Zum Buch
Die Köchin Clara schwärmt schon seit Langem für den Herzog von Castamar, auf dessen Anwesen sie arbeitet. Und auch wenn sie es lange für unmöglich hielt, ist es nicht mehr zu leugnen, dass auch der Herzog ihr sehr zugetan ist. Als Clara bei einem großen Festessen den Gästen vorgestellt wird, gerät die Situation außer Kontrolle: Mehrere Adlige machen anzügliche Bemerkungen, bis Clara – ihrer niedrigen Stellung zum Trotz – ihrer Wut freien Lauf lässt. Ein Skandal, der sofort die Runde macht. Doch der Herzog gibt nicht auf, um Clara zu werben. Auch wenn er damit ins Netz der Intrigen gerät, die seine Widersacher sorgfältig inszeniert haben …
Zum Autor
Fernando J. Múñez, geboren 1972 in Madrid, studierte Philosophie und Filmwissenschaften. Er verfasste Drehbücher und Jugendliteratur, bevor er die historische Saga »Die Köchin von Castamar« schrieb, die in Spanien sofort zum Bestseller wurde. Eine TV-Verfilmung ist bereits in Vorbereitung.
FERNANDO J. MÚÑEZ
Auf Liebe und Tod
ROMAN
Aus dem Spanischen
von Anja Rüdiger
C. Bertelsmann
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel La Cocinera de Castamar bei Planeta, Barcelona.
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Copyright © 2019 Fernando J. Múñez
The translation follows the edition of Editorial Planeta, Barcelona 2019
Published by arrangement with UnderCover Literary Agents
on behalf of IMC Literary Agency
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020
beim C. Bertelsmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: www.buerosued.de
unter Verwendung von Bildmotiven von
© Arcangel Images / Ildiko Neer und © www.buerosued.de
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-26148-1
V001
www.cbertelsmann.de
Amelia Castro bereitete schon seit mehreren Tagen ihre Abreise vor, nachdem sie das Frühjahr und den Sommer über die Gastfreundschaft und das Vertrauen der Bewohner von Castamar weidlich ausgenutzt hatte. Nun, da es bereits Herbst war, genau an dem Tag, an dem das jährliche Fest des Herzogs Don Diego von Castamar stattfinden würde, hatte sie beschlossen, sich auf den Weg nach El Escorial zu machen, um ihre kranke Mutter zu besuchen. Denn die einzigen Nachrichten, die sie über sie erhalten hatte, waren Briefe von Dienstboten, die sich um sie kümmerten. Auch der Marquis von Soto und Campomedina Don Enrique hatte ihr geschrieben und sie darüber informiert, dass er erneut an dem traditionellen Essen im kleinen Kreis in Castamar teilnehmen würde, wo er auch sie anzutreffen hoffe. Nun war sie voller Panik. Offensichtlich gab es keine Möglichkeit, diesem Kerl klarzumachen, dass er das, was er nach dem geheimen Plan von ihr forderte, nicht bekommen würde: Denn es stand nicht mehr in ihrer Macht, Don Diego zu verführen.
Natürlich war Doña Mercedes – Don Diegos Mutter – ihr durchaus gewogen, und ihre Söhne waren es ebenfalls, aber mehr auch nicht. Und deshalb war Amelia zu dem Schluss gekommen, dass der Widerling Don Enrique, wenn er herausfinden würde, dass Don Diego sich keineswegs verpflichtet fühlte, sie jemals zu ehelichen, durchaus in der Lage sein würde, sie und ihre Mutter durch einen Unfall verschwinden zu lassen.
Daher hatte sie eine Strategie erdacht, um dieser bedrohlichen Lage zu entkommen. Sie hatte vor, ihre Mutter abzuholen und von Madrid nach Cádiz zu reisen, um dann per Schiff in ein anderes europäisches Land, möglicherweise Frankreich, oder nach Amerika zu fliehen. Sie hoffte, den Majordomus oder einen anderen Dienstboten des Hauses mithilfe einer beträchtlichen Summe Geldes dazu bewegen zu können, sie von hier fortzubringen. Und wenn ihr das gelang, würde sie Don Enrique für immer vergessen. Bis dahin musste sie ihn jedoch glauben machen, dass sie ihr Ziel erreichen könne. Außerdem durfte Don Gabriel, der Adoptivbruder des Herzogs, sosehr sie ihn auch in all den Monaten schätzen gelernt hatte, auf keinen Fall erfahren, dass sie an der Geschichte beteiligt war. Sie hatte sogar daran gedacht, Don Gabriel zu bitten, sie zu begleiten und ihr zur Seite zu stehen, falls die Dienerschaft in El Escorial sich als nicht kooperativ erweisen sollte. Später war sie jedoch zu dem Schluss gekommen, ihn lieber nicht damit zu behelligen, da sie nicht wollte, dass Don Gabriel zum Ziel der Machenschaften des Marquis werden würde. Deshalb hatte sie geschwiegen, obwohl sie das Bedürfnis verspürt hatte, sich ihm anzuvertrauen. Sie fürchtete um seine Sicherheit, denn als Mitwisser würde er automatisch zu Don Enriques Feind.
Seit Don Gabriel sie aus dem Schlamm und dem Unwetter gerettet und vor dem sicheren Tod bewahrt hatte, hatten sich ihre Ansichten über die dunkelhäutige Rasse sehr verändert. So intensiv, wie er sich um ihr Wohl gesorgt hatte, die medizinische Behandlung ihres Gesichts, die er ihr auf Anweisung des Arztes hin hatte angedeihen lassen, die gemeinsamen Spaziergänge durch die Gärten von Castamar und die Ausflüge nach Villacor, die kurzen Nachrichten, die er ihr geschrieben hatte, die Lektüren, mit denen er sie erfreut hatte, und sein Cembalospiel für sie, all das hatte dafür gesorgt, dass sie auf einmal nicht mehr auf seine Hautfarbe gesehen hatte, sondern in sein Herz. Und es gab keinen anderen Menschen, der so gutmütig und hilfsbereit war wie er. Don Gabriel wies all die Eigenschaften auf, die eine Frau sich von einem Mann wünschen konnte: Er war gut aussehend, selbstsicher, vertrauenswürdig und hingebungsvoll. Daher wartete sie nun mit ihrem fertigen Gepäck traurig auf ihn, um sich zu verabschieden. Die nie erklärte Beziehung, die sich zwischen ihnen entwickelt hatte, würde über sie beide nur Unglück bringen, wenn sie sie nicht beendeten. Sie war eine unverheiratete Frau, der man die Jungfräulichkeit genommen und das Gesicht gezeichnet hatte. Und er ein Mann, der nur innerhalb der engen Grenzen von Castamar respektiert wurde.
Jemand klopfte an die Tür, und sie gewährte Einlass. Wie sie es erwartet hatte, erschien Don Gabriel untadelig gekleidet in einem Gehrock aus Taft und einer himmelblauen Weste mit silbernen Knöpfen. Sie wandte sich ihm zu und machte einen kleinen Knicks. Daraufhin nahm er den Dreispitz ab, grüßte höflich und erklärte seinen Wunsch zu erfahren, ob sie die Absicht habe, Castamar zu verlassen.
»Ich möchte Euch nicht noch mehr Unannehmlichkeiten bereiten, als es bereits der Fall ist, und … wie Ihr seht, sind meine Sachen, die Ihr freundlicherweise aus Madrid habt herbringen lassen, bereits gepackt. Ich möchte meine Mutter besuchen.«
Er nickte verständnisvoll und presste die Lippen zusammen wie bereits mehrere Male zuvor, wenn er sich gezwungen hatte, das Thema des Überfalls nicht anzusprechen. Sie schwiegen eine Weile, als könne sich keiner von beiden dazu entschließen, sich zu verabschieden. Bis er sie mit seinen glänzenden dunklen Augen ansah und gestand:
»Ich wiederhole, wie sehr ich mir wünsche, dass Ihr zum Abendessen bleibt.«
Sie erschauderte, wenn sie nur an Don Enrique dachte, und senkte sofort den Blick.
»Diese Einladung entspricht natürlich auch dem Wunsch meines Bruders und meiner Mutter, die Euch, wie Ihr wisst, aufrichtig schätzen«, fügte Don Gabriel hinzu. »Wie ich Euch letztens beim Spaziergang sagte, würde es mich sehr glücklich machen, wenn Ihr meine Begleiterin wäret.«
Sie lächelte, als ihr dieser Moment wieder ins Gedächtnis kam.
»Ich danke sehr für Euer Angebot, aber heute Abend Eure Begleiterin zu sein, würde mich in eine unerquickliche Lage bringen und Euch …«
»Ich verstehe. Manchmal bedenke ich nicht, was ich von anderen erbitte«, unterbrach er sie sanft. »Keine Angst, meine Einladung bezieht sich nur auf das Essen unter Freunden, das mein Bruder vor dem Fest zu geben pflegt. Denn obwohl mein Bruder immer wieder darauf besteht, nehme ich niemals am anschließenden Ball teil. Meine Hautfarbe ist nicht angemessen für den Königshof, und ich verstehe, dass sie das auch für Euch nicht ist. Ich fürchte, dass es zu ständigem Gerede führen würde, und ich weiß, dass das … unangenehme Fol…«
Amelia trat auf Gabriel zu und hob die Hand, um ihn zu unterbrechen.
»Ihr habt mich falsch verstanden, Don Gabriel«, flüsterte sie. »Auch wenn ich nicht abstreiten kann, dass ich zu Anfang gewisse Vorbehalte Eurer Hautfarbe gegenüber hatte, sind diese doch schon lange nicht mehr bei mir vorhanden. Auf keinen Fall würde ich Euch derartig entehren und schon gar nicht, nachdem Ihr mir das Leben gerettet habt. Ihr seid der beste Begleiter, den ich mir für das Fest wünschen könnte, und meine Absage hat nichts mit Eurer Hautfarbe zu tun«, fuhr sie fort. »Dass ich nicht daran teilnehmen möchte, ist … wegen mir … meiner dummen weiblichen Eitelkeit …«, erklärte sie und strich sich über die längst geschlossene Narbe auf ihrer Wange.
Gabriels Gesichtsausdruck veränderte sich sofort.
»Entschuldigt meine Dummheit«, sagte er. »Daran gewöhnt, dass meine Hautfarbe bei tumben Herzen auf Abneigung stößt, habe ich nur an mich gedacht, anstatt an Euer Wohl.«
»Deshalb braucht Ihr Euch nicht schuldig zu fühlen. Nicht mir gegenüber, die ich in Euer Herz geblickt habe und weiß, wie Ihr seid«, sagte Amelia, um der Angelegenheit an Bedeutung zu nehmen.
Für ein paar Sekunden sahen sie sich in die Augen. Dann trat er noch näher an sie heran.
»Erlaubt mir, Euch zu beschützen«, sagte er. »Ich schwöre, dass ich nicht zulassen werde, dass Euch noch einmal irgendjemand ein Leid antut.«
Diese Worte bewegten sie so sehr, dass sie sich ihm endlich anvertrauen wollte. Mit den Fingerspitzen strich er über ihre Narbe, und sie hielt seine Hand zögernd für einen Moment zurück, um dann zuzulassen, dass er ihr Gesicht berührte. Sie senkte den Kopf, bis ihre Stirn an seiner Brust lehnte. In dem Moment klopfte jemand an die Tür, und beide traten sofort auseinander. Don Diego kam herein, in dem Glauben, nur sie dort anzutreffen. Als er seinen Bruder sah, hielt er inne, doch Gabriel bat ihn einzutreten. Für einen Moment kehrte das befremdliche Gefühl zurück, das Amelia jedes Mal verspürte, wenn sie die beiden Brüder zusammen sah. »Ich bin gekommen, um Euch, Señorita Amelia, zu bitten, heute Abend noch am Essen teilzunehmen …«, sagte Diego befangen.
Don Gabriel beeilte sich zu sagen, dass sie anderweitige Verpflichtungen habe, doch bevor er den Satz beenden konnte, erklärte Amelia, durch einen Impuls geleitet, dass diese Verpflichtungen warten konnten und dass es ihr eine Freude sei, den Abend mit ihnen gemeinsam zu verbringen. Don Diego zog sich zurück, um der Dienerschaft mitzuteilen, dass sie einen Gast mehr erwarteten, und nachdem er den Raum verlassen hatte, dankte Gabriel Amelia dafür, dass sie bleiben wollte.
»Das ist das Mindeste, was ich tun kann«, entgegnete sie.
»Nicht dass Ihr Euch genötigt fühlt. Ich weiß, dass Ihr aufgrund Eurer guten Erziehung …«
»Ich freue mich darauf, Eure Begleitung zu sein«, unterbrach sie ihn.
Daraufhin entschuldigte er sich lächelnd und folgte dem Herzog aus dem Zimmer. Und sie blieb mit ihrer Angst allein zurück. Sie setzte sich und betrachtete ihre Hände, die sie nicht stillhalten konnte. »Sei stark, Amelia!«, sagte sie sich. »Was während des Essens auch geschieht, Don Gabriel wird an deiner Seite sein, und wenn du die Freiheit willst, musst du Don Enrique die Stirn bieten.«
Das Abendessen im kleinen Kreis war nach den Worten Andrés Moguers ein »voller Erfolg«. Der Kammerherr, der die servierenden Dienstboten mit einer kurzen Beschreibung dessen, was im Salon vor sich ging, hineinschickte, erklärte, dass sich allgemeine Stille ausgebreitet habe, die lediglich von genüsslichen Seufzern beim Kosten der Brühe und des Fleischs unterbrochen wurde.
Der dem Ereignis vorausgehende Trubel hatte drei Tage zuvor begonnen. Zunächst mit der Ankunft von Don Diegos Mutter Doña Mercedes und ihrem Gast Don Enrique von Arcona und später mit dem Erscheinen der beiden Freunde Seiner Exzellenz, Don Francisco und Don Alfredo. Clara Belmonte war nun bereits seit einem Jahr in Castamar im Dienst, und inzwischen dirigierte sie die Küche wie der berühmte Haushofmeister und Koch François Vatel. So hatte sie es auch ihrer Mutter und ihrer Schwester in den Briefen geschrieben, die sie an diesem Morgen abgeschickt hatte. Clara hatte ihnen in ihrer klaren Schrift freudig beschrieben, wie sie Jacinto Suárez, dem Fleischeinkäufer, erklärt hatte, dass sie ausschließlich Ware von exzellenter Qualität akzeptiere; wie sie Lázaro Molas, dem zuständigen Küchenmeister, auseinandergesetzt hatte, welche Art Dekoration sie für die Tische wünschte; und wie sie die Küchenmeisterin Matilde Marrón persönlich instruiert hatte, welches besonders feine Olivenöl sie benötigte, welche Gelees, Saucen und Früchte sie zubereiten würde und was sie dafür brauchte.
Dann hatte sie mit der Choreografie der Fleisch- und Fischgerichte begonnen, um festzulegen, in welcher Reihenfolge sie serviert und wie sie präsentiert werden sollten. Und schließlich hatte sie die drei Küchen dirigiert, mit denselben Köchen, die im Vorjahr so gute Arbeit geleistet hatten, und dabei versucht, alles im Auge zu behalten, damit es ihren Erwartungen entsprach. Diesmal hatte sich der französische Koch Jean-Pierre de Champfleury, der sich im letzten Jahr ihren Anweisungen zunächst widersetzt hatte, jedem ihrer Befehle gefügt. Wie es schien, war ihm das Lob des engen Kreises um die Königin zu Ohren gekommen, in dem man der Meinung war, dass Señorita Belmonte eine Köchin mit außergewöhnlichen Fähigkeiten sei, von der jeder Mann noch etwas lernen könne. In diesem Jahr hatte Clara für Ihre Majestät ein paar kleine italienische Nudelgerichte zubereitet, mit Oregano, Fleisch, Basilikum und Tomaten sowie ein wenig Weißwein und einer Prise Zucker, um den sauren Geschmack abzumildern.
Don Pedro Benoist und Don Pedro Chatelain, die beiden Leibköche der Königin und des Königs, waren auch diesmal gekommen, um auf Anweisung Ihrer Majestäten die Zubereitungen zu beaufsichtigen und die Gerichte zu probieren. Und beide hatten Clara aufrichtig gratuliert und ihr ein paar Ratschläge gegeben, wofür sie ihnen gedankt hatte. Auf dem Weg von Küche zu Küche hatte sie sich hin und wieder erlaubt, an das Regal in ihrem Zimmer zu denken, in dem inzwischen eine stolze Sammlung von vierzehn außergewöhnlichen Kochbüchern stand. Seit dem Besuch der Haushälterin Doña Úrsula an Rosalías Todestag bedeckte sie die Bücher lieber mit einem Leinentuch, damit sie niemandem beim Betreten des Raums ins Auge fielen. Denn sollte Doña Úrsula die Bücher entdecken, konnte ihr dies Argumente liefern, um sie bei der Dienerschaft schlechtzumachen. Bisher hatte jedoch lediglich der ihr so gewogene Gärtner, Señor Casona, sie aufgesucht, um ihr ein paar Zweige Jasmin zu bringen, deren Duft schon bald das ganze Zimmer erfüllte.
All die Zeit über war die Beziehung zwischen Clara und der Haushälterin gleichbleibend kühl und distanziert geblieben, und vier Tage zuvor hatten sie sogar eines ihrer üblichen Scharmützel ausgetragen. Clara, der Don Melquíades ausgesprochen leidtat, weil er seit Januar eingeschlossen in seinem Zimmer hauste, hatte beschlossen, mit dem Herzog zu reden, damit er seinem ehemaligen Majordomus verzieh. Als Doña Úrsula davon erfahren hatte, war sie in der Küche erschienen, um Clara im Beisein des gesamten Küchenpersonals zu befehlen, »sich nicht in Angelegenheiten einzumischen, die nichts mit der Küche zu tun haben«. Dies hatte sie allerdings nicht sonderlich beeindruckt, umso mehr die Reaktion Don Diegos. Ihre Bitte kam nicht so gut an, wie sie gehofft hatte. Der Herzog konnte, nachdem er ihr zugehört hatte, seinen Zorn kaum beherrschen, schnaubte vor Wut und sagte deutlich angespannt kein Wort, bis sie den Raum verlassen hatte. Später hatte Clara dann von Elisa erfahren, dass ihre Bitte in Don Melquíades’ Interesse nur die letzte auf einer langen Liste gewesen war. Der Rest der Dienerschaft hatte sich – anders als sie – auf indirekte Art für Don Melquíades eingesetzt, durch Anspielungen, wenn der Herzog in der Nähe vorbeiging, oder indem sie von der Vergebung von Sünden sprachen. Tatsächlich war dies so oft vorgekommen, dass Don Diego schon vor Monaten zu Doña Úrsula gesagt hatte, dass das mit Don Melquíades eine private Angelegenheit sei und dass er seitens der Dienerschaft keine indirekten Kommentare mehr zu hören wünsche, da er die Botschaft erhalten habe. Daraufhin hatte die Haushälterin in vollem Bewusstsein sämtliche Dienstboten darüber informiert, außer Clara, damit diese endlich in Ungnade falle, und nach der barschen Reaktion des Herzogs hatte sie ihren Triumph voll ausgekostet.
Clara war danach zutiefst niedergeschlagen gewesen und so verstimmt, dass sie sich, die Möglichkeit vor Augen, Seine Exzellenz beleidigt zu haben, kaum noch konzentrieren konnte. Dabei hatte sie sich all die Monate zuvor so leicht und glücklich gefühlt, und oft hatte sie am Morgen nach einem der Kochbücher gegriffen, um sich beim Herzog zu bedanken, indem sie eine neue Sauce oder eine Variante des Fasanen- oder des Lammbratens ausprobierte oder die Creme- oder Obstspeise auf andere Art zubereitete. Und wenn sie schon der Anblick der Bücher in Hochstimmung versetzte, so war ihre Freude noch größer, wenn sie daran dachte, dass sich in jedem eine versteckte Nachricht des Herzogs für sie befand. Im Laufe des Frühjahrs und des Sommers hatten der Herzog und sie mehrmals die Gelegenheit gehabt, so korrekt wie zwischen einem Herzog und seiner Köchin möglich, miteinander zu reden, während ihr geheimer Nachrichtenaustausch häufiger wurde. Daher fügte sie jedem Schreiben, das sie von Seiner Exzellenz erhalten hatte, eine Kopie ihrer Antwort bei, um sie hin und wieder lesen zu können. Und der Gedanke daran brachte sie manchmal dazu, mitten in der Nacht eines der Bücher aufzuschlagen und die darin liegenden Nachrichten zu lesen.
Dieser Briefwechsel hatte eine Wandlung in ihrem Inneren bewirkt. Auf der einen Seite fühlte sie sich Seiner Exzellenz auf eine bestimmte Weise nah. Näher zumindest als jedes andere Mitglied der Dienerschaft. Und auf der anderen Seite hatte etwas in ihr an Stärke gewonnen. Genügend Stärke, um sich ihrer Angst vor offenen Räumen zu stellen, wie sie dem Herzog in einer ihrer kurzen Nachrichten anvertraut hatte:
Meine sehr geschätzte Exzellenz,
wie ich aus dem Munde Señor Moguers erfahren habe, waren die süße Eierspeise sowie der tranchierte Braten und die Lammhaxe durchaus zu Eurer Zufriedenheit, da man mir mit gebührender Genauigkeit Eure Glückwünsche ausgerichtet hat. Obwohl ich manchmal ein wenig Angst habe, Euch irgendwann einmal nicht zufriedenstellen zu können, bin ich nun außerordentlich glücklich, dass meine Gerichte Euch schmecken. Zugleich hat Eure Großzügigkeit mir gegenüber mich so sehr inspiriert, dass ich mich bereit fühle, meine Angst vor offenen Räumen zu überwinden.
Don Diegos Antwort ließ nicht lange auf sich warten. In seiner sorgfältigen Schrift teilte er ihr mit:
Eure Einstellung zeugt von einem starken Charakter und einem entschiedenen Geist, Señorita Belmonte. Folgt diesem Weg, und zweifellos werdet Ihr Eure Ängste schneller überwinden, als Ihr glaubt. Ich befürchte, dass die Bestellung in dieser Woche nicht mehr eintreffen wird, doch ich hoffe, Euch das Buch bald übergeben zu können.
Daraufhin hatte sie noch acht Tage warten müssen, bevor sie endlich das neue Buch erhielt: ein Rezeptbuch des Kochs Pierre de Lune mit dem Titel Le nouveau cuisinier, das im Jahr 1656 in Paris erschienen war. Clara zögerte nicht lange, dem Herzog mit einer Nachricht zu antworten, in der sie in wenigen Zeilen ihre Dankbarkeit dafür, ihm in Castamar als Köchin dienen zu dürfen, zum Ausdruck brachte. Schließlich gewann der Austausch der Nachrichten für sie immer mehr an Bedeutung, bis er nicht mehr ausschließlich mit den bestellten Büchern einherging. Im Sommer hatte sie dann einmal eine Nachricht vorgefunden, die sie gleichzeitig erfreut und geängstigt hatte. Diese hatte sie nach einem rustikalen Mahl der Freunde des Herzogs draußen in Villacor bekommen.
Zweifellos war es ein hervorragender Einfall, Euch diese Bücher zu schenken, denn ich genieße die verschiedenen Geschmäcke Eurer Gerichte aufs Höchste. Dennoch muss ich gestehen, dass dieser Genuss nur ein schwacher Abglanz der Befriedigung ist, die ich in dem Wissen verspüre, wie sehr Ihr mir zugetan seid.
Zwei Zeilen weiter unten hatte er noch hinzugefügt:
Daher rührt es, dass jedes Mal, wenn ich Eure Gerichte koste, eine aufrichtige Zuneigung Euch gegenüber in mir erwächst.
Diese Worte hatten dafür gesorgt, dass ihr Herz schneller schlug und sich in ihrem Kopf alles zu drehen anfing. Sie hatte sich gefragt, wohin das Geheimnis, das sie teilten, führen würde. Zu einem unschuldigen Spiel, in dem eine Köchin und ein Herzog einen heimlichen Briefwechsel führten, oder zu etwas, was mit sich bringen würde, dass sie mit gebrochenem Herzen und ohne berufliche Perspektiven dieses Haus verlassen musste? Ihre Angst war so groß gewesen, dass sie ihn vier Tage auf ihre Antwort warten ließ. Doch ihn immer wieder in den Keller gehen zu sehen, wo er angeblich nach einem Wein suchte, während er in Wahrheit sehnsüchtig auf ihre Nachricht wartete, hatte ihr Herz erweichen lassen. Der Arme war in dieser Zeit mit der Ausrede, dass der Wein einen Essigstich hätte, ganze sechs Mal heruntergekommen, sodass er in jenen Tagen eine Menge guten Wein aus Valdepeñas geopfert hatte. Schließlich hatte Clara ihm dann doch ein paar Zeilen hinterlassen:
Eure Exzellenz, ich muss Euch danken, denn in diesen Monaten bin ich so glücklich, wie ich es nach dem Tod meines Vaters nicht mehr war, und …
Dem hatte sie einen Satz hinzugefügt, den sie mehrere Male neu geschrieben hatte, sodass sie die Nachricht ganze vier Mal ins Reine schreiben musste:
… und die Zeichen Eurer Zuneigung mir gegenüber, Eure Hingabe und Freundlichkeit haben dafür gesorgt, dass ich Euch jeden Tag mehr schätze, Exzellenz, wie es anders nicht sein kann.
Deshalb war sie so verblüfft von seiner verärgerten Reaktion gewesen, als sie die Sache mit Don Melquíades angesprochen hatte. Gleich am nächsten Tag hatte sie um eine Audienz gebeten und war, ohne dass Doña Úrsula es gemerkt hatte, zu ihm in den Salon gegangen, um sich für ihre gewagte Äußerung zu entschuldigen.
»Bevor Ihr irgendetwas sagt, nehmt bitte das«, hatte er lächelnd gemeint und ihr ein neues Buch übergeben. »Diesen Band wollte ich Euch lieber persönlich überreichen.«
Sie war errötet, hatte sich mit einem Knicks bedankt und das Buch entgegengenommen. Dabei hatten sich ihre Fingerspitzen berührt. Er hatte das Buch noch in den Händen, und sie hatte sich gewünscht, dass er es niemals loslassen würde, als sich unterhalb des Einbands jener wunderbare Moment ereignet hatte.
»Ich kann nur hoffen, dass ich das Bild, das Ihr Euch von dem mürrischen Charakter, der mich hin und wieder überfällt, gemacht habt, durch diese Geste ein wenig abmildern kann«, hatte Don Diego dabei mit seiner melodischen Stimme gesagt und das Buch schließlich losgelassen.
»Exzellenz, auf die Gefahr hin, erneut Euer Missfallen zu erregen, und in dem Bewusstsein, dass ich mich in Dinge eingemischt habe, die mich nichts angehen, möchte ich Euch wissen lassen … dass ich mich entschuldige … Verzeiht meine Offenheit und meine Kühnheit von gestern, als ich versucht habe …«
Daraufhin hatte Don Diego sie mit seinen leuchtenden Augen angesehen und sie lachend unterbrochen.
»Señorita Belmonte, Ihr seid unglaublich. Zweifellos hat Señor Elquiza in Euch eine exzellente Verteidigerin«, hatte er gesagt. »Ich bin es, der sich für seine Reaktion bei dieser Gelegenheit entschuldigen muss. Ihr habt Euch nur für einen Freund eingesetzt, und das ist Euer gutes Recht.«
Angesichts des Respekts, den er ihr damit entgegengebracht hatte, war sie noch mehr errötet.
»Es lag nur in meiner Absicht, eine Bitte an Euch zu richten, und ich wollte dabei auf keinen Fall mit der Zuneigung spielen, die Ihr mir möglicherweise entgegenbringt«, hatte sie erklärt. »Und natürlich erlaube ich mir kein Urteil gegenüber Eurer Person, wenn Ihr der Ansicht seid, dass Don Melquíades es nicht verdient hat, dass ihm verziehen wird.«
Er hatte genickt und noch einmal fröhlich aufgelacht.
»Lasst mich Euch eines sagen«, hatte er dann erklärt. »Trotz meiner Enttäuschung über Don Melquíades habe ich nie gewollt, dass er Castamar verlässt. Ich habe nur genügend Zeit vergehen lassen, damit die Wunde nicht mehr ganz so wehtut. Es lag nie in meiner Absicht, ihn des Hauses zu verweisen, und schon gar nicht, dass er in die Verbannung geschickt wird, und nun, da ich weiß, dass Ihr es auch nicht wünscht, umso mehr. Ich verspreche, dass ich diese Angelegenheit noch in dieser Woche regeln werde.«
Vollkommen beseelt von dieser Freundlichkeit, hatte Clara sich erneut bedankt und sich unter seinem stets so klaren Blick, der nichts verbarg, verabschiedet. So hatte sie die beiden folgenden Tage in der Erinnerung an seine Berührung und an seine Worte verbracht und dabei freudig das erlesenste Mahl vorbereitet, mit dem Castamar seine Gäste empfangen konnte. Nun, nachdem das Abendessen serviert worden war und sie wusste, dass es hervorragend angekommen war, sagte sie sich, dass der Herzog mit ihrer Arbeit sicher vollauf zufrieden war. Sie war glücklich, als drehte sich ihr ganzes Leben nur um diesen einen konkreten Moment; als hätte ihre schmerzvolle Vergangenheit – der Tod ihres Vaters, der Niedergang ihres Lebens, ihre ersten Erfahrungen mit der Arbeit in der Küche – auf einmal einen Sinn bekommen. Ihre Stellung als Chefköchin in Castamar war gefestigt, und wenn der Herzog von dem Abendessen bereits angetan gewesen war, würde er vor Stolz platzen, wenn er erst kosten würde, was sie für das Bankett vorbereitet hatte. Ohne weiter ihren Gedanken nachzuhängen, machte sie sich an die Arbeit und behielt alles im Auge, was in ihrer Küche zubereitet wurde und diese verließ.
All die Zeit über hatte Diegos Bruder Gabriel weitere Erkundungen über Don Enrique eingezogen, da er nach wie vor den Verdacht hatte, dass sich hinter dessen vornehmen Manieren düstere Interessen verbargen. Dennoch war es ihm, abgesehen von der Entdeckung des Freudenhauses in Lavapiés, wo Don Enriques Handlanger geheime Gespräche führten, nicht gelungen, einen einzigen Beweis zutage zu bringen. Gabriel hatte zwar darauf bestanden, dorthin zu gehen, doch Diego hatte es ihm rundweg verboten. Es sei zu gefährlich für ihn. Angesichts dieser Lage hatte er seiner Mutter zugestanden, den Marquis erneut nach Castamar einzuladen, erstens, um sich nicht mit ihr streiten zu müssen, und zweitens, weil er die gerissene Hyäne in seiner Nähe haben wollte.
Vor ein paar Tagen war Don Enrique schließlich in Castamar eingetroffen. Nach der Begrüßung und den üblichen Höflichkeitsfloskeln hatte er als Erstes angeregt, Señorita Amelia nicht am Abendessen teilnehmen zu lassen, da die anderen Gäste ansonsten gezwungen seien, ihr entstelltes Gesicht anzusehen, was ihr sicherlich unangenehm sei. Diego hatte gewusst, dass Gabriel, der in all den Monaten eine tiefe Zuneigung zu der jungen Frau entwickelt hatte, sich angesichts dieses Kommentars kaum im Zaum halten konnte. Doch ein Blick Diegos hatte ausgereicht, dass sein Bruder lediglich ein wütendes Schnauben von sich gab, während er selbst erklärte, dass Señorita Amelia Gast des Hauses sei und dass er, wenn er ihren Anblick nicht ertragen könne, selbst von der Teilnahme absehen müsse. Daraufhin hatte Don Enrique, der wohl nicht auf das Essen verzichten wollte, lachend erklärt, dass er nur an das Wohl der jungen Frau gedacht habe.
Amelia hatte beim Essen ihren Platz neben Gabriel. Diego als Gastgeber begrüßte als Erstes alle Gäste: seine Mutter; Don Enrique, den er seit dem letzten Fest auf dem Anwesen nicht mehr gesehen hatte; Señorita Amelia, die die ganze Zeit über dem Blick des Marquis auswich; Francisco, der von ihrer gemeinsamen Freundin Leonor de Bazán begleitet wurde, die gerade aus Valencia eingetroffen war; und zuletzt seinen geschätzten Freund Alfredo, der wie immer ohne Begleitung gekommen war.
Als Diego seine kurze Eröffnungsansprache gehalten hatte, applaudierten sämtliche Gäste, und Francisco stand auf, um ebenfalls etwas zu sagen.
»Liebe Freunde, wie ich zugeben muss, bin ich in Wahrheit nicht wegen irgendeines Festes nach Castamar gekommen, sondern wegen der exzellenten Speisen der Köchin, an die sich gewiss alle noch gut erinnern. Wenn ihre Schönheit auch nur annähernd ihren Kochkünsten entspricht, sollte der König ihr einen Adelstitel verleihen.«
Alle lachten über diesen Einfall Franciscos, der bereits wieder Platz genommen hatte.
»Ist sie eine schöne Frau, Diego?«, fragte Alfredo nach.
»O ja, eine sehr schöne Frau«, antwortete der Herzog, »wobei dies nur einer ihrer vielen Vorzüge ist.«
»Es ist äußerst ungewöhnlich, dass es im einfachen Volk eine solche Frau geben kann«, fügte Alfredo hinzu.
»Darüber haben wir bereits gesprochen, erinnert Ihr Euch? Ihr habt wirklich eine seltsame Köchin: eine ledige, gebildete und dazu noch schöne Frau«, sagte Don Enrique im üblichen hochmütigen Ton.
Diego, dem der Verlauf des Gesprächs nicht besonders gefiel, gab die Anweisung, mit dem Servieren zu beginnen.
»Es könnte natürlich auch sein, dass wir, wenn wir uns entschließen sollten, hinunter in die Küche zu gehen, feststellen, dass alles eine Lüge ist und wir dort anstatt einer schönen Köchin einen dicken Küchenchef mit plumpen Händen antreffen«, scherzte Diego, und alle lachten, während er dem Marquis einen eisigen Blick zuwarf. »Lasst uns mit dem Essen beginnen. Denkt Ihr nicht, dass wir wirklich Glück mit dem Wetter haben?«
Don Enrique, der so tat, als verstünde er nicht, dass er das Thema wechseln sollte, gab ein Lächeln zurück, als er hörte, wie Diegos Mutter erklärte, dass die junge Frau, wäre sie adlig, eine perfekte Ehefrau wäre, abgesehen von ihrer Neigung zu kochen, »was bei einer Frau von Stand nicht angemessen wäre«.
Diego warf Francisco einen komplizenhaften Blick zu, damit er das Gespräch auf ein anderes Thema lenke, und dieser beeilte sich einzugreifen:
»Liebe Doña Mercedes, meiner Meinung nach – und ich verstehe einiges von Frauen«, sagte er scherzhaft, was bei allen ein Lächeln hervorrief, »sind sie unter der Kleidung alle gleich.«
»Welch zügelloser Mensch!«, rief Doña Mercedes scheinbar entsetzt aus. »Francisco, Ihr seid schamlos!«
Die Männer brachen in Gelächter aus, und die Frauen blickten sich angesichts Franciscos Kommentars verstört an. Don Enrique verteidigte die Damen lächelnd und erklärte, dass eine adlige Herkunft unzweifelhaft eine gewisse Klasse mit sich bringe. Als er anschließend erneut die Schönheit Señorita Belmontes zur Sprache brachte und erklärte, dass diese sicher nicht an die einer Aristokratin heranreiche, der die Schönheit in die Wiege gelegt wurde, wurde Diego allmählich wütend.
»Denkt Ihr das nicht auch, Don Diego?«, sprach Don Enrique den Herzog anschließend direkt an.
Dieser wählte seine nächsten Worte mit Bedacht, um nicht voreingenommen zu wirken.
»Da bin ich nicht Eurer Meinung, Marquis. Wenn eine adlige Herkunft auch zweifellos gewisse Vorteile mit sich bringt wie eine entsprechende Erziehung zum Beispiel, so hat ein Titel mit der Schönheit doch wenig zu tun.«
»Mein lieber Don Diego, welch eine Vehemenz!«, sagte Don Enrique, während er sein Likörglas hob, »solltet Ihr eines Tages einen derartigen Gedanken laut bei Hofe äußern, könnte es sein, dass man Euch für eine Art Revolutionär hält.«
»Es tut mir leid, wenn meine Form, mich auszudrücken, Euch missfällt«, entgegnete der Herzog. »Ich habe den Ruf, kein Blatt vor den Mund zu nehmen.«
Der Marquis lachte, um dem Wortwechsel an Bedeutung zu nehmen, und Diego dachte, dass Don Enrique eine als Pfau verkleidete gefährliche Hyäne war. Alfredo, dem dieser Heuchler auf die Nerven ging, forderte den Marquis mit einem provozierenden Lächeln direkt heraus:
»Wenn Eure Zweifel so groß sind, Marquis, wird die beste Art und Weise, Euch zu überzeugen, wohl eine Wette sein. Sollte das Essen, das die Köchin uns bietet, Eurer Meinung nach exzellent sein, bitten wir sie herauf, um ihre Schönheit zu betrachten, wenn es da etwas zu betrachten gibt, und Ihr könnt prüfen, ob sie tatsächlich gebildet ist und die Etikette beherrscht. Und wenn dies der Fall ist, müsst Ihr öffentlich zugeben, dass Ihr von den Themen, die hier zur Sprache kommen, keine Ahnung habt.«
Als Diego seinem Freund zuhörte, verspürte er das dringende Bedürfnis, den Marquis an seinen Worten ersticken zu sehen. Clara Belmonte war ein entzückendes Wesen und eine der schönsten Frauen, die er je gesehen hatte. Sie war gebildet, hatte exzellente Umgangsformen, war eine begnadete Köchin und von bezaubernder Wesensart. Dennoch warnte ihn eine Stimme in seinem Inneren, dass dies ein gefährliches Spiel war, das möglicherweise die Zuneigung, die er für sie empfand, erkennen lassen würde. Doch gerade als er widersprechen und diesem trivialen Spiel Einhalt gebieten wollte, kam ihm Don Enrique zuvor.
»Darauf wette ich«, sagte er, die Herausforderung annehmend.
Diego warf Alfredo einen verärgerten Blick zu, um ihm zu verstehen zu geben, dass ihm sein Einfall überhaupt nicht gefiel. Doch sein Freund beachtete ihn nicht, weil er nur daran dachte, wie er den Marquis dazu zwingen konnte, seine Niederlage einzugestehen.
»Und wenn es nicht so ist, wird Don Diegos Köchin in Zukunft für mich arbeiten«, sagte der Marquis auf einmal kategorisch.
In diesem Moment wurde der Zweikampf zum wahren Duell. Don Enrique betrachtete seinen Gegner mit zusammengekniffenen Augen, als wolle er so deutlich machen, dass er, wenn er die Herausforderung nicht annahm, als Lügner dastehe, der nicht in der Lage war, die Schönheit, die Bildung und die bezaubernde Wesensart Señorita Belmontes zu beweisen. Dabei wusste Don Diego immer noch nicht, warum der Marquis ihn ständig provozierte. Plötzlich flüsterte ihm sein Stolz ein, dass seine Köchin mit ihrem Auftreten und ihrer Umsicht diesem arroganten Kerl den Mund stopfen würde.
»Das scheint mir angemessen«, meinte er schließlich.
Als kurz darauf die Suppe vor ihnen stand – eine schmackhafte Geflügelbrühe, angereichert mit gekochtem Ei, geröstetem Weizenbrot und kleinen Stücken gebratener Leber –, sagte er sich, dass der Marquis auf jeden Fall gezwungen sein würde anzuerkennen, dass Clara Belmonte eine exzellente Köchin war, denn seit einigen Minuten hatten sämtliche Anwesenden kein Wort mehr gesagt. Lediglich ein Chor an zufriedenen Seufzern war zu hören, auch aus dem Munde des Marquis. Später, als der zweite Gang serviert worden war, genossen sie erst einmal den Anblick der wunderbaren Dekoration, die hauptsächlich florale Motive bildete, die aus essbaren Blüten und anderen Elementen bestanden, darunter Eigelb, Sirup, geriebene Schokolade und Zimt. Das Ganze setzte sich in Form von schmackhaften Speisen fort, gefüllten Zucchini, gegrillter Zunge, Schmorfleisch in schwarzer Sauce, kleinen Kalbfleischklößen, Zuckerquitten bis hin zu gegrillten und gebratenen Fleischstücken. Als die Gäste beim Nachtisch angelangt waren, fielen ihnen allmählich keine lobenden Adjektive mehr ein. Tortelettes, Reispudding, Honigtörtchen und eine Frischkäsecreme mit Brombeeren waren nur einige der Köstlichkeiten, die Señorita Belmonte für sie zubereitet hatte.
Die Beurteilung der Speisen war einhellige Bewunderung, sodass alle wünschten, dass die Köchin heraufkam, um ihre Glückwünsche entgegenzunehmen. Diego sagte sich stolz, dass niemand auch nur den kleinsten negativen Kommentar würde anbringen können, ohne sich lächerlich zu machen.
»Wenn Ihr mich entschuldigen wollt, werde ich selbst gehen, um sie zu holen«, erklärte Diego daraufhin unter den erstaunten Blicken seiner Mutter und der Gäste.
Er betrat die Küche jedoch nicht durch den Haupteingang, sondern nahm den gewinkelten Gang, der von der Küche zum Weinkeller und den anderen Vorratsräumen führte. An der Küchentür angekommen, wartete er einen Moment, bevor er eintrat. Er ließ den Blick durch den Raum schweifen und versuchte, in dem unaufhörlichen Hin und Her all der Menschen Señorita Belmonte zu entdecken. Es dauerte eine Weile, bis er zwischen dem Dampf und dem klappernden Metall, dem Feuer, dem Öl und dem Geruch nach Butter ihre zierliche, energisch agierende Gestalt ausmachte. Er lächelte, als er sah, wie sie einer Orchesterdirigentin gleich Befehle gab und dank ihres wunderbaren Geruchssinns genau wusste, wann die Pfanne vom Herd genommen werden musste oder wie das Rinderfilet mit genau der richtigen Panade überzogen sowie anschließend auf den Punkt gebraten und mit Salz und Pfeffer gewürzt werden musste … Diego empfand eine diebische Freude, als er sich so heimlich in die Welt der Clara Belmonte einschlich.
Er genoss das Privileg, die Welt seiner Köchin zu betrachten, eine Realität, die von der seinen so weit entfernt war, dass er nie gedacht hätte, dass sie ihn derart faszinieren könnte. Er war völlig gefangen von ihren Bewegungen, sie erschien ihm wie eine Nixe in einem tobenden Ozean aus Krügen, Ölkännchen, Flaschen mit Wasser, tönernen Suppenschalen und metallenen Dreibeinen. Ihm kamen die Worte in den Sinn, die sie ihm in all den Monaten geschrieben hatte, und er fühlte sich zu dem Moment zurückversetzt, als er ihr auf der Schwelle zu ihrem Zimmer gegenüberstand und sie sich in seine Umarmung geflüchtet hatte, um dann ihrer Trauer um Rosalías Tod freien Lauf zu lassen. Damals war er kurz davor gewesen, ihre Lippen mit den seinen zu berühren! Sie war ihm als ein zerbrechliches, aber mutiges Wesen erschienen, das derart unter der Härte des Lebens litt, dass dies eine dauerhafte schmerzliche Spur in ihr hinterlassen hatte. Der Beweis dafür war ihr nervöses Leiden, das sie in offenen Räumen überkam. Hin und wieder hatte er, hinter den schweren Vorhängen verborgen, durch das Fenster im oberen Stock zugesehen, wie sie sich ihrer Krankheit entschieden gestellt hatte und in den Hof getreten war. Laut Señor Casona hatte sie bereits gewisse Fortschritte gemacht, und mit der nötigen Geduld war sie in der Lage, wenigstens ein paar Schritte im Freien zu gehen oder sich für eine Weile neben die Tür zu setzen. Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als einer der Küchenjungen laut verkündete, dass Castamar wieder wie zu Doña Albas Zeiten im Glanz erstrahle. Doch diesmal löste die Erwähnung seiner verstorbenen Frau keine Trauer bei ihm aus, da dies sicher in irgendeiner Form auch Albas Wunsch entsprach. Er lächelte genau wie Clara, als in der Tür zur Küche die gebieterische Gestalt von Señora Berenguer erschien.
»Ich weiß nicht, was es da zu lachen gibt«, hörte er sie zu Clara sagen. »Denn so, wie die Küche aussieht, muss man sich Sorgen machen, dass alles zur rechten Zeit fertig ist. Darf ich Euch daran erinnern, dass in wenigen Minuten die Ballgäste eintreffen.«
»Ich glaube, dass das noch einen Moment warten kann, Señora Berenguer«, mischte Diego sich ein. Alle hielten in dem, was sie gerade taten, inne und verbeugten sich. »Meine Gäste sind höchst zufrieden mit dem Essen von heute Abend und wünschen, Euch kennenzulernen, Señorita Belmonte. Würdet Ihr mir den Gefallen tun, mich zu begleiten?«
Clara säuberte sich die Hände und nickte. Um Gerede zu vermeiden, ging Diego vorneweg und hielt ihr mit Rücksicht auf ihr weibliches Geschlecht lediglich die Tür auf. Während sie in Richtung des Salons unterwegs waren, fiel ihm Don Enriques Herausforderung wieder ein. Natürlich sagte er Señorita Belmonte nichts davon, da er beabsichtigte, sie, nachdem sie die Glückwünsche entgegengenommen hatte, gleich wieder zurück in die Küche zu schicken. Es würde vollkommen ausreichen, dass sie sich so gab, wie sie war, um den Marquis, diesen dreisten Kerl, eines Besseren zu belehren. Einer der Diener hielt ihnen die Tür auf, und sie traten in den Salon. Der Kammerherr Señor Moguer stand mit ernstem Gesicht kerzengerade auf der anderen Seite des Raumes. Dennoch bemerkte der Herzog, dass er sich erlaubte, die Köchin unauffällig mit einem Lächeln zu begrüßen. Dann war es selbstverständlich an ihm, dem Gastgeber, sie allen Gästen mit der gebührenden Umsicht vorzustellen, woraufhin sie sich der Etikette gemäß verbeugte. Francisco stand auf und applaudierte, gefolgt von Alfredo, der ihr aufrichtig gratulierte und in den Applaus einstimmte. Clara machte schüchtern einen Knicks und hielt den Kopf gesenkt.
»Es ist mir eine große Ehre«, sagte sie mit schamgeröteten Wangen. »Ich weiß nicht, wie ich ausdrücken soll, wie sehr ich mich geehrt fühle.«
Francisco mit seiner natürlichen Grazie winkte ab.
»Hört auf, meine Liebe, wir sind es, die sich dadurch geehrt fühlen, wie sehr wir jedes Gericht genossen haben.«
Clara sah zu Diego hinüber, der ihr Lächeln bezaubernd fand wie das einer Señorita, die gerade der Gesellschaft vorgestellt wurde. Er zog sich zu seinem Platz zurück und setzte sich. Clara bedankte sich mehrfach mit vorbildlicher Korrektheit, und Diego war stolz auf seine Köchin und ihr Talent. Gleich darauf wies er einen der Diener an, Señorita Belmonte zurück in die Küche zu begleiten. Doch gerade als sie sich formvollendet von allen verabschiedete, spürte sie plötzlich den beunruhigenden Blick des Marquis auf sich.
»Zweifellos ist Eure Köchin eine anmutige junge Frau, Don Diego. Doch bevor sie uns wieder verlässt, würde ich sie gern einmal aus der Nähe bewundern, um mich davon zu überzeugen, dass sie nicht doch, wie Ihr gesagt habt, ein verkleideter dicker Koch mit plumpen Händen ist.«
Clara sah ihn mit leicht gerunzelten Brauen an, ohne zu verstehen, was er damit sagen wollte. Unterdessen warf Diego, der sich bemühte, Ruhe zu bewahren, Don Enrique einen warnenden Blick zu. Der jedoch stand auf und stolzierte, seinen Stock schwingend, wie ein Pfau auf die Köchin zu. Diego wurde unruhig, als er das verhasste Subjekt in Claras Nähe sah, und sagte sich, dass, wenn er sie der Lächerlichkeit preisgab, er ihn in Stücke reißen würde.
»Ihre Schönheit steht wohl außer Frage, Don Enrique«, meinte Alfredo.
Diego merkte, dass Claras Verwunderung noch zunahm, wobei ihm bewusst wurde, dass es ein großer Fehler gewesen war, die Wette anzunehmen. Ein Fehler, den er noch bedauern würde und der seinem dummen Bedürfnis, dem Marquis zu beweisen, dass er unrecht hatte, entwachsen war. Er wandte den Blick ab und nahm zu seiner Erleichterung wahr, dass Señor Moguer der Señorita mit einer flüchtigen Geste ein Zeichen machte, den Raum so schnell wie möglich zu verlassen. Sie nickte, ohne die Bedeutung dieses Zeichens zu erfassen.
»Ich fürchte, Ihr habt die Wette verloren, Marquis«, meinte Doña Leonor lächelnd und hob ihr Glas.
Als Clara dieses Wort hörte, begriff sie, dass der Herzog sie nicht nur wegen der Glückwünsche in den Salon geführt hatte. Diego kam sich auf einmal ausgesprochen dumm vor. Naiverweise hatte er gedacht, dass seine Köchin ohne irgendwelche Konsequenzen hier herein- und wieder hinausspazieren könnte und dass der Marquis der Lächerlichkeit preisgegeben wäre, nachdem er festgestellt hatte, dass sie genau so war, wie er sie beschrieben hatte. Don Enrique hatte ihn derart wütend gemacht, dass er nur noch daran gedacht hatte, ihm eine beschämende Niederlage beizubringen. Diego schloss die Hände fest um die Armlehnen seines Stuhls und schalt sich selbst als töricht, nachdem er Don Enriques wahre Absichten erkannt hatte. Auf irgendeine Art war dem listigen Marquis aufgefallen, dass er für seine Köchin eine gewisse Zuneigung empfand, und er hatte versucht, ihn bloßzustellen.
Sein Bruder warf ihm einen Blick zu, um ihm zu verstehen zu geben, dass dies ein gefährliches Spiel war und dass er es gar nicht gut fand, dass der Marquis so nah an Señorita Belmonte herangetreten war, um ihre Züge zu bewundern und sie zu bitten, ihr Haar zu lösen, damit er sie besser betrachten könne.