»Jahrzehnte nachdem Carrie Bradshaw ihr letztes Mal seufzte ›Ich konnte nicht anders, als mich zu fragen‹, ist Bushnell zurück. Während Carrie eine Anthropologin war, sind Candace und ihre Freundinnen Überlebenskünstlerinnen; auch jenseits der Stadt ist da draußen ein Dschungel.«
VOGUE
Dating nach Mr. Big
Vor mehr als zwanzig Jahren beschrieb Candace Bushnell die seltsamen Paarungsrituale der New Yorker in ihrem amüsanten und scharfsinnigen Debüt ›Sex and the City‹. Damit veränderte sie die Popkultur und das Dating. Nun liefert sie mit ihrem neuen autobiografischen Buch einen ironischen und ungeschönten Blick auf die Höhepunkte und Abgründe des Datings jenseits der fünfzig.
Bushnells psychologisch genaue Beobachtungen sind mal komisch, dann wieder berührend, etwa wenn sie den »Irrsinn der Lebensmitte« beschreibt oder den Schmerz der Erkenntnis, dass selbst die Schönsten unter uns irgendwann unsichtbar werden. Die Krisen werden mit einem kühlen Glas Rosé in der Hand und guten Freundinnen in der Bar oder am Küchentisch durchgestanden. So zeichnet Candace Bushnell ein humorvolles und ehrliches Bild von der heutigen Beziehungslandschaft und den Spezies, die sie bevölkern.
© Patrick McMullan
CANDACE BUSHNELL ist die Autorin von ›Sex and the City‹, ›Lipstick Jungle‹, ›The Carrie Diaries‹, ›One Fifth Avenue‹ und weiteren preisgekrönten Romanen. Ihr 1996 veröffentlichtes Debüt ›Sex and the City‹ war die Grundlage für die beliebte HBO-Serie und zwei Kino-Blockbuster. Auch ›Lipstick Jungle‹ wurde zu einer erfolgreichen Fernsehserie, ebenso wie ›The Carrie Diaries‹.
JÖRN INGWERSEN, geboren 1957, studierte Geschichte und Anglistik. Er ist als Autor, Übersetzer und Musiker tätig.
IS THERE STILL
SEX IN THE CITY?
Aus dem Englischen
von Jörn Ingwersen
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel ›Is there still Sex in the City?‹ bei Grove PR, New York.
© 2019 by Candace Bushnell
eBook 2020
© 2020 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln
Alle Rechte vorbehalten
Übersetzung: Jörn Ingwersen
Lektorat: Nora Faust
Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln
Satz: Fagott, Ffm
Covermotiv: © plainpicture/Leopold Fiala
eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck
ISBN eBook 978-3-8321-8493-3
www.dumont-buchverlag.de
Für JHC, den besten MNF
Kapitel 1
SEX IN THE CITY?
Einer der Vorzüge der Lebensmitte ist, dass die meisten Menschen ein kleines bisschen netter und nachsichtiger werden. Es liegt daran, dass einem, wenn man es erst bis dahin geschafft hat, schon so manches zugestoßen ist. Man hat einiges gelernt. Zum Beispiel, dass ein Leben, das von außen betrachtet völlig okay zu sein scheint, von innen ziemlich mies sein kann. Und dass einem immer wieder üble Sachen passieren, sosehr man sich auch um Perfektion bemühen mag. Vor allem aber, dass manches, was einem sicher erscheint, plötzlich gar nicht mehr sicher ist.
So wie die Ehe. Und die Liebe. Und sogar die Stadt selbst.
Meine Liebesgeschichte mit der Stadt geriet etwa zu der Zeit in Schieflage, als mein Hund draußen in einer Straße in der Nähe des Washington Square Parks, der Washington Mews, sein Leben aushauchte. Ein Cockerspaniel hatte ihn getötet. Nicht im wahrsten Sinne des Wortes – technisch gesehen war es ein »Unfall«. Aber es schien mir doch kein reiner Zufall gewesen zu sein, denn am Tag zuvor hatte ich mit dem Killer-Cocker schon eine denkwürdige Begegnung in der Bank.
Der Köter baute sich vor mir auf und knurrte. Verlegen beugte sich das Herrchen – ein junger Mann Anfang zwanzig, ein echtes Milchgesicht – zu dem Cocker herab, um ihn hochzuheben, woraufhin ihm dieser prompt in den Finger biss.
Ich schüttelte den Kopf. Manche Leute sind einfach nicht dafür gemacht, einen Hund zu halten, und dieser Junge gehörte offensichtlich dazu.
Am nächsten Morgen stand ich um halb acht auf und war richtig stolz auf mich, weil ich schon so früh am Tag in Gang gekommen war. Ich wohnte in einem Haus mit Portier, sodass ich mit meinem Hund oft Gassi ging, ohne Schlüssel oder Handy mitzunehmen, da ich ja wusste, dass ich in zwei Minuten wieder zurück sein würde.
Als ich an diesem Morgen um die Ecke bog, bemerkte ich einen kleinen Tumult am anderen Ende des Blocks. An ihm schien wieder dieser Junge mit dem Cocker beteiligt zu sein.
Ich wechselte auf die andere Straßenseite und gratulierte mir im Stillen dafür, die Gefahr umschifft zu haben.
Mein Hund ließ sich Zeit. Mittlerweile hatte der Junge mit seinem Hund das Ende des Blocks erreicht und ebenfalls die Straße überquert. Nun war der Cockerspaniel also auf unserer Seite und kam geradewegs auf uns zugestürmt.
Ich nahm alles wie in Zeitlupe wahr. Das verschlissene alte Lederhalsband. Den abgewetzten Karabinerhaken, mit dem die Leine am Halsband befestigt war. Die kleine Staubwolke aus Lederpartikeln, als der Haken aufbrach und sich der Hund losriss.
Der Junge zuckte zusammen, stolperte dem Cocker hinterher und bekam ihn gerade noch zu fassen, bevor er uns erreichen konnte.
Ich dachte, mein Hund sei in Sicherheit und das Ganze ein normales Geplänkel unter Vierbeinern. Diese Stadt war voller Angstbeißer. Das sah man immer wieder.
Da merkte ich, dass die Leine in meiner Hand schlaff herabhing, und sah nach meinem Hund. Ich brauchte einen Moment, bis mir klar wurde, dass er seitlich auf dem Gehweg lag.
Er zitterte. Als ich neben ihm in die Hocke ging, verdrehte er die Augen, und seine Zunge – seine ellenlange Hundezunge – glitt ihm aus der offenen Schnauze.
Tucco – benannt nach einer Figur aus Zwei Glorreiche Halunken, dem Lieblingsfilm meines Mannes – war tot.
Mein erster Impuls war, hysterisch zu werden. Doch wäre das nicht sonderlich hilfreich gewesen. Eine kleine Menschentraube hatte sich gebildet und bot mir Hilfe an, wenn auch keiner der Umstehenden wusste, was genau zu tun war.
Dazu muss man wissen, dass ich einen großen Hund hatte. Einen Podenco Ibicenco mit einer Schulterhöhe von fünfundsiebzig Zentimetern, der fast vierzig Kilo wog. Von Größe und Gestalt glich er einem kleinen Reh.
Ich bezweifelte stark, dass ich ihn hochheben konnte. Doch das war nicht das einzige Problem. Ich hatte keine Ahnung, was ich überhaupt tun sollte. Weder meine Brieftasche noch mein Handy hatte ich dabei, und mein Mann war mal wieder nicht in der Stadt.
Doch dann rief jemand eine Tierarztpraxis in der Nähe an, und obwohl die eigentlich nicht geöffnet hatte, wollten sie jemanden hinschicken, der mich dort in Empfang nehmen würde. Da die Praxis ein paar Blocks entfernt war, hielt jemand ein Taxi an, während jemand anders meinen Hund aufhob und der Junge mit dem Killer-Cocker sagte: »Tut mir echt leid. Ich hoffe, mein Hund hat Ihren Hund nicht umgebracht.«
Er kramte in seiner Hosentasche herum und holte zwanzig Dollar hervor. Der Schein war schmutzig und zerknüllt. »Fürs Taxi«, sagte er, als er mir das Geld in die Hand drückte.
Ich stieg in den Wagen, und jemand legte den noch warmen toten Hund neben mich auf den Sitz.
»Bitte beeilen Sie sich!«, sagte ich dem Fahrer.
In meinem Alter hat man inzwischen gelernt, dass das Leben kein Kinofilm ist. Im Kino hätte der Fahrer gesagt: »O mein Gott, Sie Ärmste! Und der arme Hund!«, und er wäre zur Klinik gerast, und irgendwie hätten die genialen New Yorker Tierärzte meinen Hund wieder zum Leben erweckt, und er wäre wieder ganz der Alte. Im echten Leben jedoch wollen Taxifahrer davon nichts wissen. Sie mögen keine toten Hunde auf der Rückbank.
»Hunde verboten.«
»Es ist ein Notfall.«
»Wieso? Ist der etwa krank?«
»Ja. Ja. Er stirbt. Vielleicht ist er schon tot.«
Das hätte ich nicht sagen dürfen.
»Er ist tot? Ich darf in meinem Taxi keine toten Hunde transportieren. Für einen toten Hund müssen Sie einen Krankenwagen rufen.«
»Ich habe mein Handy nicht dabei!«, schrie ich.
Der Fahrer versuchte, mich loszuwerden, aber ich wollte nicht aussteigen, und er wollte den Hund nicht anfassen, also gab er schließlich klein bei. Er musste gerade mal drei Blocks die Sixth Avenue rauf, aber der Verkehr war so dicht, dass wir nur im Schneckentempo vorankamen. Die ganze Fahrt über beschimpfte er mich.
Ich blendete ihn aus, indem ich mir sagte, dass es irgendwo auf der Welt ganz bestimmt eine Frau gab, der es noch viel schlechter ging. Und außerdem war der plötzliche Tod meines Hundes bei Weitem nicht das Schlimmste, was mir in letzter Zeit zugestoßen war.
Im Jahr zuvor hatte ich meine Mutter verloren. Auch sie war unerwartet verstorben. Als sie in ihren Fünfzigern war – mein Alter –, hatte sie Hormonersatzpräparate genommen. Die bekamen damals viele Frauen in den Wechseljahren verschrieben. Das Problem war allerdings, dass diese Hormone Brustkrebs verursachen konnten, was oft tödlich endete. Und so kam es, dass meine Mutter mit zweiundsiebzig starb, obwohl es in unserer Familie keinerlei Vorgeschichte von Brustkrebs gab und alle Frauen – auf väterlicher, wie auch auf mütterlicher Seite – weit über neunzig geworden waren.
Damals gab ich mir Mühe, so zu tun, als käme ich damit zurecht, obwohl das nicht stimmte. Mir fielen die Haare aus, und ich konnte nichts essen.
Ich brauchte lange, um wieder ins Lot zu kommen. Aber meine Freundinnen waren immer für mich da gewesen. Und auch mein Mann.
Als ich in der Tierklinik ankam, ließ man mich freundlicherweise das Telefon benutzen. Zum Glück konnte ich mich an ein paar Handynummern erinnern. Zum Beispiel an die von meinem Mann. Dreimal rief ich ihn an. Keine Antwort. Es war noch vor neun. Er musste erst in einer halben Stunde bei der Arbeit sein. Wo war er?
Und an die Nummer meiner Freundin Marilyn. Zehn Minuten später war sie da, im Laufschritt von ihrer Wohnung in Chelsea.
Marilyn hatte weder ihren ersten Kaffee getrunken noch geduscht, und wie ich trug auch sie Jogginghosen. Die Gesichter ungewaschen, die Zähne ungeputzt, die Haare ungekämmt – so sahen wir uns an.
Was jetzt?
Der Hund war an einem Aneurysma gestorben. Das zumindest glaubte die Tierärztin, obwohl sie meinte, man könne es erst genau sagen, wenn der Hund für eine Autopsie eingeschickt würde. Ob ich das wollte? Nein, wollte ich nicht, sagte meine Freundin Marilyn.
Mein Mann hatte den Hund nie gemocht. Ich fragte mich, ob Tuccos Tod ein Zeichen war.
War es. Damals wusste ich es zwar noch nicht, aber auch meine Beziehung hatte ein Aneurysma – sie konnte jederzeit tot umfallen.
Drei Monate später, im November, sagte mein Mann mir, dass er die Scheidung will – kurz nach einem dieser heftigen Schneestürme. Wir waren in meinem kleinen Haus in Connecticut, wo wir weder Wasser noch Strom hatten. Ich konnte unmöglich mit ihm zusammen zurück in die Stadt fahren, also blieb ich auf dem Land, füllte Schnee in Töpfe und ließ ihn über dem Feuer schmelzen, um die Toilette weiterhin benutzen zu können.
Dann begann das Scheidungs-Hickhack. Es kam zu den üblichen erschreckend hässlichen Momenten, aber im Vergleich zu den Scheidungen anderer Leute lief es einigermaßen glimpflich ab.
Es gab nur ein kleines Problem.
Die Hypothek für die Wohnung. Die alte Hypothek musste gekündigt und eine neue auf meinen Namen beantragt werden.
Ich hätte nicht gedacht, dass das zum Problem werden würde, und auch mein Bankberater nicht. Zumal ich genug Geld auf dem Konto hatte, um für die Hypothek aufzukommen.
Meine Bank versicherte mir, es sei alles in Ordnung. Bis zum vereinbarten Termin drei Monate später, an dem ich dort hineinspazierte und Platz nahm.
Ich hatte gleich so ein komisches Gefühl. »Also?«, fragte ich.
»Es tut mir leid«, sagte der Mann. »Es liegt am Algorithmus.«
»Ich bekomme die Hypothek nicht, stimmt’s?«
»Nein«, flüsterte er. Und plötzlich begriff ich. Ich erfüllte einfach nicht mehr die nötigen Kriterien.
Ich war (a) eine Frau, (b) Single, (c) selbstständig und (d) über fünfzig.
Und da ich keine der nötigen Kriterien mehr erfüllte, fiel ich durchs Raster. Was bedeutete, dass ich in der Welt der Algorithmen gar nicht existierte.
Wie unter Schock stand ich draußen vor der Bank.
Alles war wie immer – die großen Scheiben vom Knickerbocker, hinter denen man die alten Männer in Strickpullis vor ihren Drinks am Tresen sitzen sah. Das Deli, in das ich jeden Morgen ging, gleich neben dem Schnapsladen mit dem aufgedrehten Typen, der ununterbrochen über Baseball redete. Auch er lebte schon über dreißig Jahre in dieser Stadt.
Ich wechselte die Straßenseite und sah zu meiner Wohnung hinauf. Ich erinnerte mich, wie oft ich in meiner Anfangszeit in New York an diesem Gebäude vorbeigekommen war. Ich ging zur NYU und ins Studio 54. Ich war neunzehn Jahre alt und hatte schon einige Artikel in verschiedenen Underground-Blättern veröffentlicht, die damals in der Stadt florierten.
Ich war total pleite. Aber das machte mir nichts aus, weil überall was los war und ich alles neu und aufregend fand. Wenn ich an diesem Gebäude mit den Portiers in ihren grauen Uniformen mit weißen Handschuhen vorbeikam, blieb ich oft stehen, um den Garten zu bewundern – einen echten Garten mit Blumen und Ziergräsern –, und dachte: Eines Tages, wenn ich es geschafft habe, werde ich hier wohnen!
Inzwischen wohnte ich tatsächlich dort. In einem Eck-Apartment im obersten Stock desselben Gebäudes, in dem – reiner Zufall – auch der Schauspieler wohnte, der Mr. Big spielte. Das Apartment war auf dem Cover der Elle Decor gewesen, und von allem, was ich in meinem Leben erreicht hatte, war das für meine Mutter, eine erfahrene Innenausstatterin, immer meine größte Leistung.
Und jetzt kam es mir vor, als wollte mich das System niederringen. Nicht nur lief ich Gefahr, mein Zuhause zu verlieren, ich stand auch kurz davor, mich dem Heer der Millionen nicht mehr ganz jungen Frauen anzuschließen, die noch in diesem Jahr geschieden werden würden. Die sich wieder der Welt da draußen stellen mussten, um einmal mehr nach einem Mann zu suchen, den es nicht gab. Und die sich, wie ich, vermutlich ein neues Dach über dem Kopf suchen mussten.
Ich fing ein bisschen an zu weinen. Doch hörte ich gleich wieder damit auf, weil ich merkte, dass ich zum Weinen viel zu müde war.
Stattdessen rief ich Marilyn an.
»Süße«, sagte ich.
»Ja«, sagte sie.
»Ich wollte nur, dass du es weißt. Mir reicht’s.«
Und damit ließ ich Manhattan hinter mir.
Im Gegensatz zu Millionen anderer Frauen, die in jenem Jahr geschieden wurden, konnte ich mich glücklich schätzen, genug Geld verdient und etwas davon beiseitegelegt zu haben für die sprichwörtlich »schlechten Tage« – von denen in der Mitte des Lebens einige zu erwarten sind. Als eine Art Leck-mich-Gruß an die Bank bezahlte ich die Hypothek, vermietete meine Wohnung und machte mich so schnell wie möglich auf den Weg zu meinem Häuschen im hügeligen Litchfield County. Und weil da viel Platz zum Herumrennen war, kaufte ich zwei Pudel – Pepper und Prancer – und tat, was ich schon als kleines Kind immer tun wollte: Ich schrieb, wonach mir der Sinn stand, und übte mich im Dressurreiten.
Da ich das bin, was mein Vater als »übermütige Dilettantin« bezeichnen würde, wurde ich prompt abgeworfen und brach mir die Knochen – woraufhin ich mit einem Rollator herumhumpelte und mir wie eine alte Frau vorkam. Ich war nicht sicher, ob ich in meinem Leben noch mal auf ein Pferd steigen wollte, aber mein Vater hat mir Mut gemacht, indem er mir in Erinnerung rief, dass ich als Kind auch immer »wieder aufgestiegen« war. Drei Monate später nahm ich an einem Turnier teil und heimste gleich mehrere Schleifen ein.
Wenn ich morgens aufwachte, atmete ich den Klang der Stille ein.
Ich war glücklich.
Ich dachte nicht an mein altes Leben. Ich dachte nicht an New York. Vor allem aber dachte ich nicht an Männer.
Nichtsdestotrotz bekam ich sechs Monaten nach meinem Rückzug in die Einsamkeit einen Anruf von Tina Brown. Sie unterbreitete mir ihre Idee für eine Geschichte. Da mittlerweile eine angemessene Zeit seit meiner Scheidung vergangen war, schlug sie vor, ich solle mich wieder in die Welt der Partnersuche stürzen und darüber schreiben, wie es ist, wenn man mit über fünfzig wieder auf Dates geht. Ich könnte es mit Internet-Dating probieren. Ich könnte eine Heiratsvermittlung engagieren.
Ich fiel ihr ins Wort.
Ganz bestimmt nicht.
Ich war noch nicht bereit, mich wieder auf die Suche zu machen. Vor allem aber wollte ich es nicht. Fast fünfunddreißig Jahre hatte ich in Beziehungen verbracht. Ich hatte sogar den kompletten Beziehungskreislauf durchlebt – verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden.
Und jetzt sollte ich das Ganze noch mal mitmachen? Fiel mir denn in meinem Leben nichts Besseres ein als die Teilnahme am ewigen Beziehungskreislauf? Ich dachte an die althergebrachte Definition von »verrückt«: immer wieder dasselbe zu tun und dabei auf ein anderes Ergebnis zu hoffen.
Es wurde Zeit, den Kreislauf zu durchbrechen. Und so hatte ich nach vierunddreißig Jahren zum ersten Mal beschlossen, männerlos zu leben.
Das bedeutete aber auch, sexlos zu leben. Unverbindlicher Sex ist nicht mehr so mein Ding.
Natürlich habe ich das für mich behalten. Das Thema Sex – einst ein sprudelnder Quell der Begeisterung, der Peinlichkeiten, der Furcht und Freude – wurde nur noch selten angerissen. Meine alleinstehenden Freundinnen waren schon seit einer Ewigkeit Singles und gingen auch nicht mehr aus, also passierte da nichts, während meine verheirateten Freundinnen verheiratet waren und mit ihren Kindern zu tun hatten und bei ihnen daher – wie ich vermutete – im Bett ebenfalls nichts passierte. Hin und wieder musste ich einem Mann erklären, dass ich kein Interesse an einem Date hatte und – offen gesagt – möglicherweise nie wieder Interesse an einem Date haben würde, woraufhin er dann entsetzt fragte: »Aber was ist mit Sex?«, als hätte ich gerade ein Kätzchen ertränkt.
»Was soll damit sein?«
»Was machst du denn?«
»Ich mache überhaupt nichts.«
»Aber brauchst du denn gar keinen Sex?«
»Du denn? Mir ist aufgefallen, dass Menschen, die Sex brauchen, dazu tendieren unkluge Entscheidungen zu treffen, um ihn zu bekommen. Ich habe erlebt, wie Leute ihre ganze Karriere ruinieren, nur weil sie nicht an sich halten konnten.«
Außerdem hatte ich so viel Interessanteres zu tun. Zum Beispiel raffinierte Mahlzeiten zu kochen. Instagram zu lernen. Einen Popsong mit GarageBand zu komponieren. Meine beste Freundin war Angie. Sie wohnte ein Stück die Straße rauf, hatte gerade ihren Krebs besiegt und arbeitete in einer psychiatrischen Einrichtung, wo sie Teenagern Shakespeare nahebrachte. Wir wanderten die Landstraßen entlang, vorbei an Calders Skulpturen und Frank McCourts Haus. Es gab da oben keinen Handyempfang, also redeten wir. Über Feminismus und den Sinn des Lebens und die abstrusen Romane, die ich schrieb. Oft blieben wir an Arthur Millers »Schreibwerkstatt« stehen, einem winzigen Häuschen, das er mit eigenen Händen gebaut hatte und in dem das Theaterstück Hexenjagd entstanden war. Die Hütte bestand nur aus einem einzigen Raum von vielleicht zwei mal drei Metern, mit einem langen Holzbrett an einer der Wände, das ihm als Schreibtisch diente. Dann stellte ich mich vor das einzige Fenster, betrachtete den Ausblick auf den Wald und den Feldweg und dachte: Genau das hat Arthur Miller auch gesehen. Aber wie hat er sich dabei gefühlt? War er auch manchmal verzweifelt, wenn ihm das Schreiben schwerfiel? Und dann habe ich gebetet: Bitte, bitte mach, dass Arthur Millers Genialität ein bisschen auf mich abfärbt!
Bitte, bitte!
Nun, das passierte nicht.
In der Zeit, die ich in Connecticut verbrachte, schrieb ich drei Romane – mein Verlag fand jeden einzelnen so schlecht, dass er sich weigerte, sie zu veröffentlichen. Irgendwann brachte ich schließlich ein fertiges Manuskript zustande, von dem ich dachte, dass es ihnen gefallen müsste, doch als sie es mir zurückschickten, war jede einzelne Seite mit schwarzem Filzer durchgestrichen.
Willkommen im Irrsinn der Lebensmitte, in der deine Karriere womöglich vorbei sein könnte.
Ich rief Marilyn an. Hilfe!
»Süße«, sagte sie. »Ich glaube, so ganz allein wirst du da oben verrückt. Und deshalb ist auch das, was du schreibst, verrückt.«
Und dann rief mein Steuerberater an.
Wenigstens er hatte gute Neuigkeiten. Wenn ich mein Apartment verkaufte, konnte ich steuerliche Vorteile geltend machen. Die Hypothek vorzeitig bezahlt zu haben war klug gewesen – der Marktwert war gestiegen, und durch die einmaligen Steuervergünstigungen konnte ich einen ansehnlichen Gewinn machen.
Wenn ich es richtig anstellte und mich nur nach den billigsten Immobilien umsah, konnte ich mir vielleicht eine kleine Einzimmerwohnung in der Stadt und ein renovierungsbedürftiges Häuschen am Rande eines ehemaligen Fischerdorfes in den Hamptons leisten. Davon träumte ich schon, seit Marilyn vor zwei Jahren dorthin gezogen war.
Genau wie ich hatte auch sie plötzlich und unerklärlicherweise genug von der Stadt gehabt.
Im Grunde stimmt das so nicht. Genau wie ich hatte auch sie eine Reihe von Kränkungen erfahren, die ihr das Gefühl vermittelten, die Stadt wolle sie irgendwie loswerden.
Und zwar buchstäblich. Der kleine Wohnblock nahe der High Line, in dem Marilyn zwölf Jahre lang zur Miete gewohnt hatte, sollte abgerissen werden, um Platz für einen Apartmentblock zu machen.
Marilyn wusste nicht, was sie tun sollte. Dann verlor sie einen Klienten, der zurück nach L.A. ging. Und ihr Hund musste operiert werden, für dreitausend Dollar.
Es war mitten im Winter, und Marilyn hörte nicht auf zu erzählen, dass es so kalt war, das man, wenn man sich am Ende vom Pier ausziehen würde, nach zwanzig Minuten erfroren wäre. Sie meinte, das hätte sie im Internet gelesen.
Dass sie immer wieder davon sprach, war beunruhigend. Marilyn nahm seit fünfzehn Jahren Prozac, ein Antidepressivum, und gehörte zu den ausgeglichensten Leuten, die ich kannte. Sie redete mit jedem und gehörte zu den seltenen Menschen, denen man seine größten Ängste beichten konnte, ohne fürchten zu müssen, dass sie einen dafür verurteilten. Dennoch suchte Marilyn an einem kalten Apriltag morgens um acht einen Psychiater auf.
Der Psychiater verschrieb ihr einige Medikamente, die Marilyn sich gleich besorgte. Mit diesen ging sie rauf in ihre Wohnung und schluckte eine ganze Flasche Schlaftabletten auf einmal. Ich weiß das, weil ich sie um Viertel nach neun angerufen habe, um zu fragen, wie es beim Arzt gewesen war – kurz nachdem sie die letzte Tablette genommen hatte. Sie war kaum noch bei sich, schaffte es gerade noch, ans Telefon zu gehen.
Ich rief den Rettungsdienst.
Die Sache ging zum Glück gut aus, aber für Marilyn war der Moment gekommen, die Stadt zu verlassen, um sich und ihr Leben neu zu sortieren.
Und so zog Marilyn gen Osten in die Hamptons, um im Ferienhaus einer Freundin zu wohnen, in diesem besonderen Dorf, mit Blick auf die Bucht. Eigentlich hatte sie gedacht, sie würde nur ein, zwei Wochen bleiben. Daraus wurde ein Monat. Dann zwei. Es dauerte nicht lange, bis sie sich mit einem Immobilienmakler anfreundete, der Zugang zu Insiderinformationen hatte, der immer mal wieder von Objekten hörte, die sich ein alleinstehendes Mädchen in unserem Alter leisten konnte. Womit miserabel ausgestattete Bruchbuden gemeint waren, von denen andere bewusst die Finger ließen, weil man damit nicht genug Gewinn machen konnte.
Aus drei Monaten wurde ein halbes Jahr, dann ein ganzes, und schon war wieder Winter. Und nachdem Sassy eines Morgens auf ihrem Heimweg vom Pilates auf vereister Straße ausgerutscht war und sich einen Muskelfaserriss zugezogen hatte, fing auch sie an zu klagen, die Stadt sei nicht mehr das, was sie einmal gewesen war, und wie schön es doch wäre, wenn wir alle wieder nah beieinander wohnen könnten. Und so kam Marilyn auf die Idee. Sie wollte uns billige Häuschen besorgen, und dann könnten wir alle im selben Dorf leben.
Vor vielen Jahren hatten Sassy, Marilyn und ich im selben Block gewohnt und uns ständig gegenseitig besucht. Vermutlich kam uns diese Zeit so spannend und aufregend vor, weil wir fünfzehn Jahre jünger gewesen waren und ein Erfolg den nächsten jagte und man sich darauf verließ, dass die Zukunft schon für sich selbst sorgen würde. Natürlich hatte sich manches verändert, aber wir hatten immer engen Kontakt gehalten, und da wir weder Kinder noch drängende familiäre Verpflichtungen hatten (Sassys Eltern lebten nicht mehr, und Marilyns Eltern waren wieder nach Australien gezogen), fuhren wir auch immer noch zusammen in Urlaub.
Normalerweise läuft so was nicht wie geplant, aber in diesem Fall doch. Mithilfe des befreundeten Maklers hatten Marilyn und Sassy beide ein Häuschen gefunden und waren vor einigen Monaten dorthin gezogen. Und nach meinem unerwarteten Geldsegen wollte ich mich nun dazugesellen.
Im Frühling bezog ich ein malerisches, aber vernachlässigtes Bauernhaus, etwa anderthalb Kilometer von Sassy und zweieinhalb Kilometer von Marilyn entfernt. Anfangs waren wir zu dritt, aber es dauerte nicht lange, da traf Sassy unverhofft auf Queenie, die wir noch aus unserer Zeit als Singles kannten. Dabei stellte sich heraus, dass auch sie im Dorf wohnte.
Damals, in der Stadt, war sie ein echtes It-Girl gewesen. Eines Tages kam sie ins Dorf, um übers Wochenende ihre Mutter zu besuchen, eine berühmte Künstlerin und noch berühmtere Grand Doyenne. Um noch mal vor die Tür zu kommen, war Queenie abends in eine Bar gegangen, hatte dort einen Typen aus dem Dorf kennengelernt, sich verliebt, wurde schwanger und – nach zweijährigem Bemühen, verheiratet zu bleiben – wieder geschieden. Seitdem wohnte sie im Dorf und kannte jeden.
Ihr Freund, mit dem sie seit zehn Jahren zusammen war, wohnte woanders, und ihre mittlerweile siebzehnjährige Tochter hatte ihr eigenes Leben, sodass Queenie schon bald mit von der Partie war, wenn wir uns trafen. Die Vorstellung, einer solchen Mädelsgang anzugehören, war ihr anfangs eher fremd. Immer sagte sie »die Mädels« wie mit Gänsefüßchen, als wäre ein solches Treffen alleinstehender Mittfünfzigerinnen etwas, von dem sie ihr eigenes Leben abgrenzen musste – und sei es nur durch Anführungszeichen.
Und dann kam Kitty.
Kitty war eine weitere gemeinsame Freundin, die – nachdem sie vor fünfzehn Jahren ihren Mr. Big getroffen hatte – ins selige Eheglück abgetaucht war. Das zumindest glaubten wir. Doch wie so viele unserer Freundinnen ließ auch Kitty sich nun völlig unerwartet scheiden.
Das schockierte mich. Kitty war meine einzige Freundin, die vorbehaltlos an die wahre Liebe glaubte. In ihren Zwanzigern und Dreißigern hatte sie alle Männer links liegen lassen, die keine potenziellen Seelenverwandten waren. Und dann hatte sie eines Tages in einem kleinen Restaurant in der Nachbarschaft neben einem älteren Mann gesessen. Die beiden kamen ins Plaudern. Am Ende ging sie mit ihm nach Hause, zog am nächsten Tag bei ihm ein und heiratete ihn ein halbes Jahr später.
Kitty und ich verloren eine Weile den Kontakt, nahmen ihn aber noch während ihrer Ehe wieder auf. Ich erinnere mich gut daran, wie verliebt sie und ihr Mann waren. Er erklärte jedem, der es hören wollte, dass er ohne Kitty nicht leben konnte und seine Zeit am liebsten nur mit ihr verbringen wollte.
Ich weiß noch, wie sehr ich mir gewünscht hatte, ich könnte selbst auch so eine Liebe finden, wie Kitty sie gefunden hatte, wusste aber, dass es mir vermutlich nicht vergönnt war. Nie hätte ich gedacht, dass Kittys Ehe zerbrechen würde – dass sie so abrupt zerbrechen würde. Eines Samstagnachmittags kam Kittys Mann unerwartet früh nach Hause. Er hatte Golf gespielt und war betrunken, genau wie sein Golfkumpel. Er schwankte auf Kitty zu, meinte nur: »Hier, du alte Schreckschraube« (er war Engländer), und überreichte ihr die Scheidungsunterlagen.
Oder versuchte es zumindest.
»Bist du irre?«, schrie Kitty ihn an. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn in den letzten Monaten so erlebte. Wie die meisten Menschen in dieser Geschichte hatte auch er seine Probleme. Die Scheidungsunterlagen waren allerdings eine völlig neue Entwicklung.
Ungeachtet der Tatsache, dass Kitty sie zerriss, waren die Papiere doch real. So wie der wasserdichte Ehevertrag. Was bedeutete, dass Kitty ausziehen musste, und zwar zügig.
Sie mietete ein Haus in unserem Dorf in den Hamptons, damit auch sie bei ihren Freundinnen sein konnte.
Mit Kitty waren wir zu fünft.
»Und was machst du hier draußen?«, fragte Kitty eines Nachmittags.
»Na ja, ich schreibe«, sagte ich.
»Aber was machst du abends?«
»Ich habe meine Rituale. Ich treibe Sport und gehe mit den Hunden zum Strand, und dann esse ich früh zu Abend. Manchmal schon um vier.«
»Um vier?«
»Ich meine um sechs«, sagte ich.
»Allein?«
»Manchmal auch mit Sassy und Marilyn. Und Queenie.«
»Abendessen um sechs?« Kitty schnaubte. »Das ist doch kein Leben.«
Da hatte sie natürlich recht.
Und schließlich tauchte Tilda Tia, eine von Kittys verheirateten Freundinnen, plötzlich aus Südfrankreich auf. Sie hatte gerade eine zwölfjährige Beziehung zu einem Franzosen hinter sich und wollte nun in den Staaten ihr Leben ganz neu beginnen.
Und somit machten wir, was wir schon vor Jahren gemacht hatten, bevor Ehemänner und Kinder, anspruchsvolle Karrieren und jede Menge Herzschmerz ins Spiel gekommen waren: Wir versammelten uns, um zu sehen, wie es weitergehen sollte.
Meistens in Kittys Küche.
Und beinah unmittelbar – genau wie vor Jahren, als wir alle noch Singles gewesen waren – kam das Gespräch wieder auf Sex.
»Wo bleibt der Spaß? Wo bleibt die Spannung?«, wollte Kitty wissen.
»Wo sind die Männer geblieben?«, fragte Tilda Tia.
Und als ich in ihre gespannten Gesichter blickte, wurde mir bewusst, dass jetzt doch der richtige Zeitpunkt gekommen sein könnte, es herauszufinden.
Und so kehrte ich nach vierjähriger Abwesenheit wieder in mein altes Revier zurück. Als ich über die Brücke nach Manhattan fuhr – mittlerweile eine Frau in ihren Fünfzigern, weiß, Single, in einem praktischen SUV, mit zwei großen Pudeln auf der Rückbank –, stellte ich mir die naheliegende Frage: Wartet noch Sex auf mich in der City?
Kapitel 2
DIE MONA-LISA-METHODE
Wenn es noch Sex gäbe, würde ich ihn nicht haben. Zumindest meiner Gynäkologin nach zu urteilen.
Bei ihr hatte ich meinen ersten Termin, als ich wieder in die Stadt kam. Dieser jährliche Besuch ist immer etwas beängstigend, aber auch etwas, das man Frauen wie mir antrainiert hat: Zeig deine Vagina mindestens einem Menschen pro Jahr. Zur Sicherheit.
Nach der Routineuntersuchung richtete sie sich auf und schüttelte traurig den Kopf.
»Haben Sie die Info bekommen, die ich Ihnen über Mona Lisa geschickt hatte?«, fragte sie.
»Mona Lisa?« Ich spürte eine altbekannte Sorge in mir aufsteigen. Hatte ich was verpasst? Hatte ich irgendwas falsch gemacht? War jetzt alles zu spät?
Ich zog mich an, ging in ihr Sprechzimmer und bereitete mich auf das Schlimmste vor.
»Ich muss Ihnen was sagen«, meinte sie freundlich. »Der Verhütungsring wird für Sie nicht funktionieren. Ihre Vagina ist nicht flexibel genug.«
Ich gab einen verwirrten Laut von mir.
»Wann hatten Sie das letzte Mal Sex?«, fragte sie.
Noch ein wirrer Laut.
Sie rollte mit den Augen. Seit vier Jahren ging ich zu ihr, und jedes Mal wenn sie das Thema Sex ansprach, beteuerte ich, es stünde »ganz oben auf meiner Liste«. Als müsste ich den Abfluss reinigen.
Aber diesmal nahm sie es mir nicht ab.
»Deshalb habe ich Mona Lisa angesprochen«, sagte sie und klang wie aus einer Werbung. »Dabei handelt es sich um eine neue Laserbehandlung zur Kräftigung und Wiederherstellung der vaginalen Elastizität.«
Sie schob mir eine lila Broschüre zu. »Denken Sie doch mal darüber nach. Sie werden feststellen, dass es beim Sex einen enormen Unterschied macht.«
Ich hustete. »Wie viel?«
»Drei Behandlungen für dreitausend Dollar.«
Dreitausend Dollar? Nein danke.
Danach war ich mit einem Hollywood-Produzenten zum Mittagessen verabredet. Er wollte die Möglichkeit einer vage angedachten Fernsehserie besprechen, in der es vage um Sex gehen sollte, und ich war gern bereit, mit ihm vage zu bleiben, solange ich die Gelegenheit bekam, mir was Ordentliches anzuziehen und in einem Restaurant zu essen, das Stoffservietten hatte.
»Haben Sie schon mal von der Mona-Lisa-Behandlung gehört?«, fragte ich.
Er wurde blass.
Er wusste alles darüber. Seine Frau – oder besser: seine zukünftige Ex-Frau – hatte sich der Behandlung vor zwei Jahren unterzogen, mit zweiundfünfzig. Anfangs war alles gut gewesen, doch dann hatte sie ihm eröffnet, dass er ihr nicht mehr genügte, und eine Affäre mit dem Reitlehrer begonnen, den er für seine Töchter engagiert hatte. Demnächst wollten die beiden heiraten. Und das, obwohl der Reitlehrer über zwanzig Jahre jünger war als seine Frau.
Der Mann tat mir richtig leid. Er weinte fast. Die Tatsache, dass ein junger Mann eine ältere Frau bevorzugte, schien ihn zu schockieren. Ich wies ihn darauf hin, dass er den Altersunterschied und das Verhalten der beiden ganz normal finden würde, wenn die Rollen vertauscht wären – wenn ein älterer Mann mit einer jüngeren Frau durchbrennen würde.
Es schien, als würde die Mona-Lisa-Behandlungsmethode den Spieß umdrehen. Wenn ältere Frauen es nun den Männern nachmachen konnten, wenn sie sich erheblich jüngere Partner suchen konnten – würden sie es tun? Würden mehr Frauen ihre »altersgerechten« Männer für jüngere, heißere Typen sitzen lassen?
Ja, das würden sie, zumindest nach Aussage meiner Freundin Ess. Besonders wenn sie – wie Ess – zu den oberen Zehntausend gehörten.
Sie erklärte mir, es beträfe vor allem Frauen, die seit Jahren für ihre Ehemänner an ihrem Aussehen arbeiten. »Nach all den Diäten, den Yoga-Kursen und den Unsummen für Filler und Botox – was ist da schon eine kleine Laserbehandlung?« Es ist tatsächlich gar nicht ungewöhnlich, dass ein Mann seiner Frau zum fünfzigsten Geburtstag eine Mona-Lisa-Behandlung schenkt.
Wie die meisten Laserbehandlungen funktioniert Mona Lisa nicht bei jeder Frau. Aber wenn sie wirkt, dann richtig. Ess kannte drei Frauen, die sich der Behandlung unterzogen und erst kürzlich ihre Männer verlassen hatten.
Der Viagra-Effekt
»Dasselbe ist damals passiert, als ältere Männer zum ersten Mal Viagra nahmen«, erklärte Ess. »Plötzlich bekamen sie wieder einen Ständer und wollten Sex mit ihren Frauen, aber die wollten nicht mehr, also verließen die älteren Männer ihre Frauen und suchten sich jüngere. Das kehrt sich jetzt um.«
Mehr oder weniger. Das größte Problem mit dieser Analogie ist, dass die meisten Frauen – im Gegensatz zu Männern – nicht die Möglichkeit haben, diese neue Entwicklung wahrzunehmen. Wie üblich besteht nämlich ein großer Unterschied zwischen dem Preis, den Männer für ihre wiederbelebte Jugendlichkeit bezahlen müssen, und dem, was sie die Frauen kostet.
Wie viel muss man für die »kleine blaue Pille« hinblättern? Nicht viel, schätze ich. Wie für so manches in der Männerwelt kommt bestimmt auch für Viagra die Krankenversicherung auf. Jedenfalls sprechen wir hier nicht mal annähernd von dreitausend Dollar.
Wenn ich dieses Sex-Thema also weiterverfolgen wollte, blieb mir nichts anderes übrig, als das zu nutzen, was ich bereits hatte: mein Fahrrad.
Die New Bicycle Boys
Als ich vor fünfundzwanzig Jahren zum ersten Mal über sie schrieb, waren sie ein seltener Typus. Etwas jungenhaft, etwas unreif, oft lebensfern und leicht nerdig und manchmal auch nervig mit ihren Fahrrädern, besonders wenn sie die wie ein Haustier mit rauf in deine Wohnung bringen wollten. Dass sie Fahrrad fuhren, fand man ein bisschen albern und ein bisschen gefährlich. Außerdem deutete es auf einen Mangel an finanziellen Mitteln hin.
Heute ist das Gegenteil der Fall. Nicht nur sieht man diese Bicycle Boys mittlerweile überall – inzwischen sind sie wie ein unaufhaltsamer Virus zu Dutzenden Arten mutiert.
Im Folgenden einige davon:
Der Familienmensch-Milliardär-Technikfreak
Er hat zahllose Kinder von verschiedenen Ehefrauen, und irgendwo auf einem seiner Dreißig-Millionen-Dollar-Anwesen steht ein Klettergerüst. Es gefällt ihm, seine Milliardär-Technikfreak-Freunde zu beeindrucken, also fährt er mit dem Rad von New York City bis nach Montauk – hin und zurück – an einem Tag.
Das Gute an ihm: Er ist reich, fit und fruchtbar.
Nicht so gut: Er wechselt die Ehefrauen wie andere Männer ihre Fahrradreifen.
Das Herdentier
Das Herdentier umgibt sich gern mit Gleichgesinnten und fährt meist im Pulk mit anderen Männern. Normalerweise ist er nicht reich, aber immerhin reich genug, um zweitausend Dollar für ein Fahrrad auszugeben. Außerdem ist er reich genug, sich mehrere Stunden wöchentlich seinem »Hobby« zu widmen, während seine Partnerin zu Hause schuftet.
Das Gute an ihm: Er versucht, für sich selbst zu sorgen, was bedeutet, dass er wahrscheinlich auch für andere sorgen will – zumindest solange er nicht auf dem Sattel sitzt.
Nicht so gut: Er gehört zu den Männern, die ihre Frau so richtig auf die Palme bringen. Anfangs macht es ihr nichts aus, aber irgendwann dann doch, denn beide werden älter, und die Kinder sind längst Teenager, und er kurvt da draußen auf seinem beschissenen Fahrrad herum!
Der Echte Bicycle Boy
Dabei handelt es sich um einen nachweislich jungen Mann, im Gegensatz zu denen, die sich nur wie einer benehmen. Ein Echter Bicycle Boy mag vielleicht kleiner oder schmächtiger sein als man selbst, aber er ist um einiges hartgesottener und kann viel besser Rad fahren.
Das Gute an ihm: Er kann Wheelies.
Nicht so gut: Es könnte sein, dass man am Ende selbst einen Wheelie versucht und im Krankenhaus landet.
Der Bachelor Boy
Das ist der Typ, der sich am Wochenende mit Frauen trifft, die er über eine Dating-App kennengelernt hat. Der Bachelor Boy hat vielleicht dreimal in seinem Leben auf einem Fahrrad gesessen. Doch da es sich bei ihm um jemanden handelt, der den Bachelor, die Bachelorette und wahrscheinlich auch Bachelor in Paradise