Nr. 3065
Beteigeuze
Der Terraner und die Gelegemutter – retten Diplomaten die Zukunft?
Susan Schwartz / Christian Montillon
Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Erstes Protokoll
1. Im Brennpunkt
2. Im Licht der Beteigeuze
3. Der Primrat der Yura
4. Irreversibel
5. Schutz für alle
6. Die Begegnung
7. Es beginnt
8. Angriff
9. Das Verhör
10. Die Pressekonferenz
Fanszene
Leserkontaktseite
Glossar
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.
Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Er wurde vorwärts durch die Zeit katapultiert und findet sich in einem Umfeld, das nicht nur Terra vergessen zu haben scheint, sondern in dem eine sogenannte Datensintflut fast alle historischen Dokumente entwertet hat.
In der Milchstraße spielen die Cairaner eine maßgebliche Rolle; die Liga Freier Galaktiker und die Arkoniden sind nur noch von untergeordneter Bedeutung. Der unsterbliche Arkonide Atlan hat beschlossen, an dieser Situation etwas zu ändern. Vor allem versucht er dem Geheimnis des hermetisch abgeschlossenen Arkonsystems auf den Grund zu gehen, das nur noch als die »Bleisphäre« bekannt ist.
Perry Rhodan hat mittlerweile die Erde wiedergefunden – in einem Zwillingsuniversum, das mit unserem durch die sogenannte Zerozone verbunden ist. Dort befindet sich die Menschheit im Konflikt mit den Topsidern. Die geplanten Friedensverhandlungen sollen stattfinden im System der Riesensonne BETEIGEUZE ...
Perry Rhodan – Der Terraner wird geprüft.
Phylax – Der Okrill wird einmal mehr zum Retter.
Kaloyd – Ein Yura nutzt einen Mantel.
Odai Krimmer und Wrachsha – Die beiden Sicherheitsbeauftragten der Menschen und der Topsider sorgen sich um die Konferenz der Staatsoberhäupter.
Orfea Flaccu und Bun-Akkbo – Zwei Staatsoberhäupter verpflichten sich dem Frieden.
Lerne zuzuhören,
und du wirst auch von
denjenigen Nutzen ziehen,
die dummes Zeug reden.
(Anonyme Sammlung
altterranischer Weisen,
Kapitel 88, »Platon«)
Erstes Protokoll
Das Schiff rast heran – eine topsidische Einheit. Es feuert unablässig auf die kleine Forschungsstation im Orbit des Jupitermonds Europa.
»Was tust du, Rhodan?«, fragt die Stimme, leise, lauernd und gespannt. »Wie reagierst du darauf?«
Der Schutzschirm der Station flammt auf. Er kann die tosenden Energien nicht länger ableiten. Der Schirm kollabiert – ein Glühen, dann die Explosion. Kurz lodert etwas im All auf, die Atmosphäre verpufft, dann treiben die Trümmer davon.
»Nachforschen! Wie viele Todesopfer gibt es durch diesen Vorfall?«
Die Antwort der Positronik erfolgt sofort: null!
Die Station war unbemannt, die Besatzung hat sie vor Ablauf des Ultimatums verlassen, als bekannt geworden war, dass die Topsider angreifen würden.
»Du hast dich nicht darum gekümmert, weil nur Materialschaden zu befürchten waren«, sagt die Stimme. »Ein leicht zu bringendes Opfer für dich, Perry Rhodan. Du bist hier passiv geblieben, weil du an anderen Stellen wichtigere Kämpfe austragen musst.«
Der glühende Ball der heimatlichen Sonne Sol steht inmitten des Schlachtgeschehens. Zwischen den Planeten und Monden jagen Gruppen von Raumschiffen aufeinander zu, feuern, ziehen sich zurück.
Die topsidischen Pfeilraumer gleichen Boten des Todes. Die Verteidiger werfen sich ihnen entgegen. An vielen Orten entbrennen Gefechte, manche nur Scharmützel, eher ein gegenseitiges Belauern, andere tatsächlich tödliche Auseinandersetzungen mit Opfern auf beiden Seiten.
Die Aufmerksamkeit des Beobachters wird von einem explodierenden Beiboot auf Höhe der Marsbahn gefangen – der Planet ist momentan jedoch weit entfernt und zieht gegenüber der Sonne seine Bahn. Die kleine zerstörte Einheit gehört zu den Topsidern, und ein Schwarm terranischer Raumjäger steht in der Nähe. Drei Rettungskapseln haben die Zerstörung überstanden.
»Was hast du angeordnet, Rhodan?«, raunt die Stimme. »Wie gehen deine Soldaten damit um? Sind nur tote Feinde gute Feinde?«
Die Kapseln treiben im All.
Die Raumjäger schließen sich zusammen, nehmen eine Angriffsposition ein. Nein – eine Rückzugsformation! Sie wenden sich ab, beschleunigen, rasen Richtung Terra.
»Schonung. Humanität.« Die Worte erklingen langsam, gedehnt, mit einer großen Pause dazwischen. Es hört sich an, als dächte der Sprecher über diese Werte nach.
Und als wäre er nicht begeistert davon.
1.
Im Brennpunkt
»Du hast es gut, dass du keinen Namen tragen musst«, sagte Kaloyd. »Es ist ... unangenehm.«
Sein Gegenüber fand diese Bezeichnung offenbar nicht ausdrucksstark genug. »Ekelhaft!«, verschärfte er.
»Ein Name ist wie ... wie ein achter Tentakel!« Kaloyd hob seinen siebenarmigen Kopffüßerkörper ein wenig an und pendelte leicht. Es fühlte sich gut an, dabei den Wind zu fühlen, der vom Ozean her wehte.
Die Luft war herrlich feucht. Er vermisste den direkten Kontakt mit dem Wasser – schon viel zu lange arbeitete er in der Ebene, um alles für die Besucher vorzubereiten. Der Humidoranzug spendete zwar Feuchtigkeit, doch war das nur ein schaler Ersatz. Kein Yura blieb gerne vom Meer oder wenigstens von Flüssen getrennt, und in dieser Gegend gab es nur ein erbärmliches Rinnsal von Bachlauf.
»Ein achter Tentakel!« Der andere schüttelte sich bei dieser Vorstellung. Es war wirklich abstoßend. »Aber nun zum eigentlichen Thema, einverstanden? Ich bin zu dir gekommen, weil meine Leute die Unterkünfte fertiggestellt haben. Willst du sie kontrollieren, Kaloyd?«
»Du brauchst mich nicht so zu nennen.«
»Gewöhn dich besser daran!«
»Sobald die Fremden hier auftauchen, werde ich das – nicht vorher! Terraner, Topsider ... ja! Sie brauchen Namen, aber nicht wir untereinander!«
»Warum hast du ihn gewählt?«
»Du weißt, dass es nötig ist. Sie kommen sonst im Umgang mit uns nicht zurecht, weil sie ihre Individualität an ihre Eigennamen binden.«
»Das meine ich nicht. Wieso gerade – Kaloyd?«
»Verstehst du das nicht? Ich trage ihn wie einen Kaloyd ... einen Mantel. Sobald die Fremden abreisen, werde ich ihn wieder ablegen. Ich freue mich jetzt schon darauf. Aber zu deiner anderen Frage – ja, ich sehe es mir gerne an. Doch lass uns vorher eine Pause einlegen. Wir haben ein wenig Ruhe verdient.«
Die beiden Yura stolzierten auf vier ihrer sieben Tentakel auf den Rand des kleinen Wäldchens zu – in den Schatten, der sich dort bot. Die Sonne brannte an diesem Tag von einem wolkenlosen Himmel, und die Hitze trocknete die Körper mörderisch aus. Die Luft schmeckte trocken, staubig und rau. Immerhin waren keine Bachu unterwegs. In allen Dingen verbargen sich eben Vorteile, sobald man nur genau genug hinsah.
Entsetzlicher Durst quälte Kaloyd, und die Haut spannte. Es galt, Vorsicht walten zu lassen, sonst würden bald die Tentakelspitzen aufreißen, und das nicht zum ersten Mal während dieser Arbeitsphase. Wenn das geschah, müsste er sich wieder tagelang mit den winzigen Wunden herumquälen und aufpassen, dass sie sich nicht entzündeten.
Im Schatten reckten sein Begleiter und er wohlig alle Tentakel wie einen Kreis um sich. Als sie den Bachlauf erreichten – ja, klein, aber besser als nichts – und sich fallen ließen, um umspült zu werden, sah die Welt sofort viel schöner aus.
Mochten sie kommen, die Terraner und Topsider! Sollten sie ihre Gespräche führen!
Es kam eine anstrengende Zeit auf sie zu, mühsam und entbehrungsreich, doch das ging vorüber, und danach warteten herrliche Regentage, Feuchtigkeit und Glück.
*
Die Kontrolle der kleinen Siedlung lief problemlos ab – sämtliche Yura hatten gute Arbeit geleistet. Sehr gute sogar.
Kaloyd fand kaum etwas auszusetzen, rechnete allerdings damit, dass die Fremden das anders sehen würden. Wahrscheinlich brachten sie tausend Vorschläge und Modifikationen ins Spiel.
Er schätzte den Terraner Odai Krimmer und die Topsiderin Wrachsha als extrem kritisch ein. Sie hielten sich bereits seit einigen Tagen auf Vurayur auf, um die Vorbereitungen im Auge zu behalten. So nannte Krimmer es. Wrachsha sprach davon, dass sie den Vorgang benesten wollte. Was sie beide meinten, übersetzte Kaloyd für sich so: Sie legten Wert darauf, die Strömung zu kennen.
Kommunikation mit fremden Völkern gestaltete sich nicht einfach, erst recht nicht, wenn man solchem Misstrauen begegnete, wie es vor allem von der Topsiderin ausging. Wobei der Terraner in dieser Hinsicht ebenfalls nicht ohne war.
Kaloyd bedankte sich bei seinem Begleiter und schickte ihn zurück ans Meer. »Du hast gute Arbeit geleistet, nun genieß die Ruhe. Nimm deine Hilfskräfte mit.«
»Aber falls etwas nachzubessern ist ...«
»... werden es die Roboter unserer Gäste erledigen.« Diese fremden Maschinen hatten ohnehin die meisten körperlich schweren Aufgaben erledigt – selbstverständlich unter Anleitung der Yura. »Sorg dich nicht um Dinge, um die du dich nicht kümmern musst. Ab sofort liegt das Gesamtprojekt ausschließlich in meiner Verantwortung. Nun geh!«
Der andere hob zwei Tentakel und verschlang sie ineinander. Mit einem dritten tippte er Kaloyd zur Verabschiedung an. »Sehr gerne.«
Damit zog er sich zurück.
Kaloyd stakste eine letzte Runde zwischen den Gebäuden, bis er schließlich akzeptierte, dass es sich nicht länger herauszögern ließ.
Er ging in den größten Neubau, ein seltsam kantiges, viel zu geschlossenes Ding. Es gab nur wenige Sichtlöcher, die zu allem Überfluss durch Glasscheiben abgedichtet waren – einem Material, das kein Yura zu einem so verrückten Zweck benutzen würde. Man formte schöne Skulpturen daraus, die im Wasser nahezu unsichtbar wurden. Ein herrliches Spielzeug für Kinder, die solche Spielereien stundenlang suchen konnten. Er selbst hatte vor Jahren für seinen Sohn einen Karpahund mit eigenen Tentakeln hergestellt, eine tentakelspitzengroße Figur mit beweglichen Lefzen.
Aber andere Völker pflegten eben seltsame Sitten, wie das Wohnen in geschlossenen Gebäuden. Musste man da nachts nicht unter dem Gefühl leiden, im Schlaf zu ersticken?
Doch welchen Ratschlag hatte er gerade vorhin selbst erteilt? Sorg dich nicht um Dinge, um die du dich nicht kümmern musst.
Nun, das galt für ihn selbst ebenso.
Was ging es ihn an, wie die Terraner und Topsider ihre Zeit verbrachten? Ob sie sich selbst einsperrten oder nicht? Sie blieben für einen begrenzten Zeitraum Gäste auf Vurayur, um ihre Streitigkeiten beizulegen. Kaloyd diente als Kontakter und kümmerte sich um das Wohl der Fremdlinge. Eine wichtige und ehrenvolle Aufgabe, die er so gut zu erfüllen gedachte, wie es ihm möglich war.
Deshalb betrat er das Gebäude, wandte sich nach rechts und aktivierte den dort wartenden Roboter per Zuruf.
Die Maschine ähnelte einem Terraner, zumindest grob: der bizarr lang gezogene Leib auf zwei Beinen, die beiden Extremitäten, die seitlich vom Körper abzweigten – und dann dieser runde Kopf! Wenigstens hatte der Roboter keine Haare. Dafür bestand das ganze Ding aus Metall und war damit sogar hässlicher als das Original. Und dazu gehörte einiges.
»Welche Aufgabe kann ich erfüllen?«, fragte der Arbeitsroboter.
»Nimm Kontakt mit Odai Krimmer auf. Er soll schnellstmöglich in die Siedlung kommen.«
»Gibt es Schwierigkeiten?«
»Ich hoffe nicht.«
Die Maschine drehte den Kugelkopf. »Gibt es Schwierigkeiten?«, wiederholte sie. Offensichtlich war ihr die erste Antwort nicht präzise genug gewesen.
Kaloyd dachte kurz nach. »Nein.«
»Ich melde es weiter.« Einen Augenblick herrschte Schweigen, ehe der Roboter ergänzte: »Er hat die Nachricht erhalten. Er steht für eine direkte Sprachverbindung zur Verfügung.«
»Eine gute Idee«, sagte der Yura.
Ein leises Klacken, dann ertönte die Stimme des Terraners: »Krimmer hier. Was gibt es?«
»Die Arbeiten sind fertiggestellt. Ich bitte dich, die Gebäude auf die Strömung zu überprüfen.« Kaum waren die Worte draußen, verbesserte er sich: »Sie zu begutachten, ob sie deinen Ansprüchen entsprechen.«
»Danke. Hast du Wrachsha ebenfalls kontaktiert?«
»Bisher nicht. Aber ich wünsche, dass ihr beide zur selben Zeit die Siedlung besucht. Alles andere führt meiner Auffassung nach zu Konflikten, weil sich eine Seite benachteiligt fühlen würde.«
»Das ist korrekt. Ich werde mich mit der Topsiderin besprechen. Wir reisen gemeinsam an. Sollen wir dich im Vorfeld über unsere Ankunftszeit informieren?«
»Ich bin sowieso hier. Was könnte es ändern, zu wissen, wann ihr kommt?«
»Ich mag die Art, wie du denkst«, sagte Odai Krimmer. »Wir sehen uns bald.«
*
Für Kaloyd sah Odai Krimmer aus wie alle Terraner – zumindest wie jeder einzelne Mann jenes Volkes. Es gab feine Unterschiede, aber sie wahrzunehmen, dazu gehörte einige Übung, falls es nicht Durchmesser oder Länge des Körpers oder exzentrische Frisuren betraf.
Bei den Topsiderinnen fiel es ihm viel leichter, Unterscheidungen zu treffen. Wrachsha, die ebenso wie ihr terranisches Pendant für die Sicherheit im Vorfeld der diplomatischen Konferenz sorgte, war eine rundum elegante Erscheinung. Die Schuppen auf ihrem Körper mochten hart und kalt sein, aber ihre Färbung glich den herrlichsten Flusssteinen. Die Augen leuchteten in einem intensiveren Rot als bei allen aus diesem Echsenvolk, die Kaloyd bislang gesehen hatte. Und ihr Stützschwanz erinnerte an einen perfekt gepflegten Tentakel.
Die beiden landeten mit einem kleinen Fluggefährt, in das sie nur sitzend passten. Ein topsidisches Modell, wenn er sich nicht täuschte. Vielleicht war es ein gutes Zeichen, dass sie zusammen anreisten. Sonst gingen sie sehr misstrauisch miteinander um, fast wie Bachu und Poyiden.
Die vordere Hälfte des Gefährts klappte auf, die Gäste stiegen aus.
»Ich heiße euch willkommen«, sagte Kaloyd. »Soll ich euch führen?«
»Nicht nötig.« Wrachsha deutete in Richtung der elf Gebäude. »Es ist ja nicht so, dass man sich verlaufen könnte. Ich werde die Sicherheit überprüfen und feststellen, wo Risiken bestehen.«
»Und ich begleite meine Kollegin«, ergänzte Krimmer. Er klang weniger forsch, aber deswegen nicht unsicher. Er wirkte gelassener, ruhiger. Und, wenn sich Kaloyd dieses Urteil erlauben durfte, zufriedener.
»Kollegin«, wiederholte die Topsiderin in einem Tonfall, als läge in diesem Wort ein bitterer Geschmack. Die lange Zunge pendelte vor dem Mund, ehe sie sie zurückzog und dabei leicht einrollte.
Bachu und Poyiden, in der Tat. Hoffentlich fielen sie nicht übereinander her wie diese beiden Tierarten. Kaloyd rechnete mit allem. Trafen sich zwei so verfeindete Parteien wie die Terraner und die Topsider, ließ sich für nichts garantieren. Da half auch nicht, dass es eigentlich um diplomatische Friedensgespräche ging.
Nur in einer Hinsicht hegte der Yura keinerlei Zweifel: Es standen aufregende, unruhige Tage bevor.
2.
Im Licht der Beteigeuze
Der Flug der ORATIO ANDOLFI war für die ganze Mannschaft – und das Schiff – eine Tortur gewesen.
Das Beteigeuzesystem lag 650 Lichtjahre vom Solsystem entfernt. Im Heimatuniversum hätte diese Reise kaum nennenswerte Probleme mit sich gebracht; im anderen Zweig des Dyoversums sah das völlig anders aus. Trotz der Fortschritte, die den terranischen Technikern seit der Versetzung der Erde vor fast einem halben Jahrtausend gelungen waren, führte eine derartige Strecke an die Grenzen der Leistungsfähigkeit.
Zahlreiche Linearetappen über jeweils maximal 25 Lichtjahre lagen hinter dem Liga-Flaggschiff. Jeder einzelnen war eine Kartografierung des aktuellen Zustands im Linearraum durch LOOKOUT-Sonden vorausgegangen. Etwa nach der 20. Etappe waren umfangreiche Reparaturen notwendig geworden, die von den Technikern an Bord nicht nur fachliche Höchstleistungen, sondern auch Improvisationstalent verlangt hatten.
Aber Kommandantin Ghizlane Madouni und ihre Mannschaft führten das Flaggschiff und galten deshalb als die Besten in ihrem Job. Perry Rhodan hatte einen Großteil der Reise in seinem Quartier verbracht und die Zeit genutzt, nach den anstrengenden Ereignissen auf Zeut, Ceres und im Wegasystem wieder zu Kräften zu kommen.
Die bevorstehende diplomatische Zusammenkunft auf der Heimatwelt der Yura würde ihm alles abverlangen, daran zweifelte er nicht eine Sekunde.
Zwar sollte der Chefdiplomat Nevio Torwesten die Gespräche für die terranische Seite führen ... aber nicht umsonst hatte die topsidische Gelegemutter und Anführerin des Sternengeleges nach einem Treffen mit Perry Rhodan in persona verlangt.
Letztlich, da gab er sich keinen Illusionen hin, würde die Entscheidung zwischen ihm und Bun-Akkbo fallen, und das nicht, weil er sich in den Vordergrund drängte, sondern weil ...
... ja, weil etwas ihn stets in die Schlüsselrolle schob.
Er wusste selbst nicht, wie er jenes Etwas benennen sollte.
Das Schicksal? An einem solchen unpersönlichen Konzept hegte er tief sitzende Zweifel.
Bestimmung? Falls ja, woher kam sie? Von einer wie auch immer gearteten Kraft im Hintergrund? Von den Höheren Mächten des Kosmos?
Vielleicht, dachte Perry Rhodan, war dieses Etwas nichts weiter als die Folge seines eigenen Charakters, die Summe seines bisherigen Lebens und seiner Entscheidungen.
Er freute sich auf die Begegnung mit der mächtigsten Topsiderin, der Anführerin des Sternengeleges, das in diesem Teil des Dyoversums mit Fug und Recht als Supermacht galt.
Außerdem waren die Topsider schon deshalb interessant, weil sie das einzige bislang bekannte Volk waren, das es in beiden Hälften des Dyoversums gab.
Zumindest wenn man von den Terranern absah, aber diese waren erst vor wenigen Jahrhunderten durch die Versetzung ihrer Heimatwelt in diesen Universenzwilling gelangt.
Wie erklärte sich die Existenz der hiesigen Topsider? Waren Vorfahren der Sternengelege-Topsider einst ebenso wie die Terraner versetzt worden? Oder hatten sie sich tatsächlich ursprünglich in diesem Zweig des Dyoversums entwickelt?
Viele Fragen harrten auf Antwort, zumal sie auf ständig weitere Unklarheiten verwiesen, die die Wissbegierde anstachelten.
Aber eines nach dem anderen.
Der aktuelle Konfliktfall musste geklärt werden, und wenn das misslang, stellten sich alle Fragen womöglich als müßig heraus. Weil es nach einem neuen Entflammen des Krieges vielleicht keinen Terraner mehr gab, der sie sich stellen könnte.
*
»Du warst also tatsächlich noch nie selbst hier?«, fragte Perry Rhodan eine Stunde später Ghizlane Madouni. Die Kommandantin hatte ihn kurz vor der Ankunft am Ziel in die Zentrale der ORATIO ANDOLFI gebeten.
»Die wenigsten konnten in unserer Hälfte des Dyoversums jemals eine solche Strecke zurücklegen.«
»Und unter diesen wenigen wäre die Kommandantin des Flaggschiffs nicht gewesen?«
»Gerade die nicht!« Ghizlane Madouni machte eine umfassende Handbewegung, die vor allem das gewaltige Umgebungsholo in der Mitte der Zentrale einschloss. »Die ANDOLFI wird zu Hause gebraucht, im Solsystem, oder bei von uns besiedelten Planeten in der Nähe ... nicht so weit draußen. Es gab für mich nie einen Grund, bis hierher zu fliegen.«
»Und jetzt werden die Weichen für die Zukunft ausgerechnet hier gestellt«, sagte Rhodan nachdenklich.
Natürlich wusste er, warum die Gelegemutter für die Verhandlungen zur Heimatwelt der Yura gebeten hatte – auf dieser Welt hatte sich einst ein Konflikt zwischen ihren beiden Völkern entzündet. Es handelte sich also um historischen Boden, und Rhodan gefiel der Gedanke, die Symbolik dieses Planeten gewissermaßen umzudrehen und dort den Frieden einzuleiten ...
... aber er fragte sich, ob es womöglich andere Gründe für die Wahl gab.
Verborgene Gründe, die den Topsidern einen Vorteil verschafften, der momentan im Dunkeln lag.
Rhodan entschied sich, das Positive in den Blick zu nehmen und sich darauf zu konzentrieren. Er hoffte, dass es tatsächlich nur um neutralen, geschichtsträchtigen Boden ging – verbunden mit einer gewissen Spitze, denn die Terraner mussten die komplexe Reise über 650 Lichtjahre zurücklegen, während die Topsider aus dem Orion-Deltasystem nur 214 Lichtjahre zu überbrücken hatten.
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