauka, nach einem Entwurf von Austin Kleon

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

KW ∙ TW

ISBN 978-3-641-25605-0
V003

www.mosaik-verlag.de

Inhalt

ICH HABE DIESES BUCH GESCHRIEBEN WEIL ICH ES LESEN MUSSTE

1 UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER

2 SUCH DIR EINEN HEILIGEN ORT.

3 VERGISS DAS SUBSTANTIV NIMM DAS VERB.

4 Mach Geschenke.

5 DAS NORMALE + EXTRA AUFMERKSAMKEIT = DAS BESONDERE.

6 KUNST-EGOMANEN? NEIN DANKE.

7 DU DARFST ES DIR ANDERS ÜBERLEGEN

8 IM ZWEIFEL AUFRÄUMEN

9 DÄMONEN HASSEN FRISCHE LUFT

10 LEG EINEN GARTEN AN

»Ich muss einfach kreativ bleiben, denke ich, nicht um etwas zu beweisen, sondern weil es mich glücklich macht … Ich glaube, kreativ sein zu wollen und sich kreativ zu beschäftigen heißt oft gleichzeitig auch, am Leben zu bleiben.«

Willie Nelson

Ich habe dieses Buch geschrieben weil ich es lesen musste

Noch vor ein paar Jahren bin ich morgens aufgewacht, habe auf dem Smartphone Nachrichten gelesen und jedes Mal das Gefühl gehabt, als wäre die Welt über Nacht einfach nur noch bescheuerter und fieser geworden. Ich war damals seit mehr als zehn Jahren als Autor und Künstler tätig; trotzdem schien es nicht leichter zu werden. Sollte es mit der Zeit nicht leichter werden?

Es wurde tatsächlich leichter, als ich irgendwann meinen Frieden mit der Erkenntnis gemacht hatte, dass es womöglich nie leichter würde. Diese Welt ist nun mal verrückt. Kreativarbeit ist ein hartes Brot. Das Leben ist kurz und die Kunst unendlich.

Ganz egal ob du ausgebrannt bist, noch mal neu oder überhaupt erst mal anfangen willst oder ob du schon irre erfolgreich bist – die Frage ist doch immer die gleiche: Wie mache ich weiter?

Dieses Buch enthält zehn Weisheiten, die mir geholfen haben. Ich habe dieses Buch erst einmal für Autoren- und Künstlerkollegen geschrieben, finde aber, dass es sich für jeden eignet, der versucht, ein sinnerfülltes, produktives Kreativleben zu führen: Unternehmer beispielsweise, Lehrer, Schüler und Studenten, Rentner oder politische Aktivisten. Viele dieser Erkenntnisse sind nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern geklaut, und vielleicht lohnt es sich für dich, dir ebenfalls das eine oder andere zu eigen zu machen.

Dabei gibt es keine Regeln. Natürlich nicht. Leben ist Kunst, nicht Wissenschaft. Und Bedürfnisse sind unterschiedlich. Nimm dir, was dir nützlich erscheint, und lass den Rest links liegen.

Dann geh den nächsten Schritt und pass auf dich auf. So mache ich es auch.

1
UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER

»Keiner von uns weiß, was auf uns zukommt. Vergeude deine Zeit nicht damit, dir darüber den Kopf zu zerbrechen. Mach das Beste aus allem. Versuch es Tag für Tag von Neuem. Mehr geht nicht.«

Laurie Anderson

Wann immer jemand anfängt, von einer »kreativen Reise« zu sprechen, muss ich leider die Augen verdrehen.

In meinen Ohren klingt das viel zu hochtrabend, viel zu heldenhaft.

Die einzige kreative Reise, auf die ich mich je begeben habe, sind die zehn Schritte von unserer Hintertür in mein Atelier in der Garage. Dort setze ich mich an den Schreibtisch, starre ein weißes Blatt Papier an und denke mir: »Habe ich das Gleiche nicht schon gestern gemacht?«

Wenn ich Kunst erschaffe, fühle ich mich nun mal nicht wie der reisende Held Odysseus. Eher wie Sisyphos, der seinen Felsbrocken den Berg hochwuchtet. Wenn ich arbeite, fühle ich mich auch nicht wie Luke Skywalker. Ich fühle mich eher wie Phil Connors aus dem Film Und täglich grüßt das Murmeltier.

Für all diejenigen, die den Film nicht gesehen haben: Und täglich grüßt das Murmeltier kam 1992 in die Kinos. Bill Murray spielt die Hauptfigur, Phil Connors, einen Fernseh-Wetterfrosch, der in eine Zeitschleife gerät und Morgen für Morgen am 2. Februar – am Murmeltiertag – in Punxsutawney, Pennsylvania, aufwacht. Punxsutawney ist die Heimat des berühmten Murmeltiers Punxsutawney Phil. Wenn Murmeltier Phil am Murmeltiertag wach wird und seinen Schatten sieht, dauert der Winter weitere sechs Wochen. Wetterfrosch Phil wiederum hasst Punxsutawney, und das Kaff wird zu einer Art Vorhölle für ihn. Er tut alles, was in seiner Macht steht, um endlich von dort wegzukommen, doch der 3. Februar bricht einfach nicht an. Für Phil ist der Winter unendlich. Egal was er unternimmt – er wacht trotzdem jeden Morgen wieder im selben Bett auf, um denselben Tag zu erleben.

In einem Moment tiefster Verzweiflung wendet er sich in einer Bowlinghalle an der Bar an zwei Besoffene: »Was würdet ihr machen, wenn ihr plötzlich irgendwo festsitzen würdet, und jeder Tag wäre haargenau derselbe, und nichts würde daran was ändern?«

Diese Frage muss Phil im Laufe des Films für sich beantworten – genau wie wir sie für uns und unseren weiteren Lebensverlauf beantworten müssen.

Ich glaube, die Antwort auf diese Frage bestimmt unsere Kunst.

Ich bin beileibe nicht der Erste, der Und täglich grüßt das Murmeltier als die womöglich beste Parabel auf unsere Zeit ansieht. Harold Ramis, der Regisseur und Drehbuch-Koautor, erzählte mal, er habe unzählige Briefe von Priestern, Rabbis und Mönchen erhalten, die alle die spirituelle Botschaft des Films gepriesen und sie für ihre jeweilige Religion vereinnahmt hätten. Ich persönlich finde ja, der Film hat vielmehr eine besondere Relevanz für all diejenigen, die kreativ arbeiten. Denn ein kreatives Leben verläuft nicht linear. Es entspricht keiner geraden Strecke von A nach B, eher einer Schlangenlinie oder einer Schleife, in der man nach jedem Projekt wieder zu einem neuen Ausgangspunkt kommt. Ganz gleich wie erfolgreich man dabei ist, egal wie viel Anerkennung man erntet – man kommt doch nie wirklich an ein »Ziel«. Mal abgesehen vom Tod gibt es im Künstlerleben keine Zielgerade und kein Renteneintrittsalter. »[T]rotz der großen Dinge, die Ihnen gelungen sind«, schreibt der Musiker Ian Svenonius, werden »die anderen Gäste bei einer Dinnerparty […] Sie fragen: ›Und was nun?‹«

Die wirklich erfolgreichen Künstler, die ich kenne, haben auf die Frage nach dem »Was nun?« immer eine Antwort parat, weil sie eine tägliche Routine entwickelt haben – eine jederzeit wiederholbare Arbeitsweise, die sie von Erfolg, Misserfolg und dem Chaos in der Welt dort draußen abschirmt. Sie alle haben identifiziert, womit sie ihre Zeit verbringen wollen, und daran arbeiten sie Tag für Tag, ganz gleich, was sonst noch passiert. Egal ob ihr jüngstes Werk auf Ablehnung, Missachtung oder auf großes Hallo gestoßen ist – sie wissen genau, dass sie tags darauf trotzdem erst einmal aufstehen und sich ihrer Arbeit wieder neu widmen müssen.

Wir haben so wenig Kontrolle über unser Leben; im Grunde können wir nur beeinflussen, womit wir unsere Zeit verbringen, sprich: was wir tun – und wie intensiv wir uns damit beschäftigen. Es mag weit hergeholt klingen, aber ich glaube tatsächlich: All denjenigen von uns, die künstlerisch tätig sein wollen, kann gar nichts Besseres passieren, als so zu tun, als würden wir die Hauptrolle in unserem ganz eigenen Murmeltier-Film spielen. Gestern war gestern. Es könnte durchaus sein, dass es kein Morgen gibt. Es gibt nur ein Heute und all das, was man daraus machen kann.

»Die Kämpfe eines einzigen Tages auszufechten – das schafft jeder«, schreibt Richmond Walker in seinem Meditationsratgeber für trockene Alkoholiker, Twenty-Four Hours a Day. »Wenn Sie und ich sämtliche Bürden dieser beiden grässlichen Ewigkeiten – Gestern und Morgen – addieren, brechen wir darunter zusammen. Es ist nicht die Erfahrung des Heute, die Menschen in den Wahnsinn treibt. Es ist die Reue oder Verbitterung angesichts eines gestrigen Ereignisses und die Angst vor dem, was der morgige Tag bringen mag. Geben wir also unser Bestes und leben schlicht einen Tag nach dem anderen.«

Auf einer kreativen Reise werden wir weder zum triumphierenden Helden gekrönt noch leben wir fortan glücklich bis ans Ende unserer Tage. Die wahrhaft kreative Reise ist jene, in der wir – wie Phil – Tag für Tag von Neuem aufwachen und uns eine Menge Arbeit bevorsteht.

»Die Art, wie wir unsere Tage verbringen, besagt natürlich, wie wir unsere Leben verbringen.«

Annie Dillard

»Handwerk und Routine sind natürlich weniger sexy als properes künstlerisches Genie. Aber sie helfen einem dabei, nicht verrückt zu werden.«

Christoph Niemann

Es gibt immer gute und schlechte Tage. Tage, an denen man sich inspiriert fühlt, und Tage, an denen man am liebsten von einer Brücke springen will. (Und an manchen Tagen kann man das nicht einmal unterscheiden.)

Ein fester Tagesablauf trägt einen durch den Tag und hilft, das Beste daraus zu machen. »Ein Tagesplan hilft, Chaos und wunderliche Einfälle einzudämmen«, schreibt Annie Dillard. »Er ist wie ein Netz, mit dem man den Tag einfängt.« Wenn man also nicht weiß, was man als Nächstes tun soll, wird es einem der Tagesplan sagen.

Wer immer wenig Zeit hat, dem wird der Zeitplan helfen, aus der wenigen Zeit das Beste zu machen. Wenn man alle Zeit der Welt hat, hilft der Tagesplan sicherzustellen, dass man seine Zeit nicht vertrödelt. Ich habe immer geschrieben – während ich Broterwerbsjobs hatte, während ich Vollzeit von zu Hause aus gearbeitet und während ich auf kleine Kinder aufgepasst habe. Das Geheimnis, unter solchen Bedingungen weiter zu schreiben, ist ein Stundenplan – an den man sich hält.