1 Dieses Zeichen findet sich in allen Terma-Texten; es ist ein Symbol, das sie versiegeln und schützen soll. Es steht in allen diesen Texten anstelle des gewöhnlichen tibetischen Satzzeichens – einer kurzen vertikalen Linie. Da die deutsche Zeichensetzung komplizierter ist, stehen die Terma-Zeichen in der Übersetzung nur am Ende eines Textabschnittes oder Verses.
2 Das Ausschleudern des Bewusstseins (Tibetisch: ’pho-ba) ist ein Teil der Übung des Reinen Landes und einer der Sechs Yogas des Nāropā. Mit seiner Hilfe lernt der Yogin, wie er sein Bewusstsein durch die Schädeldecke hinauf in ein vorgestelltes Bild schießen kann, welches er bei seinem Tode in den Dharmakāya-Bereich zu lenken vermag. Ausführliche Beschreibungen dieser Übung finden sich in: Herbert Guenther: »The Life and Teaching of Nāropā« (Oxford) und in: Garma C. C. Chang: »Esoteric Teachings of the Tibetan Tantra« (Aurora Press).
3 Dharma-Brüder sind die Schüler desselben Guru.
4 Die Drei Juwelen sind: der Buddha oder das Erleuchtungsprinzip; das Dharma, die Lehre von der Erleuchtung; und die Sangha, die Gemeinde, welche das Dharma übt.
5 Die Stellung von Gautama Buddha bei seinem Tod: ausgestreckt auf der rechten Seite liegend, mit der rechten Hand unter dem Kopf.
6 Das Große Symbol (Tibetisch: phyag-rgya-chen-po, Sanskrit: Mahāmudrā) ist eine tantrische Meditationsübung, in der die Gesamtheit der Erfahrung in die Gottheit und das Mandala umgewandelt wird. In diesem Zustand entsteht die Große Glückseligkeit (Mahāsukha) aus der Einswerdung des männlichen und des weiblichen Aspekts der Übung – der angemessenen Mittel oder Barmherzigkeit und der Erkenntnis oder Leere (upāya und prajˆnā). Es ist unmittelbare Wahrnehmung der Heiligkeit und Lebendigkeit des Lebens.
7 Samantabhadra und Samantabhadrī (Tibetisch: kun-tu-bzang-po und kun-tu-bzang-mo) symbolisieren die Untrennbarkeit von Erbarmen und Erkenntnis, den beiden Koeffizienten der Erleuchtung. Als Verkörperung des Dharmakāya sind sie der Ursprung der fünf Buddha-Familien, welche aus ihnen ausstrahlen und auf der Sambhogakāya-Ebene erscheinen. In diesem Sinne ist Samantabhadra in der Nyingma-Tradition als der Ādibuddha oder Urbuddha bekannt. Samantabhadra ist auch der Name eines Bodhisattvas, der am dritten Tag des Bardo erscheint.
8 Diese Übungen sind zwei sich ergänzende Meditationspraktiken im tantrischen Yoga. Bei der Übung Bildlicher Vorstellung (Tibetisch: bskyedrim, Sanskrit: utpattikrama) stellt sich der Yogin die Gottheiten bildlich vor und identifiziert sich mit ihnen; in der Vollkommenen Übung (Tibetisch: rdzogs-rim, Sanskrit: sampannakrama) ist alles in Leere und Formlosigkeit aufgelöst.
9 Der Yidam ist eine bestimmte Gottheit, die das inhärente erleuchtete Wesen des Schülers repräsentiert. Der Guru wählt ihn für den Schüler aus, je nach dessen Charaktereigenschaften und der Übung, mit der er arbeitet. Es heißt, Avalokiteśvara, der Herr des Großen Erbarmens sei für jedermann geeignet, sodass ein »gewöhnlicher Mensch«, der keinen besonderen Yidam erhalten hat, über ihn meditieren sollte.
10 Die zehn Stufen in der Entwicklung eines Bodhisattva.
11 Im Tibetischen werden drei Begriffe angeführt: gdung, ring-bsrel und sku-gzugs, oder Sanskrit: Śarīram. All dies sind gleichartige Rückstände, die nach der Verbrennung eines hochentwickelten Yogin oder Siddha zurückbleiben. Sie ähneln glänzenden runden Steinen von weißer oder grünlicher Farbe, werden als Reliquien aufbewahrt und oft kurz vor dem Tod eingenommen.
12 Zum Großen Symbol siehe Anm. 6. Die Große Vollendung (Tibetisch: rdzogs-pa-chen-po, Sanskrit: Mahāsampanna) ist ein Zustand der Meditation, der dem Atiyoga oder Mahā-ati entspricht. Er dringt sogar über die scheinbar höchste Vision des Großen Symbols hinaus vor in eine weitere Erfahrung von Offenheit und Formlosigkeit. Diese Übung wurde von Vimalamitra, einem Zeitgenossen des Padmasambhava, gelehrt und in der Nyingma-Tradition weiterentwickelt. Die beiden Übungen, das Große Symbol und die Große Vollendung wurden von Rangjung-Dorje, dem dritten Karmapa, zusammengefasst.
13 Die »Befreiung durch Tragen« (Tibetisch: Btags-grol) ist eine weitere der sechs Bardo-Unterweisungen des Padmasambhava. Es ist ein kurzer Text, der zum großen Teil aus Mantras besteht; er wird dem Leichnam als Amulett umgehängt.
14 Der Glorreiche Große Buddha-Heruka ist eine Kombination des Buddha-Heruka und des Großen Heruka, welcher, wie im Kommentar beschrieben, der Ursprung der Herukas der fünf Familien ist. Auf Gemälden (Thankas) der rasenden Gottheiten erscheint der Große Heruka im Zentrum, entsprechend Samantabhadra im Mandala der friedlichen Gottheiten, und Buddha-Heruka ist unter ihm platziert.
15 Die Gaurīs (gaurī bedeutet »weiß«) sind eine Gruppe von acht Göttinnen, die alle zusammen nach der ersten von ihnen benannt sind, die tatsächlich die einzige weiße ist. Im tibetischen Text des Bardo Thödol sind ihre Sanskritnamen beibehalten, jedoch die meisten in entstellter Form und in jedem Blockdruck mit kleinen Abweichungen (so nennt Evans-Wentz sie zum Beispiel die Keurimas). Sie erscheinen in vielen anderen tantrischen Texten, aber zwei der Namen, die hier auftauchen, findet man nicht in der üblichen Aufstellung: Pramohā und Śmaśānī. Pramohā oder Pramo heißt »Blender« und entspricht wahrscheinlich Dombi, dem Weib niederer Kaste, welches in der tantrischen Dichtung ein Symbol der Leidenschaft ist. Śmaśān ī ist der Sanskritname, der sich noch am ehesten aus der tibetischen Form Śmeśānī herleiten lässt; Śmaśānī, »sie, die auf dem Friedhof wohnt« entspricht dem »Asketen« oder »Bergbewohner« Śavarī. Es ist nicht möglich, diese Göttinnen nur nach ihren Beschreibungen zu identifiziere, da diese in den verschiedenen Texten voneinander abweichen. Die Piśācīs (Tibetisch: phramen-ma) sind fleischfressende Gottheiten mit Vogel- und Tierköpfen. Ihr Name bedeutet »gestreift« oder »bunt gescheckt«, was sich auf die verschiedenen Farben auf ihren Körpern bezieht. Die Yogins nennt man auch »Mächtige Herrin« (Tibetisch ’dbang-phyug-ma, Sanskrit: Īśˉvarī). Die meisten von ihnen waren ursprünglich Hindu-Gottheiten, die in den Buddhismus aufgenommen wurden. Im Text sind ihre Namen alle ins Tibetische übersetzt, aber hier werden die Sanskritnamen mit Übersetzung gegeben, da viele in dieser Form allgemein bekannt sind.
16 Das sechssilbige Mantra des Avalokiteśvara: om ma.nipadme hūm.
17 Der Vajra-Sitz ist der Sitz, auf dem Gautama Buddha saß, als er bei Bodhgayā Erleuchtung erlangte.
18 Die Zufluchts-Formel, mit der man sich zum Buddha-Pfad bekennt: Ich nehme Zuflucht zum Buddha. Ich nehme Zuflucht zum Dharma. Ich nehme Zuflucht zur Sangha
Francesca Fremantle, Chögyam Trungpa (Hrsg.)
Das
Totenbuch
der
Tibeter
Neuausgabe des Standardwerks
Aus dem Englischen von Stephan Schumacher
Diederichs
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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
The Tibetian Book of the Dead
The Great Liberation Through Hearing In The Bardo
bei Shambala Publications, Inc., Berkeley/Kalifornien
© Francesca Fremantle und Chögyam Trungpa
© der deutschsprachigen Ausgabe Heinrich Hugendubel Verlag,
Kreuzlingen/München 2008
Alle Rechte vorbehalten
Copyright © 2020 Diederichs Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
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Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
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V002
www.diederichs-verlag.de
Seiner Heiligkeit, dem XVI. Gyalwa Karmapa
Rangjung Rigpi Dorje gewidmet
Vorwort
Einleitung
Kommentar von Chögyam Trungpa, Rinpoche
Die große Befreiung durch Hören im Bardo
Inspirations-Gebete
Inspirationsgebet in Anrufung der Buddhas und Bodhisattvas um Errettung ∙ Die Hauptverse der sechs Bardos ∙ Inspirationsgebet zur Errettung von der gefährlichen Gratwanderung des Bardo ∙ Das Bardo-Gebet, das vor Furcht schützt
Anhang
Aussprache der Sanskritwörter ∙ Glossarium der Sanskritwörter ∙ Abbildungsverzeichnis ∙ Register
Das Bardo Thödol (Tibetisch: bar-do ’i-thos-grol) ist ein Text aus einer Gruppe von Unterweisungen über sechs Arten der Befreiung: Befreiung durch Hören, Befreiung durch Tragen, Befreiung durch Sehen, Befreiung durch Erinnern, Befreiung durch Schmecken und Befreiung durch Berühren. Diese Unterweisungen wurden von Padmasambhava verfasst und von seiner Frau, Yeshe Tsogyal, zusammen mit dem Sādhana der beiden Mandalas der zweiundvierzig friedlichen und der achtundfünfzig rasenden Gottheiten aufgezeichnet.
Padmasambhava vergrub diese Texte bei den Gampo-Hügeln in Zentraltibet, in denen später der große Lehrer Gampopa sein Kloster gründete. Viele andere Texte und heilige Geräte wurden gleichermaßen an verschiedenen Orten in ganz Tibet vergraben und sind deshalb als Terma, »verborgene Schätze«, bekannt. Padmasambhava gab an seine fünfundzwanzig Hauptschüler die Kraft weiter, diese Termas aufzufinden. Die Bardo-Texte wurden später von Karma-Lingpa, einer Inkarnation eines dieser Schüler, wiedergefunden.
Befreiung heißt in diesem Fall, dass wer immer mit dieser Lehre in Berührung kommt – und sei es auch nur in der Form des Zweifels oder auch mit unvoreingenommenem Geist –, durch die in diesen Schätzen enthaltene Macht der Überlieferung einen plötzlichen Schimmer der Erleuchtung erfährt.
Karma-Lingpa kam aus der Nyingma-Tradition, seine Schüler jedoch gehörten alle zur Kagyü-Tradition. Er gab die erste Überlieferung der sechs Befreiungslehren an Dödül-Dorje, den dreizehnten Karmapa, der sie wiederum an Gyurme-Tenphel, den achten Trungpa weitergab. Diese Überlieferung blieb in den Surmang-Klöstern der Trungpa-Linie lebendig, von wo aus sie sich wieder zurück in die Nyingma-Tradition ausbreitete.
Der Schüler dieser Lehre übt das Sādhana und studiert die Texte, um mit den beiden Mandalas als Teil seiner eigenen Erfahrung ganz vertraut zu werden.
Ich erhielt diese Überlieferung im Alter von acht Jahren und wurde von meinen Erziehern, die mich auch im Umgang mit sterbenden Menschen anleiteten, im Sinne dieser Lehre geschult. Das bedeutet, dass ich von jener Zeit an etwa viermal in der Woche sterbende oder tote Menschen besuchte. Solch unablässige Begegnung mit dem Vorgang des Sterbens, vor allem dem der eigenen besten Freunde und Verwandten, wird für die Schüler dieser Tradition als äußerst wichtig angesehen. Auf diese Weise bleibt die Vorstellung der Vergänglichkeit keine philosophische Ansicht, sondern wird zur lebendigen Erfahrung.
Dieses Buch ist ein weiterer Versuch, diese Lehre den Schülern im Westen zugänglich zu machen. Ich hoffe, dass in naher Zukunft auch das Sādhana übersetzt werden kann, damit diese Tradition in ihrer Gesamtheit fortgesetzt werden möge.
Chögyam Trungpa, Rinpoche