Skrupellos

Thriller

Heidrun Bücker


ISBN: 978-3-96152-233-0
1. Auflage 2019, Oldenburg (Deutschland)
© 2019 Schardt Verlag, Oldenburg, www.schardtverlag.de.

Auf www.schardtverlag.de finden Sie unser umfangreiches eBook-Angebot!

Titelbild: .marqs / photocase.de



Alle Rechte vorbehalten.

Inhalt

Prolog

Duisburg – Herzklinik, Intensivstation

 

Vanessa hielt die warme Hand ihres Mannes. Ihr war bewusst, dass er in wenigen Minuten tot sein würde, dass er eigentlich schon jetzt nicht mehr lebte. Die Intensivstation wurde von Tönen überflutet, die sie nervös machten. Ein unerträglicher sinnüberflutender Geräuschpegel von Maschinen, die dazu dienten, die Brust anzuheben, Luft einzupumpen, um sie dann mit einem Zischen entweichen zu lassen. Sie wusste, sobald die Maschinen ausgeschaltet wurden, gab es keine Zukunft mehr. In diesem Moment starrte sie nur noch auf eine leere Hülle. Zwar sah diese so aus wie der Mann, mit dem sie zweiundvierzig Jahre lang verheiratet war, aber eine Reaktion, eine Geste, ein Lächeln … all das war nicht mehr. Diese Geräte konnten noch tagelang einen Herzschlag simulieren. Die aktuelle Medizintechnik war dazu imstande.

Erschrocken zuckte sie zusammen.

Theos Augenlider flackerten. Sollte die Chance bestehen? Nein. Unmöglich. Die Prognose der Ärzte war eindeutig und sagte etwas anderes.

Multiples Organversagen.

Heilungschancen: null.

Er wird nie wieder nach Hause kommen, dachte sie, er wird nie wieder in seinem Sessel sitzen, wir werden nie wieder miteinander reden, und ich werde nie wieder seine Hand halten können … Es war die Endgültigkeit, die sie nicht zur Ruhe kommen ließ.

Es war zu spät, noch etwas zu unternehmen. Diese Möglichkeit hatte sie verpasst, als ihr Mann noch in dem anderen Krankenhaus lag. Sie machte sich die allergrößten Vorwürfe. Im Grunde war sie schuld. Im Grunde hatte sie ihren Mann auf dem Gewissen, weil sie nicht rechtzeitig reagiert hatte.

Warum habe ich nicht dafür gesorgt, dass er in ein anderes, besseres Krankenhaus verlegt wird, wo man sich auch um die Patienten kümmert? Warum habe ich im Innersten gehofft, dass ich mich irre und er doch nicht so schwer krank ist? Warum habe ich den Ärzten im anderen Krankenhaus geglaubt, es wäre nicht so schlimm, eigentlich harmlos …

 

„Ein paar Tabletten, einige Wochen Schonung und Ihrem Mann geht es wieder besser. Lungenentzündung halt. Für ältere, geschwächte Menschen bei der kalten Jahreszeit nicht optimal. Sobald sich das Wetter bessert, sobald die Sonne scheint, dann wird es wieder aufwärtsgehen. Ihr Mann kann nach Hause, wir benötigen hier Platz für wirklich kranke Menschen.“

„Kann es nicht doch ein Herzinfarkt sein“, wagte sie nachzufragen, „oder zumindest eine Erkrankung am Herzen? Die Schmerzen in der linken Brust, im linken Arm und in der linken Schulter. Er bekommt doch keine Luft … das ist doch eindeutig.“

„Lassen Sie uns unsere Arbeit machen“, die Ärztin wurde ungehalten, „wir haben die erforderlichen Untersuchungen gemacht. Ihr Mann hat nur eine leichte Lungenentzündung. Mit Antibiotika geht es ihm bald besser.“

 

Sie hatte letztendlich der Ärztin geglaubt, bevor diese eilig in einem anderen Patientenzimmer verschwunden war. Im Nachhinein war sie sich nicht einmal sicher, ob diese Ärztin überhaupt wusste, um welchen Patienten es ging.

Sechs Wochen später lag ihr Mann in der Herzklinik in Duisburg. Die zwölfstündige OP war letztendlich vergeblich gewesen. Sie hatte die Entscheidung allein treffen müssen und zugestimmt: Die lebenserhaltenden Maßnahmen würden gleich abgeschaltet werden.

Sie erinnerte sich an die letzten Schritte, die sie und ihr Mann gemeinsam machten. Es war vor vierzehn Tagen auf dem Weg zum Krankenwagen. Die Sanitäter meinten, der Zustand ihres Mannes sei nicht so bedrohlich, als dass man ihn tragen müsste. Er war geschwächt und wankte. Sie hörte, wie ein Sanitäter dem anderen zuraunte: „Der ist ja jetzt schon angetrunken.“ Vanessa reagierte nicht auf diese beleidigende Äußerung. Sie stützte ihn. Allein schaffte er die wenigen Meter bis zum Krankenwagen nicht. Zwei Stunden nach seiner Einlieferung lag er bereits in einem der speziell eingerichteten Zimmer und war an Monitore und anderen Überwachungsgeräte angeschlossen. Sein Zustand verschlechterte sich stündlich.

Nach vier Tagen wurde er endlich nach Duisburg verlegt, als die Ärzte es doch für erforderlich hielten, ihn gründlich zu untersuchen und endlich feststellten, dass er lebensbedrohlich erkrankt war.

Zu spät.

In wenigen Minuten würde man die Maschinen abstellen … in wenigen Minuten würde ihr Mann tot sein.

Sie wünschte sich, ihre Tochter wäre an ihrer Seite. Doch die war für eine Hilfsorganisation einige tausend Kilometer entfernt unterwegs. Sie konnte sie nicht erreichen. Schon seit einigen Wochen meldete sie sich nicht mehr. Sie war wie vom Erdboden verschwunden, ebenso wie einige andere Helfer, die für diese Organisation arbeiteten. Zunächst hieß es nur, es wäre eine ansteckende Krankheit ausgebrochen, und man habe alle Beteiligten in einem Krankenhaus unter Quarantäne gestellt. Aber warum konnten sie nicht wenigstens telefonieren?

Sie zuckte zusammen, als der Oberarzt noch einmal zu ihr kam. Er blieb an der Tür stehen und wartete.

Sie nickte ihm zu.

Nun war es endgültig.

Vanessa schaute ein letztes Mal zu Theo, berührte ein letztes Mal seine Hand, strich ihm ein letztes Mal über die Wange und verließ mit tränenverschleierten Augen das Zimmer …

 

Spanien – Dénia

Sechs Monate zuvor

 

Es war später Abend, als sie ankamen und Tor und Haustür aufschlossen. Ella Neufelder atmete tief durch. Endlich.

Sechs Monate waren sie nicht mehr in ihrem spanischen Ferienhaus gewesen. Drei Wochen Urlaub lagen vor ihnen. Sie drehte den Haupthahn der Wasserzufuhr auf, schaltete den FI-Schalter im Stromkasten ein und stieß die Fenster auf. Frische Luft war dringend nötig. Es roch abgestanden. Klaus hatte den Wagen in die Einfahrt gefahren, das Tor wieder abgeschlossen und einen Rundgang ums Haus gemacht.

„Das große Haus, die Ruine hinter uns, die scheint bewohnt zu sein“, teilte er seiner Frau mit, als er kurze Zeit später in die Küche kam.

„Wie das? Bewohnt? Der Rohbau?“

„Nein. Das Haus ist fertig.“

„Ist man mal ein halbes Jahr nicht da! Was in der Zeit alles passieren kann. Bin auf die neuen Nachbarn gespannt.“

„Viel sehen kannst du nicht, die haben eine hohe Mauer gezogen, damit wir denen nicht auf den Esstisch schauen können“, lachte Klaus.

„Die liegen höher als wir, also über uns, es ist doch ein Hanggrundstück“, runzelte sie die Stirn, „die können uns in den Kochtopf gucken, nicht wir denen.“

„Sag ich doch.“ Klausʼ gute Laune war beinahe ansteckend.

 

Am nächsten Morgen erwachte Ella erst gegen acht Uhr. Die Sonne schien durch die Vorhänge. Es versprach ein warmer Tag zu werden. Nun mussten erst mal die Gartenmöbel herausgeholt, die Außenküche geputzt und die Terrassen gefegt werden. Bis Mittag, so hoffte sie, würden sie die leidige Angelegenheit erledigt haben.

Ella schaltete den Vollautomaten an, zunächst brauchte sie eine Tasse Kaffee. Zwei Stühle und einen kleinen Tisch trug sie auf die Terrasse, die direkt an der Küche angrenzte. Sie wischte alles ab und legte Sitzkissen raus.

„Kaffee ist fertig“, rief sie ihrem Mann zu. Während sie auf Klaus wartete, schaute sie sich ebenfalls um. Tatsächlich, das Haus über ihnen, das dort über zwanzig Jahre als Ruine ein trostloses Dasein gefristet hatte, war fertiggestellt worden. Viel sehen konnte man nicht, eine Mauer bildete einen unüberwindbaren Sichtschutz. Am Zaun entlang wuchsen neugepflanzte, blühende Sträucher … Besser als das Unkraut, auf das sie noch vor einigen Monaten schauen mussten, befand Ella. Obwohl sie ihre erste Tasse Kaffee genüsslich trank, schweiften ihre Blicke schon umher und taxierten die Blumenbeete. Gut! Bis heute Abend konnte sie das erledigt haben.

In diesem Augenblick hörte sie ein surrendes Geräusch hinter sich. Sie schaute sich um. Irgendetwas schien bei den neuen Nachbarn los zu sein. Doch so plötzlich wie es angefangen hatte, hörte es auch wieder auf.

„Vielleicht die elektrischen Rollläden?“

„Keine Ahnung.“ Klaus zuckte mit den Schultern.

Ella ging in die Küche und bereitete Käsebrote für sie vor. Beide Teller trug sie auf die Terrasse. Dann ging sie erneut in die Küche, um den Kaffee zu holen.

Wieder surrte es hinter ihnen. Ella meinte, einen Schatten zu sehen, erschrocken drehte sie sich um. Sie schüttelte den Kopf. Das bilde ich mir nur ein, dachte sie, mir fehlt eindeutig Schlaf.

Sie biss in ihr Brot und trank einen Schluck Kaffee.

„Ich möchte wissen, was das für Geräusche sind.“

„Ich schaue mich gleich mal um“, sagte Klaus, „nach dem Frühstück.“

Plötzlich meinte Ella, etwas wäre ihr aufs Haar gefallen. Sie versuchte es wegzuwischen, konnte aber nichts greifen. Sie blickte hoch, sah aber nur die schattenspendende Pinie über sich. Alles Einbildung, dachte sie, als sie erneut etwas spürte.

„Verdammt, gibt es hier Gespenster? Irgendwie fühle ich mich beobachtet.“

„Diesmal habe ich auch etwas gehört“, sagte Klaus. „Es scheint von unseren neuen Nachbarn zu kommen.“ Er wanderte Richtung Zaun und schaute hoch zum Nachbarhaus. „Da oben, in der Luft, dort bewegt sich was.“

„Scheint eine Drohne zu sein. Als wir das letzte Mal hier waren, schwirrte doch auch so ein Ding längere Zeit über uns. Ich finde es unangenehm, wenn ich nicht weiß, wer uns beobachtet.“

Ella schüttelte den Kopf und ging zu ihrem Gartenstuhl zurück, stutzte dann aber, als sie sich setzen wollte.

„Ist dir aufgefallen, dass es bei unseren spanischen Nachbarn verlassen aussieht? Das Auto steht in der Einfahrt. Sie müssten da sein, denn sie gehen niemals zu Fuß weg.“

„Die Terrassentür ist offen“, Klaus reckte den Hals, „ich glaube, der Fernseher läuft.“

„Um diese Zeit? Seltsam.“

Das Surren wurde lauter und kam näher.

Ella wollte gerade die Tasse zurückstellen, als sie einen Hauch spürte, der sich wie ein feiner Nebel über sie ausbreitete … Sie merkte nicht, dass sie die Tasse fallen ließ. Sie merkte nicht, dass sie vom Stuhl glitt, und sie merkte nicht, dass auch Klaus in sich zusammensackte. Sie verlor das Bewusstsein, noch bevor sie auf den Boden aufschlug.

 

 

Kapitel 1

Deutschland – Gegenwart

 

Julia packte ihren kleinen Koffer. Es war ungewohnt, normalerweise übernahm ihr Mann Patrick diese lästige Arbeit. Viel brauchte sie nicht. Das Wichtigste, der Laptop und einige technische Spielereien, war bereits in ihrer Handgepäcktasche verstaut.

Corinna wartete im Wohnzimmer. Seit drei Monaten bauten sie das Camp um, und die ersten Häuser konnten mittlerweile bezogen werden. Wie auch bei der Baracke ließen sie die äußere Fassade in einem desolaten Zustand, renovierten nur das Innere, so dass man nicht sofort sehen konnte, was sich dahinter verbarg. Sondra, ihre Architektin, leistete dabei hervorragende Arbeit. Die Firmen, mit denen sie zusammenarbeiteten, waren allesamt von ihnen überprüft worden, ebenso die Handwerker, die bei ihnen wohl oder übel ein- und ausgehen mussten.

Julia seufzte. Lennard, ihr Sohn, würde nicht verstehen, dass sie schon wieder wegfahren musste. Sie hatte ihm zwar versprochen, demnächst häufiger zu Hause zu sein, aber in diesem Falle war es notwendig, einige Ermittlungen selbst zu übernehmen. Glücklicherweise hatte Lennard einige gleichaltrige Freunde gefunden, die hier im Camp wohnten. Sondras Neffe Joel, Utes Sohn Endrik, aber auch Doros und Nicks Sohn Jonas – sie alle gehörten zur großen Patchworkfamilie. Die Jungs waren mittlerweile unzertrennlich. Nur Robin war mit ihren sechs Monaten noch zu klein, um mit ihnen herumzutollen.

Nun galt es, ihr Versprechen einzulösen und Sondras Eltern und ihre Schwester mit Mann zu suchen, die vor Monaten in Spanien verschwunden waren. Corinna hatte die Flüge gebucht. Gemeinsam wollten sie vor Ort das Haus anschauen und die Umgebung überprüfen.

Sondra wollte Joel nicht aus den Augen lassen. Ihre Eltern hatten sich zwei Tage nach ihrer Ankunft in Spanien nicht mehr gemeldet, und sie war unruhig geworden. Fünf Tage ohne ein Lebenszeichen! Sondras Schwester und deren Ehemann flogen nach Spanien. Als sie am Haus angekommen waren, schickten sie Sondra eine Nachricht mit beunruhigenden Bildern. Dann brach auch dieser Kontakt von einer Sekunde zur anderen ab. Da sie sich für ihren Neffen verantwortlich fühlte, flog sie ihnen nicht nach, sondern informierte zunächst die Polizei vor Ort. Die meldeten ihr lediglich, dass sie keinerlei Notwendigkeit sahen, eine Vermisstenanzeige aufzunehmen, da sie nicht sicher waren, ob die vier überhaupt das Ferienhaus erreicht hatten. Also engagierte Sondra einen Privatdetektiv, der viel Geld kassierte, aber leider unverrichteter Dinge zurückkam. Er fand nichts und war ebenfalls der festen Überzeugung, die vier seien gar nicht in Spanien angekommen. Wo sollte man mit der Suche beginnen? Und wie passten die Fotos von ihrer Schwester zu der Äußerung der Polizei und des Privatdetektivs?

Sondra ging das Geld aus. Sie musste arbeiten, um sich und ihren Neffen versorgen zu können. Der Auftrag von der de Winter Corporation kam wie gerufen; sie konnte Joel unterbringen, und Linda, Julias Tochter, versprach, man würde ihr bei der Suche nach ihrer Familie helfen.

Corinna betrachtete die Fotos aus Spanien eingehend – Doro hatte sie bearbeitet –, und Julia starrte sie minutenlang an. Julia, mit ihren übersinnlichen Fähigkeiten, spürte etwas, konnte es aber nicht definieren, dazu musste sie persönlich vor Ort sein. Vielleicht klappte es, vielleicht auch nicht. Einen Versuch war es wert. Sondra hatte ihnen die Adresse gegeben und den Ersatzschlüssel zum Haus. Normalerweise gab es Internet, sobald der Strom eingeschaltet war, das Passwort besaßen sie ebenfalls … Sondra kramte sämtliche Bilder vom Haus zusammen, und Julia speicherte sie in ihrer Cloud. Über Google Earth machten sie sich mit der Umgebung bekannt, und Sondra erklärte ihnen Schleichwege, falls sie sich alles erst einmal aus sicherer Entfernung anschauen wollten.

In drei Stunden ging der Flieger.

Julia fand es noch ungewohnt, hier im Camp ein großes Haus für sich alleine zu haben. Bislang wohnten sie alle zusammen, teilweise auf sehr engem Raum. Als die Zahl der Kinder unaufhaltsam stieg, wurde es einfach zu eng. Die Idee, die alten Hallen und Gebäude auf dem Grundstück des Camps zu Wohnzwecken umzubauen, erwies sich als genial. Das Gelände war groß genug, man konnte sich aus dem Weg gehen oder in der Baracke, die weiterhin als Einsatzzentrale dienen sollte, zusammenkommen.

Vermutlich würden sie sowieso den Hauptteil ihrer Zeit dort verbringen.

Ein letztes Mal sah sie sich um, aber sie hatte alles Notwendige eingepackt. Linda würde sicherlich schon ungeduldig warten, um sie und Corinna zum Flughafen zu fahren. Weeze lag nicht weit entfernt, und von dort aus waren es nur zweieinhalb Stunden nach Alicante. Am Flughafen würden sie einen Mietwagen nehmen.

Im Flieger schauten sie sich die Unterlagen noch einmal genauer an. Julia hegte keinerlei Hoffnung, dass sie mehr auf den Fotos entdecken würden, als bisher. Es irritierte sie nur, dass weder Polizei noch Detektiv von den benutzen Tassen, den Tellern mit den mittlerweile verdorbenen Broten und den Stühlen etwas sagten, die deutlich zu erkennen waren.

„Vermutlich hat sich niemand die Mühe gemacht, das Grundstück näher unter die Lupe zu nehmen“, spekulierte Corinna, „dieser Schnüffler scheint nur ein enormes Honorar kassiert zu haben ...“

„Oder jemand hat aufgeräumt“, überlegte Julia weiter. „Sahra schoss die Fotos fünf Tage, nachdem ihre Eltern sich nicht mehr gemeldet hatten.“

„Die waren montags spätabends angekommen, meldeten sich kurz bei ihren Töchtern, dienstagmorgens gab es nochmals eine kurze Nachricht per WhatsApp von Sondras Vater, mit einem Foto der neuen Mauer der Nachbarn, von da an nichts mehr. Sonntag, fünf Tage später, gegen dreizehn Uhr erreichten dann Sahra und ihr Mann das Haus und fanden es verlassen vor.“

„Korrekt. Die Fotos wurden Sonntag zwischen dreizehn und vierzehn Uhr dreißig gemacht und sofort zu Sondra geschickt. Von da an Funkstille. Keine Nachricht, kein Anruf, nichts mehr. Sahras Handy wurde Sonntag gegen fünfzehn Uhr ausgeschaltet. Bis heute keinerlei Zeichen, dass es je wieder benutzt wurde, genau das Gleiche gilt für die Handys der Eltern und von Johannes Kamp, Sarahs Ehemann.“

Das Ganze hatte etwas Mysteriöses an sich; alles wirkte, als ob jemand schnell weggelaufen wäre, ohne darauf zu achten, was er zurückließ.

 

Kapitel 2

Spanien

 

Am Flughafen Alicante steuerte Corinna direkt auf die Schalter der Mietwagenzentralen zu.

„Wir haben einen Wagen auf den Namen Zimmermann vorbestellt.“

Der Angestellte schaute gelangweilt in seine Unterlagen, sagte kein Wort und reichte Corinna einige Augenblicke später mehrere Formulare zum Unterschreiben. Den Wagenschlüssel hielt er solange fest in der Hand.

„Der scheint uns nicht zu trauen“, murmelte Julia, die einige flüchtige, negative Gedanken des Beschäftigten auffing.

„Damit habe ich keine Probleme“, gestand Corinna, „wer fährt?“

„Der, der den Schlüssel schon in der Hand hält“, schmunzelte Julia.

„Gut, dann ich. Du kannst mir unterwegs erzählen, warum Joel unbedingt ins Camp sollte. Er war doch bei Sondras Bekannten gut aufgehoben.“

„Sondra hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Solche Eingebungen nehme ich immer ernst. Sie ist besorgt um ihren Neffen, das setzt ungeahnte Kräfte und Fähigkeiten frei. Diese Ahnung überfiel sie wenige Tage, bevor sie uns besuchte. Wenn ich spüre, dass mich jemand beobachtet, selbst wenn es nur unsichtbare Augen sind, werde ich auch nervös. Solange wir nicht wissen, was mit Sondras Familie passiert ist, sollten sie und Joel besser bei uns bleiben.“

„Ich dachte schon, du hast Joel als potenziellen Spielkameraden für Lennard auserkoren“, grinste Corinna.

„Natürlich, das auch. Bin ich so leicht zu durchschauen?“ Zwar lächelte Julia, blieb aber doch ernst. „Die Belastung für Sondra wäre groß, wenn sie sich zusätzlich um Joels Sicherheit sorgen müsste. So kann sie sich besser auf den Umbau im Camp konzentrieren … Zwei Fliegen mit einer Klappe … du verstehst?“

Eine knappe Stunde später setzte Corinna den Blinker, um die Ausfahrt 62 zu nehmen. Nun würde es nur noch knapp zwanzig Minuten dauern, bis sie Dénia erreicht hätten.

Im Hotel angekommen, packten sie ihre Sachen aus. Es wurde schon dunkel. Heute würden sie nichts mehr unternehmen. Am nächsten Morgen wollten sie den Weg vom Hotel bis zum Haus zu Fuß zurücklegen, als harmlose Spaziergänger, so konnten sie die Umgebung eingehender unter die Lupe nehmen.

Julia schaute auf ihr Handy. Eine Nachricht von Patrick. Er machte sich natürlich Sorgen. Sie meldete sich bei ihm.

„Wir sind angekommen und werden morgen früh zum Haus hochlaufen. Luftlinie sind es nur achthundert Meter von unserem Aparthotel aus. Ich werde Fotos schicken, sobald wir da sind. Funktionieren unsere Sender?“

„Wir haben euch auf dem Bildschirm. Passt auf. Unternehmt nichts auf eigene Faust. Leo und ich sind sofort zur Stelle, wenn ihr uns braucht.“

Auch Leonard, Corinnas Ehemann, würde sofort eingreifen, sollten sich die Frauen in Gefahr befinden. Sämtliche Mitglieder des Foxfire-Teams und auch die der „Clique“ waren mit Sendern ausgestattet. Sollten sie entführt werden oder anderweitig verschwinden, würde man sie orten können.

Ihr Appartement im „Ogisaka Garden“ war mit kostenlosem W-LAN ausgestattet und groß genug, ihr Equipment zu verstauen. Mit der Sondergenehmigung des Außenministeriums, die Corinna unglaublich schnell organisiert hatte, war es ihnen sogar möglich, Dinge im Flugzeug zu transportieren, die normalerweise nie in eine Fluggastkabine gelangt hätte. Nur auf ihre Waffen verzichteten sie.

„Schauen wir uns nochmals die Umgebung per Satellit an“, schlug Corinna vor. Sie hatten sich Abendessen aus dem Restaurant aufs Zimmer bringen lassen, um ungestört reden und ihre Unterlagen ausbreiten zu können. Gegen Mitternacht fielen ihnen die Augen zu.

 

*

 

Die Sonne schien, als Corinna und Julia sich auf den Weg machten. Dank GPS fanden sie den direkten Weg zum Ferienhaus der Neufelder.

„Wir hätten doch den Wagen nehmen sollen“, stöhnte Corinna, der Anstieg machte ihr zu schaffen. „Wenn ich geahnt hätte, wie heiß die Sonne auf uns niederbrennt …“

„Sondra hat uns gewarnt“, erwiderte Julia, „aber wir müssten gleich die Abzweigung erreicht haben.“

Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto unwohler fühlte sich Julia.

„Spürst du etwas?“ Corinna bemerkte ihre zögerlichen Schritte. Sie hielt ihr Handy bereit, um so viele Fotos wie möglich zu schießen.

„Ich bin mir nicht sicher, aber meine Nackenhaare sträuben sich. Ein ungutes Gefühl … Dort drüben, das muss es sein.“

Als sie vor dem verschlossenen Tor standen, stellte sich Corinna auf Zehenspitzen. Das silberfarbene Auto der Neufelders parkte in der Einfahrt, sie konnte die Stühle erkennen … Eine unsichtbare Kraft zog Julia weiter. Corinna folgte ihr, nicht ohne vorher Fotos gemacht zu haben. Einige Meter folgten sie der Grundstücksmauer weiter in westliche Richtung. Die hintere Terrassentür stand weit offen. Die Vorhänge waren aufgezogen, und am Pool lagen Schlauch und Bodensauger achtlos auf den Terrassenplatten.

„Es war lange niemand hier“, Julia deutete auf die Sträucher, die man seit Monaten nicht gestutzt hatte, „das Auto in der Einfahrt war staubüberzogen. Die Terrassentür steht auf, vermutlich auch die Küchentür, genau wie auf den Fotos. Warum hat dieser Detektiv das nicht gesehen?

„Wir müssen uns das näher anschauen“, schlug Corinna vor.

„Aber nicht jetzt. Lass uns zurückgehen. Alleine will ich nicht das Grundstück betreten.“

„Alleine? Ich bin doch dabei.“

„Cori, du weißt, wie ich das meine. Wir haben keine Waffen dabei. Ohne die Knarren fühle ich mich wehrlos. Sobald wir im Apartment sind, lassen wir Biene Maja steigen. Sie kann uns bessere Bilder senden.“

Sie marschierten zurück und bogen an der Wegkreuzung links ab. Der nächste Anstieg begann, allerdings nicht weit und sie konnten erneut abbiegen. Nach einigen Metern befanden sie sich oberhalb des Hauses der Neufelder. Ein Blick in den Garten blieb ihnen verwehrt. Ein riesiges Haus versperrte ihnen die Sicht. Die Mauer davor war ungefähr zwei Meter hoch. Lediglich ein Garagen- und ein schmaleres Eingangstor unterbrach die Festung.

„Das müssen die neuen Nachbarn sein, von denen Klaus seiner Tochter schrieb. Das Haus muss gigantisch groß sein.“

Julia schaffte es nicht, sich dem Tor zu nähern, um einen Blick auf die Klingel oder das Namensschild zu werfen. Es war, als ob eine unsichtbare Person sie zurückzerren würde. Sie spürte ihn wieder, den eiskalten Hauch – trotz der hohen Temperaturen. Sie zitterte, sie fror. Ihr fehlte die Luft zum Atmen. Es wurde erst besser, als sie sich ein Stück von der Mauer entfernt hatten.

„Alles in Ordnung?“

Corinna wusste, womit Julia zu kämpfen hatte. Ihre imaginäre Verbindung zu den Geistern, die immer dann in Erscheinung traten, wenn Gefahr drohte.

Julia nickte, sie war nicht fähig, zu sprechen.

„Wir gehen zurück und überlassen das Spionieren Maja.“

Die hochtechnisierte, fast unsichtbare Drohne, entwickelt von der de Winter Corporation, war speziell für solche Einsätze vorgesehen. Die Frauen machten sich auf den Rückweg. Eine halbe Stunde später hatten sie ihr Apartment erreicht.

Julia packte schnell den Koffer aus, in dem sie Maja transportiert hatten, während Corinna die geschossenen Fotos sofort an Linda schickte.

Die meldete sich unverzüglich.

„Alles angekommen, aber wir hatten euch eine Zeitlang nicht auf dem Monitor. Leo befürchtete, eure Sender wären ausgefallen. Er hat schon Henry informiert. Der Helikopter ist startklar.“

„Da oben muss es ein Funkloch geben, anders ist das nicht zu erklären.“

„Kann sein, aber die Sender hätten trotzdem funktionieren müssen“, warf Linda ein, „sie sind entsprechend konstruiert, sonst wären sie nutzlos.“

„Wir starten gleich Maja. Mal sehen, ob sie die gleichen Ausfallerscheinungen hat.“

Die Minidrohne verfügte über eine spezielle SD-Karte, winzig klein, aber mit einer hohen Speicherkapazität.

„Ich lasse den Monitor an“, versprach Linda, „Sondra steht neben mir und schaut zu. Sie sieht sofort, falls etwas Außergewöhnliches auf den Bildern zu erkennen ist.“

Maja kreiste über dem Grundstück. Es gab keine Ausfallerscheinungen. Nur als sie ihre Flughöhe verließ, machte sich ein undefinierbares Rauschen auf dem Monitor bemerkbar, das sofort nachließ, als sie Maja höher fliegen ließen. Die Übertragung funktionierte aus einer gewissen Höhe heraus einwandfrei. Irgendetwas musste den Funk direkt über den Boden stören.

Das Haus, das sich über dem der Neufelders befand, lag genauso verlassen da, wie das von Sondras Eltern. Es gab nur einen kleinen Unterschied: Bei den Neufelders waren die Türen offen, benutzte Tassen und Teller standen auf dem Tisch, eine Flasche Cola lag halbvoll auf dem Boden. Die festgebundenen Sitzkissen auf den Stühlen sahen verdreckt aus. Einige Monate waren eine lange Zeit, da sammelte sich Schmutz an.

Maja flog in ausreichender Höhe einige Schleifen, dann lenkte Julia die Drohne über das andere Haus. Auch dort schien alles still und unbewohnt zu sein. Auf der überdachten Terrasse standen zwei Stühle, ein aufgeklappter Sonnenschirm spendete Schatten, aber von den Bewohnern war nichts zu sehen. Ihr Gefühl suggerierte ihr, das auch dort etwas nicht stimmte.

Genauso trostlos sah es am anderen Nachbarhaus aus, das sich gut dreißig Meter entfernt befand: verschlossene Rollläden, der Pool allerdings war sauber, blühende Blumen in den Kästen auf der Terrasse … hier musste ein Gärtner am Werk sein und gießen, sonst wären sie bei der Hitze vertrocknet. Wenn hier der Poolservice problemlos ab und zu nach dem Rechten sah, sollten sie versuchen, den abzupassen, um den Mitarbeitern Fragen zu stellen. Das Warten auf den Poolservice war mit Hilfe der Drohne nicht ganz so beschwerlich.

 

Kapitel 3

 

Sondra verfolgte zusammen mit Linda gebannt die Übertragung auf dem Monitor.

„Es hat sich sehr viel verändert, ich war drei Jahre nicht dort.“

„Wir können uns später noch einmal alles in Ruhe anschauen. Das ist eine Direktübertragung“, schlug Linda vor.

„Es sieht einsam aus, aber ansonsten erkenne ich nichts, was bedenklich wäre. Komisch ist nur, dass es bei den Nachbarn, einem jungen spanischen Pärchen, auch unbewohnt aussieht. Sie leben ständig dort. Ihr Auto steht in der Einfahrt. Eigentlich müssten sie zu Hause sein. Sie gehen nie zu Fuß …“

„Es sieht genauso verlassen aus, wie die anderen Häuser in der direkten Umgebung.“

„Es muss doch eine Möglichkeit geben, Grundstück oder Haus zu betreten“, überlegte Sondra.

„Wenn sich die beiden in irgendetwas verbissen haben, werden sie keine Chance auslassen, glaube mir …“ Linda kannte ihre Mutter nur zu gut.

 

*

 

Im Augenblick war es ruhig im Camp. Die wichtigste Aufgabe bestand darin, die vor Monaten befreiten Frauen medizinisch zu versorgen und in für sie sichere Arbeitsstellen unterzubringen. Einige konnten sie überzeugen, bei ihnen mitzumachen. Dazu benötigten sie eine spezielle Ausbildung. Nur wenige der Frauen waren in der Lage, das Nahkampftraining zu absolvieren. Kim war eine davon. Die aufgestaute Wut auf ihre Entführer trieb sie zur Höchstform an. Susanne hingegen zog es vor, mit Charly gemeinsam zu trainieren, vorwiegend mit den Waffen.

Sondra kümmerte sich unterdessen um die Umbaumaßnahmen. Es ging sehr gut voran. Julia und ihre Familie konnten schon das erste renovierte Gebäude beziehen. Ben und Verena sollten in absehbarer Zeit folgen. Sie selbst wohnte mit ihrem Neffen in der Baracke. Joel und Lennard waren gute Freunde geworden. Endrik besuchte sie häufig, und auch sein Umzug sollte bald erfolgen. Seine Mutter, Dr. Ute Landgrebe, hatte dem Landgericht Essen den Rücken gekehrt und eine weniger aufreibende Stelle beim Amtsgericht Dorsten angenommen. Es ging dort spürbar ruhiger zu.

Die Altherrenriege, wie sie sich selbst nannten, beschloss vorerst in der Baracke zu bleiben; dort fühlten sie sich wohl.

Wilhelm de Winter, Julias Stiefvater, verspürte hin und wieder einen Anflug von Langeweile. Diese Ruhe war er nicht mehr gewohnt. Er überlegte, mit seinem Schwager Edward Nijmergen einen Abstecher nach Abu Dhabi zu unternehmen, um dort die restlichen Mitglieder der ehemaligen Clique zu besuchen. Er verwarf den Gedanken schnell wieder, als er Robin im Arm hielt und seinen Enkel Lennard mit Joel durch das Gebüsch toben sah. Die Ruhe in Abu Dhabi ohne seine schießwütigen Mädels war nichts mehr für ihn, er brauchte die Hektik, wie er mal wieder feststellen musste, er brauchte seine Tochter Julia, seinen Schwiegersohn Patrick, und er brauchte seine Enkelin Linda.

An das „Stief“ vor den Namen dachte er schon seit Jahren nicht mehr. Sie alle waren seine Familie, seine einzige Familie … er zählte sogar den Rest der Clique und die Mitglieder von Foxfire dazu.

 

*

 

„Hast du Zeit? Ich meine, besteht die Möglichkeit, dass du dich fünf Minuten von Robin trennen kannst?“ Björn wirkte gestresst. Ben spürte es, obwohl sie nur telefonierten.

„Robin ist gerade bei den Frauen und wird dort verwöhnt“, stöhnte er theatralisch, „ich habe Zeit.“

„Ich habe im Krankenhaus alles hingeworfen“, begann Björn, „es ist nicht meine Art, wie du weißt, einfach aufzugeben, wenn etwas nicht klappt. Aber die Zustände sind so schlecht geworden, dass ich das nicht länger mitmachen werde.“

„Du hast gekündigt? Verstehe, du hast ja auch bei Foxfire genug zu tun, da musst du nicht noch nebenbei die Nachtschichten im Krankenhaus übernehmen. Auch wenn du nur eingesprungen bist, die Arbeit schlaucht. Ich spreche aus Erfahrung.“ Ben stutzte. „Aber deswegen rufst du mich doch nicht an?“

„Nein. Da du auch in Amsterdam aufgehört hast und dich nun um die Frauen im Camp kümmerst, kam mir ein Gedanke: Hättest du Interesse, mit mir eine Praxis zu eröffnen?“

„Keine schlechte Idee. Hier im Camp oder bei euch in Dorsten?“

„Vielleicht zwischen den Orten. Ich dachte auch daran, Dr. Hilde Stahlmann mit ins Boot zu holen. Sie wäre dann näher bei ihrer Tochter Susanne, die ja bei euch im Camp eine Ausbildung macht. Hilde würde ich aber erst fragen, wenn du einverstanden bist. Wenn wir drei uns die Praxis teilen, kann ich weiterhin bei den Einsätzen von Foxfire mitmachen.“

„Das ist eine hervorragende Idee. Die Frauen im Camp sind immer noch so angeschlagen, dass sie eine Betreuung brauchen. Sie weigern sich, ins Krankenhaus zu gehen. Ich kann nur die schlimmsten Fälle überzeugen, sich einweisen zu lassen. Aber was genau ist passiert, dass du nicht mehr im Krankenhaus bei euch aushelfen willst?“

„Verschiedene Dinge. Kürzlich haben sie einen Patienten sechs Stunden im Flur stehen lassen. Niemand kümmerte sich um ihn. Seine Frau war zunächst geduldig, aber nach vier Stunden wurde sie energischer. Nach sechs Stunden tobte sie. Dann endlich hat man sich um ihn gekümmert, aber leider nicht richtig. Nach fünf Tagen wurde er entlassen. Drei Wochen später war er wieder da. Der Herzinfarkt wurde auch diesmal übersehen. Drei Tage später: Entlassung. Vier Wochen danach wurde er wieder eingeliefert. Es war erneut seine Frau, die sich diesmal nicht abweisen und vertrösten ließ und darauf bestand, dass endlich die richtigen Untersuchungen vorgenommen wurden.“

„Herzinfarkt?“

„Ja, außerdem brauchte er eine neue Herzklappe und zwei Bypässe. Aber das stellte sich erst später heraus, bei der Operation in einem anderen Krankenhaus.“

„Und die Ehefrau hatte mehrfach darauf hingewiesen? Ich meine, dass es ein Herzinfarkt sein könnte …“

„Genau. Jeder Laie weiß, was es bedeutet, wenn jemand über starke Schmerzen in der linken Schulter, im linken Arm und in der linksseitigen Brust klagt. Die Ärzte, meine ehemaligen Kollegen, haben es einfach ignoriert. Ich denke, sie waren sauer auf die Ehefrau, weil sie immer wieder darauf hinwies.“

„War es nur ein Fall, oder gab es noch andere?“

„Das war der letzte Fall, den ich mitbekommen habe. Danach habe ich gekündigt. Ich habe zwei Berichte von diesem Fall kopieren können, den dritten leider nicht. In Duisburg wurde er zwölf Stunden lang operiert, zweimal wiedergeholt, sein Zustand, obwohl man ihn ins künstliche Koma versetzte, besserte sich nicht.“

„Kannst du mir die beiden Berichte zumailen? Wenn das stimmt, sollten wir der Ehefrau vielleicht Hilfe anbieten.“

„Ich habe zwar die Möglichkeit, den Bericht aus Duisburg anzufordern, kann aber leider mit der Ehefrau keinen Kontakt mehr aufnehmen. Sie ist verschwunden.“

„Was meinst du? Untergetaucht, entführt, oder …?“

„Nein, sie wohnt nicht mehr an der Adresse, die ich aus den Akten habe. Als ich an der Haustür klingelte, öffnete ein ziemlich arroganter junger Mann. Als ich nach besagter Ehefrau fragte, wurde er zornig und wollte mich vom Grundstück werfen. Ich hatte das Gefühl, da stimmt etwas nicht.“

„Bauchgefühle überlassen wir doch Julia, oder fängst du auch schon damit an?“

„Vielleicht kann Linda ein wenig graben, aber ich will sie im Augenblick nicht stören, da sie sich um Sondra kümmert. Haben Corinna und Julia schon etwas erreichen können, in Spanien, meine ich?“

„Nach Julias Sinnesreizen zu urteilen, stimmt dort etwas nicht. Sender funktionieren nicht, die Drohne kann nur in einer bestimmten Höhe über das Gebiet fliegen, sobald sie tiefer geht, fällt die Elektronik aus, befürchtet Corinna.“

„Kann man die Bilder nicht vergrößern? Ich meine, wenn sie zwar höher fliegen muss, kann man die Fotos doch am PC bearbeiten? Dann erkennt man die Details.“

Ben lachte leise. „Glaub mir, wenn das funktioniert, werden sie das auch machen. Verena ist mit Linda und Sondra gerade im Büro. Sie haben einen Livestream zu Julia. Aber man kann sich die Aufnahmen später noch in Ruhe anschauen, wie mir Verena erklärte.“

„Lass uns mal bei unseren Patienten bleiben und weiterhin Pflaster auf die Wunden kleben, davon verstehen wir wenigstens etwas.“

„Du kannst aber wenigstens noch mit einer Waffe umgehen und bist im Nahkampf ausgebildet“, seufzte Ben, „ich nicht. Ich kann wirklich nur Wunden versorgen.“

„Unterschätz das nicht, Ben. Wir beiden operieren auch auf dem Küchentisch oder auf der freien Wiese, wenn es sein muss.“

„Schon, aber wenn ich die Fähigkeiten von Verena betrachte, dann …“

„Ben, du wirst doch keine Minderwertigkeitskomplexe haben? Keine der Damen könnte eine Herztransplantation vornehme. Halte dir das immer vor Augen. Jeder hat seine eigenen, außergewöhnlichen Fähigkeiten, du genauso wie all die anderen. Wenn wir das Können aller kombinieren, ergibt das Foxfire oder die Clique.“

„Wenn man es so betrachtet, hast du recht“, Ben seufzte, „kommen wir zurück zu deiner Frage nach der Gemeinschaftspraxis. Ich bin einverstanden. Ruf Hilde Stahlmann an. Und die andere Sache, wenn du mir Namen geben könntest, bitte ich Linda und Verena diese merkwürdige Angelegenheit zu überprüfen.“

Ben schaute auf sein Handy. Die Mail von Björn war soeben eingetroffen. Ben wollte Linda und Sondra nicht stören, es zog ihn zu Robin. Er würde sie in der Obhut der Frauen vorfinden, die aus den Fängen brutaler Zuhälter gerettet wurden und nun hier im Camp vorübergehend sicher untergebracht worden waren. Einigen ging es mittlerweile schon besser, und sie halfen im Camp aus. Er lächelte. Aushelfen? Na ja, so konnte man es auch nennen. Bei einigen der Frauen hatte sich so viel Wut aufgestaut, dass es für die Clique ein Leichtes war, sie zu überreden, bei ihnen mitzuwirken. Julia, Verena und auch Doro wollten sich langsam zurückziehen und Jüngeren das Feld überlassen. Sie gingen auf die fünfzig zu, waren zwar durchtrainiert, aber mittlerweile fanden sie sogar selbst, dass man ihnen das Alter ansah. Er hatte beobachtet, wie Julia Mittel gegen die Gelenkschmerzen nahm. Wenn sie sich unbeobachtet fühlte, verzog auch Verena manchmal das Gesicht. Doro versuchte ihre Kopfschmerzen ebenfalls mit Tabletten einzudämmen. Es blieb immer noch genug für sie zu tun, auch ohne halsbrecherische Nahkampfeinlagen zum Besten zu geben.

Ben hatte gemerkt, dass Patrick unruhig auf und ab tigerte, seit Julia mit Corinna nach Spanien geflogen war. Es beunruhigte ihn ebenfalls, dass sie es mit einem unsichtbaren Feind zu tun hatten, der einfach vier Erwachsene verschwinden lassen konnte.

Mittlerweile war Ben bei der Unterkunft der Frauen angelangt. Obwohl er sie alle medizinisch betreute, klopfte er, bevor er vorsichtig die Türklinke herunterdrückte.

„Ich binʼs nur.“ Erleichtertes Aufatmen.

„Ihr wisst doch, es kann niemand hier unangemeldet eindringen.“ Er lächelte und ging zum Kinderwagen, wo Robin schlief.

Elly, die sich auch weiterhin um „ihre Mädchen“ kümmerte, kam auf ihn zu. Auch sie lebte mittlerweile im Camp und vermisste ihre Wohnung, in der sie alleine gelebt hatte, bis sie Eva aufnahm, nicht. Eva war eine der misshandelten Frauen, die ihren Peinigern entkommen konnte.

„Sie werden noch lange zusammenschrecken, wenn jemand die Halle betritt, auch wenn ihr es seid.“

Ben nickte.

Es lebten immer noch vierzig Frauen in dieser Notunterkunft. Die provisorisch eingerichtete Küche befand sich inmitten eines Aufenthaltsraumes. Sofas und Sessel standen dort, ebenso drei große Tische, an denen sie essen konnten. Der Schlafbereich war nur durch einige Schränke abgetrennt. Die Einrichtung war gebraucht und zusammengesucht. Für die befreiten Frauen war diese Notunterkunft dennoch der Himmel auf Erden.

Achtzehn von ihnen waren soweit zusammengeflickt worden, dass es ihnen gut ging und sie in die Baracke umziehen konnten, um mit Linda, Doro und Verena zu trainieren. Charly übernahm es, ihnen den Umgang mit Waffen beizubringen. Linda zeigte ihnen die ersten Nahkampfübungen. Diejenigen, die sich nicht dazu überwinden konnten, ließen sich von Miriam und Linda erklären, wie sie mit einem Computer umgehen mussten, was schlichtweg bedeutete, sie brachten den ersten Frauen das Hacken bei.

Zwei Frauen halfen Ben bei der Versorgung der Patienten. Sie stellten sich sehr geschickt an. Der Gedanke an die Gemeinschaftspraxis brachte Ben auf eine Idee.

„Wer von euch könnte sich vorstellen, bei Björn und mir in einer Arztpraxis zu arbeiten? Ich werde Hilde Stahlmann fragen, ob sie auch mitmacht.“

„Hier im Camp? Oder müssten wir raus?“

Da das Camp wie eine uneinnehmbare Festung abgesichert war, fühlten sich die Frauen hier sicher.

„Nein, dazu müssten wir die Tore öffnen …“

„Unsere Sicherheit ginge verloren.“

„Wir würden uns in der Nähe nach geeigneten Räumen umschauen. Sobald Björn von Foxfire angefordert wird, wären immer noch Hilde und ich da, um uns um die Patienten zu kümmern.“

„Überlegt es euch in Ruhe.“ Elly merkte, dass sie Bedenkzeit brauchten. „Bens Idee ist gut. Ihr hättet die Möglichkeit, zu arbeiten, etwas zu lernen. Für mich wäre der Job nichts“, lächelte sie, „ich kann kein Blut sehen.“

Robin bewegte sich in ihrem Kinderwagen und schlug die Augen auf. Ben wusste, wenn sie nicht innerhalb kürzester Zeit ihr Fläschchen bekam, würde sie schreien. Er beeilte sich, den Wagen nach draußen zu schieben.

 

*

 

Linda und Sondra saßen immer noch vor dem Bildschirm, als Ben eintrat und sich vorsichtig näherte.

„Ben, komm her, du störst nicht. Wir müssen eine kurze Pause einlegen. Entweder übersehen wir etwas, oder es existiert nichts …“

„Ich habe eine Anfrage von Björn …“ Ben erklärte Linda mit wenigen Worten, um was es ging. „Sobald du Zeit hast, wäre er dankbar, wenn du ein paar Dinge überprüfen könntest.“

„Das wäre eine zusätzliche Übung für unsere Lehrlinge. Außerdem könnte ich Allegra dabei gebrauchen.“ Linda zeigte auf Bens Zettel.

„Eva, sie will Eva genannt werden“, warf Sondra ein, „auf Allegra hört sie nicht mehr. Ich kümmere mich jetzt um die Fliesenarbeiten in Ben und Verenas Haus, die Handwerker wollten heute anfangen. Ich denke, in einer Stunde bin ich zurück, dann könnten wir uns die Übertragung nochmals anschauen.“ Sondra rannte beinahe aus Lindas Arbeitszimmer.

„Es hat sie ziemlich mitgenommen“, erklärte Linda Ben, der inzwischen Robins Fläschchen fertig hatte und sie nun fütterte. Die Baracke war zwar schon teilweise geräumt worden, da Julia und Patricks Haus bereits bezogen werden konnte, dennoch galt das Esszimmer und die Küche in der Baracke immer noch als beliebter Treffpunkt.

„Ich habe es gesehen, sie konnte die Tränen nur mühsam unterdrücken. Sie sind nun schon ein halbes Jahr verschwunden“, Ben seufzte, „die Bilder der Drohne sind wirklich beängstigend.“

„Meine Mutter hatte ein ungutes Gefühl, als sie sich dem Grundstück näherten“, grübelte Linda. „Der eiskalte Hauch war da.“

„Aber warum meinte sie, Joel müsse sofort in Sicherheit gebracht werden?“

„Instinkt. Bei Kindern handelt Julia nicht mehr rational. Kinder gehen ihr über alles, ihre Sicherheit ist für sie wichtig. Da wir nicht wissen, was mit Sondras Familie passiert ist, müssen wir äußerst vorsichtig sein.“

„Ja, das ist merkwürdig. Selbst eine Lösegeldforderung blieb bislang aus.“ Ben wirkte nachdenklich.

„Ich werde Eva dazu holen. Sie ist beinahe genauso gut wie ich.“ Unter Minderwertigkeitskomplexen litt Linda wirklich nicht.

Ben wollte gar nicht wissen, in welche Datenbanken die beiden Frauen sich in den nächsten Stunden einhacken würden.

Als Eva die Baracke erreichte, legte Linda ihr Handy zur Seite, wandte sich ihrem Laptop zu und fuhr ein anderes Programm hoch.

„Was gibt’s zu tun?“, fragte Eva.

„Wir brauchen alles über diese beiden Personen. Der Mann ist tot, im Krankenhaus gestorben … Björn braucht unsere Hilfe. Corinna ist mit Julia unterwegs, sonst könnte sie das übernehmen, und Miriam hält im Augenblick alleine bei Foxfire die Stellung. Hier sind die Namen und eine Zusammenfassung, um was es geht.“

Linda und Eva arbeiteten als perfekt eingespieltes Team zusammen. Was Eva noch fehlte, war die Nahkampfausbildung. Dank Ellys Kochkünsten war sie nicht mehr abgemagert und blühte in ihrer neuen Umgebung sichtlich auf.

„Dann lass uns mal anfangen. Ich überprüfe den Mann.“ Eva setzte sich vor den Laptop. „Gibt es schon Neuigkeiten von Julia?“

„Nichts, was uns weiterhelfen könnte. Ich werde mir dann die Frau vornehmen. Vergleichen wir unsere Ergebnisse später … So, die erste Suchmaschine läuft. Ich schalte dann mal die andere Maschine ein.“ Linda grinste. Der Kaffee würde sie wachhalten.

„Wir sollten mehr Sport betreiben. Ellys Kochkünste sind gut, aber viermal am Tag eine so üppige Mahlzeit“, Eva stöhnte, „das hält niemand lange aus.“

Während sie sich unterhielten, arbeiteten sie intensiv weiter.

„Oho, es gibt eine Menge Ungereimtheiten bei dem verstorbenen Ehemann, Theo Berling. Wie sieht es bei seiner Frau Vanessa aus?“

„Sie ist verschwunden. Wir haben nur die ehemalige Adresse von ihr. Die neuen Hauseigentümer haben sie einfach abgemeldet, nachdem sie eingezogen sind. Einen aktuellen Aufenthaltsort von ihr gibt es nicht.“

„Björn hat recht, etwas stimmt da nicht. Ich fasse es schriftlich zusammen, dann vergleichen wir unsere Recherchen und reden mit Björn.“

 

*

 

Julia und Corinna bestellten sich in einem Restaurant nahe ihres Hotels etwas zu essen. Vorab brauchte Julia dringend ihren Kaffee. Das Aufputschmittel wirkte schnell, und sie schaffte es, wieder einen klaren Gedanken zu fassen.

„Bodenproben“, warf sie ein, „wir müssen noch einmal zurück und Bodenproben nehmen. Außerdem will ich ins Haus. Ich werde mir einen Plastikoverall besorgen.“

„Diesmal fahren wir aber mit dem Wagen“, nickte Corinna. „Ich bin dabei: zwei Overalls und Bodenproben – unser erklärtes nächstes Ziel.“

Eine Stunde später fuhren sie zum AKI nach Ondara, einem Baumarkt, bei dem sie Plastikoveralls, eine kleine Schaufel und Plastikbehältnisse für den Transport kaufen wollten. Linda hatte ihnen eine Adresse gemailt, zu der sie die Proben zwecks Analyse bringen konnten.

Nachmittags waren sie zurück. Im Hotel packten sie ihre Errungenschaften aus und kontrollierten, ob sie alles beieinander hatten.

„Warten wir, bis es dunkel wird?“

Corinna schüttelte den Kopf. „Im Hellen fallen wir weniger auf. Hast du den Schlüssel dabei, falls das Tor abgeschlossen ist?“

„Alles dabei und verstaut. Dann lass uns fahren. Ich will mich nicht länger als nötig dort aufhalten. Du bleibst in sicherer Entfernung im Auto sitzen“, schlug Julia vor, „ich habe immerhin die unguten oder guten Gefühle, je nachdem, was mich erwartet.“

„Ich lasse dir den Vortritt. Aber sobald sich etwas rührt, oder du meinst, du benötigst Hilfe …“

„… melde ich mich sofort, ich lasse mein Handy an“, beendete Julia den Satz. „Die Drohne kann über dem Grundstück Aufnahmen machen, ich will alles dokumentieren.“

 

Um sechs parkten sie den Wagen in unmittelbarer Nähe des Grundstücks. Gut, dass es einen kleinen Wendehammer gab. Von dort aus waren es nur wenige Schritte bis zur Einfahrt. Da die Gassen zu schmal waren, konnten sie nicht direkt vor dem Tor parken. Corinna übernahm die Drohne, während Julia sich schon den Overall überstreifte, eine Atemschutzmaske vor Mund und Nase schob, den Beutel mit den notwendigen Utensilien griff und aus dem Auto steigen wollte.

„Warte, bis ich auch das Plastikding übergestreift habe, ich starte nur schnell den Minihelikopter. Ich will mir das Grundstück nochmals von oben anschauen, bevor du es betrittst.“

Julia wartete, bis Corinna ihr grünes Licht gab. Corinnas Order würde sie nie in Frage stellen. Beide Frauen arbeiteten schon zu lange auf der dunklen Seite, als dass sie handeln würden, ohne die Konsequenzen zu berücksichtigen.

„Okay“, nickte Corinna, „fertig. Du kannst los, aber bei der kleinsten Unsicherheit kommst du sofort zurück oder rufst um Hilfe.“

„Bevor ich Hilfe rufe, schlage ich zu.“ Julia deutete grinsend auf ihren Schlagstock, den sie bei dem Souvenirhändler neben dem Baumarkt aufgetrieben hatte. Da sie ihre Waffen zu Hause lassen mussten, griffen sie auf die weniger auffälligen, aber ebenso wirkungsvollen Dinge wie Baseballschläger oder andere Stöcke zurück.

Mit einigen Schritten erreichte Julia das Tor. Den Schlüssel benötigte sie nicht, das Tor war unverschlossen. Die Drohne summte weit über ihr und verfolgte jeden ihrer Schritte. Sie wusste, Corinna würde ausprobieren, wie tief sie das Flugobjekt fliegen lassen konnte, ohne dass es zu einer Störung kam. Kurz blieb sie stehen, versuchte eine Empfindung aufzunehmen, aber der kalte Hauch blieb diesmal aus.

Merkwürdig.

Sie lief am Auto der Neufelders vorbei und stoppte ein weiteres Mal, als sie auf der Terrasse angekommen war. Nichts hatte sich seit gestern geändert. Diesmal sah sie die Details aus einer anderen Perspektive. Bevor sie die Proben einpacken würde, wollte sie sich im Haus umsehen. Die Haustür stand offen.

Julia fotografierte auf der Terrasse, und sie hielt die Situation in den beiden Schlafzimmern und im Bad fest, genauso wie im Wohn- und Esszimmer und in der Küche. Selbst den Inhalt des Kühlschranks fotografierte sie.

Der Wagenschlüssel des Kombis hing direkt neben der Tür, wo Sondras Vater ihn wohl immer deponierte, während ihre Mutter den Zweitschlüssel von innen im Haustürschloss platzierte. Die Betten waren gemacht, die Fensterläden im Schlafzimmer zu, nur das Badezimmerfenster stand weit offen. Ob hier jemand geduscht hatte, konnte man selbstverständlich nach Monaten nicht mehr feststellen. Die Handtücher waren natürlich trocken.

Anschließend nahm sie die Proben und lief zum Auto zurück. Keine Menschenseele war ihr begegnet. Es war genauso gespenstisch einsam und still wie am Tag zuvor. Auch der Poolservice am Nachbarhaus ließ sich nicht blicken.

„Pack die Proben bitte in die Kühlbox und verschließ den Deckel sorgfältig“, beharrte Corinna. „Ich möchte mit nichts in Verbindung kommen, solange ich nicht weiß, was hier los ist.“

„Schon geschehen.“ Julia entledigte sich des Overalls erst, nachdem sie gut dreihundert Meter vom Grundstück entfernt angehalten hatten.

In dieser Montur wäre es mehr als unpassend, das Hotel zu betreten.