Isabel Schroth

Ängste
verstehen

Hilfe für Angehörige
und Freunde

nymphenburger

Inhalt

Vorwort

KAPITEL 1
DIE FORMEN DER ANGST: EIN ÜBERBLICK

Was ist Angst?

Wenn es zu viel wird

Der Kreislauf der Angst: die Angststörung

Symptome einer Angstattacke

Welche Angststörungen gibt es?

Phobische Störungen

Panikstörung

Generalisierte Angststörung

Behandlung von Angsterkrankungen

Medikamentöse Behandlung

Psychotherapie

Angst als Chance?

KAPITEL 2
HILFE FÜR ANGEHÖRIGE UND FREUNDE VON BETROFFENEN

Wie sich das Leben verändern kann

Was können Sie als Partner tun?

Wenn eine Beziehungskrise droht

Wenn Ihr Kind eine Angststörung hat

Was können Sie als Eltern tun?

Häufige Fragen von Angehörigen

KAPITEL 3
GANZHEITLICHE MASSNAHMEN FÜR ANGEHÖRIGE UND FREUNDE

Hilfe für einen entspannten Alltag

Suchen Sie das Gespräch

Sorgen Sie für Entspannung und guten Schlaf

Schaffen Sie sich Freiräume

Ernähren Sie sich ausgewogen

Werfen Sie Ballast ab

Bewegen Sie sich im Freien

Tanken Sie Sonne

Für mehr Gelassenheit und Energie

Entspannungsübungen

Gebete

Aromatherapie: Öle zur Entspannung und Regeneration

Energetische Reinigung mit Salz und Aromaöl

Homöopathie & Naturheilkunde

Anthroposophische Medizin

Homöopathie

Schüßler-Salze

Bachblüten-Notfalltropfen (Rescue-Tropfen)

Johanniskraut: Sonnenpflanze für die Psyche

Kräuter-Heiltees

Zu guter Letzt

Hilfreiche Adressen

Zum Weiterlesen

Register

Vorwort

»Das Bild vom furchtlosen Helden täuscht. Er ist ein Fantasieprodukt. Ein Held, der keine Angst hat, braucht keinen Mut. Die Angst ist eine ständige Begleiterin. Ohne Angst lebt kein Grenzgänger lange. Die Angst ist die andere Hälfte von Mut.«

Reinhold Messner (Extrembergsteiger)

Angst gehört zum Leben. Sie ist, wie Freude, Wut oder Trauer, ein ganz normaler Gefühlszustand und eine natürliche Reaktion unseres Körpers, die uns bei Bedrohung warnen und beschützen will. Auch wenn sie als unangenehm erlebt wird – wer möchte schon gerne als »Angsthase« gelten.

Problematisch wird es allerdings, wenn die Angst außer Kontrolle gerät, überhandnimmt, grundlos und übersteigert ist. Dann kann sie die Lebensqualität und den Alltag der Betroffenen entscheidend beeinträchtigen und auch die Menschen in ihrem nahen Umfeld emotional stark fordern und an ihre Belastungsgrenze bringen. Mittlerweile gehören Angststörungen zu den am häufigsten diagnostizierten psychischen Erkrankungen.

Mit diesem Buch möchte ich Ihnen als Angehöriger oder Freund Hilfestellung geben, wie Sie mit dieser schwierigen Situation umgehen und dem Betroffenen eine wertvolle Stütze sein können. Im ersten Teil finden Sie alles Wichtige über die verschiedenen Ausprägungen der Angst, ihre Symptome und die diversen Behandlungsmöglichkeiten. Dabei möchte ich Ihnen das Thema aus ganzheitlicher Sicht, die Körper, Geist und Seele miteinbezieht, näherbringen. Im zweiten Teil erfahren Sie, wie Sie mit dem Angsterkrankten in Belastungssituationen umgehen, ihn unterstützen und dabei selbstfürsorglich bleiben können. Und in Teil drei zeige ich Ihnen, was Sie tun können, um gut für sich und Ihr eigenes seelisches und körperliches Wohlbefinden zu sorgen. Denn nur wenn Sie sich selbst entspannt, stark und kraftvoll fühlen, werden Sie die nötige Energie aufbringen, dem Betroffenen zu helfen.

Es gibt immer ein Licht am Ende des Tunnels. Dahin möchte ich Sie gerne führen. Ich möchte Ihnen als Angehörigen helfen, wieder innere Klarheit zu gewinnen, und Wege aufzeigen, wie Sie unterstützend und liebevoll mit einem angsterkrankten Menschen umgehen können. Auch wenn der Weg oft mühsam und schwierig sein kann, wird es sich lohnen, diesen mit Ihrem Partner, Kind oder Ihren Angehörigen und Freunden zu gehen. Lassen Sie sich darauf ein und glauben Sie daran, dass sich am Ende alles zum Besten entwickelt.

Für den Stil des Buches gilt: Der besseren Lesbarkeit wegen habe ich durchgängig die grammatikalisch männliche Form benutzt. Diese steht stellvertretend für Personen beiderlei Geschlechts.

KAPITEL 1
Linie Die Formen der Angst:
Ein Überblick

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Was ist Angst?

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Jeder Mensch kennt das Gefühl der Angst. Sei es, wenn er vor einer wichtigen Prüfung steht, schwierige Entscheidungen treffen muss oder gar mit einem Flugzeug in Turbulenzen gerät. Wir sind in unserem Leben vielen Situationen ausgesetzt, die zu einer potenziellen Gefahrenquelle werden und Angst in uns auslösen können.

Evolutionsgeschichtlich hat Angst eine wichtige Schutzfunktion. Sie schärft die Sinne. Dadurch kann man einer potenziellen Gefahrenquelle aus dem Weg gehen und bei Bedarf angemessen reagieren, beispielsweise die Flucht ergreifen. Angst mobilisiert den eigenen Schutz- und Überlebensmechanismus und ist ein wichtiger Antrieb für Motivation, Wachheit und intellektuelle Leistungsbereitschaft. Man kann sie als eine Art inneres Warnsystem verstehen, das bei einer akuten Bedrohung aktiviert wird und vor Gefahren schützt. So wird beispielsweise die Angst vor Schmerz ein Kleinkind vermutlich daran hindern, ein zweites Mal auf eine heiße Herdplatte zu fassen. Denn es hat die Erfahrung der ersten schmerzhaften Begegnung damit im Kopf abgespeichert. Steht es nun wieder vor dem Herd, dann wird sein inneres Warnsystem Alarm schlagen und es davon abhalten, die heiße Herdplatte zu berühren. In diesem Falle hat die Angst ihre gute Schutzfunktion erfolgreich erfüllt.

Das Gleiche gilt auch bei der Vorbereitung auf eine wichtige Prüfung. Die Angst durchzufallen, wird meist dazu führen, dass man sich besser vorbereitet. In solch einer Situation kann Angst die Aufmerksamkeit und Motivation erhöhen und sich als durchaus sinnvoll erweisen. Deshalb gilt: Ein gesundes Maß ist hilfreich und kann dazu führen, dass wir einen Antriebsschub bekommen und eine Sache besonders gut ausführen. Angst kann vor Routine bewahren und dafür sorgen, dass wir uns bemühen und unser Bestes geben. So gesehen ist sie für uns ein wertvoller und nützlicher Begleiter.

Angst ist als etwas ganz Natürliches also durchaus hilfreich und gehört zu unserem Leben dazu. Problematisch kann es allerdings dann werden, wenn das Angstsystem auch in ungefährlichen Situationen aktiviert wird und zu einer Beeinträchtigung des alltäglichen Lebens führt. Die Angst kann ihre Aufgaben nur dann erfolgreich erfüllen, wenn zwei Dinge gegeben sind: Zum einen darf man nicht so große Angstgefühle entwickeln, dass dadurch das Handeln blockiert ist. Denn ein Zuviel hemmt die Konzentration und das Denkvermögen. Zum anderen darf man aber auch nicht leichtsinnig durch zu wenig Angst reale Risiken und Gefahren unterschätzen und ausblenden. Wer zum Beispiel ohne Licht nachts auf der Autobahn fährt, bringt sich selbst und andere in Gefahr Es geht also um eine gesunde Balance zwischen Angst und Furchtlosigkeit. In diesem Sinne gilt: Angst kann sowohl »Kraftquelle« als auch »Gefahrenquelle« sein.

TYPISCH ANGST

Wenn es zu viel wird
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Zu einer Belastung wird Angst dann, wenn das innere Warnsystem zu empfindlich eingestellt ist. Man entwickelt grundlose und übertriebene Ängste, die dazu führen, dass alltägliche Situationen als eine unüberwindbare Hürde erscheinen, die man nicht mehr bewältigen kann.

In der Psychologie gibt es das sogenannte »4-Ebenen-Modell der Angstreaktion«, das sie in die körperliche Ebene, die Gedanken- und Gefühlsebene und die Verhaltensebene unterteilt:

ERWARTUNGSANGST:
DIE ANGST VOR DER ANGST

Viele Betroffene, die unter Angstzuständen leiden, leben in ständiger Erwartung der nächsten Angstattacke. Dies nennt man in der Psychologie »Erwartungsangst« beziehungsweise die »Angst vor der Angst«. Der Betroffene ist ständig angespannt, was sich in Stresssymptomen wie Muskelverspannung, schnellem Atem oder übertriebener Aufmerksamkeit auf den eigenen Körper zeigt. Die Erwartungsangst beherrscht den Alltag und führt zu Vermeidungsstrategien.

Das folgende Beispiel zeigt, wie schnell sich das Gefühl der Angst entwickeln und ausbreiten kann.

Anna und Tom

Anna und Tom besuchen den alljährlichen Jahrmarkt der Stadt. Schon seit Wochen haben sie sich darauf gefreut, denn er gehört zu den größten im Umkreis und ist mit seinen vielen Fahrgeschäften eine Attraktion. Besonders gerne fahren beide mit dem großen Riesenrad und schauen sich das Treiben von oben an. Auch an diesem Abend steigen sie in die Gondel ein und fahren ein paar gemütliche Runden, bis sie plötzlich stehen bleibt und es nicht mehr vorangeht. Anfangs lacht Tom und findet es lustig. Doch je länger er dort oben in der Gondel sitzt, desto mehr hat er das Gefühl, gefangen zu sein. Er hat den Eindruck, dass sich sein Herzschlag beschleunigt und spürt Druck auf der Brust. Seine Hände werden plötzlich feucht, und er hat Schwindelgefühle. Anna bekommt von alldem zunächst nichts mit, bemerkt aber, dass Tom immer flacher atmet und ganz rote Wangen vor Aufregung bekommt. Sie versucht ihn zu beruhigen. Er hat das Gefühl, dass er gleich die Kontrolle verliert. Alles um ihn herum erscheint so unwirklich und wie in Zeitlupe. Er hat das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen und Panik macht sich in ihm breit. In diesem Moment löst sich die Gondel aus der Verankerung und fährt weiter. Unten angekommen steigt Tom aus und möchte nur noch auf schnellstem Weg nach Hause. Dort angekommen fühlt er sich wieder so, als wäre nichts gewesen. Er hat jedoch eine Entscheidung für sich getroffen: Er möchte nie mehr in eine Gondel steigen.

Das Erlebnis in der Gondel hat Tom nachhaltig beeinflusst. Er ist in den Jahren danach nicht mehr auf den Jahrmarkt gegangen. Allein die Vorstellung, wieder in einer stehenden Gondel zu sitzen, löste bei Tom ein ungutes Gefühl aus. Seitdem traut er sich seltener auf Feste und meidet allgemein große Menschenansammlungen.

Seine Angst hat sich inzwischen auf unterschiedliche Bereiche seines Alltags übertragen, und er vermeidet die Dinge, vor denen er Angst hat. Dies ist ein klassisches Beispiel dafür, wie aus einer anfänglich normalen Angst eine sogenannte Erwartungsangst geworden ist und wie schnell man dadurch in einen Angstkreislauf hineingeraten kann. Würde er nun nichts gegen seine Angst unternehmen oder sogar versuchen, sie zu verdrängen, dann würde sie vermutlich noch intensiver auftreten und ihn zunehmend in seinem Alltag einschränken. Daher ist es wichtig, schon auf die kleinsten Angstsymptome zu achten und diese als solche auch wahrzunehmen.

Schenkt der Betroffene der Angst jedoch übermäßig viel Aufmerksamkeit, wird immer empfindlicher und beginnt, sich zu isolieren, dann kann sie an Macht gewinnen und bekommt die Chance, sich immer weiter auszubreiten. Es ist wichtig, die Angst nicht als Feind zu betrachten, sondern als Freund, der dem Betroffenen hilft, sich in seiner Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Die innere Haltung diesem Thema gegenüber zählt und sollte konstruktiv und möglichst positiv sein.

Der Kreislauf der Angst:
die Angststörung

Wenn die Angst übermäßig groß wird, ohne konkreten Anlass auftritt und unbegründet ist, spricht man von einer Angststörung. Angststörungen zählen neben Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen weltweit. Etwa 15 Prozent aller Menschen erleiden im Laufe ihres Lebens mindestens einmal eine Angstattacke, wobei Frauen fast doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Alle Angststörungen sind mit Stressreaktionen des Körpers verbunden und die Symptome sind vielfältig. Das Hauptsymptom einer Angststörung ist die Angst selbst. Sie beeinträchtigt die Lebensqualität in hohem Maße und führt dazu, dass man Situationen vermeidet, in denen man bereits negative Erfahrungen gemacht hat.

Symptome einer Angstattacke
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Die Symptome, die mit einer Angstattacke verbunden sind, werden von den Betroffenen als sehr bedrohlich wahrgenommen und interpretiert: