Buch
Der einstige CIA-Spezialist Ryan Drake ist ausgebrannt. Ihm fehlt die Kraft, um sein Team anzuführen. Als dann auch noch jemand in seinem Namen die Verantwortung für einen Terroranschlag übernimmt, verlässt er seine Freunde, um sie zu schützen. Doch der Anschlag war nur ein Köder, um Drake aus seinem Versteck zu locken. Anya und der Rest des Teams erkennen das und folgen Drake nach Südamerika. Sie ahnen nicht, dass ihnen ihr Feind weit voraus ist – und dass die größte Gefahr von einer Person ausgeht, der sie blind vertrauen!
Autor
Will Jordan lebt mit seiner Familie in Fife in der Nähe von Edinburgh. Er hat einen Universitätsabschluss als Informatiker. Wenn er nicht schreibt, klettert er gerne, boxt oder liest. Außerdem interessiert er sich sehr für Militärgeschichte.
Weitere Informationen unter: www.willjordanbooks.co.uk
Die Ryan-Drake-Romane bei Blanvalet:
1. Mission: Vendetta
2. Der Absturz
3. Gegenschlag
4. Operation Blacklist
5. Codewort Tripolis
6. Das CIA-Komplott
7. Kommando Black Site
8. Projekt Pegasus
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WILL JORDAN
Projekt
Pegasus
Thriller
Aus dem Englischen
von Wolfgang Thon
Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel
»Downfall (Ryan Drake 8)« bei Canelo, London.
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Copyright der Originalausgabe © 2019 by Will Jordan
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2020 by Blanvalet
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Rainer Michael Rahn
Umschlaggestaltung: © Johannes Frick
unter Verwendung von Motiven von © Tom Weber,
milpictures.com und iStock.com
(© Pixzum, © Gaihong Dong, © dalebor, © Antiv3D, © klikk)
HK · Herstellung: sam
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN 978-3-641-23348-8
V001
www.blanvalet.de
PROLOG
Afghanistan – 14. Januar 2011
Drake sog die kühle Morgenluft tief in seine Lunge und betrachtete die beeindruckende Landschaft, die sich vor ihm ausbreitete. Im Norden ragten die schneebedeckten Höhenzüge des Pamirgebirges in den Morgenhimmel; seine Gipfel glühten im ersten Licht des neuen Tages. Das mächtige Karakorumgebirge im Süden war noch in Schatten gehüllt. Hinter ihm lag die offene Grenze zu Pakistan.
Zwischen den beiden großen Felsmassiven mäanderte das Flusstal des Wakhan-Korridors. Über 1000 Jahre lang war dies eine wichtige Handelsstraße zwischen Ost und West gewesen, über die Gewürze und Seide aus China, aber auch Händler und Forscher aus Europa strömten. Sogar Marco Polo war bei seiner berühmten Reise in den Osten über diese Bergpfade gezogen. Jahrhunderte später wurde die Gegend zum Spielball konkurrierender Interessen zwischen Russen und Briten, zweier Weltreiche, die miteinander um die Vorherrschaft rangen, wobei Afghanistan zwischen die Fronten geriet.
Die Konflikte zogen sich über Generationen hin und bewirkten die Schließung der einst florierenden Route. Die Ostgrenze wurde abgeriegelt, und von der früher wohlhabenden Bevölkerung blieben nur noch einzelne verarmte Siedlungen übrig.
Doch trotz der dunklen Vergangenheit und belasteten Gegenwart war es eine der beeindruckendsten und schönsten Gegenden, die Drake jemals gesehen hatte.
»Ich wünschte, du könntest das sehen«, sagte er leise. »Ich habe mich immer freiwillig zur letzten Nachtwache gemeldet, um den Sonnenaufgang über den Bergen zu erleben. An einem klaren Morgen war es so ruhig und menschenleer. Man hätte fast vergessen können, dass es auf der Welt noch andere Menschen gibt.«
Er sah zu der Frau, die neben ihm stand.
»Hast du das auch so erlebt?«
Sie antwortete nicht, und er wusste, dass sie es nicht konnte. Doch er stellte die Frage trotzdem, weil er wollte, dass sie darüber nachdachte. Er wollte, dass sie sich an die Ereignisse erinnerte, die sie beide hergebracht hatten: zwei sehr unterschiedliche Leben, die beide mit diesem Ort verknüpft waren. Zwei Menschen, die an diesem wunderschönen, bedrängten und einsamen Ort gekämpft und geblutet hatten. Zwischen ihren Taten lag eine Generation, und ihre Erfahrungen waren durch zwei unterschiedliche Kriege geprägt worden.
Er wollte, dass sie darüber und über ihn nachdachte.
Dann war ein vertrautes Geräusch vernehmbar, das die Stille vor dem Morgengrauen störte: das ferne, rhythmische Dröhnen von Rotoren.
Drake war mit den akustischen Launen von Gebirgen wie diesem vertraut und wusste deshalb nicht nur, dass zwei Hubschrauber im Anflug waren, sondern auch, aus welcher Richtung sie sich näherten.
Tatsächlich tauchten die Helikopter wenige Sekunden später hinter einem steilen Felshang im Westen auf. Sie röhrten mit hoher Geschwindigkeit durch das Tal. Einer flog weiter hinten und höher, um dem ersten Chopper Deckung zu geben.
Drake erkannte sofort die breite und kompakte Form des UH-60 Black Hawk. Durchs Fernglas sah er, dass der Geleitschutz gebende Hubschrauber mit dem vollen Waffenarsenal ausgestattet war: Raketenwerfer, Luft-Boden-Raketen und rotierende Kanonen für Hochgeschwindigkeitssalven. Die beiden Chopper waren mit genug Kämpfern und Geschützen bestückt, um eine ganze Kompanie auszulöschen.
Und das alles nur seinetwegen.
Es war ziemlich wahrscheinlich, dass sie ihn und seine Begleiterin bereits ausgemacht hatten; schließlich waren sie auf der freien Ebene weithin sichtbar. Falls noch keine unbemannten Drohnen über ihnen kreisten, wäre er sehr überrascht gewesen.
Aber es war unnötig, sich auf Vermutungen zu verlassen. Er holte eine Signalrakete aus der Tasche, zielte damit in den Himmel und zog den Auslösestift.
Ein einzelnes rotes Projektil schoss in die Höhe und stieg bis auf circa dreißig Meter, bevor es zündete und Funken und orangefarbenen Rauch ausstieß, während es an seinem Miniaturfallschirm langsam zu Boden schwebte.
Die Hubschrauber änderten sofort den Kurs, der führende Chopper flog schnell auf ihn zu, während sein Begleiter wegen der schweren Bewaffnung und Panzerung etwas behäbiger den neuen Kurs einschlug.
»Das war es dann«, sagte Drake, als die Chopper immer näher kamen. »Gleich ist alles vorbei.«
Die Frau unternahm keinen Versuch, zu fliehen oder Widerstand zu leisten, als der erste Hubschrauber die Nase hochzog, die Geschwindigkeit verringerte und sie der Luftdruck der Rotoren in einen Wirbelsturm aus Staub und kleinen Steinchen hüllte.
Drake hielt sich schützend den Unterarm über die Augen und beobachtete, wie der große Chopper in etwa fünfzig Metern Entfernung langsam aufsetzte.
Das schroffe Bergland, das die östlichen Teile des Landes bestimmte, war schon immer schwer zu befrieden gewesen. Seine Berge und verwinkelten Täler boten hervorragende Bedingungen für Hinterhalte und den Guerillakrieg, mit denen die Einwohner schon seit Jahrhunderten Invasionsheeren zusetzten. Tod durch 1000 Schluchten.
Nichts anderes hatte sich seine Begleiterin zum Beruf gemacht, aber das waren andere Zeiten gewesen. Ein anderer Krieg.
Hinterhalte waren momentan jedoch das Letzte, was Drake vorschwebte. Er hatte eigens ein breites, relativ flaches Plateau ausgesucht, weil er wusste, dass ein Helikopter dort problemlos aufsetzen konnte.
Der zweite schwarze Black-Hawk-Kampfhubschrauber kreiste über ihnen. Seine Kanonen und Raketen waren feuerbereit, um jeden Feind zu dezimieren, der es wagen sollte, sich zu zeigen. Drake konnte tatsächlich beobachten, wie die Läufe der 20-mm-Kanonen immer wieder neu justiert wurden, um ihn im Visier zu behalten.
Dann wurden die Haupttriebwerke des ersten Black Hawk heruntergefahren, und Drake sah, wie eine Seitenluke aufglitt und sechs Männer in voller Kampfmontur herausstürmten und sofort die Umgebung des Landeplatzes absicherten; die Mündungen ihrer M4-Sturmgewehre schwenkten über die Felsen und Kliffs der Umgebung. Drake konnte ihre knappen Durchsagen hören, als sie einander über Funk bestätigten, dass die Umgebung sauber war.
Er rührte sich nicht vom Fleck und ließ sie ihren Job erledigen. In seinem Leben war er oft an ihrer Stelle gewesen und wusste deshalb, dass sie, vom Adrenalin aufgeputscht, nervös und gereizt waren und mit dem Schlimmsten rechneten. Es war sinnlos, einen Kampf zu provozieren, den er nicht gewinnen konnte.
Abgesehen davon achtete er kaum auf den Trupp. Es waren nur Infanteristen, die die Lage sondieren und das erste Feuer auf sich ziehen sollten, falls es dazu kommen sollte. Drake interessierte sich mehr für die kleine Gruppe, die im Chopper geblieben war und von der gepanzerten Hülle geschützt wurde, während ihre Untergebenen die Umgebung sicherten.
Sekunden verstrichen, während er darauf wartete, dass sie sich in Bewegung setzten und sich endlich der Chef dieser exzellenten Demonstration militärischer Macht zeigte.
Es geschah eine ganze Minute nach der Landung des Choppers. Die Seitentür schob sich wieder auf, und zwei Personen kamen zum Vorschein.
Zuerst stieg ein Soldat aus, der wie die anderen vor ihm aussah. Er war groß und muskulös; seine imposante Präsenz wurde von einer Kevlarweste und Gurten verstärkt, die seinen Oberkörper überzogen. Er bewegte sich mit dem natürlichen Selbstvertrauen eines Raubtiers. Dieser Mann war wie dafür geschaffen, anderen das Leben zu nehmen.
Man hätte sein Gesicht attraktiv nennen können, wäre da nicht jene auffällige Narbe gewesen, die sich auf einer Gesichtshälfte in einer einzigen durchgezogenen Linie von seinem Kinn bis über sein linkes Auge zog. Die Folge eines Messerkampfes, der zu Ende gegangen war, bevor er oder seine Widersacherin einen Sieg erringen konnte.
Der M4-Karabiner an seiner Schulter war abgesenkt, doch er hielt ihn fest in den Händen, um ihn jederzeit einsetzen zu können. Seine Miene, auf der sich so oft ein bösartiges Grinsen gezeigt hatte, war in diesem Moment kalt und versteinert. Er war hoch konzentriert.
Selbst er schien zu fürchten, was als Nächstes kommen konnte.
Jason Hawkins war hochgefährlich und Drake nur allzu vertraut, doch sie beide wussten, dass hier in Wahrheit die Frau, die er beschützte, das Sagen hatte.
Die Frau, die dem Chopper nicht mit dem standfesten sicheren Sprung eines ausgebildeten Agenten, sondern mit dem vorsichtigeren und zaghafteren Schritt einer Zivilistin entstiegen war. Die Frau, die einen teuren, maßgeschneiderten Anzug anstelle eines Tarn-Overalls trug, und die sich in ihrer Kevlarweste und der Winterjacke so unwohl zu fühlen schien, wie jeder Prominente oder Regierungsvertreter, der gezwungen war, ein Kriegsgebiet zu besuchen.
Die Miene der Frau, die ihn jetzt beobachtete, drückte eine Mischung von Vorsicht, Neugierde und Vorfreude aus. Schon ihr Anblick reichte, um bei Drake ähnliche Gefühle hervorzurufen.
Sie war groß, hatte einen dunklen Teint, und ihr schulterlanges Haar wurde von einem eleganten Seitenscheitel geteilt. Sie wirkte wie eine ruhige, präzise und bedachtsame Intellektuelle. Ihr schlanker Körperbau, der gerade Rücken und der selbstbewusste Gang kündeten von einem aktiven Leben, das kaum Schwächen zuließ. Sie musste inzwischen mindestens fünfzig sein, dennoch haftete ihr eine Alterslosigkeit an, die nicht auf Eitelkeit, Kosmetik oder Schönheitsoperationen beruhte, sondern auf einer großen inneren Stärke, Disziplin und der Entschlossenheit, sich bei allem, was sie tat, immer wieder selbst zu übertreffen.
Das Paar blieb in etwa fünf Metern Entfernung stehen. Hawkins richtete sein Sturmgewehr auf Drake. Er wollte für den Fall, dass Drake eine Sprengstoffweste anhatte oder zwei Handgranaten ohne Sicherungsstifte in den Händen hielt, kein Risiko eingehen.
»Sie wissen, wie es läuft«, sagte der große Mann. »Ich will Ihre Hände sehen. Aber schön langsam.«
Drake grinste amüsiert. »Nervös, Jason?«
»Sollte ich das sein?«
»Hängt ganz davon ab, was Sie vorhaben.«
Darauf erwiderte er nichts, hielt die Mündung aber weiterhin auf ihn gerichtet. Drake konnte jedoch sehen, wie sein Finger etwas näher an den Abzug rückte. Er suchte nur nach einer Rechtfertigung, ihn abzuknallen.
Drake ließ ihn noch einen kleinen Moment schwitzen, dann hob er die Hände, die Handflächen nach außen, die Finger ausgestreckt. Er war fast nackt zu diesem Treffen gekommen. Keine versteckten Schusswaffen, keine Messer, kein versteckter Körperpanzer, nichts, mit dem er angreifen oder sich schützen konnte.
Keine Tricks. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
»Das reicht«, herrschte die Frau Hawkins an. »Wir wollen nicht gleich auf dem falschen Fuß anfangen. Ryan ist mit den besten Absichten hergekommen, so wie wir. Nehmen Sie die Waffe runter.«
»Ryan hat uns eine Menge Probleme gemacht.«
Sie warf ihm einen scharfen Blick zu und wiederholte ihren Befehl. »Senken Sie Ihre Waffe.«
Widerstrebend gehorchte der Einsatzleiter.
Drake grinste wieder, ihn amüsierte diese Demonstration aufgezwungenen Gehorsams. Wie ein Kampfhund, der gerne zugebissen hätte, aber vor seinem Herrchen mehr Angst als vor seinem potenziellen Feind hatte. Und das sollte er auch.
Drake und Hawkins wussten beide, wozu sie imstande war.
Zufrieden nickte sie in Richtung Drakes Gefangener. »Gut, schauen wir sie uns an.«
Ihr Kopf war mit einer schwarzen Haube bedeckt, die ihr die Sicht nahm und natürlich auch ihr Gesicht verhüllte. Drake hob den Arm, nahm den Stoff und riss die Kappe mit einer schnellen, effizienten Bewegung herunter.
Es gab einen angespannten Moment, als die Haube entfernt wurde, und Drake sah, dass Hawkins trotz des Stillhaltebefehls instinktiv die Waffe hob. Er beobachtete, wie der überraschte Ausdruck, der für einen kurzen Moment im Gesicht des Mannes sichtbar wurde, sehr schnell zu einem ungläubigen Blick wurde, als er sah, wer ihm da gegenüberstand, und er schließlich begriff, was dieser Moment wirklich bedeutete.
Drake war gerade seinem Ruf gerecht geworden; er hatte darüber hinaus das Vertrauen gerechtfertigt, das ihm entgegengebracht worden war, und es hundertfach zurückgezahlt. Und er kehrte mit der größten Trophäe überhaupt zurück. Die Frau, die selbst den effektivsten Jägern der CIA immer wieder entwischt war und der Hawkins die Narbe im Gesicht verdankte, die ihn heute zierte. Die Frau, die sich bisher aus jeder Falle hatte freikämpfen können, die man ihr stellte, und jeden Versuch vereitelt hatte, sie zu vernichten.
Anya.
»Da hol mich doch der Teufel«, sagte Hawkins tonlos, und der spöttische Ton, den man von ihm kannte, kehrte zurück. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass wir uns einmal wiedersehen werden.«
Anya konnte nichts anderes tun, als ihn mit ohnmächtiger Wut anzustarren. Ihr Mund war geknebelt, ihre Hände gefesselt. Die Platzwunden und blauen Flecke in ihrem Gesicht legten Zeugnis davon ab, dass sie sich nicht kampflos ergeben hatte. Und da stand sie nun und hatte keine Chance mehr; alle ihre Karten waren ausgereizt, ihre Zeit war abgelaufen.
Anya war von dem Mann geschlagen worden, dem sie mehr als jedem anderen vertraut hatte.
»Oh, Ryan«, flüsterte die ältere Frau und schüttelte ungläubig den Kopf, als sie die gefesselte und geknebelte Gefangene musterte, die vor ihr stand. »Schön, dass Sie wieder zurück sind.«
Drake lächelte triumphierend, als er die Haube wegwarf.
»Schön zurückzukehren, Elisabeth.«
TEIL EINS
ERINNERUNG
1953 startete die CIA ein streng geheimes Projekt namens MK-Ultra, um den Einsatz von psychoaktiven Drogen, psychischer Konditionierung und Hypnose zum Zwecke der Gedankenkontrolle, zur Informationsgewinnung und für psychische Folter zu erforschen. Das Programm wurde 1973 offiziell eingestellt.
Kandidat B-16 wartete auf sie, als die Tür aufglitt und in der Wand verschwand. Sie betrat den stillen, leeren Raum dahinter. Dort saß er geduldig an dem Metalltisch im Zentrum des perfekt quadratischen, weißen Würfels. Noch eine leere Leinwand, die darauf wartete, von ihr bemalt zu werden.
Der hier sieht vielversprechend aus, dachte sie. Sie hatte seine Akte gelesen und seine Beurteilungen analysiert, doch sie wartete mit ihrem endgültigen Urteil immer, bis sie die Gelegenheit hatte, von Angesicht zu Angesicht mit ihnen zu reden. Dreißig Jahre alt, in exzellenter körperlicher Verfassung, intelligent und von schneller Auffassungsgabe. Ein Mann im Zenit seines Lebens und auf dem Gipfel seiner körperlichen Leistungsfähigkeit.
Doch sie würde ihm dabei helfen, noch viel mehr zu werden.
»Guten Morgen, Kandidat«, sagte sie und glitt auf einen Stuhl, der ihm gegenüberstand. Ihre Stimme wurde auf eine merkwürdige Weise von den schallschluckenden Materialien gedämpft, mit denen sämtliche Oberflächen überzogen waren, die alle Umgebungs- und Störgeräusche herausfiltern sollten, damit sie wirklich ungestört sein konnten.
Er sah sie an. Seine Miene war weder feindselig noch freundlich. Er schätzte sie ab, so wie auch sie ihn abschätzte. »Eigentlich ist Nachmittag.«
Das ignorierte sie.
»Dies hier wird unsere erste gemeinsame Sitzung sein. Die erste von vielen, hoffe ich. Für uns ist es die Gelegenheit, einander … etwas besser kennenzulernen. Bevor wir anfangen, möchte ich Ihnen gern ein paar Fragen stellen, und es ist wichtig, dass Sie sie vollständig und wahrheitsgemäß beantworten. Geht das in Ordnung?«
Er zuckte mit den Schultern. »Fragen Sie.«
Sie lächelte kühl und legte einen Aktenordner auf den Tisch. Darin befand sich eine Zusammenfassung sämtlicher Aspekte der Persönlichkeit dieses Mannes, systematisch zusammengestellt, analysiert und auf Daten, Tabellen, trockene Fakten und Zahlen heruntergebrochen. Sie hatte eine Auswahl vorformulierter Fragen, aus der sie sich bedienen konnte, aber die brauchte sie nicht. Sie hatte die Liste selbst geschrieben und kannte jede einzelne Frage auswendig.
»Welches Datum haben wir heute?«
»Den 4. Februar 2002.« Kein Zögern, keine Schwierigkeit, sich zu erinnern. Noch nicht, jedenfalls.
»Und wer ist der Präsident der Vereinigten Staaten?«
»Ist das Ihr Ernst?«
»Beantworten Sie die Frage, Kandidat.«
Er stöhnte ungeduldig. »Als ich das letzte Mal nachgesehen habe, war es George W. Bush.«
»Gut.« Selbstbewusst, ein bisschen trotzig und ungeduldig, wenn es um Trivialitäten ging, genauso wie sein psychologisches Profil es erwarten ließ. »Wissen Sie, wo Sie sind?«
»Fort Bragg, North Carolina.« Er legte den Kopf schräg. »Wollen Sie auch noch meine Lieblingsfarbe wissen, Doktor?«
»Ich stelle hier die Fragen.« Sie beugte sich etwas nach vorn und beobachtete seine Reaktionen genau. »Können Sie mir sagen, weshalb Sie hier sind?«
»Ich soll mit dem Training für eine neue Spezialeinheit beginnen, die gerade zusammengestellt wird. Aber bisher habe ich nur in Krankenhäusern und Gummizellen herumgesessen. Also habe ich entweder den Verstand verloren, und das alles ist nur eine Riesenfarce, oder es gibt etwas, dass ihr mir nicht erzählt.« Er beugte sich jetzt auch nach vorn und nahm ihre Haltung ein. »Das ist meine Story. Aber jetzt erzählen Sie mir doch einmal, weshalb Sie hier sind?«
Sie lächelte wieder und sah ihn über den Tisch hinweg an. Die angespannte Haltung, der kraftvolle Körper, die leuchtend grünen Augen, die sich auf sie fokussierten. Der wache und überlegene Verstand, der sie zu durchschauen versuchte.
Nun, er würde sie noch früh genug verstehen. Dafür wollte sie sorgen.
»Ich bin hier, um Ihnen zu helfen, Kandidat«, erwiderte sie. Ja, der hier ist bestens geeignet, befand sie. »Ich bin hier, um mehr aus Ihnen herauszuholen, als Sie sich jemals hätten träumen lassen. Und ich glaube, wir werden sehr gut miteinander auskommen.« Sie griff nach dem Ordner, der vor ihr lag, und klappte ihn auf. »Also, fangen wir an.«
1
CIA Hauptquartier, Langley – 8. Januar 2011
Als amtierendem CIA-Direktor widerfuhr es Marcus Cain dieser Tage eher selten, dass man ihn zu einem Meeting einbestellte. In Wirklichkeit gab es jetzt in der Agency nur einen Einzigen, der die Autorität besaß, ihn zu sich zu zitieren.
Dieser Mann war Generalinspektor Frank Hogarth.
In den vergangenen sechs Monaten hatten Hogarth und ein eigens zusammengestelltes Team aus seiner Abteilung wegen des plötzlichen Todes von Cains Vorgänger Robert Wallace ermittelt. Das Justizministerium und das FBI hatten selbstverständlich eigene Ermittlungen angestellt, aber die Bestimmungen und der Stolz verlangten, dass die CIA selbst überprüfte, ob alles mit rechten Dingen zugegangen war. Es war schließlich nicht alltäglich, dass ihr ranghöchster Mitarbeiter im Dienst starb.
Heute war der Tag, an dem Hogarths Team seinen Abschlussbericht vorlegte.
»Direktor Cain, danke, dass Sie vorbeigekommen sind«, sagte Hogarth, erhob sich von seinem Stuhl und umrundete den kleinen Konferenztisch, um Cains Hand zu schütteln.
Hogarth war alles andere als groß, Cain überragte ihn sogar gute fünfzehn Zentimeter. Er war kurz und stämmig, versteckte sein rundes Gesicht hinter einem dichten Bart und einer Drahtbrille; sein lockiges dunkles Haar hatte sich auf ein paar ausgedünnte drahtige Strähnen oben auf dem Kopf reduziert. Hogarth wirkte wie der Filialleiter einer Bank irgendwo auf dem Land, der gemütlich seinen Ruhestand abwartete, ohne weiter aufsteigen zu wollen. Cain kannte ihn bereits seit vielen Jahren, seit mehr Jahren, als er sich erinnern mochte, und obwohl er ihre Beziehung als ziemlich herzlich einschätzte, war ihm stets bewusst, dass man Hogarth keinesfalls unterschätzen durfte.
Er war geradezu obsessiv detailversessen, und wenn es um Ermittlungen bei möglichem Fehlverhalten ging, überließ er absolut nichts dem Zufall. Jede Zeugenaussage und jedes Beweisstück wurden gnadenlos abgeklopft, sämtliche Schwächen in der Beweisführung ausgeleuchtet und gegengecheckt. Und politischer Druck oder Bestechung hätten ihn niemals dazu bringen können, eine Untersuchung zu beschleunigen oder einzuschränken.
»Ist mir wie immer ein Vergnügen, Frank«, log Cain, dem durchaus bewusst war, wie viel von dem abhing, was heute in diesem Raum geschah.
Formal war der CIA-Direktor Hogarths Vorgesetzter und dieser eigentlich Cain unterstellt. Aber ihm waren bei seiner Aufgabe, potenzielle Verbrechen, Korruption oder Fehlverhalten innerhalb der Agency zu ermitteln, praktisch keinerlei Grenzen gesetzt, sodass er Zugang zu jeder Person, jeder Abteilung oder Information hatte, die er für relevant hielt. Wenigstens in diesem Zimmer hatte Hogarth mehr zu sagen als Cain.
Erschwerend kam hinzu, dass Cain trotz seines ausgedehnten Netzwerks von Informanten und loyalen Untergebenen in der Agency vergeblich versucht hatte, dunkle Flecken bei Hogarth zu entdecken: keine Leichen im Keller, nichts, das sich als Druckmittel einsetzen ließ. Er war als eine Ausnahmeerscheinung innerhalb der Welt der Geheimdienste sowohl unbestechlich als auch unantastbar, was ihn extrem gefährlich machte.
»Möchten Sie einen Kaffee?«, fragte Hogarth, nahm sich wieder einen Stuhl und setzte sich seine Lesebrille auf, um in die Akte zu sehen, die aufgeschlagen vor ihm lag. Ein zweiter Beamter, sein Adjutant, hatte ebenfalls Platz genommen. Er sollte dem Treffen als Zeuge beiwohnen.
Cain hätte ebenfalls einen Vertreter seiner Wahl mitbringen können, doch er hatte das Angebot zurückgewiesen. Je weniger Menschen dabei waren, desto besser.
»Ich würde am liebsten gleich zur Sache kommen, wenn Sie nichts dagegen haben.« Als Hogarth über den Rand seiner Brille blickte, fügte Cain hinzu: »Ich habe auf dem Schreibtisch noch einen Stapel von Berichten, die ich durcharbeiten muss.«
Der Generalinspektor lächelte, aber das Lächeln erreichte seine eingesunkenen Augen nicht. »Gut, wir werden versuchen, die Sache schmerzlos über die Bühne zu bringen.« Er sah zu seinem Adjutanten hinüber und fügte hinzu: »Steven, schalten Sie bitte das Tonbandgerät ein.«
Sämtliche Befragungen, denen sich Cain zuvor unterzogen hatte, waren auf die gleiche Weise aufgezeichnet worden. Er hatte freiwillig an ihnen teilgenommen, deshalb war der Ton nicht so scharf gewesen wie bei einer offiziellen Befragung, dennoch hatte man ihm mit einigen Fragen sehr auf den Zahn gefühlt. Cain war der Letzte, der Direktor Wallace lebend gesehen hatte, weshalb die Untersuchung zum Tod des Mannes sich auf ihn konzentriert hatte.
Sobald der Digitalrekorder lief, erhob Hogarth die Stimme und schlug einen offizielleren Ton an. »Fürs Protokoll: Besprechungstermin S1224/7, Präsentation der Untersuchungsergebnisse und Empfehlungen. Heute ist der 9. Januar 2011. Anwesend sind der amtierende Direktor Marcus Cain, Generalinspektor Frank Hogarth und Sonderermittler Steven Burke.«
Nach dieser kleinen Einleitung, die den Formalitäten Genüge tat, wandte sich Hogarth an Cain. »Also, Direktor Cain, den Bestimmungen nach sollte dieses Treffen von einem Beamten geleitet werden, der mindestens eine Rangstufe höher steht als der Mann, dem diese Untersuchung gilt. Das ist nicht möglich, da Sie zurzeit der amtierende Direktor sind. Wollen Sie deshalb bitte für die Akten bestätigen, dass Sie in diesem Fall auf die Einhaltung dieser Regel verzichten.«
»Das tue ich«, pflichtete Cain bei.
»Gut, dann können wir weitermachen.« Hogarth sah in den Ausdruck des Berichts, der vor ihm lag, und las vor: »In der Sache der Sonderermittlung 224 wegen des Todes des früheren CIA-Direktors Robert Wallace ist das Ermittlerteam zu dem Schluss gekommen, dass es am Schauplatz seines Todes einige Anomalien bei den forensischen Befunden gab. Diese Anomalien werden im Abschnitt 3 des Berichts zusammengefasst. Das Ermittlerteam stellte außerdem kleinere Unstimmigkeiten in den Zeugenaussagen des amtierenden Direktors Marcus Cain fest, was den Gesundheitszustand von Direktor Wallace zum Zeitpunkt ihres letzten Treffens anbetrifft, das an seinem Todestag etwa gegen 14 Uhr stattfand. Diese Unstimmigkeiten werden in Abschnitt 4 zusammengefasst.«
Cain spürte seine zunehmende Anspannung, als Hogarth fortfuhr. Er hatte jeden möglichen Schritt unternommen, um Wallaces Tod wie einen Unfall aussehen zu lassen, er hatte ein Putzteam damit beauftragt, seine Leiche sicherzustellen, sie zu präparieren und so in Szene zu setzen, dass es aussah, als wäre der Mann bei einem Autounfall gestorben. Aber solche Dinge mussten naturgemäß in aller Eile erledigt werden, bevor das Opfer vermisst gemeldet und eine Suche gestartet wurde. Und im Fall eines hochrangigen Regierungsbeamten wie Wallace war die Zeit wirklich ihr Gegner gewesen.
Im Gegensatz dazu verfügten Hogarth und seine Leute über alle Zeit der Welt, um jedes Detail genau zu untersuchen, jede Faser und jedes kleine Beweisstück zu analysieren. Sie mussten unweigerlich Schwachstellen in der Geschichte finden. Jede Täuschung, ganz gleich, wie gut sie konstruiert war, brach irgendwann zusammen, wenn man nur lange genug daran rüttelte und darin herumstocherte. Jetzt blieb nur noch die Frage, ob eine der Schwachstellen gravierend genug war, um die Geschichte zu untergraben, die er konstruiert hatte.
Hogarth machte eine Pause, weil er wusste, dass dies der kritische Moment war.
»Wenn all diese Faktoren berücksichtigt werden, ergibt sich aus keiner dieser Ungereimtheiten eine überzeugende alternative Erklärung für den Tod von Direktor Wallace. Zieht man außerdem den persönlichen Verlust in Betracht, den Direktor Cain kurz vor dem Zwischenfall erlitt, wäre es unangemessen, von ihm zu erwarten, dass er sich perfekt an alle Vorkommnisse erinnerte«, kam er zum Schluss und nickte Cain ganz leicht zu.
»Aus diesen Gründen kommt diese Untersuchung zu dem Schluss, dass Direktor Wallace kurz nach seinem Treffen mit Direktor Cain einen schweren Herzinfarkt erlitt, die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und in eine Schlucht stürzte, die parallel zu der Straße verlief, die er zu jenem Zeitpunkt befuhr. Diese Hypothese passt zu den Ergebnissen der Autopsie, die kurz nach seinem Tod durchgeführt wurde, und zu den medizinischen Beurteilungen bezüglich der Gesundheit von Direktor Wallace in den Monaten, die seinem Tod vorangingen und darauf schließen lassen, dass er wegen seines Amtes sehr angespannt und gestresst war. Seine Todesursache wurde als eine Kombination des eingangs erwähnten Herzinfarkts und stumpfer Gewalteinwirkung bestimmt, die durch den Unfall hervorgerufen wurde. Unsere Untersuchung entspricht deshalb den Ergebnissen unserer Kollegen beim FBI, dass es sich bei Direktor Wallace’ Tod um einen Unfall gehandelt hat. Wir empfehlen, zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Untersuchungen durchzuführen.«
Er legte seinen Bericht auf den Tisch und betrachtete Cain kühl und abschätzend. »Haben Sie diesen Erkenntnissen etwas hinzuzufügen, Direktor Cain?«
Cain schüttelte den Kopf und achtete darauf, eine neutrale Miene zu präsentieren. Jetzt auch nur das geringste Anzeichen von Erleichterung zu zeigen hätte Hogarth durchaus Anlass geben können, seine Erkenntnisse zu überdenken.
»Es sei vermerkt, dass Direktor Cain die Frage verneint hat.« Hogarth zog eine Braue hoch, dann fügte er hinzu: »Und sind Sie mit der Empfehlung dieses Untersuchungsberichtes einverstanden?«
»Das bin ich.«
»In diesem Fall ist die Angelegenheit für uns erledigt, Sir. Sämtliche Erkenntnisse der Ermittlungen befinden sich in dem Bericht, der vor Ihnen liegt. Falls Sie noch weitere Fragen dazu haben, setzen Sie sich bitte mit meinem Büro in Verbindung. Das Meeting endete gegen 10:30 Uhr.«
»Wie immer gute Arbeit, Frank«, sagte Cain und stand auf. Er hielt den Bericht, der mehrere Hundert Seiten umfasste, unter seinen Arm geklemmt. Beide wussten, dass er ihn nie von vorne bis hinten durchlesen würde, aber Hogarth war der Typ von Mann, der keinen i-Punkt ausließ, auch wenn niemand jemals einen Blick darauf warf. »Richten Sie Ihrem Team meine Anerkennung aus.«
»Das werde ich, Marcus. Aus dem Mund des amtierenden Direktors bedeutet das eine Menge«, bemerkte Hogarth, der jetzt einen etwas lockeren Ton anschlug, weil es nicht mehr um Offizielles ging. Cain war jedoch nicht entgangen, dass er das Wort »amtierend« betonte, um ihn daran zu erinnern, dass er sein neues Amt keineswegs dauerhaft bekleidete. Aber das war eine Auseinandersetzung, an der er heute kein Interesse hatte.
Er wollte gerade aufbrechen, als Hogarth einen Schritt näher kam und mit leiser Stimme sagte: »Da ist nur eine Sache, die mich noch … stört.«
»Tatsächlich? Was denn?«, fragte Cain und heuchelte unschuldiges Interesse.
»Ach, nichts Besonderes. Nur eine jener offenen Fragen, die wir nie vernünftig klären konnten. Ich meine, davon steht nichts in den Akten …«
Er stocherte herum; Cain spürte einen Anflug von Wut auf den stämmigen Mann, der einfach nicht lockerlassen konnte. Selbstverständlich hätte er das Gespräch an dieser Stelle abbrechen, sich entschuldigen und weggehen können, als ob nichts geschehen wäre. Es war aber geschehen. Und er wusste, dass ein solch abrupter Abgang bei Hogarth Zweifel schüren konnte. Nur eine kleine Spur davon, kaum wahrnehmbar, doch im Laufe der Zeit hätte er immer stärker werden können.
Ihm blieb keine andere Wahl, als sich jetzt damit zu befassen.
»Schießen Sie los.«
»Nun, es geht um Wallace’ Privatsekretärin«, räumte Hogarth ein. »Sie gehörte zu den letzten Menschen, die mit ihm gesprochen haben, bevor er sich am Tag seines Todes in Langley abmeldete. Er hat ihr aufgetragen, für den Rest des Nachmittags keine Gespräche mehr zu ihm durchzustellen, und erzählt, dass er für einige Zeit nicht in der Stadt sein würde.«
Cain zuckte mit den Schultern. »Das klingt logisch. Er kam, um sich mit mir zu unterhalten. Ich glaube, er wollte nicht gestört werden.«
»Genau, aber was mich beschäftigt, ist die Anweisung, die er ihr danach gegeben hat. Er sagte ihr, dass er für den Folgetag möglicherweise ein Treffen mit dem NSA-Direktor anberaumen müsse. ›Je nachdem, wie die Sache läuft.‹ So lauteten seine Worte. Haben Sie eine Ahnung, was er damit gemeint haben könnte?«
Cain ahnte, was der Chefermittler dachte. Hogarth war bekannt, dass die beiden Männer eine turbulente Arbeitsbeziehung hatten, und er argwöhnte, dass hinter ihrem Treffen mehr als nur ein einfacher Privatbesuch stand. Aber er konnte es nicht beweisen. Er tastete nur herum und gab Cain einen letzten Stups, um herauszufinden, ob er vielleicht ins Trudeln geriet.
Cain schaffte es, einen geduldigen, verständnisvollen Gesichtsausdruck aufzusetzen. »Das sind wir doch schon bei meiner Abschlussbesprechung durchgegangen, Frank«, stellte er ruhig und sachlich fest. »Wie ich es bei meiner Stellungnahme bereits darlegte, sprachen wir nicht über die Arbeit. Er kam, um mir zum Tod meiner Tochter zu kondolieren.« Cain riss sich zusammen und ausnahmsweise war sein schmerzerfüllter Gesichtsausdruck nicht ganz und gar geheuchelt. »Er sagte, ich solle mir so viel Auszeit nehmen, wie ich brauche. Dann ist er gegangen. Da habe ich ihn zum letzten Mal gesehen.«
Hogarth musterte ihn, dann nickte er und spreizte die Hände in einer abschließenden abwiegelnden Geste. »Na schön, wie ich schon sagte, es ist nur eines von diesen kleinen Dingen.«
Cain legte ihm die Hand auf die Schulter. »Es gibt nicht auf jede Frage eine Antwort, Frank. Das wissen wir beide.«
Dann zog er die Hand wieder zurück, drehte sich um und ging mit dem Ordner unter dem Arm aus dem Zimmer. Er war fest entschlossen, ihn so bald wie möglich wegzuwerfen. Die Untersuchung war abgeschlossen, und er war endlich von jeglichem Verdacht freigesprochen. Jetzt konnte er den ganzen Mist hinter sich lassen und sich auf die eigentliche Arbeit konzentrieren, die vor ihm lag.
Mehr wollte er gar nicht.