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6. Auflage, 2020

Print ISBN 978-3-415-06713-4
E-ISBN 978-3-415-06716-5

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Fälle und Lösungen zur StPO

für die Ausbildung in der Polizei

Hans Beck

Erster Polizeihauptkommissar a.D.

Siegfried Müller

Polizeihauptkommissar a.D.

6., aktualisierte Auflage, 2020

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Cover

Inhalt

Vorwort zur 6. Auflage

A. Fälle zur Identitätsfeststellung (§ 163b StPO)

Fall 1: Erschleichen von Leistungen

Fall 2: Unbekannter Schläger

Fall 3: Brandanschlag

Fall 4: Rotlicht

B. Fälle zur Durchsuchung (§§ 102, 103 StPO)

Fall 5: Fabrikgelände

Fall 6: Ladendieb

Fall 7: Hotelzimmer

Fall 8: Verkehrsunfallflucht

Fall 9: Tatwaffe im Pkw vermutet

C. Fälle zur Beschlagnahme (§ 94 StPO)

Fall 10: Einbrecher und Diebesgut

Fall 11: Führerscheinbeschlagnahme

Fall 12: Handy-Beschlagnahme

D. Fälle zur körperlichen Untersuchung/DNA

Fall 13: Fahruntüchtiger Fahrer/Blutentnahme

Fall 14: Speichelprobe bei Wohnungseinbrecher

Fall 15: Molekulargenetische Untersuchung für künftige Strafverfahren

E. Fälle zu Festnahme, Haftbefehl und ED-Behandlung (§§ 127, 112, 81b StPO)

Fall 16: Gewerbsmäßiger Diebstahl

Fall 17: Schwund im Briefverkehr

F. Fälle zu Identitätsfeststellung, Durchsuchung und vorläufiger Festnahme (§§ 163b, 102, 127 StPO)

Fall 18: Körperverletzung und Freiheitsberaubung, begangen durch Polizeibeamte während der Dienstausübung

Fall 19: Verhaftung nach Wohnungsdurchsuchung

Fall 20: Einbrecher in Haft – Wichtigste Maßnahmen

G. Fall zur Sicherheitsleistung (§ 132 StPO)

Fall 21: Verkehrsunfall

Anlagen

Anlage 1: Strafprozessuales Klausurschema

Anlage 2: Ablauf des Strafverfahrens

1 So auch BayVGH, Entscheidung vom 16.07.1998, NVwZ-RR 1999, 310. — 2 Vgl. hierzu auch BVerfG, Entscheidung vom 24.01.2013, StV 2013, 609. — 3 Nach einer Entscheidung des BGH vom 06.10.2016 (2 StR 46/15, Leitsatz 4) sollen aber kriminalistische (hypothetische) Vermutungen u. Ä. keine tragfähige Grundlage mehr für die Annahme von Gefahr im Verzug sein. In der Praxis wird die Kontaktaufnahme mit der StA daher unerlässlich sein, um ggf. ein Beweisverwertungsverbot auszuschließen. — 4 Die einschlägige Rechtsprechung stellt sehr hohe Anforderungen an die Geltendmachung von Gefahr im Verzug. Das Richterprivileg sollte, wenn der Untersuchungserfolg nicht gefährdet erscheint, unbedingt beachtet werden, vgl. BVerfGE 103, 142 ff. („… denn die richterliche Anordnung der Wohnungsdurchsuchung ist die Regel, die polizeiliche die Ausnahme“); vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 16.06.2015, 2 BvR 2718/10, sowie BVerfG, 2 BvR 876/06, und insbesondere BGH 5 StR 546/06 (2. Leitsatz). Siehe hierzu auch Fall 9. — 5 Gleichwohl die Einbehaltung von Beweismitteln verpflichtend ist, ist bei dieser Maßnahme stets auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen, BVerfGE 20, 162. — 6 Kramer (vgl. Fußnote Seite 43) vertritt die Meinung, dass § 103 StPO keine eigenständige Eingriffsgrundlage zur Durchsuchung beim Unverdächtigen darstellt. Vielmehr baut § 103 auf § 102 StPO auf und regelt lediglich die Abweichungen (RN 232). — 7 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 29.09.2013 – 2 BvR 939/13) bedarf es einer auf den konkreten Einzelfall bezogenen Darlegung der Gründe für eine qualifizierte Wiederholungsgefahr. Die bloße Wiedergabe des Gesetzeswortlauts reicht nicht aus. Vgl. auch § 81g Abs. 3 Satz 5 StPO. — 8 Die Rechtsfolge hat hier drei „staatl. Willensakte“ zur Folge, die Herold erdulden muss. — 9 Die Verhältnismäßigkeit dieses Eingriffs ergibt sich „tatbestandsimmanent“ (ist also dem Tatbestand innewohnend) durch die Einschränkung auf bestimmte Anlasstaten und die Begründung der qualifizierten Wiederholungsgefahr. — 10 Dringender Tatverdacht liegt vor, wenn (momentan = „dynamischer Tatverdacht“) eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer verfolgbaren Straftat ist. — 11 Der Durchsuchungsbeschluss mit der genauen Bezeichnung eines Beweismittels darf nicht dahingehend „erweitert“ werden, dass „pauschal“ nach anderen potenziellen Beweismitteln gezielt gesucht wird. Erstreckt sich z. B. die Durchsuchungsanordnung konkret auf einen Superplasmabildschirm als Beweismittel, verbietet sich die allgemeine Suche z. B. in Schubladen, Sideboard etc., um dort andere tatbezogene Zufallsfunde wie z. B. Handys zu finden. Ein Bildschirm wird niemals in einer Schublade zu finden sein. Die Eingrenzung der richterlichen Durchsuchungsanordnung darf nicht unterlaufen werden (LG Kiel vom 25.04.2016, 7 Qs 24/16, StV 2017, 22, bzw. Löwe-Rosenberg, StPO, S. 886 ff.; siehe hierzu auch BVerfG vom 20.09.2018, NJW 2018, 3571). — 12 Bei Gemengelagen (Strafverfolgung und Gefahrenabwehr) ist eine Dominanzentscheidung zu treffen; bei Anwendung dieses Schemas muss bei Gemengelagen zugunsten der Strafverfolgung entschieden worden sein!

Vorwort zur 6. Auflage

Schon vor Jahren stellten wir fest, wie schwer sich Polizeibeamte in Ausbildung bei der Lösung von strafprozessualen Sachverhalten tun. Ursachen hierfür zu suchen ist müßiger, als den Auszubildenden ein Buch mit lebensnahen Sachverhalten einschließlich möglicher Lösungen anzubieten.

Ein entscheidender Fehler, den die angehenden Polizeibeamten immer wieder begehen, besteht darin, dass sehr häufig vom Ergebnis her begründet wird. Die Schwierigkeit einer Klausur im Verhältnis zum selbst erlebten Geschehen ist oft darauf zurückzuführen, dass in einer Klausur der gesamte Sachverhalt samt Ergebnis bekannt ist; zur Begründung einer Maßnahme dürfen indes nur diejenigen Fakten herangezogen werden, die der Polizeibeamte zum Zeitpunkt der Entscheidung wissen konnte.

In der Klausur muss sich der Prüfling also gedanklich in den Wissensstand der einschreitenden Beamten hineinversetzen können; eine Voraussetzung dafür, dass eine Klausur logisch und schlüssig begründet wird.

Sicherlich gibt es je nach Bundesland Unterschiede hinsichtlich des Schemas, nach dem Klausuren geschrieben werden. Da die Strafprozessordnung ein Bundesgesetz ist, dürften die Unterschiede jedoch gering sein. Als Anhalt hierfür haben wir in unser Buch ein Lösungsschema aufgenommen, nach dem in den Polizeischulen in Baden-Württemberg unterrichtet wird.

Mit der 6. Auflage wurde ein neuer Fall aufgenommen, der sich mit der Thematik einer rechtswidrigen Durchsuchung auseinandersetzt. Auf die jeweilige Rechtsprechung erfolgen – auf die Fallthematik bezogen – Hinweise mit den jeweiligen Fundstellen. Ferner wurden die Ausführungen zum Zufallsfund ergänzt.

Böblingen, im November 2019

Hans Beck

Siegfried Müller

A. Fälle zur Identitätsfeststellung (§ 163b StPO)

Fall 1: Erschleichen von Leistungen

Sachverhalt:

Am Samstag, den 19.10.2019, 18.00 Uhr, meldet Herr Krieger, Mitarbeiter der DB, dass er für die Identitätsfeststellung eines „Schwarzfahrers“ am Hauptbahnhof in Heilbronn die Polizei benötigen würde. Ein Fahrgast im Regionalexpress von Stuttgart nach Heilbronn sei nicht im Besitz einer gültigen Fahrkarte.

Als die Streife POM Flink/PMin Lustig am Ereignisort eintrifft, nennt der Schwarzfahrer eine Anschrift in Schönaich bei Böblingen, die nicht im Online-Einwohnermeldesystem (MeldIT) vermerkt ist.

Der Mann hat keinerlei Ausweise dabei. Er spricht englisch, versteht kein deutsch. POM Flink hält ihm auf Englisch den Verstoß vor und verlangt seine Personalien.

Die Person gibt der Streife gegenüber an, Roger Burden zu heißen und in einer „base“ in Stuttgart-Vaihingen (Patch Barracks) als Zivilangestellter tätig zu sein.

Die Durchsuchung des angeblichen Herrn Burden und seiner mitgeführten Gegenstände nach Ausweispapieren verläuft negativ.

Da somit nicht zweifelsfrei die Identität des „Schwarzfahrers“ festgestellt werden konnte, wird Herr Burden auf die Dienststelle mitgenommen.

Weil ein Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz nicht ausgeschlossen ist, führen die Beamten ein FAST-ID durch. Dessen Ergebnis ist negativ.

Burden schlägt vor, seine deutsche Freundin telefonisch zu kontaktieren.

Nach Rücksprache mit dessen Freundin übermittelt sie Kontoauszüge mit seinem Namen und seiner angegebenen Adresse sowie das Personaldatenblatt seines amerikanischen biometrischen Reisepasses mit Lichtbild sowie eine aktuelle Lohnabrechnung seiner „base“ (Patch-Barracks, Stuttgart-Vaihingen) per Fax an das PRev. Heilbronn.

Das Lichtbild zeigt eindeutig Roger Burden. Da seine Personalien nun zweifelsfrei feststehen, wird er entlassen.

Aufgabe:

Beurteilen und begründen Sie die Rechtmäßigkeit der erfolgten Identitätsfeststellung bei Roger Burden!

Lösungsvorschlag:

1. Vorprüfung

Ein Anfangsverdacht liegt vor, wenn es aufgrund konkreter Tatsachen nach kriminalistischer Erfahrung als möglich erscheint, dass eine verfolgbare Straftat begangen wurde. Bloße Vermutungen reichen hierzu nicht aus.

Hier ergibt sich der Anfangsverdacht aus dem Anruf. Die zu prüfende Maßnahme dient also der Verfolgung einer Straftat (Erschleichen von Leistungen, § 265a StGB).

Die Polizeibeamten werden nach § 163 StPO strafverfolgend tätig (Legalitätsprinzip).

2. Materielle Rechtmäßigkeit

2.1 Auswahl der Eingriffsermächtigung

Zweck der Maßnahme ist die Identitätsfeststellung. Rechtsgrundlage für die Identitätsfeststellung des R. Burden ist § 163b Abs. 1 StPO.

2.2 Voraussetzungen der Eingriffsermächtigung

2.2.1 Zweck/Tatbestandsvoraussetzungen

Diese Norm setzt eine Straftat voraus: Der Adressat Burden ist Verdächtiger einer Straftat, da er als Täter für ein Vergehen der Leistungserschleichung in Frage kommt. Diese Fakten resultieren aus der Aussage des Herrn Krieger.

Die Beamten treffen die in § 163b Abs. 1 StPO zitierten „erforderlichen Maßnahmen“. Diese bestehen im Sachverhalt im Befragen der kontrollierten Person nach ihrem Namen; in der weiteren Folge fallen auch das Durchsuchen, das Festhalten und das Beibringen der Kontoauszüge und des Lichtbildes aus dem Reisepass unter diesen Oberbegriff („erforderliche Maßnahmen“).

Da sich Schwierigkeiten bei der IdF ergeben, ist gem. § 163b Abs. 1 StPO ein „Festhalten“ zulässig: der ausländische Verdächtige spricht kaum Deutsch, also gibt es Kommunikationsprobleme; es wird ferner kein Ausweis ausgehändigt.

Gem. § 163b Abs. 1 StPO ist – sofern wie hier die Voraussetzungen für ein Festhalten der Adressaten vorliegen – auch die Durchsuchung des Burden und seiner mitgeführten Sachen möglich. Dies muss Burden dulden. Da weitere Maßnahmen vor Ort keinen Erfolg versprechen, war auch das Verbringen zum Polizeirevier gerechtfertigt.

Eine weitere „erforderliche Maßnahme“ ist das FAST-ID. Ohne Lichtbild ist die Identität aber zweifelsfrei noch nicht festgestellt, weshalb die Beischaffung eines solchen und Kontoauszüge mit Adresse die letzte „erforderliche Maßnahme“ darstellt und das mildere Mittel zur ED-Behandlung ist.

2.2.2 Adressat der Maßnahme

Adressat der Maßnahme ist Burden, da er ohne Fahrschein angetroffen worden war und somit der Verdacht einer Straftat gegeben ist.

Burden ist als Verdächtigter Adressat des § 163b Abs. 1 StPO.

2.3 Rechtsfolge

Burden muss die erforderlichen Maßnahmen im Rahmen der IdF dulden.

2.4 Verhältnismäßigkeit

Die getroffenen Maßnahmen müssen aber auch verhältnismäßig sein. Das bedeutet, dass die Maßnahmen zunächst geeignet sein müssen, den gewünschten Zweck herbeizuführen.

Die Maßnahmen (Befragen, Durchsuchen, Festhalten) waren erforderlich, da die Identität des Burden sonst hätte nicht festgestellt werden können. Sie waren notwendig, um ein Strafverfahren gegen eine konkret bezeichnete Person betreiben zu können. Die Identitätsfeststellung war geeignet, da sie taugliches Mittel war, die Personalien zu erlangen.

Die VHM im engeren Sinne wurde auch gewahrt. Der Grundrechtseingriff bei Burden stand im Verhältnis zur begangenen Straftat (§ 265a StGB) und zur Stärke des Tatverdachts.

Die Maßnahmen waren somit verhältnismäßig.

3. Formelle Rechtmäßigkeit

3.1 Anordnungskompetenz

Zur Anordnung der IdF bei Burden sind POM Flink und PMin Lustig nach § 163b Abs. 1 StPO berechtigt („die Beamten des Polizeidienstes“).

4. Form- und Fristbestimmungen

Ein zu äußernder Tatvorhalt („§ 163a Abs. 4 Satz 1 StPO gilt entsprechend.“) wurde dem Verdächtigen von POM Flink eröffnet.

Den Erfordernissen der zeitlichen Begrenzung der IdF aus § 163 c Abs. 1 StPO wurde entsprochen, da Burden nur so lange festgehalten wurde, wie dies für die Personalienfeststellung unerlässlich nötig gewesen ist.

Da Burden an einen anderen Ort (Polizeirevier) verbracht wurde, liegt ein Festhalten i. S. d. § 163b Abs. 1 StPO vor. Im Gegensatz zum (bloßen) Anhalten (Freiheitsbeschränkung) ist das Festhalten eine Freiheitsentziehung (Art. 104 Abs. 2 GG), über deren „Zulässigkeit und Fortdauer“ gem. § 163c Abs. 1 StPO der Richter zu entscheiden hat. Auf diese Förmlichkeit konnte jedoch befugt verzichtet werden, da die Herbeiführung der richterlichen Entscheidung länger gedauert hätte als die IdF selbst.

5. Ergebnis

Die IdF erfolgte rechtmäßig.

Anmerkung:

Festhalten zur IdF: vgl. BVerfG, Entscheidung vom 11.07.2006, NStZ-RR 2006, 381

Fall 2: Unbekannter Schläger

Sachverhalt:

In der videoüberwachten Fußgängerzone von Mannheim wird vor dem Döner-Kebap-Stand Gözlukaja am Montag, dem 07.10.2019, gegen 17.00 Uhr Ahmed Raba von einem Jugendlichen zusammengeschlagen.

Der Inhaber des Imbiss-Standes Gözlukaja verständigt die Polizei. Er gibt eine detaillierte Personenbeschreibung des geflüchteten Täters.

Unter anderem gibt er an, der Schläger habe ein weißes Polo-Shirt getragen, das nach der Auseinandersetzung blutverschmiert war.

Ca. zwei Stunden später (18.55 Uhr) entdecken die Polizeibeamten PKin Milde und POM Heinrich vor dem „GÜWO“-Hochhaus einen jungen Mann mit einem blutverschmierten weißen Polo-Shirt. Auch die Personenbeschreibung deutet auf die Täterschaft des Jugendlichen hin.

Die Person wird auf das Vorkommnis angesprochen und PKin Milde verlangt nach Bekanntgabe des Überprüfungsgrundes die Angabe der Personalien und die Aushändigung eines Ausweises.

Der Jugendliche verweigert beides, weshalb er von POM Heinrich durchsucht wird. Nachdem die Durchsuchung nicht zum Erfolg führt, wird der Jugendliche zur Dienststelle verbracht. Da FAST-ID momentan außer Betrieb ist, bleibt nur noch die erkennungsdienstliche Behandlung zur IdF.

Eine entsprechende richterliche Bestätigung für das Festhalten für diese Maßnahme wurde beim zuständigen Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Mannheim nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft eingeholt.

Das Ergebnis der erkennungsdienstlichen Behandlung ergibt gegen 20.45 Uhr, dass es sich um den 21-jährigen Christian Reblaus, wohnhaft Mannheim-Rheinau, Industriestraße 4, handelt. Er war wegen Raubes von der KP Heilbronn vor vier Monaten bereits ed-behandelt worden. Er bestreitet die Tat vehement. Christian Reblaus wird als Beschuldigter vernommen, wobei er zum Sachverhalt selbst keine Angaben machen will. Daraufhin wird sein weißes Polo-Shirt sichergestellt. An beiden Händen wird ein Wattestäbchenabstrich durchgeführt. Danach wird er entlassen.

Aufgabe:

Erläutern und begründen Sie die von PKin Milde und POM Heinrich durchgeführte Identitätsfeststellung in strafprozessualer Hinsicht, einschließlich der zu beachtenden Formen und Fristen!

Lösungsvorschlag:

1. Vorprüfung

Ein Anfangsverdacht nach § 152 Abs. 2 StPO liegt vor, wenn es aufgrund konkreter Tatsachen nach kriminalistischer Erfahrung als möglich erscheint, dass eine verfolgbare Straftat begangen wurde. Bloße Vermutungen reichen hierzu nicht aus.

Hier ergibt sich der Anfangsverdacht aus dem Notruf und den Feststellungen beim Geschädigten Raba. Die zu prüfende Maßnahme dient also der Verfolgung einer Straftat (KV-Delikt).

Die Beamten kommen dem Legalitätsprinzip aus § 163 StPO nach und werden strafverfolgend tätig.

2. Materielle Rechtmäßigkeit

2.1 Auswahl der Eingriffsermächtigung

Die Eingriffsermächtigung ergibt sich aus § 163b Abs. 1 StPO. § 163b Abs. 1 StPO gestattet die Personalienfeststellung des Verdächtigen durch die Staatsanwaltschaft und alle Polizeibeamten.

2.2 Voraussetzungen der Eingriffsermächtigung

2.2.1 Zweck/Tatbestandsvoraussetzungen

Zweck der Maßnahme ist die Identitätsfeststellung. § 163b Abs. 1 StPO erfordert den „Verdächtigen einer Straftat“. Christian Reblaus ist Verdächtiger einer Straftat; er kommt als Täter der Körperverletzung in Betracht. Die Tatsachen, dass er sich in der Nähe des Tatorts aufhält, ein blutverschmiertes weißes Polo-Shirt trägt und auch die auf ihn passende Personenbeschreibung machen ihn zum Verdächtigen.

Die Beamten können zum Zwecke der Identitätsfeststellung die „erforderlichen Maßnahmen“ treffen, nachdem sie Christian Reblaus eröffnet haben, dass er Verdächtiger einer Körperverletzung ist. Die zunächst erforderliche Maßnahme ist das Befragen nach den Personalien. Diese Maßnahme bleibt aber erfolglos, da Reblaus sich weigert, seine Personalien anzugeben und auch seinen BPA nicht aushändigen will.

Wenn die Identität nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann, darf der Verdächtige festgehalten werden. Unter dieser Voraussetzung ist auch seine Durchsuchung und die Durchsuchung der von ihm mitgeführten Sachen zulässig.

Weil Reblaus sich weigert, seine Personalien anzugeben bzw. sich mit einem Ausweispapier zu legitimieren, kann seine Identität nicht festgestellt werden. Deshalb sind die Beamten berechtigt, den Verdächtigen festzuhalten und nach mitgeführten Ausweisen zu durchsuchen. Auch mit diesen Maßnahmen wird der strafprozessuale Zweck nicht erreicht. Daher kann der Verdächtige auf die Dienststelle verbracht werden. Dort erfolgt nach Ausfall von FAST-ID eine weitere erforderliche und nun zulässige Maßnahme, die erkennungsdienstliche Behandlung. Hierdurch gelingt es schließlich, seine Personalien festzustellen.

2.2.2 Adressat der Maßnahme

Adressat der Maßnahme ist Christian Reblaus, da er mit einem blutverschmierten Polo-Shirt angetroffen worden ist. Christian Reblaus ist als Verdächtiger richtiger Adressat der Maßnahme.

2.3 Rechtsfolge

Christian Reblaus muss alle Maßnahmen, die für die IdF erforderlich sind, erdulden.

2.4 Verhältnismäßigkeit

Alle getroffenen Maßnahmen waren erforderlich, da ohne sie die Identität des Verdächtigen unbekannt geblieben wäre. Sie waren notwendig, um das Strafverfahren namentlich gegen ihn betreiben zu können. Mildere Mittel zum Zwecke der Identitätsfeststellung als die angewandten gab es keine.

Die Maßnahmen waren ferner geeignet, da erst durch die Mitnahme zur Dienststelle und die ED-Behandlung die Identität festgestellt werden konnte.

Die Identitätsfeststellung war auch im engeren Sinne verhältnismäßig. Die Grundrechtseingriffe standen im Verhältnis zu der begangenen Tat und der Stärke des Tatverdachts.

3. Formelle Rechtmäßigkeit

3.1 Anordnungskompetenz

Alle Beamten des Polizeidienstes sind nach § 163b Abs. 1 StPO zur Anordnung einer Identitätsfeststellung berechtigt, so auch PKin Milde und POM Heinrich.

4. Form- und Fristbestimmungen

4.1 Tatvorhalt

§ 163b Abs. 1 StPO verlangt als wesentliche Formvorschrift, dass dem Verdächtigen vor der Identitätsfeststellung deren Grund genannt wird (analog zu § 163a Abs. 4 StPO). Wird der Grund nicht genannt, ist die Maßnahme rechtswidrig, so OLG Hamm vom 10.05.2012, NStZ 2013, 62, es sei denn, der Grund für die Identitätsfeststellung ist offensichtlich, so OLG Hamm vom 16.12.2014, 1 Ws 521/14.

4.2 Dauer der Freiheitsentziehung