h. p. gansner
das herz ist ein versinkender kontinent
songdog-verlag
1. Auflage 2019
© Songdog Verlag, Wien und Bern
Cover: Songdog nach Vorlage von Yvo Egger
ISBN 978-3-9504675-4-3
Albrecht Dürer
Ritter, Tod & Teufel. Kaltnadelradierung
Das Herz und die Rose sind das einzig Unvergängliche.
Paracelsus 1493–1541
Wenn du nicht vom Boden abheben kannst, dann bleibe am Boden.
Aus der Kabbala
Ich möchte hingehn wie der Tau im Tal,
Wenn durstig ihm des Morgens Feuer winken;
O wollte Gott, wie ihn der Sonnenstrahl,
Auch meine lebensmüde Seele trinken!
Ich möchte hingehn wie der bange Ton,
Der aus den Saiten einer Harfe dringet,
Und, kaum dem irdischen Metall entflohn,
Ein Wohllaut in des Schöpfers Brust verklinget.
Du wirst nicht hingehn wie das Abendrot,
Du wirst nicht stille wie der Stern versinken,
Du stirbst nicht einer Blume leichten Tod,
Kein Morgenstrahl wird deine Seele trinken.
Wohl wirst Du hingehn, hingehn ohne Spur,
Doch wird das Elend Deine Kraft erst schwächen,
Sanft stirbt es einzig sich in der Natur,
Das arme Menschenherz muss stückweis brechen.
Georg Herwegh, Gedichte eines Lebendigen, Zürich, 1841
die verdüsterung des gesichts des arztes
beim lesen der zahlenkolonne des patienten:
die nierenwerte
sind beunruhigend angestiegen
ebenfalls die leberwerte
und das herz ist im keller
eine katastrophe
der puls sinkt
und sinkt
ins bodenlose
so, und jetzt schauen sie,
dass es besser geht!
und ich tat, wie mir gesagt wurde:
jetzt geht es schon wieder bedeutend besser…
für wie lange?
als es in three miles island geschah
sagten sie den demonstranten:
was regt ihr euch auf das ist doch
meilenweit over the ocean.
als es in tschernobyl geschah
sagten sie beunruhigt:
tut doch nicht so
das ist dort systembedingt.
und als es jetzt in japan geschah
da wurden sie plötzlich stiller
und stellten
eins nach dem andern ab.
aber es ist noch nicht genug
dass sie davon jahrzehntelang
profitiert haben:
jetzt wollen sie auch noch den müll
vergraben unter den häusern ihrer
kinder und kindeskinder
und sie wollen sogar
dass die das alles noch bezahlen
inklusive den rückbau
ihrer schrottmühlen
die alle landschaften
verpesten und verunstalten.
gab es je eine generation
die so herzlos umging
mit diesem planeten
und ihrem eigenen nachwuchs?
mir kommen da nur
die haie in den sinn
die fressen sogar
ihre eigene brut auf
und saturn, der aus angst
seine macht zu verlieren
lieber seine eigenen
kinder fraß.
ich warne dich
mein freund:
sag deinem arzt niemals
dass du im wirtshaus
zum schiefen eck
einmal trotz einem herz as
einen jass verloren hast.
er wird messerscharf
daraus schließen
dass du ein herzproblem hast
und dringend
unters messer musst.
jeden morgen
wenn du deine herzpille schluckst
kannst du das herz eines
pharma-aktionärs in der ferne
höherschlagen lassen
und es geht euch beiden besser
ist das nicht eine
perfekte win-win-situation?
an seinem 40. geburtstag
zog gottfried benn an einem »schwälenden tag«
in uttwil am bodensee die finanzielle bilanz
seiner bisherigen literarischen tätigkeit,
und er kam zum schluss
dass er in 15 jahren
975 mark, d. h. monatlich
4,50 verdient hatte,
darunter übersetzungen ins französische,
russische, polnische und abdrucke in anthologien
von den usa bis belgien,
ja sogar in der damals progressiven schweiz.
eine gute solotänzerin an der staatsoper
verdiente damals 300 mark
für einen auftritt, ein durchschnittlich begabter
filmemacher sogar 5 zerquetschte hunnis:
»da steht einer der größten dieser zeit
verdammt ungünstig da«, meckerte der
spezialist für geschlechts- und hautkrankheiten.
na ja, vielleicht hätte er es ja
als pornodarsteller versuchen sollen
statt über eiternde genitalien zu dichten,
aber dafür war sein pimmel wahrscheinlich zu klein
und ein herz war unter seinen organen nicht zu finden.
guten tag, herr gansner!
sie wollen uns sicher
ihr neues buch zeigen?
das möchte ich tatsächlich
der buchhändlerin
bei der ich seit jahren bücher kaufe.
ach, wissen sie, herr gansner:
ich kann ihnen absolut versichern,
dass wir ihr buch nicht verkaufen können,
aber entschuldigen sie einen moment:
ich sehe gerade, dass ein kunde …
und schon war ich wieder draußen.
ein jahr später las ich in der zeitung,
dass die buchhandlung konkurs gemacht habe.
aber da war wenigstens mein buch nicht schuld dran!
(frei nach Ludwig Uhland)
ich hatte einen kollegen,
einen bessern findst du nit.
wir saßen beide am compi,
er schrieb an meiner seite,
gescheit, herzlich und fit.
ein handy hat gebrummelt,
ist es meins oder ist es seins?
er muss in die chefetage,
dann fliegt er auf die straße,
als wär’s ein stück von mir.
will mir die hand noch reichen,
derweil ich dies hier schreib.
kann dir die hand nicht geben:
bist schon beim arbeitsamt –
doch bleiben wir kollegen,
trotz allem und erst recht!
wenn man ihn an den marterpfahl band
genoss er es und spielte den gefangenen cowboy
der wie sebastian mit pfeilen traktiert wurde