Über Edna O'Brien

Foto: Seth Hamilton

Edna O'Brien, geb. 1930 in Tuamgraney/Westirland, gilt als bedeutendste Schriftstellerin ihres Landes. Bereits ihr Debüt Die Fünfzehnjährigen (The CountryGirls, 1960), das in Irland verboten wurde, machte sie international bekannt. Seither hat sie mehr als zwanzig Romane und Erzählbände veröffentlicht, außerdem Lyrik, Theaterstücke und Sachbücher verfasst. Sie wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Irish PEN Award, die American National Arts Gold Medal, der Frank O'Connor Prize und der Prix Femina spécial. Für ihr Lebenswerk erhielt sie außerdem 2018 den PEN / Nabokov Award und 2019 den David Cohen Prize.

 

Die Übersetzerin

Kathrin Razum, geb. 1964, arbeitet seit 1992 als freie Literaturübersetzerin; sie lebt bei Heidelberg. Zu den von ihr übersetzten Autor*innen gehören neben Edna O'Brien Susan Sontag, V.S. Naipaul, Hilary Mantel, Dorothy Parker, Laird Hunt und Amy Bloom.

Fußnoten

Eine irische staatlich geförderte Schriftstellervereinigung, Anm. d. Ü.

 

Erklärung der nigerianischen Regierung in Reaktion auf Boko Haram

 

Euripides, Die Troerinnen

Das plötzliche Krachen von Schüssen in unserem Schlafsaal und maskierte Männer mit finsterem Blick, die sagen, dass sie vom Militär sind und uns beschützen sollen, weil es in der Stadt einen Aufstand gibt. Wir haben Angst, aber wir glauben ihnen. Mädchen taumelten aus ihren Betten, andere kamen von der Veranda herein, wo sie geschlafen hatten, denn es war eine schwüle Nacht.

In dem Moment, wo wir Allahu Akbar, Allahu Akbar hörten, wussten wir Bescheid. Sie hatten die Uniformen unserer Soldaten gestohlen, um an den Wachleuten vorbeizukommen. Sie bombardierten uns mit Fragen: Wo ist die Jungenschule, Wo wird der Zement aufbewahrt, Wo sind die Lagerräume. Als wir ihnen sagten, dass wir das nicht wüssten, fingen sie an zu toben. Dann kamen ein paar andere hereingerannt und sagten, sie hätten in

Sie konnten nicht mit leeren Händen zurückkommen, sonst würde ihr Kommandeur fuchsteufelswild werden. Mitten in das ganze Geschrei sagte einer von ihnen grinsend: »Mädchen tun’s doch auch«, worauf der Befehl ertönte, mehr Lastwagen zu schicken. Eine von uns zückte ihr Handy, um ihre Mutter anrufen, aber es wurde ihr sofort aus der Hand gerissen. Sie fing an zu weinen, auch andere fingen an zu weinen und flehten darum, nach Hause zu dürfen. Eine ging auf die Knie und sagte: »Mister, Mister«, was ihn wütend machte, er verfluchte und verhöhnte uns, nannte uns Schlampen, Prostituierte, wir gehörten verheiratet und bald würden wir es auch sein.

Wir wurden in Gruppen zu je zwanzig aufgeteilt und mussten dann warten, stammelnd, aneinandergeklammert, bis sie uns befahlen, den Schlafsaal zu verlassen und nichts mitzunehmen.

Der Fahrer des Lastwagens, der vor dem Schultor stand, hatte eine Gewehrmündung am Kopf, also fuhr er wie ein willenloser Clown durch den kleinen Ort. Es war niemand auf der Straße, der hätte berichten können, dass zu nachtschlafender Zeit ein Lastwagen voller Mädchen durch den Ort gefahren war.

Bald waren wir in einem Grenzdorf, das in dichten Dschungel überging. Der Fahrer musste anhalten, und kurz nachdem sie ihn weggeführt hatten, hörten wir eine Gewehrsalve.

Andere Lastwagenfahrer sind gekommen, und es wird lautstark beraten, welche Mädchen in welches Fahrzeug

Aber wir hatten die Hoffnung noch nicht verloren. Wir wussten, dass die Suchtrupps inzwischen losgezogen sein mussten, unsere Eltern, die Ältesten, die Lehrer, alle würden sie uns folgen. Durch die offenen Seiten des Lastwagens warfen wir Sachen hinaus, um eine Spur zu legen – einen Kamm, einen Gürtel, ein Taschentuch, Zettel mit hastig daraufgekritzelten Namen – Sucht uns, sucht uns.

Jetzt fahren wir in dichten Dschungel hinein, alle möglichen Arten von Bäumen, ineinander verschlungen, umfangen uns in beklemmender Umarmung. Die Natur ist hier Amok gelaufen. Der Boden ist so uneben, dass sogar die Motorradfahrer, die neben uns herfahren, damit wir nicht fliehen können, immer wieder den Halt verlieren und auf der hohen Böschung landen. Rebeka sagt zu mir: »Komm, wir springen«, aber ich zögere. Sie sagt: »Lieber sterben als in der Gewalt dieser Männer sein.« Sie hat zu Gott gebetet, seit wir die Schule verlassen haben, und Gott hat ihr gesagt, dass diese Männer böse sind und wir fliehen müssen. Sekunden verstreichen, und ich sehe es noch vor mir wie eine Fata Morgana,

Die Lastwagen fahren schlingernd weiter, und wir werden hin und her geworfen. Aisha, die einen Moment lang gedöst hat, schreckt auf und ruft den Namen ihrer Mutter. Aus einem Traum gerissen, fängt sie an zu weinen. Jemand legt ihr die Hand über den Mund, damit wir nicht alle geschlagen werden. Wir haben furchtbare Angst. Es ist nichts mehr da, was wir noch hinauswerfen könnten. Wir sind so weit gefahren, dass man uns nicht mehr finden wird.

 

Jetzt gibt es nur noch Babby und mich. Sie schreit aus der Tiefe ihres leeren Magens, heisere, wilde Schreie, und ich sage zu ihr: »Du hast keinen Namen und keinen Vater.« Ich blaffe sie an. Manchmal möchte ich sie umbringen. Meine Brüste sind nicht größer als Eierbecher, und sie zerrt an den Brustwarzen, als wollte sie mich auch umbringen. Wir suchen nach einer Quelle, denn das Wasser in den Gräben ist braun und schlammig. Es schmeckt faulig. Wir trinken das klare Wasser, das sich in den Einbuchtungen der großen Felsen gesammelt hat. Ich schöpfe es mit gewölbten Händen, und sie schlabbert es auf, schluckt gierig, als müsste sie gleich ersticken. Das sind unsere Gnadenmomente, frisches Wasser, eine

Wo keine Bäume stehen, ist die Erde ockergelb, von tiefen, zickzackförmigen Furchen durchzogen, was für ein Anblick, und an den Zweigspitzen sprießen die jungen, noch eingerollten Blätter. Wenn ich nachts wach liege, sehe ich den Himmel. Einen unendlich weiten, violetten Himmel – ein Land der Schönheit, zu einem Ort des Leids geworden. So viele tote Mädchen. Die Bäume rauschen traurig.

Ich lege Babby hin, bette ihren Kopf auf eine kleine Erhebung im Gras. Nur in diesen Momenten schläft sie. Ich wache immer wieder auf, aus Angst vor all dem, was uns zustoßen könnte. Manchmal erwache ich mit feuchten Lidern aus einem Traum, dem Traum von einer Person, die ich einmal gekannt oder sogar geliebt haben muss. Aber es ist nicht die richtige Zeit für Erinnerungen oder Pathos. Manchmal höre ich in der Ferne Hunde bellen. Ich bin seit Tagen keiner Menschenseele mehr begegnet, und ich habe Angst, dass eine Begegnung bedeuten wird, dass wir zu einem furchtbaren, blutigen Ende zurückgeschleift werden.

Es gelingt mir nicht mehr, in meiner alten Sprache zu beten, denn sie haben uns mit ihren Gebeten, ihren Erlassen, ihrer Ideologie, ihrem Hass, ihrer Frömmigkeit überrollt.

Jenseits der hohen, von Stacheldrahtrollen gekrönten Lehmwälle der endlose Wald. Er war dunkel und unheimlich, eine Unmenge von Bäumen, die weitere Bäume hervorbrachten, weiteres Dunkel, endgültige Verbannung. Die kleine Moschee hatte ein Minarett aus glänzendem Aluminium, und an einem Mast daneben flatterte eine schwarze Fahne. Akra, ein Mädchen aus der Klasse über mir, kam aus dem Schlafsaal, wo wir festgehalten wurden, stand ganz still da und nahm diese trostlose Umgebung in sich auf. Es waren nur fünfzehn Mädchen von unserer Schule hier. Die übrigen hatte man in andere Lager im Dschungel gebracht. Uns hatten sie in einen Schlafsaal gestoßen, in dem schon andere Mädchen schliefen, dort hatten wir uns aneinandergeschmiegt.

Ein großer Baum in der Mitte des Hofs, von dessen Stamm ein kräftiger Seitenast abging, beherrschte das Gelände. Sein nasses Braun hatte einen grünlichen

Aus den Rundhütten kamen jetzt Männer und eilten zur Moschee. Sie waren unterschiedlich gekleidet, einige trugen Jeans und T-Shirts, andere weite Gewänder, wieder andere Armeejacken. Im Vorbeilaufen begutachteten einige von ihnen mit abschätzendem Blick unsere Reize.

Während das monotone Gemurmel des Gebets zu uns herausdrang, kam ein junges Mädchen durch den Hof getaumelt und blieb vor uns stehen. An ihrer Unterlippe saß ein dicker Bausch Mull, aus dem Blut sickerte. Sie konnte nicht sprechen, obwohl sie es wollte. Sie deutete immer wieder auf ihren Mund, und schließlich gelang es ihr, ihn zu öffnen. Sie hatte keine Zunge mehr. Was für ein Verbrechen hatte sie begangen.

Während wir dort standen, kam eine Frau mit grünen Gummistiefeln auf uns zu, einen Dornenast in der Hand. Die Dornen waren so rot wie Beeren und spitz wie Nägel. Wir wurden in den Schlafsaal zurückgeschickt. So begann unsere Initiation.

Unsere Kleider wurden auf einen Haufen geworfen, und kaum hatte sie etwas Diesel daraufgegossen und ein Streichholz angerissen, schossen die Flammen hoch in die milchige Morgendämmerung. Unsere weißen Blusen, unsere Schuluniformen und unsere Kopftücher verwandelten sich rasch in gewichtslose graue Ascheflocken, die einen Moment lang in der Luft schwebten und dann nach oben getragen wurden, um durch die Zwischenräume in den Stacheldrahtrollen ihren Weg hinaus zu finden. Ich folgte ihnen im Geiste und dachte töricht, dass die Ascheflocken unsere Boten sein würden. Sie würden

Dann wurden wir in den Hof geführt und mussten uns unter den großen Baum setzen. Wasser platschte von den Ästen, und der Boden war nass. Andere Mädchen, die schon länger hier waren, warteten bereits, einige mit gefalteten Händen, entrückt.

Drei Männer steigen aus einem cremefarbenen Jeep. Zwei sind maskiert und gehen hinter dem dritten her, dem obersten Emir. Er hält einen heiligen Text in der Hand. Alle drei sind bewaffnet. Als der Emir näher kommt, streckt er eine Hand weit aus, und es ist, als würde er die ganze Welt an sich reißen.

Mädchen, die ihn schon einmal gesehen haben, blicken mit scheuer Bewunderung und neuerlichem Staunen zu ihm auf. Einige strecken die Hände aus, um sich wenigstens vorzustellen, dass sie den Stoff seiner Jacke berühren. Sie verehren ihn. Er geht zwischen uns herum, erkennt die neuen Gesichter, sein Blick so wachsam, als sähe er in unsere Köpfe, unsere gequälten Herzen.

»Die Krankheit ist Unwissenheit.« Drei Mal sagte er das. Ich sah ihn nicht an, weil er so grimmig war. Dann hieß er uns als die werdenden Töchter Allahs willkommen und sagte, wir müssten Allah für das Wunder

Dann machte er die Menschen nieder, denen man uns entrissen hatte. Ungläubige. Diebe. Unser Präsident, unsere Vizepräsidenten, unsere Gouverneure, unsere Polizei, alle korrupt. Sie seien Sultane der Banken, schöpften Reichtum ab, säßen in ihren großen Villen auf ihren goldenen Thronen und sähen sich auf ihren riesigen Fernsehbildschirmen westliche Filme an. Ihre fetten Frauen hätten so viel Geld angesammelt, so viel Gold, so viele Perlen, dass sie zusätzliche Häuser bauen müssten, um diese Schätze aufzubewahren. Selbst die Muslime unter diesen Leuten seien infiziert, in den Pesthauch der Korruption geraten. Wir würden bald begreifen, dass die Erziehung, die wir erhalten hatten, vollkommen falsch sei, so wie auch die Universitätsausbildung, die wir anstrebten, vollkommen falsch sei. Sie dürfe nicht sein.

Dann wies er uns an, auf die vergangenen achtundvierzig Stunden zurückzublicken und die bereits bewirkte Verwandlung zu bestaunen. Es war wieder, als schaute er in unsere Köpfe, und er drohte, wir sollten ja nicht wagen, ihm zu widersprechen. »Als unser Trupp vor zwei Nächten in eure Schule eingedrungen ist, waren eure Soldaten abgezogen, weil sie wussten, dass wir kamen. Könnt ihr diesen Menschen trauen? Könnt ihr Menschen trauen, die dafür bezahlt werden, euch zu bewachen? Wenn ihr wirklich ehrlich seid, muss eure Antwort ›Nein‹ lauten. Sie hätten einen Gegenangriff unternehmen können, aber das haben sie nicht getan. Sie haben zu viel Angst vor uns. Sie wissen, dass sie den Sambisa-Wald niemals

Bevor man ihn wieder fortgeleitete, blickte er zum Himmel auf, zu einem imaginären Geschwader lauernder Feinde – »Denkt nicht, ihr könntet mit euren Kampfflugzeugen gegen uns ankommen. Der Allah, den wir verehren, lebt über euren Jets, er harrt des passenden Moments, um euch zu vernichten.«

In meinem Kopf wurde es schwarz. Solche Macht, solche Unangreifbarkeit hätte ich nie für möglich gehalten. Eimer und Kisten flogen durch den Hof, und der Himmel teilte sich. Ich sah zwei Götter, die Stäbe in den Händen hielten, oder vielleicht waren es auch Gewehre, und einander trotzten.

Der Boden, auf dem ich kniete, war übersät von herausgerissenen Herzen, und überall lagen durchgeschnittene

Einige meiner Freundinnen kamen, um zu fragen, was mit mir los sei. Ich konnte nicht antworten. Mein letztes bisschen klarer Verstand war dahin. Hätten wir Messer gehabt, wir hätten unsere eigenen Kehlen durchgeschnitten.

»Mach dir keine Sorgen … Unsere Eltern werden uns finden«, sagte Aisha zu mir, aber sie war noch nicht auf dem Feld der Toten gewesen.

Drei Mädchen wurden auf die Seite gewinkt und blieben verwirrt dort stehen, während wir übrigen von ein paar Frauen durch den Hof zu den Hütten geführt wurden, wo uns die nächste Strafe erwartete.

Als ich herauskam und meine Freundinnen sah, genauso benommen wie ich, die Gesichter vom Weinen schwammig und verzerrt, dachte ich, jetzt bin ich mit meinen Freundinnen zusammen, so schlimm wird es nicht werden.

Sehr bald begannen sich Männer zu versammeln. Sie waren jung und lebhaft. Sie trugen Jeans und bunte T-Shirts. Es war klar, dass irgendetwas geschehen würde, das mit uns zu tun hatte, also klammerten wir uns aneinander. Zwei Männer schoben einen Tisch auf Rollen heraus und platzierten ihn in der Mitte des Hofs, und ein dritter Mann stellte einen weißen Eimer darunter. Es dauerte nur Sekunden, aber wir ahnten, was kommen würde. Das erste Mädchen, Faith, musste sich auf den

Als ich aufstand, war ich benebelt. Dicke Blutstropfen fielen in den Eimer. Wir mussten zusehen, wie weitere Mädchen an die Reihe kamen. Der Tisch knarrte, die Männer wurden noch erregter und triumphaler.

Als alles vorbei war, wankten wir zurück, wund, verstört. Wir konnten nicht sprechen. Wir waren zu jung, um zu wissen, was geschehen war oder wie wir es nennen sollten. Fatim erinnerte sich, dass es in ihrer ersten Schule eine Puppe gegeben hatte, an der die Mädchen herumgestochert hatten, und ein Mädchen hatte sich mit einer Schere an dem Stoffzwickel zu schaffen gemacht und gesagt, Dolly bräuchte jetzt ihre Operation. Wir hatten unsere Operation gehabt. Sie hatten uns entjungfert. Es war jetzt dunkel, und die Sterne prassten am Himmel.

Morgens gab es einen Getreidebrei, den sie aus einem Trog auf einem großen Tisch aßen. Abends wurde der Elite das Essen in ihren Unterkünften serviert, die niederen Ränge aßen wieder an dem großen Tisch. Ich durfte nicht servieren. Ehefrauen trugen die Gerichte vom Kochhaus zu den Hütten. Falls einer der Männer aus irgendeinem Grund ins Kochhaus kommen musste, hatte ich den Blick abzuwenden.

Wir hackten das Fleisch in Stücke und schabten mit einem anderen Messer die toten Insekten und Maden ab, die daran hafteten. Die Vögel füllten wir mit Blättern, um den unangenehmen Geruch zu überdecken. Er wusste, was es war – Gelbwurz, Wacholder, Baobab.

Ich verstand den Text von John-Johns Lied nicht, aber ich nahm an, dass es ein Kirchenlied war. Er lebte mit vier anderen Jungen in einer Art Höhle, fuhr mit seinem Fahrrad zu den verschiedenen Lagern und lieferte Vorräte aus. Später half er mir dann, die großen Töpfe zu den Feuern zu tragen, die wir im Hof angezündet hatten. Sie hingen an Ketten von hölzernen Gestellen, und der faulige Geruch von kochendem Fleisch erfüllte die ganze Umgebung. Nach einer Weile bekam ich den Schlüssel zum Vorratsraum, und so konnte ich, ohne dass die Ehefrauen davon erfuhren, ab und zu etwas für John-John und mich zu essen stibitzen. Gebackene Kartoffelschalen mochte er am liebsten, besonders mit gerösteten Zwiebeln. Wir aßen draußen, wo die Wachleute selten patrouillierten, weil sie sich vor Ratten fürchteten.

O mein Gott

O mein Gott

Dir gebührt unser Lob

Schließlich erfuhr ich, wie er in Gefangenschaft geraten war:

Sie kommen. Sie kommen. Sie haben unser Dorf umzingelt, und wir hatten schreckliche Angst. Meine Schwester, meine Mutter und ich. Und eine Menge anderer Frauen und Mädchen, die alle weinten, so wie wir, wir sind um unser Leben gerannt. Die Dschihadisten umzingelten unser Dorf, also mussten wir fliehen. Mein Vater war nicht bei uns. Er war auf unserem kleinen Hof, und wir wussten nicht, ob sie ihn gefangen genommen hatten. Wir sind weggelaufen. Die anderen Frauen, die mit uns flohen, wollten mich nicht dabeihaben, weil ich ein Junge bin und sie wussten, dass die Dschihadisten auf die Jungs aus sind, um sie zu Soldaten zu machen. Noch während wir flüchten, haben wir die ganze Zeit Angst, dass sie uns bis tief in den Wald verfolgen werden. Als wir ewig gerannt und völlig außer Atem sind, lassen wir uns fallen, einer auf den anderen. Alle weinen. Meine Mutter bittet eine Frau, ihr ein Kleid aus ihrem Bündel zu geben, damit sie mich als Mädchen verkleiden kann. Die Frau sagt nein. Es ist ihr bestes Kleid. Mama bittet und bettelt, und irgendwann schließen sich ihr die anderen Frauen an und sagen, es geht hier darum, ein Leben zu retten, das Leben eines Kindes. Es gibt Streit. Dann zieht eine der Frauen das Kleid einfach aus dem Bündel, und sie

Meine Mutter geht mit mir hinter einen Baum, zieht mir die kurze Hose aus und das Kleid an und bindet mir ein blaues Tuch um den Kopf. Alle gucken mich in meiner Mädchenkleidung an, und obwohl die anderen Kinder niedergeschlagen sind, müssen sie lachen, als sie mich sehen, und machen sich über mich lustig. Bald wird es Nacht, wir legen uns hin, wo es halt geht, und ich schlafe in dem blauen Kleid. Es ist kalt in der Nacht. Wir wachen sehr früh auf, und meine Schwester ist weg. Sie ist nirgends zu finden. Meine Mutter geht von einer Gruppe zur anderen und fragt, ob jemand sie gesehen hat, aber niemand weiß etwas, und dann läuft sie überall herum und schreit und ruft. Die Anführerin unserer Gruppe sagt, dass es besser ist, wenn wir weitergehen, denn inzwischen wissen die Milizionäre bestimmt, wo wir sind, und sind unterwegs, um uns zu töten. Meine Mutter ruft die ganze Zeit den Namen meiner Schwester, »Umi, Umi, Umi«, als würde meine Schwester dadurch wieder aus dem Nichts auftauchen. Gegen ihren Willen ziehen wir also weiter, und ich spüre ihren Kummer in meinem eigenen Körper, denn sie hat mich auf den Rücken genommen. Sie kann mich kaum halten.

Wir kommen zu einem Dorf, und dort steht ein strohgedecktes Haus, in das sich alle drängen, um Schutz vor der Sonne zu finden. Meine Mutter setzt mich ab und bittet eine andere Frau, auf mich aufzupassen, denn sie muss ihr kleines Mädchen finden, selbst wenn es nur

Wir blieben in dem strohgedeckten Haus, und es kamen immer mehr umherirrende Menschen. Es war furchtbar stickig. Dann machte sich meine Mutter auf die Suche nach jemandem, der ein Motorrad hatte. Bevor sie ging, löste sie den Knoten am Ende ihres Wickelrocks, wo sie das bisschen Geld aufbewahrte, das sie gespart hatte. Es stammte von den Bohnen, die wir