axel dielmann – verlag
Kommanditgesellschaft in Frankfurt am Main, 2019
www.dielmann-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
Satz:
Urs van der Leyn, Basel
Cover-Design:
Agentur für Mode
und Kreativwirtschaft, Bad Soden
Korrektur:
Stefan Schöttler
Gesamtherstellung:
OOK Press, Veszprém
ISBN 978 3 86638 281 7
eBook 978 3 86638 282 4
Roman
IDie Welt passt in kein Schäferspiel
Max d‘OrZu viel der angemaßten NäheKunst rettet LebenDas Bier, die Maid, das Bett aus KohlenNach dem SiegSind Zufälle grundlos?
IIEine Leidenschaft, die von der Tarnung lebt
Und noch ein BriefÜber das VertrauenWas die Welt zusammen hältWas zählt, bist Du nicht selbstKrieg ist auch ein HandwerkDer Seher vom Dorfe, OperDas Netz wird dichterImWingertFamiliensegen
IIIMichel verliert, aber gibt nicht auf
Er oder ich und noch etwasWer schreibt, bleibt – leiderL’Homme Machine?Über Dach zu fliehen?Dem Anschein nachMichel schreibt sich die Welt zu Recht
IVDer Krieg spaltet, doch das Kapital vereint
Politik buchstabiert sich C-L-U-BBei PeterTrudel, Tannhauser und WetzelDer kleine Krieg im großenFamilienschmelzeDie Welt im LiegenTheaterpläneHandel aller Orten, auch das Schicksal handelt mit
VMichel gewinnt, aber gibt auf
Wer Opfer, wer Täter?Linksrheinisches UnheilRechtsrheinisches WartenGottesurteilEin Sprengel namens EngelthalMelissa
VILe Monde comme il va
Anders denkenDer Arzt und sein PatientDie Falaise LohrbergCornelis KuypersDie VerlobungDer Himmel so weit
Epilog
Glossar historischer Personen im Roman
Fiktive Personen des Romans
Der Reichswald beginnt im Süden dort, wo Frankfurt endet. Laubfall schon im Juli? Die Hitze des Sommers 1759 kriecht unter jeden Schatten. Doch das beflügelt Jakob Kreuzers Schritte eher des nahen Zieles wegen: Bronzeguss und Eisenschmelze Adam Kreuzer im Osten der Stadt. Jakob kennt die Schmiedehitze, gegen die das Metall sich wehrt. Mit ihr ist er aufgewachsen. Sie ist es jetzt, die das vertraute Bild des Maintales ins Unwirkliche verzerrt, als er aus dem Schutz des Waldes tritt. Im Spiegelzauber schiebt ein flimmerndes Dunstpolster sich unter das Taunusgebirge und scheint es emporzutragen.
Wie auf der Flucht erstarrt, duckt sich die Häuserherde im Altstadtgeschachtel um den Dom. Der Stundenschlag verheißt noch Leben dort. Aus schwülen Turbulenzen quellen junge Wolken auf, wild und richtungslos, nicht stark genug, die Sonne vollends zu verschleiern. Sie schießt Strahlenbündel durch das löchrige Gewebe, erzeugt plötzlichen Glitzer auf dem Fluss. Eine Rauchsäule steht im Osten, steil und starr, will nicht fortwehen. Die Windbälge blasen eine neue Schmelze an.
Jakob tritt zögernd auf die schattenlose Chaussee.
Von der Wetterau her, wo die Franzosen liegen, trübt ein dunkles Grau mit schwarzem Schild den Himmel, warnt mit fernem Grummel. Jakobs düstere Gedanken tauchen darin ein: Das zielt aufs Tal, auf Frankfurt. Eine Mulde für das Unwetter, sich darin zu suhlen. Bei Laune folgt ein tobsüchtiger Tanz der Elemente. Blitze, aufgespleißt zu Wurzeln, werden Nahrung finden in dem Altstadt-Zunder, für Jakob nicht das erste Mal. Die Feuerlohe drückt dann die regenschweren Wolken tausende Fuß nach oben, dem steten Glast der Sonne näher. Es platzt die Blase irgendwann und schüttet Wassermassen auf die Stadt – just als die ersten Eimerketten pendeln. Ein Hohn für die Helfer, Segen aber für alles, das bleiben darf, wie es ist. Doch die Sturzbäche von den Bergen sammeln sich schon zur Nachhut der Zerstörung.
Jakobs Gepäck wiegt leicht beim Gang zu Tal. Es war mal schwerer – bis heute Morgen. Den Grund muss er dem Vater offenbaren. Auch wenn der Vater ihm verzeiht, die Schuld an dem Geschehen hängt ihm weiter an. Das, was Jakob so beschwert, verkocht sich mit der Tageshitze zu einem Sud. Seine Sinne beginnen ihn zu täuschen. Das Summen einer Libelle lärmt, wird zum Kettenrasseln. Das Tier steht in der Luft. Mit seinen blinden Augen starrt es auf dich, drohend, vogelgroß. Woher nimmt es nur die Kraft? Mit jedem fernen Donner scheint das Taunusgebirge, schon auf dem Luftmeer schwimmend, ins Schaukeln zu geraten.
Die Post, von Heidelberg her, hatte vortags am Relais in Sprendlingen pausiert. Die klare Nacht sog die Hitze ab. Als schmale Kost für den Tag ließ sie auf den Pflanzen Tau zurück. Der Feind dieser Tage, die Sonne, löst in der Frühe noch Entzücken aus, wenn sie im roten Morgen badet. Und schneller nach Frankfurt war es allemal zu Fuß. Sprendlingen schließt sich dem Reichswald im Süden an. Die Isenburgs nutzen ihn im Osten, der Westen gehört der Stadt.
Vogellaut, die Andacht in der Waldeskühle, eine Würze in der Luft, von der seine Lungen Vorrat wollen, die gelungene Mission für die väterliche Schmelze, das verstopft Jakob den Hals vor Glück, er singt es laut heraus. Jakob schnitzt sich einen Stecken aus Fundholz. Das darf man aufnehmen, kein Waldfrevel also. Mit seinem ‚tock‘ zum Schritt entsteht der Fußtakt zum Lied. Jakob jauchzt dazwischen ohne Grund.
Im Hospiz und im anatomischen Theater der Heidelberger Medizin lernte er schon als Famulus, dass der Tod der Meister bleibt. Hier, im Born des Waldes, in erhoffter Unbeschwertheit des Familienbundes, will Jakob das für kurze Zeit vergessen. Auch ist er stolz, er bringt mit, wozu der Vater ihm den Auftrag gab. Der Schwager Ludwig, in Heidelberg zu Geld gekommen, war erbenlos verstorben. Vergeblich hatte Jakob seine werdende Kunst an ihm erprobt. Dem bischöflichen Stuhl war nichts nachgelassen, und so fiel alles an die Familie Kreuzer: Bürgerliche Häuser am Ufer des Neckar kamen zum Verkauf durch Jakob, umfängliche Feldflur in Waldhilsbach. Mit hinterlassenem Barem beim Bankhaus Stern ein Schatz von 15000 Max d’Or insgesamt, auf Wunsch des Vaters geteilt in 30 Schuldnoten vom Bankhaus Stern. Nach Laufzeit von drei Jahren mit Zins einzulösen in Heidelberg oder Gontard in Frankfurt. Indossament dazwischen bliebe möglich, auch Einlösung in Grenzen, doch mit Abschlag.
In einer kurzen Pause des Verschnaufens merkt Jakob, er ist nicht allein im Wald. Auf ein geflüsteres ‚Los!‘ stürmen drei Gesellen auf den Weg und sperren ihn. Forstknechte der Isenburgs oder Räuber? Lied weg, Glück weg. Jakob wartet. Die müssen sich erklären. Aber warten schwächt bei so etwas. Sich als Herr sofort empören, fluchen gegen die Knechtsgesichter, ein Ausfall nach vorn, Hiebe mit dem Stecken, Drohung mit dem Strick, dann duckt sich Lumpenvolk. Der Anführer ist ein Hund. Schläge kennt er zu genüge. Aber wenn keine, dann schnappt er selber zu.
Als Jakob stumm verharrt, wagt sich der Bulldog vor. Eine Beute merkt er, sie wehrt sich nicht, leicht zu packen, seinem Isenburger Herrn vor die Füße! – ‚Was er hier das Wild verlärme mit seinem Singsang und was das für ein Stecken sei an seiner Seite, geschnitten von frischem Holz, Waldfrevler! Er sei hiermit festgesetzt!‘ Jakob sieht in den Lauf der Flinte, doch das Schloss hat keinen Stein, sein Moment. Jakob schiebt den Lauf zur Seite. „Schluss jetzt!“ Seine Stimme bleibt aber hohl. In seinem Schritt nach vorn liegt nicht die geübte Kraft der Herrschaft über Leben und auch den Tod von Niederen. Die Drei ringen ihn zu Boden, entreißen ihm die Tasche, schleppen ihn gebunden fort. ‚Die Tasche‘, fiebert’s ihm im Kopf. Jakob lässt den Blick nicht von ihr. Doch der Bulldog fürchtet seinen Blick, so drückt er ihn im Lauf nach unten. Äste knacken unter Jakobs Sohlen, schlurfend, stolpernd sein Gang, die Sicht ist eingeengt auf diesen Teppich, wie ständig weggezogen unter ihm. Die Beine haben Mühe mitzuhalten. Das Trio spornt sich jetzt zur Eile, hetzt schweigend vorwärts, will seine Beute schnellstens an die Herrschaft geben. Ein Lob soll sein und auch Belohnung. Branntwein gibt es nicht für Heller.
Im Zwangsgeschirr der Drei, im Einerlei des Vorwärtstappens ordnet Jakob seinen Kopf. Die Richtung geht zum Mustergut der Isenburgs hin im Süden. Dort kann er sich dem Vogt erklären, vor allem, wer er ist in Frankfurt. Dieser wird der Gewalt ein Ende setzen und ihn mit Buckeln günstig stimmen. Den Sohn des Rates Kreuzer in Frankfurt festzunehmen, aus nichtigem Anlass, das Gepäck zu konfiszieren … Der Streit um Holzlieferungen an die Reichsstadt war doch jüngst beigelegt! Besser also ist’s, sich den drei Schergen noch zu fügen. Die werden ihren Eifer büßen müssen. Doch andererseits …Viel zu sehr ist er Menschenfreund geworden in der Heidelberger Zeit. Keine Form des menschlichen Zerfalls ist ihm mehr fremd. Wenn ein Sterbender Gott verflucht, zum Teufel betet, er möge die Doktoren-Brut so quälen wie sie ihn, seiner Familie droht, die ihn aufgegeben hat … Jakob säubert dem Moribunden noch die Mundhöhle, dass er nicht ersticke. Leidliebe nennt er das, ein selbst erfundenes Wort. Aber wie kann einer noch sich selbst behaupten, wenn er sich nicht zu wehren weiß?
Doch als die Drei im Überschwang des nahen Zieles sich belustigen, und der Bulldog ihn am Haarschopf hinter sich zieht wie ein Stück Vieh, springt etwas um in ihm. Aus lau wird heiß und kalt zugleich. Wut steigt in Wellen auf, bäumt sich zur Springflut. Hängen sollen die Galgenstricke in Frankfurt. Die Isenburger müssen sie ausliefern. Sein Professor Schollbart in Heidelberg will in Gehirnen von Gehängten suchen, wie sich dort die schwarzen Säfte der Milz ablagern und so den Sitz des Bösen bilden. Die drei Hirne soll er haben. Mühsam nur gelingt es Jakob, sich zu fassen. Ein Moment muss ihm genügen, der ihm günstig ist, so verwegen es auch sei. Dem Frankfurter Linienbataillon hatte er nicht nur als Feldscher gedient. Töten mussten sie üben mit Schweinsfedern und Spuntbajonetten im städtischen Schlachthaus, die überraschten Tiere erschießen obendrein, ein ganzes Jahr zur Übung für Kaiser, Reich und Vaterstadt.
Der Waldboden endet, Jakobs holzbesohlte Schuhe klappern über Feldsteinkloben, dem Echo nach ein großer Hof. Pferdeschnauben, Stallgeräusche bäuerlicher Wirtschaft, scharf riecht die Luft danach.
Stimmen verstummen, „Halt!“, tönt es. Stiefelschritte nähern sich. Der Bulldog reißt ihn hoch und Jakob schaut in ein junges Offiziersgesicht, schon zu kantig, hart und fordernd. Er ist ihm unbekannt, doch aus hiesigem Adel mag der sein. Ein Adjunkt steht bei ihm. Man taxiert sich wortlos. Dahinein stolpert der Bulldog mit dem Hergang des Geschehens. Obwohl er gewaltig aufbauscht, hört sein Herr den nichtigen Anlass sofort heraus. Maliziöses Lächeln. Es bleibt ihm nur noch abzuschätzen: Wird der Fremde Ärger machen oder wächst aus ihm auch Vorteil? Wer steht in Frankfurt hinter ihm? Jakobs leinene Kleidung bis zum Kniebund, einfach, aber sauber, ist lax dem Sommer angepasst. Die Seidenweste, altertümlich lang im Schnitt, wohl geerbt, zeugt von Herkunft. Aber offene Haartracht, das spricht dagegen! Apostel oder Insurgent? Der Forstknecht sprach von einer Tasche?
Noch redet von den beiden keiner. Der Junker zeigt unerwartet wenig Contenance, kostet Demütigung aus. Mustere dein Opfer nur wie Schlachtvieh. Das bricht seinen Willen. Jakob bringt kein Wort heraus. Wut schnürt ihm die Kehle zu. Wie um zu überlegen, geht der Andere ein paar Schritte gesenkten Kopfes hin und her. Blauer Gehrock, bestes Tuch, mit hochgestelltem Kragen, gelbe Weste, schwarze Stiefel aus Kalb mit brauner Stulpe, teure englische Mode vom letzten Stand.
Der Andere deutet Jakobs Tränen falsch. Hat er ihn so schnell schon weich? Jetzt eine Geste wie aus Nächstenliebe, und das Opfer wird dem Täter danken. „Bindet ihn los.“
Doch er lässt ein Raubtier von der Kette. Aus der Wucht einer Drehung drückt die Faust dem Bulldog die Kiefer ein. Den Kumpan trifft Jakobs Fuß am Bauch, sodass er jaulend abgeht. Fassungslos macht wehrlos. Das reicht beim Adjunkt des jungen Stutzers, seinen Degen an Jakob zu verlieren. Die Spitze steht ihm danach an der Kehle. Triumph für Sekunden. Jakob will jetzt reden, sagen, was er zu fordern hat, will wieder der Kaufmanns-Jakob sein, der verhandeln will und kein Blut vergießen. Sein Gegner aber sieht es anders. Da erhebt sich etwas Dunkles gegen seinen Adelsstand. Das ist mehr als Händel, das ist ums Prinzip. Der Fremde muss sterben und zwar sofort und vor den Augen aller hier, die wohlmöglich … Der eitle Adjunkt heult um sein Gesicht, das Jakob ihm gekerbt hat, bricht in die Knie.
Der junge Herr ist zu beeindruckt von der Körperschläue seines Feindes, als dass er einen ersten Ausfall wagen würde. Beobachten, Ruhe gewinnen. Der hat auch seine schwachen Seiten! Die Degenspitzen zittern beiden. Abgekämpft ist der Fremde, man muss ihn reizen, wie einen Bullen, der sich vor dem Messer flüchtet, blind soll er werden vor Wut und Angst. Auch Jakob erkennt jetzt: Mein Leben gegen seins. Die Bürgerehre ist es wert.
Aus dem Gutshaus stolpern zwei Soldaten in hanauischer Uniform, wie das? Unschlüssig warten sie auf ein Signal zum Eingriff. Jakob gegen drei, das wird nicht langen. Aber noch will der Junker sie nicht an seiner Seite, noch ist Stolz in ihm. Jakob treibt ihn zum Gutshaus hin. Über den Schöpfeimer dort neben dem Brunnenrohr soll er stolpern. Attacke dann und fliehen. Aber die Tasche mit den Wertpapieren, soll er ohne sie? … Aus dem Haustor tönt erneut Geräusch: Zwei Diener im Livree, die einen Sitzstuhl tragen. Vor ihn hin fällt just der Junker durch den Eimer. Sekunden zählen für Jakob. Doch in den Ausfall gegen seinen Feind am Boden ertönt das zweite „Halt“ an diesem Morgen, ein stumpfes „Halt“, hohl und rostig.
Und das Gesicht des Rufers, sein Habit dazu, das kennt in Frankfurt jeder aus dem Rat: Friedrich Carl von Bentwig, Fiskaldirektor für den Fürsten Isenburg. Ärmlich hat er angefangen, Gnadenstudium als Jurist, in Diensten fast immer schon der Isenburgs. Die Debit-Kommission und die Domänenkammer des Fürsten liegen in seiner geschickten Hand. Er weiß die Gier der fürstlichen Verwandtschaft zu zügeln, die Kreditoren in Schach zu halten und im Geheimen auswärts auszuhandeln, was dem Fürsten peinlich wäre. Dafür hat der alte Isenburg ihm das ‚von‘ geschenkt. Und doch raunt man, der neue Fürst Wolfgang Ernst II. habe ihm die reputable Wohnstatt Neuhof nur zugewiesen, ihn aus den Geschäften allmählich zu verdrängen. Ein kranker Bentwig ist ein schlechter Bentwig und der neue Günstling Christoph Brauer, wirklicher geheimer Rat schon jetzt, drängt in des Fürsten Nähe.
An Bentwig ist das Jahrhundert äußerlich erstarrt. Spitzenjabeaus, die reichbestickte Weste bis weit über den Schoß hinaus. Seidene Beinkleider, Goldtress oben, die Allonge, die ihm im frischen Zug der Außenluft das Gesicht verweht, zahnlos spitz das Kinn. Jakob sah ihn schon im Weidenbusch in Frankfurt, wie er seinen Braten, vom Diener vorgekaut, verschlang. Die Beine atrophisch dünn, der Bauch darüber aufgebläht, schwarzer Schnee von Schnupftabak, verweht auf weißer Hemdbrust. Als Zeichen seiner Wehr ein schwarzer Stock mit schwerem Silberknauf, quer gelegt über die Knie, beide Hände klammern sich darum. Doch deren Macht ist schwach geworden.
Aber was ihn wirklich prägt, sind seine klaren, eigentümlich jugendfrischen grünen Augen, in einen Faltenbalg gefasst. An den Tragestuhl gefesselt, machen sie ihn geisterhaft lebendig. Durchschaut, ertappt, schon abgestraft fühlt sich ein jeder, der bei ihm nur Vorteil sucht und lässt es lieber bleiben. Noch schlimmer ergeht es Arglosen, die einen ehrlichen Handel mit ihm suchen, und Opfer seiner Listen werden. Einzig die Hartgesottenen respektiert er, die so sind wie er, die ihm wirklich drohen können und im Advokatenstreit den längeren Atem halten. Der alte Adam Kreuzer ist so einer, zuständig im Rat der Stadt für die Holzzufuhr nach Frankfurt …
„Schluss mit dem Geraufe, nach oben beide, zu mir.“ Gelallt klingt das aus dem leeren Mund, aber ohne Pardon. Er schlägt auf die Armlehne mit dem Knauf, dass es kracht. Jakob tut gut, dem Alten zu gehorchen, hält die Klinge aber offen. Der junge Bentwig rappelt sich, auch bei ihm ist nichts entschieden. Der Alte bemerkt die Krise seines Sohnes, zieht beide Waffen ein. In Linie geht es die breite Treppe hoch: Soldat, der ramponierte Sohn, Soldat, Jakob, und der Adjunkt, noch schluchzend, hinterdrein. Der trägt die Tasche unterm Arm.
Man nimmt Aufstellung vor dem Alten. Der Stock zeigt auf den Jungen: „Du schweigst, bis ich dich frage!“ Helle Wut steht im Gesicht des Sohnes. Er ist vor allen hier blamiert, nach vorne springen möchte er, dem alten Grind das Messer in den Hals, dem Gefangenen gleich dazu. Doch zitternd gibt er sich geschlagen. „Wer ist der Bursche?“, will der Alte wissen. Zum Fremden ist der Adjunkt gefragt. Bücklinge machend, verhaspelt er sich schon in der Titelwolke des von Bentwig. Der Alte haut die Krücke auf den Tisch: „Jetzt kurz und knapp, wer ist der Mann hier, und was ist mit dieser Tasche?“ Der Adjunkt weiß, wie der Alte auch aus dem Tragstuhl prügeln kann. Die Tasche legt er eilends auf den Tisch. Die Antwort: „Was in dieser ist und wer ihr Träger sei, es blieb die Zeit nicht, das zu prüfen. Edelhochwohlgeboren kamen ja sofort.“ – „Mein kluger Junge wollte also einen töten, ohne seinen Stand zu kennen, ohne Prüfung der Umstände, die ihn in unsere Hände brachten, ohne ihn zum Inhalt dieser geheimnisvollen Tasche zu befragen. So mach’ nur weiter, Sprössling. Du glaubst nicht, wie rasch die Gunst des Fürsten welkt. Der schickt dich dahin, wo du hingehörst: Ins Wirtshaus als Duellant und Säufer.“ – Die grünen Augen fangen nun den Blick von Jakob. Der Stock klopft die hohlen Dielen, will sagen: „Komm her!“ Der Silberknauf fällt schwer auf Jakobs Brust. „Rede!“ Knapp die Antwort Jakobs: Wer er sei, woher, wohin und mehr dazu, warum und wie man ihn schikanierte, und dass er unbedingte Genugtuung erwarte. Keine Antwort. Jakob beobachtet schon seit Minuten, dass Fliegen sich versammeln auf dem Kopf des alten Bentwig, mehr und mehr in der Mittagshitze. Unter der Allonge merkt der davon nichts. Was die Fliegen anzieht, ist eine Dünstung vom Kopf her, die Jakobs Nase empfindlich reizt.
Der Alte nimmt sich jetzt die Tasche vor. Ein Etui mit ärztlichen Instrumenten, dies und jenes, das des Jakob Rede stützt …
Dann die Papiere, das kunstvolle Signum ‚Stern‘, die Summen gesperrt darunter. Die Augen bohren sich förmlich in den Text. Die Blätter zittern in der welken Hand, ein kurzes Murmeln. „Zurück jetzt auf den Hof. Alle! – Der da bleibt“, wieder meint er Jakob. „Aber Vater, der ist …“ – „ … gefährlich. Ich sah es selbst vorhin. Für dich vielleicht, Arno, nicht für mich.“ Arno? Jetzt kann auch Jakob sich erinnern. Unrühmlich, wie der sich vor Fremden als adelig ausgibt, was nur sein Vater darf. Mit einem Franzosenoffizier schlug er sich vor kurzem wegen einer aufgeblasenen Nichtigkeit, im Rausch die beiden, der Franzose tot. Der alte Bentwig wollte es den Frankfurtern anlasten, log und bog sich nach Kräften, doch ohne dass sein fürstlicher Herr ihm beisprang. Der Zivilgouverneur der Franzosen in Frankfurt, Conte Thoranc, drohte mit lebenslangem Arrest. Freikaufen musste Bentwig den Sohn. Das raubte vieles weg, was der Vater in Jahren angespart hatte.
„Geht, Jakob Kreuzer, Ihr werdet von mir hören.“ Immerhin, von der knechtischen Einzahl der Anrede ist er runter. „Dann mit der Tasche und den Papieren“, fordert Jakob. Der Bentwig schiebt die Dokumente hinter sich. „Die Tasche ja, der Rest verbleibt.“ Unerwartet schiebt sich ein breiter Speichelfluss über Lippen und das Kinn des Alten. Will er das Sputum einhalten aus Scham und aus Entsetzen, so würgt es ihn wie Gift. Doch dem Bentwig fließt es aus. Er ächzt, besudelt sich. „Habt Ihr einen metallischen Geschmack im Mund?“, will Jakob wissen. Ein zwischen den krampfhaft geschlossenen Lippen ausgestoßener Laut soll ‚ja‘ bedeuten. Mercurium, zu scharf dosiert, weiß Jakob aus Erfahrung.
Ein Rinnsal kriecht honigdick aus der Matrix der Allonge dem Bentwig auf die Stirn. Vorsichtig hebt Jakob die Perücke an. Bestätigt findet er den Verdacht: Haarausfall in kleinen Ringen, Papeln an den kahlen Stellen, die Polster aus Charpie sind durchgenässt. Lues im III. Stadium, den Rest zu untersuchen, will sich Jakob jetzt ersparen. Körperweit wird es das Gleiche sein.
Der Alte hat sich ihm ergeben. Vielleicht weiß es der Heidelberger Bengel besser zu behandeln als der Offenbacher Hofarzt Uhl. – Jakob, du lernst es nicht! – Mit List könnte er dem Bentwig jetzt die Schuldnoten entwinden, apathisch, wie der hingesunken ist. Aber er denkt wieder nur als Arzt, das Andere ist wie abgetrennt. „Morbus mercurialis“ doziert er. „Lasst das Sputum laufen, Bentwig, drängt es nicht zurück, hier in den Napf. Trinkt so viel als möglich, bis der Geschmack im Munde weicht. Das Uhlsche Mercurial-Salz ist hiermit abgesetzt.“ Jakob verschreibt ihm für den Schädel Hoffmannstropfen mit eingelöstem Bienenharz, halbtäglich zu erneuern, dünne Binden darüber gelegt, von einer luftigen Haube gehalten. Alles Zeug solle man nach dem Wechseln kochen. Die Pillen aus Brotteig mit eingewalktem Opium zunächst weiter wie er wolle. „Und merkt euch. Alle Säfte, die ihr sekretiert, sind hoch ansteckend. – Ich komme ohnehin zurück.“ Sagt’s, greift seine Tasche und nimmt dann nur zwei Sternsche Schuldnoten – „Das ist mein Lohn für heute.“ Der Alte wehrt es nicht.
Die schwere Saaltür pflügt, als Jakob sie aufschlägt, zum Vorraum in die Meute. Gelauscht ist worden. Ängstlich weicht man vor ihm zurück. Jakob mit der Schnabelmaske eines Pestdoktors: Die Lauscher wären überstürzt geflohen.
Der Hof liegt abgestorben in der Mittagshitze, auch der Wald bleibt tonlos, als er Jakob schluckt.
Die harte Sonne schneidet schon am frühen Tag die Stadt in blendende Helle und abgründiges Dunkel. Nur eine schmale Wand gleißenden Lichts senkt sich auf den Grund der Töngesgasse nieder. Noch herrscht Schattenkühle bei den Häusern, die sich schützend über das Pflaster beugen. Die Lichtwand erweckt Staubwirbel lautlos zum Tanz. Sie nähert sich mit dem Sonnengang der Kehrichtrinne, die die Gasse teilt, weitet die Schattengruft unter den Häuserüberhängen nach Norden aus, verkürzt sie umgekehrt nach Süden. Feuchte Kehrichthaufen warten darauf, vom lang ersehnten Regen weggespült zu werden, nachlässig dort hin gekehrt, nur weg von meinem Haus. Trifft die Sonne diese Tauche, dünstet sich der Unrat in Miasmen aus, wabert durch die Altstadt. – Die Tageshitze macht wie tot, erst abends erwacht ein südliches Leben.
Das Pochen am Portal des Tuchgroß- und Fernhandels Kaspar Hugenheim, hallt in der Stille an den Häuserfronten fort. Alles an dieser Fassade ist doppelt so breit, doppelt so prächtig wie sonst in der Töngesgasse und bis zum Himmel aus teurem Stein. Der Gast wird erwartet. Kaspars ältere Tochter öffnet, Susan Hugenheim. Sie ist 20 und findet sich unziemlich groß. Auch Anton Trudel, der in Geschäften zum Vater kommt, muss seinen Hals nach hinten beugen. Bartholomäus Trudel Nachf. Seit Jahrhunderten heißen sie Trudel und handeln in Litzen, Spitzen, Posamenten aus nah und fern. Vater nimmt diesen textilen Zierrat manchmal in Kommission. Susan siezt ihn mit Herr Anton, denn wie kann einer Trudel heißen. Sie versteht das nicht. Susan führt ihn in die hohe Halle, Umgang oben mit Balustern, eine breite Eichentreppe stuft sich herab ins Foyer. Dort schließen die Kontore an: Stoffballen in Leiterregalen hoch bis fast zur Decke. Wolle, verwebt in diesen Mengen, riecht immer noch nach Schaf, stumpf irgendwie. Die Kreatur lebt darin fort.
Trudel behält seine rote Sammetmütze auf, die mit dem reichen Zierrat aus Litzen und Bordüren. Denkt man sie sich ohne Trudel drunter, wär sie ein Schmuck für Haremsdamen. Auch sonst führt er sein Sortiment spazieren. Als weißes Tablett liegt ihm ein Kranz aus steifen Brüsseler Spitzen um den Hals. Sein Rock mit Posamentenstickerei weiht ihn fast zum Bischof. Hinten ist er geschlitzt. Daraus im Rhythmus seines Schrittes tritt das Ende einer Degenscheide kurz hervor. Eine Messingkugel dickt sie auf. Raus rein, raus rein, wie er vor Susan hergeht. Was will er damit zeigen?
Susan erbleicht. Der Anton wirkt so feierlich. Will er etwa für seinen Sohn Peter beim Vater um sie werben? Das würde passen. Der Peter ist fast so groß wie sie, und letztens gab er sich freundlich im Übermaß zu ihr und ohne Anlass und in Seidenstrümpfen. Kam ihr ganz nahe mit seinen Mund voll schlechter Zähne. „Susän“, sprach’s daraus, weil ihre Mutter selig Britin war. Zuviel der angemaßten Nähe, taktlos, ein gedankenarmer Kontorist. ‚Den nicht, bitte lieber Vater‘.
Da tritt aus dem Halbdunkel Michel Schneemilch, Hofmeister, mit unklarer Befugnis für den Gast, führt ihn zum Vater in das Kellergewölbe. Dort ist es kühl, dort steht die Tafel heute und dort wird aufgewartet. Susan schaut ihm hinterher. Michel, Reisender in ihren Wachträumen, nur fünf Jahre älter als sie. Michel heißt er nach außen. Durch Kaspar Hugenheim camoufliert, geht ihm der Aaron nicht verloren. Einen Aaron erträumen, denken wie er, aber leben wie Michel – nicht ohne Reiz für ihn. Schneemilch weicht nicht, als sie im Keller angekommen sind, setzt sich an die Tafel neben seinen Herrn, verharrt still wie eine Katze. Anton und Kaspar, zwei aus Frankfurts Rat schon seit vielen Jahren. Wenn dort einer stirbt, bestimmt der Rat, wer neu rein darf. Der Rat und nicht das Volk. Das gibt immer wieder Ärger. Auf der zweiten Bank – der der Senatoren – hocken sie beieinander. Vor sich die Schöffen, gegenüber auf der dritten Bank die Handwerker und die freien Künste. Früher war Eintracht zwischen ihnen, politisch vor allem.
Aber Trudel will der neue Schöffe werden, denn der greise Tugesam ist schon so gut wie tot. Nach Alter und Zeit im Rat wär er dran als Kandidat. Doch der muss man erst werden und dazu braucht man Freunde wie es der Kaspar lange war. Seit Hugenheim jedoch an der Börse Gulden rafft wie selbst gemacht und der Handelszweig von Trudel über die Jahre blutlos blieb, frisst sich heimlich Neid bei Trudel ein. Hugenheim will nicht den Trudel vor sich sehn auf der Schöffenbank. Er gibt dem Nachbarn auch nicht mehr verdeckt Kredit. Ein Wechselbrief flog auf. Die Schuld daran gibt Trudel ihm. Da hat Kaspar etwas gut zu machen, findet er. Sein Wort zählt in dem Gremium, das bestimmt, wer auf die Kandidatenliste kommt. Aus den Dreien, die dann übrig bleiben, wählt Fortuna einen aus. Anton Trudel glaubt fest an sich.
Auch will er für seinen Peter sprechen. Die Susan ist ein dicker Fisch. Doch keiner will das arrogante Riesenweib. Da muss zum Trost viel Mitgift her. Die braucht der Trudel dringend. Und Sohn Peter glaubt, jede Jungfer lässt sich zähmen, wenn man aufs Ganze geht. Anton muss behutsam sein, nichts zwingen wollen heute. Alles hängt zusammen mit Allem. Ein Gewinn wär’s schon, wenn Kaspar sich noch offen hielte. Und dafür hat er einen Plan.
Schweigen herrscht zunächst am Tisch. Trudel schaut ganz unverwandt auf Schneemilch. Der Domestik soll sich entfernen, will das sagen. Sein Wert als Gast steht sonst in Frage. Man wird verlegen in der Runde. Hugenheim ist jetzt gefragt: „Anton, das ist Michel Schneemilch, vormals Genf, von den Reformierten nach Amsterdam vertrieben, eine Familie von Arminianern. Wie du weißt, Anton, stößt man sie überall herum, obwohl sie doch brave Christenmenschen sind. Meine selige Mary hat Michel vordem aus London mitgebracht. Er ist Magister meiner Töchter. Jetzt leitet er auch mit Susan mein Kontor und die Bibliothek.“
Das stellt den Trudel nicht zufrieden. Er sieht zum Schneemilch hin, unhöflich genau. Seit Beginn weiß Schneemilch, dass er stört, aber Hugenheim gibt noch kein Zeichen. Es stockt erneut. Jetzt hilft der Stundenschlag der Uhr. Schneemilch entschuldigt sich mit Pflichten, einen Lidschlag lang begleitet vom Lächeln Hugenheims.
„Du weißt, Anton, meine Büchersammlung wächst pro Jahr um eine Wand, die größte ist sie jetzt in Frankfurt. Ohne dass Schneemilch die Erdteile des Geistes ständig neu vermisst, dabei das, was neu und wichtig ist, hinzufügt und für Überlebtes noch gutes Geld erhandelt, verkäme das alles zu totem Papier. Viele Gäste, lieber Anton, die ich in den Geistes-Enfiladen oben empfange, sind dem Lesen so wenig zugeneigt wie du. Aber sie fühlen sich nobel aufgehoben im Kreis der großen Geister, ob sie schon tot sind oder noch streitbar lebend. Kaiserliche Räte aus Wien zu Besuch prüfen natürlich erstens, ob ich hier verbotene Werke in Umlauf bringe. Gefunden wurde nichts.“ Hugenheim lächelt wieder. „Der Conte Thoranc war jüngstens hier. Er hat sich danach angeboten, einem kleinen Kreis des Rates die Pläne König Louis’ für Frankfurt darzulegen. Es geht natürlich auch ums Geld. Du siehst, was Bücher nützen können.“
‚Gespreiztes Zeug, was da der Kaspar redet, und diese Herablassung! Werd’ ich ihm lästig?‘, denkt sich Anton. ‚So kann ich heute nicht zur Sache kommen, schon gar nicht in Familienfragen.‘
„Und der Schneemilch als dein Privatsekretär war wohl immer auch dabei?“ Die Antwort wartet er nicht ab: „Ein Jud ist der Schneemilch, kein Arminianer, dass du dich nicht täuscht, Kaspar, ein Marane vielleicht, aber einmal Jud, immer Jud, da muss man kein Luther sein, um das zu schmecken. Er täuscht mich auch durch Schweigen nicht.“
„Jud hin oder her“, wehrt Kaspar ab. „Der Tüchtige hat ein Recht auf Glück. Und tüchtig ist er, der Schneemilch. Meine zwei Töchter lernen bei ihm die Woche über mehr, als dein Peter im Monat bei den Barfüßern.“
„Und was bringt er ihnen bei? Theaterflausen zum Vergnügen und Schulwissen, als sollten sie nach Leipzig gehen zum Studieren. Mit der Religion hält er’s nicht, und wie man als Frau dem Haus vorsteht, schon gar nicht. Mal ehrlich, Nachbar. Weiber, die sich klüger dünken als ihr Gatte: Erst unzufrieden werden sie, dann spröde und dann zänkisch, treiben so den Ehrbarsten aus dem Haus, Gott weiß wohin.“
„Mag dein Peter denken so wie du, lieber Anton. Ich liebe meine Töchter, wie sie sind und wie täglich mehr aus ihnen wird. Glaub mir, einer jungen Hugenheim muss Frankfurt nicht genug sein, um ihr Glück zu finden.“
Ein schlechter Start für Peter, Anton überhört es.
„Der Schneemilch führt dir die Bibliothek, Kaspar, schon das ein großer Fehler, sag ich dir. Er saugt sich daraus sein Wissen ab. Wer weiß, vielleicht sind am Ende viele Seiten leer. Er scharwenzelt nicht und buckelt nicht wie üblich bei den Hausmagistern. Das nimmt dich für ihn ein. Auch in Geschäften rät er dir sicher gut. Dafür bohrt er dir unbemerkt ein Loch in deinen Schädel und macht, dass du zufrieden bist, und meinst, das sei aus dir selbst. Juda wirkt im Stillen an unser aller Unheil, glaube mir. Die Nase trägt der Schneemilch schon jetzt zu hoch. Er wohnt nicht in der Judengasse, nein, bei dir! Ich hoffe, die Stuben deiner Töchter sind nächtens gut verschlossen. – Ich geb’ dir einen Rat, wie daraus zu kommen ist, Kaspar: Der Beisassenausschuss der Stadt, dem ich vorstehe, streicht ihm das Wohnrecht insgeheim, dazu den Aufenthalt in Frankfurt. In der Früh ist er weg und schon nach Mainz verbracht, bevor deine gelehrten Töchter etwas davon merken. Die Loge Zur Einigkeit hier, in der sich Michel Schneemilch breit macht, wird ihm auch nicht helfen.“
„Ich entnehme daraus die Drohung, lieber Anton, dass widrigenfalls du den Fall dem geistlichen Konsistorium beim Rate anzeigen wirst. Als Mitglied des Rates erzöge ich meine Töchter gottlos, noch dazu von einem Juden, der mosaisch zu sein verleugnet, und ich wisse das und wolle das, mithin sei ich kein Lutheraner, auch kein Papist, kein Kalvinist, kein Pietist, sondern Atheist. Merk’s dir, Anton Trudel, ob ich nun Lutheraner bin oder Atheist, die Ehre meiner Töchter wär’ mir gleich viel wert, und du beschmutzt sie nicht mit vagen Verdächten zu nächtlichen Wanderungen zwischen den Schlafstuben meines Hauses.“
„Kaspar, du verfälscht, dass ich dir doch nur helfen will. Hätte ich dir sonst den Vorschlag gemacht, dich auf elegante Weise deines Problems zu entledigen? Hätte ich dich nicht schon längst anzeigen können? Siehst du nicht, wie der Jud Schneemilch schon Zwietracht sät zwischen uns Christenmenschen und muss die Hand dazu kaum rühren?“
„Anzeigen du mich? War nicht ich es, der deinem Kopf wegen einer Bürgschaft aus der Schlinge half, der deine Wechselbriefe aufgekauft und den Protest verhindert hat? Von dem letzten, der geplatzt ist, wusste ich nichts. ‚Für das Gewesene gibt der Kaufmann nichts‘, wirst du mir antworten. Warte nur, Anton, das Gewesene ist ein Untoter und greift nach Kaufleuten wie dir, die glauben, ihre Geschäfte folgten einem Uhrwerk mit ewig gleichem Gang, man müsse es nur ab und an aufziehen. Die Zeiten sind andere heute, lieber Anton, du hast es nur noch nicht gemerkt. Klopf nicht mehr an meine Tür, Mitleid wohnt dann anderswo.“
Der Trudel erwidert ihm, auch wenn er, Hugenheim, ihn für einen pfaffenhörigen Kirchenläufer halte, weil selber ein Pietist, wie er zu seinem Besten vermute, so säßen sie doch im Rate beieinander, gehörten politisch zu den Groß-Frankfurtern. Wär es nicht billig und zum Nutzen ihrer Gruppe, wenn sich ihr Einfluss bei den Schöffen durch sein Amt vermehre? Nur darum bitte er. Im Übrigen wolle er nur mahnen, dass stetig und mit Vorsicht gemehrter Reichtum einen häuslichen Stand voraussetze, wie er in Jahrhunderten christlicher Tradition gewachsen sei. Der Verfall des Wohls der Stadt, ja des ganzen Reichs, das unauflöslich auch das eigene sei, beginne schon unten da, wo der Kaufmann sich selbst und die Seinen absolut setze und sich nicht als Glied einer Kette sehe, die nur stark und haltbar sei, in einem Leben zu Gott hin, wohlgefällig in Sitten und Werken, in Fleiß und im Gehorsam gegen die Herrschaft, die ER eingesetzt habe. „Sola scriptura, lieber Kaspar, darin die Stellung des Weibes klar im 1. Korintherbrief beschrieben ist, das ändern auch eure Konventikel nicht, schon gar nicht Freimaurer-Bündelei.“
„Du hast Gal. 3, 28 vergessen, lieber Anton, darin die Gottessohnschaft den Unterschied zwischen Mann und Frau aufhebt. Und ist nicht Maria Magdalena zu Unrecht keine Apostelin? Apostel ist, wer die Himmelfahrt des Herrn mit eigenen Augen bezeugen konnte. Magdalena war die Erste, die die Grabeshöhle leer fand. Judas’ verwaistes 12. Apostolat also hätte durch sie ersetzt werden müssen und nicht durch Matthias! Ap. 1, 22ff bezeugt es.“
„Du willst mich aufreizen mit deinem Herrnhuter Predigtsermon, den dir deine Tochter Melissa eingeflüstert hat. Also lass mich Taten sehen, Kaspar. Brüdergemeinden gibt’s doch überall inzwischen, wo der hochwohledle Herr seine Gulden bußfertig abliefern könnte und Ältester werden und Sabbath feiern wie der Jud. Na los, was zwickt dich noch?“
„Na gut, dann reden wir jetzt, lieber Anton, wie Kaufleute sonst nur denken dürfen: Macht und Recht wandern immer zum Geld hin. Beide tauschst du zu deiner Gunst mit Gulden ein. Rechne dir selber aus, wie viele du dafür noch übrig hast. Alle Schrifttafeln des Mose, alles Papier mit Thesen bedruckt und an Kirchentüren genagelt, haben eine Rückseite. Die hast du nie gelesen.“
„Von einer solchen Rückseite, lieber Kaspar, könnte ich wohl erfahren, dass du zum Jubiläum deines Tuchhandels vom Kaiser zum Freiherrn geadelt wirst?“ – „Der Kaiser baut weiter an seinem Schloss in Wien, lieber Anton, und das kostet und kostet, wie du dir denken kannst. – Aber du bist ja heute nicht zu mir gekommen, um dich mit mir zu raufen, Anton. Lass’ uns wieder friedlich sein. Es ist zu unserer beider Nutzen. Was wünscht du noch von mir?“
„Du weißt, Kaspar, ich erreg’ mich immer leicht, und du schürst das Feuer noch. Und wenn unser Zwist nach außen dringt, verlieren wir doch beide. Das Politische haben wir wohl für heute abgehakt. Deshalb will ich noch ein Wort für meinen Sohn Peter wagen. Deine Susan wehrt meinen Peter ab, da muss ich nicht lange raten. Viele junge Weiber halten es so, weil sie nach unbeschwerter Jugend die Ehepflichten fürchten. Wenn sich nun mein Peter Mühe gäbe und eine Rolle in dem Weihespiel übernehmen dürfte, das die Susan zu deinem Firmenjubiläum plant, so wären unsere Familien doch nach außen für alle deine Gäste verbunden, ohne die Susan zu bedrängen. Mag danach kommen, was will.“
„Ich bin einverstanden, ich werde mit ihr reden, denn über den Kopf Susans hinweg will ich nichts entscheiden, lieber Anton, besonders, wenn es um ihre ‚Theaterflausen‘ geht. Sie will eine Dilettanten-Truppe gründen. Und nun beim Essen, lieber Anton, steht doch noch Politisches an. Wir sollten überlegen, wie wir uns mit Frankreichs Hilfe Hanau abhängig machen können und auch Isenburg. Gulden hat Frankfurt genug, aber Land zu wenig. Und die Kompanien beiden Herrschaften stehen für Frankreich auf der falschen Seite.“
Durch die Weinberge zieht sich die Darmstädter Chaussee wie eine Furt zum Tale hin, hoch abgemauert links wie rechts. Bogentore geben Einlass, im Inneren flankiert von Gartenhäusern, wilde Bauten ab und an, die davon zeugen, wer mit wem Beziehung pflegt. Zu Regenzeiten besteht kein fester Tritt. Fuhrwerk auf Fuhrwerk malt tiefere Rinnen in den Schlamm. Jedes Jahr werden es mehr von diesen Viergespannen mit den Rädern hoch wie Menschen, die seit kurzem 70 Zentner tragen dürfen.
Jetzt holpert Jakob talwärts. Bizarr sind Schlamm und Geröll verbacken, durch die Hitze festgebrannt. Jeder Schritt, jeder Hüpfer geht in die Knöchel. Staub legt sich auf alles. – Ein Schnaufen, Knall von Peitschen, empörtes Wiehern, tönt von der nächsten Ecke her. Vier Kaltblüter, urweltgroß, sind mit Fernfracht festgefahren. Die Räder verklemmten sich im harten Spurengrund. Die dampfenden Leiber sperren eine Engstelle.
Es eilt dem Jakob. Zwischen Mauer und Bäuchen zwängt er sich hindurch, doch dann steckt er fest. Wenn jetzt die Tiere anziehen, schabt ihm das Zuggeschirr die Rippen blank. Wenn daraus ein Fieber wird, ist er als Wundarzt machtlos an sich selber. Tot – vielleicht wär’s besser so gegen den Vater.
Wieder Peitschenhiebe, diesmal fordernder. Jakob merkt, die Rosse fassen Tritt und werden ihn zusammenschieben. Eine kleine Lücke kann die Rettung sein. Sie gehört zu einem Tor. Sol lucet omnibus, die Sonne leuchtet allen, steht darüber. Welch ein Hohn des Augenblicks. Das Tier presst ihm die Luft ab. Ein Hilfeschrei formt sich daraus, ein Knarren des Tores antwortet. Jakob fällt zurück, etwas fängt ihn auf, ein Griff so weich wie fest, Gelächter. So schön kann fallen sein.
Das Gesicht über ihm ist doch verkehrt herum?! Der Mund spricht beständig aus der Stirn heraus. Augen schauen aus einem viel zu breiten Kinn, das ein langer Bart umrahmt? Einzig Jakobs Rücken ist im Urteil noch verlässlich. Das Weiche oben, das jetzt seine Schultern sich ertasten, müssen Mädchenbrüste sein. Dann wird es nicht etwa fest – keine Korsage oder Mieder? Es wölbt sich eben leicht, teilt sich darunter in nur entfernt Geahntes. Angespannt ist die Retterin, aber offenbar beglückt. Ihr Lachen steckt an. Ein ziemliches Gewoge für die Betrachter. Die stehen Stufen höher und einer heißt Schneemilch. Das Hemd ist der Hitze wegen offen, Schweiß glitzert silbergewirkt auf seiner Brust. Eine zweite Demoiselle steht bei ihm, Melissa Hugenheim, Ihre Korsage hat nicht hitzefrei. Scham geht ihr vor Wohlgefühl. Gerade zieht sie sich die Bluse zu. Fremde sind ihr nicht geheuer.
„Ich glaube, der Herr hat sich gefasst. Lassen sie ihn frei, Demoiselle Susan.“ Susan möchte das nicht glauben, entwindet sich des Fremden aber fürsorglich. Lippen unten, Augen oben im Gesicht, alles wieder unverkehrt und noch viel schöner, Zauberei ist das, findet Jakob. Wie er sich aufrecht stellt, drängt ihr Achselduft in seine Nase. Luft anhalten und gefangen nehmen … geht nicht. Vergessen aber auch nicht. Ein Nicht-vergessen-können, Jakob, das wirkt bereits unerkannt in dir und zieht die Zügel straff in Richtung auf ein vages Ziel.
„Wär’ der nicht ein guter Sylvan? … Aber hat er den Humor dazu?“ fragt Susan in die Runde. Verlegen bis verwirrt schaut Jakob, Melissa kichert hinter vorgehaltener Hand, fängt sich jedoch gleich und sagt:
„Ich fände Seladon am besten. Der hält doch das ganze Stück zusammen und damit auch die Familie“, meint sie. – „Ah und du, Melissa, willst dann wohl die Doris geben, Damons Tochter, um die er wirbt?“ – „Aber wie wär’s“, Susan an Jakob, „mit dir als Mirtillo, den fremden, reichen jungen Schäfer, der sich in die kapriziöse Galathé verguckt?“ Sie dreht sich galant um ihn.
Schneemilch merkt, hinter heiterer Fassade meldet sich das Weibchen in den Schwestern: „Ich finde, Damon, der Arzt, passt mehr zu ihm. Er hat so etwas Zugewandtes, ist nicht gleich mit der ersten Meinung fertig. Die Patienten können sich ihm erklären. Es hilft auch, dass er schon Vater ist. Erste Leidenschaft hat sich gesetzt.“
Dann Michel weiter zu Jakob, ironisch-theatralisch: „Ihr seid als Fremder, den ein widriges Schicksal an unsere Gestade verschlug, freudig aufgenommen. Vergesst euren Namen und Herkunft, seid unser Gast nur. Hier, aus Arkadiens Schoße sollt ihr neu geboren sein. Damon wird man euch heißen.“ Einem Priester gleich schreitet Michel auf den Jakob zu. Wieder Kichern bei den Demoiselles, man ist gespannt, wie Jakob das pariert. Viel zu lange blieb er schon stumm. Das Gehauchte zu Susan im Moment ihrer Umarmung gab keinen Sinn als Wort. Nur nicht noch rot werden! Wie bedankt man sich für eine beherzte Rettung aus dem für ihn so peinlichen, seinen Mannesstolz verletzenden Notstand? Die Drei hier bemühen sich doch, ihm die Blamage zu ersparen, wandeln das Geschehen ins Lustige.
Und als jetzt Susan wegen des Geruchs frischer Pferdeäpfel von der Straße nicht abwarten kann, zum Tor zu laufen, um es zuzuwerfen, da hat Jakob das kleine Quäntchen Zeit gewonnen, sich zu fassen. Auch er lacht jetzt, kokettiert ohne Worte mit seiner Lage, hebt seinen Dank durch Gesten auf eine Luft-Bühne vor den Dreien, stilisiert sich selbst als eines alten Schäfers Sohn, der auf der Flucht vor einem bösen Lord all seines Erbes beraubt, um Zuflucht bittet für eine neues Leben, als Knecht sei es oder als Diener seiner Heilkunst … Gespielte Bescheidenheit, Kniefall zum Schluss, Beifall von den Rängen.
Nun bedrängt man ihn mit Neugier, Arkadien ist vergessen. Sohn von Adam Kreuzer also, der aus dem Rate. Ruß, Hitze, Höllenfeuer, lautes Klinklang auf den Ambossen, die Ofenplatten und das Küchengeschirr aus seinem neuen Feinguss. Reich sollen die Kreuzers sein, mehrere Häuser haben, doch die Geschwister, Babett, Jakob und Lorenz sah man nie auf Bällen. Den Handwerkern reicht die Tanzdiele, selbst wenn sie zu Geld gekommen sind. Vielleicht auch gut so. Während Melissa noch zuwartet mit ihren Fragen, dringt Susan schon in Jakob. Er müsse unbedingt eine Rolle in dem ‚Schäferfest oder die Herbstfreude‘ der berühmten Caroline Neuber übernehmen, das sie gerade für das Fest zu ‚100 Jahre Tuchhandel Hugenheim‘ einübten. Mit Schneemilch und ihm, als Besetzung der wichtigsten Männerrollen, stehe das Stück. Susan will ihm den Text bringen, wenn er fertig umgeschrieben sei. Auch für seine Rolle als Damon sei nicht alles festgelegt, man müsse nur noch ihren Vater und sein Geschäft darin verweben. Jakob sagt zu Allem ja, wenn er nur endlich gehen darf. Geturtel zum Abschied, nur der Schneemilch gibt sich kaum merkbar fremd.
Jakob fällt die Landstraße mehr zu Tale, als dass er rennt, bedrängt durch die Hitze noch am späten Nachmittag und wie betäubt vom grad Erlebten.
Das Affentor in Sachsenhausen: Wassergraben, Holzbrücke, martialisches Festungswerk im Zickzack rund um den Ortsteil. Wie hier, so um Frankfurt selbst. Städte, die sich’s leisten konnten im vorigen Jahrhundert, hatten die bedacht, wie weit heute die Kanonen tragen? Konnten sie wissen, dass jetzt nicht marodierende Banden, sondern marodierende Großmächte sich das Fleisch vom Leibe fetzen mit Zigtausenden gepresster Soldaten, die das Land ernähren muss, worin sie gerade wüten? Die Franzosen lagern in zwei Vororten Frankfurts, die Reichstruppen in einem anderen, ein verlauster Trupp aus bunten Völkerschaften. Nur noch mit dem Nötigsten versorgt, verschafft ihnen Raub in der Umgebung das Übrige. Der Rat antwortet mit Eingaben bei ihren Kommandeuren, die sich Zwangsquartier in der Stadt genommen haben. Ein armer Schlucker find’ sich immer, den sie dann füsilieren.
Noch sind Wien und Paris liiert. Man munkelt, Frankreich wolle sich neu mit Preußen koalieren gegen Reich und Austria. Dann würde sich Britannien gegen Preußen stellen. Zerschossen und geplündert sein steht uns am Main bevor, nicht nur ausgesaugt wie jetzt. Wehe den Besiegten auch für unsere Frauen. Was wird von tausend Jahren Frankfurt bleiben? Nur die grandiosen Festungsmauern draußen rum? Hätt’ mich der Vater nur in Heidelberg gelassen … Aber schon schämt sich Jakob dieses Denkens.
Die Zyklopenmauern des Affentores spenden Kühle. Es gleicht im Durchlass einem Tunnel. Wie darin begraben, wirkt das nächste Großgespann mit vier Gäulen, an dem sich Jakob vorbei zu zwängen hat. Die Torwachen nehmen sich Zeit, alles nach Größe und Wert zu schätzen für den Zoll. – Hinsinken möchte Jakob, einschlafen und aufwachen in einem fernen Land – wieder in den Armen von Susan. Doch sich weiter durch die Hitze kämpfen muss er, das Ziel schon fast vor Augen. Wenn zu allem Unglück auch noch der Wille lahmt, sich durchzukämpfen, wenn er sich in Träume wegstiehlt, dann steht ein zweiter Richter neben Vater: Susan. Was schreckt mehr?
Jakob zwingt sich, keinen Blick zu werfen auf sein Geburtshaus in der Elisabethengasse, nicht auf die alte, elterliche Schmiede dort, die außer Schlaf und Schulweg sein Kinderleben ganz bestimmte. Auch wenn er blind wäre, könnte Jakob die Löhergasse wiederfinden, direkt am Main, in der sein Vater aufwuchs, Kinderschicksal eines Tagelöhners. Stumpf, scharf, sauer der Geruch der Lohe, das tranige Glitsch des Fettgewebes haftet noch am abgezogenen Rinderfell. Schaben und Säuern, Säuern und Schaben, Wässern der Häute in tiefen Kellerbecken der Gerber, die vom Main aus geflutet sind. Der trägt den ranzigen Waschsud der Häute in sein Bett zurück, zusammen mit dem Färberbrühen aus der Gasse nebenan, zusammen mit dem Brei der Sudelfässer aus den Latrinen Frankfurts, der sich durch ein eigenes Gießloch in der Brücke mit dem Strom vermengt, darin die Fischer von Frankfurts Ufer gegenüber ihre Netze werfen: Wenig Leben und schon gar kein gutes für die Namenlosen im untersten Range einer Stadt.
Selten, dass einer daraus aufsteigt, wie Adam Kreuzer: Du fällst viel zu früh aus deinem Nest. Du bist auf dich gestellt, dir muss alles doppelt so gut gelingen wie den Anderen, die elterliches Privileg nach oben trägt. Noch im zweiten Glied rümpft man die Nase über dich.
Über die Brücke, durch das Fahrtor in die Stadt hetzt Jakob. Bevor die Schleusen des Himmels sich öffnen, muss er im Baugraben sein, dem neuen Domizil von Adam Kreuzers Gießerei.
Über einem ist der Himmel inzwischen grau vor Dunst. Die dampfende Luft schmeckt nach irgendetwas, das du nicht atmen magst. Längst bindet Jakobs Leinenkleid den Schweiß nicht mehr. Nur das Salz darin zieht seine weiße Spur. Die Welt schreit zum Himmel nach Erlösung.