Nr. 3073
Auf der grünen Welt
Rettungsaktion auf einem gesperrten Planeten – sie begegnen dem Wächter
Michael Marcus Thurner
PERRY RHODAN KG, Rastatt
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
1. Lionel Obioma
2. Birge Schik
3. Lionel Obioma
4. Birge Schik
5. Lionel Obioma
6. Birge Schik
7. Lionel Obioma
8. Birge Schik
9. Lionel Obioma
10. Lionel Obioma
Fanszene
Leserkontaktseite
Impressum
PERRY RHODAN – die Serie
Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.
Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Er wurde vorwärts durch die Zeit katapultiert und findet sich in einem Umfeld, das nicht nur Terra vergessen zu haben scheint, sondern in dem eine sogenannte Datensintflut fast alle historischen Dokumente entwertet hat.
Nachdem er in der fernen Galaxis Ancaisin einen Weg fand, die sogenannte Zerozone zu betreten und womöglich eine Fährte Terras zu finden, begibt sich sein Raumschiff RAS TSCHUBAI ohne ihn auf den weiten Rückweg in die Milchstraße. Mit sich nimmt die Besatzung die Erkenntnis, dass die Cairaner, die sich als Herrscher der Heimatgalaxis aufspielen, nichts anderes sind als Flüchtlinge vor einer weitaus schrecklicheren Gefahr: den Phersunen und ihrer Schutzmacht, der »Kandidatin Phaatom«.
In der Milchstraße spielt sich derweil eine entsetzliche Tragödie ab: Bei dem Versuch, Atlans Enkelin zu befreien, gerät Gucky in Gefangenschaft und stirbt auf einer Ausweglosen Straße. Atlan beschließt, dem Freund die letzte Ehre zu geben – vorher kommt es aber zu einer Begegnung AUF DER GRÜNEN WELT ...
Atlan da Gonozal – Der Arkonide gibt das Letzte Geleit.
Lionel Obioma – Der Hyperphysiker misstraut dem Gang der Ereignisse.
Birge Schik – Die Außeneinsatzleiterin lässt sich nichts vormachen.
Olau Trigo – Der Epsaler will Leben retten.
Der Wächter – Er schützt die Zirkelburg.
Erste Litanei.
Was ist Selbstvergessenheit?
Ich weiß derzeit nicht viel,
aber diese Frage kann ich beantworten.
Ich selbst bin die Selbstvergessenheit.
1.
Lionel Obioma
Gucky war also tot. Ein Wesen, das die Jahrtausende überdauert und sich von einem verspielten Kindskopf zu einer der bedeutendsten Figuren der letzten Jahrtausende in der Milchstraße gewandelt hatte.
Gestorben in einer beinahe banalen Auseinandersetzung, wenn man all die Gefahren in Betracht zog, mit denen der Mausbiber schon konfrontiert gewesen war.
Obioma wusste, dass diese nüchternen Betrachtungen Gucky nicht gerecht wurden. Schließlich war er ein Symbol gewesen für vielerlei Dinge.
Für Freundschaft, gute Laune und die Verbindung unglaublicher Kräfte mit kindlicher Weisheit. Später auch für Einsamkeit. Für unveränderbare Freundschaft und für eine Leidensbereitschaft, die Gucky als Teil seines Wesens zu akzeptieren gelernt hatte.
Nun sollte der Mausbiber verabschiedet werden. In einem Zeremoniell, dessen innerer Wert Obioma verborgen blieb.
Er war kein Mann der Gefühlsduselei. Er fühlte keine persönliche Trauer um Guckys Tod. Der Ilt war für ihn eine mythische Schattenfigur gewesen – und manchmal eine Drohgestalt: Wenn er von seinen Erziehungstanten zu mehr Ruhe angehalten worden war und nicht gehorchte, ließen sie ihn wissen, dass ihn der Gucky holen und mit ihm ein paar Flugrunden drehen würde.
Erst durch die Suche nach Gucky auf der Ausweglosen Straße hatte Obioma einen persönlichen Bezug zu dem Mausbiber entwickelt, der über eine nüchterne Betrachtung hinausging.
Die Wahrscheinlichkeit war groß, dass das Gemetzel der Tomopaten Guckys Ende nur beschleunigt hatte und der Mausbiber im Grunde durch die Einwirkung eines Paraschocks gestorben war. Dennoch hegte Obioma ein gewisses Misstrauen. Misstrauen, das ganz und gar nicht seiner üblichen Lebenseinstellung als Wissenschaftler entsprach und ihn deshalb ... unrund machte.
Obioma war der Wahrheit verpflichtet. Wahrheit war für ihn das Fundament sozialen Lebens. Der Kitt, der alles zusammenhielt. Also würde er sich daranmachen, alle Unklarheiten um Guckys Tod zu beseitigen. Dazu blieben ihm bloß einige Tage.
Es war Zeit, an die Arbeit zu gehen.
*
Zweite Litanei.
Was ist meine Aufgabe?
Ich bin Guardia.
Das ist mein Name,
das ist meine Aufgabe.
2.
Birge Schik
Flottentender wirkten stets ein wenig unfertig. Wie der Teil von etwas Größerem.
Die OMAR HAWK, ein Wartungsschiff der ANDROMEDA-Klasse, war wie ein Provisorium, das niemals zu Ende konzipiert worden war. Schon die Form einer Halbkugel wies darauf hin. Raumer landeten auf der glatten, 5000 Meter durchmessenden Schnittseite, wurden dort repariert und rasten erneut davon, um Aufgaben in den Weiten des Alls zu erfüllen. Was sie zurückließen, waren Schrott, Abfall, bis zum Letzten ausgepresste Antriebsaggregate und altes Zeug, das ersetzt worden war.
Oftmals parkten Havarierte, mit ungeduldigen und unverschämten Besatzungsmitgliedern an Bord, denen die Versorgung im Inneren des Tenders nicht schmeckte und die mit den Freizeitmöglichkeiten in den Eingeweiden der OMAR HAWK unzufrieden waren.
Kein Wunder: Die Stammbesatzung des Tenders sorgte dafür, dass sie die bestmögliche Betreuung erhielt, und das wiederum wussten die von außerhalb.
Birge Schik erinnerte sich an mehrere, heikle Situationen zwischen den beiden Seiten, die mit Knochenbrüchen und schweren Disziplinarstrafen geendet hatten. Auch sie hatte mal ...
Nein, daran wollte sie gerade nicht denken. Sie genoss die Aussicht durch die Panoramascheibe eines Aufenthaltsraums, der sich in unmittelbarer Nähe zur Zentrale der PAIH TERZYU befand.
Die PAIH TERZYU hatte am Südpol der OMAR HAWK angedockt und steckte dort in einer kleinen Mulde. Ihr heimatliches Schiff war dadurch ein Teil des Tenders, wenn sie nicht gerade auf Außenmissionen unterwegs war. Als Bergungsschiff mit großer und exzellent ausgebauter Medoeinheit war die PAIH TERZYU prädestiniert dafür, bei kriegerischen Auseinandersetzungen vor Ort zu sein und jedermann zu helfen.
Schik konnte sich kaum an Ruhephasen während der letzten Jahre erinnern. Die Cairaner, denen Lug und Betrug quasi in den Genen steckte, waren längst nicht das einzige Problem der Liga Freier Galaktiker. Die PAIH TERZYU hatte Überfälle der Ladhonen beobachtet und das Leid ihrer Opfer miterlebt. Kämpfe zwischen Schiffen arkonidischer Baronien, deren Kommandanten niemals aufgaben. Auseinandersetzungen zwischen Jülziish-Völkern. Zwistigkeiten und Eifersüchteleien zwischen kleineren Sternenreichen, Streits um beinahe erschöpfte Rohstofffelder auf unbedeutenden Planeten – und einmal sogar ein Raumschiffsduell zwischen Blau-Igniten und Rot-Igniten. Die wurmähnlichen Geschöpfe hatten ihre Gliederschiffe ineinander verkeilt, um in tagelang andauernden Kämpfen zu klären, wessen Wurmwein besser schmeckte.
»Keiner«, murmelte Schik, als sie sich an das Gesöff erinnerte, das von den Überlebenden bei den Friedensverhandlungen ausgeschenkt worden war.
»Wie bitte?«
Schik zuckte zusammen. Sie hatte nicht bemerkt, dass jemand an sie herangetreten war. Olau Trigo. Der epsalische Chefmediker der PAIH TERZYU und damit der Mann, mit dem sie als Außeneinsatzleiterin zusammenarbeitete.
»Ich habe an blau-ignitischen Wurmwein gedacht«, sagte sie wahrheitsgemäß.
»Wie kannst du nur! Ich bekomme Bauchkrämpfe, wenn ich nur daran denke.«
»Du bist eben kein Weinkenner«, feixte Schik, wurde aber gleich wieder ernst. »Was gibt's? Kommst du mich holen?«
»Ich weiß, dass du dich gerne vor dem Tagesrapport auf der OMAR HAWK drückst. Aber Ziliniu hat darauf bestanden, dass du dich blicken lässt.«
Ziliniu. Eine Gataserin, die auf Rudyn geboren worden war. Sie befehligte den Flottentender von ihrer Zentrale aus, die etwa zweieinhalb Kilometer entfernt und durchs Panoramafenster als greller Lichtpunkt zu erkennen war. Die Blue war die beste Kommandantin, mit der es Schik jemals zu tun gehabt hatte.
Schik wandte sich seufzend vom Panoramafenster ab und ging hinter Trigo her. Sie konnte problemlos über ihn hinwegblicken. Er war bloß 1,70 Meter groß und damit einen Kopf kleiner als sie. Dafür aber dreimal so breit, sechsmal so kräftig und zehnmal so geschickt mit den Operationsnadeln.
»Schaust du mir wieder mal auf den Hintern?«, fragte Trigo, ohne sich umzudrehen. »Er ist knackig wie eh und je. Aber du weißt, dass ich das nicht mag.«
Ach ja: In mancherlei Hinsicht war er auch zwanzigmal so blöd wie ein normaler Epsaler.
*
Ziliniu hatte ihre Crew im Griff. Jene Zentralemitglieder, die für die Aufrechterhaltung der internen Abläufe auf dem Tender abgestellt waren, arbeiteten konzentriert in ihren Abteilungen. Alle anderen versammelten sich rings um den Sessel der Kommandantin. Darunter auch Luzolo Wystar, der Befehlshaber der PAIH TERZYU. Ein Rudyner wie sie. Zudem mehr als 20 Offiziere aus allen systemrelevanten Bereichen und Liliom Pendergast, der das kleine, für Bodeneinsätze vorgesehene Beiboot HOPITAL befehligte. Sie alle warteten darauf, dass Ziliniu mit dem Tagesrapport begann.
Schik nickte der Gataserin zu. Diese beugte leicht den Hals mit der markanten Krümmung; letztes Überbleibsel eines Unfalls, über den Ziliniu sich weigerte zu sprechen.
»Ihr kennt unseren Auftrag«, zirpte die Gataserin. »Reginald Bull hat uns beauftragt, der beschädigten THORA entgegenzufliegen. Das Schmuckstück der Flotte soll so rasch wie möglich repariert und vollständig einsatzfähig gemacht werden. Leider hat es die THORA schwer erwischt. Sie wird den angekündigten Treffpunkt nicht rechtzeitig erreichen.«
»Müssen wir uns Sorgen um die THORA machen?«, fragte Wystar.
»Nein. Aber ihr wisst, was geschehen ist. Die Stimmung an Bord der THORA dürfte schlecht sein.«
Ja. Sie hatten gehört, dass Gucky im Einsatz gestorben war. Schik hatte einige Tränen verdrückt. Gucky, Perry Rhodan und Atlan standen für neue Hoffnung im Kampf um eine selbstbestimmte Zukunft. Für ein Aufbäumen nach endlos scheinenden Auseinandersetzungen mit den Cairanern, die niemals mehr als Rückzugsgefechte gewesen waren.
Für Schik war nun einer dieser Hoffnungsträger gestorben. Für diejenigen, die ihn kannten, gewiss weitaus mehr. Man sagte Resident Bull eine besonders innige Beziehung zu dem kleinen Pelzwesen nach.
Wie er die Nachricht wohl aufgenommen hatte?
»Was bedeutet das für uns?«, hakte Wystar nach.
»Dass wir Daten für einen neuen Treffpunkt bekommen haben«, antwortete Ziliniu. »Wir fliegen der THORA ein Stück entgegen. Knapp über zweitausend Lichtjahre.«
»Warum nicht gleich die ganze Wegstrecke, wenn es so schlecht um die THORA bestellt ist?«
»Es gibt Sicherheitsbedenken«, blieb Ziliniu vage. »Die THORA wird von drei MEDUSA-Raumern begleitet. Sie schleichen uns gewissermaßen entgegen. Wir werden entlang der Wegstrecke einige mögliche Treffpunkte abklappern und so gut es geht den Kontakt halten.«
Schik akzeptierte die Antwort. Auf Kommandantenebene geschahen Dinge, die unlogisch erschienen, aber stets einen taktisch-strategischen Hintergrund hatten. Vielleicht hatten die THORA und die drei MEDUSA-Schiffe Verfolger geortet, derer sie sich entledigen wollten. Vielleicht hatten sie Angst vor einem eingeschleusten Spion an Bord eines der Raumer.
»Uns bleibt also ein wenig Zeit«, fuhr Ziliniu fort. »Ihr wisst, was das bedeutet.«
Ringsum stöhnten und ächzten die Offiziere.
Ziliniu würde einen weiteren Drill anordnen. Eine Notalarmübung über mehrere Stunden mit intensiver Auswertung und Nachbereitung in Lehrsälen.
Wie gesagt: Ziliniu war eine ausgezeichnete Kommandantin. Aber manchmal konnte sie einem ganz schön auf die Nerven gehen.
*
»Schon wieder eine Übung!«, beschwerte sich Trigo auf dem Weg zurück zur PAIH TERZYU.
»Ein bisschen mehr Disziplin, bitte!«, verlangte Wystar. »Ich bin dein Kommandant, und wenn jemand das Recht zum Jammern hat, bin das wohl ich. Ziliniu ist schrecklich. Sie fordert, dass wir bei den strategischen Einsatzübungen hundertundeinen Punkt von hundert möglichen erreichen.«
Illustration: Swen Papenbrock
»Dafür sind wir auf unserem Gebiet die Besten«, sagte Schik. »Reparaturarbeiten werden in Rekordzeit erledigt. Die Fehleranalyse ist aussagekräftiger als auf jedem anderen Schiff der Flotte, die Besatzung ist top ausgebildet. Selbst der einfachste Ingenieur kann dir die dreihundertdreißig Bautypen der HAWK-II-Triebwerke im Schlaf aufsagen und mithilfe eines Vibromessers sowie eines versteinerten Kaugummis reparieren. Und wir auf der PAIH TERZYU haben bei unseren Rettungsmissionen nie den geringsten Fehler begangen.«
Wystar warf ihr einen Blick zu, den Schik nicht so richtig zu deuten wusste. Wollte er sie tadeln, wollte er in seinem Lamento fortfahren oder sie mit einem zynischen Kommentar aus der Reserve locken?
Schik wusste ganz genau, dass der Schiffskommandant ein Auge auf sie geworfen hatte. Aber sie würde ihn noch eine Weile zappeln lassen. Vielleicht zwei bis drei Jahre.
Sie erreichten die Koppelschleuse zur PAIH TERZYU. Schwebende Holoschirme empfingen sie und kreisten Wystar ein. Er verlor das Interesse an einer Unterhaltung und kümmerte sich um seine Agenden. Er war ein Schwätzer, ja. Aber wenn es um Schiffsführung ging, arbeitete er ebenso intensiv wie Ziliniu. Die beiden ähnelten einander in ihrem Hang zur Perfektion.
Trigo blickte demonstrativ auf sein Multifunktionsarmband und wandte sich an Schik. »Der Rapport ist erledigt, unsere eigentliche Dienstzeit beginnt in dreißig Minuten. Vermutlich wird uns Ziliniu in zwei bis drei Stunden aus der privaten Beschaulichkeit reißen und die Übungsziele bekannt geben. Was hältst du davon, wenn wir uns bis dahin ein Bier gönnen?«
»Ein epsalisches?«, fragte Schik und dachte an die Fünf-Liter-Humpen, die für Trigo als das kleinstmögliche Trinkmaß galten.
»Was denn sonst?« Trigo griff in eine Hosentasche und kramte zwei winzige Kügelchen hervor, die in selbstauflösender Folie verpackt waren. »Trilicips. Ausnüchterungstabletten. Vier Stück. Wirken binnen weniger Sekunden ...«
»... und sind an Bord von Flottenschiffen nicht gerne gesehen«, warf Wystar ein, ohne den Blick von seinen Holos zu nehmen. »Ich will mit euren Umtrieben nichts zu tun haben.« Der Kommandant bog in einen schmalen Gang nach rechts ab, der ihn mit einigen Umwegen zur Zentrale der PAIH TERZYU bringen würde.
»Der Chef ist schwer in Ordnung«, sagte Trigo salopp, sobald sich Wystar außer Hörweite befand. »Er lässt uns ausreichend Freiraum, solange nichts zu tun ist.«
»Dafür ist die Leine im Einsatz umso kürzer.« Schik überlegte. »Du meinst, dass die Trilicips wirken?«
»Vertraust du meinen Künsten als Mediker etwa nicht? Ich habe sie selbst zusammengemischt.«
»Als du mir letztens ein Mittelchen gegen Migräne verabreicht hast, war ich zwei Tage lang weggetreten.«
»Aber du hattest keine Migräne mehr.«
Epsalische Logik. Trigos Logik. Der Mediker galt unter Kollegen als Anachronismus. Als Genie der Improvisation. Solche wie er wurden gemeinhin nicht sonderlich geschätzt. Nur an Bord der PAIH TERZYU genoss er Narrenfreiheit.
Kein Wunder: Trigo hatte mehr als ein Leben gerettet, indem er auf sein Bauchgefühl gehört und Quasi-Tote wieder zusammengeflickt hatte.
Araische Berufskollegen verachteten ihn – und unternahmen immer wieder Versuche, seinen Geheimnissen der Improvisationskunst mithilfe von Spionsonden auf die Spur zu kommen.
Schik seufzte. »Also schön. Ein Bier. Nicht mehr.«
»... ein Bier für dich und drei für mich. Schließlich habe ich vier Trilicips. Die Dinger werden schlecht, wenn wir sie nicht verwenden.«
*
Das Bier schmeckte gut, die Tabletten wirkten ausgezeichnet – und die Übung zu Beginn ihrer Dienstzeit beschränkte sich auf einige wenige Teilbereiche der PAIH TERZYU. Nach nicht einmal zwei Stunden war der ganze Zauber vorüber. Die OMAR HAWK flog dem nächsten Treffpunkt entgegen. Es war ein Arbeitstag ohne viele Überraschungen.
»Du bist gelangweilt«, stellte Trigo fest.
»Stimmt nicht.« Schik protestierte bloß matt. Beide wussten, dass der Epsaler recht hatte. Sie musste sich eingestehen, dass sie die Einsätze liebte.
Schik hatte viel Leid gesehen, aber noch mehr Hoffnung. Wenn Wesen schrecklichen Schicksalen ausgeliefert waren, kam meist das Beste in ihnen zum Vorschein.
»Dir ist mindestens ebenso langweilig«, behauptete sie.
»Wie kommst du da drauf? Ich habe enorm viel zu tun. Ich muss die invasiven Nanomaschinen überprüfen und neu justieren, die mobilen Operationssäle desinfizieren, die Antigravwerkzeuge reinigen ... Ich weiß gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht, so viel ist zu tun.«
Trigo seufzte tief, Schik tat es ihm gleich.
»Wir werden zu tun bekommen, sobald die THORA landet«, sagte der Epsaler.
»Du vielleicht. Du darfst an einigen der ernsteren Fälle des Schlachtschiffs herumdoktern. Ich aber werde ...«
Ein Alarmsignal ertönte, ein Holo mit Zilinius Konterfei in der Darstellung tauchte auf. Die Kommandantin der OMAR HAWK sagte: »Ich komme an Bord der PAIH TERZYU. Ich erwarte euch in der Zentrale. Ihr habt drei, nein, zwei Minuten. Es gibt Arbeit für euch.«
Das Bild erlosch, Birge Schik erhob sich, raffte ihre Siebensachen zusammen und machte sich auf den Weg. Trigo folgte ihr mit deutlich höherer Schrittfrequenz.
»Ich hasse Arbeit«, jammerte er. »Keinen Augenblick Ruhe hat man, dauernd wird man eingesetzt. Ein paar Schwerverletzte hier, eine Notoperation dort ...«
Der Epsaler jammerte, bis sie ihr Ziel erreicht hatten. Schik lächelte. Es war ein gutes Zeichen, wenn er etwas zum Klagen hatte.
*
Ziliniu drehte ihnen den Rücken zu. Die beiden Augen auf der Rückseite ihres Tellerkopfs waren dennoch auf Trigo und Birge gerichtet. Die markante Halskrümmung war deutlich zu erkennen.
»Ich habe vor fünfzehn Minuten eine Investigator-Sonde ausgesandt«, begann die Kommandantin der OMAR HAWK ohne einen Gruß, »nachdem ich einen Notruf höchster Dringlichkeit erhalten hatte. Ein Konvoi barnitischer und terranischer Schiffe meldete, dass sie etwa zwanzig Lichtjahre von hier entfernt, Richtung Milchstraßenzentrum, angegriffen würden. Von Ladhonen.«
Ziliniu bewegte ihren Hals weit hin und her, deutliches Anzeichen ihres Zorns.
»Die übermittelten Daten bestätigen meine schlimmsten Befürchtungen. Die Ladhonen sind über die Schiffe des Konvois hergefallen und haben sich genommen, was sie wollten. Waren, technische Ausrüstungsgegenstände, Daten, Positronikteile und einige Geiseln. Um so rasch wie möglich wieder zu verschwinden.«
Schik verstand die Wut der Schiffskommandantin. Die Ladhonen waren ein Geschwür, das nicht verschwinden wollte. Einerlei, wie oft man es auch versuchte zu entfernen.
»Die Ladhonen sind geflüchtet?«, fragte Schik.
»Ihr wisst, wie sie arbeiten. Sie holen sich, was sie wollen. Sie gehen mit rücksichtsloser Effizienz vor. Sie schießen sich den Weg frei, vernichten, was sich ihnen in den Weg stellt, und holen sich ihre Beute.«
»Es gab also Tote und Verwundete.« Trigo zeigte jenen professionellen Pragmatismus, für den er bekannt war. »Du willst, dass wir in den Einsatz gehen und uns an Bord der barnitischen Schiffe umsehen.«
»Nicht nur. Wystar«, Ziliniu deutete auf den Kommandanten der PAIH TERZYU, der bislang kein Wort gesagt hatte und ruhig in seinem Stuhl saß, »wird mehrere Trupps koordinieren, damit sie auf den beschädigten Schiffen nach dem Rechten sehen. Euch beiden habe ich eine andere, besondere Aufgabe zugedacht.«
Klar. Andernfalls hätte Ziliniu sie wohl kaum persönlich besucht. Schik spürte, dass mehr hinter der Sache steckte als ein Rettungseinsatz, wie er an hundert Tagen im Jahr stattfand.
»Die Schlacht fand in der Nähe einer Sonne namens Leylolers Stern statt. Das ist ein Veränderlicher der Klasse F2V. Das bedeutet, dass die Planeten des Systems ein heftiges Strahlenpotpourri abbekommen.«
Ein Hybrid-Pulsator also. Ein sehr junger Stern, pulsationsveränderlich, mit einem nicht periodischen Lichtwechsel in der Beobachtung. Vermutlich erfolgte ein energetischer Austausch, eine Schwingung zwischen äußeren und inneren Schichten des Sterns, die zu Kontraktionen und damit zu Umschichtungen energetischer Massen führten.
F2V-Sterne waren selten. Schik wusste nicht allzu viel über sie. Allerdings war zu befürchten, dass es zu normal-, aber auch hyperenergetischen Ausschüttungen im Umfeld der Sonne kam.
»Was hat das mit unserer Mission zu tun?«, fragte sie.
»Wystar wird dabei helfen, die barnitischen und terranischen Raumer des Verbandes wieder einsatzfähig zu machen. Ihr müsst den Spuren eines barnitischen Schiffs folgen, das schwer getroffen wurde, sich absetzte und auf dem fünften Planeten des Systems abstürzte. Auf Iphane.«
»Sollte mir dieser Name etwas sagen?«, hakte Schik nach.
»Nein. Ich kannte diese Welt ebenso wenig wie du. Aber die schwarze Kreatur des Wahnsinns hatte ihre Fänge mit im Spiel, als sie diese Welt erschuf. Sie ist von alters her gesperrt.«
»Mit welcher Begründung?«
»Es gibt Leben auf Iphane.«
»Das ist kaum vorstellbar bei den Strahlungsbildern, die ein veränderlicher Stern erzeugt.«